Jakobe lebte unterdessen fröhliche Tage. Sie träumte davon, dass sie nun bald frei und unter Freunden sein, Neues und Schönes sehen und wieder die Huldigungen genießen würde, die einer hochgeborenen, regierenden Herrin und einem schönen Weibe gebührten. Sie malte sich auch aus, dass sie ihren Gemahl wiederhaben und ihm seine Untreue vorwerfen würde, wie sich allmählich Angst und Liebessehnsucht in seinem hübschen Gesichte ausprägen, wie er weinen, sie ihm endlich vergeben und sich von ihm liebkosen lassen würde. Oder aber es würden ihr andere, viel herrlichere Männer begegnen und ihr neue, große Beseligungen geben und ihr zu ihrem Recht und ihrer Rache verhelfen. Ungeduldig indessen war sie nicht, sondern ließ, mit Beten und Sticken beschäftigt, die feuerhellen Herbsttage mit den Fluten des Rheins unter ihrem Fenster vorbeifließen, ohne sie zu wägen oder zu zählen.
So war es denn eine nachdenkliche Sache, dass die Herzogin am Morgen des 3. September 1597 von ihrer Kammerfrau, die wie üblich in ihr Gemach kam, tot im Bette gefunden wurde; denn niemand hatte Zeichen eines Übelbefindens am vorhergehenden Abend an ihr wahrgenommen. Bevor das Ereignis noch recht bekannt wurde, ließ Schenkern das Begräbnis vornehmen, hastig und schändlich, wie es sich für geringe, namenlose Leute oder Armesünder geschickt hätte. Zweifelte nun auch niemand daran, dass es bei diesem Todesfall etwas gewaltsam zugegangen sei, so hütete sich doch ein jeder, den Verdacht öffentlich zu äußern oder gar den mutmaßlichen Mörder zur Rechenschaft zu ziehen; denn ohne Beweise hätte man sich damit in eine dornige Sache eingelassen.
Damit man ihm desto weniger anhaben könne, ließ Schenkern die Spanier ins Land, die unter ihrem Feldherrn Mendoza mehrere Plätze besetzten und sich dort als rechtmäßige Herren gebärdeten. Einen Grund zu diesem unerhörten Schritt zog Schenkern daraus ab, dass er einen Plan der protestantischen Erbansprecher, sich in Besitz des Landes zu setzen, entdeckt habe und diesen habe zuvorkommen müssen. Ein Geschrei der vergewaltigten Gegend erfüllte bald das Reich, dessen Glieder denn auch zu erwägen begannen, was bei einem derartigen feindlichen Einbruch durch die Reichsgesetze vorgesehen sei. Diese nun legten die Pflicht, den Feind abzuwehren, dem nächstgelegenen Kreise auf, welches in diesem Falle der westfälische war, und derselbe setzte sich demgemäß in Beratung, wie das Kreisheer und das Geld, es zu besolden, zusammenzubringen sei. Da jedoch mehrere Monate darüber verliefen, während welcher die Spanier nach ihrer Weise Stadt und Land verwüsteten, traten einige Fürsten zusammen, um etwa von sich aus der feindlichen Eigenmacht zu steuern, die dem Reich zur Unehre gereiche und ihnen gefährlich sei. Es waren dies der Landgraf Moritz von Hessen, der Herzog Heinrich Julius von Braunschweig und der Pfalzgraf Kurfürst Friedrich IV., deren Länder dem Herzogtum Jülich nahe lagen und die überhaupt gewohnt waren, bei allen vorkommenden Reichshändeln Partei zu ergreifen.
Pfalzgraf Friedrich IV. fühlte sich für seine Person nicht anders wohl als bei den fürstlichen Unterhaltungen der Jagden, Turniere und Trinkgelage; aber er war sich bewusst, der Träger eines ruhmvollen Namens und Erbe von Fürsten zu sein, die sich durch kampfbereites Einstehen für ihre religiöse Überzeugung angesehen und gefürchtet gemacht hatten, und hielt darauf, die Überlieferungen seines Hauses fortzusetzen. Die blühende Pfalz sollte die Vormacht und Stütze der Reformierten im Reiche und eigentlich der Evangelischen überhaupt bleiben, da Sachsen anfing, eine träge und zweideutige Politik zu befolgen, um es mit dem Kaiser nicht zu verderben. Deshalb umgab sich Friedrich IV. mit reformierten Räten, die an seiner Statt unternehmend, ehrliebend und fleißig waren, hing ihnen dankbar an und unterwarf sich ihnen in allen Stücken, mit der Einschränkung, dass er sich ihrer unbequemen Herrschaft nicht selten entzog, um an befreundeten Höfen beim vollen Becher sich ihrer Ratschläge und Grundsätze gänzlich zu entschlagen. Auch seine Gemahlin, die Oranierin Luise Juliane, deren Herkunft die Verbindung mit ihr zum Zeichen für kühne, kampfbereite reformierte Sinnesart machte, hatte er wegen ihrer Bildung, ihres beherrschten Wesens und tüchtigen Charakters anfänglich geliebt und verehrt; auf die Dauer aber vermochte er ihre Überlegenheit, da sie eine Frau war, nicht zu ertragen und zeigte ihr die seinige durch rohe Behandlung, die sie mit Geduld und Würde ertrug; diese Art und Weise schien ihm aber Verachtung auszudrücken und gab daher seiner Erbitterung stets neuen Stoff.
Anders geartet war Landgraf Moritz von Hessen, ein schlanker, stattlicher, überaus tätiger und kluger Mann, von einer gewissen Feinheit und Ehrlichkeit des Denkens, sodass er, wie er selbst durch Unrat und Unordnung gestört wurde und sich stets gedrängt fühlte, in dunkle Winkel hineinzuleuchten, überall unbequem empfunden wurde, wo schmutzige oder stumpfsinnige Behaglichkeit waltete. Er war seit dem Jahre 1593 mit Agnes aus dem gräflichen Hause Solms-Laubach verheiratet, die wegen ihrer Schönheit mit der Göttin Venus verglichen wurde und diese Gabe den Kindern vererbte, die sie ihm gebar.
Dagegen hielt der Herzog von Braunschweig am Alten fest, aber wie der Landgraf war er dem Müßiggang feind und dazu von so ausgezeichneter Gesundheit, dass das Trinken ihn nicht vom lebhaften Betrieb und vielfacher Tätigkeit abhielt. Diese beiden Herren gerieten leicht aneinander, weil ein Streit zwischen ihnen schwebte, indem der Herzog auf mehrere Ämter Anspruch erhob, die der Landgraf als sein Eigentum ansah und stets angesehen hatte und in deren Besitz er sich, rechtlicher Entscheidung vorgreifend, gewaltsam gesetzt hatte. Davon abgesehen, reizten den Landgrafen des Herzogs breite Gemütlichkeit, sein selbstgefälliges Behagen, seine altväterischen Sitten und die Langsamkeit seines Verstandes; den Herzog dagegen ärgerte das neuerungssüchtige Wesen des Landgrafen, das er unfürstlich fand, seine Redefertigkeit und Überlegenheit, wie er denn das Gefühl hatte, als schlage der Landgraf seine, des Herzogs, weltberühmte Gelehrsamkeit gering an. Allerdings dachte der Landgraf diesbezüglich, der Herzog sei ein Fass voll Sauerkraut, es sei wohl viel darin, aber geringe, grobe Nahrung. In der Politik war Herzog Heinrich im Grunde der Meinung, die Dinge wären gut, wie sie eben wären, und das alte Römische Reich, wie es nun einmal sei, dürfe durchaus nicht angetastet werden; da er aber darauf erpicht war, die Stadt Braunschweig, die sich als Reichsstadt gebärdete, sich untertänig zu machen, und der Kaiser in diesem Zwist kürzlich gegen ihn und zugunsten der Stadt entschieden hatte, schloss er sich mit zähem Nachdruck den Fürsten an, die es antikaiserlich trieben.
Bevor es zu einer gemeinsamen Beratschlagung kommen konnte, musste der zwischen dem Landgrafen und dem Herzog schwebende Streit wegen der Ämter in etwas beigelegt werden, was der Pfalzgraf über sich nahm; dann traten die Herren der Sache näher unter einer starken Rede des Herzogs Heinrich Julius, wie schimpflich der spanische Einfall für das Reich sei. Wenn es nicht Spanien wäre, meinte Hessen, würde der Kaiser sich eher rühren, wie träge er auch sei. Nun, man müsse eben selbst handeln, sagte Heinrich Julius, und da sie einmal so weit einig wären, solle das Unwesen bald ein Ende nehmen. Als es daran ging, das Heer zusammenzubringen, das die Spanier vertreiben sollte, zeigten sich jedoch vielerlei Schwierigkeiten in Bezug auf die Anzahl der Truppen und wie sie auf jeden zu verteilen wären; denn es wollte jeder so wenig wie möglich besolden. Am Ende, meinte Moritz von Hessen, könne man sich so helfen, dass man es den Holländern überlasse, die Spanier zu vertreiben, und sie nur mit Geld dabei unterstütze. Die Holländer hätten sowieso Soldaten auf den Beinen und hätten ebenso viel Interesse daran wie das Reich selbst, dass die Spanier sich nicht im Cleveschen festsetzten. Was? rief der Herzog von Braunschweig entrüstet, mit den Holländern wolle man gemeine Sache machen und ihnen gar noch Dank schuldig werden? Mit den Rebellen und Trotzköpfen, die es den Fürsten gleichtun wollten? Lieber wolle er spanisch oder türkisch werden, und es solle keiner mehr mit einem solchen Vorschlag seiner fürstlichen Ehre zu nahe treten. Dies war eine besondere Kränkung für Moritz von Hessen, der mit den holländischen Staaten in einem freundschaftlichen Verhältnis stand, so viel wie möglich Holländer nach Hessen zu ziehen und die dort herrschende Blüte an Kunst und Gewerbe in sein Land zu verpflanzen suchte.
Nach Verlauf einiger Wochen, während welcher die Spanier ernstlich verwarnt worden waren, sich aus dem Reich zurückzuziehen, einigte man sich über die Zahl der zu werbenden Truppen; nun aber erklärte Christian von Anhalt, er wolle den Oberbefehl, worauf man sich doch verlassen hatte, nicht übernehmen. An seinem Mut und guten Willen werde man nicht zweifeln, sagte Anhalt, es sei ja bekannt, unter welchen Schwierigkeiten er seinerzeit dem König von Frankreich zu Hilfe gekommen sei; aber seine Ehre sei ihm zu lieb, als dass er sie bei einer zweifelhaften Sache aufs Spiel setzen möchte. Er habe von Anfang an gesagt, dass man mehr Mittel an das Unternehmen wenden müsse, wenn etwas dabei herauskommen solle, und wenn man nicht auf ihn höre, wolle er auch keine Rolle dabei spielen.
Zwar verdachten die Fürsten dem Anhalter dessen Entschluss, aber er brachte Moritz von Hessen auf den Gedanken, dass er an seiner Stelle das Amt des Feldherrn übernehmen und auf diesem Felde Lorbeeren gewinnen könne. Es bemächtigte sich seiner bei der Vorstellung eine gewisse Unruhe, und er wusste selbst kaum, ob seine Lust oder seine Bedenken größer wären. Gefahren und Strapazen fürchtete er nicht; und doch fühlte er sich des Erfolges nicht so sicher, wie wenn er ein mathematisches Problem hätte lösen oder eine theologische Disputation hätte halten sollen. Indessen gerade diese Unsicherheit spornte ihn an; es war ihm, als ob jeder die Zweifel hege, die in ihm selbst aufstiegen, und als müsse er sie durch die Tat entkräften.
Kaum war Landgraf Moritz mit seinem Anerbieten hervorgetreten, als der Herzog von Braunschweig erklärte, er habe sich bereits zum Direktorium des Krieges entschlossen und wolle nun nicht davon zurücktreten. Er dachte bei sich, es sei ein lächerlicher Anspruch von Moritz, der doch nur ein Maulheld sei, den Feldherrn spielen zu wollen, während der Landgraf fand, nachdem Heinrich Julius erst kürzlich vor Braunschweig abgeblitzt sei, täte er besser, hinter seinem Bierkrug sitzen zu bleiben. Hierüber zerschlug sich der Feldzug der verbündeten Fürsten; die Truppen, die sie schon geworben hatten, übernahmen die benachbarten Kreise; da diese aber kein Geld hatten, sie ordentlich auszurüsten und zu unterhalten, verlief sich das Heer, bevor etwas Eigentliches unternommen war, und die Festung Orsau blieb einstweilen im Besitze der Spanier.
1 Onkel <<<
Während der junge Erzherzog Ferdinand von Steiermark zu Ingolstadt studierte, begab es sich an einem Festtage, dass er später als gewöhnlich zur Messe in die Kirche kam und den vorderen Stuhl, den er sonst innehatte, von seinem Vetter Maximilian, dem Sohne des Herzogs von Bayern, besetzt fand. Indem er diesen mit freundlichem Anlachen begrüßte, blieb er wartend vor ihm stehen, und da Maximilian nicht Miene machte, ihm den Platz zu überlassen, forderte er ihn leichten Tones dazu auf. Er wisse nicht, dass das Ferdinands Stuhl sei, antwortete Maximilian zögernd und kühl; dass er ihn bisher gehabt hätte, hindere nicht, dass heute er, Maximilian, ihn behalte, da er ihm einmal zuvorgekommen sei. »Mein Platz ist es«, entgegnete Ferdinand, »weil er als der vordere meinem Range gebührt, und lege ich auch als Freund und Vetter keinen Wert darauf, so bin ich es doch seit dem Tode meines Vaters meiner Würde schuldig, darauf zu bestehen.«
Hätte er gewusst, sagte Maximilian, dass Ferdinand es so auffasste, würde er ihm den Stuhl vorher nicht immer überlassen haben, was nur aus dem Grunde geschehen sei, weil er sich an der bayrischen Landesuniversität dem steiermärkischen Vetter gegenüber als Wirt gefühlt habe; nun werde ihm seine Höflichkeit als Unterwürfigkeit ausgelegt. Ein Herzog von Bayern sei so viel wie ein Erzherzog von Steiermark, vorzüglich auf bayrischem Gebiet, wo keinem Erzherzoge auch nur so viel wie eine Scheune oder ein Heustock gehöre.
Das könne man nicht wissen, entgegnete Ferdinand und lächelte; er gehöre zur kaiserlichen Familie und könne noch einmal Kaiser werden, wenn es Gott gefällig sei.
Der ältere Vetter, der, gerade gewachsen und sich steif haltend, auf den vor ihm stehenden, ein wenig schlotterigen Steiermärker herabzusehen schien, errötete vor Ärger, blieb aber kalt und sagte: »Ich etwa nicht? Es gibt kein Gesetz in der Güldenen Bulle, dass nicht auch ein Bayer zum Kaiser könnte erwählt werden.«
Die beiden Hofmeister, die bisher vergeblich dem Wortwechsel zu steuern versucht hatten, drangen nunmehr durch, der bayrische, indem er Maximilian flüsternd an den Befehl seines Vaters erinnerte, stets höflich gegen Ferdinand zu sein und auf alle Fälle in gutem Vernehmen mit ihm zu bleiben, während der steiermärkische Ferdinand mit dem Zorn seiner Mutter schreckte, die ihm streng befohlen hatte, dem Herzog von Bayern, ihrem Bruder, wie einem Vater zu gehorchen und Maximilian wie einen älteren Bruder zu respektieren. Der Gedanke daran, dass seine Mutter schon mehrmals gedroht hatte, ihn von Ingolstadt fortzunehmen, wie es der Kaiser und dessen Brüder, Ferdinands Oheime, wünschten, schlug seinen Hochmut nieder, und er verstand sich dazu, Maximilian zu bitten, er möge ihm den Stuhl, abgesehen von der Rangfrage, aus vetterlicher Freundschaft überlassen, weil er sich an ihn gewöhnt habe. Maximilian gab mit kühler Herablassung, aber im Grunde nicht ungern nach; denn inzwischen waren ihm Zweifel aufgestiegen, ob er nicht doch einem Habsburger gegenüber, der des Kaisers Neffe war, ein wenig zu weit gegangen sei. Während der kirchlichen Zeremonie gab sich Ferdinand ausgelassenen Späßen über einen der Geistlichen hin, der augenscheinlich den Schnupfen hatte und seine rotgeschwollene Nase mit dem reichgestickten Unterärmel seines Gewandes putzte; aber wie der Hofmeister seine Lustigkeit nicht zu dämpfen vermochte, so gelang es ihm nicht, Maximilian zum Lachen zu bringen.
An diesen Vorfall knüpfte sich ein langer, nicht unbeschwerlicher Briefwechsel zwischen Maximilians Vater, Herzog Wilhelm von Bayern, und dessen Schwester, der Erzherzogin Maria von Steiermark, Ferdinands Mutter, die sich herzlich liebten, obwohl die Heftigkeit der jüngeren Erzherzogin ihrem friedfertigen Bruder manche Nachgiebigkeit zumutete. Maria hielt ihre bayrische Familie für weit tüchtiger und verdienstlicher als die ihres Mannes, die sie im Stillen herzlich verachtete; allein da ihre Kinder nun einmal Habsburger waren, trotzte sie auf deren Titel und Rechte und gebärdete sich sogar dem Herzog gegenüber zuweilen als die Höhere, deren Ansprüchen ein jeder zu weichen habe. Da von ihren fünfzehn Kindern die meisten kränklich und unbegabt waren, machte ihr die Erziehung viel zu schaffen, umso mehr, als sie bei ihrem Manne wenig Unterstützung fand, im Gegenteil seine Trägheit, Gleichgültigkeit und Leichtfertigkeit beständig durch ihren Ernst und ihre Tatkraft ersetzen musste. Wenn sie bedachte, wie sie ihn stets hatte stoßen und treiben müssen, damit er den Anmaßungen seines Adels standhielt, wie sie hatte wehren müssen, wo er nachgeben wollte, wie sie mit Drohen, Keifen, Predigen und Intrigieren allem Gegenwirken der Stände zum Trotz Jesuiten und Kapuziner ins Land gebracht hatte, dass sie nunmehr allenthalben das wahre katholische Leben sprießen und um sich greifen sah, so mochte sie sich füglich von ihrer Wichtigkeit und Machtfülle durchdrungen fühlen. Auch hätte keines von ihren Kindern gewagt, ihr den Gehorsam zu weigern; aber das konnte sie doch nicht hindern, dass etwas habsburgisches Unkraut selbst in ihres Ferdinands gute Anlagen, die er von bayrischer Seite mitbekommen hatte, hineinwilderte.
Als er das erste Mal nach dem Tode des Vaters von Ingolstadt nach Hause kam, hoffte sie ihn etwas gereifter und männlicher zu finden; indessen musste sie ihm schon beim Eintritt seine Lustigkeit und Scherze mit der Dienerschaft als dem Trauerhause unziemlich verweisen. Sie überraschte ihn mit einem Geschenk aus dem Nachlasse des Vaters, einer reich mit Perlmutter und Elfenbein eingelegten Büchse, die der Nürnberger Künstler Jamnitzer verfertigt hatte; denn er sollte sie künftig an Stelle des Vaters zur Jagd begleiten. Der sechsjährige Leopold, der auch zur Jagd zu gehen verlangte, wurde im Hinblick auf seine Bestimmung zum geistlichen Stande mit einem Rosenkranz aus böhmischen Granaten getröstet, der neben dem Bette des verstorbenen Vaters gehangen hatte. Dies gab Anlass zu einer Rauferei, da Ferdinand den Kleinen auslachte und neckend sagte: »Lerne du nur fleißig beten, du kannst nicht zur Jagd gehen, denn du wirst Weiberröcke tragen und müsstest als ein Weib auf dem Sattel sitzen«, eine von den Anspielungen, mit denen die Geschwister den wilden Buben zu reizen liebten. In lautloser Wut stürzte sich Leopold auf den großen Bruder, warf ihn mit dem ersten Anlauf zu Boden und schlug den jämmerlich Schreienden mit der Faust auf den Kopf, indem er schrie: »Ich will dir auf deinen dreckigen Grind beten!«, bis Marias feste Hand den Knäuel auseinanderriss. Sie gab Leopold zwei Ohrfeigen, die eine wegen seiner Versündigung am heiligen Gebet, die andere, weil er seinen älteren Bruder, dem er Gehorsam schuldig sei, verprügelt habe; dann sich plötzlich zu Ferdinand wendend, der bei der Bestrafung seines Bruders zu wehklagen aufgehört und lachend zugesehen hatte, versetzte sie auch ihm eine, denn er sei nicht minder schuldig als Leopold, insofern er mit unziemlichen Neckereien den Anfang gemacht habe, wo er doch vielmehr den künftigen Priester in seinem Bruder ehren sollte. Dann wischte sie Leopold die Tränen ab, der unter dem Schluchzen wütende Blicke auf seinen Bruder schoss, reichte ihm einen Apfel und führte ihn in ein anderes Zimmer, wo ihn die Schwestern mit neugierigen Blicken und Fragen empfingen. Von der Zurückkehrenden bat sich Ferdinand, halb dreist, halb ängstlich, auch einen Apfel aus; Leopold werde von ihr verhätschelt, und das sei der Grund, warum er ihm nicht gehorche, er wisse wohl, dass die Mutter ihm alles hingehen lasse, die Ohrfeigen habe sie ihm ja auch gleich vergütet.
Es verhalte sich ganz anders, sagte Maria streng; eigentlich hätte sie ihn, Ferdinand, allein strafen sollen, denn nicht nur, dass er als der Ältere der Verständigere sein und ein gutes Beispiel geben sollte, hätte er, der Große, sich von dem tapferen Kleinen wie ein Feigling zu Boden schlagen und verprügeln lassen, dazu noch Zeter geschrien. Frömmigkeit sei zwar für einen christlichen Regenten die Hauptsache, und auch die katholischen Wissenschaften und die Historie seien ihm nützlich, aber die ritterlichen Übungen und eine stattliche, kriegerische Haltung dürfe er nicht vernachlässigen. Die Verwandten machten ihr Vorwürfe, dass sie ihn zu lange auf der Universität lasse, wo er nichts als gelehrtes Silbenstechen und Disputieren lerne.
Ferdinand sagte maulend, er nehme Reit- und Fechtstunden und habe schon große Fortschritte gemacht. Der päpstliche Nuntius, der kürzlich durch Ingolstadt gekommen sei und ihn in der Fechtschule gesehen habe, habe ihn mit dem blitzeschleudernden Apollo verglichen. Was hätten sich auch seine Oheime, die Erzherzöge, einzumischen? Sie, die Mutter, hätte allein zu bestimmen und allenfalls ihr Bruder, der alte Herzog von Bayern, ihnen beiden wolle er gern gehorchen.
Ganz besänftigt, hieß Maria ihren Sohn sich zu ihr setzen und sprach ihm vertraulich von ihren Sorgen und Plänen. Einen erbitterten Kampf habe sie führen müssen, bis man sie mit ihren Kindern im Schlosse zu Graz gelassen habe; man hätte sie am liebsten auf die Seite gestellt, nicht weil man an ihrer Kraft zweifelte, die Regentschaft zu führen, im Gegenteil, weil man ihre Entschlossenheit fürchte. Der Kaiser und seine Brüder seien zwar gut katholisch, das wolle sie ihnen nicht abstreiten, aber es fehle ihnen der Mut, den allein das reine Gewissen verleihen könne. Das sei ein beständiges Paktieren und Feilschen mit den Ketzern! Dadurch, dass man sie fürchtete, würden sie fürchterlich. Jetzt freilich blähten sie sich auf und spritzten ihr Gift dahin und dorthin.
Aus einem Schubfach ihres Schreibtisches holte sie Briefe, die sie von ihrer Tochter Anna, der Gemahlin des Polenkönigs Sigismund, erhalten hatte. Sigismund sei ein guter, frommer Mann, sagte sie, und ihr als Eidam wert, aber allzu sanftmütig und den boshaften Schweden nicht gewachsen, wie er denn ein feierliches Versprechen gegeben habe, die lutherische Religion in Schweden zu erhalten und zu schützen; denn sonst hätten ihm die unbotmäßigen Stände nicht huldigen wollen. Dahinter stecke niemand anders als Karl, sein Oheim, der, als ein echter Abkömmling der bösen, wölfischen Wasabrut, selbst auf den Thron spekuliere. Nachdem nun Sigismund das leidige Versprechen einmal gegeben habe, solle er sich wenigstens nicht daran gebunden halten; denn den Untertanen stehe keinerlei Recht zu, den ihnen von Gott gesetzten Herren Eide und Bündnisse abzunehmen, sondern als gottlose Räuber solle er sie einfach zu Paaren treiben. Auch sei Anna sehr traurig darüber, dass es so gekommen sei und dass sie sich von den lutherischen Affen hätte müssen krönen und salben lassen, welches doch nicht mehr zu bedeuten habe, als wenn man von einem Bader wegen eines Aussatzes oder anderen Schadens geschmiert werde. Könnte sie nur allen ihren Mut und ihre Überzeugung einflößen, so würden die Unruhen und Empörungen, das Geschrei der tollköpfigen Bauern um freie Religionsübung und das Lärmen der Prädikanten auf den Kanzeln einmal aufhören. Die Bauern gehörten an den Pflug, die Bürger in ihre Werkstatt und die Prädikanten an den Galgen; hielte man sich daran, so würde der liebe Friede und die alte Ordnung bald wieder hergestellt sein. Freilich müsse zuerst der übermütige Adel gebeugt werden, damit das ketzerische Volk keinen Rückhalt mehr an ihm finden könne.
Er wolle schon Ordnung schaffen, sagte Ferdinand, der sich bemüht hatte, aufmerksam zuzuhören; wenn er drei Jahre regiert hätte, solle keiner mehr im Lande sein, der nicht das Knie beugte, wenn die Prozession vorübergehe. Er wolle den großen Prahlhansen schon ein Gebiss ins Maul klemmen, die störrischen Ketzeresel sollten ihm Säcke in seine Mühle tragen.
Maria zählte einige Herren vom Adel auf, die ihr am meisten zu schaffen machten, die Räknitz, die Praunfalk und die Windischgrätz. Bereits hätten sie sich beim Alten, nämlich beim Kaiser, beklagt, dass sie sie Untertanen geheißen hätte; und doch müssten sie wohl Untertanen sein, wenn der Fürst der Herr sei. Sie steckten mit allen Ketzern und Aufrührern in Österreich, Schlesien und Mähren, ja auch in Böhmen und Ungarn zusammen, wo es an dergleichen nie gefehlt habe, und möchten etwa gar freie Schweizer oder Holländer sein. Ein hübscher Staat ohne göttliches und irdisches Haupt, eine schöne Ordnung, wo die Untertanen mit ihrem kurzen Verstande Gott und die heilige Kirche lästern dürften, ohne dass einer sie beim Schopfe nehme. Sie wisse auch im Reich draußen manch einen, der dabei sein möchte.
»Sie werden schon zu Kreuze kriechen, wenn der Ferdinand die Zügel führt«, sagte dieser lachend.
Wenn sie nur erreichen könnte, meinte Maria, dass er ein paar Jahre früher mündig erklärt werde; die habsburgische Vormundschaft sei doch nur eine Misswirtschaft. Es komme darauf an, dass er sich seinem Oheim, dem Kaiser Rudolf, persönlich vorstellen könne; der Rat Rumpf, der alles beim Alten vermöge, sei ein guter Freund von ihr und habe sich bereit erklärt, einen solchen Besuch zu vermitteln. Inzwischen müsse Ferdinand sich in körperlichen Übungen vervollkommnen, damit er eine anständige Haltung bekomme, nicht wie ein Hampelmann einhergehe, müsse sich ein ernstes, aufrichtiges, bescheidenes Betragen angewöhnen, um auf Rudolf einen günstigen Eindruck zu machen, denn davon hänge nun einmal alles ab.
»Ich bin gut genug für den alten Unflat!« sagte Ferdinand, indem er die lange Unterlippe hängen ließ, unterbrach sich aber sogleich, von der Mutter derb am Arme geschüttelt. Er hätte eine Maulschelle verdient, rief sie zornig; wie er so frech von der kaiserlichen Majestät reden dürfe! Wenn das seine jüngeren Geschwister gehört hätten!
Sie hätten es oft genug von ihr gehört, brummte Ferdinand, wie er es auch nicht aus sich selber habe. Sie habe gesagt, dass er sich Huren halte und mit gemeinen Leuten und Ketzern saufe und schändliche Künste treibe.
»Dir ziemt nicht, alles zu sagen, was mir ziemt«, sagte sie unwirsch, »denn du kannst nicht unterscheiden, wo und wann du den Mund auftun sollst.« Sie sei Rudolfs Freundin nie gewesen, aber er sei nun einmal der Kaiser und habe ihr Schicksal in seinen Händen, darum müsse Ferdinand sich Mühe geben, ihm zu gefallen.
Schließlich eröffnete Maria ihrem Sohne einen Ausblick in die Zukunft: Bis jetzt hätten weder der Kaiser noch seine lebenden Brüder einen Erben; er sowie Matthias, Ernst und Albrecht wären unvermählt, Maximilian dürfe als Deutschordensmeister nicht heiraten, der Sohn Ferdinands von Tirol sei als Kind der Welserin unebenbürtig, nur der jüngste Bruder, Karl, sein verstorbener Vater, habe Söhne in der Ehe erzeugt. Ersichtlich stehe das Haus unter der Malediktion Gottes, die es sich durch Lauheit im Glauben zugezogen habe, und so wäre es nicht unmöglich, dass noch einmal alle habsburgischen Länder auf ihn kämen. Wenn Gott es so füge, sei dabei jedenfalls seine Absicht, einen frommen Glaubenshelden an die Herrschaft zu bringen, der die katholische Kirche wiederherstellen werde, und obschon er natürlicherweise seinen Oheimen nichts Übles wünschen dürfe, vielmehr fortfahren solle, für ihre Gesundheit und Fortpflanzung zu beten, so müsse er sich doch im Stillen auf sein großes Amt vorbereiten, falls Gott im Schilde führe, ihn dahin zu erhöhen.
Ferdinand war ein wenig rot geworden; aber er sagte leichthin, warum sollte denn der Kaiser nicht noch heiraten und Nachkommenschaft erzielen, da er doch Hurenkinder habe. Auch Matthias, Ernst und Albrecht wären noch in den Jahren, sich zu vermählen; mit so weitaussehenden Sachen wolle er sich nicht ernstlich abgeben.
Dank den Anweisungen, die sein Beschützer, Minister Rumpf, dem Knaben gab, wie auch durch seine natürliche Unbefangenheit und Schlauheit fiel Ferdinands Besuch am Kaiserhofe gut aus; überhaupt hatte der Kaiser an jungen Leuten, die sich ihm mit bescheidener Bewunderung und Ehrerbietung näherten, Wohlgefallen und liebte es, Späße mit ihnen zu machen, bei denen er eine anmutig überlegene Freundlichkeit entfalten konnte. Ferdinand kehrte nicht wenig gehoben nach Graz zurück und musste sich manche Neckerei von Seiten der Geschwister gefallen lassen, die das pomphafte Wesen an dem Dämel, wie sie Ferdinand nannten, der beim Spiel der Albernste war, nicht leiden konnten.