Buddhas erste Unterweisung

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Buddhas erste Unterweisung
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Gonsar Rinpotsche
Buddhas erste Unterweisung

Die Vier edlen Wahrheiten

Überarbeitet und herausgegeben von Schülern Gonsar Rinpotsche

Titelbild

Das Titelbild stellt einen Lotus dar. Dieses Symbol wurde von tibetischen Mönchen des Klosters Ganden Schartse (Südindien) in Sand gestreut.

Der Lotus symbolisiert den Geist der vollkommenen Erleuchtung, der aus Entsagung entstanden ist. In gleicher Weise, wie sich der Lotus aus dem verschmutzten Wasser abhebt und der Sonne entgegenwächst, ist es die Entsagung, die uns aus dem Sumpf des Samsara (Daseinskreislauf) heraushält und den Zustand der vollkommenen Erleuchtung möglich macht.

Die Technik des Streuens von Sandbildern ist eine der traditionellen Künste des tibetischen Buddhismus. Sie wurde von Buddha in den großen Tantras als besonders geeignet für das Herstellen von Mandalas empfohlen und ist bis heute in den großen Klöstern Tibets erhalten geblieben.

Druckausgabe: Erstausgabe 2004

Alle Rechte vorbehalten

© Edition Rabten, Le Mont-Pèlerin, Switzerland

e-mail: info@editionrabten.com

www.rabten.eu/Publications_de.htm

Alle Rechte vorbehalten

Bei der textlichen Überarbeitung haben mitgewirkt:

Helmut Gassner, Albin Oberhammer, Martina Klauda und Ingund Gassner

eBook Herstellung: Edition Rabten www.rabten.eu

ISBN 3-905497-52-2

eBook: ISBN 978-2-88925-076-9

eBook-Auslieferung:

HEROLD Auslieferungs Service GmbH

www.herold-va.de

Vorwort des Herausgebers

Dieses Buch ist aus der Niederschrift der Vorträge entstanden, die der Ehrwürdige Gonsar Rinpotsche am 9., 16., 25. 11 und am 9. 12. 1998 an der Volks- hochschule Basel gegeben hat.

Gonsar Rinpotsche ist einer der herausragenden Meister in der Übertragungslinie des großen Kyab- dsche Tridschang Rinpotsche. Diesen Meistern verdanken wir es, daß die authentischen Unterweisungen des Buddhismus im Westen vollständig erhalten sind. Wir fühlen uns daher dem traditionellen Lehrstil dieser Meister, dem auch Gonsar Rinpotsche folgt, verpflichtet und bemühen uns, so nah wie möglich am gesprochenen Original zu bleiben, damit die eindringliche Klarheit, die Rinpotsches Darlegungen so besonders machen, auch bei der Lektüre spürbar bleibt. Wiederholungen, die die Funktion haben, bestimmte Punkte fest einzuprägen, wurden deshalb nur wenig gekürzt oder bearbeitet. Für eventuelle textliche oder inhaltliche Unzulänglichkeiten zeichnet einzig der Herausgeber verantwortlich.

Wir möchten an dieser Stelle dem Ehrwürdigen Gonsar Rinpotsche für seine weise Führung und Unterstützung danken, ohne die unsere Arbeit gar nicht möglich wäre. Unser Dank gilt auch allen Dharmafreunden für ihre hilfreichen Beiträge.

Wir freuen uns, diese Unterweisungen als Buch veröffentlichen zu können, und sind sicher, daß sie den Lesern von persönlichem Gewinn sein werden.

Mögen die Halter dieser Unterweisungen lange leben, und mögen durch sie Mitgefühl und Weisheit in uns zunehmen.

Die Herausgeber

Le Mont-Pèlerin, im August 2004



Einleitung
Das Wesen von Religion

Im Buddhismus wird gesagt, jede Religion oder jeder geistige Weg habe drei Schwerpunkte: Anschauung, Verhalten und Meditation. Jede Religion lehrt eine bestimmte Anschauung oder Philosophie; jede Religion lehrt ein bestimmtes ethisches Verhalten, und jede Religion lehrt Meditation, das heißt, eine Methode, den Geist zu schulen. Fehlt einer dieser drei Punkte, kann ein geistiges System nicht wirklich als geistiger Weg oder als Religion bezeichnet werden.

Was diese drei Punkte betrifft, gibt es einiges an Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen, aber auch Unterschiede. Das ist deshalb so, weil die großen Meister der Vergangenheit, die Begründer der verschiedenen Religionen, aufgrund ihrer Weisheit und ihres Erbarmens den Lebewesen jeweils passende geistige Wege gezeigt haben. Sie haben je nach den Neigungen und Bedürfnissen der Schüler verschiedene Wege beschrieben. Ziel und Zweck der verschiedenen Religionen sind nicht verschieden, sondern gleich. Das Ziel aller geistigen Wege sollte es sein, die Lebewesen von Unwissenheit und Leid zu befreien und sie in einen Zustand dauerhaften und reinen Glücks zu versetzen. Welche Methoden und Wege auch immer zu diesem Ziel führen, sie sind alle gleich wertvoll. Es gilt, sie zu schätzen und ihnen eine respektvolle und offene Haltung entgegenzubringen. Wir sollten es vermeiden, zu sagen oder zu denken: "Mein Weg ist der richtige; alle anderen sind sinnlos und ungültig." Das wäre ein Fehler.

Es verhält sich so wie mit den medizinischen Systemen auf dieser Welt. Es gibt nicht nur ein einziges medizinisches System, sondern viele - angefangen von der Allopathie und der Homöopathie bis hin zur chinesischen, tibetischen und ayurvedischen Medizin. Obwohl es sich dabei um verschiedene medizinische Systeme handelt, ist ihr Ziel immer das gleiche: die Menschen von Krankheit zu heilen und ihnen das Glück des Freiseins von Krankheit zu gewähren. Das ist das Ziel jeder Medizin und nichts anderes. Deshalb sind alle diese gültigen medizinischen Systeme ebenso zu respektieren wie die verschiedenen geistigen Wege. Die geistigen Wege sind als Medizin für die geistigen Krankheiten zu verstehen.

Wenn man nun aber denkt, alle medizinischen Systeme könnten in einen Topf geworfen und miteinander vermischt werden, weil sie alle dasselbe Ziel haben, ist das ein Fehler. Das Produkt wäre eine Mischung mit schlechtem Resultat. Ebenso ist das Ziel der geistigen Systeme zwar dasselbe, ihre Methoden sind jedoch verschieden. Wenn wir alles durcheinanderwerfen, hat das keine guten Konsequenzen. Sofern wir die verschiedenen geistigen Wege genau kennen, besteht natürlich die Möglichkeit, die Wege in einer korrekten Weise zusammenzuführen. Ohne entsprechendes Wissen jedoch alles miteinander zu vermischen kann zu keinem guten Ergebnis führen. Für jeden Anwender von Religion ist es wichtig, zunächst zu erkennen, welcher Weg sich am besten für ihn eignet. Dann gilt es, diesem Weg ernsthaft zu folgen, zugleich aber auch den anderen Systemen Respekt entgegenzubringen und sie zu schätzen. Das wäre eine passende Einstellung.

Die drei Schulungen im Buddhismus

Richtige Anschauung, richtiges Verhalten und richtige Meditation sind die drei essentiellen Punkte des Buddhismus. Wir müssen uns zunächst eine Kenntnis von diesen drei Punkten aneignen und dann versuchen, sie richtig zu benützen. Das macht uns zu ernsthaften Anwendern des Buddhismus. Der erste Punkt ist die Anschauung. Wir Menschen können viel Unwissenheit und viele falsche Ansichten haben, deshalb ist es wichtig, zuerst das Tor zur richtigen Anschauung zu öffnen. Wie wird dieses Tor in unserem Geist geöffnet? Das gelingt nicht mit Hilfe von Wundermitteln, sondern nur, indem wir uns bemühen, zu lernen, zu untersuchen und nachzudenken. Zunächst ist es notwendig zu lernen. Wir müssen einen Lehrer suchen und uns alles weitere beschaffen, was für ein erfolgreiches Lernen notwendig ist. An diese Aufgabe sollten wir mit der richtigen Absicht herangehen; und wir sollten nicht einfach alles, was wir gehört oder gelesen haben, blind glauben. Vielmehr sollten wir über das Gelernte nachdenken, es untersuchen und dadurch eine feste Überzeugung entwickeln.

Auf diese Weise erlangen wir die richtige Anschauung. Richtige Anschauung hat nichts mit seltsamen Ideen oder Phantasie zu tun. Richtige Anschauung bedeutet, ein richtiges Verständnis von Grundlage, Weg und Ziel zu haben. Was ist die grundlegende Situation der eigenen Person, der anderen Wesen und aller Dinge? Wie existieren wir? Was ist die Ursache für unsere Art des Bestehens, was sind ihre Umstände? Die grundlegende Situation der Wesen und der Dinge gilt es fehlerfrei zu erkennen. Als nächstes lernt man verstehen, wie auf der Grundlage unserer Situation der eigene Geist entwickelt werden kann. Diese Entwicklung ist der Weg, den man gehen will. Das Resultat, das wir dadurch erreichen, ist das angestrebte Ziel.

Man entwickelt eine richtige Anschauung über die Grundlage, den Weg und das Ziel. Das reicht aber nicht aus. Der nächste Punkt, das richtige Verhalten, ist noch wichtiger. Welche geistigen und körperlichen Erfahrungen wir machen, ob leidvolle oder glückliche, hängt davon ab, was wir mit unserem Körper, unserer Rede und unserem Geist tun. Unsere Erfahrungen sind nicht das Resultat unserer Philosophie, sondern das Resultat unserer Handlungen von Körper, Rede und Geist. Alles, was wir erfahren, ist ein Resultat von Handlungen sowohl auf der individuellen als auch auf der kollektiven Ebene. Deshalb ist das Wichtigste ein richtiges Verhalten. Wenn wir zwar einer richtigen Philosophie folgen, aber unser Verhalten negativ bleibt, dann hilft uns das nicht. Es ist unumgänglich, sich richtig zu verhalten. Richtiges Verhalten bedeutet nichts anderes, als negative Handlungen zu vermeiden und heilsame Handlungen mit Körper, Rede und Geist auszuführen.

Auf der Grundlage einer richtigen Anschauung und eines richtigen Verhaltens ist es möglich, den dritten Punkt, richtige Meditation, anzuwenden. Richtige Meditation ist eine Methode, mit der die positiven Neigungen in unserem Geist entwickelt werden. Wir alle besitzen in unserem Geist positive Potentiale für Weisheit, Liebe, Erbarmen, Konzentration, Geduld und so weiter. Diese Potentiale zu entwickeln und vollkommen zu machen ist eine innere, geistige Arbeit, die als geistige Schulung bezeichnet werden kann. Eine richtige Meditation ist überaus wichtig, kann aber nur erreicht werden, wenn die ersten beiden Punkte als Grundlage vorhanden sind. Wenn die richtige Anschauung und das richtige Verhalten fehlen, gibt es keine wirkungsvolle geistige Schulung. Es ist ähnlich, wie wenn wir ein Haus bauen. Zunächst benötigt man einen Baugrund. Ohne Boden können wir kein Haus bauen. Richtiges Verhalten und richtige Anschauung sind wie ein Boden, auf dem wir mit Meditation aufbauen können. So müssen alle drei Punkte zusammengeführt werden; ein Punkt allein ist nicht genug.

 

Der Kernpunkt des Buddhismus

Bevor weitere Erklärungen gegeben werden, gilt es, noch eine wichtige Frage zu klären: Was ist der Kernpunkt des Buddhismus?

Der Kernpunkt der Unterweisungen des Buddha ist weder Buddha selbst noch der Zustand der Erleuchtung, noch eine Gottheit, noch eine philosophische Anschauung oder Idee. Der zentrale Punkt des Buddhismus sind die fühlenden Wesen. Alles, was Buddha gelehrt hat, bezieht sich auf die Lebewesen. Alle Unterweisungen des Buddha, sowohl die Sutras als auch die Tantras, sind ausschließlich auf die Wesen ausgerichtet. Alle Erklärungen des Buddha beziehen sich auf ihre Situation, ihre Leiden, die Ursachen ihrer Leiden und auf die Befreiung von diesen Leiden bis zum Erlangen der Erleuchtung. Die verschiedenen Anwendungen, wie Ethik und Meditation, sind mit den Lebewesen verbunden. Das tragende Element der Ethik wie der gesamten Anwendung des Buddhismus ist das Erbarmen, das Mitgefühl. In diesem Zusammenhang wird immer wieder deutlich gemacht, dass die grundlegende Ethik des Buddhismus Ahimsa ist. Das bedeutet, wörtlich übersetzt, Schadlosigkeit. Darunter wird verstanden, alle Gedanken und Handlungen zu vermeiden, die anderen Lebewesen Schaden zufügen. Das ist die grundlegende Ethik. Alle weiteren Ebenen der buddhistischen Ethik beruhen auf dieser grundlegenden Ethik, keinem Wesen Schaden zuzufügen. So sind die ganze Philosophie ebenso wie alle Anwendungen des Buddhismus in dieser Weise einzig auf die Lebewesen ausgerichtet.

Die Vier edlen Wahrheiten

Die eigentliche Grundlage der Unterweisungen des Buddha findet man in seinen allerersten Unterweisungen. Buddha Schakyamuni ist eine von vielen Erscheinungen der Buddhas. Er erschien in dieser Welt, um diese Unterweisungen zu geben. Denn ein Buddha kann den Wesen den besten Nutzen geben, wenn er ihnen Unterweisungen gibt. Es gibt viele Arten, wie Buddhas den Wesen von Nutzen sein können, die wirkungsvollste ist jedoch das Zeigen des richtigen Weges.

Gemäß den Voraussetzungen, Neigungen und Notwendigkeiten der Schüler hat Buddha eine große Zahl unterschiedlicher Unterweisungen gegeben. Die allerersten Unterweisungen des Buddha sind die Unterweisungen über die Vier edlen Wahrheiten. Nachdem Buddha die volle Erleuchtung erlangt hatte, gab er diese Unterweisungen seinen ersten fünf menschlichen Schülern im Wald von Sarnath.

Diese vier edlen Wahrheiten sind nicht nur die ersten Unterweisungen des Buddha, sondern auch die Grundlage aller seiner Unterweisungen ebenso wie die Essenz aller seiner Unterweisungen. Es sind das die Unterweisungen, in denen die Bedeutung aller weiteren Unterweisungen des Buddha enthalten ist. Alle vielfältigen Aspekte der Unterweisungen des Buddha wie das Kleine Fahrzeug, das Große Fahrzeug oder das Fahrzeug der Tantras sind in den Vier edlen Wahrheiten enthalten. Und im Besonderen sind diese Vier edlen Wahrheiten Unterweisungen, die für gewöhnliche Personen wie uns sehr zutreffend sind. Denn diese Unterweisungen beginnen mit einer Beschreibung des Zustandes, in dem wir gewöhnlichen Wesen uns befinden. Sie haben so eine direkte Beziehung zur Wirklichkeit und sind eine direkte Beschreibung unserer eigenen grundlegenden Wirklichkeit und in keiner Weise eine abstrakte Phantasie.

Was sind nun diese Vier edlen Wahrheiten? Diese werden im Allgemeinen bezeichnet als:

- die edle Wahrheit des Leids,

- die edle Wahrheit des Ursprungs,

- die edle Wahrheit der Beseitigung und

- die edle Wahrheit des Weges.

Buddha gab diesen Unterricht in der Weise, dass er zuerst diese Wahrheiten als Einführung aufzählte. Er sagte:

Dies ist die edle Wahrheit des Leids,

dies ist die edle Wahrheit des Ursprungs des Leids,

dies ist die edle Wahrheit der Beseitigung, und

dies ist die edle Wahrheit des Wegs zu dieser Beseitigung.

Dann wiederholte Buddha diese vier edlen Wahrheiten, indem er sagte:

Erkenne das Leid,

überwinde die Ursachen des Leids,

erlange die Beseitigung,

und wende den Weg an.

Diese Worte beschreiben einerseits die Situation, in der wir uns befinden, und zeigen zudem die Lösung für die Probleme unserer Situation.

Die edle Wahrheit des Leids

Buddha sagte:

Dies ist die edle Wahrheit des Leids!"

Er sagte nicht:

"Jenes ist die edle Wahrheit des Leids" oder

"Dort drüben ist die edle Wahrheit des Leids".

Das bedeutet, Buddha zeigt auf uns und sagt:

"Dies ist die edle Wahrheit des Leids".

Sie existiert also nicht irgendwo anders, befindet sich nicht irgendwo im Raum, sondern beschreibt die eigentliche Art und Weise, in der wir bestehen. Denn im gegenwärtigen Moment leben wir in einer Weise, in der wir vollständig an Leiden gebunden sind; was nicht heißen soll, dass wir ständig Schmerzen oder tiefe Trauer erfahren. Diese Aussage hat eine sehr tiefe und breite Bedeutung. Denn die Leiden, die wir erfahren, bestehen nicht nur aus unangenehmen Empfindungen, sondern es gibt viele weitere Stufen von Leid.

Buddha hat die Gesamtheit der Leiden, die wir erfahren, in drei Gruppen eingeteilt. Diese werden genannt:

- Leid der Schmerzen,

- Leid des Wechsels und

- alles umfassendes Leid.

Im gegenwärtigen Moment leben wir mit allen diesen drei Arten von Leid. Wir leben zwar mit diesen drei Arten von Leid, sind aber nicht in der Lage, diese vollständig zu erkennen. Wir erkennen lediglich einen Teil der von uns tatsächlich erfahrenen Leiden.

Das Leid der Schmerzen

Die Art von Leid, die wir erkennen und auch als Leid verstehen, gehört im Allgemeinen zur ersten Gruppe, dem Leid der Schmerzen. Diese Art von Leid kann körperlich ebenso wie geistig sein. Es können auf der körperlichen Ebene Schmerzen sein, Hunger, Durst, Armut und so weiter. Und auch geistige Leiden können sehr vielfältig sein; es kann Traurigkeit, Entmutigung sein und viele andere Arten von Unbehagen, die im Geist auftreten. Das alles sind Erfahrungen, die die meisten von uns als Leid erkennen können, und wir bemühen uns auch entsprechend, von diesen Erfahrungen so gut wie möglich frei zu sein. Manchmal sind wir dabei erfolgreich, oft sind wir es nicht, aber ständig versuchen wir alles Erdenkliche, um diesen Leiden zu entgehen. Die Zivilisation, die die Menschheit im Laufe der Geschichte entwickelt hat, zielt in erster Linie darauf ab, die Menschen von dieser Art von Leid zu befreien.

Das ist es auch, was uns die meiste Zeit beschäftigt hält, den ganzen Tag lang und manche von uns auch noch in der Nacht; immer mit dem Ziel, dieser Art von Leid zu entkommen. Diese Empfindungen als Leid und Schmerz zu erkennen und den Wunsch zu haben, ihnen zu entgehen, ist jedoch keine besondere Eigenschaft der Menschen. Man kann deutlich sehen, dass auch die Tiere, selbst kleine Vögel im Wald, ihre Probleme sehr gut erkennen und sich ebenfalls vom Morgen bis zum Abend damit beschäftigen, diesen Leiden zu entkommen. Und manchmal haben sie damit mehr Erfolg als wir Menschen. Wenn wir Tierberichte sehen, können wir manchmal beobachten, dass manche Tiere außergewöhnliche Mittel anwenden, um ihre Schwierigkeiten zu überwinden. Diese Art von Verhalten ist also keine besondere Eigenart der menschlichen Rasse.

Das Leid des Wechsels

Die zweite Art von Leid wird Leid des Wechsels oder auch Leid der Veränderung genannt. Diese Art von Leid ist wesentlich schwieriger zu erkennen. Um diese Art von Leid als Leid zu verstehen, benötigt man ein gewisses Maß an Intelligenz, eine höhere geistige Klarheit. Die Tiere ebenso wie die meisten Menschen erkennen diese Art von Leid nicht als Leid, sondern sehen es als eine Art von Glück, zudem als das höchste erreichbare Glück, und sie streben entsprechend danach. Es erscheint als das eigentliche Ziel des Lebens, für das man seine ganze Kraft und Zeit opfert.

Was ist diese Art von Leid nun wirklich? Es ist nichts anderes als das, was wir im Allgemeinen als Glück bezeichnen, das gewöhnliche weltliche Glück, die gewöhnlichen weltlichen Vergnügungen und Annehmlichkeiten. Diese sind auch tatsächlich eine Art von Glück, aber sie sind ein sehr oberflächliches, vergängliches und unvollkommenes Glück. Sie sind kein wirkliches Glück, sondern vielmehr etwas, das uns so erscheint, als sei es Glück. Da diese Empfindungen wie Glück erscheinen, werden wir gewöhnliche Wesen von dieser Art des Glücks getäuscht und denken, wir würden wirkliches Glück erfahren. Auch dieses Glück kann sowohl körperlich als auch geistig sein. Auf der körperlichen Ebene kann es so etwas sein wie das Stillen des Hungers oder das Löschen des Durstes. Es kann auch das Glück der Empfindung von Wärme sein, wenn es kalt ist, oder das angenehme Empfinden von Kühle, wenn es heiß ist. Oder es kann auch das Wohlbehagen sein, das wir aufgrund unserer Stellung, unseres Vermögens, unserer Bekanntheit, unseres guten Rufs oder unserer Begleitung erfahren. Diese Arten von Glück sind es, wonach ein gewöhnliches Wesen trachtet und die es als sein höchstes erstrebenswertes Ziel sieht.

Wir werden vielleicht fragen, was an diesen angenehmen Empfindungen falsch ist, weshalb diese als Leiden bezeichnet werden. Der Grund dafür liegt darin, dass diese Empfindungen von kurzer Dauer sind, schnell vergehen und bei ihrem Vergehen schmerzhafte Empfindungen nach sich ziehen. Ein deutliches Beispiel ist das Wohlbehagen, das wir beim Stillen von Hunger erfahren. Hunger ist ein schwerwiegendes Leid, das in die erste Kategorie gehört und auch ein Leid, das wir nicht ertragen können. Um es überwinden zu können, benützen wir auch die richtige Methode, nämlich das Einnehmen von Nahrung. Wenn wir sehr hungrig sind, werden wir unbedingt versuchen, unseren Magen zu füllen. Es spielt dabei keine so große Rolle, was wir zu essen bekommen; solange etwas essbar ist, werden wir es benützen, um damit langsam unseren Magen zu füllen. In dem Maß, in dem sich der Magen füllt, wird das Leid des Hungers vergehen. Dieser Vorgang dauert bis zu einem gewissen Punkt. Durch das fortschreitende Anfüllen des Magens vergeht das Gefühl des Hungers, und es macht sich ein zunehmendes Gefühl der Zufriedenheit bemerkbar, bis eine bestimmte Grenze erreicht ist. Nehmen wir über diese Grenze hinaus weiter Nahrung zu uns, dann werden andere, neue Leiden immer deutlicher werden, die bis zu unserem Tod führen können, wenn wir nicht rechtzeitig aufhören. Das macht deutlich, dass die angenehme Empfindung beim Füllen des Magens kein wirkliches Glück ist, kein reines Glück ist. Denn wäre es ein wirkliches Glück, dann müsste die angenehme Empfindung ständig vorhanden sein, solange man die Ursache für diese Empfindung, nämlich das Zuführen von Nahrung, weiterführt. Das ist aber nicht der Fall.

Das gleiche auch am Beispiel von Wohlstand und Reichtum: Häuft man Vermögen über eine entsprechende Grenze hinaus an, dann werden die Schwierigkeiten, die das Vermögen mit sich bringt, immer größer werden. Wenn man nicht in der Lage ist, zufrieden zu sein, wird fortgesetztes Anhäufen von Reichtum zu vielen zusätzlichen Problemen führen. Reichtum wird als eine Ursache für Wohlergehen betrachtet. Aber diesen Wohlstand einmal zu schaffen benötigt viele Mühen. Wenn er dann vorhanden ist, benötigt es viele Mühen, ihn zu erhalten. Und wenn man ihn verliert, tut das ebenfalls wieder sehr weh. So ist auch Wohlstand sowohl am Anfang als auch in der Mitte und auch am Ende mit viel Unbehagen verbunden.

 

Ein weiteres sehr treffendes Beispiel, das unser verehrter Meister Gesche Rinpotsche oft gab, bezieht sich auf das Gehen und Sitzen. Im gegenwärtigen Moment sitzen wir hier und finden das angenehm. Wenn wir einige Stunden gesessen sind, finden wir das Aufstehen und Gehen angenehm. Wenn wir einige Stunden gegangen sind, wird auch das Gehen unerträglich, und wir müssen uns setzen. So verbringen wir das ganze Leben mit Aufstehen und Hinsetzen.

Untersuchen wir genauer alle Arten von angenehmen Erfahrungen, die wir üblicherweise als Glück bezeichnen, dann erkennen wir, dass sie alle diese gleiche Natur haben. Das bedeutet nun aber nicht, dass wir alle diese Erfahrungen vermeiden sollten, dass wir nichts mehr essen sollten und nichts Angenehmes mehr erfahren dürfen. Vielmehr benützt man diese Dinge, erfreut sich an ihnen, sollte aber gleichzeitig ihre wirkliche Natur erkennen und sich von ihnen nicht täuschen lassen. Gleichzeitig sollte man verstehen, dass wirkliches Glück etwas anderes ist als diese Empfindungen von Wohlbehagen.

Buddha bezeichnete diese Empfindungen als Leid des Wechsels. Um sie auch tatsächlich als eine Art von Leid zu erkennen, benötigt man schon ein entsprechendes Maß an Intelligenz.