Die Schatzinsel

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Fünftes Kapitel: Der Tod des Blinden

Meine Neugierde muss wohl stärker gewesen sein als meine Furcht; denn ich konnte nicht bleiben, wo ich war, sondern kroch wieder die Böschung hinauf, wo ich meinen Kopf hinter einem Busch Heidekraut verbarg; von dort aus konnte ich die Landstraße vor unserem Hause übersehen.

Kaum lag ich in diesem Versteck, da begannen auch meine Feinde schon sichtbar zu werden. Es waren sieben oder acht Männer; sie liefen schnell, ihre Schritte klangen laut auf der Landstraße, und der Mann mit der Laterne war den anderen um ein Stückchen voraus. Drei von ihnen liefen mit angefassten Händen, und ich konnte trotz dem Nebel sehen, dass der Mann in der Mitte der blinde Bettler war.

Im nächsten Augenblick gab seine Stimme mir die Gewissheit, dass meine Vermutung richtig gewesen war; denn er schrie:

»Schlagt die Tür ein!«

»Jawohl, Herr!« antworteten zwei oder drei Stimmen, und die ganze Bande stürmte auf den »Admiral Benbow« los; der Laternenträger kam zuletzt. Dann konnte ich sehen, wie sie stillstanden, und hörte sie leise sprechen, wie wenn sie überrascht wären, dass sie die Tür offen fanden. Aber die Pause war nur kurz, denn der Blinde gab sofort neue Befehle aus. Seine Stimme klang lauter und heller, wie wenn er eifrig und wütend wäre.

»Hinein, hinein, hinein!« brüllte er und fluchte über ihre Langsamkeit. Vier oder fünf von den Männern gehorchten ihm sofort; zwei blieben bei dem schrecklichen Bettler auf der Straße. Es folgte eine Pause, dann hörte ich einen Ausruf der Überraschung, und dann brüllte eine Stimme aus dem Hause heraus:

»Bill ist tot!«

Aber der Blinde fluchte wieder und schalt sie wegen ihrer Langsamkeit.

»Sucht an seiner Leiche, ein paar von euch feigen Hunden, und die übrigen gehen nach oben und holen die Kiste!« rief er.

Ich hörte, wie sie unsere alte Treppe hinaufpolterten; das ganze Haus muss davon gezittert haben. Gleich darauf kam wieder ein erstauntes Geschrei; das Fenster in des Kapteins Stube wurde aufgestoßen, und eine Glasscheibe klirrte; Kopf und Schultern eines Mannes, der sich weit hinauslehnte, wurden im Mondschein sichtbar. Er rief zu dem blinden Bettler herunter, der immer noch auf der Straße stand:

»Pew! Sie sind uns zuvorgekommen! Sie haben die Kiste schon um und um gekehrt!«

»Ist es da?« brüllte Pew.

»Das Geld ist da.«

»Zum Geier mit dem Geld!« fluchte der Blinde; »ich meine: ist Flints Schrift da?«

»Wir sehen hier nichts davon!« antwortete der Mann von oben.

»Heda! Ihr da unten – ist sie an Bills Leib?« schrie der Blinde wieder.

Hierauf kam ein anderer von den Kerlen – wahrscheinlich jener, der unten geblieben war, um des Kapteins Leiche zu durchsuchen, vor die Haustür und sagte:

»Bill war schon durchsucht; sie haben nichts übriggelassen.«

»Es sind die Leute von der Wirtschaft – es ist der verdammte Bengel. Ich wollte, ich hätte ihm das Lebenslicht ausgeblasen!« rief der Blinde, Pew. »Sie waren gerade eben noch hier – sie hatten die Tür verriegelt, als ich hinein wollte. Auseinander, Jungens, sucht sie!«

»Allerdings, sie haben ihre Funzel hier gelassen,« sagte der Mann am Fenster.

»Auseinander und sucht sie! Stöbert das ganze Haus durch!« wiederholte Pew und schlug mit seinem Stock auf den Boden.

Nun folgte ein großes Hallo durch unsern ganzen alten Gasthof; schwere Stiefel trampelten auf und ab, Tische und Stühle wurden umgeschmissen, Türen eingetreten, dass die ganzen Felsen davon widerhallten. Aber einer nach dem anderen kamen die Männer wieder heraus auf die Straße und erklärten, wir seien nirgends zu finden. Und gerade in demselben Augenblick hörte ich wieder das Pfeifen, das meine Mutter und mich aufgeschreckt hatte, als wir des toten Kapteins Geld zählten; es war wieder ebenso deutlich vernehmbar, aber diesmal war es ein Doppelpfiff. Ich hatte gedacht, es sei sozusagen die Trompete des Blinden, durch die er seine Leute zum Sturmangriff gesammelt hätte; jetzt aber begriff ich, dass es ein Signal von der Bergeshöhe an der Dorfseite war, und zwar, wie aus der Wirkung auf die Freibeuter hervorging, ein Warnungszeichen, dass Gefahr herannahe.

»Da pfeift Dirk wieder,« sagte einer von den Leuten. »Zweimal! Wir werden ausreißen müssen. Kameraden!« »Ausreißen, »Schafskopf!« schrie Pew. »Dirk war ein Dummkopf und ein Feigling von Anfang an – um den braucht ihr euch nicht zu kümmern. Sie müssen ganz dichtebei sein, sie können nicht weit gekommen sein; ihr habt ja das Ding in der Hand! Sucht sie doch, ihr Hunde! Oh, Gottverdammich! Wenn ich Augen hätte!«

Diese Aufforderung schien einige Wirkung zu haben; denn zwei von den Kerls begannen hier und da herumzusuchen; aber sie waren nicht recht bei der Sache, so kam es mir vor, und dachten die ganze Zeit über halb und halb an ihre eigene Gefahr; alle übrigen standen unentschlossen auf der Landstraße.

»Ihr habt Tausende zum Zugreifen, ihr Dummköpfe, und ihr wisst nicht, was ihr tun wollt! Ihr wäret so reich wie Könige, wenn ihr's finden könntet, ihr wißt, dass es hier ist, und ihr steht herum und döst! Unter euch allen war keiner, der es wagte, vor Bill zu treten, und ich, ich tat es – ein blinder Mann! Und nun soll ich euretwegen alle meine Aussichten verlieren! Soll ein armer, winselnder Bettler sein, der kaum seinen Schluck Rum hat, während ich in einer Kutsche fahren könnte! Wenn ihr bloß so viel Schneid hättet wie ein Mehlwurm in einem Zwieback, so würdet ihr sie jetzt noch fangen.«

»Hol's der Henker, Pew, wir haben ja die Dublonen,« knurrte einer.

»Vielleicht haben sie das verdammte Ding versteckt,« sagte ein anderer; »nimm die Guineen, und steht hier nicht herum, euch zu streiten.«

Streiten war das rechte Wort; denn Pews Ärger wurde infolge dieser Einwendungen so groß, dass er seine Leidenschaft nicht mehr beherrschen konnte und trotz seiner Blindheit nach links und rechts auf sie losschlug, und mehr als einmal verkündigte mir ein dumpfer Ton, dass er einen getroffen hatte.

Die Leute dagegen schimpften wieder auf den blinden Kerl, drohten ihm mit fürchterlichen Flüchen und versuchten vergeblich, den Stock zu packen und ihm denselben zu entwinden.

Diese Balgerei war unsere Rettung; denn während die Prügelei noch in vollem Gange war, kam von der Höhe des Berges über dem Dorf ein anderes Geräusch – die Hufschläge galoppierender Pferde. Beinahe gleichzeitig fiel ein Pistolenschuh mit Blitz und Knall von der Hecke her. Offenbar war dies das letzte Warnungssignal; denn die Freibeuter machten sofort kehrt und liefen nach den verschiedensten Richtungen auseinander: einer am Strande der Bucht entlang, seewärts, ein anderer schnurstracks den Berg hinauf und so weiter, so dass in einer halben Minute von ihnen keine Spur mehr vorhanden war – außer Pew. Den hatten sie im Stich gelassen – ob aus reiner Angst oder um sich wegen seiner Schimpfereien und Schläge zu rächen, das weiß ich nicht. Jedenfalls blieb er allein zurück, tappte wie rasend auf der Landstraße hin und her, tastete mit seinem Stock um sich und rief nach seinen Kameraden. Schließlich geriet er in die falsche Richtung, lief ein paar Schritte an mir vorbei nach dem Dorfe zu und schrie: »Johnny, Schwarzer Hund, Dirk!« – und was er sonst noch für Namen nannte – »Ihr werdet doch den alten Pew nicht im Stich lassen, Kameraden! Denkt doch an den alten Pew l«

Gerade in diesem Augenblick wurden die Pferde auf der Höhe sichtbar, und vier oder fünf Reiter sprengten im Mondschein in vollem Galopp den Abhang hinunter.

Da begriff Pew seinen Irrtum; er kreischte auf, drehte sich um und lief in den Graben hinein, so dass er zu Fall kam. Aber er war in einer Sekunde wieder auf den Füßen und machte von neuem einen Sprung; er war jedoch so verwirrt, dass er geradezu in die Pferde hineinlief.

Der Reiter des vordersten Pferdes suchte ihn zu retten, aber vergeblich. Mit einem Schrei, der laut durch die Nacht klang, stürzte Pew zu Boden und die vier Hufe trampelten über seinen Leib hinweg. Der Blinde fiel auf die Seite, legte sich dann sachte auf sein Gesicht und rührte sich nicht mehr.

Ich sprang auf und rief die Reiter. Sie hatten schon von selber, voll Entsetzen über den Unfall, ihre Pferde angehalten, und ich erkannte sofort, wer sie waren. Der eine war der junge Bursche, der vom Dorf aus zum Dr. Livesey geritten war; die anderen waren Zollbeamte, die er unterwegs getroffen hatte; er war so verständig gewesen, sofort mit ihnen umzukehren. Zollinspektor Dance hatte Nachricht von dem verdächtigen Küstenfahrer in Kittshole erhalten und war deshalb auf dem Wege dorthin; diesem Umstände verdankten meine Mutter und ich, dass wir vom Tode errettet wurden. Pew war tot – mausetot. Meine Mutter trugen wir nach dem Dorf; etwas kaltes Wasser und Riechsalz brachten sie bald wieder zu sich, und der Schreck hatte ihr nichts geschadet; nur klagte sie unaufhörlich darüber, dass sie nicht ihr ganzes Geld bekommen hätte.

Inzwischen ritt der Zollinspektor so schnell er konnte nach Kittshole; aber seine Leute mussten absteigen und sich im Finstern durch die Talschlucht tasten, dabei ihre Pferde am Zügel führen und manchmal sogar wieder stützen; dabei mussten sie fortwährend auf der Hut vor einem Hinterhalt sein. Es war also weiter nicht zu verwundern, dass das Schiff schon unter Segel war, als sie an der Bucht ankamen. Es war aber noch nicht weit draußen und er rief es an. Eine Stimme antwortete ihm, er solle sich lieber nicht dem Mondschein zeigen, sonst werde er etwas Blei in den Leib bekommen; und gleichzeitig pfiff eine Kugel dicht an seinem Arm vorbei. Bald darauf segelte das Schiff um die Landspitze herum und verschwand. Inspektor Dance stand da, wie er sagte, »wie ein Fisch auf dem Trocknen«; er konnte nichts weiter tun, als einen Mann nach B. zu schicken, um den Zollkutter aufmerksam zu machen. »Und das«, sagte er, »ist so gut wie gar nichts. Sie sind uns ausgerückt, und damit basta. »Ich freue mich bloß, dass ich dem Meister Pew auf die Hühneraugen getreten habe!«

 

Inzwischen hatte er nämlich meine Geschichte gehört. Ich ging mit ihm nach dem »Admiral Benbow« zurück. Man kann sich kaum vorstellen, in welchem Zustand von Verwüstung das Haus war; sogar die Wanduhr war von den Kerlen bei ihrem wütenden Suchen nach meiner Mutter und mir umgeworfen worden; und obgleich außer dem Geldbeutel des Kapteins und etwas Silbergeld aus der Tischlade nichts weggenommen war, konnte ich doch sofort sehen, dass wir zugrunde gerichtet waren. Dance konnte die ganze Geschichte nicht begreifen.

»Sie bekamen das Geld, sagtest du doch? Na, was suchten sie dann, Hawkins; wahrscheinlich noch mehr Geld?«

»Nein, Herr Inspektor; ich glaube, nach Geld suchten sie nicht mehr. Ich glaube tatsächlich, ich habe das, was sie suchten, in meiner Brusttasche; und wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll, so möchte ich es gerne in Sicherheit bringen.«

»Gewiss, mein Junge, da hast du ganz recht. Ich will es an mich nehmen, wenn du willst.«

»Ich dachte, vielleicht würde Dr. Livesey –«

»Ganz recht!« unterbrach er mich lachend, »vollkommen richtig; Dr. Livesey ist ein Gentleman und ein königlicher Beamter. Und – gut, dass ich daran denke – es ist wohl ebenso gut, wenn ich selber zu ihm reite und ihm oder dem Squire Bericht mache. Meister Pew ist nun doch mal tot; nicht dass es mir leid täte, aber er ist doch tot, siehst du, und die Leute werden es einem Zollbeamten Seiner Majestät anzuhängen suchen, wenn ihnen das irgend möglich ist. Weißt du was, Hawkins? Wenn du Lust hast, nehme ich dich gleich mit.«

Ich dankte ihm herzlich für sein Anerbieten, und wir gingen miteinander nach dem Dorfe zu, wo die Pferde warteten. Kaum hatte ich meiner Mutter mein Vorhaben mitgeteilt, so saßen schon alle im Sattel.

»Dogger,« sagte Inspektor Dance, »Ihr habt einen guten Gaul; lasst den Jungen bei Euch hinten aufsitzen.«

Sobald ich hinaufgestiegen war und mich an Doggers Leibriemen festgehalten hatte, gab der Inspektor Befehl zum Abmarsch, und der kleine Zug machte sich im scharfen Trabe auf den Weg nach Dr. Liveseys Haus.

Sechstes Kapitel: Des Kapteins Papiere

Wir ritten den ganzen Weg scharfen Trab, bis wir vor Dr. Liveseys Tür kamen. Alle Fenster des Hauses waren dunkel. Dance sagte mir, ich möchte abspringen und klopfen, und Dogger half mir beim Absteigen. Die Tür wurde fast augenblicklich vom Dienstmädchen geöffnet.

»Ist Dr. Livesey zu Hause?« fragte ich.

Sie sagte nein; er sei am Nachmittag nach Hause gekommen, am Abend aber nach dem Schloss hinaufgegangen, um bei dem Squire zu essen und den Abend zu verbringen.

»So gehen wir dahin, Jungens,« sagte Dance.

Diesmal stieg ich nicht wieder auf, da die Entfernung nur kurz war; sondern ich hielt mich an Doggers Steigbügelriemen fest und lief mit ihm bis ans Parktor und dann durch die lange Allee der jetzt kahlen Bäume bis an das weiße Herrenhaus, dessen weißes Gebäude im Mondschein durch die Baumstämme des alten Parks schien. Hier stieg Inspektor Dance ab und ging mit mir in das Haus hinein, dass ihm sofort geöffnet wurde.

Der Bediente führte uns durch einen mit Matten belegten Gang in ein großes Bücherzimmer, dessen Wände ringsum von Bücherschränken eingenommen waren, auf denen verschiedene Büsten standen. Hier saßen der Squire und Dr. Livesey mit ihrer Pfeife in der Hand zu beiden Seiten eines hellen Kaminfeuers.

Ich hatte den Squire noch niemals so in der Nähe gesehen. Er war ein großer Mann, über sechs Fuß hoch und entsprechend breit, mit einem roten, kühnen Gesicht, dessen Farbe und Zügen man seine langen Reisen ansah. Seine Augenbrauen waren sehr dunkel und zuckten oft, so dass man unwillkürlich dachte, er müsse ein temperamentvoller Mann sein, nicht von böser, aber von hitziger Gemütsart.

»Kommen Sie nur herein, Herr Dance!« sagte er sehr würdevoll, aber freundlich. »Guten Abend, Dance,« sagte der Doktor und nickte ihm zu. »Und guten Abend auch dir, Freund Jim; was für ein guter Wind weht euch hierher?

Der Inspektor stand stramm und steif da und erzählte seine Geschichte wie eine auswendig gelernte Lektion. Da hättet ihr sehen sollen, wie die beiden Herren sich vornüber neigten und einander ansahen und vor Überraschung ihr Rauchen vergaßen. Als sie hörten, wie meine Mutter nach dem »Admiral Benbow« zurückgegangen war, schlug Dr. Livesey sich laut auf den Schenkel, und der Squire rief bravo! und schlug seine lange Pfeife am Kamin entzwei. Lange bevor der Inspektor fertig war, war Herr Trelawney – so hieß der Squire, wie der Leser sich erinnern wird – von seinem Stuhl aufgesprungen und lief im Zimmer herum, und der Doktor hatte, wie wenn er auf diese Weise besser hören könnte, seine gepuderte Perücke abgenommen. So saß er da und sah wirklich sehr sonderbar aus mit seinem eigenen, kurzgeschnittenen schwarzen Haar.

Endlich war Dance mit seiner Geschichte fertig. Da sagte der Squire:

»Herr Dance, Ihr seid ein ganz famoser Mensch. Und dass Ihr diesen ekelhaften, schmierigen Schuft niedergeritten habt, sehe ich als eine gute Tat an; das ist weiter nichts, als wenn Ihr ein Ungeziefer zertreten hättet. Dieser junge Hawkins ist ein tüchtiger Bengel, wie ich sehe. Hawkins, willst du mal die Glocke ziehen? Herr Dance muss einen Krug Bier haben.«

Und der Doktor sagte zu mir:

»Also, Jim, du hast das Ding, das die Kerle suchten, nicht wahr?«

»Hier ist es, Herr Doktor!« sagte ich und gab ihm das Wachstuchpaket. Der Doktor besah sich's von allen Seiten, wie wenn es ihm in den Fingern juckte, es zu öffnen; das tat er aber nicht, sondern steckte es ruhig in seine Rocktasche und sagte:

»Squire – wenn Dance sein Bier getrunken hat, muss er natürlich in Seiner Majestät Dienst; aber ich gedenke Jim Hawkins hier zu behalten; er soll in meinem Hause schlafen. Und wenn es Ihnen recht ist, mache ich den Vorschlag, wir lassen die kalte Pastete hereinbringen und ihn hier zu Abend essen.«

»Wie Sie denken,« sagte der Squire; »Hawkins hat sogar was Besseres verdient als kalte Pastete.«

So wurde denn eine große Taubenpastete hereingebracht und auf einen Seitentisch gesetzt. Ich machte mich schnell über das Essen her, denn ich war hungrig wie ein Wolf. Mittlerweile empfing Inspektor Dance noch eine Menge Komplimente, und schließlich entließen sie ihn.

»Und nun, Squire,« sagte der Doktor.

»Und nun, Livesey,« sagte der Squire, beide in einem Atem.

»Einer zur Zeit, einer zur Zeit!« lachte Dr. Livesey. »Sie haben doch wohl von diesem Flint gehört?!«

»Von ihm gehört!« rief der Squire. »Von ihm gehört, sagen Sie! Er war der blutdürstigste Pirat, der je zur See fuhr. Blackbeard war ein Kind im Vergleich mit Flint. Die Spanier hatten eine so fürchterliche Angst vor ihm, dass ich wahrhaftig manchmal stolz darauf war, dass Flint ein Engländer war. Ich habe mit diesen meinen Augen seine Topsegel auf der Höhe von Trinidad gesehen, und der jämmerliche Milchsuppenkerl, mit dem ich segelte, kehrte um – kehrte um, Doktor, und fuhr nach Port of Spain zurück!«

»Nun, ich habe selber von ihm gehört, hier in England,« sagte der Doktor. »Aber die Hauptsache ist: hatte er Geld?« »Geld!« rief der Squire. »Haben Sie nicht die Geschichte gehört? Worauf waren denn die Kerle aus, wenn nicht auf Geld? Denen liegt doch bloß an dem Gelde! Für was riskieren die ihre dreckigen Köpfe, wenn nicht für Geld?«

»Das werden wir ja bald wissen,« antwortete der Doktor. »Aber Sie sind ja so verdammt hitzköpfig und schreien gleich los, dass ich kein Wort sagen kann. Was ich wissen wollte, ist dies: angenommen, ich habe hier in meiner Tasche etwas, was uns auf die Spur bringen kann, an welchem Ort er seinen Schatz vergraben hat – wird dieser Schatz groß sein?«

»Groß, Doktor!« rief der Squire. »Ich will Ihnen was sagen: wenn wir auf der Spur sind, von der Sie sprechen, rüste ich in Bristol ein Schiff aus und nehme Sie und Hawkins mit. Und den Schatz will ich haben, und wenn ich ein Jahr danach suchen soll!«

»Schön!« sagte der Doktor. »Nun, dann wollen wir, wenn es Jim recht ist, das Paket öffnen.«

Und er legte es vor sich auf den Tisch. Das Wachstuch war zusammengenäht, und der Doktor musste sein Besteck aus der Tasche nehmen und die Nähte mit seiner medizinischen Schere auftrennen. Das Päckchen enthielt zweierlei: ein Buch und ein versiegeltes Papier.

»Zuallererst wollen wir uns mal das Buch ansehen,« bemerkte der Doktor.

Der Squire und ich sahen ihm über die Schultern, als er es öffnete; denn Dr. Livesey hatte mir freundlich gewinkt, von dem Seitentisch, an dem ich gegessen hatte, zu ihm zu kommen und mich an dem Vergnügen der Untersuchung zu beteiligen.

Auf der ersten Seite befanden sich nur ein paar Kritzeleien, wie einer sie mit der Feder macht, um sich zu üben, oder weil er Langeweile hat. Einer von den Sätzen lautete genauso wie die tätowierte Inschrift auf des Kapitäns Arm: »Billy Bones sein Liebchen.«

Ferner stand da: »Mister W. Bones, Steuermann.« – »Kein Rum mehr.« – »Vor Palm Key kriegte er's.«

Außerdem allerlei Schnörkel und einzelne Wörter, die zum größten Teil unverständlich waren. Ich muss so unwillkürlich bei mir denken, wer es wohl gewesen sein möchte, der es »kriegte«, und was das für ein »es« war, das er kriegte. Höchstwahrscheinlich ein Messer in den Rücken.

»Hieraus ist nicht viel zu entnehmen,« sagte Doktor Livesey und schlug das Blatt um.

Die nächsten zehn oder zwölf Seiten enthielten eine merkwürdige Reihenfolge von Eintragungen. Am einen Ende der Zeile stand ein Datum und an dem anderen eine Geldsumme, wie in einem gewöhnlichen Kontobuch; aber statt geschriebener Erklärungen stand zwischen den beiden Aufzeichnungen nur eine verschieden große Anzahl von Kreuzen. So war zum Beispiel am zwölften Juni 1746 offenbar ein Betrag von siebzig Pfund Sterling irgendjemandem gutgeschrieben; als Erklärung, wofür, waren aber nur sechs Kreuze verzeichnet. Zu einigen wenigen Fällen war allerdings eine Ortsbestimmung beigefügt, zum Beispiel: »Höhe von Caracas«, oder es war auch nur Länge und Breite eingetragen, zum Beispiel: 62° 17' 29", 19° 2' 40".

Die Eintragungen erstreckten sich über beinahe zwanzig Jahre; die einzelnen Beträge wurden immer größer, und zum Schluss war nach fünf- oder sechsmaligem falschem Zusammenzählen eine Endsumme hingeschrieben, und dieser waren die Worte beigefügt:

»Bones sein Anteil.« »Darauf kann ich mir keinen Vers machen,« sagte Dr. Livesey. »Die Geschichte ist so klar wie Kloßbrühe!« rief der Squire. »Dies ist das Kassenbuch des schwarzherzigen Schurken.

Diese Kreuze stehen an Stelle der Namen von Schiffen oder Städten, die sie versenkten oder plünderten. Die Geldbeträge sind die Anteile des Schuftes, und wo er fürchtete, es könnte eine Zweideutigkeit entstehen, da fügte er etwas zur Erklärung hinzu. Hier zum Beispiel: ›Höhe von Caracas‹ – verstehen Sie? Da wurde irgendein unglückliches Schiff in der Nähe dieser Küste genommen. Gott sei den armen Seelen gnädig, die es bemannten – sie sind längst zu Korallen geworden.« »Richtig!« sagte der Doktor. »Sehen Sie mal, wie gut es ist, ein Reisender zu sein. Richtig! und die Beträge wachsen, wie Sie sehen, je höher er im Range steigt.«

In dem Büchlein stand außerdem nicht viel mehr als ein paar Eintragungen von Hafennamen auf den weißen Blättern am Ende des Bandes, und eine Tabelle, um französisches, englisches und spanisches Geld umzurechnen.

»Ein betriebsamer Mann!« rief der Doktor. »Der ließ sich nicht betrügen!«

»Und nun zu dem Papier!« sagte der Squire.

Das Papier war an verschiedenen Stellen versiegelt, und als Petschaft hatte dazu ein Fingerhut gedient – vielleicht eben der Fingerhut, der sich in des Kapteins Taschen gefunden hatte. Der Doktor löste die Siegel mit großer Sorgfalt, und aus dem Umschlag fiel eine Karte von einer Insel, mit Angabe von Länge und Breite, von Tiefenlotungen, Namen von Bergen, Buchten und Flussmündungen und überhaupt von allen Einzelheiten, die notwendig sein konnten, um ein Schiff auf sicheren Ankergrund an eine Küste zu bringen. Die Insel war ungefähr neun Meilen lang und fünf Meilen breit, von Gestalt ungefähr wie ein aufrecht stehender dicker Drache; sie hatte zwei schöne, sichere Häfen, und ein Berg im mittleren Teil der Insel war als »Das Fernrohr« bezeichnet. Verschiedene Zusätze waren offenbar in späterer Zeit gemacht; darunter vor allen Dingen drei Kreuze mit roter Tinte – zwei im nördlichen Teil der Insel, eins im südwestlichen, und neben diesem letzteren stand mit derselben roten Tinte in sauberer, kleiner Handschrift, die von des Kapteins zitternden Buchstaben sehr verschieden war, der Satz geschrieben: »Hier der Hauptteil des Schatzes.«

 

Auf der Rückseite der Karte hatte dieselbe Hand folgende Weisungen geschrieben:

»Großer Baum, Staffel des Fernrohrs, Nord-Nordost bei Nord.

»Skelettinsel Ost-Südost bei Ost.

»Zehn Fuß.

»Das Barrensilber ist in der nördlichen Grube; du findest es am Abhang des östlichen Gipfels, zehn Faden südlich von der schwarzen Klippe, dieser gegenüber.

»Die Waffen sind gleich in dem Sandhügel zu finden, Nord-Nordost bei Nord vom Vorsprung an der Flussmündung, dann östlich und ein viertel nördlich. J. F.«

Das war alles; aber so kurz und für mich unverständlich es war, der Squire und Dr. Livesey waren ganz entzückt darüber.

»Livesey,« sagte der Squire, »Sie werden diese erbärmliche Praxis sofort aufgeben. Morgen fahre ich nach Bristol. In Zeit von drei Wochen – ach was, drei Wochen! in zwei Wochen, in zehn Tagen! – haben wir das beste Schiff, Doktor, und die beste Mannschaft in ganz England. Hawkins kommt als Kajütsjunge mit. Du wirst einen famosen Kajütsjungen abgeben, Hawkins. Sie, Livesey, sind Schiffsdoktor, ich bin Admiral. Wir nehmen Redruth, Joyce und Hunter mit. Wir werden günstige Winde haben, eine schnelle Überfahrt und nicht die geringste Schwierigkeit, die Stelle zu finden. Und dann gibt's Geld – scheffelweise, genug, um sich darauf zu wälzen, und Guineen zum Fenster hinauszuwerfen, wenn Sie Lust haben.«

»Trelawney,« sagte der Doktor, »ich will mit Ihnen gehen; Jim kommt auch mit, dafür stehe ich ein, und er wird bei der Unternehmung von Nutzen sein. Nur vor einem einzigen Mann habe ich Angst.«

»Und wer ist das?« rief der Squire. »Wie heißt der Hund, Doktor?«

»Sie sind es,« antwortete der Doktor; »denn Sie können Ihren Mund nicht halten. Wir sind nicht die einzigen, die etwas von diesem Papier wissen. Diese Kerle, die heute Abend den Angriff auf den ›Admiral Benbow‹ machten, waren ganz gewiss mutige, verzweifelte Burschen, und die übrigen, die auf dem Ewer an Bord waren und ganz sicher noch andere, die nicht weit sind, die werden alle miteinander durch dick und dünn gehen, um das Geld zu kriegen! Deshalb darf keiner von uns allein sein, bis wir in See stechen. Jim und ich werden in der Zwischenzeit beisammen bleiben; Sie nehmen Joyce und Hunter mit, wenn Sie nach Bristol fahren, und vom ersten bis zum letzten Augenblick darf keiner von uns ein Wort von unserem Fund verlauten lassen.«

»Livesey,« antwortete der Squire, »Sie treffen immer den Nagel auf den Kopf. Ich werde stumm sein wie das Grab!«