Loe raamatut: «Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben – "5:04" – Eine Blau-Weisse Autobiografie», lehekülg 6

Font:

1989 – Fanbetreuung aus dem Keller.

Ich denke schon, dass ich ein richtiger „Ruhrpottler“ bin, einer der seine Heimatstadt Gelsenkirchen liebt und der stolz auf das Ruhrgebiet ist. Aber die Entscheidung, unsere Kinder im Münsterland groß werden zu lassen, halte ich auch heute noch für richtig. Es war eine schöne Zeit in Saerbeck, dem kleinen Dorf in der Nähe des Flughafens Münster-Osnabrück.

In Saerbeck arbeitete und lebte ich, hier wurden unsere Kinder groß, hier habe ich den Schalker Fan-Club Verband aufgebaut und großgemacht. Täglich hatte ich neue Ideen, um die Fanbetreuung zu verbessern und einmal schrieb sogar eine Zeitung „Das Herz der Schalker Fan-Zentrale schlägt im Münsterland.“ Wir hatten dort ein schönes Haus mit rund 160 qm Wohnfläche und einem fast 100 qm großen Keller. Das war schon sehr groß, aber für Gudrun, mich und unsere drei Kinder noch nicht groß genug. Immerhin brauchte ich schon fast 100 qm für die Fanbetreuung und mein Sportgeschäft.

Unser Keller wurde zum Ausstellungsraum für Sportartikel und zum Schalke-Büro umgebaut. Im kleinen Schalke-Büro standen Schreibtisch und Aktenschränke und es hing eine ganz große Deutschlandkarte an der Wand. Auf dieser Landkarte wurde jeder Fan-Club mit einem Steckfähnchen mit seiner Mitgliedsnummer markiert. Jedes Mal, wenn ein neuer Fan-Club dem Verband beigetreten ist, hatten meine beiden Töchter Melanie und Susanne Streit. Denn beide wollten das neue Steckfähnchen auf der Landkarte platzieren. Ja, das ist Kinderarbeit zum Wohle der Schalker Fan-Club Kultur.

Damals hatte ich noch ein Sporthaus in Osnabrück, „Sport Clausmeier“ hieß der Laden. Ich hatte die Lizenzen für die Ware von adidas, Puma, Nike und anderen großen Sportartikelherstellern. Schon zu dieser Zeit war es mein Ziel, viele Vereinsmannschaften als Kunden zu gewinnen. Während es heute zig Anbieter für Vereinsausrüstungen gibt, war das früher nicht selbstverständlich. Daher hatte auch schnellen Erfolg mit meinem Vorhaben. Ich sponserte unter anderem die Osnabrücker Dart-Liga, darunter den Dart-Club von Mike, einem gebürtigen Engländer, der in Osnabrück stationiert war. Rund 40% des Umsatzes machte ich allein mit dem Verkauf von Pokalen und Dart-Zubehör. Dart spielen hat zwar Spaß gemacht, aber ich bin Fußballfan, oder besser gesagt, Schalker. Also gehörten auch Fan-Artikel in mein Sortiment.

Ich weiß noch genau, ich galt damals als Exot, als ich auf der ISPO, der größten Sportfachmesse in München, verschiedene Fan-Artikel kaufen wollte. Während andere Fachhändler für mehrere tausend DM Sportbekleidung kauften, holte ich nur Aufnäher und Aufkleber für etwa 200 DM. Aber ich war stolz darauf.

Mein Hauptberuf war aber in der Versicherungsbranche. Und ein guter Versicherungskaufmann zu sein, dazu ein erfolgreicher Sportartikelverkäufer, der nebenbei noch den größten Fan-Club Verband aufbauen und zusätzlich ein liebevoller Ehemann und Familienvater bleiben wollte, das war auch für mich unmöglich. Also verkauften wir schweren Herzens unser Sportgeschäft in Osnabrück und verlegten den Verkauf von Sportartikeln nach Saerbeck, in unseren Keller. Wir nutzen die etwa 80 qm für Regale und Verkaufsvitrinen, auf denen sich Pokale, Sportbekleidung und Fan-Artikel türmten. Es gab keine offiziellen Öffnungszeiten, es wurden telefonisch Termine vereinbart, egal ob früh morgens oder spät abends. Entweder war Gudrun als Ansprechpartner vor Ort oder ich.

Nicht selten klingelte es am Sonntagmorgen schon um 8:00 Uhr bei uns an der Tür und irgendwelche Fans aus Bad Oeynhausen oder Warendorf besuchten uns unangemeldet, um sich Fan-Artikel für den Fan-Club anzuschauen oder zu bestellen. Das Geschäftliche war meist schon nach ein paar Minuten erledigt und dann folgte fast immer die gleiche Frage »Was gibt es Neues auf Schalke?« Um diese Frage zu beantworten, brauchte es häufig mehr Zeit und endete in einem Frühschoppen, der nicht selten bis in die Mittagsstunden ging. Und bevor es dann endlich Mittagessen gab, klingelte es wieder an der Haustür und der nächste Fan-Club stand auf der Matte. So ging es bei uns manchmal das ganze Wochenende zu. Ich hatte häufig das Gefühl, dass viele Fans einfach nur so vorbeikamen, um mit mir über Fußball, Schalke und die Fanbetreuung zu reden. Und dazu gab es ja auch immer eine kostenlose Flasche Bier. Danach wurde oft nur ein Schal oder ein Aufnäher gekauft, aber Hauptsache, es war ein schöner Vormittag. Diese unangemeldeten Besuche störten Gudrun und mich nicht, denn auch das gehörte für uns zur Fanbetreuung.

Aber die „Kundenbesuche“ im Privathaus Rojek wurden noch viel schlimmer, als ich mit dem Einverständnis von Rudi Assauer eine offizielle Kartenvorverkaufsstelle für die Heim- und Auswärtsspiele des FC Schalke 04 eröffnete. Von diesem Tag an änderte sich bei uns einiges, denn von nun an gab es keinen Feierabend mehr. Unsere „inoffiziellen“ Öffnungszeiten gingen von 8:00 bis 22:00 Uhr, ein Computer-Verkaufssystem gab es damals natürlich noch nicht. Ich holte die Karten von der Schalker Geschäftsstelle in Gelsenkirchen ab und Gudrun sortierte die Tickets anschließend nach Blöcken und Reihen, bevor die Karten per Hand verschickt an die Fan-Clubs gingen. Da Gudrun es aber jedem Fan-Club recht machen wollte, kam sie auf die Wahnsinnsidee, die Karten in der ganzen Wohnung auf dem Boden zu verteilen, um diese so besser zuzuordnen. Das Wohnzimmer war die Haupttribüne, der Flur die Gegengerade und so weiter. Überall lagen Karten nach Blöcken und Reihen sortiert herum. Wenn ich meckerte, meinte sie immer nur, dass ich im Stadion ja schließlich auch neben meinen Freunden sitzen möchte.

So zufrieden wie damals, waren Fan-Clubs und Mitglieder wohl nicht wieder. Es gab einen persönlichen und freundlichen Kontakt, keine festen Öffnungszeiten, alle Sonderwünsche wurden erfüllt und ein kostenloses Bier bei Gesprächen rund um Schalke gab es ja auch noch. Wen wunderte es da noch, dass der Schalker Fan-Club Verband einen so großen Zulauf hatte …

»Egal wie sehr du dich auch bemühst, du wirst es nicht schaffen, dass alle Menschen dich lieben.«

1990 – Das geklaute Fahrrad.

Irgendwie macht der Fußball uns alle ein bisschen „Gaga“. Warum machen erwachsene Menschen sonst immer so einen Unsinn, wenn es zum Fußball geht? Oder liegt es vielleicht am Alkohol? Schließlich gehören Bier und Fußball zusammen. Hm, ich glaube daran könnte es liegen …

Es war Anfang der Neunziger und ich organisierte wieder einmal einen Bus von Saerbeck zu einem Schalke-Heimspiel nach Gelsenkirchen. Wie immer war der Bus schnell ausverkauft. Ich kann heute gar nicht mehr sagen, gegen wen Schalke damals spielte, aber ich weiß, dass alle Fans aus dem Bus ganz schön einen im Tee hatten, als wir wieder in Saerbeck ankamen, ich inklusive.

Wie immer hielt der Bus an unserem Vereinslokal „Dorfkrug“, schließlich wollten sich einige nach so einer anstrengenden Fahrt noch einen Absacker gönnen. Und wie das so in einem Fan-Club ist, die einen gingen sofort nach Hause, die anderen etwas später. Ich gehörte zu denen, die gerne etwas später nach Hause gingen. Mein Kollege war da anderer Meinung. Er wollte mich am liebsten sofort nach Hause bringen, weil er noch zu einer Feier in den Nachbarort Greven wollte. Ich konnte ihn überredete, noch auf eine Cola mit in die Kneipe zu kommen, denn länger würde auch ich auf keinen Fall bleiben.

Na ja, aber wer schafft es schon, einem leicht angetrunkenen Mann, der in bester Laune gemeinsam mit seinen Freunden im Vereinslokal sitzt, ein frischgezapftes Bier in der Hand hält und dabei Schalke-Lieder schmettert, zu sagen, dass er jetzt langsam nach Hause muss? Ich glaube, dass schafft nur die Ehefrau oder die Mutter. Wie auch immer. Aus einem Bier wurden zwei Bier, dann waren es plötzlich drei Bier und immer mehr. Irgendwann war mein Fahrer weg. Er gab es auf, mich davon zu überzeugen, dass ich nach Hause muss.

Was solls, dachte ich. Es waren sowieso nur knapp 600 Meter bis nach Hause. Diese wenigen Meter zu laufen, dürfte doch wohl kein Problem werden. Aber als guter Ehemann wollte ich meiner Gudrun wenigstens mitteilen, dass mein Kumpel einfach abgehauen ist und ich jetzt laufen müsse. Das es nun etwas später wird, dafür kann ich ja nun nichts. Natürlich sagte sie, dass ich austrinken und nach Hause kommen soll, ich hätte genug. Hm, woher wusste Gudrun, dass ich noch etwas im Glas hatte? Und woher wollte Gudrun wissen, dass ich genug hatte? Ehefrauen, die wissen meistens immer alles (besser). »Jawohl mein Schatz, ich trinke aus und komme sofort nach Hause«, sagte ich zu ihr, was auch sonst?!

Ich denke, etwa 90 Minuten später war mein Glas leer. Mag sein, dass in dieser Zeit noch das ein oder andere volle Glas hinzukam. Wer weiß das schon. Jetzt war das Glas zumindest leer, ich war dafür voll und ich wollte mich so langsam auf den Weg nach Hause machen.

Bei uns im Vereinslokal gab es, wenn wir mit dem Bus auf Schalke waren, meist selbstgemachte und leckere Frikadellen und Schnitzel von unserer Wirtin Angelika. Diese lagen zum Verkauf hinter der Theke. Während Angelika meinen Deckel zusammenrechnete, stieg mir der Duft der leckeren Frikadellen und Schnitzel in die Nase. Mein Magen meldete sich direkt, denn feste Nahrung wäre jetzt nicht schlecht. Auch Gudrun würde sich bestimmt freuen, wenn ich noch etwas zu Essen mit nach Hause bringe. Welche Frau freut sich nicht, wenn ihr der Ehemann nach einem anstrengenden Tag etwas mitbringt? Unsere Wirtin Angelika packte mir drei Frikadellen und ein großes Schnitzel in Alu-Folie. Ich schaute mich noch einmal in der Kneipe um, ob nicht doch irgendwo noch mein oder irgendein Fahrer sitzt, der mich nach Hause fahren könnte. Leider nein. Also musste ich laufen.

Ich fand es schon ein bisschen traurig, dass mein Fahrer einfach abgehauen ist. Mich allein im Dunkeln laufen lassen, das ist ganz schön unfair von meinem Kollegen, dachte ich, als ich an den vier Fahrrändern vorbeitorkelte, die vor unserem Vereinslokal standen. Beim Vorbeigehen bemerkte ich trotz Alkohol, dass zwei der Räder nicht abgeschlossen waren, ein Damen- und ein Herrenfahrrad. Hm, wenn ich mir nun ein Rad ausleihe und es gleich morgen früh zurückbringe, wird das keiner merken, schwirrte es in meinem volltrunkenen Kopf, und ich bräuchte nicht allein im Dunkeln nach Hause laufen.

Warum auch immer fiel mir genau jetzt diese blöde Geschichte ein, bei der sich ein langer Schal in die Radspeichen verhedderte und die Radfahrerin zu Fall brachte. Das Mädchen verletzte sich bei diesem Unfall schwer. So dumm wollte ich auf keinen Fall sein und wickelte mir meinen selbstgestrickten meterlangen blau-weißen Schal mehrmals um den Hals. Jetzt kann nichts mehr passieren. Moment, da waren ja noch die Frikadellen und das Schnitzel. Ich konnte mir das Essen ja nicht in die Hosentasche stecken. Na gut, dann fahre ich eben einhändig, dachte ich Schlaumeier. Und schon bei den ersten Versuchen, das Rad zum Laufen zu bringen, scheiterte ich. Um die Anwohner und letzten Gäste im Vereinslokal nicht mit Lärm auf mich aufmerksam zu machen, entfernte ich mich erstmal mit dem Rad von der Kneipe. Ich schob das Fahrrad knappe 150 Meter weg über den Kirchplatz. Danach versuchte ich mehrmals verzweifelt auf das Rad zu steigen. Wahrscheinlich war es an diesem Abend so schwer, da ich schon viele Jahre nicht mehr mit dem Rad gefahren bin. Genau, das musste der Grund sein …

Ich schaffte es einfach nicht, mein Gleichgewicht zu halten, weil der ganze Weg aus Kopfsteinpflaster bestand. Also ging ich die nächsten 50 Meter zu Fuß weiter. Mit der rechten Hand schob ich das Rad, in der linken Hand hielt ich die Frikadellen und das Schnitzel. Jetzt waren es nur noch etwa 400 Meter bis nach Hause. Ich weiß nicht, der wievielte Versuch es war, bis ich endlich auf dem Rad saß, aber irgendwann klappte es und ich wackelte mit dem Rad gefährlich hin und her. Egal, dafür musste ich nicht mehr laufen.

Mit der linken Hand lenkte ich so gut es ging das Fahrrad, mit der rechten Hand schwenkte ich das Essen für Gudrun und sah dabei bestimmt genauso gut aus, wie ein Kellner, der in einem vollen Lokal serviert. Und plötzlich kam eine Kurve aus dem Nichts! Wo kommt die denn auf einmal her? Richtig, es handelte sich um eine neue Straße! Geistesgegenwärtig wollte ich das Lenker links herumreißen, doch irgendjemand muss die Lenkung manipuliert haben, sodass ich weiter geradeaus gefahren bin und mit voller Wucht in einer Gartenhecke landete …

Dank meiner guten und sportlichen Verfassung rollte ich mich erst über den Lenker, anschließend über die Hecke und landete schließlich im Garten. Leider hatte ich bei der Rolle Vorwärts, wie ein geübter Kugelstoßer mein „Päckchen“ mit den Frikadellen und dem Schnitzel abgestoßen. Die Weite wäre bestimmt rekordverdächtig, wenn mein „Päckchen“ nicht mit einem lauten Plopp an der Terrassentür des Hauses gestoppt hätte.

Ich hatte keine Zeit zu überlegen, ob es mir gut ging, denn der (Wach-)Hund des Hauses bellte, und zwar laut. Also sprang ich auf, schnappte mir das Fahrrad und trat die Flucht an. Ich wollte weg sein, bevor die Nachbarn aus dem Haus kamen. Nach ein paar Metern, die mir allerdings wie ein Langlauf vorkamen, fühlte ich mich in Sicherheit und machte schwer atmend eine Pause. Ich hatte Schürfwunden an den Händen, die Hose war grün vom Rasen, das Essen für Gudrun war futsch und dann war da ja noch das geliehene Fahrrad. Dabei war ich doch nur auf Schalke und hab mir anschließend ein oder zwei (oder mehr) Bierchen in unserem Vereinslokal gegönnt. Wie erkläre ich das nur meiner Frau? Plötzlich hatte ich dir glorreiche Idee, das Fahrrad einfach im Garageneingang des Nachbarhauses zu verstecken. Ich würde das Rad morgen früh abholen und heimlich wieder am Dorfkrug hinstellen. Was für eine gute Idee! Und so machte ich mich auf den Weg, die letzten paar Meter nach Hause zu wackeln.

Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was ich Gudrun an diesem Abend alles erzählt habe, aber ich bekam Hunger. Die leckeren Frikadellen und das Schnitzel hat sich nun bestimmt der Hund reingehauen, der mich mit seinem Bellen verjagte. Während Gudrun für mich im Kühlschrank nach einem kleinen Mitternachtssnack schaute, wurden meine Augenlider immer schwerer und ich schlief im Sessel ein. Irgendwann in der Nacht bin aufgewacht, da ich einen ganz trockenen Hals hatte. Das Licht war abgedunkelt und der Fernseher lief. Aber Gudrun war nicht zu sehen, wahrscheinlich lag sie längst im Bett. Ich schaute auf die Uhr. Es war 4:25 Uhr. Ich zog mich schnell aus und legte mich noch leicht Gaga im Kopf zu meiner Gudrun ins Bett.

Als ich die Augen später wieder öffnete, hatte ich das Gefühl, das ich nur ein paar Minuten geschlafen habe. Ich schaute auf die Uhr und war erschrocken, es war bereits 9:20 Uhr. Für einen Frühaufsteher wie mich fühlt sich so etwas schon fast wie mittags an. Ich sprang aus dem Bett und bin fast wieder umgefallen. Ein großer Blitz durchzuckte meinen Kopf und es fing an, darin zu hämmern. Aua! Ich musste mich noch einmal hinlegen und die Augen schließen. Was war gestern Abend eigentlich passiert, dachte ich, und ich überlegte. Ach du Kacke, war mein erster Gedanke. Was hast du gestern Nacht nur wieder alles angestellt? Ich überlegte krampfhaft weiter, wie ich die einzelnen Erinnerungsbrocken zu einer Geschichte zusammensetzen konnte.

Ich bin nach der Busfahrt noch in unser Vereinslokal gegangen, um einen Absacker zu trinken. Eigentlich wollte ich sofort nach Hause, aber mein Fahrer ist einfach abgehauen. Ich musste also zwangsläufig etwas länger in der Kneipe bleiben. Aber hatte ich nicht noch Frikadellen gekauft? Ja. Aber gegessen habe ich keine. Wahrscheinlich habe ich das Essen im Dorfkrug liegen lassen. Moment, da war doch noch ein Fahrrad! Bin ich mit dem Fahrrad nach Hause gefahren? Hm. Meine Kopfschmerzen wurden stärker und in meinem Bauch zog sich alles zusammen. Alkohol? Nie wieder. Ich werde nie wieder im Leben Alkohol trinken, schon gar nicht, wenn ich auf Schalke bin.

Nun aber ab ins Bad. Nach dem Zähneputzen und der Dusche ging es mir ein bisschen besser. Jetzt musste ich Gudrun nur noch glaubhaft erklären, dass gestern nichts passiert ist und es wie immer ein normaler Tag auf Schalke war. Aber ehrlich gesagt, kennt Gudrun mich, und das sehr gut. Sie wird nicht eher lockerlassen, bevor ich ihr alles erzählt habe. Aber wie soll ich etwas erzählen, wenn ich mich selbst nicht mehr genau erinnern kann. Als ich aus dem Bad kam, ging ich rein zufällig zum Abfalleimer in der Küche und nahm den halbvollen Müllbeutel heraus. »Moin Schatz, ich komme gleich. Ich bringe nur schnell den Müll raus«, sagte ich zur ihr. Die Antwort wartete ich gar nicht erst ab, sondern ich ging raus und sah in den Müll. Aber die Reste von Frikadellen lagen da nicht drin. Ich schaute draußen nach links und rechts. Ein Fahrrad war nirgendwo zu sehen. Puh, Glück gehabt. Den Blödsinn habe ich scheinbar nur geträumt.

Ich ging also wieder rein und setze mich zu Gudrun an den Frühstückstisch, die gerade in der BILD am Sonntag blätterte. Ich versuchte so normal wie möglich zu sein. So normal, als wäre gestern überhaupt nichts „unnormales“ passiert. Warum auch, es war ja scheinbar nichts passiert und so viel hatte ich nun auch nicht getrunken. Ich erzählte Gudrun, dass mein Fahrer gestern einfach abgehauen ist und ich deshalb nicht sofort nach Hause kam. Ich sagte ihr auch, dass ich ihr eigentlich ein paar Frikadellen mitbringen wollte, das Essen aber in der Kneipe liegengelassen habe. Das kann ja schon einmal passieren, jeder vergisst mal etwas. Gudrun sagte nichts, aber sie sah mich an. »Und dann bin ich auch direkt nach Hause gelaufen«, erzählte ich weiter. Da der Tag auf Schalke so anstrengend war, bin ich wohl auch im Sessel eingeschlafen.

Ich habe unruhig geschlafen und komische Sachen geträumt. »Stell dir vor«, sagte ich, »Ich habe geträumt, ich bin mit dem Fahrrad von Gelsenkirchen zurückgefahren.« Gudrun biss in ihr Brötchen und sah mich mit einem Blick an, der mich sehr nervös machte. Sie glaubt mir nicht. Zum Glück bimmelte in diesem Augenblick das Telefon. Ich ging dran und am anderen Ende war Marion. Marion lebte mit ihren Mann Fritz erst seit kurzer Zeit in Saerbeck, beide waren Schalker und bereits Mitglied in unserem Fan-Club. Die beiden waren nett, auch wenn ihr Mann Fritz immer eine große Schnauze hatte. Er konnte alles, er wusste alles und er hätte auch alles schon längst gemacht, wenn er mehr Zeit hätte. Marion konnte einem manchmal schon leidtun, aber irgendwie war sie ihm trotzdem immer eine gute Frau. Es gab nur ein Problem: Fritz war ein bisschen eifersüchtig auf mich, denn Marion und ich verstanden uns gut, sie rief mich öfters an und wir haben auch im „Dorfkrug“ häufig zusammengesessen und über Gott und die Welt gequatscht. So auch gestern Abend. Nur daran konnte ich mich gar nicht mehr erinnern.

An der Art wie Marion mit mir redete, merkte ich, dass Fritz neben ihr stand und zuhörte. Sie fragte mich, ob ich gestern etwas Auffälliges am „Dorfkrug“ gesehen habe. Ich zog die Augenbrauen hoch. »Was Auffälliges?«, fragte ich sie.

»Ja, fremde Leute zum Beispiel«, sagte Marion und fügte hinzu: »Du wirst es nicht glauben Rolli, aber wir haben uns zwei nagelneue Fahrräder gekauft und waren damit gestern unterwegs. Am Abend sind wir mit den Rädern zum Dorfkrug gefahren und als wir die Kneipe verlassen haben, war mein Fahrrad weg. Fritz meinte, da du das Vereinslokal vor uns verlassen hast, müsstest du die Diebe vielleicht gesehen haben.« Mein Blutdruck stieg und ich bekam einen feuerroten Kopf. Gott sei Dank, konnte Marion mich nicht sehen. »Was?«, rief ich empört, »Die haben dein Fahrrad geklaut! Wo gibt es denn sowas?« In meinem Magen grummelt es schon wieder und Marion erzählte weiter, dass die beiden sich gestern Abend sofort auf die Suche nach dem oder den Dieben gemacht haben. »Du wirst es nicht glauben, aber wir haben mein Fahrrad an der Bushaltestelle in Richtung Greven gefunden«, sagte sie plötzlich. Oh ja, ich kenne die Bushaltestelle, diese befindet sich genau entgegengesetzt von unserem Haus. Hm, war ich das dann also doch nicht, fragte ich mich in Gedanken selbst.

Marions Stimme wurde auf einmal leiser und sie flüsterte ins Telefon. »Rolli, du alter Sack. Fritz ist gerade rausgegangen, um eine zu rauchen. Ich habe das Rad nicht an der Bushaltestelle gefunden, sondern neben eurem Haus in der Garageneinfahrt. Du hast mein Fahrrad gestern Abend im betrunkenen Kopf mitgenommen. Ich habe es Fritz anders erzählt, damit ihr beide euch nicht wieder streitet, er war sowieso schon wieder sauer und hatte dich als Dieb im Kopf.« Ach du Scheiße, dachte ich, was bin ich doch für ein Blödmann. Ich wollte gerade eine große Erklärung abgeben, als sie sagte: »Ach, da kommt ja mein lieber Mann wieder. Nein Fritz, wir brauchen keine Polizei anrufen, auch Rolli hat nichts gesehen und mein Fahrrad habe ich ja wieder. Also, alles ist gut!« Alles ist gut? überlegte ich. »Ja, alles ist gut, wir telefonieren morgen noch einmal«, sagte ich zu Marion und wir beendeten das Gespräch.

Was für ein Wochenende. Aber so ist das manchmal, wenn Schalker auf Reisen gehen. Da kann immer etwas Dummes passieren. Man sollte allerdings aus seinen Fehlern lernen, so wie ich. Ich werde meinem Kumpel bei der nächsten Fahrt auf Schalke den Autoschlüssel wegnehmen, damit er sich nicht still und heimlich aus dem Vereinslokal schleichen kann …

»Das Leben ist wie ein Fahrrad. Man muss sich vorwärts bewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.«

(Albert Einstein)