Seewölfe - Piraten der Weltmeere 189

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 189
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-525-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Old Donegal Daniel O’Flynn stand auf dem Quarterdeck der „Isabella VIII.“, hob seine Krücke und schwenkte sie in einer anklagenden und zugleich verzweifelten Geste.

„Das ist der Untergang der Welt!“ schrie er gegen das Rauschen und Brausen an, das die Luft erfüllte. „Ich hab’s kommen sehen, wir saufen ab, Männer, und mit uns geht die ganze Menschheit zugrunde!“

Ferris Tucker lief dunkelrot im Gesicht an und brüllte zurück: „Verdammt, Donegal, halt bloß die Luft an! Wir haben schon genug am Hals und wissen selbst, was uns blüht. Da brauchen wir uns nicht auch noch deine verdammten Schwarzmalereien anzuhören, verflucht und zugenäht!“

Die „Isabella“ schwankte und taumelte in der aufgewühlten See.

Old O’Flynn drohte die Balance zu verlieren. Er ließ die Krücke schleunigst wieder sinken und klammerte sich an der Nagelbank fest, in deren Nähe er stand – anderenfalls wäre er von der jetzt heranorgelnden Sturmbö zweifellos erfaßt und außenbords gerissen worden.

„Flucht, Männer, flucht!“ rief er. „Ihr ändert ja doch nichts mehr! Auch du nicht, Ferris! Unser Schicksal ist besiegelt, wir buddeln ab, die Welt geht unter, und wir ersaufen so jämmerlich wie die Ratten.“

Ja, über den Köpfen der Seewölfe hatte sich alles Unheil dieser Welt zusammengebraut, und das buchstäblich von einem Moment zum anderen. Eben noch hatte der frische, aber harmlose Südost-Passat die „Isabella“ zügig vorangetrieben, und nur eine sanfte Dünung hatte die See gekräuselt. Jetzt aber schienen sich röhrend die Tore der Hölle zu öffnen.

Drohend ballten und türmten sich die Wolken, senkten sich tief und tiefer auf die Toppen der „Isabella“ herab. Fast wirkte es so, als wollten sie mit ihrem Gewicht allein die große Galeone zerquetschen und den Atem der Männer bis in alle Ewigkeit ersticken.

Das schlimmste von allen Übeln aber war die Wasserhose, die als schwarze Säule zwischen Himmel und See stand, sich hin und her wiegte und donnernd und rauschend in einem grotesken Tanz auf die Galeone zuglitt. Einem apokalyptischen Reiter gleich, der mit den teuflischen Heerscharen dahingaloppiert, raste sie inmitten der Schlechtwetterfront auf die „Isabella“ zu.

Hasard hatte in aller Eile die Sturmsegel setzen lassen. Er hatte seinen Männern den Befehl gegeben, die Manntaue zu spannen und die Schotten zu verschalken und auch sonst alle für einen Sturm erforderlichen Vorkehrungen an Bord zu treffen. Jetzt stand er an der Schmuckbalustrade des Quarterdecks und blickte wie im Bann auf die Wasserhose, die sich näherschob und sein Schiff in ihren tödlichen Wirbel aufzunehmen drohte.

Das Schicksal der „Isabella“ und ihrer Mannschaft schien wirklich besiegelt zu sein. Nichts vermochte diesem brüllenden Sog der Hölle zu trotzen, seine gigantische Kraft würde alles zerschmettern, auch das solide englische Eichenholz, aus dem die „Isabella“ gebaut war.

Wer dachte jetzt noch an die Dreimast-Galeone „El Cisne“ des spanischen Piraten Rafael Sabicas, der sie von Tutuila aus gefolgt waren? Mochte der Teufel sie und ihren Rest Besatzung holen, mochte sie für alle Zeiten dort drüben in dem Korallenatoll, in dem Bill sie eben noch gesichtet hatte, verschwinden! Hasard konnte ihr keine Aufmerksamkeit mehr schenken, sein ganzes Augenmerk galt jetzt der Wasserhose.

Bill, der Moses, enterte aus dem Großmars auf die Kuhl ab. Er schwebte dort oben wie hier unten an Deck in akuter Lebensgefahr, aber die Order des Seewolfs hatte gelautet, er solle schleunigst den Großmars räumen.

Die „Isabella“ stampfte und schlingerte wie wild in der See. Bill hatte seine liebe Not, in den Manntauen bis zum Vordeck zu hangeln und sich dort notdürftig in Sicherheit zu bringen.

Hasard beobachtete den Jungen und dachte an seinen Sohn Hasard, der schwerverletzt unten in der Kammer des Achterkastells lag – neben Batuti, den es bei dem Kampf gegen Don Mariano José de Larra ebenfalls getroffen hatte. Außerdem befand sich das Polynesiermädchen Lavida an Bord. Der Seewolf hatte sie vor Tutuila aus den Fluten gefischt, nachdem Sabicas sie durch einen Streifschuß an der Hüfte verwundet hatte. Somit hatte er zur Zeit drei Kranke an Bord, die sich zwar auf dem besten Weg zur Genesung befanden, aber im Fall eines Schiffbruchs nicht die geringste Chance hatten, sich aus eigener Kraft in der brodelnden See zu halten.

Unwillkürlich schloß Hasard die Augen.

Die Wasserhose war heran. Mit Orgeln und Tosen bäumte sie sich vor der „Isabella“ auf, stand neben ihrem Backbordschanzkleid und drohte sie zu verschlucken. Heulend strich der Wind über die Decks. Er hätte sie leergefegt, wenn die Männer sich nicht verzweifelt festgeklammert hätten.

Der Seewolf hatte die Lider wieder geöffnet und blickte voll Erbitterung auf die brausende Erscheinung. Erst das Abenteuer auf Tutuila, bei dem Hasard junior und Batuti um ein Haar ihr Leben eingebüßt hätten, und jetzt dies! Die Männer der „Isabella“ schienen von einer Pechsträhne verfolgt zu sein. Da half kein noch so flinkes Manövrieren, kein Fluchen und auch kein Beten, sie waren ihrem Schicksal ausgeliefert.

Aber so grausam die Natur auch war, sie hatte auch ihre willkommenen Launen. Plötzlich, ganz unerwartet, bog die Wasserhose von ihrem ursprünglichen Kurs ab und schraubte sich donnernd dicht an der Bordwand vorbei. Sie erreichte die Galion und den Bugspriet, gewann Abstand von der „Isabella“ und lief völlig unverhofft nach Westen ab. Ja, mit einemmal schien sie vor dem Schiff zu fliehen, schien auf irgend etwas gestoßen zu sein, das die urwüchsigen Kräfte, die sie befehligten, verunsichert hatte. Rasch schrumpfte sie zu einem kegelförmigen, huschenden Gebilde zusammen und stahl sich quer über das Korallenatoll hinweg davon, um sich irgendwo zwischen den vielen kleinen Fidschi-Inseln auszutoben.

Old O’Flynn stand mit weit geöffnetem Mund da und blickte dem „verfluchten Teufelsding“ nach.

Die anderen Männer verharrten in gleichfalls ungläubigem Staunen auf den Decks der „Isabella“. Manch einer rechnete fest damit, daß die tükkische Wasserhose doch noch umkehrte und wie ein Derwisch gegen den Wind erneut auf die Galeone zulief, aber das stellte sich bald als Irrtum heraus.

Die Wasserhose verschwand.

Blacky stieß als erster einen gellenden Pfiff aus, und sofort brachen die anderen in Johlen und Grölen aus. Aber sie verstummten rasch wieder, und der Grund dafür lag nicht nur in Old Donegal Daniel O’Flynns gallebitterer Miene.

Nach wie vor tanzte die „Isabella“ in den schmutziggrünen und schwarzen Fluten, und der Sturmwind heulte mit unverminderter Kraft aus Südosten heran.

„Die Wasserhose war nur der Auftakt!“ rief Serafin, der Spanier. „Der Sturm geht jetzt erst richtig los, und wir kriegen gewaltig was auf die Jacke!“

Joaquin, sein Landsmann, bekreuzigte sich in einer instinktiven Geste. Insgeheim bereute er es schon, nicht bei den Eingeborenen von Tutuila geblieben zu sein. Das Toben des Wetters und das Rufen der Männer erinnerten ihn allzu lebhaft an die Schrecknisse, die er an Bord der „Hernán Cortés“ durchgestanden hatte.

Der Tag wurde zur finsteren Nacht, und das Jaulen und Pfeifen des Sturmes steigerte sich zu einem infernalischen Konzert.

Hasard fuhr auf dem Quarterdeck herum, ließ die Handleiste der Schmuckbalustrade los und hangelte in den Manntauen auf das Ruderhaus zu.

Wenn er verhindern wollte, daß sie mitten in das Korallenatoll rauschten und auf einer Bank hängenblieben, mußte er sehr schnell sein. Schneller als das heranorgelnde Wetter, das sich zu einem der gefürchteten tropischen Wirbelstürme auszuweiten drohte. Und das war, wenn man es nüchtern betrachtete, so gut wie unmöglich, denn die „Isabella“ war den mörderischen Riffen jetzt bedrohlich nahe.

Keine halbe Meile mehr, und sie lief unweigerlich auf eine Untiefe und schlitzte sich an den scharfen, bizarren Korallenformationen den Rumpf auf.

Rafael Sabicas atmete auf.

Er hatte es geschafft. Bevor die Wasserhose seine Dreimast-Galeone „El Cisne“ hatte einholen können, war er an dem ausgedehnten Korallenatoll vorbei gewesen und hatte gehalst. Auf nördlichem Kurs hatte er seinen „Schwan“ durch die höher und höher wogende See auf die rettende Insel zumanövriert – nach Ngau, dem Schlupfwinkel der Piraten.

Die Wasserhose hatte Ngau verschont, sie war über eine der südlichen Nachbarinseln hinweggeprescht. Ehe sich der nachfolgende Taifun zu seiner vollen Macht entwickelte, war Sabicas, der Andalusier, mit seinem Schiff in der Felsenpassage, die ihn in die geschützt und gut versteckt liegende Bucht führte.

 

Auf einem abschüssigen Wellenhang glitt die „El Cisne“ bis in die Mitte der Bucht. Hier, im ovalen Felsenkessel, herrschte weitaus weniger Seegang als draußen im offenen Meer. Dennoch mußte Sabicas mächtig aufpassen, von der Sturmdünung nicht gegen die Gesteinswände gedrückt zu werden. Seinem ohnehin schon arg ramponierten Schiff hätte dies zweifellos den Rest gegeben.

So stand er wieder auf dem Achterdeck und schrie auf seine Männer ein, wie er auch vor Tutuila auf sie eingebrüllt hatte. Dort hatte es ihm nichts eingebracht. Bei allem Schneid hatte er das Gefecht gegen den Seewolf doch verloren und konnte noch von Glück reden, mit heiler Haut davongekommen zu sein.

Andrés Ponce hatte ein weitaus schlechteres Los gezogen. Er war Sabicas’ Verbündeter gewesen und hatte als Kapitän der Karavelle „El Gabian“ dem Oberkommando des Andalusiers unterstanden. Jetzt aber lag seine einst so stolze Zweimast-Karavelle auf dem Grund der Südsee, und er, Ponce, hatte sich nur mit wenigen Spießgesellen in einem Boot zu retten vermocht. Wohin? Das wußte der Teufel allein. Sabicas hatte seinen Mitstreiter im Stich gelassen. Ponce mochte auf einer einsamen Insel Polynesiens gelandet sein. Vielleicht waren er und seine Mannen aber auch von Eingeborenen überfallen und niedergemetzelt worden, oder aber sie waren eines anderen Todes gestorben.

Wie auch immer – Sabicas verschwendete keine Gedanken mehr an die ehemaligen Kumpane. Nur sein eigenes Wohlergehen interessierte ihn, wie auch Ponce im umgekehrten Falle ausschließlich an sich selbst gedacht hätte.

„Beidrehen, ihr Hundesöhne!“ schrie er seinen kümmerlichen Haufen Männer an. „Donato, mach diesen dreckigen Bastarden Beine, oder ich rechne nachher mit dir ab! Al diablo, siehst du nicht, daß wir geradewegs gegen die Felsen treiben?“

Donato, der schnauzbärtige Kalabrier, trat seinerseits nach dem Eurasier und fuhr ihn an: „Wird’s bald? Wollt ihr wohl springen, ihr Ratten? Ihr kriegt die Peitsche, wenn ihr nicht pariert. Dreht bei und geit auf die Segel, Lumpenhunde!“

Der wildbärtige Eurasier stolperte auf die Nagelbank an der Steuerbordseite der Kuhl zu und hielt sich daran fest. Nur kurz blickte er über die linke Schulter zu dem Mann zurück, der als der Bootsmann und die rechte Hand von Sabicas auf diesem Schiff galt. In seinen geröteten Augen spiegelte sich dabei jedoch lodernder Haß, und dem Kalabrier entging dieser mörderische Ausdruck auch nicht, denn er beobachtete den Eurasier aus schmalen Augen.

Donato hielt die neunschwänzige Katze in der linken Hand. Die rechte Faust hatte er um den Kolben der Pistole in seinem Gurt geschlossen. Breitbeinig stand er auf der achteren Kuhl und balancierte auf dem schwankenden Deck. Seine Kleidung war teilweise zerrissen und rußverschmutzt, sein derbes Gesicht von einem unmenschlichen Zug beherrscht. Seit drei Tagen hatte er keinen Schlaf mehr gehabt, seit drei Tagen hatte er sich von der Kuhl nicht mehr fortgerührt.

Schon kurze Zeit nach ihrer Flucht von Tutuila hatte es an Bord zu gären begonnen. Die Mannschaft war dezimiert, neun hatte es bei dem Kampf gegen die „Isabella“ erwischt. Außer Sabicas, Donato und dem Eurasier waren nur acht Freibeuter am Leben geblieben, und sie hatten während der Überfahrt von Tutuila nach Ngau die Feuer an Bord löschen, die schlimmsten Gefechtsschäden ausbessern und die Segelmanöver durchführen müssen.

Dieses harte Arbeitspensum konnte eine Handvoll Männer nicht lange durchhalten, schon gar nicht, wenn diese Meute durch ein vorangegangenes Gefecht entkräftet und entnervt worden war.

Wenn der Ausguck dann auch noch feststellte, daß der Feind sich ihnen erneut an die Fersen geheftet hatte, waren alle Voraussetzungen für eine jäh ausbrechende Panikwelle, ja für eine Meuterei gegeben.

Einem neuen Kampf hätte sich Sabicas niemals stellen können. Es wäre ihrer aller Ende gewesen, das wußte er ganz genau. So hatte die Jagd fortgedauert und fürchterlich an ihren Nerven gezehrt: Mal war die „Isabella“ an der östlichen Kimm zu sehen, mal war sie wieder spurlos verschwunden gewesen, als hätte das Meer sie verschlungen.

Heute war sie plötzlich wieder aufgetaucht.

Rafael Sabicas selbst hatte jede Hoffnung aufgegeben, er könnte sich vor den Verfolgern verstecken und in die Felsenbucht von Ngau verholen. Alle Gewandheit und die erstaunlich gute Fahrt, die die „El Cisne“ vor dem Südost-Passat gelaufen war, schienen nichts genutzt zu haben. Augenscheinlich waren sie ihrem Todfeind ausgeliefert gewesen. Ihre innere Spannung hatte den siedenden Höhepunkt erreicht.

Dann aber war die Wetterveränderung eingetreten, und Sabicas hatte seinen letzten Trumpf ausgespielt: seine Kenntnis der Gewässer rund um die Fidschi-Inseln. Nur er konnte in der Sturmsee so schnell und sicher an dem Atoll vorbeilavieren, nur er vermochte auch bei diesem Toben die Bucht von Ngau zu finden.

Trotz aller Widrigkeiten hatten die Piraten es geschafft, aber sie konnten selbst nicht recht daran glauben. Zu hart waren die Schläge gewesen, die sie hatten hinnehmen müssen. Noch immer rechneten sie mit einem Blitzüberfall der Seewölfe, und all ihre Wut über die Niederlage von Tutuila und den Verlust der neun Kumpane richtete sich gegen ihren Anführer und dessen Vertreter.

Donato hatte seinerseits geschworen, daß er dem Andalusier alles heimzahlen würde, was sie erlitten hatten. Er, Donato, hatte vor Tutuila oft genug seine Bedenken angemeldet und geahnt, daß etwas schieflaufen würde. Aber Sabicas hatte ja nicht auf ihn hören wollen. Er hatte sich ungemein stark gefühlt.

Der Kalabrese fühlte sich nicht mitschuldig an dem, was geschehen war. Und so wußte er schon jetzt, wie er handeln würde, wenn die zerschundenen Männer gegen Sabicas aufbegehrten.

Er drehte sich zu dem Andalusier um.

Dieser hatte den Kolderstock herumgelegt, so daß die Galeone ihr Vorschiff nach Backbord wandte und gegen den Sturmwind hielt. Die Männer auf der Kuhl gaben sich redlich Mühe, die Segel schnell genug aufzugeien. Es war ja in ihrem eigenen Interesse, die „El Cisne“ vor einem weiteren Unglück zu bewahren. Es war aber auch nicht leicht, bei diesem Seegang ein derartiges Manöver auszuführen.

Donato verfolgte jede Bewegung seines Anführers.

Sabicas war ein großer Mann mit fast schulterlangem schwarzem Haar, dunklen Augen und harten Zügen in einem Gesicht mit olivfarben grundierter Haut. Eine abenteuerliche Gestalt, die ihnen wegen ihrer Kraft und Verwegenheit immer imponiert hatte. Aber etwas Einschneidendes war geschehen. Sabicas’ Figur wankte, sein Mythos war arg angekratzt. Das Bild des unerschütterlichen Draufgängers und Schnapphahns verschwamm und ging im Nichts unter, und daran konnte auch seine aufrechte Haltung nichts ändern, die er bis jetzt bewahrt hatte.

Donato faßte einen Entschluß.

Immer noch sah er zu Sabicas, und ihre Blicke trafen sich plötzlich. Täuschte er sich – oder zuckte der Andalusier wirklich zusammen?

„Fallen Anker!“ schrie Sabicas.

Der Kalabrier fuhr zu den neun Männern auf der Kuhl herum und wiederholte den Befehl.

Dann rauschte der Buganker der „El Cisne“ an seiner Trosse aus, und wenig später fierten die Piraten unter Flüchen das Beiboot ab. In Lee enterten sie auf die Duchten der Jolle ab, legten ab, pullten an und entfernten sich durch die aufgewühlten Fluten von ihrem Schiff.

Die „El Cisne“ schwoite an ihrer Ankertrosse, aber sie konnte jetzt nicht mehr gegen die Felsenmauern schlagen. Der Stockanker hatte sich fest genug in den Grund der Bucht gegraben, und die Trosse ließ nicht genügend Spiel. Vorläufig war die Galeone der Freibeuter ausreichend gesichert.

Die Felsenbucht lag im Westen der Insel. An ihrer östlichen Seite öffnete sich wie der Einlaß zu einem geheimnisvollen Gewölbe eine Grotte, deren schartige Decke auch bei auflaufendem Wasser hoch genug lag, um eine Jolle passieren zu lassen.

Sabicas, der sich auf der achteren Ducht des Bootes niedergelassen hatte, bediente die Ruderpinne und steuerte geschickt mitten in die Grotte hinein.

Dunkelheit umfing die schweigend pullenden Männer. Laut hallte das Rauschen des Wassers von den Gesteinswänden wider. Eine Welle hob das Boot hoch und drohte es unter die Decke zu schmettern. Instinktiv zogen die Insassen die Köpfe ein. Aber dann erwies sich die Geste doch als übertriebene Vorsichtsmaßnahme. Die Woge schlug nicht hoch genug, um sie samt ihrem Gefährt an dem rauhen Vulkangestein zerdrücken zu können.

Immer tiefer schob sich die Jolle in den Wasserstollen – und der Sturm tobte mit voller Kraft über Ngau hinweg.

2.

Das Ruderhaus erzitterte unter den Hieben des Sturmes. In seinem Inneren mußte man unweigerlich zu der Überzeugung gelangen, daß die nächste Sturmbö es mühelos vom Quarterdeck losrupfte und kopfüber in die Fluten beförderte. Es knackte und knirschte, und das Dach des Häuschens schien wie dünnes chinesisches Reispapier auf und ab zu flattern.

Der Seewolf stand neben seinem Rudergänger Pete Ballie und rief ihm zu: „Hart Steuerbord, Pete!“

„Hart Steuerbord, Sir!“ Das Ruderrad begann sich unter Petes schwieligen Fäusten zu drehen.

Hasard beugte sich aus dem Ruderhaus, klammerte sich am Türrahmen fest und schrie Ben Brighton, der ihm am nächsten stand, zu: „Ben, wir halsen und gehen Kurs Norden!“

„Kurs Norden – aye, Sir!“

Ben hielt sich an der Balustrade zwischen Quarterdeck und Kuhl fest und gab die Order weiter. Von unten drangen ein paar undefinierbare Rufe zu Hasard, Ben und Pete herauf, aber danach war Carberrys Stimme klar im Heulen des Wetters zu vernehmen.

„Schiften, ihr Kanaillen, und herum mit der Lady, anluven und auf neuen Kurs, dalli, dalli, oder ich mach euch Feuer unter dem Arsch! Donegal, du Stint, nimm deine verfluchte Krücke weg, sonst stolpere ich noch darüber. Beim Donner, Jeff – he, Jeff Bowie! Muß ich dir ein paar Silberbarren in die Taschen stopfen, damit du nicht über Bord gehst? Hölle, Mann, ich spring dir nicht nach, wenn es dich erwischt, merk dir das, du gehörnte Makrele! Hölle und Teufel, Donegal, haust du endlich ab? Was hast du hier auf der Kuhl verloren?“

Der alte O’Flynn antwortete zwar, aber seine Worte gingen in dem Getöse des nächsten Brechers unter, der über die „Isabella“ wegflutete.

Alles schien diese Riesenflut von zischendem, schäumendem Wasser unter sich zu begraben, der von Old O’Flynn prophezeite Untergang schien gekommen zu sein, und als erstes mußte das Ruderhaus fortgerafft werden. Es krachte und donnerte, und das Wasser schoß Hasarad zwischen den Beinen hindurch. Es riß seine Füße weg, und er wäre fortgespült worden, wenn er sich nicht mit beiden Händen festgehalten hätte. Pete Ballie fluchte und hustete und schien Salzwasser geschluckt zu haben. Es knackte in den tiefsten Verbänden der „Isabella“, und jeden Augenblick schien es das Schiff in zwei oder drei Teile zu zerreißen.

Aber das Ruderhaus hielt sich wacker in seinen Verankerungen, und auch die Planken und Verbände trotzten dem Sturm.

Pete Ballie spuckte aus, stemmte sich mit aller Kraft gegen das Ruderrad und rief: „Ich halte Hartruder, Sir, aber, verdammt, wenn das Ruder bricht, sind wir verraten und verkauft!“

„Das verdammte Ruder hat nicht zu brechen, Mister Ballie!“ schrie der Seewolf. „Schreib dir das hinter die Ohren!“

„Aye, aye, Sir!“

Von der Kuhl ertönte wieder das Organ des Profos’: „Donegal, verhol dich, du Rochen, oder ich werde ungemütlich. Du störst mich in der Ausübung meiner … Heda, ihr Satansbraten! Braßt an, braßt an, oder es haut euch die Sturmsegel um die Ohren!“

Dann verfiel er in sein grauenvolles Spanisch: „O, ihr spanischen Himmelhunde, was seid ihr doch bloß für Gestalten! Packt die verdammte Schot an, ihr seekranken Heringe, und laßt sie nicht mehr los, oder ihr fliegt achtkantig von Bord! Donegal, du fliegst gleich hinterheeer …“

Wieder rollte ein Brecher donnernd gegen die „Isabella“ an und ließ alle weiteren Worte Carberrys in seinem Lärmen untergehen. Diesmal rauschten die Fluten jedoch nicht von Backbord heran, sondern erreichten die Galeone mitten im Manöver von achtern. Sie stemmten ihr Heck hoch, hüllten das Achterkastell in einen Mantel von Gischt, drückten das ganze Schiff mit jähem Schub voran und verwandelten die Decks in einen einzigen glatten Abhang.

Old O’Flynn glitt auf der Kuhl aus, hieb Carberry die Krücke gegen das Schienbein und wäre um ein Haar tatsächlich außenbords gegangen, wenn der Narbenmann sich nicht gedankenschnell nach ihm umgewandt hätte. Ein Griff seiner Pranke genügte, und der Alte hing zappelnd und fluchend in der Luft.

 

Mit der anderen Hand hielt sich der Profos am Manntau fest. Es war ein richtiges Wunder, daß er noch stehen konnte, fast alle anderen hatte es umgerissen. Big Old Shane war mit Ferris Tucker ins Gehege geraten, und sie waren ein Stück übers Deck gerutscht und gegen die Gräting geprallt. Jetzt rappelten sie sich wieder auf und brüllten sich gegenseitig an.

Carberry hingegen stand wie ein Baum, schüttelte Old O’Flynn wie einen beim Naschen ertappten Moses und schrie: „Donegal, du Filzlaus, ich hab dir doch gesagt, du sollst dich mit deiner verfluchten Krücke verkrümeln!“

„Du läßt mich ja nicht vorbei!“

„Du triefäugiger …“

„Halt dich zurück, Profos“, brüllte der Alte.

„Wohin willst du denn, du Gewitteraal?“

„Ins Achterdeck natürlich – zu Hasard junior und Batuti!“

Carberry ließ einen grunzenden Laut vernehmen, der im Heulen des Sturmes und im Donnern der See unterging. Dann beförderte er Old Donegal in Richtung auf das Achterdecksschott und entließ ihn mit einem saftigen Fluch und einem wütenden „Das hättest du ja auch gleich sagen können“.

Die „Isabella“ ging auf neuen Kurs und krängte so schwerfällig wie ein todwundes Riesentier vom einen auf den anderen Bug. Mit Steuerbordhalsen segelte sie jetzt nordwärts – hart am Korallenatoll vorbei oder mit Wucht direkt auf die tückischen Bänke, die in der kochenden See weder zu sehen noch zu ahnen waren.

Pete Ballie und sein Kapitän hielten das Ruderrad gemeinsam. Sie bissen beide die Zähne aufeinander, preßten die Lippen zusammen und sprachen kein Wort.

Jetzt mußte sich zeigen, ob Hasards Manöver schnell genug erfolgt war.

Aber kein Schaben und kein häßliches Krachen, kein Ruck, der durch den Rumpf der „Isabella“ lief, kündete von dem Schicksal, das sie alle fürchteten. Nach wie vor segelte ihr Schiff frei in den aufgerührten Fluten. Das heftige Knacken und Knirschen, das bedrohliche Schwanken der Masten, das Brüllen, Heulen und Toben blieben, aber die „Old Lady“ setzte ihren Kiel nicht aufs Riff.

Pete Ballie sah seinen Kapitän über das Ruderrad hinweg an. „Was meinst du, Sir? Haben wir das Atoll hinter uns?“

„Pete, ich bin kein Hellseher.“

„Aber wir schaffen es.“

„Der Teufel soll dich holen, wenn wir irgendwo aufbrummen, Mister Ballie!“

Pete grinste und stemmte sich gegen das Ruderrad. Hasard, der auf der anderen Seite stand, zeigte ebenfalls ein hartes, verwegenes Lächeln.

Ein Brecher schob sich von der Steuerbordseite heran, stieg an der Bordwand der „Isabella“ auf und lappte übers Schanzkleid. Schwerer krängte die Galeone nach Backbord, steiler fielen ihre Decks ab, aber auch diesmal brachte der Sturm sie nicht zum Kentern. Das Wasser sprudelte und rauschte durchs offene Ruderhaus hindurch und näßte die Gesichter und die Gestalten der beiden Männer. Sie prusteten – und grinsten sich immer noch wie die Teufel an.

Auf der Kuhl hatte sich Ferris Tucker mit einem saftigen Fluch von Big Old Shane losgerissen. Er hielt sich in den Manntauen fest, warf einen Blick quer über Deck und brüllte: „Hölle und Teufel! Wir haben unseren schönen Kahn gerade wieder instand gesetzt, und schon kriegen wir wieder was aufs Haupt! Am besten rühren wir überhaupt keinen Finger mehr, das kommt bei der Scheißlady letzten Endes ja doch aufs selbe ’raus!“

Er hatte allen Grund, erbost zu sein: Fast vier Tage lang hatte er mit seinen Helfern an der ramponierten „Isabella“ gearbeitet und die vor Tutuila erlittenen Gefechtsschäden ausgebessert – und jetzt dies!

Serafin und Joaquin, die immer noch verbissen die Fockschot festhielten, wie Carberry es ihnen befohlen hatte, blickten verdutzt zu dem wetternden Rothaarigen hinüber. Sie verstanden kein Wort von dem, was er auf englisch schrie, aber sie dachten, es gelte ihnen – und fuhren unwillkürlich zusammen.

Der Profos hangelte zu ihnen hinüber und begann wieder in seinem schauderhaften Spanisch zu brüllen. „Ihr Kakerlaken, ihr Enkel eines triefäugigen Tintenfischs! Wollt ihr die Scheiß-Schot wohl belegen? Oder wollt ihr daran baumeln bleiben und verhungern, was, wie?“

Die Spanier beeilten sich, seine neue Anordnung zu befolgen, aber sie fühlten sich mehr als verunsichert.

Old O’Flynn hatte derweil unbeschadet das Achterdecksschott erreicht. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, unbedingt nach Batuti und Hasard junior zu sehen – ja, und auch nach dem Mädchen Lavida, das auch im Achterkastell untergebracht war. Schön, der Kutscher und Philip junior wachten an den Kojen der drei Patienten und paßten auf, daß sie nicht herausfielen und sich irgendwo stießen. Aber was war, wenn der Kutscher und Philip junior nicht mehr gegen das Schlingern des Schiffes ankämpfen konnten und Verstärkung brauchten?

Schimpfend löste Old O’Flynn die Verschalkung des Schotts. Er hatte sein Werk vollbracht und wollte das Schott gerade öffnen, da prallte es ihm auch schon entgegen. Der Alte wich schnell einen Schritt zurück, sonst hätte die hölzerne Kante garantiert sein gesundes Bein getroffen.

„Hölle, Tod und Teufel“, schrie er. „Was wird hier …“

Weiter gelangte er nicht. Eine schlanke, geschmeidige Gestalt schlüpfte an ihm vorbei und war auf der Kuhl, ehe er sie daran hindern konnte. Sie arbeitete sich in den Manntauen voran und enterte das Achterdeck.

Lavida, das Polynesiermädchen!

Die Öffnung der Grotte war in der Dunkelheit, die über der Insel Ngau lag, kaum zu erkennen. Rafael Sabicas nahm sie nur vage wahr, er mußte erst ein paarmal mit den Lidern blinzeln, um die bewaldeten Hänge sehen zu können, die links und rechts der Jolle aufstiegen.

Das Boot war aus dem Wasserstollen heraus, und die Piraten pullten gegen die Strömung des Bachlaufes an, der sich etwa vom Zentrum der Insel aus in vielen Windungen durch das Berg- und Hügelland schlängelte und schließlich in der Bucht mündete. Jahrtausende – so nahm der Andalusier an – mußten vergangen sein, ehe das Süßwasser die Grotte in die Felsen gewaschen hatte, die ihr den Ausfluß ins Meer versperrt hatten.

Hoch über den Köpfen der Freibeuter war Bewegung. Sabicas schaute auf. Der Sturmwind bog die Stämme der Bäume und ließ ihre Wipfel rauschen. Oben, im Regenwald, der die Bergkuppen überzog, sang das Wetter sein heulendes Lied, aber hier unten war kaum ein Windhauch wahrzunehmen.

Nahezu lautlos glitt das Boot durch die geschützte Schlucht. Sabicas lehnte sich ein wenig zurück und versuchte, sich zu entspannen. Er hatte es geschafft. Über was machte er sich jetzt noch Sorgen?

„Männer“, sagte er. „Es ist vollbracht. Wir haben dem Teufel ein Schnippchen geschlagen. Hölle, ihr solltet froh darüber sein.“

Keiner antwortete ihm. Selbst Donato schwieg.

Sabicas betrachtete die Mienen der zehn Kerle. Er las darin und wußte plötzlich, warum ihm immer noch nicht ganz wohl in seiner Haut war. Die Meute hatte sich keineswegs beruhigt. Er spürte ihre Niedergeschlagenheit und den schwelenden Zorn.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?