Seewölfe - Piraten der Weltmeere 359

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 359
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-756-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Die Mordküste von Honduras

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Die Nacht hatte sich über die Küste von Honduras und die ihr vorgelagerten Islas de la Bahia gesenkt. Nur hin und wieder riß die Wolkendecke auf, und schmale Streifen fahlen Mondlichts erhellten schwach die weißen Sandstrände.

Die Gestalt des Mannes, der auf einem Hügel der Insel Roatán stand, verschmolz mit der Dunkelheit. Nur sein Kopf bewegte sich, unablässig ließ er den Blick über die tintenschwarze See wandern. Schon vor einer Stunde hatte er aufgehört, sich des Spektivs zu bedienen. Im Büchsenlicht war es unmöglich geworden, durch das Rohr Einzelheiten an der Kimm zu erkennen.

Die Geduld des Mannes, der Viles hieß, wurde auf eine harte Probe gestellt. Erfolglos hatte er den ganzen Nachmittag über Ausschau gehalten. Auch seine Kumpane, die sich bei der Wache auf der Hügelkuppe in sechsstündigem Turnus ablösten, hatten seit Tagen nichts entdeckt. Kein Schiff näherte sich – nichts. Die Nervosität wuchs, der Aufenthalt auf Roatán schien sinnlos zu sein.

Plötzlich aber erstarrte Viles, seine Augen wurden schmal. Er fixierte einen winzigen Lichtpunkt an der östlichen Kimm, der kaum wahrzunehmen war. Dann erspähte er einen zweiten Punkt, der sich nicht sehr weit von dem ersten befand. Er murmelte „Parbleu!“ und beugte sich vor, als könne er aus dieser Haltung heraus mehr Details erkennen.

Gut ein Dutzend Atemzüge lang verharrte er so, dann geriet Bewegung in seine Gestalt. Er wandte sich ab und folgte dem Verlauf des Pfades, der durch den Busch ins Innere der Insel führte. Immer schneller wurden seine Schritte, er lief und konnte es jetzt kaum noch erwarten, seinem Anführer die Meldung zu erstatten.

Licht schimmerte zwischen den Mangroven und Sumpfzypressen, auf einer Lichtung brannte ein niedriges Lagerfeuer, das von der See aus nicht zu erkennen war. Viles eilte zu den Gestalten, die sich im Kreis um die züngelnden Flammen geschart hatten. Sie hörten das Rascheln im Dickicht und die dumpfen Laute seiner Schritte auf dem morastigen Untergrund, fuhren zu ihm herum und griffen in einer instinktiven Bewegung zu den Waffen.

Georges Buisson, der Anführer, riß seine Pistole aus dem Waffengurt und war bereits im Begriff, den Hahn zu spannen, da erkannte er den Mann.

„Viles“, sagte er. „Der Teufel soll dich holen. Hast du die Parole vergessen?“

„Zur Hölle mit der Parole!“ stieß Viles erregt hervor. „Hör zu, Buisson. Zwei Schiffe nähern sich, ihr Kurs scheint genau auf die Inseln gerichtet zu sein!“

Buisson sprang auf. „Du hast ihre Laternen gesehen?“

„Ja. Ich weiß nicht, welche Laternen sie führen, und habe keine Ahnung, wie groß die Schiffe sind oder welcher Herkunft sie sein könnten, aber ich versichere, sie sind nicht mehr als fünf, sechs Meilen von uns entfernt.“

Buisson steckte die Pistole wieder weg. Ein siegessicheres Grinsen glitt über sein Gesicht. Er war breitschultrig und bullig gebaut, mittelgroß und von unbändiger Energie und Tatendrang erfüllt. Kurz waren seine dunklen Haare, bartlos sein kantiges, ausdrucksstarkes Gesicht. Er war ein harter Kämpfer und verfolgte todesmutig jedes Ziel, das er sich setzte. Er trug ein dunkelgraues Hemd und schwarze Hosen, war in der Dunkelheit also kaum zu erkennen.

So auch Viles und die sechs anderen Männer, aus denen die Meute bestand: Alle hatten dunkle Kleidung an, und ihre Pistolen, Musketen, Schiffshauer und Entermesser gaben Auskunft über die Absichten, die sie im Schilde führten.

Schnapphähne waren sie, Glücksritter und Küstenhaie, die auf vorbeisegelnde Schiffe lauerten. El Triunfo an der Küste von Honduras war ihr eigentlicher Sitz, aber sie hatten sich die Islas de la Bahia als vorgeschobenen Stützpunkt und Operationsbasis ausgesucht.

Buissons Entschluß stand fest. Er wollte die fremden Schiffe überfallen, ganz gleich, wie groß sie waren und über wie viele Mann Besatzung und Kanonen sie verfügten. Seit Wochen hatten die Männer nichts mehr erbeutet, kein Kampf hatte im Golf von Honduras stattgefunden. Das Leben in El Triunfo und auf den Inseln schien in platten, eintönigen Bahnen zu verlaufen.

„Tretet das Feuer aus“, sagte Buisson. „Beeilt euch. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Die Flammen erstickten, die Glut erlosch. Die Männer griffen zu ihren Waffen und den Pulverhörnern, jeder Handgriff saß. Buisson setzte sich an die Spitze seines kleinen, aber wehrhaften Trupps, Viles folgte ihm, die sechs anderen schlossen sich ihnen an.

Ihr Weg führte durch den Inseldschungel zu einer kleinen, langgestreckten Bucht am nordöstlichen Ufer. Sie stach wie ein dürrer Finger in den Urwald. Die Luftwurzeln der Mangroven, die sich wie unheimliche Skelette ins Wasser schoben, sowie die geringe Wassertiefe gestatteten es keinem Schiff, die Einfahrt zu passieren und hier vor Anker zu gehen.

Selbst für eine Schaluppe schien die Bucht noch zu eng und zu flach zu sein, doch der Schein täuschte: Buissons einmastige Pinasse lag hier vertäut. Es war ein ideales Versteck für das Fahrzeug, selbst bei hellem Tageslicht waren weder die Bucht noch die Pinasse von der See aus zu entdecken. Nur Eingeweihte wußten von der versteckten Bucht, doch außer den Schnapphähnen existierte niemand, der das Geheimnis kannte. Eingeborene oder rivalisierende Piratenbanden gab es auf den Islas de la Bahia nicht.

Buisson kletterte an Bord der Pinasse, seine Begleiter folgten ihm. Sie gingen schnell und lautlos vor, ohne sich verständigen zu müssen. Jede Bewegung war eingeübt. Schon flogen die Bootsleinen los. Die Männer griffen nach den Riemen, legten sie in die Rundsein und tauchten die Blätter ein. Fast elegant wirkte die Pinasse, als sie durch die Bucht glitt, den dichten Mangrovenvorhang passierte und in See ging.

Schwül war die Nacht, auch die Dunkelheit vermochte die Hitze des Tages nicht zu schlucken. Honduras gehörte wie die Karibik zum Bereich der tropischen Regenklimate. Hier war es ständig heiß, ein jahreszeitlicher, Wechsel trat kaum in Erscheinung.

Buisson hielt pausenlos nach den nahenden Schiffen Ausschau. Bald entdeckte er sie. Es war, wie Viles gesagt hatte: Sie segelten von Ostnordost auf, der Schimmer ihrer Bordlaternen schob sich unaufhaltsam näher heran. Zunächst liefen sie vor dem aus Nordosten einfallenden handigen Wind, dann schienen sie etwas abzufallen und auf Kurs Südwest zu gehen.

„Ausgezeichnet“, zischte Buisson. „Sie gehen uns genau in die Falle und sind höchstens noch drei, dreieinhalb Meilen entfernt. Sie ahnen nichts von dem, was sie erwartet.“

„Was mag ihr Ziel sein?“ fragte einer der Männer hinter Buissons Rücken. Buisson kauerte im Bug der Pinasse und hielt seinen Blick auf die Schiffe gerichtet.

„Vielleicht El Triunfo“, erwiderte Buisson leise. „Vielleicht planen sie einen Überfall auf unsere Siedlung, wer weiß. Möglicherweise sind sie sogar Spanier.“

„Das wäre mir nur recht“, sagte Viles mit verkniffenem Gesicht. „Je mehr ich von den Dons vor die Klinge bekomme, desto lieber ist es mir.“

„Ja. Wir werden siegen“, murmelte ein anderer Mann.

„Gott steh uns bei“, sagte der Mann neben ihm auf der Ducht.

„Beidrehen jetzt“, sagte Buisson. „Wir warten ab, bis sie auf eine halbe Meile heran sind, dann gehen wir auf Parallelkurs. Alles klar soweit?“

„Alles klar“, brummten die Männer.

Keiner von ihnen wußte, ob er den nächsten Tag noch erleben würde.

Die Angriffstaktik, deren Georges Buisson sich bediente, war ebenso simpel wie wirkungsvoll. Auch auf Hispaniola und anderswo in der Karibik wurde sie von Freibeutern angewendet. Je kleiner die dabei benutzten Schiffe waren, desto besser war es.

Klein, wendig und schnell war die Pinasse von Georges Buisson, so schnell, daß sie bei einem Überfall in den meisten Fällen unbemerkt unter den ausgerannten Geschützen einer Galeone herangleiten und längsseits gehen konnte. Bei nächtlichen Unternehmungen waren die Kanonen des Gegners oftmals gar nicht ausgerannt, keiner bemerkte die Piraten, und wenn die Deckswache endlich Alarm schlug, war es meist zu spät.

Dann befand sich die Pinasse längst in Enterposition, und kein Schuß zur wirksamen Verteidigung konnte vom Gegner abgegeben werden. Während er die Handfeuerwaffen holte, enterten Buisson und die Meute an Bord, und ein wildes Handgemenge, Auge um Auge, Zahn um Zahn, entbrannte.

 

Die Methode hatte sich bewährt. Die Pinasse führte an ihrem Mast lediglich ein Lateinersegel, das von der Fläche her jedoch erstaunlich groß war. Die Pinasse war sehr wendig und hatte ausgezeichnete Am-Wind-Eigenschaften. Um aber noch schneller zu sein, benutzten die Männer zusätzlich die Riemen, so auch in dieser Nacht. Als die Schiffe nah genug heran waren, ging Buisson auf Kurs und jagte mit hoher Geschwindigkeit in Lee auf sie zu.

Es handelte sich um zwei Dreimastgaleonen, wie sich beim näheren Heranpirschen herausstellte. Buisson beobachtete sie aus scharfen Augen. Noch hatten die Deckswachen nichts bemerkt, und auf beiden Schiffen schien der Ausguck zu schlafen.

Die Galeonen segelten in schräg versetzter Dwarslinie. Die erste, die im spitzen Winkel auf die Pinasse zuschnitt, war ein Zweidecker, wie Buisson registrierte, bei der anderen imponierte in erster Linie die Größe, die er auf über vierhundert Tonnen schätzte.

Hervorragend armiert waren die beiden Galeonen, aber die Geschütze nutzten ihnen nichts bei der Art von Kampf, wie die Freibeuter ihn der Besatzung aufzuzwingen gedachten. Das Überraschungsmoment würde ein Weiteres tun. Buisson hatte es auf seiner Seite. So gesehen, hatte er einige Chancen, daß ihm der Coup gelang, auch wenn sein Plan ein Wahnsinnsunternehmen zu sein schien.

Die Hecklaternen der Galeonen verbreiteten dämmriggelbes Licht, Einzelheiten ihrer Aufbauten und ihrer Takelung waren zu erkennen. Doch sie führten beide keine Flagge, und es gab auch sonst nichts, was auf ihre Nationalität hinwies. Nur bei der zweiten Galeone war sich Buisson fast sicher, daß es sich – der Bauweise nach – um einen spanischen Kriegssegler handeln mußte.

Nun, er gedachte den Zweidecker zu überfallen. Gelang es ihm, die Mannschaft zu überrumpeln und den Kapitän gefangenzunehmen, dann würde er die Besatzung des zweiten Schiffes ganz einfach erpressen, falls diese das Feuer eröffnen wollte. Durch Geiselnahme konnte man viel erreichen. Auch das wußte Georges Buisson. Er hatte viele Schiffe geentert und kannte sich in allen Taktiken aus.

Die Pinasse glitt auf den Zweidecker zu, die Distanz schrumpfte rasch zusammen. Fast auf gleicher Höhe befanden sich die ungleichen Schiffe. Die Pinasse wirkte neben dem wuchtigen, drohend aussehenden Dreimaster wie ein kleiner Pfeilhecht neben einem Wal.

Buisson gab seinen Kerlen ein Zeichen, und sie brachten den Einmaster noch näher an die Galeone heran. Nichts schien sich drüben zu regen, fast war es, als würde das Schiff von Geisterhand manövriert.

Jetzt ging die Pinasse längsseits, und geschickt lenkten die Männer sie unter den Bug der Galeone. Enterhaken krallten sich an dem schweren Stockanker, an der Ankertrosse und an der Galionsfigur fest. Ein Klirren und ein dumpfer Laut ertönten – und dann war plötzlich der Teufel los.

An Bord der Galeone klang ein schriller Pfiff auf. Jemand fluchte, dann polterten Schritte über die Planken, und ein Mann schrie: „Alarm! An die Waffen! Überfall!“

Auch auf der zweiten Galeone wurde es jetzt lebendig. Rufe hallten von Schiff zu Schiff. Doch nichts konnte Georges Buisson aufhalten. Er sprang als erster von der Pinasse auf die Galionsplattform des Zweideckers, kletterte mit katzenhafter Gewandtheit zur Back hinauf und warf sich den ersten Kerlen entgegen, die ihn erblickten und mit Säbeln angriffen.

Viles und die sechs anderen Freibeuter folgten ihrem Anführer. Als erstes feuerten sie ihre Pistolen ab. Scharf knallten die Schüsse, feurige Lanzen stachen zur Back der Galeone hinauf. Zwei Besatzungsmitglieder brachen mit ersticktem Gurgeln zusammen, einer fiel Buisson vor die Füße.

Buisson hieb mit seinem Entermesser zwei Widersacher nieder, dann drang er zur Kuhl vor. Doch dort wimmelte es von Gestalten, und plötzlich erwiderten die Überfallenen das Pistolenfeuer. Es krachte an mehreren Stellen des Hauptdecks, und im Aufblitzen der Mündungsfeuer vernahm Buisson auch schon das Heransirren der Kugeln. Er duckte sich. Heiß strichen sie über ihn hinweg. Dann stöhnte hinter seinem Rücken jemand auf.

Viles – er war getroffen. Buisson gewahrte nur durch einen raschen Blick über die Schulter, wie er blutüberströmt zusammensank. Buisson schwang sich über die Querbalustrade der Back und landete mitten zwischen den Gegnern auf der Kuhl. Hier ließ er sein Entermesser kreuz und quer durch die Luft pfeifen und trieb eine Bresche in die Masse von Leibern, die ihn umringte. Sie quittierten es mit wütendem Geheul und droschen mit den Blankwaffen auf ihn ein. Die Pistolen konnten sie jetzt nicht benutzen, sie hätten sich gegenseitig gefährdet.

Doch Buisson war unglaublich schnell. Schon war er am Großmast, fegte einen Gegner zu Boden und arbeitete sich weiter nach achtern – zum Achterdeck; dort lag sein Ziel, dort würde er den Kapitän überwältigen und als Geisel nehmen. Der Kampf hatte begonnen, er mußte zu Ende geführt werden.

Buisson wußte nicht mehr, wie es seinen anderen Kumpanen erging. Sie waren hinter ihm in heftige Kämpfe Mann gegen Mann verwickelt. Er konnte sich nicht um sie kümmern. Jeder mußte selbst zusehen, wie er zurechtkam. Er, Buisson, mußte den Kapitän des Schiffes schnappen, sonst war alles verloren. Das Überraschungsmoment war verspielt, der Gegner hatte doch nicht geschlafen, wie er anfangs angenommen hatte. Jetzt gab es nur noch diese eine Chance, gegen die Übermacht zu bestehen.

Trotz der Dunkelheit hatte Buisson erkannt, daß die gesamte Besatzung dieses Schiffes aus dunkelhäutigen Männern bestand, aus Negern, Mulatten, Kreolen und Mestizen. Kein einziger Weißer befand sich an Bord.

Er hob den Blick und gewahrte plötzlich die Gestalt, die an der Schmuckbalustrade des Achterdecks stand. Eine Frau! Eine Schwarze, deren bloße Brüste und muskulöse Arme wie Ebenholz im Mondlicht und dem Schein der Hecklaterne schimmerten! War sie der Kapitän? Unmöglich – Buisson glaubte, seinen Augen nicht zu trauen.

Nur für einen Atemzug war Buisson abgelenkt, doch er vertat dadurch seine Chance, den Backbordniedergang zum Achterdeck zu erreichen. Ein Bulle von Kerl versperrte ihm den Weg – ein riesiger Schwarzer, ein säbelschwingender Hüne, der drohend und wüst mit den Augen rollte.

Buisson riß das Entermesser hoch. Die Klinge flog gegen den Säbel, es klirrte, und der schwarze Riese stieß einen grollenden Laut aus.

In diesem Moment ertönte auch die Stimme der schwarzen Frau auf dem Achterdeck: „Caligula – töte ihn!“

„Ja, Queen!“ brüllte der Riese. „Keine Angst, er entwischt mir nicht!“

Buisson hörte die Schreie seiner sterbenden Kumpane hinter seinem Rücken, und die Erkenntnis durchzuckte ihn siedendheiß: Er hatte diesen Gegner total unterschätzt. Er hatte es mit Piraten aufgenommen, die noch brutaler und skrupelloser vorgingen als er selbst. Aber zur Umkehr war es zu spät, er konnte nicht einmal mehr in die See springen. Der Schwarze drang mit dem Säbel auf ihn ein. Buisson kämpfte um sein Leben.

2.

In der Todesbucht von Gran Cayman fand eine Lagebesprechung statt. Öllampen waren in der Kapitänskammer der „Le Vengeur III.“ entfacht worden. Hier trafen sich Jean Ribault, Siri-Tong, Thorfin Njal und Carlos Rivero. Der Wikinger fluchte am heftigsten, weil er es noch nicht verarbeitet hatte, daß die Black Queen ihnen entgangen war. Aber Siri-Tong gelang es, ihn zu besänftigen.

„Daß der Kampf gegen die Black Queen hier nicht sein Ende findet, habe ich mir gleich gedacht“, sagte sie. „Sie ist zu gerissen, Thorfin. Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir sie endgültig stellen und ganz besiegen.“

„Wir bringen sie zur Strecke“, sagte Ribault. „Sie und ihre Bande. Verlaßt euch drauf.“

Der Wikinger schnaufte wütend. „So! Und kannst du mir vielleicht verraten, wohin sie sich verholt hat?“

Es entstand Schweigen, und sie dachten noch einmal an die Ereignisse, die hinter ihnen lagen. Es war eine heiße Schlacht gewesen. Jean Ribault und die Rote Korsarin hatten sich vor Little Cayman auf die Lauer gelegt und eine Galeone und eine Karacke der Black Queen in die Windward Passage gelockt. Dort hatte es ein Zusammentreffen mit dem Schwarzen Segler gegeben. Die Galeone und die Karacke der Piraten waren versenkt worden – wieder war es gelungen, einen empfindlichen Schlag gegen die Black Queen zu führen.

Anschließend hatten die „Le Vengeur III.“ und „Eiliger Drache“ Kurs auf Gran Cayman genommen. Dort hatte sich mittlerweile jedoch etwas abgespielt, mit dem keiner gerechnet hatte: Eine Gruppe von Meuterern hatte auf der spanischen Kriegsgaleone „Aguila“ kurzerhand das Kommando übernommen und segelte unter der Führung von Carlos Rivero nach Gran Cayman.

Rivero war gegen Mord und Totschlag, auch der Kapitän, die Offiziere und die Seesoldaten der „Aguila“ waren gegen seinen Willen umgebracht worden. Mit der Black Queen, die seine Gefolgschaft und er auf Gran Cayman antrafen, wollte er schon gar nichts zu tun haben. So glitten ihm die Fäden aus der Hand und in einem Zweikampf wurde er von der Queen besiegt.

An eine Felsnadel hoch über der See hatten sie ihn gefesselt, Seevögel sollten ihn zerhacken, wenn er vor Schwäche bewußtlos wurde und starb. Der neue Anführer der Meuterer hieß Jaime Cerrana, ein verschlagener Kerl, der keine Skrupel kannte.

Jean Ribault und seine Gefährten waren jedoch bei Nacht auf Gran Cayman gelandet und hatten den gefesselten Rivero entdeckt. Sie befreiten ihn und brachten ihn an Bord der „Le Vengeur III.“. Hier hatten sie seine Geschichte vernommen und auch die Zusammenhänge erfahren, die zwischen der Reise der „Aguila“ und der französisch-englischen Siedlung El Triunfo an der Golfküste von Honduras bestanden.

Die „Vengeur“ und das Schwarze Schiff waren zur Todesbucht gesegelt, doch Ribault, Siri-Tong und der Wikinger hatten hier nichts mehr vorgefunden. Die „Caribian Queen“ und die „Aguila“ waren ankerauf gegangen und spurlos verschwunden.

„Die Queen ist unterwegs nach El Triunfo“, sagte Jean Ribault. „Ich habe da keinen Zweifel mehr.“

„Das ist nur eine Vermutung“, sagte der Wikinger. „Darauf würde ich meinen Helm nicht verwetten.“

„Den will auch keiner haben, wie oft soll ich dir das noch sagen?“ Ribault war immer noch erregt, das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Sein Entschluß stand bereits fest – er wollte der Black Queen folgen. Er würde nicht eher Ruhe geben, bis er sie besiegt hatte – und mit ihr zusammen Caligula, der ihn seinerzeit ausgepeitscht und ihm somit die größte Schmach seines Lebens zugefügt hatte.

„Bleiben wir bei der Logik“, sagte die Rote Korsarin. „Auch mir erscheint es einleuchtend, daß die Queen und Caligula gemeinsam mit ihren neuen Verbündeten von der ‚Aguila‘ nach El Triunfo ausgelaufen sind. Es zieht sie mit aller Macht dorthin, und sie haben ihre triftigen Gründe dafür.“

„Der Teufel soll dieses Nest El Triunfo holen“, sagte der Wikinger mit grantiger Miene. „Ich weiß nicht mal, wo es genau liegt.“

Rivero musterte den Nordmann mit einem Blick, in dem Furcht und Verwunderung lagen. Wer war dieser behelmte Riese? Ein wandelnder Anachronismus – er schien geradewegs der Vergangenheit entstiegen zu sein, ein Relikt aus der Frühzeit, im ewigen Eis des Nordpols für spätere Jahrhunderte eingefroren und jetzt wieder freigegeben. Welchen Platz hatte er in dieser erstaunlichen Gruppe von Korsaren, wie war er einzuordnen? Und dieses unheimliche schwarze Schiff – woher kam es, aus welchem sonderbaren Holz war es erbaut? Alles das waren Fragen, die auf Carlos Rivero einstürmten und nach einer Antwort verlangten.

„Ich kann die genaue Position von El Triunfo erklären“, sagte er. „Ich könnte sie sogar auf einer Karte einzeichnen.“

„Das nutzt uns nichts“, sagte der Wikinger, dann fügte er mit einem Blick auf Ribault hinzu: „Vorläufig jedenfalls nicht. Wir können nicht auf blauen Dunst nach Honduras segeln und einen Monat wegbleiben, ohne den Seewolf zu unterrichten. Bei Odin und seinen Raben – es ist unsere Pflicht, ihm Bescheid zu geben über diese neue Riesenschweinerei, die die schwarze Höllenwalküre da offenbar ausheckt.“

„Na gut.“ Jean Ribault sah Thorfin Njal offen an. „Dann segelst du eben zur Schlangen-Insel, und Siri-Tong und ich übernehmen es, die Galgenstricke zu verfolgen.“

„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“

Carlos Rivero zuckte unter dem Klang der Donnerstimme des Wikingers unwillkürlich zusammen. Er war sonst nicht ängstlich, das hatte er bewiesen, aber er wußte wirklich nicht, wie er den grollenden Riesen mit dem merkwürdigen Kupferhelm einschätzen sollte.

 

Jean Ribault klopfte Carlos aufmunternd mit der Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, der Weltuntergang steht noch nicht bevor. Thorfin ist immer so. Das darf man ihm nicht übelnehmen.“

„Ich verstehe“, sagte der Spanier. Er war mittelgroß und athletisch gebaut. Sein Gesicht war bartlos und wies als einprägsamste Merkmale ein kantiges Kinn und blaue Augen auf. Geboren war er im nordspanischen Aragón, und von Kind auf war die Seefahrt sein Traum gewesen. Daß die Realität nicht seinen Idealen entsprach, war für ihn ein schwerer Schlag. Dennoch war er nicht bereit, seinen Kampf für eine menschlichere Welt aufzugeben. „Die Black Queen hat schon fast leuchtende Augen gekriegt, als die Leute unseres Schiffes ihr die Umstände in der Siedlung El Triunfo geschildert haben“, fuhr er fort. „Deshalb habe ich keine Zweifel, daß sie zur Küste von Honduras segelt. Ich möchte aber nicht, daß sich daraus für euch Schwierigkeiten ergeben. Ich meine – es darf nicht sein, daß ihr von euren ursprünglichen Plänen ablaßt.“

„Meine Pläne sind auf die Black Queen ausgerichtet“, sagte Jean Ribault grimmig. „Du brauchst dir keine Sorgen zu bereiten, Carlos. Du hast mich in keiner Weise beeinflußt, ich hätte ohnehin versucht, der Queen zu folgen. Mit anderen Worten – du brauchst dich für unser Handeln nicht mitverantwortlich zu fühlen.“

„Sehr richtig“, pflichtete die Rote Korsarin ihm sofort bei. „Und was El Triunfo betrifft, liegt die Motivation der Black Queen nahe: Sie könnte dort im Handumdrehen ganze Hundertschaften von neuen Gefolgsleuten gewinnen, indem sie nämlich die Siedler vor der spanischen Bedrohung rettet.“

„Sie braucht Männer und Schiffe“, sagte Ribault. „Sie will die Schlangen-Insel erobern und sich zur Herrin der Karibik erheben. Wenn es ihr gelingt, ihre Meute zu vergrößern, wird sie unverzüglich an die Verwirklichung dieses Größenwahns gehen. Wir müssen sie daran hindern.“ Er blickte zu Siri-Tong und zu Carlos Rivero. „Ich laufe noch heute nacht aus – mit Kurs auf El Triunfo.“

„Ich bin mit dabei“, sagte Siri-Tong.

„Ich auch“, sagte Carlos, nicht ohne dieser faszinierenden Frau einen bewundernden Blick zuzusenden.

„Verrückt“, sagte der Wikinger.

Unbeirrt fuhr Jean Ribault fort: „Ich habe zwei Gründe dafür, nach Honduras zu segeln. Erstens muß ein Erfolg der Black Queen im Ansatz erstickt werden. Zweitens handle ich auch aus patriotischen Gründen, denn ich denke daran, daß in El Triunfo französische Siedler von den Spaniern niedergemetzelt werden.“

„Bei allen Nordgeistern, du bist nicht mehr zu retten!“ stieß der Wikinger hervor. „Dein Schädel ist hart wie ein Klotz Eisen!“

„Aber Thorfin“, sagte die Rote Korsarin beschwichtigend. „Bist du denn anderer Meinung? Es liegt doch auf der Hand, daß die Black Queen ihre Chance nutzt und in der Siedlung nach Anhängern sucht.“

„Na schön, ich sehe es ein“, sagte Thorfin Njal. „Aber wenn ihr schon so verbohrt seid, dann begleite ich euch lieber. Einen ganzen Monat wird es ja wohl doch nicht dauern.“

Siri-Tong schüttelte den Kopf. „Hasard würde sich die größten Sorgen bereiten. Du hast ganz recht, er muß eine Nachricht von uns erhalten, so schnell wie möglich. Deshalb schließe ich mich dem Vorschlag von Jean an. Segle du zurück zur Schlangen-Insel, Thorfin.“

Der Wikinger kratzte sich sorgenvoll am Helm. „Es paßt mir gar nicht, daß ihr so mutterseelenallein losziehen wollt. Wir haben ja erfahren, was dabei rauskommt.“

„Wir müssen nicht immer Pech haben“, sagte Ribault. „Und aus den Kinderschuhen sind wir auch längst raus. Es wäre nicht ratsam, die Mission El Triunfo durchzuführen, ohne Hasard zu informieren.“

„Ja, ja.“ Finster brütete der Wikinger vor sich hin. Die Sache wollte ihm gar nicht gefallen. Plötzlich hellte sich seine Miene auf, er hob den Kopf. „Ich habe eine bessere Idee! Ich segle der Höllen-Queen nach, und ihr kehrt zur Schlangen-Insel zurück!“

„Das kommt auf keinen Fall in Frage“, sagte Jean Ribault. „Ich habe noch ein Hühnchen mit der Queen zu rupfen – nicht du, Thorfin. Wenn es jemand mit ihr aufnimmt, dann bin ich es.“

„Ihr seid eine verfluchte Bande von Dickschädeln!“ stieß der Nordmann entrüstet hervor.

So diskutierten sie noch eine Weile herum, aber dann wurde der unvermeidliche Entschluß gefaßt. Sie trennten sich. Thorfin Njal verabschiedete sich von den Gefährten, enterte von der „Le Vengeur III.“ ab und ließ sich von Oleg und dem Stör zurück zum Schwarzen Segler pullen, der nur knapp dreißig Yards von der „Vengeur“ entfernt in der Bucht ankerte.

„Also“, sagte er brummig. „Es geht zurück zur Schlangen-Insel.“

„Schlangen-Insel, aha“, sagte der Stör.

„Wir gehen gleich ankerauf, laufen aus“, fuhr der Wikinger mit einem wilden Blick auf den Stör fort, „und segeln mit allem Zeug, es ist keine Zeit zu verlieren. Die ‚Vengeur‘ läuft nach El Triunfo aus.“

„El Triunfo – wo ist das?“ fragte der Stör.

„Du Stockfisch!“ brüllte Thorfin ihn an. „Ich schmeiß dich gleich mit einem Steinchen am Bein in den Teich, dann vergeht dir das dämliche Nachplappern!“

„Es war kein Nachplappern“, erklärte Oleg. „Er will nur wissen, wo dieser Ort liegt.“

„Das weiß ich selber nicht“, brummte der Wikinger – und dann sprach er kein Wort mehr. Er kehrte auf seinen Schwarzen Segler zurück, nahm auf seinem Sesselchen Platz und schüttelte traurig den Kopf, als er kurz darauf die „Le Vengeur III.“ als erste auslaufen sah. Dann ging auch „Eiliger Drache“ in See – mit Kurs auf die Schlangen-Insel.

Mürrisch und verbiestert verfolgte der Wikinger von seinem Lieblingsplatz aus die Manöver. Er gestand es vor sich selbst ein: Richtig wütend war er vor allem, weil er nicht sein „Messerchen“ zu einem neuen Kampf Seite an Seite mit Jean Ribault und Siri-Tong wetzen konnte. Der „läppische Kurierdienst“, wie er den Törn zur Schlangen-Insel nannte, behagte ihm nicht, lieber schlug er sich mit einer Hundertschaft von Gegnern herum.

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