Seewölfe - Piraten der Weltmeere 375

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 375
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-783-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Ein Mann wird ausgesetzt

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Ein unbekannter Künstler hatte ein Porträt von dem Mann aus Genua gemalt, es hing im Escorial. König Philipp II., Seine Allerkatholischste Majestät, verharre, so hieß es, bei seinen Stunden dauernden Wanderungen durch die endlos wirkenden Flure hin und wieder nachdenklich vor dem Bild. Vielleicht sprach er diesem Cristóbal Colón nachträglich seine Anerkennung für die Entdeckung der Neuen Welt aus. Oder aber er ging mit ihm ins Gericht, weil es – eingedenk der Tatsache, daß die Blüte des Imperiums inzwischen zu welken begonnen hatte – möglicherweise doch besser gewesen wäre, wenn der berühmte Dreierverband an jenem 3. August 1492 im Hafen Palos nicht die Anker gelichtet hätte.

Keiner wußte es, und es war letztlich Philipps persönliche Angelegenheit, welchen Inhalts die stummen Zwiegespräche waren. Im übrigen ließen sich die Dinge ja auch nicht mehr aus der Welt schaffen. Der Kontinent Amerika war nun einmal entdeckt und wurde nach Kräften um seine Gold- und Silberschätze erleichtert. Ständig waren die Konvois dickbäuchiger Galeonen zwischen der Neuen Welt und dem spanischen Mutterland unterwegs, der Verkehr florierte und wurde von der Casa de Contratación mit Nachdruck betrieben, weil auch dort noch niemand begriffen hatte, daß das viele Gold und Silber Spanien-Portugals wirtschaftlichen Niedergang und Ruin beschleunigen würde.

Damals, vor über hundert Jahren, war es ein waghalsiges Abenteuer gewesen, den Atlantik zu überqueren. So war Kolumbus als verwegener und tollkühner Mann in die jüngste Geschichte eingegangen. Das Gemälde im Escorial schien denn auch dieses Draufgängertum wiederzugeben, und man konnte nicht umhin: Man mußte ihn bewundern, diesen Mann, der durch sein Unternehmen die Welt verändert hatte.

In Genua selbst wußte man besser über den Sohn des Hafens an der Küste von Ligurien Bescheid. Hier kursierten – bei allem Seemannsgarn, das in den Kneipen und Kaschemmen am Golf gesponnen wurde – weniger vorteilhafte und patriotische Berichte, die das wahre Wesen des Cristofero Colombo zum Inhalt hatten, wie er in seiner Heimat genannt wurde.

Quenglerisch und engstirnig sollte er gewesen sein, selbstüberheblich, eitel, raffsüchtig und kleinlich. Falsches und Richtiges, Frömmigkeit und Aberglauben verquickten sich in ihm, er hätte wenig Bildung und kaum charakterliche Größe. Auch die Begabung zu führen, hätte er nicht, nur ein gehöriges Maß an Sturheit und Engstirnigkeit.

Die Erkenntnisse des Florentiner Gelehrten Toscanelli über die Kugelgestalt der Erde wandte er irrtümlich an, indem er sich in den Kopf setzte, der westliche Indienweg sei der kürzeste. Verbohrt hielt er an dieser Annahme fest, und nichts und niemand vermochte ihn von seinem Wahn abzubringen. Ein geographischer Narr, kein Abenteurer – und seine Entdeckung hatte ihm kein Glück gebracht, nicht die Geltung und die Reichtümer, die er sich erhofft hatte.

Don Rafael Manzano war in Genua gewesen – und hatte sich gründlich umgehört, sozusagen mit dem Eifer eines Forschers. Was er über Kolumbus’ Wesen erfahren hatte, hatte ihn eigentlich in seinem geplanten Unternehmen nur bestätigt. Denn: Kolumbus war ein Pechvogel gewesen, dem es nicht gelungen war, diese oder jene geheime Quelle des Reichtums zu seinen Gunsten auszuschöpfen. Seine Stärke war die Summierung von Schwäche und Unglück gewesen. 1506 war er in Armut und Vergessenheit gestorben.

Don Rafael Manzano war weit davon entfernt, Mitleid mit Kolumbus zu empfinden. Solche Gefühle waren ihm fremd. Er war ein kaltschnäuziger, zynischer Mensch ohne Skrupel und Gewissen. Die Männer seines Schiffes, der Dreimast-Galeone „San Nicolas“, nannten ihn einen brutalen Leuteschinder.

Genua war nur die letzte Etappe Don Rafaels gewesen, ehe er die Reise über den Atlantik angetreten hatte. Weder in Genua noch anderswo, auch das hatte er erfahren, wußte man etwas von der Existenz der geheimen Tagebuchaufzeichnungen des Kolumbus. Das war beruhigend. Im Besitz dieser Unterlagen – auch von Kartenmaterial und Kursberechnungen – war einzig und allein die Casa de Contractación.

Sie war Don Rafaels Auftraggeberin, in ihrem Namen segelte er Ende Februar 1594 mit der „San Nicolas“ nördlich der Turk- und Caicos-Inseln mit Kurs auf die Bahamas.

Don Rafael war nach übereinstimmender Ansicht der Señores von der Casa der beste Mann für dieses Unternehmen: kaltblütig und gründlich, diszipliniert und pedantisch zugleich. Daß er vor seinem Aufbruch so viele Informationen wie möglich gesammelt hatte, sprach für ihn.

Er war somit bestens vorbereitet und nichts konnte seiner Aufmerksamkeit entgehen. Die „San Nicolas“ war ein bewaffnetes Expeditionsschiff mit besonderen Aufgaben: Don Rafael und seine Mannschaft sollten die von Kolumbus und auch von Ponce de León nördlich von Kuba und Hispaniola entdeckten Inseln – also die Bahamas – genau vermessen und dabei feststellen, welche der Inseln dazu geeignet wären, auf ihnen Stützpunkte zu errichten oder sie gar zu besiedeln.

Don Rafael Manzano war der Kapitän der „San Nicolas“ und der Leiter der Expedition zugleich. Sein bartloses Gesicht war von einigen Narben gezeichnet, die von früheren Kämpfen herrührten. Seine Nase war relativ groß, sein Kinn kantig, und der Mund zu einem grimmigen, fast ewig widerwilligen und verächtlichen Ausdruck verzogen. Seine Haare fielen ihm im Nacken fast bis auf die Schultern. Er trug einen flachen Hut und ein Halstuch, keine Uniform und keine Perücke. Er wirkte in seinem gesamten Wesen mehr wie ein Freibeuter, weniger wie der Führer eines Forschungsschiffes.

Die Casa hatte ihm für das Unternehmen alle Unterlagen zur Verfügung gestellt, darunter eben auch das Tagebuch des Kolumbus von seiner ersten Reise. Es war von einem Mann namens Las Casas abgeschrieben worden. Don Rafael war beim genauen Studium dieser Aufzeichnungen auf eine Eintragung, gestoßen, die für ihn von geradezu unerhörtem Wert war. Gleichzeitig hatte er sich vergewissert, daß weder Las Casas noch seine Auftraggeber diesen wenigen Sätzen besondere Bedeutung beigemessen hatten.

Bezüglich der Insel San Salvador, ursprünglich Guanahani, hieß es da: „Auf dieser Insel wird Gold gewonnen, aber die Zeit war zu kurz, um den vollständigen Nachweis dafür zu erbringen. Auch das Gold, das die Inselbewohner als Anhängsel an den Nasen tragen, wird hier gefunden.“

Don Rafael war nicht der Mann, der sich einen solchen Hinweis entgehen ließ. Er war fest davon überzeugt, daß Kolumbus sehr genau wußte, was er seinem Tagebuch anvertraut hatte. Er war entschlossen, dieses von dem Entdecker erwähnte Gold in die eigene Tasche fließen zu lassen.

So steuerte er jetzt als erstes San Salvador an – ohne seinen Offizieren den eigentlichen Zweck zu verraten. Bei einer Versammlung in der Kapitänskammer der „San Nicolas“ erklärte er lediglich: „In Erfüllung unseres Auftrages müssen wir mit der Erkundung genau dort beginnen, wo auch Kolumbus zuerst auf Land gestoßen ist.“

„Ein kleines Eiland, das von den Arawak-Indianern Guanahani genannt wird“, sagte der Erste Offizier Albeniz. „Die Ostseite – also die dem Atlantik zugekehrte Seite – scheint vorgelagerte Klippen und Riffs aufzuweisen, wenn man den Karten vertrauen darf.“

„Richtig. Die Karten stimmen“, sagte Don Rafael. „Wir werden wie Kolumbus die Insel umsegeln und dort ankern, wo auch er landete: in der Mitte der Westküste.“

„Dort warfen die ‚Santa Maria‘, die ‚Nina‘ und die ‚Pinta‘ Anker“, sagte Martin Correa, der Zweite Steuermann. „Dort befindet sich ein meilenweiter weißer Sandstrand.“

„Woher wissen Sie das?“ fragte Don Rafael mißtrauisch.

„Ich habe es gelesen, Señor.“

„Wo denn, wenn man fragen darf?“

Weder Correa noch die anderen Anwesenden – vom Ersten bis zum Profos – wunderten sich über die Schärfe in Don Rafaels Stimme. Er war unberechenbar, man wußte nie, wie er auf irgendwelche belanglose Bemerkungen reagierte. So gesehen, wäre es besser gewesen, wenn Correa den Mund gehalten hätte.

„In einem Buch, das man in Spanien kaufen kann“, erwiderte Correa ruhig. „Es schildert das Leben und die Fahrten des Kolumbus, Señor Capitán. Man kann es überall kaufen.“

„Danke, das genügt.“ Don Rafael war erleichtert. Natürlich kannte er sämtliche Bücher, die über Kolumbus geschrieben worden waren. Belangloses Zeug, dachte er, Plunder, der den wahren Sachverhalt verschweigt.

 

Ständig befürchtete er, jemand könne in der Kapitänskammer herumschnüffeln und die geheimen Aufzeichnungen finden und lesen. Natürlich kam dafür nur einer der Offiziere in Frage, denn das „gemeine Schiffsvolk“, wie er die Decksleute nannte, war weder des Lesens noch des Schreibens kundig.

Und überhaupt – diesem Martin Correa traute er, Don Rafael, nicht recht über den Weg. Der Mann war ihm zu ruhig, zu gescheit, zu aufmerksam. Ständig hatte Don Rafael das Gefühl, von ihm durchschaut worden zu sein. So war schon seit einiger Zeit in ihm der Plan herangereift, sich des Zweiten Steuermannes zu entledigen – so schnell wie möglich und bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot.

Don Rafael räusperte sich. „Um Ihre Darstellung zu vervollständigen, Correa: Der Sandstrand erstreckt sich nach Norden und nach Süden. Dahinter befindet sich bewaldetes Hügelland. Die Hügel sind bis zu hundertfünfzig Fuß hoch. Auf der Insel selbst sind an die achtundzwanzig Binnenseen anzutreffen. Die Insel hat die Form einer Niere, die Mitte der Westküste ist nach innen gewölbt und bietet Schutz gegen die Atlantikwinde. Guanahani ist längst entvölkert, wie Sie vielleicht auch wissen.“

„Natürlich, Señor“, sagte Correa. „Die eigentlichen Bewohner, die Arawaks, wurden in spanische Minen verschleppt oder ausgerottet.“

„Haben Sie dagegen etwas einzuwenden?“ fragte Don Rafael schroff.

„Als Zweiter Steuermann eines Expeditionsschiffes halte ich mich lediglich an die Wahrheit, Señor“, erwiderte Correa.

Die warnenden Blicke, die ihm die anderen Offiziere, vor allem Albeniz, zuwarfen, entgingen ihm natürlich nicht. Aber er konnte nicht anders, er mußte Don Rafael bei jeder Gelegenheit, die sich bot, ein wenig herausfordern. Es war zwar seine erste Reise unter dem Kommando Don Rafael Manzanos, aber er hatte die Besonderheiten dieses Mannes bereits zur Genüge kennengelernt.

Während der Überfahrt hatte Don Rafael einen Decksmann wegen einer Geringfügigkeit brutal auspeitschen lassen. Einen anderen hatte er zwei Wochen lang in die Vorpiek sperren lassen, nur, weil er ein paar Fallen nicht ordentlich genug aufgeschossen hatte. Den Moses ließ er schikanieren, wo er nur konnte. All das ging Correa, der ganz andere Prinzipien hatte, erheblich gegen den Strich.

Don Rafael beobachtete Correa aus schmalen Augen. Sein Mund verzog sich zu einer Grimasse.

„Unser Aufenthalt auf Guanahani wird nicht von langer Dauer sein“, sagte er. „Señores, begeben Sie sich jetzt wieder auf Ihre Posten, und sorgen Sie dafür, daß die Insel in einigem Abstand im Süden gerundet wird. Dann lassen Sie ankern.“ Er hielt seinen Blick unverwandt auf Correa gerichtet. „Sie, Señor Correa, bleiben noch. Ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen.“

Don Rafael saß in starrer Haltung hinter seinem Kapitänspult. Seine Hände lagen auf der Platte, die Finger waren leicht gespreizt. Er hörte nicht auf, Correa zu fixieren, aber der Mann begegnete seinem Blick offen und mit Gelassenheit. Auch dieses Verhalten reizte den Kapitän. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte Correa angeschrien, aber wohlweislich bezwang er diesen Drang.

Correa stand vor dem Pult und sah auf seinen Kapitän hinunter. Sollte er ihm offen sagen, was er von ihm hielt? Nein. Auch er konnte sich beherrschen. Und er wollte nicht riskieren, wegen Insubordination oder Bordrebellion zum Tod verurteilt zu werden. Auch das war Don Rafael nämlich zuzutrauen.

„Señor Correa“, sagte Don Rafael nicht sonderlich laut. „Ich habe eine Sonderaufgabe für Sie. Sie ist geheim. Aus diesem Grund teile ich Ihnen nicht vor dem versammelten Achterdeck, sondern unter vier Augen mit, was ich von Ihnen verlange.“

„Ja, Señor. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen.“ Correa sagte es nicht ohne Ironie, aber Don Rafael schien den Beiklang geflissentlich zu überhören.

„Sie wissen ja noch gar nicht, was Sie erwartet.“ Offener Hohn schwang in Don Rafaels Stimme mit, jedes Wort war eine Herausforderung. „Ich werde Sie auf der Insel aussetzen.“

„Aus welchem Grund?“

„Zu Forschungszwecken. Offiziell wird es heißen, daß Sie sich dazu freiwillig gemeldet haben“, entgegnete Don Rafael. „Sie sind ja ein kluger Kopf und scheinen sehr wißbegierig zu sein.“

„Das ist richtig, Señor“, sagte Martin Correa kalt. „Aber Sie wollen mich allein auf Guanahani zurücklassen und einfach weitersegeln?“

„Selbstverständlich. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Bis wir alle Inseln angelaufen und genau untersucht haben, vergehen ohnehin Wochen.“

Correa war wie vor den Kopf gestoßen. „Dann setzen Sie auf jeder Insel einen Mann aus und reduzieren dadurch die Besatzung?“

„Das werde ich mir noch genau überlegen. Im übrigen dürfen Sie die Entscheidung ruhig mir überlassen“, erwiderte Don Rafael. „In erster Linie geht es mir jetzt einmal um Guanahani. Sie werden die Insel genau vermessen und erkunden.“

„Geben Sie mir sechs Männer, und ich bringe Ihnen die gewünschten Ergebnisse innerhalb von zwei Tagen.“

„Nein. Das dauert mir zu lange.“

„Señor Capitán, ich sehe keinen Sinn darin, wochenlang allein auf der Insel zu bleiben.“

Don Rafael erhob sich langsam. „Mit anderen Worten, Sie weigern sich, den Befehl auszuführen?“

„Nein, das tue ich nicht.“

„Ich verstehe Sie nicht ganz.“ Don Rafael trat hinter dem Pult hervor und blieb dicht vor Correa stehen. „Was soll das, wenn Sie versuchen, mit mir über diese Order zu diskutieren?“

Er wartete nur darauf, Correa abführen und bestrafen zu lassen. Es gab zwei Möglichkeiten, den Mann zum Schweigen zu bringen. Entweder blieb er auf San Salvador, oder aber er wurde durch ein Bordgericht zum Tod verurteilt. Correa spürte genau, auf was der Kapitän hinauswollte. Er war ihm lästig. Kritik an Bord der „San Nicolas“ wurde nicht geduldet.

Schweigend standen sie sich gegenüber. Ihre beiderseitigen Animosität war nie deutlicher zum Vorschein getreten.

„Sie lassen mir also keine Wahl?“ fragte Correa endlich.

„Natürlich nicht. Entweder lassen Sie sich aussetzen, oder aber Sie werden wegen Befehlsverweigerung und damit Anstiftung zur Meuterei an die Rah geknüpft“, erwiderte der Kapitän. „Habe ich mich jetzt deutlich genug ausgedrückt?“

„Ja, Señor.“

Don Rafael sah jetzt keinen Grund mehr, das wahre Ziel zu verheimlichen. Correa würde keine Gelegenheit dazu haben, es jemand anderem mitzuteilen. Außerdem war er viel zu ehrenhaft und pflichtbewußt. In diesem Punkt konnte sich Don Rafael auf ihn verlassen – wie auch in allen anderen Angelegenheiten des Borddienstes. In dieser Hinsicht verkannte er Correa also, indem er ihn für einen verkappten Meuterer hielt. Unterschwellig war ihm das bewußt, nur wollte er es vor sich selbst nicht eingestehen, denn dahinter stand die Tatsache, daß ein Mann wie Martin Correa ein besserer Schiffsführer gewesen wäre als Don Rafael Manzano mit seinem skrupellosen, eigensüchtigen Charakter.

„Sie haben die Ehre, aber geheime Aufgabe, im Auftrag der Casa de Contratación auf der Insel nach Gold zu fahnden“, sagte Don Rafael. „Es besteht kein Zweifel daran, daß es dort welches gibt, denn das geht aus den geheimen Unterlagen der Casa hervor.“

„Darf ich mir diese Unterlagen ansehen?“

„Nein, Sie könnten ohnehin nicht viel damit anfangen“, entgegnete Don Rafael schroff. „Und noch etwas. Falls Sie irgend jemandem etwas über diesen Geheimauftrag verraten, sind Sie ebenfalls ein toter Mann.“ Er hielt es auf jeden Fall für richtig, diese Drohung auszustoßen – damit Correa nicht etwa doch auf dumme Gedanken verfiel.

„Ja, Señor“, sagte Correa wütend.

Don Rafael lächelte dünn und verächtlich. „Vor der Rückreise nach Spanien hole ich Sie hier wieder ab. Fragen Sie mich jetzt nicht, wann das sein wird. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Aber wenn ich mit der ‚San Nicolas‘ wieder hier vor Anker gehe, will ich Ergebnisse von Ihnen sehen.“

„Selbstverständlich, Señor“, sagte Correa. „Wenn es auch nur einen Klumpen Gold gibt, dann finde ich ihn.“

„Gut. So gefallen Sie mir schon besser.“

„Ich werde Ihnen noch zeigen, zu was ich in der Lage bin, Señor Capitán.“

„Recht so.“ Don Rafael entging der Doppelsinn dieser zuletzt von Martin Correa gesprochenen Worte. Er dachte bereits an das Gold, das er von San Salvador abholen würde. Die Vorstellung allein verblendete ihn und versetzte ihn in einen tranceähnlichen Zustand. Er würde ein sehr reicher Mann sein und sich in Spanien zur Ruhe setzen – für den Rest seines Lebens.

2.

Martin Correa war ein geradliniger, tapferer und zäher Mann. Er fand sich mit dem Befehl ab und bereitete sich auf das trostlose Insulaner-Dasein vor. Während die „San Nicolas“ an der Westküste von San Salvador vor Anker ging und das Beiboot abgefiert wurde, räumte er seine Achterdeckskammer. Sorgsam schaute er sich noch einmal um, nachdem er seine Sachen zusammengepackt hatte, aber er hatte nichts vergessen.

Er trug seine Habseligkeiten an Deck und ließ sie von den Decksleuten in das Boot verfrachten. Dann enterte er aufs Achterdeck und begann, sich von den Offizieren zu verabschieden.

Albeniz und die anderen Achterdecksoffiziere bedauerten zutiefst, daß Correa sie verließ. Aber auch die Decksleute waren betroffen – und zum Teil sogar verärgert. Jeder mochte Correa, jeder begriff, daß diese „Sonderaufgabe“ nur eine Schikane von Don Rafael sein konnte, der an Bord der „San Nicolas“ der am meisten gehaßte Mann war.

Aber niemand wagte aufzubegehren, als Don Rafael verkündete: „Señor Correa hat sich bereit gefunden, sich auf Guanahani aussetzen zu lassen, um die Insel genau zu vermessen und zu erkunden. Dieser tapfere und selbstlose Einsatz soll jedem Mann an Bord ein Beispiel sein!“

Correa verließ wortlos das Achterdeck und enterte über die Jakobsleiter in das Beiboot ab. Zwei Rudergasten und ein Seesoldat pullten ihn an Land. Als sich die Jolle mit einem leisen Knirschen in den Sand schob, sah einer der Männer zu ihm auf. Er schien etwas sagen zu wollen, aber Correa schüttelte nur kaum merklich den Kopf.

Jeder Kommentar war überflüssig. Und es war widersinnig und töricht zugleich, den Anlaß für eine Meuterei zu nutzen. Jeder Versuch, den Kapitän zu stürzen, würde mit einem Blutbad enden, ganz abgesehen davon, daß Correa strikt gegen jede Art von Massenaufstand an Bord war. Er hätte – wegen des großen Vertrauens und der Sympathien, die er genoß – die Möglichkeit dazu gehabt, eine Meuterei anzuzetteln, aber es widerstrebte ihm.

Er ahnte jedoch bereits, daß Don Rafael Manzano offenbar die Absicht hatte, hier sein eigenes Süppchen zu kochen. Gold für die Casa? Die Casa wußte nichts von diesem „Geheimunternehmen“, und kein Vertreter des Königs und der Admiralität würde jemals erfahren, daß Don Rafael das Gold unterschlug.

Sollte es auf San Salvador Gold geben und Correas Verdacht bezüglich Don Rafaels Absichten bestätigte sich, würde Correa in Spanien Anklage gegen ihn erheben. Dies nahm er sich vor, als er auf den Strand trat und zurück zur „San Nicolas“ blickte.

Er war empört über diesen Schinder, der ihn eiskalt einem ungewissen Schicksal überließ. Aber er schwieg und gehorchte – angesichts der Tatsache, daß er andernfalls in der nächsten halben Stunde an der Rah baumeln würde. Don Rafael hatte die absolute Macht an Bord der Galeone, unterstützt durch die Seesoldaten, die er als seine Leibgarde betrachtete.

Martin Correas Habseligkeiten wurden an Land gesetzt: eine truhenartige Kiste, ein zugebundener Sack und eine Muskete samt Munition, Spaten, Kessel, Kleidung und anderem Zubehör, vor allen Dingen Proviant und Trinkwasser für die ersten Tage.

„Beeilung!“ rief der Seesoldat den beiden Seeleuten zu. „Wir haben hier keine Zeit zu verlieren! Schnell, zurück zum Schiff!“

Sie verabschiedeten sich von Correa, stiegen wieder ins Boot und pullten zurück zur „San Nicolas“. Correa stand am Strand und sah ihnen nach. Der Seesoldat saß jetzt im Bug des Bootes. Die beiden Rudergasten waren ihm, Correa, zugewandt. Sie schnitten verdrossene Mienen.

An seinem verbissenen Gesicht konnten sie leicht erkennen, daß hier von „freiwillig“ keine Rede sein konnte. Aber niemand wagte, Fragen zu stellen oder sich über das Unternehmen kritisch zu äußern. Das Boot ging bei der „San Nicolas“ längsseits und wurde wieder an Bord gehievt.

Die „San Nicolas“ ging ankerauf, um die nächste Insel anzusteuern – Santa Maria de la Concepción beispielsweise, Fernandina oder Ymey. Martin Correa blickte ihr nach, hob aber nicht die Hand zum Gruß. Niemand winkte ihm zu. Don Rafael Manzano hatte den Befehl gegeben, solche „Rührseligkeiten“ gefälligst zu unterlassen.

 

Correa drehte sich langsam um. Sein Blick wanderte über den Strand und die Hügel im Inneren der Insel.

„Einen schönen Tag wünsche ich“, sagte er zu nicht vorhandenen Zuhörern. „Hoffentlich bin ich hier auch willkommen. Ich bin gewissermaßen als Nachhut des Señor Kolumbus hier.“

Reiner Galgenhumor, aber irgendwie mußte er sich selbst bei Laune halten, sonst scheiterte er schon in den ersten Tagen an der Einsamkeit und dem Problem der Nahrungsmittelbeschaffung. Mit grimmiger Miene begann er, sich mit seinen Sachen zu beladen und sie zu den Palmen zu tragen, die freundlich zu ihm herüberzugrüßen schienen.

Es war ein sonniger Tag, und die Palmenwipfel spendeten nur wenig Schatten. Martin Correa ließ sich auf seiner Kiste nieder, wischte sich den Schweiß von der Stirn und verfluchte Don Rafael, die Casa de Contratación, den König von Spanien, Kolumbus und alle, die entfernt mit der ominösen „Expeditionsreise“ zu tun hatten. Die Mastspitzen der „San Nicolas“ waren an der Kimm verschwunden. Jetzt halfen weder Humor noch Selbstironie, das Gefühl des Alleinseins zu übergehen.

Er war auf sich allein gestellt und den Unbilden der Natur ausgeliefert. Das Wetter konnte umschlagen, sozusagen von einem Moment zum anderen. Im Dickicht lauerten Gefahren mannigfacher Art: Giftschlangen, giftige Pflanzen und Insekten, um nur einige zu nennen. Vielleicht war Guanahani inzwischen auch wieder bewohnt. Wer sagte ihm denn, daß in den Büschen nicht bereits braunhäutige Gestalten lauerten, die nur darauf warteten, ihn umzubringen?

Er schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Zweck, sich selbst verrückt zu machen. Er mußte sich im Zaum halten und methodisch und mit äußerster Disziplin vorgehen.

Er stand auf und sah sich erneut um, diesmal aufmerksamer. Was war seine vordringliche Aufgabe? Die Suche nach einem Unterschlupf oder die Erforschung der Insel?

Hier war es die Logik, die zur Entscheidung führte. Es war bereits Nachmittag, der Tag würde rasch zur Neige gehen. San Salvador war zu groß, er würde mehr als einen ganzen Tag brauchen, um die neue Umgebung zu erforschen. Viel wichtiger war, eine behelfsmäßige Behausung zu finden oder zu errichten und das „Gepäck“ zu verstauen. Wenn es in der Nacht regnete, mußte er einen Platz zum Unterkriechen haben, nicht nur um seiner selbst willen, sondern auch wegen des Pulvers und des Proviants, die nicht naß werden durften.

Correa bewaffnete sich und betrat den Urwald. So dicht und verfilzt, wie er auf den ersten Blick wirkte, war er nicht an allen Stellen. Correa entdeckte eine Passage, eine Art natürlichen Pfad zwischen Mangroven, Lianen und Pflanzen mit schweren, feuchten Blättern. Er folgte seinem Verlauf und erreichte nach einem Marsch von schätzungsweise einer halben Stunde den ersten der über zwei Dutzend Binnenseen.

Hier wählte er auf einer leichten Anhöhe am nördlichen Ufer einen Platz zwischen zwei uralten, knorrigen Mangrovenbäumen aus, der ihm für eine erste Hütte geeignet erschien. Geschützt im Inneren der Insel lag dieser Ort. Die Bäume vermittelten ein Gefühl der Sicherheit, aber vielleicht war das auch nur eine Illusion.

Correa holte seine Habseligkeiten. Er mußte den Weg dreimal zurücklegen, um die Kiste, den Sack, die Werkzeuge, den Proviant und das Trinkwasser zum Ufer des Sees zu tragen. Dann hatte er es geschafft. Wieder wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht. Es war ein warmer Tag. Schwül, drückend und lähmend war die Luft auf Guanahani. Correa hoffte inständig, daß es nicht immer so war.

Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatte er aus Ästen und Zweigen der Urwaldbäume, die er mit einem Säbel abhieb, ein Schutzdach geflochten, das er zwischen den Stämmen der beiden alten Mangrovenbäume errichtete. Vorerst genügte ihm dies als Unterschlupf. Er ließ sich erneut auf seiner Kiste nieder, wartete noch ein wenig und verzehrte dann etwas von dem Dörrfleisch und dem Schiffszwieback, die er aus dem Sack hervorholte. Eine frugale Mahlzeit. Aber besser als gar nichts, dachte er und spülte mit etwas Wasser nach.

Das Wasser würde als erstes zur Neige gehen. Am Morgen, so nahm er sich vor, würde er nach einer Quelle suchen, dann nach jagdbarem Wild, Beeren und Wurzeln. Erst danach würde er beginnen, nach dem Gold zu forschen, das es angeblich auf San Salvador geben sollte. So gesehen, war das Gold das Unwichtigste.

Correa versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen wäre, wenn ihn ein Sturm als Schiffbrüchiger an den Strand der Insel geworfen hätte. Er hätte nichts zu essen und zu trinken gehabt, keine trockene Kleidung und keine Waffen. Er hätte sofort Hunger und Durst gelitten und wäre vielleicht krank geworden.

In seiner Lage hingegen genoß er das Privileg, mit allem Notwendigen ausgestattet zu sein. Sein Magen knurrte nicht, und die Zunge lag ihm nicht pelzig im Gaumen. Er konnte sich gegen wilde Tiere verteidigen – und auch gegen Menschen, wenn es sein mußte.

Aber Gefahren gab es trotzdem noch genug. Correa war kein ängstlicher Mann, aber er schlief in dieser Nacht nur wenig, denn er fühlte sich noch nicht sicher genug.

Am nächsten Morgen begann er sehr früh mit der Erkundung von Guanahani. Er erforschte über die Hälfte der Seen und der Landschaft, in die sie eingebettet waren, entdeckte tief im Inneren der Hügelkette eine Süßwasserquelle und sah hin und wieder auch größere Vögel aufflattern. Eine kleine, geschützte Bucht schien ideal für den Fischfang zu sein. Er brauchte nur ein Netz oder eine einfache Angel herzustellen.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?