Seewölfe - Piraten der Weltmeere 432

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 432
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-840-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Wölfe im Konvoi

Sie sollten für die Spanier Geleitschutz fahren – und dann fehlte eine Galeone

Die Insel La Plata nördlich des Golfes von Guayaquil war wie eine Festung, und sie hatte nur einen einzigen Zugang, der auf der Südseite lag und in eine kleine Bucht führte. Diesen Zugang verriegelte die „Estrella de Málaga“, besetzt mit den harten Kämpfern des Seewolfs. Und oben in den Felsen der Insel lauerten die anderen Kämpfer aus dem Bund der Korsaren, bereit, mit Wurfbomben, Musketenfeuer, Brand- und Pulverpfeilen jeden Landeangriff abzuschlagen. Don Pascual de Alcedo, der Generalkapitän, meinte, mit seiner Kriegsgaleone und vier armierten Schaluppen leichtes Spiel gegen die „Estrella de Málaga“ zu haben – die Insel würde er sowieso im Sturm nehmen. Was jedoch folgte, das war ein totales Fiasko für die Dons …

Die Hauptpersonen des Romans:

Don Miguel de Xeres – der Generalkapitän beschlagnahmt eine Kriegskaravelle und weiß nicht, was er sich damit antut.

Philip Hasard Killigrew – beweist wieder einmal, daß Frechheit siegt.

Edwin Carberry – meint, daß die dümmsten Bauern die größten Kartoffeln hätten.

Ben Brighton – mimt einen verständnisvollen spanischen Seeoffizier.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

Aus halb geöffneten Lidern blickte Don Miguel de Xeres in das Sonnenlicht, das von den kleinen Bleiglasfenstern gebrochen wurde und bizarre Muster auf den Steinfußboden zeichnete. Er atmete tief durch. Sein Blick wanderte weiter nach links und verharrte auf dem beeindruckenden Bild, das sich seinen Augen bot.

Maria Maroto, die Kapitänswitwe, stand an der Waschschüssel und seifte ihren nackten Körper ein. Sie hatte beachtliche Reize: eine schöne große Kehrseite und starke Hüften, dicke, feste Brüste und gerade Beine. Sie entsprach seinem Idealbild der Frau, sie war „richtig knackig“, wie er zu sagen pflegte, und vor allem war sie so ganz anders als Ermana, seine Frau.

Don Miguel seufzte, schob sich ein wenig höher und verschränkte die Arme unter seinem Hinterkopf auf dem Kissen des zerwühlten Bettes. Er betrachtete Maria bei ihren morgendlichen Aktivitäten und fand, daß er eigentlich mit sich und der Welt zufrieden sein konnte.

Ermana war weit weg – daheim in Bilbao, wo sie ein kleines Häuschen hatten. Dort saß sie und strickte ihre harten, kratzenden Wämser und Beinkleider, die er nur mit Widerwillen trug. Jetzt, im November, pfiff ein eisiger Wind über die Küste des Baskenlandes, und nur ganz harte Männer wie Don Miguel wagten sich auch bei Sturm und Regen vor die Haustür.

Doch hier, in Trujillo an der westlichen Küste von Neu-Granada, lebte es sich viel besser. Hier war jetzt Sommer, heiß zwar, aber unmittelbar an der Küste in den Nächten frisch und sehr kühl. Es gab genug zu essen und reichlich Wein aus der Heimat Spanien, und ein Mann wie Don Miguel genoß alle Vorzüge seines Ranges.

Schließlich war er Generalkapitän und Geleitzugkommandant, und somit hatten ihm nicht einmal der Stadtkommandant oder der Hafenkapitän von Trujillo Befehle zu erteilen. Er, Don Miguel, war sozusagen der unumschränkte Herrscher, und alles hörte auf sein Kommando, auch Maria Maroto natürlich.

Es würde seine Zeit dauern, bis er nach Spanien zurückkehrte. Praktisch war er auf unbegrenzte Zeit in die Neue Welt versetzt worden, und solange er seine Aufgaben zur Zufriedenheit der Admiralität erfüllte, brauchte er sich nicht zu sorgen.

Ständig gab es neue Konvois, die zusammengestellt wurden. Das Geschäft mit dem Gold und Silber lief prächtig, und jeder Geleitzug hatte es mehr denn je nötig, entsprechend geschützt und abgeschirmt zu werden, denn die Bedrohung durch Freibeuter und Piraten wuchs ständig – auch an dieser Seite des Kontinents.

Engländer und Franzosen, Holländer und Skandinavier, kurz, Schnapphähne und Galgenstricke aus aller Welt überfielen spanische Galeonen. Hin und wieder gelang ihnen ein erfolgreicher Raid, ein tollkühner Handstreich, bei dem sie Barren, Schmuck und Edelsteine erbeuteten. Aber genauso groß – oder vielleicht noch größer – waren ihre Verluste. Bei Feuergefechten zogen sie meistens den kürzeren.

Don Miguel de Xeres war, was die Piraten betraf, hart und unerbittlich. Er tötete sie, wo er nur konnte, und wenn einer dieser Kerle gefangen wurde, ließ er sich durch dessen Flehen um Gnade nicht erweichen. Er entschied nur, ob der Mann aufgehängt oder erschossen werden sollte, den Rest überließ er dem Peloton.

Er war kein Sadist oder Menschenschinder, er handelte im Interesse der spanischen Krone und richtete sich nach seinen Befehlen. Nur ein toter Pirat war ein guter Pirat – und nur durch Härte konnte man mit diesem Gesindel aufräumen und es nachhaltig einschüchtern.

Manchmal war in Trujillo die Rede von einer anderen Kategorie Männer, die sich angeblich zum Ziel gesetzt hatten, durch faire Kämpfe Spanien-Portugal in der Neuen Welt den Rang abzulaufen. Sie waren – so hieß es – keine primitiven, grausamen Schlagetots und Küstenhaie, sondern aufrichtige und ehrbare Männer aus aller Herren Länder, die mit sogenannten Kaperbriefen versehen waren und somit den Segen ihrer Herrscher hatten, insbesondere der englischen Königin Elizabeth I.

Da sollte doch tatsächlich ein Kerl die Karibik verunsichern, der „El Lobo del Mar“ genannt wurde, der Seewolf. Mit richtigem Namen hieß er offenbar Killigrew, wenn man dem Glauben schenken durfte, was in den spanischen und portugiesischen Häfen erzählt wurde. Er hatte ein kleines Heer um sich versammelt, dieser Killigrew, und er sollte auch mit Indianern und Schwarzen und sogar Gelbhäutigen paktieren.

Einen „Bund der Korsaren“ sollte er gegründet haben, wurde in den Kneipen bei Wein und Bier gemunkelt. Bis heute war es keinem gelungen, seinen Schlupfwinkel zu finden und auszuheben. Somit war der Seewolf schon zu seinen Lebzeiten eine Legende.

Don Miguel pflegte über solches Seemannsgarn und alle diese Gerüchte im allgemeinen nur spöttisch zu lächeln. Er versah seinen Dienst in der Neuen Welt bereits seit über fünf Jahren und war nicht nur in Trujillo, sondern auch in Panama, Acapulco, Vera Cruz und anderswo gewesen.

In dieser Zeit war er dem berüchtigten Seewolf nie begegnet. Er hatte keines seiner Schiffe auch nur von weitem gesehen. Nun, er wollte nicht leugnen, daß es diesen Kerl wirklich gab, aber mit Sicherheit maß man ihm mehr Bedeutung bei, als angemessen war. So gefährlich wie sein Ruf war er auf keinen Fall.

Maria Maroto betrachtete ihren Geliebten im Spiegel und lächelte.

„Über was grübelst du denn so angestrengt nach?“ fragte sie mit ihrer weichen, warmen Stimme.

„Über Piraten“, erwiderte er.

„Ausgerechnet jetzt?“

„Du weißt, daß wir heute nachmittag auslaufen.“

Sie drehte sich zu ihm um, ihre Augen weiteten sich. „Und du denkst, es könnte Ärger geben?“

„Nein, nein, aber ich muß natürlich ständig damit rechnen.“

„Miguelito“, sagte sie. „Ich habe Angst um dich.“

Er stieg aus dem Bett und trat auf sie zu. „Das brauchst du nicht. Ich bin noch immer unversehrt zurückgekehrt. Lange werde ich nicht fort sein. Unser Ziel ist Panama, du kannst dir also selbst ausrechnen, wie viele Tage es dauern wird.“

„Wenn es keinen Sturm gibt.“

„Wir haben erst kürzlich Sturm gehabt“, sagte Don Miguel. „Ich rechne damit, daß das Wetter vorerst beständig bleibt.“

„Trotzdem habe ich Angst um dich.“

Er lachte rauh. „Ich kann auf mich aufpassen.“

„Ich werde beten, daß dir nichts geschieht.“

Er zog sie an sich und küßte sie. Ihr Körper war schlüpfrig wegen der Seide, sie wand sich ein wenig unter seinem Griff. Er spürte ihren Körper und fühlte sich erneut in Erregung versetzt. Gewollt brutal packte er sie und zerrte sie zum Bett – das mochte sie. Sie gab einen quietschenden Laut von sich, in gespieltem Entsetzen, dann sank sie auf das Lager und schloß ihn in ihre Arme.

Der Rausch der. Leidenschaften entführte sie für kurze Zeit in eine andere Welt. Don Miguel fiel es jedoch nicht schwer, rasch wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren. Er stand auf, wusch sich und kleidete sich an.

„Ich muß mich jetzt beeilen“, sagte er. „Noch vor dem Wachwechsel muß ich am Hafen sein. Du weißt, daß ich meinen Männern ständig ein Vorbild zu sein habe.“

Sie trat hinter ihn und schmiegte sich an ihn. „Oh, und wie ich das weiß.“ Ihr Mann, der vor Jahren bei einem Sturm ums Leben gekommen war, war Kommandant einer Kriegsgaleone gewesen. „Aber denke auch an deine Maria, wenn du weit von ihr fort bist, Miguelito.“

 

„Ich denke immer an dich.“

„Ich auch“, sagte sie und seufzte. „Und ich flehe Tag für Tag die Jungfrau Maria an, daß du eines Tages für immer deinen Anker bei mir wirfst.“ Traurig schaute sie ihn über seine Schulter hinweg im Spiegel an, und er fing ihren Blick auf.

Mit einer Hure oder Schlampe hätte sich Don Miguel niemals eingelassen, er haßte sie wegen ihres Schmutzes und ihrer vulgären Art, mit Männern umzugehen, außerdem fürchtete er sich vor Krankheiten. Er hatte diese Witwe Maria Maroto zu seiner Geliebten gemacht, weil sie eine hübsche und gleichzeitig hochanständige Frau war. Die Treue stand für sie an erster Stelle. Niemals hätte sie sich während seiner Abwesenheit mit einem anderen Mann eingelassen. Sie wartete auf ihren Don Miguel und war ihm ehrfürchtig ergeben, außerdem war sie eine gläubige Katholikin.

Aber das Verhältnis hatte auch seine Nachteile. Don Miguel wußte genau, daß er niemals für ewige Zeiten bei ihr den Anker werfen würde. Das konnte er gar nicht. Ermana war die ihm angetraute Frau, und wenn er sie im Stich ließ, gab es Schwierigkeiten. Ein Generalkapitän durfte sich einen derartigen Ausrutscher nicht erlauben, kam es heraus, mußte er mit beruflichen Konsequenzen rechnen. Eine Scheidung gab es nicht, und auf eine Annullierung seiner Ehe durch die „Sacra Ruota“, den Vatikan in Rom, brauchte er nicht zu hoffen. Hierzu fehlten ihm die Geldmittel. Also gab es nur das eine: weiterhin so zu verfahren wie bisher.

Er drehte sich zu ihr um. „Ich bin Seeoffizier, keine Landratte. Denk daran.“

„Ich will nicht, daß du wie mein seliger Alfonso endest.“

„Ich werde mein Bestes tun“, sagte er mit einem Anflug von Sarkasmus in der Stimme.

„Oh, Miguelito!“ stieß sie leidenschaftlich hervor. „Ich liebe dich!“ Sie flog ihm wieder in die Arme, und er preßte sie an sich und küßte sie.

Er mußte sich regelrecht von ihr losreißen, um sich zu lösen. Sie hatte sehr viel Temperament und war heiß und stürmisch. Immerhin war sie Andalusierin, das durfte man nicht vergessen. Jedesmal wenn er sie besuchte, hatte er es schwer, ihr gemütliches Haus wieder zu verlassen. Aber im Grunde fühlte er sich durch die Art, wie sie ihn für sich beanspruchte, auch geschmeichelt.

„Ich gehe jetzt“, sagte er.

„Ich bereite dir noch ein Frühstück!“

„Nein, dazu ist keine Zeit.“

Maria verstellte ihm den Weg zur Tür. „Versprich mir, daß du zurückkehrst!“

„Natürlich tue ich das“, sagte er lachend und tätschelte ihre Wange.

„Schwöre es!“

„Also gut, ich schwöre es.“

„Warum hast du Ermana überhaupt geheiratet?“ fragte sie mit traurigem Gesicht.

„Du sollst mich das nicht fragen“, erwiderte er streng. „Wir hatten das so vereinbart. Oder hast du das schon wieder vergessen?“

„Nein, habe ich nicht. Aber warum hast du sie geheiratet?“

„Es war der größte Fehler meines Lebens.“ Sanft schob er sie zur Seite. „Aber verlangst du etwa von mir, daß ich sie töte?“

„Nein! Nur das nicht!“

„Siehst du. Dann laß uns nicht mehr von ihr reden, sonst drehe ich ihr noch den Hals um, wenn ich einmal wieder heim nach Bilbao segle.“

Selbstverständlich konnte Maria einen Mord mit ihrem christlichen Gewissen nicht vereinbaren.

„Nein, Miguelito“, hauchte sie. „Vergiß, was ich eben gesagt habe. Ich – ich habe es ja nicht so gemeint.“

„Gut.“

„Versprich es mir.“

„Ich schwöre es“, sagte er lächelnd, dann küßte er sie ein letztes Mal und verließ das Haus.

Es stand am Rande der Stadt etwas erhöht auf der Kuppe eines flachen Hügels. Man hatte von hier aus einen wunderbaren Ausblick über ganz Trujillo, den Hafen, die See und die umliegenden Hügel. Der Duft des Salzwassers verband sich mit den schweren, würzigen Dünsten des nahen Urwaldes.

Ja, es war ein schöner Platz, dieses Trujillo, alt und geschichtsträchtig obendrein, wie Don Miguel wußte. Er mochte diesen Ort, und er war stolz darauf, als Generalkapitän und Geleitzugkommandant hier zu sein.

Zielstrebig marschierte er zum Hafen hinunter. Er wußte, daß Maria Maroto ihn jetzt durch das Fenster mit ihrem Blick verfolgte, aber er wandte sich nicht zu ihr um. Das konnte er sich nicht erlauben, denn er mußte damit rechnen, beobachtet zu werden.

Aus schmalen, prüfenden Augen spähte er zu der Ansammlung von Schiffen. Sie lagen auf der Reede vor Anker oder waren an den Piers vertäut. Die dreimastige Kriegsgaleone „Santa Marta“, sein Flaggschiff, lag um diese Stunde voll ausgerüstet zum Auslaufen bereit, während an Bord der anderen Schiffe noch letzte Vorkehrungen getroffen wurden.

Ein feiner Konvoi, dachte Don Miguel, mehr als zwei Dutzend Schiffe, und doch reichen sie nicht aus. Wir brauchen noch mehr Schiffsraum und Begleitschutz.

Doch woher sollte er weitere Schiffe nehmen? Es gab höchstens die eine Möglichkeit – daß ein oder zwei Schiffe zufällig den Hafen von Trujillo anliefen. Er konnte sie dann für seine Zwecke requirieren, das stand in seiner Macht. Doch es war höchst unwahrscheinlich, daß in der kurzen Zeit, die noch bis zum Auslaufen des Konvois blieb, irgendein Segler vor der Küste auftauchte.

Der Großmars der „Santa Marta“ war besetzt. Ein Seemann namens Palmaro versah den Posten des Ausgucks. Soeben enterte ein zweiter Seemann zu ihm auf und schwang seine Beine über die Segeltuchumrandung. Er hieß Siro und stammte wie Palmaro zufällig auch von der Insel Mallorca, wo sich ihre Geburtshäuser sogar in demselben Dorf befanden. So war es kein Wunder, daß Palmaro und Siro Freunde waren. Sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel.

Palmaro spähte durch das Spektiv zum Ufer und ließ es auch nicht sinken, als Siro bei ihm erschien.

„Es ist noch zu früh“, sagte er.

„Egal“, meinte Siro. „Wenn zum Wachwechsel geglast wird, kannst du wenigstens gleich abhauen. Übrigens, ich hab’ uns was mitgebracht.“

„Sei vorsichtig.“

„Das bin ich. He, was ist eigentlich los, daß du dauernd zum Ufer starrst?“

„Ich sehe den Señor Capitán General“, murmelte Palmaro. „Er kommt wie üblich von seinem Stelldichein mit der Witwe.“

„Ach so. Aber er ist allein?“

„Er wird sich hüten, sich mit ihr zu zeigen.“

„Ich habe sie mal im Ort gesehen“, sagte Siro. „Ein Prachtweib! Sie hat so große Brüste.“ Er beschrieb durch eine Gebärde, wie groß sie waren. „Also ehrlich, mit der Señora würde ich auch schon mal gern einen Törn segeln.“

„Sei still“, brummte Palmaro. „Und gib nicht so an. Wenn du es auch nur versuchen solltest, würde dich Don Miguel an der Nock der Großrah aufhängen und zappeln lassen.“

„Ach wo, er hat doch selber Angst, daß irgend jemand von seinem Verhältnis erfährt.“ Siro lachte leise. „Ich glaube, man könnte ihn damit sogar unter Druck setzen.“

Palmaro ließ das Spektiv sinken und sah seinen Freund an. „Wieviel hast du heute früh schon getrunken?“

„Nicht mehr als sonst.“

„Hör zu.“ Palmaro duckte sich so, daß sie durch die Segeltuchverkleidung gegen Blicke von unten geschützt waren. „Sag so was nie wieder, sonst sind wir die längste Zeit Freunde gewesen. Ich kann so was nicht hören. Klar?“

Siro sah ihn überrascht an, dann begriff er. „Klar.“ Er griff unter das Wams und förderte eine winzige Flasche zutage. „Hier, nimm einen Schluck, der tut dir gut. Du stehst schon zu lange hier oben herum, das muntert dich wieder auf.“

Palmaro nahm das Fläschchen entgegen, entkorkte es und trank einen winzigen Schluck. Rum – scharfes, brennendes Zeug. Es war verboten, im Dienst zu trinken, aber Siro war vom Rum und Wein abhängig, er stand ständig „unter Druck“, ohne es sich jedoch anmerken zu lassen.

„Laß dich nicht erwischen“, sagte Palmaro. Er deckte seinen Freund, so gut er konnte, aber er konnte natürlich kein ständiger Beschützer für ihn sein.

Siro grinste, nachdem er selbst einen Schluck Rum zu sich genommen hatte. „Keine Angst, ich kann schon auf mich aufpassen.“

Sie richteten sich wieder auf und warteten auf das Zeichen zum Wachwechsel. Don Miguel de Xeres hatte inzwischen den Hafen erreicht, schritt auf eine der Piers zu und schickte sich an, in die Jolle der „Santa Marta“ abzuentern, die dort vertäut lag. Der Generalkapitän und Geleitzugkommandant begab sich an Bord seines Flaggschiffs.

Zur selben Zeit segelte nicht weit von Trujillo entfernt eine dreimastige spanische Kriegskaravelle auf südlichem Kurs – ein rankes Schiff mit Lateinerbesegelung und guter Armierung. Rein äußerlich betrachtet, handelte es sich bei der „Estrella de Málaga“ um ein reguläres spanisches Kriegsschiff, das sich offensichtlich auf Patrouillenfahrt befand – doch in Wirklichkeit war der Sachverhalt anders.

Die reguläre Besatzung hatte in Guayaquil zwangsläufig von Bord gehen müssen. Kapitän der „Estrella“ war jetzt genau der Mann, an den Don Miguel de Xeres zufällig kurz hatte denken müssen, als er im Bett der Witwe Maroto gelegen hatte: Philip Hasard Killigrew.

Des weiteren waren an Bord jene Männer vom Bund der Korsaren, von denen der Generalkapitän gerüchteweise gehört hatte. Außerdem befanden sich noch ein Indianermädchen, zwei Jungen, ein Hund, ein Affe und ein Papagei an Bord.

Die acht Hühner, die man in einem Verschlag unter der Back untergebracht hatte, waren hingegen spanisches Besitztum, das die Männer unter dem Kommando von Capitán Porfiro bei ihrem überhasteten Aufbruch wider Willen hatten zurücklassen müssen.

Araua befand sich an diesem Vormittag – man schrieb den 6. November 1594 – in der Kombüse und leistete dem Kutscher, Mac Pellew und Eric Winlow, dem Koch von Jean Ribaults Crew, Gesellschaft. Es hatte eine kurze Debatte über die Zubereitung neuer Eierspeisen gegeben, und jetzt rührte der Kutscher in einer großen Eisenpfanne über dem offenen Feuer herum.

Plötzlich öffnete sich das Schott, und Carberry steckte sein mächtiges Rammkinn herein. Er schnupperte prüfend, verzog das Gesicht und fragte: „Was braut sich hier zusammen?“

„Ein Geheimnis“, erwiderte Araua. „Es wird noch nichts verraten.“

Der Profos ließ sich dadurch nicht beirren. Er trat ein, rammte das Schott hinter sich zu und rückte mit mißtrauischem Gesicht auf das Kombüsenfeuer zu. Er beugte sich über die Pfanne, seine Augen verengten sich.

„Kutscher“, sagte er leise und drohend. „Was, zum Teufel, ist das für eine Pampe?“

„Eine neue Eierspeise“, erwiderte der Kutscher mit würdiger Miene.

„Eine was? Zum Einreiben, oder?“

„Natürlich kann man auch leichte Knochenbrüche und Verrenkungen mit Eiern behandeln“, sagte Araua.

Carberry fuhr zu ihr herum. „Wie war das? Nein, das glaube ich nicht.“

„Man stellte eine Art Teig aus rohem Ei, Mehl und Pflanzenbrei her“, erklärte sie gelassen. „Wenn das Ganze um die Blessur gelegt wird und trocknet, wird es bretthart. Dann kann der Knochen sich nicht mehr bewegen, und er heilt innerhalb von einem Mond.“

„Monat“, sagte Eric Winlow.

„Wir sagen Mond“, erwiderte sie beharrlich. Das bedeutet, daß sie keinen weiteren Widerspruch duldete. Sie konnte sehr starrköpfig und eigensinnig sein – aber nur manchmal.

„Nicht zu fassen“, sagte Carberry und deutete wieder auf die Pfanne. „Und was ist das?“

„Ein Geheimnis“, entgegnete der Kutscher.

Carberry stemmte die Fäuste in die Seiten. „Kutscher, ich ziehe dich gleich aus deinem Hemd, du Zander, wenn du glaubst, daß du mich verulken kannst!“

„Also schön – es sind Kräuter-Eier“, sagte Araua.

„Kräuter – was?“ Carberry sah zu ihr, dann zu Mac Pellew, dann zu Eric Winlow. „Spinnt ihr?“

„Nein, es sind Kräuter-Eier“, sagte Araua noch einmal.

„Das gibt’s doch nicht!“ stieß Carberry aufgebracht hervor. „Kräuter mit Eiern – das paßt nicht zusammen!“

„Das habe ich auch gemeint“, sagte Mac Pellew mit verdrießlichem Gesicht. „Aber es hat nichts genutzt.“

„Ich kenne nur Rührei, Spiegelei und Ei mit Speck“, sagte auch Eric Winlow. „Eier mit Kräutern habe ich noch nicht ausprobiert. Ich habe auch gar keine Kräuter, nur Salz.“

„Phantasielos, würde Jean sagen.“ Araua lächelte und deutete auf die Pfanne. „Probier doch mal, Ed, es wird dir bestimmt schmecken. Das Rezept stammt von mir.“

„Es ist vorzüglich“, sagte der Kutscher begeistert. „Genau die richtige Mischung.“

„Pfui Teufel!“ rief der Profos. „Mit dem Fraß könnt ihr mich jagen!“

„Das finde ich aber gar nicht höflich von dir“, sagte Araua. „Traust du mir etwa nicht? Oder habe ich schon mal jemanden vergiftet?“

 

Carberry wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Er kratzte sich zuerst am Kinn, dann am Hinterkopf.

„O nein“, brummelte er dann. „Das nicht. Aber ich – äh, na ja, ich mag kein Grünzeug. Und was ich da sehe, sind grüne Eier.“

„Es sind Kräuter-Eier“, sagte der Kutscher.

So wäre es noch eine Weile weitergegangen, wenn in diesem Moment nicht ein Höllenlärm in der Back ausgebrochen wäre. Wildes Gackern und Kreischen, Zetern und Keckern ertönte, dann fluchte jemand kräftig, und polternde Schritte näherten sich der Kombüse.

Smoky erschien und zerrte den jammernden Arwenack hinter sich her.

„Jetzt habe ich aber genug von dem Kerl!“ rief Smoky. „Er hat schon zum zweitenmal versucht, ein Ei aus dem Nest zu klauen!“

Carberry beugte sich etwas vor und sah den Schimpansen drohend an. Arwenack schien in sich zusammenzukriechen und wurde sehr klein.

„Geh in die Ecke und schäm dich, du Affenarsch!“ fuhr Carberry ihn an – und Arwenack kroch in den dunkelsten Winkel der Kombüse und deckte sein Gesicht mit den Händen zu. Araua mußte an sich halten – fast wäre sie in ein prustendes Gelächter ausgebrochen.

Jetzt erschienen auch die Zwillinge, und Hasard junior fragte: „Was ist hier denn los?“

„Ein Affen-Theater um Kräuter-Eier“, erwiderte Araua. „Dabei wußte ich gar nicht, daß Schimpansen Eier mögen.“

„Wir auch nicht“, sagte Philip junior. „Plymmie hat für die Eier jedenfalls nichts übrig.“

„Vielleicht aber für die Hühner“, sagte Mac Pellew. „Ich an eurer Stelle würde vorsichtig sein.“

„Überhaupt ist es besser, wenn die Hühner von unserem Viehzeug nicht gestört werden“, sagte Carberry. „Was mich betrifft, ich drehe Sir John den Hals um, wenn er auch nur wagt, seinen dusseligen Kopf in den Verschlag zu stecken.“ Er wandte sich zum Gehen, blieb aber noch einmal stehen und deutete auf die Pfanne. „Gebt das Zeug erst mal Arwenack zum Probieren, dann merkt ihr, ob es was taugt. Wenn er heute abend noch am Leben ist, kann meinetwegen auch die Crew einen Schlag davon empfangen. Sonst nicht.“

„Das ist unerhört!“ sagte Araua aufgebracht. „Ich empfinde das als eine Beleidigung!“

Carberry grinste schief. „Ich meine es ja nur gut.“

„Mit wem?“ fragte der Kutscher.

„Mit der Crew. Und zum Mittagessen gibt es Eier mit Speck, verstanden?“ Damit begab sich der Profos auf die Kuhl zurück und stauchte erst einmal wieder kräftig die Crew zusammen.

Araua schüttelte den Kopf. „So was! Dabei sind Truthahneier mit Kräutern bei meinem Stamm ein Leckerbissen.“

Philip junior grinste. „Wir Engländer haben für exotische Kochkunst nicht viel übrig, das weißt du doch. Aber mach dir keine Sorgen, wir essen deine Mahlzeit bestimmt.“

Auf dem Achterdeck sahen sich Hasard, Ribault, die Brighton-Brüder, Karl von Hutten, Pater David, Ferris Tucker und Big Old Shane untereinander mit amüsierten Mienen an. Das meiste von dem, was in der Kombüse gesprochen worden war, hatten sie verstehen können.

„Ich wußte gar nicht, daß man über Hühnereier so heftig diskutieren kann“, sagte Hasard.

„Stellt euch mal vor, die Dons hätten auch noch Schweine an Bord gehabt“, sagte Karl von Hutten lachend. „Das hätte vielleicht ein Hickhack gegeben, wegen der Zubereitung, meine ich.“

„Aber Schweine legen keine Eier“, sagte Ribault mit todernster Miene. „Und sie geben auch keine Milch. Man kann nur ihr Fleisch in der Pfanne brutzeln, beispielsweise mit einer feinen Kräutermischung aus Oregano, Salbei, Rosmarin, Thymian und Basilikum, wie man sie in Südfrankreich …“

„Was?“ brüllte Carberry. „Mister Ribault, wie kann man ein schönes Schweinekotelett bloß so versauen?“

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