Seewölfe - Piraten der Weltmeere 458

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 458
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-866-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Massaker

Sie retteten zu spät – und da packten die Haie zu

Capitán Don José de Moncayo, Kommandant der spanischen Kriegsgaleone „San Jorge“, kümmerte sich zwar nicht um die Rettung seiner eigenen Männer, dafür aber um so mehr um sein eigenes kostbares Leben. Bei ihm heiligte der Zweck die Mittel: Seine Offiziere hatten die Pflicht, sein Leben zu decken. Er floh in den Urwald und setzte schließlich seine Flucht wie ein Affe von Baum zu Baum fort. Der Mann, der ihm allerdings zäh folgte, war Batuti, der schwarze Riese aus Gambia. Und er war es auch, der schließlich den flüchtigen Kommandanten überwältigte. An Bord der „Golden Hen“ meinte der Capitán, sich freikaufen zu können, aber er täuschte sich in Philip Hasard Killigrew. Dafür holte sich Don Juan den Capitán vor die Degenklinge …

Die Hauptpersonen des Romans:

Alberto Sanchez y Loyola – Kommandant einer spanischen Kriegskaravelle, die ihre letzte Fahrt antritt.

Oliver Wyndham – Kapitän der „Seagull“, die in einem geheimen Auftrag nach Westindien gesegelt ist.

Andrew Chester – der Erste Offizier der „Seagull“ stirbt als letzter.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf gibt nicht auf, auch wenn alles dagegensteht.

Old Donegal – seine Ahnungen setzen erst ein, als das Schicksal bereits zugeschlagen hat.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

Don Alberto Sanchez y Loyola war sechsundzwanzig Jahre alt – und bereits Kommandant eines Kriegsschiffes Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien. Noch vor zweieinhalb Jahren war er Dritter Offizier an Bord einer älteren Kriegsgaleone gewesen, die in Gibraltar stationiert war und im Verband mit anderen Schiffen die Meerenge kontrollierte. Dann hatte sich seine Karriere sprunghaft vollzogen. Er war Zweiter Offizier geworden, dann Erster, und danach hatte er den Posten eines alten Kapitäns übernommen, der plötzlich an Herzversagen gestorben war.

Vor einem Jahr hatte man ihn, Sanchez y Loyola, in die Neue Welt versetzt. Er befehligte jetzt ein eigenes Schiff, die Kriegskaravelle „San Valentino“. Sie war erst zwei Jahre alt, solide, wendig und gut armiert. Sie hatte drei Masten, an denen sie Lateinersegel führte. An Schnelligkeit war sie kaum zu überbieten, auch nicht von der „Santa Foca“, mit der zusammen sie den Patrouillendienst südwestlich von Haiti versah.

Haiti – Sanchez y Loyola hatte immer von der Neuen Welt geträumt. Von weißen Sandstränden, gebogenen Palmen, exotischen Früchten, Eingeborenensklavinnen, Gold und Silber. Haiti schien alles das zu halten, was er über die Karibik gehört hatte. Das Leben war herrlich, der Dienst nicht übermäßig hart. Hin und wieder galt es, ein paar Schnapphähne in die Flucht zu schlagen, die sich einbildeten, in der Nähe des Stützpunktes landen zu können. Das war alles. Mit zwei gut bestückten Karavellen wie der „San Valentino“ und der „Santa Foca“ gab es keine Probleme.

Selbstverständlich hatte es Sanchez y Loyola, der dem Nebenzweig eines verarmten Adelsgeschlechts entstammte, nicht seinen besonderen Fähigkeiten als Seeoffizier zu verdanken, daß man ihn so rasch und großzügig befördert hatte. Vielmehr war dies auf die Tatsache zurückzuführen, daß seine jüngere Schwester Gracia Maria vor zwei Jahren einen Beamten der Casa de Contratación geheiratet hatte.

Dieser Schwager hatte einigen Einfluß bei Hofe und pflegte auch Kontakte zur Admiralität, die viel mit Korruption und Schiebereien, jedoch sehr wenig mit ordentlichen und offiziellen Geschäftsverbindungen zu tun hatten.

Nur zu verständlich war es, daß Gracia Maria dafür sorgte, daß es auch ihren Geschwistern so gutging wie ihr. Und Vetternwirtschaft war ja im Mutterland Spanien etwas ganz Gewöhnliches.

Don Alberto Sanchez y Loyola stand an diesem Vormittag des 8. April 1595 auf dem Achterdeck seiner „San Valentino“ und blickte etwas verschlafen drein. Es war eine lange Nacht gewesen. Er warf einen Blick zur „Santa Foca“, die schräg versetzt Backbord achteraus zur „San Valentino“ segelte, und nahm sogar das Spektiv zu Hilfe. Nun, Don Julio de Andregona sah nicht sehr viel besser aus als er. Nicht einmal rasiert hatte er sich. Sanchez y Loyola mußte unwillkürlich grinsen.

Angefangen hatte es mit einem üppigen Abendessen in der Kapitänsunterkunft des Stützpunktes. Der Rotwein war reichlich geflossen, und zum Abschluß hatte es Rum gegeben. Dann hatten Sanchez y Loyola und de Andregona ein paar junge Eingeborenenmädchen zu sich geholt, und der Höhepunkt der Feier war morgens gegen vier, fünf Uhr nahezu in eine Orgie ausgeartet.

Der Stützpunkt war ständig von „diesen Wilden“ umlagert, wie de Andregona sie nannte. Sanchez y Loyola bezeichnete sie als „Indiopack“ und „Kanakenvolk“. Er ging von der Ansicht aus, daß sie getreten werden müßten. Je mehr man sie trat und mit der Peitsche schlug, desto untertäniger wurden sie.

Sie hatten Hunger. Sanchez y Loyola konnte das nicht begreifen.

„Sie sind stinkend faul“, sagte er. „Wenn sie nicht so faul wären, würden sie arbeiten. Wenn sie arbeiten würden, hätten sie genug zu beißen.“

Er vergaß, daß es seine eigenen Landsleute gewesen waren, die diese Inselbewohner ihrer besten Ländereien und ihrer Schätze beraubt hatten. Manchmal fiel es ihm ein, aber er ging darüber hinweg. Im übrigen war er ein Wohltäter der Menschheit. Er gab diesen nackten Wilden zu essen und zu trinken. Sie brachten sich vor Dankbarkeit halb um. Er aber wollte keinen Dank, er wollte die Mädchen.

Je jünger sie waren, desto besser. Für eine Speckseite tauschte man ein blutjunges Ding ein, das einem zu Diensten war, wenn man wollte, das ganze Leben lang. Aber Sanchez y Loyola wollte sie nur für eine Nacht. Danach warf er sie wieder hinaus. Tiere, dachte er, aber sie haben ein gewisses Talent.

Niemals würde seine Schwester erfahren, was er in der Neuen Welt trieb. Sie war streng im katholischen Glauben erzogen und würde niemals billigen, was er tat. So hütete er sich auch, in den Briefen, die er an sie schrieb, die Eingeborenen zu erwähnen.

Katholisch erzogen waren auch Männer wie Sanchez y Loyola und de Andregona. Aber auf Hispaniola sah die Welt anders aus als daheim in Spanien. Der Papst und die Kirche waren weit weg, und alles – die Auffassung und das tägliche Leben – war eine Sache der Auslegung.

So lebten die beiden Kapitäne ihr Leben in vollen Zügen. Sie aßen, tranken und hurten, und keiner behelligte sie dabei, denn nur einmal im Jahr erschien eine Kontrollinspektion. Ihre Schiffsmannschaften hielten sie auch bei Laune. Sie gaben ihnen genug zu essen und zu trinken, und sie überließen ihnen auch die Mädchen. Das nannte man kluge und umsichtige Menschenführung.

Natürlich durfte man die Patrouillenfahrten nicht vergessen. Täglich vier bis sechs Stunden galten den Pflichtübungen – wie jetzt. Mit Kurs Südosten segelten die beiden Karavellen und ließen die Küste der Insel und die Windward-Passage achteraus. Der Wind fiel aus Nordosten ein. Man hatte keinerlei Mühe, den Kurs zu halten. Es war ein ruhiger, uninteressanter Routinedienst. Sanchez y Loyola schlief fast im Stehen ein.

Doch ein Ruf seines Ausgucks im Großmars ließ ihn aufhorchen.

„Mastspitzen!“ rief der Mann. „Backbord voraus!“

Sanchez y Loyola hob wieder träge das Spektiv und spähte hindurch. Er konnte aber keine Mastspitzen entdecken. Sehr scharfe Augen hatte er nie gehabt, er mußte sich auf seinen Ausguck verlassen.

Daß der Mann sich nicht geirrt hatte, bewies die Meldung des Ausgucks, die von der „Santa Foca“ herübertönte. „Mastspitzen!“

„Was für ein Schiff?“ rief Sanchez y Loyola zum Großmars hoch.

„Noch kann ich es nicht erkennen, Señor!“

„Wie viele Masten?“

„Drei!“

„Kurs auf den Dreimaster!“ ordnete Sanchez y Loyola an. „Wir sehen ihn uns mal genauer an!“

Er gähnte hinter der vorgehaltenen Hand. Was für ein Dreimaster sollte das schon sein? Ein Spanier natürlich, ein Landsmann. Wahrscheinlich ein Handelsfahrer auf dem Weg nach Jamaika oder wußte der Teufel wohin – was scherte es ihn? Er, Sanchez y Loyola, würde ihn vorschriftsgemäß überprüfen und dann reisen lassen. Die Kontrolle bestand in den Zurufen „Welches Schiff?“ und „Welcher Kapitän?“ und vielleicht noch „Welche Ladung?“. Damit hatte sich der Fall.

Die Karavellen luvten etwas an und segelten auf den fremden Dreimaster zu.

„Es ist eine Galeone, Señor!“ meldete bald darauf der Ausguck der „San Valentino“.

„Ein Spanier?“ erkundigte sich Sanchez y Loyola gelangweilt und war selbstverständlich sicher, daß es sich um einen Landsmann handelte.

 

Piraten benutzten keine Galeonen, sie hatten entweder flinke Einmaster, Schaluppen oder Pinassen, höchstens aber zweimastige Karavellen. Nur in ganz seltenen Fällen verfügten sie über Galeonen, die sie irgendwo aufgebracht hatten.

„Ich sehe keine Flagge, Señor!“ rief der Ausguck.

„Eine Galeone ohne Flagge?“

„Sie scheint keine Flagge zu führen!“

Sanchez y Loyola wurde nun doch etwas wacher. Kein Spanier segelte durch die Karibik, ohne seine Nationalität durch seine Flagge kundzutun. Hatten sie es also doch mit einem Schnapphahn-Schiff zu tun? Sanchez y Loyola ließ de Andregona signalisieren. Dieser gab durch Zeichen zu verstehen, daß auch er nicht mehr erspäht hatte.

Plötzlich aber stieß der Ausguck der „San Valentino“ einen scharfen Ruf aus.

„Sie setzen die Flagge!“ schrie er. „Es ist die weiße – die mit dem roten Georgskreuz!“

„Der Teufel soll sie holen“, sagte Sanchez y Loyola. „Engländer also? Zur Hölle mit ihnen.“

Die fremde Galeone hatte inzwischen nicht nur die Flagge mit dem roten Kreuz auf dem weißen Feld gehißt, sondern darunter auch einen großen weißen Wimpel mit durchgehendem rotem Georgskreuz.

„Kurs halten!“ schrie Sanchez y Loyola. „Klarschiff zum Gefecht!“

Es wurde rege an Deck der „San Valentino“ und der „Santa Foca“. Die Männer rannten die Kanonen aus und richteten sich auf den Gefechtsstationen ein.

Ein Engländer südlich von Hispaniola, der nicht einmal den Versuch unternahm, seine Herkunft zu verheimlichen – das war ein starkes Stück! Sanchez y Loyola verspürte im Grunde nicht die geringste Lust, sich mit den „verfluchten Bastarden“ herumzuschlagen, aber es war seine Pflicht, das Schiff zu stellen und zu requirieren. Engländer hatten in der Karibik nichts zu suchen, sie war spanisches Hoheitsgebiet.

Diesen Hunden werden wir es jetzt mal zeigen, dachte er, und plötzlich war er hellwach.

Zur selben Zeit näherten sich zwei sehr unterschiedliche Schiffe aus südlicher Richtung der Windward-Passage. Fast schien es unmöglich zu sein, daß sie zusammengehörten – und doch waren die insgesamt drei Crews, die sich an Bord befanden, durch ein Bündnis fest zusammengeschmiedet.

Die schlanke Dreimastkaravelle mit der Lateinertakelung war von den Männern auf den Namen „Golden Hen“ getauft worden, und zwar wegen einer Begebenheit, bei welcher der gute Mac Pellew plötzlich allen Ernstes geglaubt hatte, daß die Hühner, die mit an Bord waren, goldene Eier legten. Daß man ihn gründlich „vergackeiert“ hatte, hatte er immer noch nicht richtig begriffen.

Früher hatte die „Golden Hen“ Piraten gehört. An der Bucht von San Blas waren sie von Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, und dessen Kameraden gekapert worden. Nur ganz wenige Überlebende hatte es bei den Schnapphähnen gegeben, ihr Schlupfwinkel war zerstört.

Wie die Karavelle früher geheißen hatte, war nicht bekannt. Sie war ein guter Am-Wind-Segler, ein Renner obendrein, jedoch war ihre Armierung nicht überragend. Sie verfügte über lediglich zwölf Culverinen, sechs an jeder Schiffsseite, und Drehbassen, die in schwenkbaren Gabellafetten montiert waren.

An Bord befanden sich der Seewolf und dessen Crew sowie Jean Ribault samt Mannschaft, außerdem Pater David und neuerdings auch Don Juan de Alcazar. Von dem Potosi-Unternehmen, zu dem dieser Trupp – außer Don Juan – im vergangenen Jahr aufgebrochen war, war nur ein Mitglied der Expedition nicht lebend zurückgekehrt: Araua, die Tochter von Arkana und Hasard. Im Kampf gegen die chinesischen Piraten hatte sie ihr Leben gelassen.

Bei dem zweiten Schiff handelte es sich um einen düsteren Zweidecker vom Galeonen-Typ, mit dunkel gelohten Segeln. Eine beständige Drohung schien von diesem Segler auszugehen. Es handelte sich um die „Caribian Queen“. Einstmals hatte sie der Black Queen gehört, doch die Black Queen war nicht mehr am Leben, und ihr Schiff gehörte jetzt Siri-Tong, der Roten Korsarin.

Siri-Tong war mit ihrem Schiff und ihrer Crew nach San Blas gesegelt, nachdem auf der Schlangen-Insel die Brieftaubenbotschaft aus Havanna eingetroffen war. Arne von Manteuffel, der zufällig in Panama gewesen war und dort Dan und einen Trupp der Arwenacks angetroffen hatte, hatte den Bund der Korsaren entsprechend unterrichtet.

Die Rote Korsarin hatte Hasard und dessen Trupp abholen sollen, doch wie es der Zufall wollte, hatte der Seewolf sich inzwischen bereits durch eigene Initiative ein Schiff für die Überfahrt zur Schlangen-Insel beschafft.

Ein weiterer überraschender Vorfall hatte sich abgespielt, als Hasard, Ribault und Siri-Tong den Verband spanischer Schiffe aufgebracht hatten, den eigentlich die Piraten hatten überfallen und ausplündern wollen. Sie waren unverhofft wieder auf Don Juan de Alcazar gestoßen, der sich als Gefangener an Bord einer der Galeonen befand.

Don Juans Mission, im Auftrag des Königs von Spanien den Gouverneur von Kuba, Don Antonio de Quintanilla, zu verhaften und nach Spanien zu verbringen, war aufgrund von Intrigen fehlgeschlagen. Die königliche Order als Rechtsgrundlage für die Verhaftung des Gouverneurs wurde ihm an Bord der Kriegsgaleone „San Jorge“ gestohlen und vermutlich vernichtet.

Don Juan selbst war nur mit knapper Not dem Tod entronnen. Die Seewölfe hatten ihn von der sinkenden Galeone abbergen können. Don Juan hatte den Kommandanten der „San Jorge“ – Don José de Moncayo – zur Rechenschaft gezogen und in einem Degenduell getötet.

Danach hatte sich de Alcazar entschlossen, Mitglied des Bundes der Korsaren zu werden. So befand er sich ebenfalls an Bord der „Golden Hen“, und fortan würde er für immer bei den Arwenacks, den „Vengeurs“ und den anderen Freunden bleiben.

Die beiden Schiffe hatten die Morant Keys vor der Südostküste Jamaikas passiert und segelten an diesem Vormittag in Kreuzschlägen gegen den Wind aus Nordosten auf die Windward-Passage zu. Bislang war die Fahrt ruhig verlaufen, wenn man von dem zeitraubenden und arbeitsintensiven Kreuzen absah.

Die Ausguckposten im Großmars der „Golden Hen“ und der „Caribian Queen“ waren wie üblich besetzt, aber auch Dan O’Flynn hielt vom Achterdeck der Karavelle ständig mit seinem Kieker nach allen Seiten Ausschau. Die jüngsten Erfahrungen hatten wieder gelehrt, daß man nicht vorsichtig genug sein konnte. Gerade in diesem Seegebiet konnte man sehr leicht Schnapphähnen, Galgenstricken, Schlagetots und Küstenwölfen aller Art begegnen.

Es schien jedoch auch weiterhin ruhig zu bleiben. Keine Mastspitzen zeigten sich an der Kimm, und auch die Wetterlage deutete auf keine Veränderungen hin. Der Wind wehte beständig aus Nordosten. Keine Wolke war ringsum zu sehen. Nur eine schwache Dünung kräuselte die See.

„So laß ich’s mir gefallen“, sagte Jean Ribault. „Hoffen wir, daß das Wetter so bleibt, bis wir die Schlangen-Insel erreicht haben.“

„Mann, das ist mir viel zu langweilig“, sagte Ferris Tucker.

„Du vergißt, daß wir kreuzen müssen“, sagte Hasard. „Schon dadurch verlieren wir genug Zeit. Was willst du eigentlich? Daß wir auch noch einen Sturm auf die Mütze kriegen?“

„Nein, das meine ich natürlich nicht“, sagte der rothaarige Riese.

Dan grinste. „Ich weiß schon, was er meint.“

„Ja“, sagte Old Shane. „Wie wär’s mit einem Abstecher nach Tortuga?“

„Verrückt, völlig verrückt“, urteilte der Seewolf. „Ich will so schnell wie möglich zur Schlangen-Insel.“

Sie sprachen noch über die Gründe, die Männer wie Ferris Tucker voll Sehnsucht nach Tortuga zogen, da geschah etwas völlig Unerwartetes. Die beiden Schiffe befanden sich inzwischen auf einem Kreuzschlag über Steuerbordbug auf die Südwestküste von Haiti zu. Es war etwa gegen elf Uhr. Mit einemmal rollte schwerer Donner grollend über die See und schien sich genau auf sie zuzubewegen.

„Kanonendonner“, sagte der Seewolf. „Und zwar kommt er eindeutig von Steuerbord voraus.“

„Was ist?“ fragte Old Shane. „Wir halten doch den Steuerbordschlag durch – oder vielleicht nicht?“

Ben Brighton mischte sich ein.

„Ich bin grundsätzlich dagegen, irgendeinem Ärger nachzulaufen“, sagte er in seiner gewohnt bedächtigen Art. „Wir haben schon genug Scherereien und Verdruß gehabt. Und wie Hasard richtig sagte: Wir müssen zusehen, daß wir so schnell wie möglich die Schlangen-Insel erreichen.“

„Was willst du damit sagen?“ fragte Ribault.

„Das wir uns da tunlichst raushalten sollten. Laßt uns wenden und auf den Backbordbug gehen.“

„Im Prinzip hast du recht“, sagte Hasard. „Aber eben nur im Prinzip. Die Praxis sagt mir, daß wir am besten doch mal nach dem Rechten schauen sollten.“

Ben verhehlte seine Skepsis nicht. „Du bist unverbesserlich, wie?“

„Ja“, erwiderte Hasard. „So ist es, mein Guter. Denk aber auch an die ungeschriebenen Gesetze und Regeln der Seefahrt.“

„Ich weiß schon“, sagte Ben trocken. „Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte, heißt das in diesem Fall.“

„Und warum sollen wir uns nicht freuen?“ rief Carberry, und alle lachten dazu.

Wieder erklang der Donner der Kanonen, diesmal dumpfer und schwerer als zuvor.

„Culverinen“, murmelte der Seewolf. „Und es sind mindestens drei Schiffe, die da im Gefecht miteinander liegen. Aber wer mag es sein?“

Die „Caribian Queen“ hatte sich inzwischen von Backbord achteraus nähergeschoben und war – fast auf gleicher Höhe mit der „Golden Hen“ segelnd – auf Rufweite heran. Siri-Tong stieg ein Stück in den Besanwanten der Steuerbordseite hoch. Ihre rote Bluse leuchtete in der Sonne.

„Hasard!“ rief sie. „Was hast du vor?“

„Ich finde, wir sollten nachsehen, wer sich da in die Haare geraten ist!“ schrie er zurück.

„Das ist ganz meine Meinung!“

„Wir segeln also den Steuerbordschlag weiter?“

„Ja!“ rief sie.

„Also gut, ich geb’s auf“, sagte Ben. „Ich bin glatt überstimmt, nicht wahr? Vergeßt aber nicht, daß ich euch gewarnt habe. Ich habe nichts gegen Kämpfe, das hat damit nichts zu tun. Ich bin nur dafür, kein unnötiges Risiko einzugehen.“

„Ben“, sagte der Seewolf. „Du weißt genau, daß ich schon oft auf deinen Rat gehört habe.“

„Ja, weiß ich.“

„Nur – ich will wissen, was da los ist.“

„Das kann ich natürlich auch verstehen“, sagte Ben.

„Also, wir sind uns einig?“ fragte Hasard grinsend.

„Klarer Fall“, erwiderte Ben. „Die Hauptsache ist, daß wir wirklich die lachenden Dritten sind.“

Der Steuerbordschlag wurde von der „Golden Hen“ und der „Caribian Queen“ weitergesegelt. Hasard und Siri-Tong gaben den Befehl, Klarschiff zum Gefecht zu machen, und die Männer öffneten die Stückpforten und rannten die Kanonen aus.

Auf der „Golden Hen“ ging das sehr schnell, auf der „Queen“ dauerte es ein paar Augenblicke länger. Aber Hasard, der wußte, wie begrenzt die Gefechtsmöglichkeiten der Karavelle mit dem Dutzend 17-Pfünder waren, ließ auch die Höllenflaschen und die Brand- und Pulverpfeile bereithalten. Diese „Wunderwaffen“ hatten noch in allen Kämpfen ebenso überraschend wie wirkungsvoll die herkömmlichen Waffen ergänzt.

Die Gefechtsbereitschaft war hergestellt. Auf beiden Schiffen hielt man scharf Ausschau voraus. Aber erst etwa eine Stunde später wurden an der Kimm voraus Rauchwolken gesichtet. Inzwischen war der Kanonendonner in unregelmäßigen Zeitabständen weiter zu hören gewesen. Folglich hatten Hasard und die Rote Korsarin sich nur danach zu richten brauchen, um den Kampfplatz zu orten.

Beim Heransegeln stellte sich heraus, daß sich der Seewolf nicht geirrt hatte: Drei Schiffe lagen im verbissenen Gefecht miteinander, und auf beiden Seiten spuckten die Geschützrohre nach wie vor Feuer, Rauch und Eisen aus.

„Zwei Spanier!“ rief Bill, der im Großmars der „Golden Hen“ stand. „Karavellen! Sie sind gut armiert! Stark armiert! Es sind – Kriegsschiffe!“

„Sie haben eine Galeone in der Zange“, sagte Dan O’Flynn. Er spähte jetzt wieder unausgesetzt durch den Kieker. „Sie wehrt sich verbissen, ist aber bereits schwer angeschlagen.“

„Die Karavellen sind aber auch nicht unbeschädigt“, sagte Hasard, der nun ebenfalls durch ein Spektiv blickte. Dann richtete auch er sein Augenmerk auf die Galeone – und da versteifte sich seine Körperhaltung.

„Hol’s der Henker“, murmelte er. „Das kann doch nicht wahr sein.“

„Die Galeone!“ rief Bill. „Nur ihr Besanmast steht noch!“

„Ja, das sehe ich auch“, sagte Dan. „Aber ich sehe auch die Flagge.“

„Mein Gott“, sagte der Seewolf. „Es ist die englische Flagge und darunter ein Wimpel, ebenfalls mit dem roten Georgskreuz.“

 

„Engländer“, sagte Ben Brighton. „Zur Hölle, du hast doch recht gehabt. Wir müssen ihnen zu Hilfe eilen.“

Es bedurfte keiner Absprache mehr – Siri-Tong und Hasard waren sich auch so einig. Gleichzeitig flog auf beiden Schiffen die schwarze Flagge des Bundes der Korsaren an den Besangaffel hoch, und die Schiffe nahmen Kurs auf die spanischen Karavellen. Die „Caribian Queen“ näherte sich der einen, die „Golden Hen“ der anderen.

Erst jetzt schienen die Spanier an Bord der Karavellen richtig zu begreifen, daß sie gefährlich in die Klemme gerieten. Als es ihnen aufging, war es zu spät zum Rückzug. Der Kampf ging weiter – noch erbitterter als zuvor.

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