Seewölfe - Piraten der Weltmeere 460

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 460
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-868-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Die wilde Horde

Sie waren verludert und heruntergekommen – aber kämpfen konnten sie noch

Dragan, eine der Brieftauben Jussufs in Havanna, war auf dem Schwarzen Segler des Wikingers gelandet und brachte die Nachricht Arne von Manteuffels, daß es den Gouverneur von Kuba wieder einmal nach den Schätzen auf der Schlangen-Insel gelüste – dies allerdings in Unkenntnis der Tatsache, daß die Schlangen-Insel nicht mehr existierte. Drei Kriegsgaleonen, so lautete die Brieftaubennachricht, seien von Havanna aus in Marsch gesetzt worden, um das „Piratennest“ des Philip Hasard Killigrew auszuheben und die Schatzbeute zu vereinnahmen. Aber der Seewolf dachte nicht daran, den drei Galeonen aus dem Weg zu gehen. Nur die „Golden Hen“ und die „Empress of Sea“ segelten nordwärts nach Great Abaco, dem Treffpunkt mit Arnes Galeonen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Mubarak – ein algerischer Piratenhäuptling, dessen Autorität gelitten hat.

Mustafa – der Riese aus Mubaraks Horde wittert eine Chance, sich an den Christenhunden zu rächen.

Jean Ribault – der Kapitän der „Golden Hen“ muß mit einem Ruderbruch fertigwerden.

Renke Eggens und Oliver O’Brien – haben mit der „Wappen von Kolberg“ und der „Pommern“ vor Great Abaco Anker geworfen und sind voller Mißtrauen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Wilde, bärtige, langmähnige Männer hausten auf der Insel Great Abaco, die zu der Gruppe der Bahamas gehört. Doch sie waren keine Eingeborenen, keine Indios oder Inselcaraiben, sondern Menschen einer ganz anderen Abstammung.

Sie waren aus der Alten Welt, ihre Heimat war der Norden Afrikas, Algerien und Marokko. Mit einer Schebecke waren sie im Juni vergangenen Jahres, 1594, über den Atlantik gesegelt und hatten sich in der Neuen Welt reiche Beute erhofft. Doch seit zehn Monaten saßen sie hier, auf diesem Eiland, von dem sie noch nicht einmal den Namen kannten, wie Schiffbrüchige fest.

Piraten – Mubaraks Horde von Galgenstricken und Schlagetots. Daheim, in Algier, hatte Mubarak den Kerlen vorgeschwärmt, wie leicht sie es in diesen Gewässern haben würden, Gold und Silber zu erbeuten.

Wie der Wolf in die Schafherde einfiel, so würden sie spanische Galeonen aufbringen und von den Masttoppen bis zum Kielschwein ausplündern. Begeistert waren die Kerle gewesen, und so hatten sie in dem unbändigen Begehren, neue wüste Abenteuer zu erleben und allesamt reich zu werden, den Atlantik überquert.

Schon bei der Überfahrt brach jedoch fast eine Meuterei aus. Die Zeit verstrich den Kerlen zu langsam, und kein Land kam in Sicht. Sie waren Küstenstrolche, keine Weltumsegler, und fast schien es ihnen, als habe Mubarak sie angelogen und es existiere gar keine Neue Welt.

Aber Mubarak wußte sich durchzusetzen. Er war ein scharfgesichtiger, adlernasiger Mann, schlank, breitschultrig, mit stechenden dunklen Augen und schmalen Lippen. Wie alt er genau war, wußte keiner, aber seine Bandenmitglieder schätzten ihn auf etwa Mitte der Dreißig.

Meuterer wurden von Mubarak kurzerhand erstochen oder erschossen. So hatte er sein Ziel erreicht und nicht auf halbem Weg umkehren müssen. Schließlich wollte er nicht in Algier hocken und am Hungertuch nagen. Dort nämlich war in der letzten Zeit die Beute äußerst mager geworden.

Der Platz war nicht schlecht gewählt: Westlich an den Bahamas vorbei segelten die spanischen Konvois mit den schwer beladenen Gold- und Silberschiffen. Dort würde man sie mit der schnellen, wendigen dreimastigen Schebecke aufbringen, die Mannschaften töten und die Schiffe samt ihrer Ladungen vereinnahmen.

Der Plan war vielversprechend gewesen. Mubarak war kein Dummkopf, und seine Kerle waren tollkühn und zu allem entschlossen. Und doch waren sie jetzt dazu verdammt, auf der sonst menschenleeren Insel zu hocken, die allerdings ein Paradies mit schneeweißen Stränden und romantischen Palmen war. Und dennoch war sie die Hölle.

Ihr Schiff waren sie los, und sie hatten nicht die geringste Aussicht, ohne fremde Hilfe Great Abaco wieder zu verlassen. Ihre einzigen Fortbewegungsmittel waren Flöße, die sie sich selbst gebaut hatten. Aber die taugten nur zum Fischfang. Man hätte mit ihnen nicht einmal zur nächsten Insel übersetzen können, ganz abgesehen davon, daß keiner eine Ahnung hatte, wo diese nächste Insel genau lag.

Die größte Schmach und Schande aber war, daß ausgerechnet Giaurs, Christenhunde, ihnen die Schebecke abgenommen hatten. Nie würde Mubarak diese Niederlage verwinden. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt. Kapitulieren oder sterben, hatte es für ihn geheißen.

Zwei Dutzend Kerle hatte die Bande noch gezählt, als sie von den Giaurs auf der Insel an Land gesetzt worden war. Jetzt waren es nur noch zwanzig. Vier hatten ihr Leben gelassen. Streit und Neid, Haß und Gier bestimmten das Dasein der Piraten, und bei der Suche nach Nahrung schlugen sie sich gegenseitig die Köpfe ein. Es passierte immer wieder, daß sie sich gegenseitig zu bestehlen versuchten.

Im übrigen hatte sich die Horde in zwei Lager geteilt. Mubarak, sein Unterführer Selim und acht andere Kerle hausten in den sechs Hütten, die seinerzeit von den Spaniern am Strand der großen Bucht von Great Abaco errichtet worden waren. Anführer der Gegenpartei war der Riese Mustafa, der sich mit zehn Kerlen als Anhang in den Norden der Insel verzogen hatte.

Die Tage waren warm und langweilig, aber die Nächte auf Great Abaco waren alles andere als ruhig. Beide Meuten überfielen sich gegenseitig, es kam zu Prügeleien und Messerstechereien. Auch Ben Maruf, der Verrückte, hatte schon schwer Hiebe bezogen. Selim hätte ihn gern ins Jenseits befördert, doch der Kerl schien einen Schutzengel zu haben. Keinem gelang es, Ben Maruf endgültig über die Klinge springen zu lassen.

Dabei gab es auch in Mustafas Gruppe Kerle, die das Kichern und Kollern des Irren nicht mehr ertragen konnten. Da war zum Beispiel Achmed, ein finsterer Kerl mit zottigem Bartgestrüpp, der zu den geschicktesten Fischern gehörte. Jedesmal, wenn Ben Maruf in seine Nähe geriet, schnitt er ein Gesicht, als wolle er ihn zerfleischen.

Ben Maruf hatte während der Überfahrt an Bord der Schebecke den Verstand verloren, als er im Verlauf eines Versuches der Meuterei dem Kerl Lekbir hatte helfen wollen. Mubarak hatte ihn weggestoßen. Ben Maruf war mit dem Hinterkopf gegen das Beiboot geknallt und bewußtlos geworden. Als er wieder bei Bewußtsein war, hatte die Bande registriert, daß er nicht mehr „alle beisammen hatte“.

An sein blödes Grinsen hatten sie sich inzwischen gewöhnt. Doch es waren seine hirnrissigen Streiche, die die Kerle immer wieder in Wut und Rage versetzten. Und wie alle Seefahrer hegten auch sie eine instinktive Abneigung gegen Geistesgestörte.

Aber es war immer noch der Riese Mustafa, der sich vor Ben Maruf stellte. Ben Maruf war sein Schützling. Wer Ben Maruf auch nur ein Härchen krümmte, legte sich gleichzeitig mit Mustafa an. Wäre Ben Maruf indes bei der Mubarakmeute geblieben, dann hätten ihm Mubarak oder Selim längst die Gurgel durchgeschnitten.

Mustafa konnte sich noch am besten der Zeiten entsinnen, in denen Ben Maruf klar bei Verstand gewesen war. Er hatte weder Tod noch Teufel gefürchtet und die verwegensten Aktionen durchgeführt, wenn sie ein fremdes Schiff gekapert hatten. Ja, und einmal hatte er ihm, Mustafa, sogar durch blitzschnelles Handeln das Leben gerettet. Darum beschützte Mustafa Ben Maruf, denn auch ein Galgenstrick hatte seine Ehre, und einem Kumpan schlug man nicht einfach den Schädel ein, wenn es keinen sehr triftigen Anlaß dafür gab.

An einem dieser Tage, Mitte April 1595, kehrte Achmed am Vormittag mit einem der Flöße zu dem Landeplatz im Norden der Insel zurück. Dieser Platz war eine winzige Bucht, die fast völlig von Mangroven, Zypressen und Lianen zugewuchert war und nur eine ganz schmale Einfahrt hatte. Spanisches Moos hing von den Baumästen hinunter und berührte am Ufer die Wasseroberfläche. Nur am Südufer war durch eine unerklärliche Laune der Natur ein Streifen Sand ausgespart geblieben. Dort lagen die Flöße, die die Kerle in langwieriger Arbeit zusammengezimmert hatten.

Oft liefen sie mit den Flößen aus, nur, um nach Schiffen Ausschau zu halten. Doch es zeigten sich keine Mastspitzen an der Kimm. In zehn Monaten war keine Galeone, keine Karavelle, nicht einmal eine lausige Schaluppe aufgetaucht. Es war ein desolater Zustand des Dahindämmerns. Man überlebte, aber man wußte nicht, warum man sich noch am Leben erhielt.

 

Achmed hatte mit simpelsten Mitteln einige recht große Fische gefangen: Zackenbarsche und Rotbarben, Umber und Zahnfische. Stolz paddelte er in die Bucht und zog das Floß neben die anderen auf den Sand. Doch nur ein Mann stand am Ufer, um ihn zu begrüßen: Ben Maruf.

„Hau ab!“ fuhr Achmed ihn an.

Ben Maruf kicherte und wedelte mit den Händen. Er stieß ein paar lallende Laute aus, dann kicherte er wieder. Dieses Kichern! Es konnte Stunden andauern. Der Kerl war darin unermüdlich wie ein kleines Kind, das immer wieder dieselben Worte brabbelt.

„Yalla-yalla“, sagte Ben Maruf. „Alla-alla-alla.“ Es folgte wieder das nervtötende Kichern. Er schien auf etwas zu deuten, das sich hinter Achmeds Rücken befand.

Aber Achmed dachte nicht daran, sich umzuschauen. Viel zu oft war er auf diesen dämlichen, idiotischen Trick hereingefallen.

„Ja, Allah“, sagte er. „Ich hoffe, Allah läßt dich in die Hölle abfahren. Verschwinde!“

Ben Maruf bewegte sich auf das Floß zu. Seine Gangart war grotesk und glich einer Art Torkeln. Jeden Moment schien er zusammenzubrechen, doch es geschah nie. Immer hielt er sich auf den Beinen, und alles in allem schien er über mehr Energien zu verfügen als alle zusammen, obgleich auch er zerlumpt, langhaarig und bärtig war.

Achmed stand noch neben dem Floß und duckte sich jetzt ein wenig. Sein Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse des Hasses.

„Du sollst abhauen, hab’ ich gesagt!“ schrie er den Verrückten an.

„Alla-alla“, sagte Ben Maruf grinsend. „Olla-olla.“

„Noch einen Schritt weiter, und ich hau’ dir den Schädel ein“, sagte Achmed, dann hob er eins der primitiven Paddel und schlug damit nach Ben Maruf.

Diese Sprache Verstand der Irre schon besser. Er wich zurück, hielt eine Hand vor den Mund und kicherte gedämpft.

Achmed wandte sich um und wollte seinen Fang von dem Floß aufnehmen, doch plötzlich hüpfte Ben Maruf hinter seinem Rücken herum. Wütend fuhr Achmed zu ihm herum und hieb mit der Faust nach ihm. „Kannst du nicht hören? Verschwinde, du Idiot!“

Ben Maruf hüpfte an Achmed vorbei und sprang auf das Floß. Es wackelte auf dem Sand, aber Ben Maruf lachte und schien sich prächtig zu amüsieren.

Achmed stand plötzlich wie vom Donner gerührt da. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Ben Maruf bückte sich, packte mit beiden Händen einen Zackenbarsch und warf ihn ins Wasser der Bucht. Der nächste folgte gleich darauf – und hoch einer.

„Fisch-fisch!“ rief Ben Maruf. Er wedelte mit den Händen und bückte sich nach dem vierten Fisch. „Olla-olla.“

Achmed hob den rechten Arm. Seine Augen waren in ungläubigem Entsetzen geweitet, sein Mund stand halb offen.

„He!“ brüllte er plötzlich. „Aufhören, verdammt!“ Und jetzt geriet wieder Bewegung in seine Gestalt. Er stürzte auf Ben Maruf zu und schrie: „Laß das sein, du räudiger Hund!“

Ben Maruf dachte jedoch nicht daran, mit seinem Treiben innezuhalten. Er hatte Gefallen daran gefunden, kicherte und stieß immer wieder sein „Alla-alla“ und „Fisch-fisch“ hervor. Er beförderte einen dicken Umber ins Wasser, dann einen Zahnfisch. Sein Kichern ging in ein glucksendes Gelächter über.

Mit einem gewaltigen Satz war Achmed am Floß und rammte Ben Maruf die Faust unters Kinn. Ben Maruf stieß einen grellen, kreischenden Laut aus, taumelte zurück und kippte ins Wasser. Achmed traf Anstalten, sich erneut auf den Verrückten zu stürzen.

In diesem Moment ertönte vom Ufer her eine grollende Stimme. „Was geht hier vor?“

Ben Maruf war untergegangen, tauchte aber wieder auf und spie einen Schwall Wasser in hohem Bogen aus. Er stand bis zum Bauch im Naß, klatschte in die Hände und stieß seine kichernden und glucksenden Laute aus. Er blickte zu dem Sprecher, und auch Achmed wandte den Kopf und sah zu dem Mann.

Es war Mustafa, der Riese.

„Was ist hier los, Achmed?“ rief er. „Kannst du mir das vielleicht mal erklären, du Sohn einer Natter?“

„Ja!“ stieß Achmed empört hervor. Er deutete auf die Reste seines Fanges. Nur zwei Fische lagen noch auf der Kante des Floßes, die anderen hatte Ben Maruf ins Wasser befördert. „Der blöde Hund schmeißt die Fische, die ich eben mühsam gefangen habe wieder rein!“ brüllte er.

„Und du hast ihn geschlagen?“ fragte Mustafa drohend.

„Nein, das habe ich nicht. Ich hab’ aber versucht, ihn an diesem Quatsch zu hindern, und da ist er vom Floß gekippt.“

„Und das soll ich dir glauben?“

„Es ist die Wahrheit“, erwiderte Achmed.

„Ben Maruf!“ rief Mustafa. „Hat er dir was getan?“

„Nein-nein-nein“, sagte Ben Maruf, kicherte dämlich und planschte im Wasser herum.

„Hol die Fische wieder heraus!“ stieß Mustafa zornig hervor. „Sofort!“ Er trat hart an den Rand des Ufers und stemmte die Fäuste in die Hüften.

Ben Maruf nickte unterwürfig. Er tauchte, schnellte wieder hoch und legte einen Zackenbarsch auf das Floß – sehr zum Erstaunen von Achmed, der nicht fassen konnte, daß der Irre die toten Tiere unter Wasser wiederfand. Eigentlich hätten sie längst von den Unterströmungen erfaßt und fortgetrieben sein müssen. Aber das Wunder geschah: Ben Maruf förderte den kompletten Fang zutage und packte ihn auf den Rand des Floßes.

Achmed beeilte sich, die Fische an Land zu schaffen. Ben Maruf war unberechenbar. Jeden Augenblick konnte er etwas Neues aushecken.

„Komm her“, sagte Mustafa zu dem Irren. Er wartete, bis dieser aus dem Wasser gestiegen war, dann hob er tadelnd den Finger. „Das war böse von dir, Ben Maruf. Mach so was nicht wieder. Wir haben sonst nicht genug zu essen.“

„Essen, essen“, sagte der Verrückte. Er nickte, rieb sich die Hände und kicherte, aber es war daraus nicht zu erkennen, ob er diese Worte wirklich verstanden hatte.

Achmed hatte die Fische mit dünnen, biegsamen Zweigen zu einem Bündel zusammengefügt. Er trat neben Mustafa und sagte: „Es will mir nicht in den Kopf, wo du die viele Geduld hernimmst.“

„Mit Ben Maruf habe ich eben Geduld“, sagte Mustafa. „Mit anderen Kerlen wie Mubarak und Selim weniger. Wenn ich sie zwischen die Finger kriege, kann ich für nichts garantieren. Los, gehen wir. Wir wollen die Fische gleich braten. Die Männer haben einen Bärenhunger.“

Sie schlugen sich in die Büsche und begaben sich auf den Weg zum Lager. Ben Maruf tänzelte hinter ihnen her und brabbelte seine unverständlichen Worte. Dann, als sie das Lager fast erreicht hatten, ertönte plötzlich wildes Geschrei.

„Das kommt vom Lager!“ stieß Mustafa hervor. „Schnell, beeilen wir uns! Zum Teufel, was ist da jetzt wieder los?“

Er begann zu laufen. Die Zweige und Blätter schlugen ihm gegen das Gesicht und gegen den Leib. Sie trafen auch Achmed, der geduckt hinter ihm hereilte, aber beide kümmerten sich nicht darum. Sie dachten das gleiche: Mubarak und seine Meute hatten das Lager überfallen! Dem Geschrei nach zu urteilen, war dort wirklich der Teufel los.

2.

Am Vormittag des 15. April 1595 standen die „Empress of Sea II.“ und die Dreimastkaravelle „Golden Hen“ südöstlich von Guanahani – San Salvador – und hatten Kurs auf Great Abaco. Der Wind wehte aus Nordosten. Die „Golden Hen“ lag auf Parallelkurs mit der „Empress“, und zwar an Steuerbord von ihr, also mehr seewärts. Es war ein sonniger Tag, nur hin und wieder trieb ein Wolkenfetzen am Himmel dahin. Nichts ließ darauf schließen, daß es eine Wetterveränderung geben würde. Die beiden Crews an Bord der Schiffe hatten allen Grund zu der Annahme, daß sie ihr Ziel ungehindert und ohne zeitlichen Verlust erreichen würden. Die „Empress of Sea II.“ stand unter dem Kommando von Old Donegal Daniel O’Flynn und wurde von einer „gemischten Crew“ gesegelt, wie er vor einiger Zeit auf seine bissige Art bemerkt hatte. Martin Correa befand sich an Bord, außerdem Mulligan und Ray Hoback aus der Jerry-Reeves-Crew, Weiter Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, Gunnhild und Klein David sowie Gotlinde und ihre Kinder Thurgil und Thyra.

Die „Golden Hen“ hingegen, die der Potositrupp in der Bucht von San Blas einer Bande von Piraten abgenommen hatte, wurde von Jean Ribault und dessen Crew geführt. Außerdem befand sich Don Juan de Alcazar an Bord, mit dem sie völlig überraschend wieder zusammengetroffen waren. Dieses Mal hatte Don Juan seinen Entschluß gefällt: Er war zum Bund der Korsaren gestoßen und jetzt einer von ihnen.

Doch die Schlangen-Insel und Coral Island existierten nicht mehr, ein unterirdischer Vulkanausbruch hatte sie vernichtet und mit ihnen Arkana, die Schlangenkrieger und -kriegerinnen, die Timucuas und die Schiffe „Tortuga“, „Lady Anne“ und „San Donato“.

Es hatte die Freunde vom Bund einiges gekostet, diesen Verlust halbwegs zu verwinden, doch inzwischen waren sie von dem neuen Plan des Seewolfs wie besessen: Einen neuen Schlupfwinkel würden sie sich suchen, und die entsprechende Insel sollte sich im nördlichen Bereich der Bahama-Gruppe befinden.

Die „Isabella“, der Schwarze Segler und die „Caribian Queen“ waren bei den Caicos-Inseln zurückgeblieben – um sich drei spanische Kriegsgaleonen vorzunehmen, die der Gouverneur von Kuba, Don Antonio de Quintanilla, auf die Schlangen-Insel angesetzt hatte.

Die „Empress of Sea II.“ und die „Golden Hen“ indes waren nach Great Abaco unterwegs, um sich dort in der Eight Miles Bay an der Ostküste mit der „Wappen von Kolberg“ und der „Pommern“ zu treffen. Diese befanden sich auf dem Rückweg von Havanna, wo sie Schiffsbauhölzer und andere Bedarfsgüter für den Schiffbau übernommen hatten.

Das Treffen war durch Brieftaubenpost vereinbart worden – doch man wußte auch, daß auf Great Abaco die Gefahr einer Konfrontation mit Mubarak und dessen „Alis“ bestand. Die hatte man seinerzeit, im Juni, auf der Insel ihrem Schicksal überlassen, und Don Juan war mit der Schebecke fortgesegelt – nach Havanna.

Es war der ruhige Dave Trooper, der an diesem Morgen den Ausguckposten im Großmars der „Golden Hen“ wahrnahm. Dave, das wußten alle, war im Denken nicht der Schnellste, aber er hatte gute Augen und die Erfahrung eines allseitig begabten Seemanns. Man konnte sich auf ihn verlassen, in jeder Lage. Komplizierte Denkvorgänge waren nicht Dave Troopers Fall, aber wenn sich die Mastspitzen eines fremden Schiffes an der Kimm zeigten, entgingen sie ihm nicht.

Dave hielt mit dem Kieker Ausschau nach allen Seiten und sichtete weit Steuerbord querab auf der See einen Pulk von Tümmlern. Dave grinste etwas. Er mochte diese spitznasigen Gesellen, sie waren putzige Burschen wie die Delphine. Stundenlang konnte man ihnen zuschauen, wenn sie bei schönem Wetter ihre Spiele trieben.

Elegant schnellten die grauweißen Leiber aus dem Wasser und tauchten wieder weg. Es war eine in ihrem Ablauf fließende und fast rhythmische Bewegung. Interessiert und belustigt zugleich betrachtete Dave diese „Tümmelei“, wie er sie im stillen nannte.

Natürlich entging ihm nicht, daß sich die Tiere ziemlich rasch der „Golden Hen“ näherten. Aber was bedeutete das schon? Eine Gefahr bestimmt nicht. Höchstens trugen die Tiere zur allgemeinen Erheiterung bei.

Dann allerdings stutzte Dave.

„Zum Donner“, murmelte er und spähte aufmerksam durch den Kieker. „Das gibt’s doch nicht.“

Aber tatsächlich, dort drüben wurde nicht „gespielt“, wie er anfangs angenommen hatte, sondern da wurde ein mörderischer Kampf ausgetragen. Sechs, sieben Tümmler drangen gegen einen riesigen Blauhai vor. Ja, er war jetzt ganz sicher: Es war ein Blauhai. Einer der größten, die er je gesehen hatte.

„He!“ schrie er. „Deck! An Steuerbord! Tümmler gegen einen Hai!“

Jean Ribault und Don Juan de Alcazar griffen gleichzeitig zu den Spektiven und richteten sie auf die angegebene Stelle. Gleichzeitig wurde auch die Crew auf das Treiben im Wasser aufmerksam, die Kieker wurden von einem Mann zum anderen weitergereicht. Auch an Bord der „Empress“ reckten die Männer und die Frauen inzwischen die Hälse, um etwas von dem mörderischen Schauspiel mitzubekommen.

„Mein Gott“, sagte Don Juan. „Das ist ja erschütternd. Wie diese Tiere kämpfen – unglaublich.“

„Sie zählen zu den ärgsten Feinden der Haie“, erklärte Jean Ribault. „Kein Mensch weiß, warum das so ist, aber die Tümmler jagen die Haie im Rudel.“

„Das stimmt“, sagte Karl von Hutten, der inzwischen zu ihnen getreten war. „Ich habe davon vernommen, es aber noch nie beobachten können. Die Tümmler schießen auf den Hai zu und rammen ihm ihre Nasen in den Unterleib.“

 

„Und was bewirkt das?“ fragte Don Juan erstaunt. „Ein Hai hat doch eine sehr dicke Haut und ist hart im Nehmen.“

„Vielleicht werden empfindliche innere Organe des Hais gequetscht“, sagte Ribault. „So stelle ich mir das jedenfalls vor, obwohl es keine Beweise dafür gibt.“

Don Juan verfolgte, wie die Tümmler die Jagd auf den Hai fortsetzten. „Ich habe den Eindruck, daß sie auch seine Kiemen rammen“, sagte er.

„Das könnte sein“, sagte von Hutten. „Wahrscheinlich zerstören sie auf diese Weise seine Atemorgane.“

„Unfaßbar“, sagte. Don Juan. „Wirklich unfaßbar.“

Dave Trooper begriff das alles erst richtig, als er sah, wie der Blauhai fast an der Wasseroberfläche von drei Tümmlern zugleich attackiert wurde. Sie rammten ihn derart hart, daß auch er aus dem Wasser schnellte – ein sich qualvoll windendes Tier.

„Hölle!“ brüllte Dave. „Die bringen den Hai ja um!“

Aufmerksam und erregt zugleich blickten die Männer der „Golden Hen“ zu dem Drama, das sich vor ihren Augen abspielte. Auch die Besatzung der „Empress“ versuchte, etwas zu sehen, doch die „Golden Hen“ versperrte ihr die Sicht. Aber dem Gebrüll Dave Troopers war das Wesentliche zu entnehmen.

„Hol’s der Henker“, sagte Old O’Flynn. „Die Welt steckt voller Überraschungen. Na, hoffentlich erledigen die Viecher den Hai.“

„Das wünschst du dem Hai?“ fragte Mary.

„Ja, von ganzem Herzen. Wer weiß, wie viele arme Teufel er schon verschlungen hat.“

„Da hast du recht“, sagte sie. „Aber ich weiß nicht, ob die Tümmler so etwas schaffen.“

„Sie schaffen es, verlaß dich drauf“, sagte er knurrig. „Aber – he, hast du mir wirklich recht gegeben, oder träume ich?“

„Du träumst nicht“, sagte Gotlinde lachend.

„Dann haltet es im Logbuch fest“, sagte der Alte. „Mary Snugglemouse hat mir, dem Admiral Donegal Daniel O’Flynn, heute, am 15. April im Jahre des Herrn 1595, zum ersten Male recht gegeben.“

„Und wo befindet sich dieses Logbuch, Mister O’Flynn?“ fragte Mary angriffslustig. „Nun? Kannst du mir das verraten? Ich habe so ein Ding an Bord dieser Segelkiste noch nie gesehen.“

„Ich hab’s ja gewußt!“ zischte Old O’Flynn. „Das letzte Wort muß sie doch haben.“

Unterdessen ging der Kampf der Tümmler gegen den Blauhai weiter. Immer wieder schnellten die Tiere aus dem Wasser. Der Hai schien sich in der Luft zu drehen. Peitschend schlug sein Schwanz ins Wasser. Er wand und krümmte sich und versuchte, sich die Gegner vom Leib zu halten. Aber die Tümmler ließen nicht von ihm ab.

Mel Ferrow, der Mann mit dem Haizeichen, stand am Schanzkleid der „Golden Hen“. Seine Augen hatten einen merkwürdigen Glanz. Sie schienen zu glitzern – und er hatte auch schon ein Messer zur Hand.

Jan Ranse, der Holländer, trat neben ihn. „Was ist los? Packt es dich wieder mal?“

„Das weißt du ganz genau!“ stieß Mel hervor und nahm den Blick nicht von dem riesigen Hai, der sich, von den Tümmlern getrieben, unaufhaltsam der Karavelle näherte.

„Vergiß es“, sagte Jan. „Da kannst du doch nichts ausrichten.“

„Habe ich gesagt, daß ich das will?“

„Nein. Aber steck das Messer weg.“

Mel schien nicht auf ihn zu hören. Er haßte Haie wie die Pest. Wenn er sie sah, schien er den Verstand zu verlieren. Er war dann wie besessen, stürzte sich am liebsten ins Wasser und nahm den Kampf gegen die grauen Mörder auf. Es wäre nicht sein erster Hai gewesen, der ihm unterlag.

Doch alles spielte sich rasend schnell ab, und er konnte in das Geschehen im Wasser nicht mehr eingreifen. Außerdem – hätte er wirklich entsprechende Anstalten getroffen, dann hätte Jan Ranse nicht gezögert, ihm die Faust mit voller Wucht unters Kinn zu rammen.

Die wilde Jagd näherte sich der „Golden Hen“, die Distanz schrumpfte zusehends zusammen. Die Tümmler und der Blauhai waren wie toll und schienen keine Notiz von dem Schiff zu nehmen.

So passierte das Verrückte, schier Unmögliche, an das keiner der Männer auch nur im entferntesten dachte oder gar in Rechnung gestellt hätte.

Vielleicht blind vor Schmerz und völlig außer sich, raste der Hai auf die Karavelle zu. Er befand sich jetzt in Höhe des Achterschiffes.

„He“, sagte Jean Ribault noch. „Was hat denn das zu bedeu…“ Weiter gelangte er nicht.

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