Seewölfe - Piraten der Weltmeere 464

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 464
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-872-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Gefangen

Man hatte sie übertölpelt – und brachte sie hinter Festungsmauern

Old O’Flynn und seine kleine „Empress“-Crew saßen fest – bildlich gesprochen. Denn die „Empress of Sea“ war aufgebrummt, und ihre Crew hockte gefangen in einer Pfahlbauhütte an einem Creek von North Andros. Aber da hatte Hasard junior die glänzende Idee, mit dem Messer Old O’Flynns das Schilfdach der Hütte aufzuschneiden, hindurchzusteigen und die Hütte von außen zu öffnen. Ein Kanu der Arawaks war schnell „ausgeliehen“, und mit dem verschwanden sie zu nächtlicher Stunde. Die Paddelfahrt durch ein Labyrinth endete bei Tage wieder bei den Arawaks – zur erneuten Gefangenschaft. Jetzt war es der Kutscher, der die verfahrene Situation rettete. Ein anderes Abenteuer stand jedoch der Crew Jean Ribaults bevor, die auf dem Wege nach Havanna war …

Die Hauptpersonen des Romans:

Don José de Zavallo – ein recht junger Teniente, der meint, zum Admiral qualifiziert zu sein.

O’Leary – der Bootsmann von Sir John Killigrew sorgt für Wirbel.

Don Lope de Sanamonte – der Kommandant von Fort St. Augustine wittert eine Chance, den Seewolf zu packen.

Jean Ribault – muß damit rechnen, dem peinlichen Verhör unterzogen zu werden.

Jan Ranse – verschwindet mit Mel Ferrow von Bord der beschlagnahmten „Golden Hen“.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

Der 26. April 1595 war wieder ein langweiliger Tag – wie die vergangenen Tage und Wochen: ständiger Patrouillendienst in der Floridastraße, und nie geschah etwas! Die Männer an Bord des kleinen Verbandes hatten die Nase voll. Das Bordleben war eintönig und monoton, ohne Abwechslung. Das zehrte an ihren Nerven.

Aus drei Schiffen bestand der kleine Verband. Eine große Kriegsgaleone führte ihn als Flaggschiff an, die beiden anderen Segler waren eine etwas kleinere Galeone, ebenfalls mit drei Masten, und eine Dreimastkaravelle gut armierte Schiffe mit starken Besatzungen, die es mit jedem möglichen Gegner aufnehmen konnten.

Doch ein Gegner zeigte sich nicht. Nur ein Konvoi spanischer Galeonen hatte in den letzten Tagen die Floridastraße passiert. Er befand sich auf dem Kurs von Havanna in die Alte Welt, eine Reise, die stets an den Bahamas vorbeiführte.

Sonst hatten sich keine Segelschiffe gezeigt, weder Galeonen oder Karavellen anderer Länder noch Freibeuterschiffe, die entweder gar keine oder irgendwelche Phantasieflaggen führten.

Nichts. Keine ausländischen Schnapphähne, keine Karibikpiraten, die in diesen Gewässern nach Beute suchten, nicht einmal ein paar armselige Indianer in Kanus oder Pirogen. Doch die drei Kriegsschiffe waren in Fort St. Augustine stationiert, und in St. Augustine ging man von der Ansicht aus, daß es jederzeit eine Bedrohung für den wichtigen Hafen geben konnte, den die Spanier an der Ostküste der Florida-Halbinsel erbaut hatten.

Mit verdrossenen Mienen hockten an diesem Vormittag die Männer der Freiwache im Logis des Führungsschiffes zusammen. Einige hatten sich auf dem Rand ihrer Koje niedergelassen, die anderen bildeten auf den Planken eine Runde und vertrieben sich die Zeit mit Würfeln.

Pedro Tores, ein großer, bärenstarker Mann von der Insel Mallorca, der schon auf vielen Schiffen vor dem Mast gefahren war, war an der Reihe. Er schüttelte die drei Würfel in den Händen, dann ließ er sie auf die Planken kullern.

„Zweimal die drei, einmal die eins“, sagte Lombardez, sein Nebenmann.

Lombardez war der Decksälteste, ein ruhiger und besonnener Mann. Er war seit vier Jahren in St. Augustine, hatte seither die Heimat nicht wiedergesehen.

Männer wie Tores hingegen waren noch nicht lange in Florida. Sie gehörten zu der Verstärkung, die die Admiralität aus „zwingenden Gründen“ nach St. Augustine geschickt hatte. St. Augustine war ein wichtiger Stützpunkt und durfte auf keinen Fall dem Feind in die Hände fallen. Dieser Feind war keine fiktive Vorstellung, er hatte einen Namen: England.

„Das seh’ ich selbst“, brummte Tores. „Mist, verdammter.“

Der nächste Spieler nahm die Würfel auf. Er wurde von allen nur „El Rojo“ genannt, der „Rote“, wegen seiner Hautfarbe. Er stammte aus Santander im Baskenland. Sein Grinsen wirkte öde, aber auch ein wenig aufreizend. Er ließ die Würfel in seinen hohlen Händen klappern und hielt die Hände ans Ohr.

„Diesmal schmeiß’ ich drei Sechsen“, sagte er und kicherte. „Ich spür’s.“

„Halt keine Volksreden“, sagte Tores. „Wirf!“

„He, was ist heute los mit dir?“ zischte El Rojo. „Hast du ’ne Spinne zum Frühstück gefressen?“

„Der Dienst geht mir auf den Geist“, sagte Tores. „Das ist ja zum Einschlafen.“

„Wärst du denn lieber in St. Augustine?“ fragte Lombardez. „Beim Ausschachten neuer Gräben zum Beispiel?“

„Nein“, erwiderte Tores.

„Siehst du, wir haben es hier viel besser“, sagte der Decksälteste. „Keine Schufterei. Ein ruhiger Posten. Ihr solltet froh sein, laßt euch das von mir gesagt sein.“

Pedro Tores warf ihm einen feindseligen Blick zu. „Ich will dir mal was verraten, du Schlauberger. Ich bin Seemann. Ich will was erleben und nicht faul auf meinem Hintern rumhocken.“

El Rojo hielt die Würfel immer noch in den Händen. Er lachte. „Ja, du hast recht, Mann. Wir wollen hier nicht vergammeln. Wir wollen was haben vom Leben. Wein und Rum, Bier in großen Humpen und Weiber zum Anfassen. Was ist das hier bloß für ein Scheißzustand?“

„Ihr dürft nicht vergessen, daß wir uns an Bord eines Kriegsschiffes befinden“, sagte einer der anderen Männer.

Tores wandte den Kopf und spuckte wütend aus. „Ich denke dauernd daran. Wir sind auf einem höllischen Kriegsschiff mit einem Kommandanten, der sich einen Dreck um die Mannschaft und seine Soldaten kümmert und alles dem elenden Teniente überläßt.“

„Nicht so laut“, sagte Lombardez. „Er könnte es hören.“

„Ist mir doch egal“, entgegnete Tores. „Der soll mal wagen, mir was zu sagen.“

„Dazu hat er gar nicht das Recht“, warf El Rojo ein. „Er kann seine Seesoldaten rumkommandieren, aber nicht uns.“

„Ihr wißt, daß es nicht so ist“, sagte ein Seemann, dem der linke Arm fehlte. „De Zavallo hat freie Hand. Er kann tun und lassen, was er will. Legt euch nicht mit ihm an.“

Tores stieß einen verächtlichen Laut aus. „Die meisten von euch haben die Hosen voll, was? Ich möchte mal wissen, wo ihr abbleibt, wenn uns wirklich die Kanonenkugeln um die Ohren fliegen.“

„Achte darauf, was du sagst“, warnte Lombardez. „Ich war dabei, als St. Augustine überfallen wurde.“

„Ja, das hast du oft genug erzählt“, sagte El Rojo. „Wir können’s schon nicht mehr hören.“

„Wer weiß, ob es alles stimmt“, sagte Tores. „Gib’s zu, du hast ganz schön übertrieben, was, Lombardez?“

Lombardez schnitt eine ärgerliche Miene. „Denk doch, was du willst. Und macht, was ihr wollt – aber ohne mich.“ Er stand auf, ging zu seiner Koje und setzte sich auf den Rand.

„Oh, der Herr ist beleidigt!“ El Rojo kicherte wieder. „Beim Donner, er ist empfindlich! He, man darf ihm nicht zu nahetreten!“

„Laßt Lombardez in Ruhe, ihr beiden“, sagte der Einarmige drohend. „Und tragt nicht so dick auf. Ich habe mehr Seegefechte miterlebt als ihr. Was meint ihr, wo ich meinen Arm gelassen habe?“

„Ja, schon gut“, sagte Pedro Tores. „Das ist auch bekannt.“

„Zur Zeit ist es hier ruhig“, fuhr der Einarmige fort. „Aber das täuscht. Es kann ganz plötzlich anders werden. Hier finden sonst die meisten Überfälle auf spanische Schiffe statt, ob ihr’s nun glaubt oder nicht.“

„Herrgott, es ist ja gut“, sagte Tores. „Aber mir stinkt’s trotzdem.“ Er griff nach der kleinen Flasche Rum, die herumgereicht wurde, hob sie an den Mund und nahm einen Schluck daraus. Er setzte sie wieder ab, gab einen schmatzenden Laut von sich und fuhr El Rojo an: „Los! Hast du keine Lust mehr?“

El Rojo warf die Würfel auf die Planken. Sie rollten auseinander und blieben liegen. Der Einarmige stieß einen Pfiff aus.

„Drei Sechsen“, sagte er.

„Ich hab’s ja gewußt!“ jubelte El Rojo.

„Augenblick mal“, sagte Tores. „Du hast sie so hingelegt.“

„Ich habe was?“ fragte der Baske. Seine Augen verengten sich.

„He!“ sagte Lombardez. „Fangt jetzt keinen Streit an, ihr beiden.“

„Du hast gemogelt“, sagte Tores. „Ich hab’s gesehen.“

„Was redest du denn da für einen Quatsch?“ zischte El Rojo.

Tores stieß einen saftigen Fluch aus. „Mit deinen miesen Tricks kommst du bei mir nicht durch, Rojo. Nimm die Würfel wieder auf und wirf sie noch einmal!“

 

„Nein! Was liegt, das liegt!“

„Ruhig bleiben“, sagte der Einarmige. „Tores, du beschuldigst Rojo zu unrecht. Er hat ordentlich gewürfelt, ich habe es gesehen.“

„Nein! Er hat sie so hingelegt!“

„Beweise das!“ schrie El Rojo.

„Du bist ein Betrüger!“ brüllte Tores, dann stürzte er sich unvermittelt auf ihn. Die Rumflasche, die auf den Planken stand, kippte um. Die Würfel rollten unter eine der Kojen. Tores packte El Rojo und schüttelte ihn kräftig durch. Er rammte ihm die Faust gegen die Brust und brüllte wieder: „Du Betrüger! Falschspieler!“

El Rojo versuchte, sein Messer zu zücken, doch Tores war auf der Hut. Er hieb wieder zu. El Rojo stieß einen Fluch aus. Tores’ Faust hatte sein Gesicht getroffen. Blut lief dem Basken aus der Nase.

Lombardez, der Einarmige und ein dritter Seemann versuchten, die Streithähne zu trennen, doch Tores und El Rojo wälzten sich inzwischen auf den Planken herum.

„Du Hurensohn!“ brüllte Tores. „Betrüger!“

„Dich bring’ ich um!“ schrie der Baske. Wieder versuchte er, sein Messer zu ziehen.

In diesem Moment betrat der Teniente Don José de Zavallo das Mannschaftslogis. Keiner hatte ihn gehört. Er blieb breitbeinig direkt vor den Kämpfenden stehen. Die Fäuste hatte er in die Seiten gestemmt. Am Gurt trug er eine neunschwänzige Katze. Er griff danach und rollte sie auseinander.

Lombardez, der Einarmige und die anderen Seeleute wichen zurück. Tores und El Rojo schienen de Zavallo immer noch nicht bemerkt zu haben. Sie droschen weiterhin mit den Fäusten aufeinander ein.

De Zavallo ließ die Neunschwänzige durch die Luft pfeifen. Die Lederriemen trafen zuerst Pedro Tores, dann den Basken.

„Aufhören!“ stieß de Zavallo mit schneidender Stimme hervor.

Schritte näherten sich trappelnd durch den Mittelgang des Vordecks. Drei Seesoldaten rückten an. Der Teniente hatte sie zu sich beordert, als er den Lärm aus dem Logis vernommen hatte. Dann war er sehr schnell im Vordecksschott verschwunden.

Die Soldaten verharrten im offenen Schott des Logis’. De Zavallo holte zu einem neuen Schlag mit der Neunschwänzigen aus. Tores ließ von El Rojo ab und fuhr zu ihm herum. De Zavallo schlug zu, die Peitsche traf den großen Mann mitten ins Gesicht. Doch Tores verzog keine Miene.

El Rojo setzte sich auf, wischte sich das Blut aus dem Gesicht und sah den Teniente an.

„Was ist los?“ fragte er. „Zur Hölle, was soll das?“

„Wer hat angefangen?“ fragte de Zavallo scharf.

„Keiner“, erwiderte Lombardez. „Es ist ein Mißverständnis, Señor Teniente, und …“

„Ich habe Sie nicht gefragt!“ zischte der Teniente. Er war ein sehr junger, sehr karrierebewußter Mann, arrogant und kaltschnäuzig. Er sah Pedro Tores an. „Noch einmal: Wer hat angefangen?“

„Ich“, erwiderte Tores.

„Warum der Streit?“

„Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit“, entgegnete Tores.

Der Teniente deutete auf die Würfel. „Beim Spiel? Spiel ist Gift. Eine Sünde.“ Er wies mit dem Griff der Neunschwänzigen auf die Rumflasche. „Alkohol und Glücksspiel sind verboten, sie ruinieren Körper und Geist.“

„Na so was!“ Tores erhob sich langsam. „Wir haben Freiwache.“

„Das ist mir bekannt“, sagte de Zavallo. „Aber es verstößt gegen die Bordregeln, sich zu prügeln und mit dem Messer aufeinander loszugehen.“

„Wir haben uns nur geschlagen“, sagte El Rojo. „Nicht mit Messern gekämpft. Ich werde doch nicht mit dem Messer auf meinen Kumpel Tores losgehen. Was, Tores?“

„Ach, halt’s Maul!“

„Verdammtes Pack“, sagte der Teniente. „Ohne Disziplin. Es wird Zeit, daß ich hier hart durchgreife.“

Tores tat einen Schritt auf Don José de Zavallo zu. „Es steht in keiner Dienstvorschrift, daß ich mich von Ihnen beleidigen lassen muß, Teniente.“

„Stehenbleiben!“ fuhr de Zavallo ihn an.

„Ich habe von Ihnen keine Befehle entgegenzunehmen“, sagte Tores barsch. „Und ich brauche mich schon gar nicht von Ihnen schlagen zu lassen, Sie Laffe!“

De Zavallo hob die Neunschwänzige und hieb noch einmal zu. Tores nahm auch das hin, aber er duckte sich. Es sah aus, als wolle er sich auf de Zavallo stürzen. Doch da traten die Seesoldaten auf einen Wink des Teniente heran.

„Abführen, den Mann“, sagte de Zavallo. „Er empfängt zehn Hiebe mit der Neunschwänzigen! Das wird ihm eine Lehre sein!“

Kurze Zeit darauf verfolgte der Capitán vom Achterdeck der Kriegsgaleone aus, wie Tores an einer hochgestellten Gräting festgebunden wurde. De Zavallo selbst nahm die Züchtigung vor. Die Neunschwänzige knallte hart auf Tores’ nackten Rücken. Er sank nicht zusammen, als die Soldaten ihn wieder losbanden, doch in dem Blick, den er dem Teniente zuwarf, flackerte Mordlust.

Don José de Zavallo enterte aufs Achterdeck. Bevor der Capitán ihm eine Frage stellte, sagte er: „Insubordination. Der Kerl ist frech geworden. Hat sich mit einem anderen Kerl geprügelt. Sie spielen und saufen und haben schlechte Laune, wenn sie Freiwache haben. Es wurde Zeit, ein Exempel zu statuieren.“

„Sehr gut, Teniente“, sagte der Capitán und Verbandsführer. „Passen Sie auf diese Hunde auf. Wenn die nichts um die Ohren haben, steht ihnen der Sinn nach Meuterei. Ich kenne das.“

„Die Faulpelze sollten weniger Freiwache haben“, sagte der Teniente.

„Verdoppeln Sie die Deckswachen.“

„Ja, und ich werde das Schiff von oben bis unten aufklaren lassen“, sagte Don José de Zavallo. Er verließ das Achterdeck wieder und gab entsprechende Anweisungen. Er benahm sich, als sei er der Kapitän. Und so empfand er auch. Eines Tages, dessen war er sicher, würde er ein eigenes Schiff kommandieren. Noch waren Schiffe knapp in St. Augustine, doch auch das würde sich ändern. Sobald sich die Gelegenheit dazu bot, würde er, de Zavallo, dafür sorgen, daß der „Schiffsraum“, wie er es nannte, vergrößert wurde – auf die eine oder andere Art.

Die wenigen Kriegsschiffe, die in Fort St. Augustine verfügbar waren, überwachten derzeit die Floridastraße. Es herrschte zwar Ruhe, doch das konnte sich von einer Stunde zur anderen ändern. Die verstärkten Patrouillen der Kriegssegler hingen mit jenen Geschehnissen zusammen, bei denen im vergangenen Jahr überraschend – meist in der nördlichen Floridastraße – englische Freibeuter aufgetaucht waren und die nach Spanien heimsegelnden Schatzschiffe ausgenommen hatten.

Den letzten Bericht brachte Don Gregorio de la Cuesta nach St. Augustine. Eine abenteuerliche Geschichte: De la Cuesta war es gelungen, mit einer Jolle von den Grand Cays aus St. Augustine zu erreichen und die englischen Gefangenen samt der Mannschaften der beiden versenkten Kriegsgaleonen von der Grand-Cay-Insel Mitte Oktober 1594 abzubergen.

Die englischen Gefangenen waren achtundzwanzig Kerle von Sir John Killigrews „Lady Anne“, darunter der Bootsmann O’Leary und die beiden John-Killigrew-Söhne Simon Llewellyn und Thomas Lionel sowie sieben adlige Nichtstuer aus dem Kreis des Sir Henry, darunter auch Sir James Sandwich.

Natürlich waren sie in Fort St. Augustine scharf verhört worden, und zwar von dem Festungskommandanten, Don Lope de Sanamonte, persönlich. Allerdings hatte sich der entrüstete Sir James darauf hinausgeredet, der englische Verband, zu dem er und die anderen gehörten, wäre von der englischen Königin ausschließlich zu dem Zweck in die Neue Welt geschickt worden, um dem berüchtigten „El Lobo del Mar“, dem Seewolf also, das Handwerk zu legen.

Die englische Königin, so hatte Sir James ausgeführt, wäre empört darüber gewesen, daß der verbrecherische Pirat Philip Hasard Killigrew, ein hundertfacher Mörder und Schnapphahn sondergleichen, immer wieder ihren Versuch guter Beziehungen zu Spanien mit seinen Beutezügen zerstöre und untergrabe.

Mit dieser Verschleierungstaktik hatte Sir James es immerhin geschafft, daß er und die anderen Gefangenen nicht sofort zur Zwangsarbeit in eine spanische Mine gesteckt wurden. Don Lope de Sanamonte hatte sie in St. Augustine behalten und in den Kerker der Festung gepfercht. Bei Gelegenheit wollte er sie nach Spanien abschieben – zwecks Austausches mit in England gefangenen Spaniern oder aber Freikaufes gegen Lösegeld.

Wegen dieser Aktivitäten englischer Piraten, die Don Lope de Sanamonte ja sozusagen am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte, wurde die Floridastraße überwacht. Was sich seinerzeit in St. Augustine zugetragen hatte, durfte sich auf keinen Fall wiederholen. Die Patrouillen kontrollierten die Straße bis hinunter auf die Höhe der Bimini-Inseln. Vorerst zeigte sich kein fremdes Schiff. Doch das sollte sich rasch ändern, und zwar noch an diesem 26. April.

Am 25. April morgens hatte die Dreimastkaravelle „Golden Hen“ die Cherokee-Bucht auf Great Abaco verlassen. Jean Ribault hatte von Hasard den Auftrag erhalten, nach Havanna zu segeln und Arne von Manteuffel, Jörgen Bruhn und Jussuf von der neuen Sachlage zu unterrichten: Die Cherokeebucht sollte fortan der neue Stützpunkt des Bundes der Korsaren sein, die Tropfsteinhöhle das Schatzversteck.

Aber auch die umliegenden Inseln wollte der Seewolf erkunden, um beweglich zu sein und auch das Nahrungsproblem zu lösen. Aus diesem Grund war auch Old O’Flynn mit seiner „Empress of Sea II.“ in See gegangen. Er segelte nach Andros.

Die „Golden Hen“ passierte nach der Westdurchquerung des Nordwest-Providence-Kanals am Vormittag des 26. April die kleinen Inseln der Isaacgruppe. Sie wurden an Backbord gelassen. Der Wind wehte stetig aus Nordost. Jean Ribault traf die an und für sich richtige Entscheidung, zunächst weiter etwa Westsüdwest zu steuern, um unter die Ostküste von Florida zu gelangen.

„Sehr richtig“, sagte Renke Eggens, der Ribault, Karl von Hutten und Pierre Puchan, der gerade am Ruder stand, auf dem Achterdeck Gesellschaft leistete. „An der Ostküste steht der Golfstrom weniger stark gegenan als mitten in der Floridastraße.“

„Allerdings sitzen in St. Augustine die Dons“, gab von Hutten zu bedenken.

„Mit denen werden wir wohl kaum Ärger kriegen“, sagte Jean Ribault. „Erstens können sie nicht ständig die Floridastraße kontrollieren, zweitens haben wir als deutsche Kauffahrer nichts zu befürchten.“

Natürlich konnte er nicht ahnen, daß die Floridastraße von den Spaniern stark überwacht wurde. Und er fühlte sich sicher. Die „Golden Hen“ war hinreichend als deutsches Handelsschiff getarnt. „Blondschöpfe“ hatte sie auch genug an Bord: Renke Eggens, Hein Ropers, Hanno Harms und weitere zwei Männer aus der Besatzung der „Wappen von Kolberg“. Sie würden bei einer direkten Konfrontation mit Spaniern – auch in Havanna – den Schein perfekt aufrechterhalten. Renke Eggens, das hatten die Männer bereits vereinbart, würde in einem solchen Fall den Posten des Kapitäns übernehmen.

In Havanna war die „Golden Hen“, die vormals der Piratenbande des Isidro Flores und Caspicara gehört hatte, nicht bekannt. Dort würde man also keinerlei Verdacht schöpfen, es könne mit dem Schiff etwas nicht stimmen. Der Plan war ideal: Die „Goldene Henne“ war von Kolberg kommend über den Atlantik gesegelt und brachte Ware für das Handelshaus von Manteuffel.

Jedes andere Schiff des Bundes der Korsaren hätte Aufsehen und Mißtrauen auf Kuba erregt. Undenkbar wäre es gewesen, die „Caribian Queen“ von Siri-Tong zu schicken – oder den Schwarzen Segler des Wikingers. Das gleiche galt für die „Isabella IX.“ und für die „Empress of Sea II.“.

Die „Wappen von Kolberg“ und die „Pommern“ schieden ebenfalls aus, weil sie gerade in Havanna gewesen waren und Bauhölzer und Zubehör für den Schiffsbau geladen hatten. Offiziell waren sie nach Deutschland unterwegs, es hätte also für ihr neuerliches Auftauchen keinerlei plausible Erklärung gegeben.

Bereitwillig hatte Jean Ribault den Auftrag angenommen. Arne von Manteuffel mußte so schnell wie möglich unterrichtet werden. Unter anderem ging es auch darum, daß die Brieftauben auf die neue Position der Insel Great Abaco getrimmt werden mußten.

Sie waren nach wie vor auf die nicht mehr existierende Schlangen-Insel ausgerichtet und mußten nun von Jussuf entsprechend umgeschult werden. Die Brieftauben waren die einzige Verständigungsmöglichkeit zwischen dem Handelshaus von Manteuffel in Havanna und dem Stützpunkt des Bundes der Korsaren.

Bisher war die Fahrt der „Golden Hen“ ruhig und ohne Zwischenfälle verlaufen. Am frühen Nachmittag dieses Tages jedoch war es Jonny, der als Ausguck im Großmars der Karavelle stand und Backbord voraus etwas sichtete.

„Mastspitzen!“ rief er. „Drei Schiffe!“

 

„Spanier?“ fragte Jean Ribault.

„Es sieht so aus! Drei Dreimaster!“ erwiderte Jonny.

Wenig später konnten die Männer die Schiffe durch den Kieker klar erkennen.

„Fein“, sagte Karl von Hutten. „Es sind spanische Kriegsschiffe. Zwei Galeonen und eine mit Lateinersegeln getakelte Karavelle. An denen können wir uns bestimmt nicht so einfach vorbeimogeln.“

„Damit rechne ich auch nicht“, sagte Jean Ribault. „Trotzdem haben wir keinen Grund, uns zu sorgen. Das weißt du.“

Renke Eggens grinste. „Wie gut, daß wir ein paar ordentliche Papiere für unsere ‚Goldene Henne‘ vorbereitet haben.“

„Ja, das war eine gute Idee“, pflichtete Jean Ribault ihm bei.

Renke hatte sich bei der „Ausfertigung“ der Papiere große Mühe gegeben. Aus diesen „Frachtbriefen“ und „Zertifikaten“ ging eindeutig hervor, daß die „Henne“ samt ihrer Besatzung zum Handelshaus von Manteuffel in Kolberg gehörte.

Begegnungen mit spanischen Schiffen, deren Kapitäne neugierig und argwöhnisch waren, hatten sie also von vornherein mit eingeplant. Aus diesem Grund hatte Renke Eggens nicht nur die Papiere gefälscht, sondern auch ein Schiffstagebuch geführt, das bewies, daß die „Goldene Henne“ Anfang März ihren Heimathafen Kolberg mit Ziel Havanna verlassen und die Nordroute über die Bermudas genommen hatte.

Die „Goldene Henne“ führte im Großmasttopp die Flagge mit dem roten Greif auf silbernem Feld – das Wappen Pommerns – und an der Besanroute die Flagge von Kolberg mit der Bischofsmütze, den drei Stadttürmen und den beiden Schwänen. Man mimte also nach Kräften auf gut Deutsch. Dazu gehörte natürlich auch korrekte, biedere Handelsfahrerkleidung. Und die Pistolen und Entermesser hatten Jean Ribault und seine Mannen abgelegt.

Man gab sich als braver Handelsfahrer mit „sauberer“ Crew aus. Dieser Tarnung entsprechend hatten die Männer keine Veranlassung, den drei Kriegsschiffen auszuweichen oder gar die Flucht zu ergreifen – was wiederum das Mißtrauen der Spanier erregen würde.

Jean Ribault ließ den bisherigen Kurs beibehalten. Sie segelten auf die beiden Kriegsgaleonen und die Kriegskaravelle zu. Karl von Hutten war trotzdem skeptisch. Er traute dem Ganzen nicht. Daß seine Bedenken nicht unbegründet waren, sollte sich bald herausstellen.

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