Seewölfe - Piraten der Weltmeere 466

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 466
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-874-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Volle Breitseite

Das Fort mußte weg – und da half nur der Eisenhagel

Es sah schlimm aus für Jean Ribault, der von dem Bootsmann O’Leary als „Kumpan“ des Piraten Killigrew erkannt worden war. Denn Don Lope, der Kommandant von St. Augustine, hatte die Absicht, den Franzosen zu zerbrechen, um zu erfahren, wo der Seewolf aufzuspüren sei. Die Folterknechte würden Jean Ribault verkrüppeln, das stand fest. Jedoch – was noch niemand geschafft hatte, das gelang dem Franzosen. Er konnte fliehen, und mit seinem Kapitän verschwand auch Roger Lutz. Der Rest der Crew – gefangen in dem Festungskerker – konnte aufatmen. Dabei wußten sie noch nicht, daß auch Jan Ranse und Mel Ferrow ihr Ziel erreicht hatten und auf den Seewolf und den Wikinger gestoßen waren. Das wiederum wurde dem Teniente de Zavallo zum Verhängnis …

Die Hauptpersonen des Romans:

Jean Ribault – bereitet zusammen mit Roger Lutz den großen Coup vor.

Don Lope de Sanamonte – der Kommandant von St. Augustine hat Beschwerden beim Reiten – es bleiben nicht seine einzigen.

O’Leary – der Bootsmann und die Schwefelbande Sir Johns haben kein Vergnügen an ihrer wiedergewonnenen Freiheit.

Philip Hasard Killigrew – feuert mit seiner „Isabella“ volle Breitseiten ab.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Mila, die Spanierin, blickte durch das Bleiglasfenster ihres Dachzimmers ins Freie. Jetzt, am Morgen des 30. April 1595, konnte sie verfolgen, was sich in St. Augustine abspielte. Da herrschte einige Aufregung. Soldaten rannten auf und ab, bildeten Trupps und rückten aus. Auch in der Festung war der Teufel los. Mila glaubte sogar, die Stimme des Kommandanten, Don Lope de Sanamonte, herüberschallen zu hören.

Recht so, dachte sie schadenfroh. Sie gönnte Don Lope die Niederlage. Er hatte nichts anderes verdient. Zwei der Gefangenen, die nachts in den Kerker der Festung eingepfercht wurden und tagsüber Zwangsarbeit leisten mußten wie alle anderen Sträflinge, waren geflohen. Sie schienen spurlos verschwunden zu sein, als ob sie sich in Luft aufgelöst hätten. Don Lope gelang es nicht, auch nur die kleinste Spur von ihnen aufzunehmen.

Mila lächelte. Sie ließ sich auf einem Stuhl am Fenster nieder und begann mit ihrem Tagwerk. Sie verdiente sich einen Teil ihrer Brötchen mit Näharbeiten und war flink und geschickt mit ihren Fingern. Abends und nachts ging sie einem anderen Gewerbe nach – unten, in der Kneipe. Dort hatte sie auch den Franzosen kennengelernt.

Das war ein Mann! Mila seufzte, wenn sie nur an ihn dachte. Solch einen Kerl lernte man nicht jede Nacht kennen. Sie wäre froh gewesen, wenn er noch ein wenig länger bei ihr geblieben wäre. Aber es wäre viel zu riskant gewesen, ihn in dem Dachzimmer zu verstecken. Außerdem hatte er seinen Kameraden zu versorgen, der in den Sümpfen auf ihn wartete.

Unwillkürlich mußte Mila lachen. Sie konnte sich vorstellen, wie Don Lope jetzt auf dem Hof der Festung herumtobte. Zwei Sträflinge entflohen? Das war noch nie passiert. Der Kerker war sicher.

Keiner von denen, die dort in den Einzel- oder Gemeinschaftszellen einsaßen, dachte auch nur im Traum daran, den Ausbruch zu versuchen. Die Gefängniswärter waren rohe, ungeschlachte Gesellen, die mit der Peitsche so gut wie mit der Pistole umzugehen verstanden. Der Hof der Feste war ständig, auch bei Nacht, von den Soldaten des Don Lope de Sanamonte bewacht. Keine Maus konnte entweichen.

Doch der Franzose und sein Freund waren ja auch nicht aus dem Kerker ausgebrochen. Sie hatten sich eines anderen, kaum weniger waghalsigen Tricks bedient. Bei der Fronarbeit draußen, außerhalb der Festung, hatten sie zwei Posten überrumpelt und waren in den Wassergraben gesprungen. Sie waren weggetaucht und in der Dunkelheit verschwunden. So einfach hatte es sich angehört, als der Franzose es Mila, der vollbusigen Schönheit, erzählt hatte.

Aber Mila wußte, wie tollkühn man sein mußte, um den bulligen Wächtern zu entgehen. Sie konnten einen Mann mit ihren Peitschen glatt totschlagen. Es war schon geschehen. Sie kannten weder Gnade noch Pardon, und sie schikanierten die Gefangenen, die derzeit einen Wehrgraben ausheben mußten, wo und wann sie nur konnten.

Mila haßte Don Lope und dessen Schergen. Warum, das hatte sie dem Franzosen berichtet, als sie in der Pinte zusammengesessen und kräftig geschmust hatten. Die Soldaten, die alles abgesucht hatten, waren an ihnen vorbeigegangen. Offenbar rechneten sie nicht damit, daß jemand, dem eben die Flucht gelungen war, so kaltblütig sein würde, sich in eine Hafenkneipe zu setzen und sich dort ein Schätzchen zu suchen.

Don Lope de Sanamonte hatte mit einer Freundin von Mila ein Verhältnis gehabt. Als er erfahren hatte, daß das Mädchen ein Kind von ihm erwartete, hatte er sie hohnlächelnd sitzenlassen. Das alles wäre noch nicht so schlimm gewesen – wenn die Freundin nicht mit dem Kind, ins Wasser gegangen wäre.

Niemand hatte das Mädchen und das Kind retten können. Sie waren im Meer von St. Augustine ertrunken. Nicht einmal ihre Leichen waren geborgen worden. Man hatte sie treiben lassen. Seitdem haßte Mila Don Lope – so tief und innig, wie eine Frau ihres Temperaments zu hassen vermochte.

Von jenem Moment an, in dem sie dem Franzosen dies erzählt hatte, hatte er gewußt, daß er ihr vertrauen konnte. Mila erfuhr seinen Namen: Roger Lutz. Er schilderte nun seinerseits, was sich zugetragen hatte und wie es zu der völlig aberwitzigen „Verhaftung“ seiner Crew gekommen war.

Der Narr Don José de Zavallo, seines Zeichens Teniente, hatte sich erdreistet, die deutsche Handelskaravelle „Goldene Henne“ des Handelshauses von Manteuffel in Kolberg einfach zu beschlagnahmen. Er hatte fadenscheinige Vorwände benutzt, um die Karavelle nach St. Augustine zu verschleppen. Beispielsweise behauptete er, es könne nicht angehen, daß ein deutscher Kauffahrer einen Bastard von Indianermischling als Lotse an Bord habe.

Der „Bastard“ hieß Karl von Hutten und war der Sohn eines deutschen Adligen und einer Indianerin. Doch was ging das den Teniente an? Nichts – die Besatzung war ohne jegliche Rechtsgrundlage verhaftet worden. Man hatte sie an Bord ihres Schiffes nach St. Augustine überführt und einfach zu Gefangenen erklärt, um sie als Zwangsarbeiter auszunutzen.

Doch der wahre Hintergrund für das Vorgehen der Spanier war der große Bedarf an Schiffsraum, der in St. Augustine herrschte. Don Lope war über jeden Segler froh, den seine Kapitäne und Seesoldaten für ihn „requirierten“. Inzwischen hatte Don José de Zavallo die „Goldene Henne“ als Kommandant übernommen und war mit ihr ausgelaufen, um die Florida-Straße zu kontrollieren und den üblichen Wach- und Patrouillendienst zu versehen.

Wohlweislich hatte Roger Lutz der feurigen Mila allerdings verschwiegen, daß die „Goldene Henne“ weder ein deutscher Kauffahrer war noch die Besatzung aus biederen Handelsleuten bestand. Auch wußte sie nicht, daß während der Überfahrt nach St. Augustine zwei Männer der Jean-Ribault-Crew mit einer Jolle entkommen waren: Jan Ranse und Mel Ferrow. Die hatten inzwischen die „Isabella IX.“ und den Schwarzen Segler vor Great Bahama getroffen und Hasard und dem Wikinger alles berichtet. Dem Seewolf war es gelungen, die „Goldene Henne“ aufzubringen und wieder in den Besitz des Bundes der Korsaren zu übernehmen. Das aber war Jean Ribault, Roger Lutz und den im Kerker von St. Augustine einsitzenden Freunden noch nicht bekannt.

Mila war zutiefst empört über das Unrecht, das man den Männern der „Goldenen Henne“ antat. Sofort erklärte sie sich bereit, Roger zu helfen. Sie besorgte ihm Proviant – und er verließ das Dachzimmer in der Nacht auf dem „Schleichpfad“.

Zu dem Dachzimmer gelangte man über eine Außentreppe auf der Hinterseite des Hauses, wo sich ein großer Hof befand. Dieser wiederum grenzte an eine Nebengasse und war von dort aus durch eine Hintertür zu erreichen. So hatte niemand Roger Lutz gesehen, als er mit seinem Proviantsack in der Nacht verschwunden war. Allerdings hatte er noch einen Soldaten bewußtlos geschlagen und diesem die Waffen und die Munition abgenommen. Dann hatte er sich mit dem von ihm „requirierten“ Kahn verzogen.

Mila unterbrach ihre Näharbeiten, verließ ihre Bleibe und mischte sich am Hafen unter die Leute. Die Flucht der „Deutschen“ war das Gespräch Nummer eins – das Tagesthema. Mila war nicht die einzige, die dem Kommandant de Sanamonte diese Schmach von Herzen gönnte. Viele konnten den Kommandanten nicht leiden.

 

Noch lieber wäre Mila gewesen, wenn auch Don José de Zavallo von dem Bubenstreich der „Deutschen“ erfahren hätte. Diesen kaltschnäuzigen Mann haßte sie genauso wie Don Lope de Sanamonte. De Zavallo war ein Sadist Mila war einmal mit ihm zusammengewesen. Nie wieder, hatte sie sich gesagt. Selbst eine hartgesottene Dirne fühlte sich von diesem Teniente mit den ausgefallenen Wünschen angewidert.

Viel schlimmer war, daß de Zavallo bei seinem Ziel, unbedingt die Karriereleiter zu erklettern, über Leichen ging. Er kannte weder Skrupel noch Hemmungen. Schon manchem anderen Mann in St. Augustine war diese Art unangenehm aufgefallen. Viele haßten de Zavallo, weil er rücksichtslos mit der Neunschwänzigen auf seine Männer losging, falls sie mal nicht parierten. In den Kneipen kursierten die haarsträubendsten Berichte.

Manch einer hätte diesem Don José de Zavallo gern ein Messer zwischen die Rippen gestoßen. Doch wer riskierte schon, am Hals aufgehängt zu werden? De Zavallo räumte jeden aus dem Weg, der ihm in die Quere geriet. Jetzt war er bereits Kommandant eines Schiffes. Irgendwann, so dachte Mila, würde er auch de Sanamonte übertrumpfen und dessen Posten als Festungskommandant übernehmen. Dann würde es in St. Augustine noch übler zugehen als jetzt.

Mila ging zur Festung. Sie hörte die Befehle, die auf dem Innenhof ausgestoßen wurden. Immer neue Suchtrupps wurden gebildet. Das Tor öffnete sich in unregelmäßigen Zeitabständen, Soldaten rückten aus. Mila war sicher, daß sie den Franzosen und seinen Freund nie finden würden. Roger war schlau und flink, gerissen wie ein Fuchs. Innerlich lachte sie und freute sich diebisch über Don Lopes Ohnmacht.

Als sie am Kerker vorbeischritt, schob sich eine behaarte Hand aus einem der winzigen vergitterten Fenster hervor, die sich in Höhe des Fußsteiges befanden. Mila sah es rechtzeitig und wich aus. Drinnen stieß der Kerl, dem die Hand gehörte, einen Fluch aus. Auf englisch. Mila verstand diese Sprache nicht. Aber sie wußte, wer der Grapscher war. Einer dieser ekelhaften ferkelgesichtigen Kerle, die mit den anderen Engländern im Gefängnis hockten.

Als sie in die Festung geführt worden waren, hatte Mila auf dem Kai gestanden und sie aus unmittelbarer Nähe betrachtet. Rohe Kerle waren das, und der schlimmste war der Bootsmann, der, wie Mila vernommen hatte, O’Leary hieß. Aber auch die ferkelgesichtigen Brüder waren nicht zu unterschätzen. Weiter gehörten sieben Señores zu der Bande, die zwar einen sehr hochwohlgeborenen Eindruck machten, nach Milas Überzeugung aber genauso durchtriebene Halunken wie die anderen waren. Sie hatte genug Menschenkenntnis. Keiner konnte sie so leicht täuschen.

Keiner wußte genau, ob diese Strolche Piraten oder „Sonderbeauftragte“ ihrer Königin waren, wie sie behaupteten. Don Lope hielt sie „zur Beobachtung“ in St. Augustine fest, bis er sich selbst über sie im klaren war. Sonst hätte er sie wahrscheinlich bereits deportieren lassen, obwohl er Sklaven für die Festungsarbeiten immer gebrauchen konnte.

Mila mischte sich unter eine Reihe von Schaulustigen, die am Tor der Festung standen, und verfolgte, was weiter geschah.

Simon Llewellyn Killigrew, der nach Milas Fußknöchel hatte grapschen wollen, ließ sich mit einem Fluch auf das Stroh am Boden der Gemeinschaftszelle sinken. Dumpf blickte er seinen Bruder Thomas Lionel an.

Thomas Lionel fragte mit mürrischer Miene: „Was soll der Quatsch?“

„Hast du gesehen, was sie für einen Hintern hat?“ fragte Simon Llewellyn zurück.

„Nein“, brummte sein Bruder. „Was nutzt mir der schönste Hintern, wenn ich an ihn nicht rankann?“

Simon Llewellyn schnitt eine verächtliche Miene. „Du Tranfunzel. Ich hätte sie durchs Gitter zu uns gezogen, wenn sie nicht ausgewichen wäre.“

Thomas Lionel grinste. „Ja? Und was dann?“

„Dreimal darfst du raten.“

„Was brummeln die Kerle?“ fragte einer der Hochwohlgeborenen, die in einer anderen Ecke der geräumigen Zelle hockten.

„Vulgäres Zeug“, erwiderte Sir James Sandwich. „Wie es sich für solche Primitivlinge geziemt.“

„He“, sagte Simon Llewellyn. „Habt ihr was zu meckern?“

Die sieben „Gentlemen“ antworteten nicht. Und O’Leary, der mit finsterer Miene an der Tür stand, schoß einen derart haßerfüllten, mörderischen Blick auf die Ferkel-Brüder ab, daß diese jede weitere Äußerung unterließen. O’Leary hatte sie oft genug verprügelt. Sie wollten ihm keinen Anlaß geben, seine kochende Wut an ihnen auszulassen.

Es herrschte wieder Schweigen in der Zelle der Engländer. O’Leary brütete dumpf vor sich hin. Er hatte die Hiebe, die er von Jean Ribault bezogen hatte, noch nicht richtig verarbeitet. Und jetzt die Nachricht, daß der Franzose entflohen war! Und mit ihm war noch ein anderer Kerl getürmt. Das war zuviel für O’Leary.

Er wartete nur darauf, daß die Wärter erschienen, um die Gefangenen wie jeden Tag zur Zwangsarbeit zu führen. Dann würde er verlangen, noch einmal Don Lope de Sanamonte vorgeführt zu werden. Er, O’Leary, traute sich zu, den „Hund von einem Franzosen“ im Dschungel um St. Augustine wiederzufinden.

Immerhin war Ribault gewissermaßen der Pfand für O’Learys Freilassung. Gelang es Don Lope, durch Ribault den Seewolf zu finden, den er wie die Pest haßte, dann würde er sich dem ehemaligen Bootsmann der „Lady Anne“ gegenüber gewiß erkenntlich zeigen. Nur darauf wartete O’Leary. Doch wenn Don Lope Ribault nicht mehr ausquetschen konnte, weil dieser auf und davon war, sah es übel aus.

Karl von Hutten, Renke Eggens, Hein Ropers, Hanno Harms und die anderen Männer von Ribaults Crew, die in einer der anderen großen Zellen des Kerkers zusammensaßen, sprachen ebenfalls kein Wort. Sie hofften nur das eine: daß Jean Ribault und Roger Lutz nicht wieder gefaßt wurden. Was mit ihnen selbst geschah, war ihnen zur Zeit ziemlich egal. Sie empfanden nur – wie Mila – die allergrößte Schadenfreude. Don Lope hatte nicht damit gerechnet, daß ausgerechnet der Mann, den O’Leary als „Spießgesellen“ des Seewolfes wiedererkannt zu haben glaubte, fliehen würde.

Auf die Gefängniswärter, die sie sonst abholten, konnten die Insassen des Kerkers an diesem Morgen allerdings lange warten. Die erschienen nicht. Sie hatten jetzt Wichtigeres zu tun, als die Sträflinge aus den Zellen zu holen und zur Sklavenarbeit zu treiben. Don Lope de Sanamonte brauchte jeden Mann.

Mit verzerrtem Gesicht stand Don Lope de Sanamonte auf dem Festungshof. Er leitete die Suchaktion, schrie seinen Männern Befehle zu, trieb sie zur Eile an. Alle, die verfügbar waren, hatten sich bei ihm einzufinden: Soldaten, Seesoldaten, Artilleristen, Aufseher und sogar Seeleute. Zornig stellte Don Lope die einzelnen Trupps zusammen und jagte sie hinaus. Der „Hund von einem Hugenotten“ und sein Kumpan mußten gefunden werden!

Don Lope konnte es noch immer nicht richtig fassen, was geschehen war. Nie hätte er das für möglich gehalten, und doch war es passiert: Die beiden Gefangenen waren am Vorabend auf die dreisteste Weise ausgebrochen und spurlos verschwunden. Der Zeitpunkt war höllisch geschickt gewählt: bei Sonnenuntergang, als die Arbeiten am Festungsgraben der Landseite wegen der einbrechenden Dunkelheit eingestellt wurden.

Die beiden Kerle waren einfach in den Wassergraben gesprungen und weggetaucht. Sie hatten sich von der Strömung aus dem Festungsbereich wahrscheinlich bis an den Strand treiben lassen. Die Katastrophe war nur, daß es sich bei den Kerlen nicht um x-beliebige Hafenstrolche handelte. Die sollten bleiben, wo der Pfeffer wuchs. Nein, es handelte sich um den höchst verdächtigen ketzerischen Hugenotten, der als Erster Offizier auf der deutschen Karavelle „Goldene Henne“ fuhr, und um einen Mann aus dieser Crew.

Don Lope knirschte heftig mit den Zähnen. Er empfand den Handstreich, mit dem die beiden Kerle sich befreit und abgesetzt hatten, als eine persönliche Schmach und Erniedrigung. Ausgerechnet der Hugenotte, dachte er immer wieder, mögen ihn die Alligatoren zerreißen!

Aber nein – auch das war nicht die richtige Lösung. Er brauchte den Kerl lebend. Denn diesen Hugenotten namens Jean Ribault hatte der englische Bootsmann O’Leary als einen Kumpan des englischen Piraten Killigrew erkannt. Don Lope de Sanamonte brauchte Jean Ribault. Er hatte sich vorgenommen, ihn zunächst durch Zwangsarbeit zu zermürben und ihm dann mittels der Methoden des peinlichen Verhörs den Rest zu geben. Ribault mußte ausspucken, was er wußte. Und er würde ihn, Don Lope, zu dem Schlupfwinkel des Seewolfs führen.

Nur dieses eine Ziel hatte de Sanamonte vor Augen. Er würde „El Lobo del Mar“ nicht nur vernichten und sich an ihm und seiner Brut rächen. Mehr, viel mehr! Er würde vom König persönlich für seine Tat belobigt und befördert werden und das Kopfgeld kassieren, das für die Ergreifung des Schnapphahns Killigrew ausgesetzt war. Obendrein würde er, Don Lope de Sanamonte, auch noch die Schätze sicherstellen, die dieser Oberbastard an sich gerissen hatte. Kein Zweifel, man würde den Kommandanten von St. Augustine wie den Retter und Erlöser der Menschheit feiern!

Doch das Ziel schien in weite Ferne gerückt zu sein. Die Suchtrupps kehrten nach und nach zurück. Ihre Anführer konnten nur Negatives vermelden, eine Fehlanzeige nach der anderen. Es gab keine Spuren, keine Hinweise. Entweder hatte der Sumpf die Entflohenen verschlungen, oder aber sie waren über das Meer davongesegelt. Beides erschien Don Lope jedoch absurd. Wo also, zum Teufel, hielten sie sich versteckt?

Don Lope tobte.

„Ihr Bastarde!“ schrie er die Soldaten und Wärter an. „Unfähige Säcke! Bewegt euch! Ihr müßt die Hunde finden!“

„Señor Kommandant“, sagte einer der Soldaten, ein Teniente. „Wir haben alles versucht, was in unseren Kräften steht. Die Kerle sind schon zu weit entfernt.“

Mit zornfunkelnden Augen blickte Don Lope den Mann an. „So? In welche Richtung sind sie denn verschwunden?“

„Das weiß ich nicht, Señor.“

„Keine Ahnung, wie?“ stieß Don Lope angriffslustig hervor. „Aber das große Wort führen, nicht wahr? Sie marschieren sofort wieder mit ihrem Trupp los!“

„Jawohl, Señor“, sagte der Teniente, dann wandte er sich ab und führte seine Soldaten aus der Festung ins Freie – vorbei an den Schaulustigen, die sich über die verbissenen Gesichter der Soldaten zu amüsieren schienen.

Don Lope de Sanamonte stelzte auf dem Hof auf und ab. Es ließ ihm keine Ruhe: Die Fahndung mußte Erfolg haben. Er wollte und mußte diesen Mann, diesen Hugenotten, haben, stellte dieser doch den Schlüssel dar, über ihn an den berüchtigten Seewolf und dessen Schlupfwinkel – wo immer der sich auch befinden mochte – zu gelangen.

Mit Philip Hasard Killigrew hatte Don Lope de Sanamonte auch ein ganz persönliches Hühnchen zu rupfen. Schließlich war es dieser Bastard gewesen, der St. Augustines Schatzkeller bereits einmal ausgeplündert hatte. Nie würde Don Lope vergessen, welche Schmach und Schande der Hund von einem Engländer ihm seinerzeit zugefügt hatte. An die damalige Jagd auf ihn konnte Don Lope nur noch mit Grausen denken. Es hätte auch nicht viel gefehlt, und er wäre damals als Fort-Kommandant abgelöst worden.

Nur allzu verständlich war es also, daß de Sanamonte alles daransetzte, den entlaufenen Hugenotten und dessen Kumpan wieder einzufangen. Alle verfügbaren Kräfte zog der Kommandant an diesem Morgen zusammen – auch die Aufseher über die Sklavenarbeiter am Wehrgraben. Er stellte sie zu immer neuen Suchtrupps zusammen. Alle Trupps, die erfolglos in die Festung zurückkehrten, wurden sofort erneut auf den Marsch geschickt.

Die Arbeit am Wehrgraben war jetzt zweitrangig. Die Gefangenen blieben in ihren Zellen im Fortgefängnis. Don Lopes Anweisungen an die Suchtrupps waren knapp und präzise: Jean Ribault sollte lebend eingebracht, sein Fluchtkumpan erschossen werden. Mit diesem zweiten Kerl mochten die Soldaten und Aufseher verfahren, wie sie wollten – Don Lope war es egal. Falls es sich so ergab, verpaßten sie ihm ganz einfach eine Kugel. Oder sie erschlugen ihn. Don Lope brauchte diesen Kerl nicht.

Hatte man in der Nacht St. Augustine selbst bei der Suche nach den Flüchtlingen auf den Kopf gestellt, so wurde jetzt, bei Tageslicht, die Umgebung abgeforscht und durchgekämmt. Dies war längs der Küste nach Norden und nach Süden durchaus möglich, aber nicht im westlichen Hinterland, das aus sumpfigem Urwald bestand und völlig unzugänglich war. Kein Mensch traute sich in diese malaria- und alligatorenverseuchte Wildnis. Sie war giftig und tödlich.

Don Lope de Sanamonte hielt es für völlig ausgeschlossen, daß die beiden Kerle in diese Hölle geflüchtet sein könnten. Er brauchte nur an die Panzerechsen und die giftigen Schlangen dort zu denken, dann schauderte es ihn.

 

„Dort brauchen wir nicht zu suchen“, sagte Don Lope barsch, als einer der Soldaten, ein Sargento, die Sprache darauf brachte. „Die Hunde müßten ja verrückt sein, wenn sie sich dort verkriechen würden.“

Der Sargento, ein graubärtiger Mann namens Bonano, der schon viele Erfahrungen in Florida und anderen Bereichen der Neuen Welt gesammelt hatte und seit vielen Jahren hier seinen Dienst tat, wandte ein: „Aber wenn sie sich ein Boot geschnappt haben, Señor? Ich könnte mir denken, daß das gar nicht so schwierig wäre.“

„Das Denken überlassen Sie am besten mir, Sargento“, kanzelte ihn Don Lope, der sowieso keinen Widerspruch duldete, ab. „Die Hunde sind nicht lebensmüde. Sie wollen sich weder das Wechselfieber holen noch von Schlangen gebissen werden. Die verstecken sich sonstwo, aber nicht in den Sümpfen.“

„Ja, Señor“, erwiderte Bonano. Aber er dachte: Leck mich doch.

Damit war der durchaus gute und logische Hinweis Bonanos vertan. Die Trupps schwärmten aus und wandten sich nord- und südwärts entlang der Küste.

Es waren nicht eben wenige Spanier, die jetzt wieder unterwegs waren. Fort St. Augustine wurde im wahrsten Sinne des Wortes von seiner Besatzung entblößt. Don Lope de Sanamonte hatte sich inzwischen davon überzeugt, daß wieder mal – wie üblich – außer ihm alle anderen Idioten waren. Er übernahm selbst den Oberbefehl über den zweiten Teil der Suchaktion und beschloß, den nordwärts suchenden Soldaten zu folgen, um im richtigen Moment zur Stelle zu sein und zuzupacken.

Denn seiner Meinung nach waren Jean Ribault und dessen Spießgeselle in genau diese Richtung geflohen – nach Norden. Der Grund? Der nördliche Bereich des Umlandes war eher als „Niemandsland“ zu bezeichnen als die südliche Küstengegend von St. Augustine. Das mochten auch die beiden Entflohenen wissen oder zumindest ahnen. Don Lope war sicher, sich in seiner instinktiven Beurteilung der Lage nicht zu täuschen.

Ein Pferd wurde für den Kommandanten, gesattelt. Mit schroffer Stimme gab Don Lope wieder seine Befehle. Zwei Melder, ein Sargento und zwei Soldaten – also fünf Mann – begleiteten ihn, natürlich ebenfalls zu Pferde.

Ziemlich umständlich hievte sich Don Lope de Sanamonte in den Sattel des Pferdes. Wie lange war es her, daß er zum letzten Mal geritten war? Er wußte es nicht mehr. Die Amtsgeschäfte ließen ihm keine Zeit, sich auf diese Weise die Zeit zu vertreiben. Zwar hatte der Kommandant den Eindruck, daß seine Knochen eingerostet und sein Körper träge und schwerfällig waren, doch er sagte sich, daß bei dem Ritt die erforderliche Übung schon wieder zurückkehren würde.

So jagte die Gruppe im Galopp aus dem Fort. Don Lope führte die Kavalkade an. Er registrierte nicht den spöttischen, verächtlichen Blick, den Mila ihm nachwarf. Fahr zur Hölle, du Hund, dachte sie, ich wünsche dir von Herzen, daß du dir den Hals brichst!

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?