Seewölfe - Piraten der Weltmeere 487

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 487
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-895-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Das Ende einer Jagd

Im ersten Morgenlicht griffen sie an – und entfesselten ein Inferno

One-Eye-Doolin mußte mit seiner „Scorpion“ flüchten. Gegen drei Gegner hatte er nicht den Hauch einer Chance, und sie hatten ihm bereits gezeigt, daß sie zu kämpfen verstanden – besser, viel, viel besser als diese armseligen Handelsfahrer, die er bisher mit seiner Horde ausgenommen hatte. Jetzt half nur noch Beten, aber das war für One-Eye-Doolin und seine Kerle ein fremder Begriff. Die drei Verfolger segelten in seinem Kielwasser – hungrige Wölfe auf einer heißen Spur. Aber Doolin hatte noch einmal Glück, als der prasselnde Regen einsetzte. In den dichten Regenschwaden verschwand die „Scorpion“, und die drei Verfolger hatten das Nachsehen. Philip Hasard Killigrew entschied, zu den alten Gründen zurückzusegeln – dort würde auch One-Eye-Doolin wieder auftauchen …

Die Hauptpersonen des Romans:

One-Eye-Doolin – der Kapitän der „Scorpion“ will nicht wahrhaben, daß Flucht der bessere Teil der Tapferkeit ist.

Rattigan – ein Kerl, der sich buchstäblich zu Tode säuft.

Harper Murdock – ein Bulle von Bootsmann, aber er bezieht nur Dresche.

Seadog – der „Seehund“ kann gut tauchen – bis die Haie da sind.

Philip Hasard Killigrew – der Gegner entwischt ihm, aber dann stellt er ihn doch noch.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

Rattigan, ein grober und ungeschlachter Kerl, dessen Vornamen kein Mensch kannte, hatte in West Looe, Cornwall, das Licht der Welt erblickt. Schon mit zehn Jahren war er von zu Hause durchgebrannt, war nach einigen Abenteuern als blinder Passagier an Bord einer Pinasse nach Irland gereist und hatte sich dort einige Jahre bei Kesselflickern und Trunkenbolden herumgetrieben. Nebenbei hatte er gelernt, wie man kleinere Einmaster segelte und mit ihnen größere Frachtkähne überfiel und ausplünderte.

Mit Zwanzig war Rattigan nach West Looe zurückgekehrt. Hier hatte er eines Tages Doolin kennengelernt, der von allen nur One-Eye-Doolin genannt wurde. Ein Kerl ganz nach seinem Geschmack war dieser Doolin: schwarzbärtig, mit einer schwarzen Klappe über dem rechten Auge und einem goldenen Ring im rechten Ohr. Rattigan hatte erlebt, wie Doolin in einer Spelunke kräftig aufgeräumt hatte. An jenem Abend wurden sie Freunde.

Seit fünf Jahren segelte Rattigan nun unter Doolins Kommando. Sie waren Schnapphähne und Küstenhaie und „fischten“ ihre Beute im Kanal. Es war eine starke, skrupellose Crew, die mit dem Einäugigen auf Raubzüge ging. Auf jeden konnte sich Doolin verlassen. Noch nie hatten sie Niederlagen erlitten.

Dann reifte der Plan, den Atlantik zu überqueren und sich in der Karibik „umzuschauen“. Genährt wurden One-Eye-Doolins Bestrebungen von dem, was er bei Plymson in der „Bloody Mary“ in Plymouth aufgeschnappt hatte: die Karibik war ein „goldenes Gefilde“, man konnte dort steinreich werden, wenn man den Spaniern nur genügend Gold, Silber, Perlen und Diamanten abnahm. Statt die Beute den Spaniern abzujagen, konnte man sich aber auch auf einen gewissen Philip Hasard Killigrew konzentrieren. Der war angeblich steinreich und hatte das Gold bergeweise gehäuft. Er war so reich, daß er es selbst nicht mehr in Zahlen und Werten zu messen vermochte. Wahrscheinlich war er der reichste Mann der Welt.

Nichts hatte Doolin und seine Kerle mehr in Cornwall halten können. Sie waren aufgebrochen in die „goldenen Gefilde“. Erst waren sie bei Diego auf Tortuga eingekehrt aber dort hatten sie nichts Konkretes über „den Killigrew“ erfahren können. Dann aber waren sie aufs Geratewohl in das Gebiet der Caicos Islands gesegelt und waren fündig geworden. Ja, wirklich: hier brauchte man nur zu fischen, und schon hatte man Gold, Silber und Juwelen an der Angel – oder besser: am Draggen.

Alles hatte so schön begonnen. Dann aber war das dicke Ende gekommen. Drei Schiffe waren aufgetaucht. Der schwarzhaarige Bastard, der sie befehligte, hatte Doolin und seiner Bande die Beute wieder abgenommen. Er hatte ihnen verboten, weiterzufischen. Doolin hatte einige Zeit gebraucht, um zu begreifen, wen er da vor sich hatte. Dann aber fiel’s ihm wie Schuppen von den Augen: Ja, es war „der Killigrew“!

Aufgeben? One-Eye-Doolin war nicht der Mann, der die Muskete einfach ins Wasser warf. Er hatte aufbegehrt und war gegen den „Bastard“ ins Gefecht gezogen. Doch er hatte Federn lassen müssen: die Hundesöhne hatten die „Scorpion“ angeschossen, hatten die Großmaststenge abgetakelt, den Bugspriet samt Blinde weggeputzt und mit ihren „Kometen“ Feuernester entfacht. Wie die Verrückten hatten die Kerle löschen müssen. Außerdem hatte es im Heck Lecks gegeben, die abgedichtet werden mußten.

Rattigan hatte die Nase voll. Fluchend stolperte er in das Mannschaftslogis der „Scorpion“. Er hustete, spuckte und würgte und ließ sich auf seine Koje fallen. Der Husten wurde immer schlimmer, er schüttelte ihn. Rattigan hatte beim Löschen der Feuer viel Rauch geschluckt. Das setzte ihm jetzt zu. Er hatte es schon immer ein bißchen auf der Lunge gehabt. Heute drohte ihn das Stechen und Beißen in seiner Brust umzubringen.

„Verdammt!“ keuchte er. „Dreck! Hölle, ich halt’s nicht mehr aus!“

Daß er im Logis nicht allein war, hatte er noch gar nicht bemerkt. Murdock war da. Er hatte sich vor einen anderen Kerl, der auf dem Rand seiner Koje hockte, hingekniet und behandelte dessen Blessur. Der andere Kerl war Bristol, ein dünner, vogelartiger Mann. Keiner kannte seinen richtigen Namen. Alle nannten ihn nur Bristol.

Bristol hatte sich durch einen wirbelnden Splitter eine heftig blutende Verletzung an der rechten Wange zugezogen. Die Wunde tat weh. Bristol preßte die Lippen zusammen, während Murdock ihn behandelte. Einen anderen hätte er an die Blessur nicht herangelassen. Aber von Murdock wußte man, daß er als Wundarzt und Knochenflicker einigermaßen verläßlich war.

„So, jetzt blutet’s nicht mehr“, brummte Harper Murdock.

„Kann ich wieder raus an Deck?“ fragte Bristol.

„Nein. Mußt ’ne Weile liegenbleiben.“

„Das wird Doolin nicht gerne sehen.“

„Doolin kann mich mal“, sagte Murdock. Er war ein vierschrötiger Kerl. Ein typischer Schläger mit plattgedroschener Nase und verknorpelten Blumenkohlohren. An Bord der „Scorpion“ war er so etwas wie der Bootsmann, obwohl ihn keiner offiziell dazu ernannt hatte. Er nahm alle möglichen Aufgaben wahr. Dazu gehörte, daß er verletzte Kerle wieder zusammenflickte. Wenn sich das Zusammenflicken nicht mehr lohnte, warf Murdock sie ins Wasser. Allerdings überzeugte er sich erst davon, ob der Betreffende auch wirklich tot war.

Aber – wie gesagt – viele Tote hatte es daheim im Kanal auf der „Scorpion“ ja noch nie gegeben. Von daher waren die Kerle ein bißchen verwöhnt. Eigentlich rechneten sie immer damit, als Sieger aus einem Kampf hervorzugehen. Daß das nicht selbstverständlich war, hatten sie jetzt am eigenen Leibe erfahren müssen.

Schuld war Doolin. Er hätte die Gefahr von vornherein richtig einschätzen müssen. Statt dessen hatte er zum Gefecht aufgerufen.

Der Hund! dachte Murdock. Alle waren wütend auf den Kapitän. Was hatte er vor? Wollte er sie etwa verheizen?

Rattigan hustete wie verrückt. „Sauerei!“ keuchte er. „Das war ein Fehler! Pest noch mal!“

„Was war denn ein Fehler?“ wollte Bristol von ihm wissen.

Rattigan drehte sich zu ihm um und gewahrte beide Kumpane im Halbdunkel des niedrigen Schiffsraumes.

„Das mit dem Gefecht“, entgegnete er und hustete noch ein paarmal. „Drei gegen einen, das konnte nicht gutgehen!“

„Wir hätten nicht kämpfen dürfen“, brummte Murdock. „So verlockend das Gold und das andere Zeug auch sind, wir hätten die Finger davon lassen sollen.“

Dort, wo ihrer Meinung nach das gesunkene spanische Schatzschiff lag, hatten sie einen schwarzen Kasten mit einer goldenen Statue, eine Goldkette, eine goldene Schlange, Silberketten und eine Kiste mit Smaragden an Bord ihrer Piraten-Galeone gehievt. Daß sie genau den Platz gefunden hatten, an dem die Schlangen-Insel versunken war, konnten die Kerle nicht wissen.

Der Seewolf und dessen Kameraden vom Bund der Korsaren hatten Doolin und seiner Bande die Fundsachen wieder abgenommen. Sie wurden im Meer versenkt – die Ruhe der Toten sollte nicht gestört werden. Hasard und seine Freunde waren dies den Kameraden schuldig, die jetzt in Gottes tiefem Keller lagen. Nichts durfte die Würde der Verstorbenen verletzen.

Aber One-Eye-Doolin gab sich nicht geschlagen. Er hatte schon einiges einstecken müssen. Trotzdem sann er nach wie vor auf Rache und Vergeltung.

 

„Augenblick mal“, sagte Bristol. „Wir sind doch genauso scharf auf das Gold wie Doolin.“

„Mann“, erwiderte Murdock. „Es geht darum, rechtzeitig den Hals einzuziehen, wenn’s brenzlig wird.“

„Du hast wohl Schiß?“ fragte Bristol.

Rattigan hustete wild. „Das hat doch mit Schiß nichts zu tun!“ rief er keuchend.

Harper Murdock blickte zu Bristol auf. Er hatte die Wade des anderen soeben verbunden, hielt sie aber noch mit beiden Händen fest. Murdocks Augen verengten sich. „Noch keiner hat mich ungestraft einen Feigling genannt.“

Bristol steckte zurück. „So war das nicht gemeint.“

„Wie denn?“

„Bist du ganz sicher, daß wir den Hundesöhnen nicht mehr beikommen können?“ fragte Bristol. Mit den „Hundesöhnen“ meinte er natürlich den Gegner. „Es muß doch eine Möglichkeit geben, sie zu packen.“

„Nicht, solange sie zu dritt sind“, widersprach Murdock. Er hielt die Wade des anderen immer noch fest. Seiner Miene nach zu urteilen, hätte er sie in diesem Moment am liebsten kräftig zusammengepreßt.

„Also“, sagte Bristol, und ihm brach ein bißchen der Schweiß aus. „Wir hatten doch eigentlich vor, uns den Killigrew zu schnappen. Jetzt haben wir ihn vor der Nase und sollen verzichten?“

„Da sieht man mal wieder, wie blöd du bist, Bristol“, sagte Murdock. „Doolin hat sich verrechnet. Er glaubte, mit Killigrew leichtes Spiel zu haben. Auch das schwarzhaarige Teufelsweib hat er falsch eingeschätzt. Das sind keine Idioten, sondern ganz ausgekochte Galgenstricke. Und perfekte Kämpfer obendrein.“

„Natürlich“, pflichtete Rattigan ihm bei. „Wer die anfaßt, verbrennt sich die Finger.“

„Schon“, murmelte Bristol. „Ihr habt ja recht.“

„Und du nimmst zurück, was du eben gesagt hast?“ fragte Murdock lauernd.

„Ja, klar.“

Murdock ließ Bristols Wade los und richtete sich auf.

„Zum Beispiel diese Feuerkometen“, brummte er. „Kann mir mal einer erklären, was das für ein Satanszeug ist?“

„Pfeile“, erwiderte Rattigan. Wieder mußte er husten. „Brandpfeile.“

„Wie können Brandpfeile explodieren?“ fragte Murdock.

„Keine Ahnung“, sagte Rattigan. „Aber sie fliegen einfach in die Luft, du hast es ja gesehen. Ich finde, das geht nicht mit rechten Dingen zu.“

„Hör auf“, sagte der Bootsmann. „Das ist doch Quatsch. Es müssen Pfeile mit Pulver sein.“

„Wo soll denn da das Pulver stecken?“ erkundigte sich Bristol mit verständnisloser Miene.

Harper Murdock zuckte mit den Schultern. „Ich bin kein Hellseher. Aber ich schätze, daß diese Hurensöhne das Pulver irgendwie in den Schäften unterbringen. Vielleicht haben sie die Schäfte ausgehöhlt. Weiß der Henker, was für Teufeleien sie sonst noch auf Lager haben. Nee, ich hab’ die Schnauze voll von ihnen.“

„Ich auch“, sagte Rattigan, dann mußte er wieder husten.

Bristol war sich noch nicht ganz schlüssig. Allmählich sah aber auch er ein, daß die beiden Kumpane wirklich recht hatten. Gewiß, der Anreiz, den die in der See liegenden Schätze boten, war groß. Aber keiner wollte deswegen über den Jordan gehen. Und genau das war die Gefahr: Versuchte die Doolin-Bande wieder, im Meer zu „fischen“, dann würden die Feinde sie dieses Mal zusammenschießen.

Rattigan würgte und hustete. Es wollte jetzt nicht mehr aufhören.

Murdock ging zu ihm hinüber und fragte: „Willst du nicht endlich was gegen deinen verfluchten Husten tun?“

„Was denn?“ fragte Rattigan. „Rum wär’ mir am liebsten.“

„Wo krieg’ ich jetzt Rum her?“ brummte der Bootsmann. „Ohne Doolins Genehmigung gibt es nicht die winzigste Ration, das weißt du. Und Doolin ist stinksauer. Den kann ich jetzt nicht ansprechen.“

Rattigan stieß ein bellendes Husten aus. Sein Brustkasten schien zerspringen zu wollen.

„Schon gut!“ japste er. „Kümmert euch nicht um mich!“

Harper Murdock und Bristol kehrten an Oberdeck zurück. Dort gab es jede Menge Arbeit. Die Schäden mußten behoben, die Lecks abgedichtet, das Rigg ausgebessert werden. Jede Hand wurde gebraucht – und keiner durfte fehlen.

Scheiß drauf, dachte Rattigan. Er hatte sich im dicken schwarzen Rauch, der immer noch über Deck zog, davongestohlen. Der Rauch schien nicht mehr aus seinen Lungen weichen zu wollen. Er mußte etwas gegen dieses fürchterliche Husten tun – und One-Eye-Doolin konnte ihm den Buckel herunterrutschen.

Vorsichtig erhob sich Rattigan von seiner Koje und blickte sich um. Das Logis war leer, es lag sonst kein anderer Kerl in einer der Kojen. Rattigan war also ungestört. Sollte Doolin ihn ruhig suchen, das war ihm jetzt egal!

Rattigan verließ das Mannschaftslogis. Aufmerksam hielt er immer wieder nach allen Seiten Ausschau. Keiner der Kumpane ließ sich sehen. Alle waren oben beschäftigt. Gut so, dachte Rattigan.

Er preßte eine Hand vor den Mund und unterdrückte das verräterische Husten. Lange schaffte er es nicht. Ein neuer Anfall schüttelte ihn. Aber er hustete hinter vorgehaltenen Händen. So laut, wie es ihm selbst erschien, war es in Wirklichkeit gar nicht. Jedenfalls hörte es an Oberdeck tatsächlich niemand.

Und vorläufig fragte sich keiner, wo Rattigan abblieb. Doolin hatte noch nicht registriert, daß ein Kerl fehlte. Harper Murdock und Bristol rechneten damit, daß sich Rattigan tüchtig aushustete und dann wieder zum Dienst erschien.

Von wegen, sagte sich Rattigan im stillen. Zum Teufel mit der Seefahrt! Er drang bis zum Vorratsraum vor. Der Kerl, der auf der „Scorpion“ als Koch und Proviantmeister amtierte, war natürlich auch oben und kippte tüchtig Seewasser in die noch schwelenden Feuernester. Alle hatten so viel zu tun, daß sie sich um Rattigan nicht kümmern konnten.

Rattigan grinste. Er brauchte ein Mittel gegen den Husten. Folglich war es ein Notfall, der ihn zum Handeln zwang. Er hatte mal einen Kerl gekannt, der hatte sich buchstäblich totgehustet. Hatte es auch auf der Lunge gehabt, aber keiner hatte richtig gewußt, um welche Art von Krankheit es sich handelte. Rattigan wollte sich nicht tothusten. Also öffnete er den Riegel des Schotts zum Vorratsraum.

Ganz behutsam zog er das Schott auf. Es quietschte kein bißchen. Wenigstens hatte der Koch, der blöde Hund, die Angeln eingeölt, wie sich das gehörte. Der Kerl tat immer alles mögliche, um sich bei Doolin lieb Kind zu machen. Er schmeichelte sich an und leckte dem Einäugigen die Stiefel. Hin und wieder kriegte er von Doolin einen Tritt. Aber das schien ihn nicht zu stören. Je mehr man einen Hund mißhandelte, desto unterwürfiger wurde er. So ist das im Leben, dachte Rattigan, dann hustete er wieder ausgiebig.

Er hütete sich, im Vorratsraum ein Licht zu entfachen. Vielmehr zog er das Schott wieder zu und blieb erst mal eine Weile stehen. Seine Augen gewöhnten sich an das Dunkel. Er schaute sich um und erkannte die Flaschen, die gut gesichert in den Regalen standen. Grinsend schob er sich darauf zu, hustete die Flaschen der Reihe nach an und griff sich eine heraus.

Rattigan entkorkte die Flasche, setzte ihren Hals an die Lippen und trank einen kräftigen Schluck. Rum von der stärksten Sorte! Innerlich triumphierte Rattigan. Besser hätte er es nicht treffen können. Er ließ die Flasche wieder sinken.

Heiß und scharf rann ihm der Rum die Kehle hinunter. Rattigan wartete darauf, daß der Husten wieder anfing. Aber der Rum tat wahrhaftig seine Wirkung. Rattigan hüstelte nur noch schwach. Danach wurde aus dem Kratzen und Stechen in den Lungen ein Schluckauf, der ihn eine Zeitlang beschäftigte.

Aber der starke Rum kriegte auch den Schluckauf kaputt. Rattigan war jetzt ganz ruhig. Sein Atem ging wieder regelmäßig. Er hockte sich hin und gluckerte noch einen. Dann dachte er: Zur Hölle mit Doolin, der Bande und dem Kahn! Hier bleib’ ich, und es wird noch ein feiner Tag, jawohl, ihr Bastarde!

Es war der Morgen des 7. Juni 1595. Die „Scorpion“ befand sich zu diesem Zeitpunkt südwestlich der Caicos-Inseln. One-Eye-Doolin stand mit verkniffener Miene auf dem Achterdeck der Galeone und verfolgte die Arbeiten seiner Kerle.

Die „Scorpion“ war ihren Verfolgern – der „Isabella IX.“, der „Caribian Queen“ und der „Le Griffon“ – während der Nacht entwischt. Dichte Regenschwaden hatten einen Vorhang gebildet, der der „Scorpion“ als Schutz und Deckung diente.

Dann, gegen fünf Uhr morgens, hatte der Regen aufgehört. An Bord waren die Feuer wieder aufgeflackert. Es dampfte und rauchte. Die Kerle mußten immer wieder Seewasser in Segeltuchpützen und Kübeln heranschleppen und in die züngelnden Flammen kippen. Sie fluchten und wetterten, aber das nutzte am allerwenigsten. Das Löschen der letzten Feuernester war jedoch nur ein Teil der Arbeiten, die verrichtet werden mußten.

Bei der nächtlichen Gefechtsberührung mit den drei Gegnern hatte die „Scorpion“ einige Treffer erhalten, und zwar im Heck. Dort wurde heftig gehämmert und gezimmert, denn die Lecks mußten schleunigst abgedichtet werden. Andere Kerle wiederum waren damit beschäftigt, das Leckwasser mit den Pumpen zu lenzen.

Der Bugspriet der Galeone war abgetakelt, ebenso die Großmaststenge. Ersatz mußte her. Weiter waren einige Kerle während des Gefechts getroffen worden. Zwar handelte es sich bei allen nur um leichtere Blessuren, doch schien der Verlauf des Kampfes die Moral der Crew erheblich geschwächt zu haben.

One-Eye-Doolin schäumte nach wie vor – vor Wut und Haß. Am liebsten hätte er sich platt auf die Planken geworfen und mit den Fäusten um sich geschlagen. Diese Schmach! Diese Niederlage! Nie zuvor war ihm etwas Vergleichbares widerfahren. Wie stand er jetzt vor seinen Kerlen da?

Egal. Die Situation an Deck war für Doolin das geringere Problem. Er wurde mit seiner Meute schon fertig. Und die „Scorpion“ würde bald auch wieder instand gesetzt sein. Das allerschlimmste war: erstens hatte man ihn, Doolin, von dort vertrieben, wo er gemeint hatte, aus der See Schatzgüter bergen zu können. Zum anderen hatten sich jene, die ihn vertrieben hatten, als unheimlich harte Gegner entpuppt.

Diese Erfahrung war für den Einäugigen völlig neu. Im Bereich des englischen Kanals bis hinunter zur französischen Küste hatte er bei seinen Beutezügen immer den Ton angegeben. Noch nie hatte er eine Niederlage einstecken müssen. Daß er jetzt versagt hatte, wurmte ihn ungemein.

Ein klügerer Mann als Doolin hätte aus der soeben gemachten Erfahrung eine entsprechende Lehre gezogen. Ein halbwegs gescheiter Mann hätte das Weite gesucht, um sein Schiff, seine Mannschaft und sich zu retten.

Aber Doolin war weder ein kluger noch ein gescheiter Mann. Er hielt sich selbst zwar für den gerissensten Kerl, den es auf dieser Welt gab, aber das war eine grobe Unterschätzung. Doolin lernte aus der Lektion, die man ihm erteilt hatte, gar nichts. Er verbiß sich nur in seine Wut und sann auf Rache.

Er begann, auf dem Achterdeck auf und ab zu wandern. Was konnte er unternehmen, um sich beim Seewolf für die erlittene Niederlage zu revanchieren? Er wälzte Pläne, verwarf sie wieder. Vorläufig waren ihm die Hände gebunden. Erst mußte die „Scorpion“ repariert werden. Wenn die Lecks abgedichtet waren und die Kerle das Rigg ausgebessert hatten, konnte man wieder Fahrt aufnehmen. Jetzt lag die Galeone erst einmal vor Treibanker.

Also mußte die Instandsetzung des Schiffes vorangetrieben werden. Ungeduldig blickte One-Eye-Doolin zu seinen Kerlen. Ging das nicht schneller? Die Hunde schleppten sich nur mit mürrischen Mienen über Deck und bewegten sich im Schneckentempo. Er mußte mit der Neunschwänzigen dazwischenfahren, um ihnen Dampf zu machen.

Eben wollte der Einäugige zur Tat schreiten, da enterte Harper Murdock aufs Achterdeck. Doolin musterte ihn finster. Der Bootsmann erwiderte den Blick, seine Miene war genauso düster und verschlossen.

„Die Verwundeten sind jetzt alle versorgt“, erklärte Murdock.

„Aber die Arbeiten gehen nicht schnell genug voran“, sagte Doolin.

„Das ist nicht meine Schuld“, erwiderte Murdock.

„Habe ich das vielleicht behauptet?“

Gereizt standen sie sich gegenüber.

„Gib ihnen ’ne Extraration Rum“, sagte Murdock. „Die haben sie verdient. Dann geht’s auch wieder schneller.“

„Einen Dreck tue ich.“ Doolin war nicht bereit, den wertvollen Rum jetzt schon wieder an die Crew zu verschwenden. Als sie im Meer nach Gold geangelt hatten, hatte er im Begeisterungssturm zwar kräftig Runden ausgegeben. Aber das hatte er hinterher auch gleich wieder bereut. Die Bestände hatten sich erheblich verringert.

Daß er selbst auch kräftig mitgebechert hatte, zog er bei dieser Überlegung allerdings nicht mit in Betracht. Tatsache war, daß der Rum bald alle war. Und kein Mensch wußte beim derzeitigen Stand der Dinge, wann sie mit der „Scorpion“ nach Tortuga zurückkehren würden, um bei Diego die Bestände zu erneuern.

 

„Na, dann eben nicht“, brummte der Kerl mit den Blumenkohlohren wütend. „War ja auch nur ein Vorschlag.“

Doolin trat an die Querbalustrade des Achterdecks und brüllte auf die Crew ein: „Dalli! Beeilt euch! Ich will mehr Bewegung sehen, oder es gibt Hiebe!“

Die Kerle murrten zwar, bemühten sich aber, flinker zu arbeiten. Doolin beobachtete sie aus schmalen Augen. Verdammte Drecksäcke, dachte er, ihr habt auch mit schuld, daß es schiefgegangen ist. Unterschwellig lastete er ihnen an, daß das Gefecht zugunsten des Seewolfs ausgegangen war. Wenn von den Hunden mehr Einsatz gezeigt worden wäre, hätte sich das Blättchen vielleicht noch gewendet. Aber sie hatten sich einschüchtern lassen.

Doolin schob seinen Kerlen auf diese Weise den Schwarzen Peter zu. Irgendeiner mußte ja die Schuld haben und der Sündenbock sein. Und diesen Bastarden sollte er auch noch teuren Rum in den Rachen gießen? Niemals!

„Wir sprechen uns noch, Killigrew“, sagte Doolin. „Glaub nicht, daß du mich wie einen Straßenköter davonjagen kannst. Schon gar nicht von dem Platz, wo man nur zu angeln braucht, um Schätze aus dem Wasser zu bergen.“

Harper Murdock schob sich wieder näher. Mit drohendem Gesicht lauschte er dem Selbstgespräch seines Anführers. „Wie war das eben?“

Doolin schien nicht zu hören, was der Bootsmann sagte.

„Ich habe den Platz entdeckt“, murmelte er. „Also ist es mein Platz. Niemand hat das Recht, mich von dort zu vertreiben.“

„Doolin“, sagte Harper Murdock, „das sehe ich aber verdammt anders.“

Der Einäugige vernahm die Worte und drehte sich langsam zu Murdock um. „Was willst du eigentlich, du Klugscheißer?“

„Ich hab’ ne andere Ansicht als du“, erklärte Murdock.

„Und was interessiert mich das?“

„Eine ganze Menge“, erwiderte Murdock. „Ich bin nämlich nicht allein. Die anderen denken genauso wie ich.“

Doolin lachte hämisch. „Rede doch keinen Mist! Du hast deine Schnauze zu halten und deinen Dienst zu tun. Die Entscheidungen fälle hier ich, ist dir das nicht bekannt?“

„Du hast also vor, Killigrew noch mal anzugreifen?“

„Ja.“

„Das ist falsch!“ stieß Murdock heraus.

Die anderen Kerle horchten auf, wandten die Köpfe und verfolgten, was sich auf dem Achterdeck abspielte. Der Bootsmann geriet mächtig in Rage. „Wir haben mit der ‚Scorpion’ keine Chance gegen drei Schiffe!“ sagte er wild.

„Hau ab!“ brüllte One-Eye-Doolin. „Ich will dich hier nicht mehr sehen!“

Murdock wußte jedoch, daß Männer wie Rattigan hinter ihm standen. Auch Bristol hatte es sich inzwischen überlegt. Er hatte auch keine Lust, seinen Kopf noch einmal für ein so waghalsiges Unternehmen hinzuhalten. Wahrscheinlich schlugen sich mehr als die Hälfte der Kerle auf Murdocks Seite, wenn es darauf ankam.

Deshalb wich der Bootsmann jetzt nicht von seinem Platz. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, dem Einäugigen den Wahnsinn auszureden, wieder nach Philipp Hasard Killigrew zu suchen. „Meine Ansicht ist, daß wir Selbstmord begehen!“ schrie er. „Dieser Killigrew und seine Bande sind eisenharte Kämpfer! Und ausgekocht sind sie auch!“

„Murdock!“ brüllte Doolin. „Was willst du? Das ist Meuterei!“

„Ich will dich zur Vernunft bringen!“

„Wir können Killigrew nicht besiegen!“ schrie einer der Kerle auf der Kuhl.

Doolins Gesicht war zu einer wüsten Fratze verzerrt. Am liebsten hätte er Murdock niedergeschossen. Aber er brauchte ihn noch und konnte auf ihn jetzt nicht verzichten.

„Ihr Narren!“ brüllte der Einäugige deswegen nur. „Kapiert ihr denn gar nichts mehr? Ich will zu der Stelle zurücksegeln, wo wir fündig geworden sind! Daran kann uns keiner hindern!“

„Wir fordern Killigrew damit heraus!“ rief Murdock.

„Killigrew kann mich mal!“ heulte Doolin.

„Wenn wir zurücksegeln, kreuzen die Bastarde wieder auf!“ schrie der Bootsmann. „Es ist falsch! Wir können nicht zurück! Gegen die haben wir nichts zu melden! Die machen uns fertig!“

Doolin stieß einen wilden Fluch aus. Dann schlug er zu. Seine rechte Faust krachte unter Harper Murdocks Kinn. Ein normalbeschaffener Mann wäre unter der Wirkung dieses Hiebes, der die Wucht eines Hammerschlages hatte, zusammengebrochen. Nicht so der Bootsmann. Er wankte nur ein bißchen.

Dann fauchte er: „Du gemeines Aas, Doolin!“

„Gib’s ihm!“ schrie einer der Kerle.

Acht Mann waren es, die geschlossen hinter Harper Murdock standen. Doolin entging es nicht, wie sie sich für den Bootsmann einsetzten. Ihr Ratten, dachte er – und dann schlug er wieder zu.

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