Seewölfe - Piraten der Weltmeere 84

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 84
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-401-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Philip Hasard Killigrew stand hoch oben auf der Plattform des Wehrturmes der Zitadelle, den Degen immer noch in der Rechten. Rundum breitete sich unter weißem Mondlicht der düstere, mörderische Regenwald des Amazonas aus. Das Zirpen der Zikaden und das Quaken der Frösche hatte das Konzert der Papageien abgelöst.

Auf dem schillernden Wasser des Nebenarms zeichneten sich die Konturen der drei Schiffe ab: der venezianischen Galeasse, der „Isabella VIII.“ und des schwarzen Seglers. Der Pulverrauch verzog sich flußaufwärts, und Ben Brighton gab von Bord der „Isabella“ ein Lichtsignal. Es verkündete, daß er und Siri-Tong jetzt Beiboote abfierten und bemannten.

Hasard blickte in den vorderen Innenhof der Zitadelle hinunter. Dort lag Chanos zerschmetterter Leichnam. Sein Versuch, ihn, den Seewolf, im Duell zu töten, war gescheitert. Der schwarzbärtige Spanier hatte sein gerechtes Ende gefunden.

Langsam zogen sich die Krokodilmänner aus seiner Umgebung zurück. Nach Chanos jähem Ende hatten sie den Kampf gegen die Seewölfe und die befreiten Italiener aufgegeben. Ihr „Gottherrscher“ war sterblich, das erkannten, sie erst jetzt.

Nach und nach würden sie begreifen, was er tatsächlich gewesen war: ein elender Tyrann, ein größenwahnsinniger Weißer. Ihr Glaube in ihn war mit seinem Tod ausgelöscht worden.

Jetzt, nachdem sie alles hinter sich hatten, geisterte wieder ein Wort durch Hasards Gedanken.

El Dorado!

Er drehte sich zu Thorfin Njal um. Der Wikinger wartete auf ihn.

„Thorfin – gehen wir. Montanelli hat ein Anrecht darauf, den Lagebericht aus unserem Mund zu vernehmen.“

„Hoffentlich kommen wir nicht zu spät“, sagte der Wikinger.

Sie verließen die Plattform und stiegen die Steinstufen der Wendeltreppe hinunter. Flackernder Lichtschein empfing sie. Überall in dem wuchtigen Gemäuer waren jetzt Pechfackeln angezündet worden. Hasard wandte sich hastig dem vorderen Hof zu, der Wikinger folgte ihm dichtauf. Ihre Schritte hallten in dem Gang des Erdgeschosses.

Plötzlich näherte sich das patschende Geräusch nackter Fußsohlen. Die Mädchen liefen ihnen entgegen – die jungen Indianerinnen, die genau wie ihre Stammesbrüder von Chano ausgenutzt und mißbraucht worden waren. Einige waren halbnackt, andere noch ganz hüllenlos, so, wie sie es bei Chanos letzter abscheulicher Orgie gewesen waren. Der herb-süßliche Geruch von Ayahuasca, der aus Lianen gewonnenen Todesdroge, schwebte in der Luft und begleitete sie.

Aber nicht alle hatten das Rauschgetränk genossen, und nicht alle Angehörigen des Assurini-Stammes waren hoffnungslos verloren. Chanos verderblicher Einfluß wich von Minute zu Minute, er schien mit seinem entfliehenden Geist das Kastell verlassen zu haben und sich irgendwo draußen im Busch zu verlieren.

Die meisten Krokodilmänner hatte sich Chano – das wußte der Seewolf jetzt ganz genau – überhaupt erst durch die „Soga de Muerte“, die Todesdroge, gefügig gemacht.

Hasard wollte sich an den Mädchen vorbeidrängen, aber sie ließen ihn nicht durch. Sie fielen vor ihm auf die Knie. Sie hatten inzwischen erfahren, daß er Chano getötet hatte, daß er der Anführer der weißen Befreier war. Sie weinten und lachten abwechselnd, griffen nach seinen Händen und küßten sie. Sie küßten ihm sogar die Füße.

„Laßt das“, sagte Hasard. „Hört auf.“

„Ho!“ rief Thorfin Njal. „Wenn das kein Beweis für Sympathie ist! Beim Odin, das sind vielleicht Bräuche!“

Hasard war das Benehmen der blutjungen Mädchen gar nicht recht. So behutsam wie möglich schob er sie zurück.

Bildhübsche Wesen befanden sich unter ihnen. Eine schlüpfte zwischen den anderen hindurch und trat dicht vor Hasard hin. Sie war mittelgroß, gertenschlank und hatte schwarze, schimmernde Haare, die ihr bis auf die Schultern fielen.

Sie umarmte ihn innig und preßte ihren warmen, weichen Körper gegen ihn. Er spürte den Druck ihrer Brüste, fühlte das verlangende, weiß Gott nicht als kindlich-freundschaftlich auszulegende Reiben ihrer Schenkel an seinen Beinen, und – o verdammt – empfand auch nicht anders als jeder andere, normalbeschaffene Mann.

Sie sprach gebrochenes Spanisch. „Nimm mich mit“, hauchte sie. „Ich gehöre dir, Moreno, schwarzhaariger Held. Du wirst es nicht bereuen. Ich – deine Dienerin …“

„Nun mal langsam“, entgegnete Hasard. Es kostete ihn Überwindung, sich zu beherrschen. Wer lehnte ein derartiges Angebot schon ab? „Ihr gehört zu eurem Stamm, zu euren Männern. Seid doch vernünftig.“

„Du hast uns von Chano erlöst, von diesem Untier“, wisperte sie an seiner Schulter.

„Warum habt ihr euch nicht gegen ihn aufgelehnt?“

„Er war grausam. Zwei Männer versuchten es einmal, und ein anderes Mal wollte ein Mädchen fliehen.“ Die schwarzhaarige, glutäugige Schönheit blickte ihm in die Augen. „Ihre Knochen liegen unter der schwarzen Erde des großen Waldes begraben.“

Hasard schauderte unwillkürlich zusammen. Diese Assurini hatten eine drastische Art, die Dinge beim Namen zu nennen. Die Worte des Mädchens kühlten sein Gemüt ab. Er besann sich auf Montanelli. Der Italiener lag im Sterben, doch sie hatten sich beide noch etwas mitzuteilen.

Hasard löste die Arme des Mädchens von seinem Hals und schob sie von sich fort.

„Ihr bleibt bei eurem Stamm, und damit basta“, sagte er eindringlich. „Es ist nett, daß ihr euch – bedanken wollt. Aber das habt ihr jetzt zur Genüge getan. Versteht ihr mich?“

Das Mädchen, das Spanisch beherrschte, senkte den Blick. „Wir gefallen dir also nicht.“

„Das ist es nicht“, erwiderte er mühsam beherrscht. „Aber ich habe nicht das Recht, euch euren Angehörigen, euren Männern wegzunehmen. Sie warten auf euch. Ihr seid frei – alle. Das allein zählt.“

„Schade, Moreno“, flüsterte das Mädchen.

„Ihr könnt euch auf andere Art gefällig erweisen“, sagte Hasard. „Führt meine Männer in die Vorratskammern der Zitadelle. Wir haben kein Trinkwasser und keinen Proviant mehr, schon seit Tagen nicht mehr. Wir brauchen dringend Lebensmittel, und ich hoffe, daß wir das hier finden.“

„Die Kammern sind ganz voll, Herr“, erwiderte sie. „Ich zeige euch den Weg.“

„Na also.“ Hasard wandte sich Thorfin Njal zu. „Thorfin, du und deine Leute, ihr schließt euch den Mädchen an. Schafft Proviant und Wasser an Bord der Schiffe. Die Beiboote sind bereits abgefiert und werden herübergepullt. Nehmt soviel, daß wir mindestens einen Monat davon leben können, aber laßt genug zurück, damit auch die Assurini weder Hunger noch Durst leiden müssen.“

Der Wikinger grinste. „Aye, aye, Sir.“ Er war der Steuermann und Miteigner des schwarzen Seglers, der unter Siri-Tongs Kommando stand, aber er nahm auch von Hasard Befehle entgegen.

„Und noch was“, sagte Hasard, ohne eine Miene zu verziehen. „Faßt die Mädchen nicht an. Ich will es nicht, verstanden?“

„Aye, aye, Sir.“

Hasard eilte ins Freie. Da standen seine Männer und grinsten ihn erleichtert an: Carberry, Ferris Tukker, Batuti, Dan O’Flynn, Stenmark und Bob Grey. Etwa zwanzig der befreiten Italiener befanden sich in ihrer Gesellschaft, und die grinsten nicht weniger glückselig.

Die Krokodilmänner standen mit gesenkten Häuptern vor einer der Hofmauern. Sie waren entwaffnet worden. Die Trophäen erlegter Schwarzalligatoren, die sie als Kopfschmuck trugen, wirkten jetzt nicht mehr furchterregend, sondern eher wie groteske Masken.

„Wo sind Shane, Eike, Juan und der Boston-Mann?“ wollte Hasard von Ferris wissen.

„Mit Della Latta und den anderen Italienern auf dem hinteren Hof“, erwiderte der rothaarige Riese. „Sie haben die Indianer, die sich dort auf sie gestürzt haben, ebenfalls überwältigt.“

„Keinem wird ein Haar gekrümmt!“ rief Hasard – auf spanisch, damit auch die Assurini verstanden. „Es ist genug Blut vergossen worden. Wer sich zu widersetzen versucht, wird gefesselt, alle anderen Gefangenen bleiben frei.“

„Mann, das ist aber unvorsichtig“, meinte Carberry.

„Profos“, sagte Hasard. „Hast du etwas an meinen Anordnungen auszusetzen?“

„Ich – nein, Sir!“

„Dann spar dir solche Bemerkungen.“

Hasard ging weiter, öffnete das Haupttor und eilte zum Fluß. Hinter ihm traten jetzt auch Della Latta und die anderen mit ihren Gefangenen aus dem Hauptgebäude der Zitadelle, aber er hatte keine Zeit für sie.

Den Dank von Della Latta, dem ausgemergelten, von Chano geschundenen Kapitän der Galeasse, konnte er später immer noch entgegennehmen.

Er kletterte in das erste Boot, das am Ufer anlegte. Es gehörte zum schwarzen Schiff. Unter den Ruderern erkannte er Oleg, Arne und den Stör – und auf der achteren Ducht saß Siri-Tong.

 

Er stieg über die Duchten weg, zwischen den Männern hindurch, und rief dabei: „Zur ‚Isabella‘, schnell!“

Neben der Roten Korsarin ließ er sich auf die Achterducht sinken. Sie umarmte ihn kurz und stürmisch. Ihre weichen, vollen Lippen drückten sich auf seinen Mund, und er erwiderte den Kuß heftig.

„Bist du verletzt?“ fragte sie.

„Nein. Ich erzähle dir alles, wenn wir bei Montanelli sind. Wie ist es an dem versteckten Einlaß zum Nebenarm gelaufen?“

Sie lachte auf. „Hast du unsere Kanonen nicht krachen hören? Nun, es war die einfachste Sache der Welt. Acht Krokodilmänner zählten wir im Dunkeln in der Nähe der Quebracho-Bäume, aber sie kriegten es mit der Angst zu tun, als wir ihnen unsere Warnschüsse direkt vor die Füße setzten.“

„Sie sind geflüchtet?“

„Ja. Vielleicht tauchen sie über kurz oder lang bei der Zitadelle auf.“

„Glaube ich nicht“, sagte Hasard. „Sie werden beobachtet und gehört haben, wie um die Zitadelle gekämpft wurde. Ich nehme stark an, sie haben es vorgezogen, alles im Stich zu lassen und sich in den Urwald zu verziehen.“

Er blickte voraus. Die Silhouette der „Isabella“ wuchs gigantisch vor ihnen hoch. Ihr Mastwerk reckte sich knöchernen Riesenarmen gleich in den Nachthimmel.

„Siri-Tong“, sagte der Seewolf. „Ich habe eine Trophäe für deine Kammer erbeutet.“

„Himmel“, stieß sie aus. „Doch wohl kein Krokodil?“

„Nein. Wir haben zwei Jaguare erlegt, deren Felle wir uns kameradschaftlich teilen.“

Sie blickte ihn entsetzt an. „Was ist passiert? Willst du mich auf die Folter spannen?“

„Nein. Du erfährst es gleich.“

Das Boot glitt längsseits der „Isabella“. Eine Jakobsleiter war ausgebracht worden, sie baumelte bis auf die Wasserfläche. Hasard ließ Siri-Tong den Vortritt. Sie enterte als erste auf, dann folgte er ihr. Die anderen aus dem Boot schlossen sich an, weil sie es sich nicht entgehen lassen wollten, wenn der Seewolf von dem Landunternehmen berichtete.

Ben Brighton und die anderen an Bord verbliebenen Männer empfingen sie mit großem Hallo und Hurra. Hasard winkte lächelnd ab, als die Crew ihm gratulieren wollte.

„Danke für euren Einsatz“, sagte er. „Aber jetzt zu Montanelli.“ Er schritt voraus, quer über die Kuhl, zum Quarterdeck hinauf und dann durchs Steuerbordschott ins Achterkastell.

Seine Schritte tönten dumpf auf den Planken des Ganges. Er erreichte seine Kammer, die Tür stand weit offen, aber es brannte kein Licht. Hasard spürte ein lähmendes Gefühl in den Knochen. Kam er schon zu spät? Konnte er sich über Montanellis Leichnam nur noch bekreuzigen?

Er wandte sich zu Ben und Siri-Tong um, die als erste hinter ihm gingen. Ben gab ihm jedoch durch kein Zeichen, keine Miene zu verstehen, daß der Italiener während seiner Abwesenheit bereits ins Jenseits übergewechselt war. Er zog nur fragend die Augenbrauen hoch.

Hasard trat in die Kammer.

Der Kutscher hielt Wache bei dem todgeweihten Mann. Montanelli war am Vortag auf Hasards Befehl hin mit der Koje ganz nah an die Tür zur Heckgalerie transportiert worden. Auch sie stand offen, so daß der Mann genügend Luft zum Atmen hatte.

Der Kutscher hatte jedoch Segeltuch vor die Außenseite der Füllung gespannt, um das Ungeziefer fernzuhalten.

„Bitte kein Licht anzünden“, raunte er. „Das lockt die Moskitos und anderen Insekten in Schwärmen an.“

Deshalb also hatte er die Kammer im Dunkeln gelassen! Hasard wagte es aber noch nicht, aufzuatmen.

„Wie geht es unserem Freund?“ erkundigte er sich gedämpft.

„Noch lebt er.“

„War er inzwischen wieder bei Bewußtsein?“

„Einmal“, erwiderte der Kutscher. „Ganz kurz. Er hat aber nichts gesagt.“

„Seewolf!“

Das war Montanellis Stimme! Hasard kniete sich sofort neben ihn hin und beugte sich tief über ihn.

„Ich bin hier, Amigo“, sagte er auf spanisch. „Sprich nur.“

„Wasser …“

Siri-Tong wandte sich an Oleg, bevor auch sie sich zu dem Sterbenden kniete. „Signalisiere zum Ufer: Das erste Boot, das mit Proviant aus der Zitadelle übersetzt, wird sofort zur ‚Isabella‘ gepullt.“

„Jawohl, Madame.“

Oleg eilte aus der Kammer.

Im fahlen Mondlicht, das in die Kapitänskammer drang, vermochten die schwarzhaarige Siri-Tong und die um Montanelli versammelten Männer das schwache Lächeln des Todgeweihten zu erkennen.

„Es eilt nicht“, flüsterte er. „Ich muß ja doch dran glauben. Seewolf – gaukle mir nichts vor.“

„Das tue ich nicht. Ich will dir den Abgang nur ein wenig versüßen, mein Freund.“

„Danke. Die Lähmung durch – das Gift des Pfeiles – hat weiter um sich gegriffen. Aber den Mund – kann ich noch bewegen – und auch die Zunge – sie gehorcht mir …“

„Hast du die Kanonen donnern und die Musketen krachen hören, Montanelli?“ fragte Hasard.

„Ich – habe es also nicht geträumt?“

„Chano ist tot. Deine Landsleute sind befreit. Die Assurini haben kapituliert, die Zitadelle und die Galeasse sind in unserer Hand“, sagte Hasard. „Unsere Operation ist erfolgreich verlaufen. Mit einer Handvoll Männer bin ich von unserem Landeplatz weiter flußaufwärts am Hauptstrom durch den Busch gedrungen. Die Krokodilmänner wollten uns mit ihren Giftpfeilen vernichten, aber Sir John, Carberrys Papagei, warnte uns rechtzeitig. Vier Assurini nahmen wir gefangen, einer konnte fliehen und Chano verständigen. Chano hetzte daraufhin seine beiden Jaguare auf uns, aber wir töteten sie und drangen durch das Seitenportal in die Festung ein, nachdem wir zwei Wachtposten überwältigt hatten. Wir befreiten die vierzig Männer der Galeasse, der Rest war fast ein Kinderspiel.“ Er erzählte, was sich weiter zugetragen hatte.

Montanellis Augen hatten einen Schimmer erhalten. Als Hasard geendet hatte, wisperte er: „Ich bin – überglücklich. Und ich danke euch, Freunde …“

Oleg kehrte in die Kammer zurück. Die Frau und die Männer schauten ihn kurz an, und er meldete: „Kapitän Della Latta und einige seiner Männer kommen selbst mit Wasser und Proviant. Sie wollen ihren Landsmann begrüßen.“

Montanelli lächelte schwach. „Sie wollen sich von mir verabschieden. O, Santa Madonna, ich scheide als zufriedener Mann aus dieser Welt. Ihr dürft es mir glauben.“

Siri-Tong spürte ein heftiges Brennen in ihren Augen. Sie kämpfte dagegen an, aber es nutzte wenig. Eine Träne löste sich aus ihrem linken Augenwinkel und kullerte über ihre Wange.

„Seewolf“, hauchte Montanelli, „Siri-Tong, ich habe es nicht – geschafft, euch mehr über El Dorado zu sagen – aber – ihr verdient es, daß ich euch alles schildere – alles.“

„Du darfst dich nicht verausgaben“, sagte die Rote Korsarin. „Das Reden strengt dich viel zu sehr an.“ Sie bemühte sich, das Zittern aus ihrer Stimme zu verdrängen, aber auch das gelang ihr nicht ganz.

Montanelli sah zu ihr auf. „Welche Rolle spielt das jetzt noch? Hört zu. Ich habe – nur noch wenig Zeit. Als ich aus der Zitadelle geflüchtet war, irrte ich tagelang durch den Urwald. Hungrig – durstig und – voller Angst. Ich wußte, daß weiter stromauf Amazonen auf weiße Männer lauern und sie – töten. Ich wollte mich stromabwärts wenden, aber – ich verirrte mich.“

Sein Blick traf Hasard. „Mein Versuch, ein Floß zu zimmern, scheiterte kläglich. Etwas später nahmen mich Eingeborene gefangen. Sie waren so gänzlich anders als die Assurini – zivilisierter – sie trugen Gewänder …“

„Und weiter?“ fragte der Seewolf.

„Sie waren jung – ich verstand ihre Sprache nicht“, drang es kaum verständlich über die Lippen des Italieners. „Aber ich begriff – sie hatten noch nie einen weißen Mann gesehen und schleppten mich mit sich fort, um mich – das fremde Wundertier – ihrem Stamm zu zeigen – stromaufwärts – weit – über die Stromschnellen – zum gewaltigen Wasserfall – die Höhlengänge – die Brücke – der See – aber dann verbanden sie mir die Augen, und ich durfte erst wieder um mich schauen, als ich in der goldenen Stadt war – pures Gold – Straßen, mit Gold gepflastert …“

Hasard legte sein Ohr an Montanellis Mund, um noch etwas verstehen zu können.

„Inkagold – El Dorado – die goldene Stadt …“

Männer hatten die Kammer betreten und schoben sich leise an den Seewölfen und den Mitgliedern der Siri-Tong-Crew vorbei. Es waren Della Latta und sechs andere Italiener, langbärtige, bis auf die Knochen abgemagerte, zerlumpte Gestalten.

„Montanelli“, sagte Della Latta sanft.

Der Italiener fuhr fort, in Hasards Ohr zu flüstern: „Machu Picchu – ein Zauberwort – in der Ferne – Seewolf, du, nur du darfst El Dorado entdekken – und – grüße den Gott-Kaiser – von mir …“

Hasard legte ihm die Hände auf die Schultern. „Sprich nicht weiter. Ich habe alles begriffen. Die Inkas, deren Stadt du als einziger Weißer gesehen hast, sind zwar keine Barbaren, aber sie wollten dich auf keinen Fall am Leben lassen. Sie setzten dich weiter unterhalb des Sees in dem geflochtenen Reetboot aus – mit zwei Lederbeuteln voll Goldschmuck. Ein Opfer an ihre Götter. Ist es so, mein Freund?“

„Ja.“

„Ihre Beschwörungen begleiteten dich“, sagte der Seewolf ruhig. „Die Strömung riß das Boot mit. Niemals solltest du der grünen Hölle entweichen. Du solltest in den Stromschnellen oder weiter unten im Fluß ertrinken, von Kaimanen, Riesenschlangen oder Piranhas verschlungen werden oder ganz einfach vor Hunger und Erschöpfung sterben. Zu Beginn warst du gefesselt, nicht wahr?“

„Ja – ja.“

„Später hast du dich davon befreit, aber du warst bereits zu schwach, um dich irgendwie an Land zu manövrieren. Und sich in den großen Strom werfen, hieß Selbstmord verüben. Die Inkas hätten dich niemals wieder in die Welt entlassen, wenn sie nicht sicher gewesen wären, daß du auf irgendeine Weise stirbst. Die Welt, die sie fürchten, droht sie ganz zu vernichten, denn sie haben grausige Bekanntschaft mit den ‚Viracochas‘, den Männern mit den schwarzen Bärten aus Spanien, geschlossen“, sagte Hasard. „Es ist immer wieder das gleiche. Es gibt viele Kerle wie Chano, die meisten Dons sind so. Nur auf ihren Vorteil bedacht.“

„Das stimmt“, hauchte der Sterbende. „Leider …“

„Aber ein Wunder geschah, mein Freund“, fuhr der Seewolf fort. „Du gelangtest trotz aller Widrigkeiten fast bis zur Amazonasmündung. Hätten Chanos Späher nicht den Giftpfeil auf dich abgeschossen, dann …“

Er unterbrach sich.

Montanellis Lächeln erstarrte.

Della Latta und die anderen Männer der Galeasse traten vor und ließen sich auf die Knie sinken.

„Montanelli“, stieß der Kapitän erschüttert hervor. „Hör mich an, ich bin’s, dein Kapitän. Du darfst nicht sterben, du wirst leben …“

„Agli ordini“, drang es wispernd über die Lippen des Italieners. „Zu Befehl, Comandante – addio – lebt wohl, Kameraden …“

Er schloß die Augen, die Lider waren ihm zu schwer geworden.

Der Kutscher lehnte sich plötzlich mit dem Oberkörper weit vor. Seine Finger suchten den Puls des armen Teufels, dann beugte er sich noch tiefer und lauschte nach dem Herzschlag.

Er richtete sich wieder auf. Es bedurfte keiner Worte. Der Miene des Kutschers war abzulesen, wie es um Montanelli stand. Sie war steinhart, wie aus Granit gemeißelt.

Della Latta fuhr sich langsam und verzweifelt mit den Händen über das Gesicht und stöhnte. Siri-Tong ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie hatte viele Menschen sterben sehen, aber das hatte ihr Mitgefühl nicht abgetötet.

Wer eine Kopfbedeckung trug, nahm sie ab. Die Männer senkten die Köpfe und bekreuzigten sich.

Hasard erhob sich. Seine Stimme klang brüchig.

„Es schmerzt uns zutiefst, daß dieser Mann von uns gegangen ist“, sagte er. „Aber seid gewiß: Sein Leben hat eine Erfüllung gefunden, bevor er die Reise ins Jenseits angetreten hat. Denn er hat euch, Della Latta, das Leben gerettet. Ohne seine Hinweise hätten wir euch nie gefunden. Das dürfen wir nicht vergessen.“

Hasard sah in das Dunkel der Kapitänskammer. Seine Augen fixierten einen imaginären Punkt. „Zum Prediger tauge ich nicht, Freunde, und ich kann keine schwülstigen Reden halten. Aber ich bin sicher, daß Montanelli dort drüben nicht unglücklich ist.“

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