Götterfunken

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Götterfunken
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Götterfunken-Schatten der Ewigkeit

Roman

Sabine Claudia

© 2018 Sabine Claudia

Alle Rechte vorbehalten

Buchcover: Pixabay, CCO Creative Commons, User Kai Kalhh

Alle Rechte bei Verlag/Verleger

Copyright © 2018

Sabine Dittrich

1110 Wien 11.Bezirk

Simmeringer Hauptstrasse 140

Buchcover: Pixabay, CCO Creative Commons, User Kai Kalhh

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Inhalt

  1768, Dorian

  2010, Der Fund

  Das Grab

  1768, Cordelia

  Die Vampire

  Entscheidungen

  1875, Eleonora

  Das Missgeschick

  Begegnungen

  Götterwelt, Inanna

  Versuchungen

  2010, Mona

  Götterwelt, Inoa

  Das Bündnis

  Der Shargaz

  Freundschaften

  Rüdiger

  Vollmond

  Götterwelt, Die Wächter

  Anmerkungen der Autorin

  Glossar

  Über die Autorin

1768, Dorian

Die Schen­ke war gut be­sucht und vol­ler Rauch. Es roch nach ran­zi­gem Fett, un­ge­wasch­enen Körpern und säu­er­li­chem Wein. Als Do­ri­an ein­trat, wur­de er von den An­we­sen­den ver­stoh­len ge­mus­tert, denn er trug fei­ne Klei­der, die ihn als Ed­len kenn­zeich­ne­ten, wäh­rend die üb­ri­gen Be­su­cher eher ein­fa­che Leu­te waren. Es war kein Ort, an dem Do­ri­an sich sonst auf­hielt, er be­vor­zug­te die fei­nen Salons sei­ner Freun­de. Doch er war aus ei­nem be­stimm­ten Grund in die­se Spe­lun­ke ge­kom­men.

Die 24 Jah­re sei­nes Da­seins, waren von Lang­ewei­le und Lebens­über­druss ge­kenn­zeich­net, wo­zu es ab­so­lut kei­nen Grund gab. Do­ri­an sah blen­dend aus mit sei­nen dunk­len Haaren und den hel­len grü­nen Augen, war hoch­ge­wach­sen, von schlan­ker Sta­tur, ge­sund und stark. Er war pri­vi­le­giert ge­bo­ren, der ein­zi­ge über­le­ben­de Sohn ei­nes rei­chen Guts­be­sitz­ers und so­mit sein Er­be. Doch sein Vater, der kalt und dis­tan­ziert war, wei­ger­te sich stand­haft, ihn in die Ge­schäf­te ein­zu­be­zie­hen, oder zu ster­ben, so­mit hat­te Do­ri­an nichts zu tun, als ta­gaus ta­gein sein Le­ben mit Sinn­lo­sig­keit zu fül­len.

Der ein­zi­ge Mensch, an dem ihm et­was lag, sei­ne Schwes­ter Cor­de­lia, hat­te vor sechs Mo­na­ten ih­re gro­ße Lie­be ge­hei­ra­tet. Sieg­bert Swann, ei­nen be­nach­bar­ten Guts­be­sit­zer. So oft wie mög­lich, be­such­te er die bei­den, um der trost­lo­sen Öde des gro­ßen Hau­ses und der Ge­sell­schaft sei­nes Vaters zu ent­ge­hen. Sein Schwa­ger Sieg­bert, der ei­ne Schwäche hat­te für Zau­be­rei und Über­na­tür­li­ches, nahm ihn bei sei­nem letz­ten Be­such auf des­sen Land­gut, zur Sei­te und er­zähl­te ihm von der He­xe, die in der Schen­ke Quar­tier be­zo­gen hat­te und den Leu­ten die Zu­kunft vor­aus­sag­te.

Un­gläu­big lä­chelnd hat­te er ihm zu­ge­hört und alles mit ei­nem Kopf­schüt­teln ab­ge­tan. Doch sei­ne Frus­tra­tion hat­te ihn wie­der ein­ge­holt, als er allei­ne auf sei­nem Land­sitz war und so ent­schied er sich doch da­zu, die He­xe auf­zu­su­chen.

Der Wirt kam katz­bu­ckelnd auf ihn zu, pries ihm sei­ne ver­schie­de­nen Ge­rich­te an und ver­such­te ihn zu ei­nem der Ti­sche zu bugs­ie­ren.

Zwei Dir­nen waren auf ihn auf­merk­sam ge­wor­den. Sie ka­men mit tän­zeln­den Hüf­ten und ver­füh­re­ri­schem Lä­cheln nä­her.

Do­ri­an stopp­te den eif­ri­gen Gast­wirt mit ei­ner ab­weh­ren­den Hand­be­we­gung und frag­te nach der weis­sa­gen­den He­xe. Die­ser ver­barg sei­ne Ent­täu­schung nur man­gel­haft, doch er ver­beug­te sich eh­rer­bie­tig und ge­lei­te­te ihn in ein stil­les Hin­ter­zim­mer, in dem es stark nach Kräu­tern duf­te­te.

Der schma­le Raum war nur schwach von ei­ni­gen Ker­zen er­leuch­tet und Do­ri­an sah vor sich ei­nen klei­nen run­den Tisch mit zwei Stüh­len.

Der Wirt be­deu­te­te ihm, Platz zu neh­men. Als sich die Tür hin­ter ihm schloss, waren die Ge­räu­sche aus der Schen­ke nur noch ge­dämpft zu ver­neh­men.

Do­ri­an setz­te sich und maß mit ge­lang­weil­tem Blick, den spär­lich ein­ge­rich­te­ten Raum, wäh­rend er war­te­te.

»Ihr seid gar nicht neu­gie­rig, mein Freund«, ver­nahm er ei­ne dunk­le Stim­me, die aus dem hin­te­ren Teil des Zim­mers nä­her kam. Ei­ne Frau mit schwar­zen Haaren und schwar­zen Augen, trat zu dem er­leuch­te­ten Tisch. Sie nahm ihm ge­gen­über Platz und mus­ter­te ihn.

»Kommt da­rauf an, was ihr mir zu sa­gen habt«, ant­wort­ete er ihr ru­hig und er­wi­der­te ih­ren Blick.

»Den Hauch des Schick­sals wer­det ihr spü­ren bei mei­nen Wor­ten und wenn ihr die­sen Raum wie­der ver­lasst, wird nichts mehr so sein, wie es war. Wollt ihr das?«

Do­ri­an mus­ter­te sie ver­wun­dert, doch er muss­te sich ein­ge­ste­hen, dass sie nun sei­ne Neu­gier ge­weckt hat­te. Er nick­te.

»Zu­erst das Ge­schäft­li­che. Ihr habt das Geld doch da­bei?«, sag­te sie kühl. Wort­los griff er in sei­ne Ta­sche und hol­te ei­nen Beu­tel mit Mün­zen her­vor, den er ihr gab.

Sie wog ihn kurz in der Hand, warf ei­nen Blick hin­ein und nick­te lä­chelnd. »Ihr wisst nicht, wa­rum ihr hier seid und da­mit mei­ne ich nicht die­se Schen­ke, son­dern eu­er ge­sam­tes Le­ben. Nichts macht euch wirk­lich Freu­de oder er­scheint euch von Wert, so­dass es sich zu le­ben lohnt«, be­gann sie und ih­re Augen hiel­ten sei­nen Blick fest.

Es er­staun­te ihn, dass sie sei­nen Ge­müts­zu­stand so deut­lich er­kann­te, doch er ließ es sich nicht an­mer­ken und be­hielt sei­ne un­durch­dring­li­che Mie­ne bei.

Sie schenk­te ihm ein spar­sa­mes Lä­cheln, denn sie konn­te sei­ne An­span­nung füh­len. »Der Grund eu­res Des­in­ter­es­ses liegt da­rin, dass ihr nicht wisst, wo­nach ihr sucht.«

»Wisst ihr es denn?«, frag­te er knapp.

»Viel­leicht ja. Doch fin­det ihr es nicht selt­sam, die­se Fra­ge ei­ner Frem­den zu stel­len?«

»Nicht, wenn sie ei­ne He­xe ist, oder vor­gibt ei­ne zu sein.« Ein An­flug von Spott schwang in sei­ner Stim­me.

Ihr Lä­cheln war ver­schwun­den. Stolz hob sie das Kinn an und sprach weiter, wäh­rend ih­re schwar­zen Augen sich in sei­nen Kopf bohr­ten. »Du suchst die, die du vor un­denk­li­chen Zeiten ver­lo­ren hast, dei­ne ein­zig wah­re Lie­be. Dies ist der ein­zi­ge Grund, wa­rum du hier bist, und weil es den Göt­tern ge­fällt, Schi­cksal zu spie­len.«

Do­ri­an woll­te la­chen, auf­ste­hen und das Ge­re­de der He­xe spöt­tisch ab­tun. Doch er blieb wie an­ge­wur­zelt auf sei­nem Stuhl sit­zen, wäh­rend sich ein pri­ckeln­des Ge­fühl in ihm aus­brei­te­te. Er fühl­te in sei­nem tief­sten In­ne­ren ei­nen selt­sa­men Wi­de­rhall ih­rer Wor­te, so als hät­ten sie den Grund sei­ner See­le be­rührt. Er muss­te sich räu­spern, be­vor er spre­chen konn­te. »Wenn dem so ist, dann er­zähl mir mehr da­von.«

Vol­ler Ge­nug­tu­ung lach­te sie auf. »Du hast die­ses Wis­sen in dei­ner See­le. Die Er­in­ne­rung an die Lie­be zu der ei­nen Frau, die du nie­mals hät­test lie­ben dür­fen und wo­für du mit dei­nem Le­ben be­zahlt hast. Nie­mals soll­test du sie wie­der­se­hen, doch die Göt­ter ha­ben ei­ne Schwäche für aus­sichts­lo­se Fäl­le. Wenn du dir klar ge­wor­den bist, ob du sie wie­der­fin­den willst, dann komm er­neut zu mir und ich wer­de dir den Weg da­zu zei­gen. Doch sei ge­warnt! Es wird ein bit­te­rer Weg sein, von dem es kein zurück gibt.«

Sie war auf­ge­stan­den und an ihn her­an­ge­tre­ten. Sanft nahm sie sei­ne Hän­de, zog ihn von sei­nem Stuhl und schob ihn zur Tür hin­aus.

Be­vor er sich ver­sah, stand er wie­der in der lau­ten muf­fi­gen Schän­ke. Die Tür zu dem Hin­ter­zim­mer war ge­schlos­sen. Kurz über­leg­te er, noch ein­mal hin­ein­zu­ge­hen um ihr weite­re Fra­gen zu stel­len, doch er fühl­te sich selt­sam auf­ge­wühlt, woll­te allei­ne sein und über ih­re Wor­te nach­den­ken.

 

Er ließ den Wirt ei­ne Kut­sche ho­len und wäh­rend er in ihr da­hin schau­kel­te, dach­te er über die selt­sa­men Wor­te der He­xe nach.

Nie wä­re es ihm in den Sinn ge­kom­men, dass er auf der Su­che war, nach der Lie­be ei­ner Frau, die er vor lan­ger Zeit ver­lo­ren hat­te. Er konn­te sich nicht über man­geln­des In­te­res­se des weib­li­chen Ge­schlechts an sei­ner Per­son be­schwe­ren. Zu­wei­len waren ihm die An­nä­her­ungs­ver­su­che der Frau­en und Mäd­chen, de­nen er be­geg­ne­te ge­ra­de­zu läs­tig. Konn­te es wirk­lich sein, dass er in ei­nem an­de­ren Le­ben ei­ne Frau so sehr ge­liebt hat­te, dass er für sie ge­stor­ben war?

Er fand die­sen Ge­dan­ken ab­surd, doch sein Ge­fühl ließ ihn ah­nen, dass es so war. Die Fahrt aus dem Dorf zu dem Gut wo er zu­hau­se war, dau­er­te lan­ge und er dös­te ein, ein­ge­lullt durch das Schau­keln der Kut­sche.

Bil­der stie­gen vor sei­nem in­ne­ren Au­ge auf. Er sah ei­ne gro­ße stein­er­ne Hal­le mit Koh­le­be­cken und Fa­ckeln an den Wän­den. Vor sich er­blick­te er ei­ne Frau in ei­nem wei­ßen Kleid. Sie trug gold­ene Span­gen um Hals und Ar­me. Auch ihr Gür­tel war aus Gold. Sie hat­te lan­ges schwar­zes Haar und stand mit dem Rü­cken zu ihm. Er sah, dass sie ein Ge­fäß mit bei­den Hän­den in die Hö­he hielt und hör­te sie selt­sa­me Wor­te in ei­ner un­be­kann­ten Spra­che mur­meln. In sei­nem Traum ging er auf sie zu und fass­te nach ih­rer Schul­ter um sie um­zu­dre­hen, denn er woll­te ihr Ge­sicht se­hen. In dem Mo­ment da er sie be­rühr­te, sah er ei­nen grel­len Blitz auf­zu­cken, der ihn zu Boden schleu­der­te.

Er­schro­cken fuhr er hoch und er­wach­te aus sei­nem Traum.

Die Kut­sche hat­te mit ei­nem Ru­ckeln vor sei­nem Zu­hau­se ge­hal­ten. Nach­denk­lich und noch be­nom­men von sei­nem kur­zen Schlaf ging er in sei­ne Räu­me. Er leg­te sei­ne Klei­der ab und warf sich nackt auf sein Bett. Der Traum hat­te die­ses eigen­ar­ti­ge Ge­fühl in ihm ver­stärkt.

Was hat­te die He­xe ge­sagt? Die Er­in­ne­rung und das Wis­sen wä­ren in ihm.

Do­ri­an schloss die Augen und rief sich das Bild der Frau, die er nur von hin­ten ge­se­hen hat­te, ins Ge­dächt­nis. Was war da noch ge­we­sen? Er konn­te sich an ei­nen schwa­chen Duft von Rosen­blät­tern und Weih­rauch er­in­nern. Der Ge­ruch war für ihn ver­bun­den mit ei­nem tie­fen Schmerz, der ihm das Herz zer­riss.

Doch er kann­te die Ur­sa­che die­ses Schmer­zes nicht. Wie­der schlief er ein über sei­nen Grü­be­lei­en.

Er fühl­te die küh­len La­ken auf sei­ner nack­ten Haut. Je­mand saß bei ihm, es war die Frau aus sei­nem Traum, doch ihr Ge­sicht lag im Dun­keln ver­bor­gen. Er ver­such­te, sich zu be­we­gen, doch er konn­te sich nicht rüh­ren. Bleisch­wer lag sein Körper auf dem Bett. Er fühl­te die Be­rüh­rung ih­rer Hand, als sie ihm sanft über das Ge­sicht strich und hör­te sie zärt­li­che Wor­te mur­meln, doch er ver­stand die Spra­che nicht.

Er wur­de von sei­nen Ge­füh­len über­wäl­tigt. Plötz­lich emp­fand er Lie­be, wie er sie noch nie ver­spürt hat­te, die wie ei­ne Wo­ge über ihn her­ein­brach und ihn mit­riss und gleich­zei­tig ei­nen so schar­fen Schmerz der Trau­er, in sei­nem In­ne­ren, dass er das Ge­fühl hat­te da­ran zu ster­ben.

Er rang nach Atem, die Luft wur­de ihm knapp und Pa­nik über­fiel ihn, als er mein­te er wür­de er­sti­cken.

Ent­setzt er­wach­te er aus sei­nem Traum. Sein Herz schlug wie wild in sei­ner Brust und er lag schwer at­mend da mit weit auf­ge­ris­se­nen Augen.

War das die Er­in­ne­rung ge­we­sen, wel­che die He­xe ge­meint hat­te?

Es muss­te so sein, denn er hat­te noch nie so emp­fun­den.

Ru­he­los stand er auf, wi­ckel­te sich in ei­nen Mor­gen­rock und öff­ne­te ein Fens­ter. Die küh­le Nacht­luft trock­ne­te den Schweiß auf sei­nem Körper und sein Atem wur­de ru­hi­ger. Er frag­te sich, ob ihn die He­xe mit ei­nem Fluch be­legt hat­te, doch er konn­te kei­nen Grund da­für fin­den.

Tief in sei­nem In­ne­ren wuss­te er be­reits, das sie die Wahr­heit ge­spro­chen hat­te, und er sich in sei­nen Träu­men an ein ver­gan­ge­nes Le­ben, er­in­nert hat­te.

Er konn­te noch immer die In­ten­si­tät, die­ser über­wäl­ti­gen­den Lie­be füh­len und ihm war be­wusst, er woll­te wie­der so füh­len, so lie­ben. Er woll­te die­se ei­ne Frau wie­der­ha­ben, für die er so emp­fun­den hat­te. Die He­xe hat­te ihm ge­sagt, wenn er das woll­te, so wür­de sie ihm den Weg da­zu zei­gen.

Am Ho­ri­zont sah er die Son­ne auf­ge­hen.

Er schloss das Fens­ter und schlüpf­te in sei­ne Klei­der vom Vor­tag. Im Stall ließ er sich ein Pferd sat­teln und ritt in schar­fem Ga­lopp den lan­gen Weg zum Dorf hin­un­ter.

An der Schen­ke an­ge­kom­men, sah er ei­ne Grup­pe von Leu­ten, in de­ren Mit­te der Pas­tor stand. Sie dis­ku­tier­ten auf­ge­regt. Do­ri­an trat zu ih­nen und der Pas­tor rich­te­te das Wort an ihn. »Ah, gut dass ihr hier seid jun­ger Herr, wir ha­ben vor, ei­ne He­xe der Ge­richts­bar­keit aus­zu­lie­fern«.

Do­ri­an er­schrak bei sei­nen Wor­ten, doch er ließ sich nichts an­mer­ken und lä­chel­te den Pas­tor freund­lich an.

»Ei­ne He­xe sagt ihr Hoch­wür­den, wer glaubt denn an so et­was.« Das Ge­sicht des Pas­tors war ernst. »Lei­der ja, es gibt sie und mei­ne Auf­ga­be ist es harm­lo­se Men­schen vor Krea­tu­ren der Dun­kel­heit zu be­wah­ren.«

Do­ri­an hob be­schwich­ti­gend die Hän­de. »He­xe­rei ist ei­ne schwer­wie­gen­de An­schul­di­gung, das muss sorg­fäl­tig ge­prüft wer­den. Wo ist denn die­se ver­meint­li­che He­xe?«

»Sie hat sich hier in der Schän­ke ein­ge­nis­tet«, ant­wort­ete der Geist­li­che.

»Nun dann wer­de ich sie mit­neh­men auf Gut Ho­hen­berg, wäh­rend ihr nach Be­wei­sen für ih­re Schuld sucht.« Do­ri­an lä­chel­te über­he­blich. Sei­nem Vater stand als Guts­herr die ober­ste Ge­richts­bar­keit im Dorf zu.

Der Pas­tor zeig­te sich we­nig er­freut über die Aus­sicht, die He­xe nicht selbst in Ge­wahr­sam neh­men zu kön­nen und sie, wie er vor­ge­habt hat­te, in den feuch­ten Ker­ker bei den Ge­wöl­ben un­ter sei­ner Kir­che zu wer­fen, der noch aus der Zeit der In­qui­si­tion stamm­te. »Das ist zu ge­fähr­lich jun­ger Herr«, wand­te er schwach ein.

Do­ri­ans Lä­cheln wur­de brei­ter. »Aber nicht doch. Es gibt ge­wiss ein paar kräf­ti­ge Bur­schen hier im Dorf, die mich und die Ge­fan­ge­ne be­glei­ten wer­den, auf mei­nem Weg zum Guts­hof.«

Der Pas­tor ver­beug­te sich knapp mit sicht­li­cher Ver­är­ge­rung.

Ge­mein­sam be­tra­ten sie das Hin­ter­zim­mer der Schen­ke, wo die Frau sie ru­hig er­war­te­te. Der Pas­tor woll­te sie grob von ih­rem Stuhl zer­ren, doch Do­ri­an wehr­te ihn ab und sah ihn war­nend an. »Wir be­han­deln sie zu­vor­kom­mend, bis wir Be­wei­se für ih­re Schuld ha­ben«, sag­te er kühl zu dem Geist­li­chen. Sanft nahm er ih­ren Arm und sie folg­te ihm zu der war­ten­den Kut­sche vor der Schen­ke. Er war ihr beim Ein­stei­gen be­hilf­lich und setz­te sich ihr ge­gen­über in den Wagen. Die zwei kräf­ti­gen jun­gen Bur­schen aus dem Dorf ver­wies er, auf dem Kutsch­bock Platz zu neh­men.

Do­ri­an klopf­te ge­gen die Tür der Kut­sche und gab dem Fah­rer das Sig­nal los­zu­fah­ren. Der Pas­tor blieb mit wü­ten­der Mie­ne zurück und Do­ri­an wink­te ihm grin­send zu.

Als sie aus dem Dorf her­aus fuh­ren, sah er die Frau mit ern­stem Ge­sicht an. »Ich ha­be dich ge­ret­tet, das ist dir doch be­wusst, nicht wahr?«

Die Frau lä­chel­te ihm über­le­gen zu. »Ja, wa­rum wohl, habt ihr das ge­tan?« Ih­re Stim­me troff vor Sar­kas­mus.

»Das weißt du be­reits«, gab er knapp zurück.

Sie lehn­te sich ent­spannt in die weichen Pol­ster der Kut­sche. »Ich will ei­nen Beu­tel Gold und das schnell­ste Pferd, das ihr im Stall habt«, merk­te sie an.

»Und eu­re Frei­heit, wie ich an­neh­me«, er­gänz­te Do­ri­an lä­chelnd.

Sie er­wi­der­te sein Lä­cheln und nick­te. »Und mei­ne Frei­heit.«

Do­ri­an sah aus dem Fens­ter auf die Land­schaft, die an ih­nen vor­über­zog.

»Du hast dich er­in­nert, nicht wahr«, frag­te sie ihn mit lei­ser Stim­me.

Er nick­te, oh­ne sie an­zu­se­hen.

»Ich kann die Lie­be und den Schmerz in dei­nen Augen se­hen. Ich neh­me an, du willst sie wie­der­ha­ben?«

Do­ri­an wen­de­te ihr sein Ge­sicht zu und sah sie an. »Du hast ge­sagt, es gibt ei­nen Weg.«

»Den gibt es. Doch ich sag­te auch, dass es ein bit­te­rer Weg ist, oh­ne Wie­der­kehr.«

»Muss ich da­für ster­ben, um sie in ei­ner an­de­ren Welt wie­der­zu­se­hen?« Er sah sie fra­gend an.

Die He­xe ge­noss die Über­le­gen­heit ih­res Wis­sens of­fen­sicht­lich. »In ge­wis­ser Wei­se wirst du ster­ben, doch du wirst sie in die­ser Welt wie­der­se­hen.«

Do­ri­an wur­de nicht schlau aus ih­ren Wor­ten. »Das ver­ste­he ich nicht«, ant­wort­ete er ihr.

»Ich wer­de es dir er­klä­ren, nach­dem ich mein Gold und das Pferd ha­be.«

Do­ri­an waren Gold und Pfer­de gleich­gül­tig, er be­saß ge­nug von Bei­den.

Er zü­gel­te sei­ne Un­ge­duld und sah wie­der aus dem Fens­ter. Den Rest der Fahrt ver­brach­ten sie schwei­gend.

Als sie beim Guts­hof an­ka­men, lud Do­ri­an die Bur­schen und den Kut­scher ein, sich in der Ge­sin­de­kü­che ver­kös­ti­gen zu las­sen, und sie stimm­ten er­freut zu.

Er stell­te mit Er­leich­te­rung fest, dass sein Vater auf die Jagd ge­gan­gen war. So konn­te er, oh­ne läs­ti­ge Fra­gen be­ant­wor­ten zu müs­sen, die He­xe in sei­ne Räum­lich­kei­ten brin­gen. Er schick­te ei­ne Magd um Es­sen und Ge­trän­ke.

Die Frau setz­te sich, trank ei­nen Be­cher Wein auf ei­nen Zug und knab­ber­te an dem kal­ten Wild­bret. Do­ri­an hol­te aus ei­nem Se­kre­tär ei­nen Beu­tel mit Gold­mün­zen und gab ihn ihr.

Sie wisch­te sich die fet­ti­gen Hän­de an ih­rem Rock ab, warf ei­nen Blick in den Beu­tel und sah ihn mit zu­frie­de­nem Lä­cheln an.

Do­ri­an klin­gel­te nach ei­nem Die­ner und trug ihm auf, ein Pferd sat­teln zu las­sen. Dann lehn­te er sich be­quem in ei­nen ge­pol­ster­ten Stuhl.

Die Frau hat­te ihn nicht aus den Augen ge­las­sen.

»Du bist dran, ich ha­be mei­nen Teil er­füllt. Er­zäh­le mir nun, was ich wis­sen muss.«

Die He­xe stand auf schritt zum Fens­ter, sah kurz hin­aus und wand­te sich dann zu ihm um. »Ei­ni­ges hast du schon her­aus­ge­fun­den. Ihr habt euch ge­liebt und du bist für sie ge­stor­ben. Die Wäch­ter des Schick­sals waren ge­gen eu­re Ver­bin­dung. Doch die Göt­ter woll­ten, dass ihr ei­ne zwei­te Chan­ce be­kommt, da­rum wur­dest du wie­der­ge­bo­ren.« Sie hielt kurz in­ne, schenk­te sich Wein ein und trank ei­nen Schluck.

»Heißt das, dass auch sie wie­der­ge­bo­ren wur­de?« Do­ri­an sah sie ge­spannt an.

Sie lä­chel­te und stell­te ih­ren Be­cher ab. »Nicht ganz. Sie ist noch nicht wie­der auf die­ser Welt. Die Wäch­ter woll­ten euch end­gül­tig ent­zwei­en, und ha­ben ei­ne Zeit­ver­zö­ge­rung ein­ge­fügt, um eu­re er­neu­te Zu­sam­men­kunft zu ver­hin­dern.«

Ver­blüfft sah Do­ri­an sie an. »Wie soll ich sie dann wie­der­be­kom­men? Wie lan­ge wird es dau­ern, bis sie wie­der­ge­bo­ren wird?«

Sie sah ihn ernst an. »Ein paar Jahr­zehn­te, ein paar Jahr­hun­der­te, wer weiß das schon.«

Do­ri­an lehn­te sich zurück. Er schüt­tel­te un­gläu­big den Kopf. »Dann bin ich längst tot«, sag­te er hoff­nungs­los.

»Es gibt ei­nen Weg, wie ich schon sag­te, doch du musst dir da­rüber klar sein, ob du ihn wirk­lich ge­hen willst.« Ernst sah sie ihn an.

»Er­klä­re mir wie, dann kann ich ent­schei­den, ob es mir das wert ist«, flüs­ter­te er mit ei­nem schie­fen Lä­cheln.

»Du wirst zu ei­nem We­sen der Nacht wer­den, zu ei­nem Vam­pir, der sich vom Blut sei­ner Mit­men­schen er­nährt.«

Er sah sie fas­sungs­los an.

»Du wirst so lan­ge le­ben, so­lan­ge du Men­schen­blut trinkst. Das ein­zi­ge das dich tö­ten kann, wird ein höl­zer­ner Pfahl sein, den man dir ins Herz stößt.«

Do­ri­an starr­te sie mit of­fe­nem Mund an. Schließ­lich schluck­te er und frag­te: »Wie soll ich zu ei­nem sol­chen We­sen wer­den?«

»Du wirst ein Eli­xier trin­ken. Dann wirst du ster­ben müs­sen. Denn dein mensch­li­cher Tod ist die Vor­aus­set­zung da­für, dass du zu ei­nem Vam­pir wirst.«

Do­ri­an lehn­te sich zurück und blick­te in die Ferne. Er wuss­te nicht, was er ihr sa­gen soll­te, sei­ne Ge­dan­ken wir­bel­ten in sei­nem Kopf.

 

Die He­xe be­ob­ach­te­te ihn. Schließ­lich kram­te sie aus dem klei­nen Beu­tel, der an ih­rem Gür­tel hing, ei­ne Phio­le her­vor. Sie trat vor ihn und lä­chel­te wis­send. »Hier, für dich, das Eli­xier. Wäh­le mit Be­dacht. Ich muss ge­hen, be­vor die Scher­gen des Kle­rus ei­nen Grund fin­den, mich doch noch in den Ker­ker zu wer­fen.«

Er woll­te nicht, dass sie ging, denn in ihm brann­ten so viele Fra­gen.

Do­ri­an er­griff ih­re Hand mit dem Eli­xier und hielt sie fest. »Wo kann ich dich fin­den, wenn ich Fra­gen ha­be?«

Sie zuck­te die Ach­seln, ließ die Phio­le in sei­ne Hand glei­ten und be­frei­te sich aus sei­nem Griff. »Ant­wor­ten auf dei­ne Fra­gen, wer­den dir dei­ne Ent­schei­dung nicht ab­neh­men.«

Sie nahm den Beu­tel mit dem Gold und be­fes­tig­te ihn am Gür­tel. Dann nick­te sie zum Ab­schied und ver­ließ ihn. Er saß lan­ge da und starr­te wie be­täubt auf die klei­ne Phio­le in sei­ner Hand.

Sie hat­te recht be­hal­ten, nichts war mehr so wie am Tag zu­vor.