Seal Team 9

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Sari: Seal Team 9 #1
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Seal Team 9
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Sarah Glicker

Seal Team 9

Brady & Kendra

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

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Impressum neobooks

Prolog

Sarah Glicker

Seal Team 9

Brady & Kendra

Sarah Weber

Alter Postweg 31a

48477 Hörstel

Copyright by Sarah Weber

Alle Rechte vorbehalten!

Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der offiziellen schriftlichen Genehmigung der Autorin!

„Du willst es uns also wirklich nicht sagen?“, fragt mich einer der Männer, die mich vor ein paar Tagen durch einen dummen Fehler in Gefangenschaft genommen haben.

Allerdings ist fragen weit untertrieben. Er sieht mich mit einem drohenden Blick an und gibt mir so zu verstehen, dass ich ihm nicht ausweichen kann. Doch davon lasse ich mich nicht beeindrucken.

Beziehungsweise, ich gehe davon aus, dass es erst ein paar Tage her ist. So genau kann ich es nicht sagen, da ich mein Zeitgefühl verloren habe. Ich weiß nicht einmal, ob es gerade Tag oder Nacht ist, da ich mich immer nur in einer dunklen Zelle befinde.

Doch eigentlich ist das auch egal. Ich halte es einfach nur aus und hoffe, dass meine Leute irgendwann kommen und mich befreien. Nein, ich hoffe es nicht, schließlich weiß ich, dass sie das tun werden. Ich hoffe, dass sie das früher als später machen werden.

„Ihr werdet kein Wort von mir erfahren“, presse ich zwischen den Zähnen hervor. Dabei kann ich die Wut, die ich für mich empfinde, nicht für mich behalten.

Ich lasse keinen Zweifel daran, dass ich es genauso meine, wie ich es gesagt habe.

Mein Seal Team wurde nach Syrien geschickt, um dort ein paar Diplomaten zu befreien. Sie wurden nur gefangen genommen, weil ihre Sicherheitsleute zu dämlich waren, auf ihre Sicherheit zu achten. Und wenn man es genau nimmt, dann waren sie genau das.

Was soll ich sagen?

Die Diplomaten befinden sich in Sicherheit, dafür hat man mich gefangen genommen und hält mich nun fest.

Ich lasse ihn keine Sekunde aus den Augen. Daher kann ich mich auch auf das vorbereiten, was nun kommen wird.

In der nächsten Sekunde spüre ich, wie ein scharfer Schmerz durch meinen Körper fährt und presse die Lippen zu einer dünnen Linie aufeinander, um keinen Ton von mir zu geben. Mir ist bewusst, dass sie nur darauf warten, dass ich ihnen zeige, dass ich verletzlich bin. Doch genau das werde ich nicht machen.

Ich wurde dazu ausgebildet, genau das nicht zu tun. Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich tatsächlich einmal in diese Situation kommen werde. Doch nun bin ich froh darüber, dass mein Ausbilder uns jeden Weg gezeigt hat, wie man damit fertig werden kann.

Zumindest für eine gewisse Zeit!

Langsam hebe ich meinen Blick und sehe ihn wieder an. Dabei erkenne ich das hinterhältige Grinsen, welches sich in sein Gesicht geschummelt hat.

„Wie ich sehe, bist du nun wieder anwesend“, erklärt er hinterhältig und wirft den Gürtel zur Seite, mit dem er mich auf den Rücken geschlagen hat.

Zu gerne würde ich ihm sagen, dass ich das schon die ganze Zeit bin und das er sich wünschen wird, dass ich mit meinem Geist woanders wäre. Denn sobald ich befreit werde, werde ich ihn noch umbringen.

Ich kneife meine Augen ein Stück zusammen und zeige ihm so, dass ich nicht darauf eingehen werde.

Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie einer der anderen Männer ihm einen Gasbrenner in die Hand drückt. Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihn zu Gesicht bekomme. Daher weiß ich auch, was mich nun erwartet.

Innerlich beginne ich, mich auf das vorzubereiten, was als Nächstes kommen wird. Mein Puls geht flacher und meine Atmung ruhiger. Für einen Außenstehenden sieht es wahrscheinlich so aus, als würde ich mich gerade ganz woanders befinden. Doch das ist nicht der Fall. Ich bekomme alles von dem mit, was um mich herum geschieht.

Doch auch so werden sie kein Wort aus mir heraus bekommen. Ich würde eher sterben, als ihnen die Informationen über mein Team zu geben, die sie haben wollen.

Ich arbeite nicht nur mit diesen Männern zusammen, sie sind meine Familie und ich weiß, dass sie auch diese Schmerzen auf sich nehmen würden, wenn sie an meiner Stelle hier sitzen würden.

Als er sich mir nähert, spanne ich automatisch die Muskeln an. Ich spüre, wie die Hitze des Feuers durch die Poren meiner Haut dringt, als er den Brenner in meine Richtung hält. Als ich das Feuer schließlich auf meiner Brust spüre, würde ich am liebsten laut schreien. Doch irgendwie schaffe ich es, dass kein Ton über meine Lippen dringt.

Mir ist bewusst, dass ich Verletzungen und tiefe Narben davon tragen werde, die mich den Rest meines Lebens begleiten. Auch wenn ich diese Erinnerung vielleicht irgendwann zur Seite geschoben habe, so wird man es meiner Brust immer ansehen, was mit mir geschehen ist.

Doch ich bin kein Navy Seal geworden, weil ich bei der erstbesten Gelegenheit aufgebe. Ich hatte schon immer einen Dickkopf. Wenn ich etwas nicht will, dann mache ich es auch nicht. Nun habe ich die Gelegenheit zu zeigen, dass sich daran in den letzten Jahren nichts geändert hat.

Es erscheint mir so, als würde diese Tortur von Mal zu Mal noch länger dauern. Doch wundern würde es mich nicht.

Sie wollen herausfinden, wie weit sie gehen müssen und können, bis ich mein Schweigen breche.

Allerdings habe ich schon an meinem ersten Tag, eigentlich schon in dem Moment, in dem ich hier angekommen bin, aufgehört, die Minuten zu zählen und mich so von allem distanziert.

Und so werde ich das auch weiterhin machen, bis ich irgendwann befreit werde.

1

Brady

„Wollen Sie in dieser Stunde wieder schweigen?“, erkundigt sich mein Psychiater, als ich bereits seit einer viertel Stunde vor ihm sitze, ohne ein Wort von mir zu geben, und sieht mich herausfordernd an.

Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck erwidere ich seinen Blick. Auf diese Weise zeige ich ihm, dass ich besseres wüsste, was ich mit meiner Zeit anstellen könnte, anstatt erneut hier zu sitzen und die Zeit totzuschlagen.

Meine Muskeln sind angespannt und meine Hände haben sich zu Fäusten geballt. Ich werde mein Schweigen nicht brechen, weder jetzt noch sonst irgendwann. Ich habe überhaupt keinen Grund, das zu machen. An meiner Geschichte würde es ja doch nichts ändern.

Ich muss meinen eigenen Weg finden, um damit zu klarzukommen.

„Ich kann Ihnen dabei helfen, die Vorkommnisse zu verarbeiten“, erklärt dieser nun, als könnte er meine Gedanken lesen. So zieht er meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Das ist der Satz, den ich in den letzten vier Wochen in jeder Sitzung mehrmals gehört habe. So oft, dass ich es nicht mehr zählen kann. Doch auch dieses Mal ändert er nichts daran, dass ich den Mund halten werde.

Ich habe meine Entscheidung bereits für mich getroffen und es gibt keinen Grund, wieso ich nun eine andere Einstellung dazu haben sollte.

„Gut“, murmelt er schließlich, lässt sich nach hinten sinken und verschränkt die Arme vor der Brust. „Dann werden wir die restlichen fünfundvierzig Minuten schweigen.“

Mit diesen Worten legt er den Block, den er in der Hand hält, auf einen kleinen Tisch und verschränkt die Arme vor der Brust. Mir ist bewusst, dass er mich so aus meiner Reserve locken will, doch das wird er nicht schaffen.

 

Während meiner Gefangenschaft haben das schon andere versucht und sind gescheitert.

Auch wenn er nichts weiter dazu sagt, so merke ich, dass er mich aufmerksam betrachtet. Nichts entgeht ihm. Allerdings gehe ich nicht näher darauf ein, sondern beachte ihn nicht weiter. Mir ist bewusst, dass es sicherlich ein paar Soldaten gibt, die sich früher oder später verraten, doch ich wäre kein Navy Seal, wenn ich mich nicht besser unter Kontrolle hätte.

Als ich seine Praxis endlich verlassen kann, stapfe ich mit schlechter Laune an der Frau vorbei, die am Empfang sitzt, und knalle die Tür hinter mir ins Schloss. Es ist mir egal, ob sie etwas dafür können, oder nicht. Ich lasse keinen Zweifel daran, dass ich mit niemandem sprechen will. Und das schon alleine deswegen, weil ich wieder eine Stunde meines Lebens hier vergeuden musste.

Draußen bleibe ich einen Moment vor der Eingangstür stehen, atme tief durch, um mich wieder zu beruhigen, und beobachte die Menschen, die sich um mich herum befinden. Einige Sekunden betrachte ich sie. Dabei schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass sie Glück haben, dass sie nicht meine Erfahrungen machen mussten.

Dies ist etwas, was ich wirklich niemanden wünsche. Selbst meinen Teamkameraden nicht. Nachdem sie mich befreit haben, habe ich erst einmal nicht mit ihnen gesprochen. Ich brauchte ein paar Tage, bis die Wut verschwunden ist, die ich auf die Männer hatte, die mich gefangen gehalten haben. Doch das war nicht mein einziges Problem.

Die Verletzungen an meinem Oberkörper sahen sehr schlimm aus, sodass ich lange im Krankenzelt bleiben musste, bis ich schließlich ausgeflogen werden konnte. Und noch länger hat es gedauert, bis die Schmerzen endlich verschwunden sind. Obwohl sie das noch nicht einmal sind.

Noch immer spüre ich die Hitze des Feuers auf den Narben und spüre die Schläge mit den Seilen, die auf mich niedergegangen sind.

Schließlich setze ich mich in Bewegung und gehe die Straße hinunter. Ich halte auf die Kneipe zu, die sich an der nächsten Straßenecke befindet. Ohne zu zögern betrete ich sie und lasse mich an der Theke auf einen freien Hocker sinken.

„Tequila“, rufe ich der Frau zu, die sich hinter der Bar befindet.

Einen Augenblick sieht sie mich nachdenklich an. Ich weiß, dass sie niemals fragen würde. Schließlich bin ich nicht der einzige Mann, der sich hier besäuft, um sich nicht mit seinen Problemen auseinanderzusetzen. Doch das ändert nichts daran, dass sie sich darüber den Kopf zerbricht.

Kurz nickt sie, ehe sie nach einem kleinen Glas und der Flasche greift, die sich hinter ihr befinden.

„Ich nehme die Flasche.“ Mit diesen Worten lehne ich mich ein Stück nach vorne und nehme sie ihr aus der Hand.

Im ersten Moment sieht sie mich verblüfft an. Ich weiß, dass sie keine Ahnung hat, wie sie darauf reagieren soll, doch das ist mir egal. Und genauso egal ist mir, dass das wahrscheinlich nicht sehr oft passiert.

Die meisten Männer, die herkommen, besaufen sich wahrscheinlich langsam, sodass sie es merken, wie die Welt um sie herum langsam verschwimmt. Ich hingegen habe den Wunsch, diesen ganzen Mist zu vergessen. Und zwar so schnell es geht. Das kann ich nur, wenn ich mir die Kante gebe.

Ich nehme einen großen Schluck aus der Flasche, bevor ich mein Handy aus der Hosentasche ziehe. Mir ist bewusst, dass die Frau mich dabei nicht aus den Augen lässt. Doch ich kümmere ich mich überhaupt nicht weiter um sie. Stattdessen entsperre ich das Display und werfe einen Blick darauf.

Meine Freunde und Kollegen habe unzählige Male in den letzten Stunden versucht mich zu erreichen. Doch ich habe keinen der Anrufe entgegengenommen. Seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus war es die meiste Zeit so.

Sie machen sich Sorgen um mich und wollen mir helfen. Das weiß ich, doch ich will mich nicht mit ihnen sprechen. Sie würden mir nur sagen, dass ich mich wenigstens mit ihnen unterhalten soll, egal worum es geht, doch auch das will ich nicht.

Wir haben zwar den gleichen Job und sie würden mich verstehen, doch auch das ändert nichts an meiner Einstellung. Ich will sie mit dieser Geschichte nicht belasten. Und wenn wir es genau nehmen, würde ich genau das machen.

Ich will mich mit keinem darüber unterhalten!

In dem Moment, in dem ich das Telefon aus meiner Hand legen will, wird der nächste eingehende Anruf angezeigt. Doch ich beachte es nicht weiter. Stattdessen werfe ich es neben mich auf die Theke und nehme noch einen großen Schluck aus meiner Flasche.

Es dauert nicht lange, bis der Nebel um mich herum einsetzt und ich den ganzen Ärger vergesse, der in meinem Leben passiert ist. Wenigstens so weit, dass ich endlich wieder befreiter Atmen kann.

Was mir widerfahren ist, ist nichts, was man einfach zur Seite wischt und weiter macht. Mein Körper ist für immer entstellt und mein Leben ein Trümmerhaufen. All das, wofür ich die letzten Jahre gearbeitet habe, wofür ich mir den Arsch aufgerissen habe, ist in diesen wenigen Tagen in Syrien zerstört worden. Und bis jetzt habe ich keine Ahnung, ob ich überhaupt wieder in meinem Beruf arbeiten kann.

„Was?“, knurre ich einen der Gäste an, der wenige Meter von mir entfernt sitzt.

Nachdenklich sieht er mich an. Ein wenig macht er den Anschein auf mich, als würde er mich fragen wollen, welche Laus mir über die Leber gelaufen ist. Doch genauso schnell schaut er wieder zur Seite.

Kurz blickt er mich noch an, doch dann dreht er sich wieder in die andere Richtung.

Ist auch besser so, denke ich zähneknirschend.

Gerade trauen sich nur die Männer in meine Nähe, die mich kennen und mich einschätzen können. Sie können mir die Stirn bieten und haben kein Problem damit, sich auch mal mit mir zu prügeln, damit ich meine angestaute Energie loswerde. Und wenn man es genau nimmt, dann habe ich genau dazu Lust.

Ich habe Lust, mich mit dem nächstbesten zu prügeln. Und dabei geht es nicht einmal unbedingt nur um das Gewinnen. Nein, es wäre mir sogar recht, wenn ich verliere. Vielleicht würde mein Gegner mich bewusstlos schlagen und so dafür sorgen, dass ich mich wenigstens für einen kurzen Moment nicht mehr mit diesem Mist beschäftigen muss.

Seit zwei Stunden sitze ich schon in der Bar und habe nicht nur die Flasche Tequila leer gemacht, sondern auch mehrere Flaschen Bier in mich geschüttet. Doch nicht zum ersten Mal in den letzten Wochen merke ich, dass es nichts bringt. Auf jeden Fall nicht in dem Ausmaß, wie ich es gerne hätte. Diese Erinnerungen lassen sich nicht fortwischen, egal wie sehr ich es versuche.

Da ich nicht mehr in der Lage bin, alleine nach Hause zu fahren, habe ich vorhin den einzigen Mann angerufen, der mir nicht ständig auf die Nerven geht. Klar, er wird sich auch den einen oder anderen Kommentar nicht verkneifen können, aber das ist mir egal.

Ryan hat mir einmal klar zu verstehen gegeben, dass ich mich jederzeit auf ihn verlassen kann. Doch er wird mir auch nicht jeden Tag damit auf die Nerven gehen.

Und darüber bin ich froh.

Sollte ich es mir irgendwann doch noch einmal anders überlegen, wovon ich nicht ausgehe, weiß ich, wo ich ihn finden kann.

„Ich hoffe, es hat sich wenigstens gelohnt“, stellt er fest, als ich aus der Bar getorkelt komme.

Ryan hat sich an seinen Wagen gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Ich erkenne das hinterhältige Grinsen auf seinen Lippen. Sein wachsamer Blick nimmt alles an mir in sich auf, sodass ihm nichts entgeht. Doch das ist unserer Ausbildung verschuldet. Sollten wir etwas übersehen, bezahlen wir es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit unserem Leben.

Wäre ich noch etwas nüchterner, würde ich darauf eingehen. Doch ich bin mir sicher, dass er das nicht machen würde, wenn ich noch etwas nüchterner wäre.

Aus diesem Grund verkneife ich mir jeden Kommentar, um es nicht noch weiterzutreiben.

„Bring mich einfach nur nach Hause“, weise ich ihn an und lasse mich auf den Beifahrersitz sinken, nachdem ich an ihm vorbeigegangen bin.

An seinem Blick erkenne ich, dass er noch etwas von sich geben will. Doch er macht es nicht. Und das ist wahrscheinlich auch besser so. Stattdessen startet er schweigend den Wagen und bringt die ersten Meter hinter sich.

„Weißt du schon, wann du wieder zum Dienst kommen wirst?“, fragt er mich schließlich.

„Sehe ich aus, als würde ich wieder arbeiten wollen?“

„Ich könnte verstehen, wenn du es nicht tun wollen würdest. Doch wir beide wissen genau, dass das nicht der Fall ist. Du liebst deinen Job viel zu sehr, als dass du dich wirklich willst. Aber vielleicht würde es dir helfen, wenn du wenigstens mal wieder zum Training kommen würdest. Du weißt schon, um nicht aus der Übung zu kommen und um den Kopf frei zu bekommen.“

Auch wenn ich betrunken bin merke ich, dass er seine Worte ernst meint. Und ich muss wenigstens vor mir selber zugeben, dass ich es auch gerne würde. Doch ich kann es einfach noch nicht. Und ich weiß auch nicht, wann ich wieder dazu in der Lage sein werde.

Oder ob ich das überhaupt sein werde.

Als Antwort gebe ich nur ein schlecht gelauntes Brummen von mir. Sein leises Lachen zeigt mir, dass er mich verstanden hat und er sich auch ein klein wenig darüber lustig macht. Doch ich gehe nicht näher darauf ein. Stattdessen schließe ich lieber meine Augen, bis er vor meinem Haus stehen bleibt.

„Ich wusste ja gar nicht, dass du neue Nachbarn bekommst“, stellt er schließlich fest.

Langsam öffne ich meine Augen und betrachte den LKW, der in der Einfahrt des Nachbarhauses steht. Die Ladefläche ist geöffnet und ein paar Kartons stehen daneben verteilt.

„Na super“, grummle ich nur, schnalle mich ab und steige aus.

In der Sekunde, in der ich die Tür hinter mir schließe, sehe ich, dass eine junge Frau aus dem Haus kommt. Sie ist vielleicht zwei oder drei Jahre jünger als ich. Ihre blonden Haare sind s lang, dass sie beinahe ihren Hintern berühren. Ihre Figur sportlich und passt perfekt in die engen Klamotten, die sie trägt und wirklich nichts der Fantasie überlassen. Jede einzelne Rundung kann ich erkennen.

Unter anderen Umständen würde ich versuchen, sie ins Bett zu bekommen, das ist mir sehr wohl bewusst. Und genau bewusst bin ich mir darüber, dass sie mir nicht entkommen könnte. Doch nun bin ich eher genervt von ihr, als sie mich freundlich anlächelt.

Ehe ich in meinem Haus verschwinden kann, kommt sie bereits auf mich zu.

„Hi, ich bin Kendra, die neue Nachbarin“, stellt sie sich mir vor und streckt mir ihre Hand entgegen.

Allerdings beachte ich sie überhaupt nicht, sondern gehe schweigend an ihr vorbei.

„Sie scheinen einen schlechten Tag zu haben.“

Kaum hat sie mit ihrer unsicheren Stimme die Worte ausgesprochen, drehe ich mich in ihre Richtung und gehe wieder zurück. Dabei sehe ich sie bedrohlich an. Doch aus irgendeinem Grund scheint es sie nicht zu interessieren.

Jede andere Frau würde jetzt wahrscheinlich einen Schritt nach hinten machen. Schließlich kennt sie mich nicht und hat keine Ahnung, ob ich wirklich eine Gefahr für sie darstelle, oder nicht. Doch Kendra betrachtet mich nur mit einem herausfordernden Blick, als ich mich ihr langsam nähere.

„Du kannst dir nicht einmal vorstellen, was für einen“, fahre ich sie an, bevor ich endgültig im Inneren meines Hauses verschwinde.

2

Kendra

Verblüfft sehe ich ihm nach.

Was war das?, frage ich mich, während ich in Gedanken noch einmal unsere kurze Unterhaltung durchgehe.

Doch ich finde, dass unsere Unterhaltung eindeutig zu kurz war, um wirklich einen Grund für seinen Ausraste zu haben. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob man sie wirklich als Unterhaltung bezeichnen könnte. Dafür war sie eindeutig zu kurz.

Als die Tür mit einem lauten Krachen hinter ihm ins Schloss fällt, zucke ich kurz zusammen, habe mich aber schnell wieder im Griff.

„Mach dir nichts draus. Er macht gerade eine harte Zeit durch“, erklärt eine weitere männliche Stimme, die sich hinter mir befindet. „Eigentlich ist er sehr umgänglich.“

Langsam drehe ich mich in die Richtung, aus der die Stimme kommt und betrachte den Mann. Er ist mindestens genauso groß und breit gebaut wie mein neuer Nachbar. Auf mich machen sie den Eindruck, als würden sie viel Zeit beim Sport verbringen.

 

Für einen kurzen Moment schießt mir die Frage durch den Kopf, was die beiden beruflich machen, denn irgendwie kommt es mir so vor, als wäre ihre körperliche Fitness wichtig dafür. Doch bevor ich mich näher damit beschäftigen kann, schiebe ich diesen Gedanken wieder zur Seite. Es kann mir egal sein und es ist mir auch egal.

„Dann bin ich ja froh, dass es anscheinend nichts mit mir zu tun hat.“

Ich lasse den Sarkasmus in meiner Stimme mitschwingen. Auf diese Weise zeige ich ihm, dass ich der Meinung bin, man kann sich dennoch etwas besser im Griff haben. Schließlich kann ich nichts dafür. Daher bin ich der Meinung, dass er seine schlechte Laune auch nicht an mir auslassen muss.

„Brady …“, beginnt er, beendet den Satz jedoch nicht.

Ich erkenne auf den ersten Blick, dass er mit sich selber ringt. Er sieht so aus, als würde er etwas sagen wollen, von dem er sich nicht sicher ist, ob er es von sich geben soll oder nicht. Und ja, ein wenig macht sein Verhalten mich neugierig. Schließlich würde ich schon gerne wissen, wer in meiner Nachbarschaft wohnt.

Doch ich gehe nicht näher darauf ein. Im Hinterkopf mache ich mir jedoch eine Notiz, dass ich ihn bei der nächsten Gelegenheit danach fragen werde. Und dabei ist mir egal, welchen von beiden ich nehme.

„Ich gehe mal davon aus, dass das der Name meines reizenden Nachbarn ist“, erkläre ich stattdessen und zeige in die Richtung, in die er verschwunden ist.

„Ja, das ist Brady. Nimm es einfach nicht persönlich, dass er dich so angegangen ist. Er ist zurzeit nicht er selber.“

Sein Freund sieht mich entschuldigend an.

„Das bin ich auch mal nicht, doch deswegen lasse ich meine Laune nicht an Menschen aus, die ich überhaupt nicht kenne. Aber ich werde mal darüber hinwegsehen, geschweige denn, er benimmt sich bei unserem nächsten Zusammentreffen nicht so.“

Mit diesen Worten gehe ich auf ihn zu und bleibe einige Meter von ihm entfernt stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde sieht er so aus, als würde er noch etwas dazu sagen wollen. Doch er geht nicht näher auf meine Aussage ein.

Ich kann nicht für mich behalten, dass ich wütend bin. Und von mir aus kann sein Kumpel das auch ruhig wissen. Dabei ist mir sehr wohl bewusst, dass er nichts dafür kann.

„Ich freue mich auf jeden Fall, dich kennenzulernen. Mein Name ist Ryan.“

Mit diesen Worten geht er um seinen Wagen herum und kommt auf mich zu. Mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht streckt er mir seine Hand entgegen, die ich ohne zu zögern ergreife.

„Kendra“, erwidere ich nur und sehe dabei noch einmal in die Richtung des Hauses, in dem Brady verschwunden ist.

„Ich bin mir sicher, dass wir uns nun öfter über den Weg laufen werden. Aber jetzt muss ich mich auf den Weg zum Stützpunkt machen.“

„Stützpunkt?“

Ich ziehe meine Augenbrauen ein Stück nach oben.

„Wir sind Soldaten.“

„Oh“, sage ich nur, da ich in diesem Moment die Befürchtung habe, dass das Verhalten meines Nachbarn etwas mit seinem Job zu tun hat.

Ich gebe zu, dass ich mich noch nie so genau damit beschäftigt habe. Doch ich weiß, dass man in diesem Beruf wahrscheinlich öfter in eine gefährliche Situation kommt, als es einem lieb ist.

Vor allem bei Auslandseinsätzen.

Doch ich behalte die Worte für mich. Es geht mich nichts an und deswegen würde ich mich wahrscheinlich sehr weit aus dem Fenster lehnen.

„Wir sehen uns“, verabschiedet sich Ryan von mir und steigt in seinen Wagen.

Einige Sekunden sehe ich ihm noch nach, ehe ich das letzte Mal zu dem Haus von Brady sehe. Doch bevor ich mich noch genauer damit beschäftigen kann, taucht meine Schwester auf.

„Du solltest den Umzugshelfern vielleicht sagen, wo das Sofa stehen soll. Sonst wirst du nachher noch alles wieder umräumen dürfen“, verkündet Lynn und bleibt neben mir stehen. Allerdings sieht sie in die andere Richtung, nämlich in den Transporter.

„Hmmm“, mache ich nur, da ich mit meinen Gedanken gerade ganz woanders bin.

Langsam sieht sie mich an.

„Ist alles in Ordnung?“

„Ja, ich habe gerade nur über etwas nachgedacht.“

Während ich spreche, werfe ich noch einen kurzen Blick auf das Haus von Brady, bevor ich mir einen der zahlreichen Kartons nehme, die vor der Laderampe stehen und verschwinde im Inneren meines Hauses.

Den restlichen Tag versuche ich mich mit der Einrichtung abzulenken. Doch die Wahrheit ist, dass das nicht so einfach ist. Immer wieder schaue ich zum Fenster hinaus zu seinem Grundstück. Doch ich kann ihn weit und breit nirgends entdecken.

Wundern tut es mich aber nicht. So betrunken wie er war, wird er sicherlich im Bett liegen, um seinen Rausch auszuschlafen.

„Wir sehen uns die Tage. Versuche es ruhig angehen zu lassen. Ich weiß, dass du am liebsten alles sofort fertig haben willst, aber das geht nicht von heute auf morgen“, weist mich meine Schwester an, als sie sich abends von mir verabschiedet.

Es ist so spät, dass die Sonne bereits untergegangen ist.

„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Zwischendurch muss ich auch noch arbeiten und heute werde ich eh nichts mehr machen.“

Ein letztes Mal umarme ich sie, bevor sie sich umdreht und zu ihrem Wagen geht. Es dauert einen Moment, doch dann fährt sie vom Straßenrand an und verschwindet.

Seufzend gehe ich wieder ins Haus und sehe mir das Chaos an. Möbel und Kartons sind überall verteilt. Doch wie ich meiner Schwester schon gesagt habe, werde ich heute nichts mehr machen. Ich bin seit drei Uhr nachts wach und muss jetzt dringend schlafen, damit ich morgen neu starten kann.