Loe raamatut: «Mellow Tior», lehekülg 3

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Während des Erzählens streichelte er über den fedrigen Kopf von BigBig. Der Eisvogel hielt seine Augen geschlossen und tschiepte wohlwollend.

„Und du bist dir sicher, dass sie sagte, du bist in Gefahr?“

„Ja, Minja. Ich habe ihre warnenden Worte noch im Ohr. Aber kein Grund zur Sorge. Es war ja nur ein Traum.“

Jetzt bekamen beide vor Aufregung kein Auge mehr zu und rafften

sich auf, sich ein Frühstück zuzubereiten. Bald schon erfüllte

ein leckerer Bratgeruch die Küche.

„Minja, wir müssen etwas unternehmen. Es ist nicht normal, dass

sich Großmutter Auri noch nicht zurückgemeldet hat.“

Mellow wendete gekonnt die brutzelnden Kartoffelscheiben.

„Anscheinend ist ihr etwas zugestoßen. Ich kann es mir nicht anders erklären, dass sie grundlos wegbleibt.“

Minja nickte zustimmend. Sie beschlossen nach dem Frühstück die Umgebung abzusuchen, und wenn das nicht ausreichte, die Polizei anzurufen. Nach einem gelungenen Mahl verließen sie mit BigBig das Heim und klingelten ihre Nachbarschaft ab. Kaum jemand öffnete seine Türe und gab bereitwillig Auskunft. Sehr ungewöhnlich stellten beide fest. Die Wenigen, die ihre Türe öffneten, wimmelten Mellow und Minja mürrisch ab. Sie gaben ihnen das Gefühl, unerwünschte Störenfriede zu sein. Diese abweisende Haltung kannte er noch aus früherer Zeit, als er mit Aurilia in das Dorf Nuckelon gezogen war. Aufgrund seines einzigartigen Aussehens, vor allem durch seine künstlich wirkenden silbernen Haare und den großen bernsteinfarbenen Augen stieß er auf die Ablehnung seiner Nachbarn. Damals mieden die Dorfkinder ihn, hatten Angst vor ihm. Es war eine sehr schwere Zeit für Mellow. Heutzutage gehörte er zum festen Kern der Dorfbewohner, keinen kümmerte es mehr, dass er so anders war, als all die anderen. Nach etlichen Stunden erfolgslosen Suchens gaben sie erschöpft auf. Mellow schnappte sich das Telefon und rief bei der Polizei an.

„Hallo, hier ist Mellow. Ich brauche ihre Hilfe.“

„Ja, wo wohnst du denn?“, fragte der Polizist schroff.

„Ich wohne im Heiligen Weg 3.“

„Gut, dann berichte erst einmal was geschehen ist!“

Mellow sprudelte mit seinem Anliegen heraus. Aber der Polizeibeamte gab ihm nach nur wenigen Worten in einer wirschen und bestimmten Art zu verstehen, dass er sich unmöglich darum scheren könnte, denn es ging momentan drunter und drüber.

„Deine Großmutter ist eine erwachsene und rüstige Dame. Die wird schneller heimkommen, als es dir lieb ist. Hat halt sicherlich nur vergessen, dir Bescheid zu geben. Melde dich nächste Woche, wenn sie bis dahin nicht aufgetaucht ist.“

Dann legte der forsche Polizeibeamte auf.

Mellow kam sich ziemlich alleine gelassen vor.

„Was können wir sonst noch tun?“, fragte er Minja.

Er überlegte für einen kurzen Moment, ob er sie in das Geheimnis um das » Tor des Moooo « einweihen sollte, nur hatte er seiner Großmutter Aurilia hoch und heilig geschworen, niemanden, aber auch absolut niemanden davon zu erzählen.

„Wir können tatsächlich nur abwarten. Auch wenn uns das nicht gefällt.“, sprach Minja.

„Komm, lass uns die restlichen Schokohasen verspeisen!“, forderte Minja ihren Freund auf, bevor er ganz und gar in Trübsal versank.

Die kommenden Tage vertrieben sie sich die Zeit zu Hause, spielten am Computer, aßen was die Küche an Lebensmittel hergab, schmusten mit BigBig und zeichneten fleißig an den Plänen für ihr Teleskop. Mellow war nur mit einem halben Herzen dabei. Ihr Unterschlupf blieb vorerst ungenutzt. Die Sorge um seine Großmutter Aurilia plagte ihn sehr, so sehr, dass er kaum mehr Schlaf fand, was ihn ziemlich reizbar stimmte. Mellow wurde grimmig, ständig pöbelte er Minja an. Sie bemühte sich, ihm aus dem Weg zu gehen. Es fiel ihr von Mal zu Mal schwerer und es war nur eine Frage der Zeit, bis die miese Stimmung endgültig in den Keller stürzte.

„Ich will Spiegeleier, keinen Eiermatsch.“, brüllte Mellow beim

Abendessen los, knallte wutentbrannt die heiße Pfanne in die Spüle.

„Findest du nicht, dass du mit deiner fiesen Laune übertreibst?

Eier sind Eier. Egal ob gespiegelt oder gerührt. Das bleibt sich doch gleich.“, entrüstete sich Minja stocksauer. Sie verspürte riesigen Hunger. „Echt super. Das waren unsere letzten Eier. Schmeiß doch alles weg. Für was mach ich mir die Mühe?“

Sie steigerten sich hitzig in ein Wortgefecht. Es war nur eine Kleinigkeit, aber das Feuer des Streites breitete sich wie ein ungezügelter Brand aus. Sie schubsten sich und schon bald rauften sie sich kreischend am Boden. Mellow packte Minja in den Schwitzkasten, drückte zu bis sie kaum mehr Luft bekam. Erst als ihr Kopf rot wurde, ließ Mellow endlich von ihr ab, verwies sie aber zornig des Hauses. Tief gekränkt schnappte Minja ihren leeren Rucksack und stürmte geschlagen außer Haus. Mellow verzog sich in sein Zimmer, knallte gereizt die Tür hinter sich zu, achtete nicht weiter auf BigBig, der flatternd vor der Türe zurückblieb. Der Eisvogel beschwerte sich mit lautstarken Tschiepen. Mellow empfand sich nicht als glücklicher Gewinner. Ganz im Gegenteil, er fühlte sich traurig und unglücklich. Nicht nur, dass seine Großmutter verschwunden war, jetzt hatte er auch noch seine beste Freundin in die Flucht geschlagen. Er stürzte sich aufs Bett, vergrub den Kopf zwischen seine Arme, bis nur noch sein silberner Schopf zu sehen war, und heulte bitterlich los. Große Tränen kullerten ihm über die Wangen. Sein hilfloses Schluchzen durchzog das Haus. Seine Kraft war erschöpft und missgelaunt glitt er in einem Dämmerzustand ab.

Ein sanftes Rütteln weckte ihn. Mellow öffnete seine bernsteinfarbenen Augen und erschrak bis in die Knochen. Eine wunderschöne Frau beugte sich über ihn, ruckelte an seinem liegenden Körper. Rubinrotes Haar umrahmte ihr Gesicht und ihr Lächeln war eine wahre Wonne.

„Komm, Mellow, es wird Zeit für dich. Steh auf!“, ermunterte sie ihn.

Mellow erhob sich und verschmälerte seine Augen. Sonderbar erschien es ihm, dass er die Frau, die ihn weckte, genauer wahrnehmen konnte, als jemals ein flirrendes Wesen zuvor.

„Bist du es, Mariana?“, fragte er erstaunt nach. Sie bejahte seine Frage mit einem zustimmenden Nicken.

„Wo sind deine Flügel?“, hakte er nach.

Mariana wirbelte herum und es dauerte nur einen Wimpernschlag, sie verwandelte sich schlagartig. Ihre flauschigen Federn schimmerten dunkelviolett. Marianas Auftritt erschien anmutig und ihre Stimme klang zart.

„Ist dieser Ort Wirklichkeit, oder nur ein Traum?“

„Dieser Ort ist die Wirklichkeit. Auch für dich. Selbst wenn du träumst. Dieses Mysterium wird sich für dich bald schon öffnen und dann wirst du ganz klar erkennen, dass es wirklich ist.“

Für einen klitzekleinen Moment fühlte sich Mellow nicht mehr ganz so allein.

„Mariana, aber ich träume doch. Es fällt mir schwer zu glauben, dass dies wirklich geschieht.“

Mariana blickte ihm tief in seine schmalen Augen.

„Träume sind letztendlich nur eine andere Art von Wirklichkeit.

Du kannst mich sehen. Du kannst mich hören. Du sprichst mit

mir. Ist das denn nicht die Wahrheit?“

Mellow nickte, das klang mehr wie einleuchtend.

„Dann sag mir, in welcher Gefahr befinde ich mich?“

Nach einer Pause unterbrach sie die Stille.

„Du suchst noch immer nach Aurilia, oder?“

Mellow horchte gespannt auf.

„Ja, ich suche Großmutter Auri schon seit einigen Tagen. Weißt du vielleicht, wo sie sich befindet?“

Seine Stimme bebte vor Aufregung und er konnte die Spannung kaum mehr ertragen.

„Nein, über den Verbleib Aurilias weiß ich nicht Bescheid.“

Mellow atmete enttäuscht ein und schnaufte entmutigt aus.

„Aber ich kenne jemanden, der vielleicht Auskunft geben kann.“

Noch bevor Mariana weitersprach, verschwand Mellow aus ihrem

Blickfeld und wachte zuhause, noch immer über seinem Bett gebeugt, auf. Mit aller Mühe zwang er sich, erneut einzuschlafen, erkannte aber, dass es sinnlos war. Er war innerlich viel zu aufgewühlt.

Mit einem Satz sprang er hoch, öffnete die Türe, rief laut nach BigBig und rannte mit ihm in der Hand auf die Straße. Er sprintete ohne Umweg zu Minjas Haus. Der Himmel war wolkenlos und er sah die vielen Sternschnuppen auf die Erdoberfläche treffen. Er hämmerte kraftvoll gegen die Türe, aber niemand öffnete. Mellow rüttelte fest am Türknauf, drehte wild in beide Richtungen, es half nicht, die Türe blieb verriegelt. Er rannte ums Haus, überprüfte jedes Fenster, in der Hoffnung, dass er durch eines schlüpfen könnte. Jedoch ohne Erfolg.

„BigBig, ich brauche deine Hilfe. Flieg und wecke Minja!“

BigBig befolgte die Bitte, noch immer gekränkt, weil Mellow ihm die Türe vor dem Schnabel zugeschlagen hatte. Er flog auf den Kamin, blickte nach unten in den Schlot, sah den Ruß und schüttelte sich vor Ekel. Eisvögel achteten peinlich genau darauf, sich nicht zu beschmutzen. Doch dann bemerkte er erleichtert, dass ein Oberlicht geöffnet war. Zu schmal für einen Jungen, für einen kleinen Piepmatz aber eine Leichtigkeit. BigBig tschiepte befreit auf.

Mellow wartete ungeduldig, verkrampfte, fühlte sich abermals beobachtet. Nervös prüfte er die Umgebung, erspähte einen heruntergekommenen bulligen Mann in zerlumpten Klamotten. Der bärtige Mann gammelte auf der gegenüberliegenden Straßenseite, winkte Mellow eifrig zu. Mellow winkte nicht zurück. Der Mann jaulte auf, drehte sich um und schlurfte davon. BigBig flog heran und setzte sich auf Mellows Handrücken. Er drehte seinen Kopf mehrmals von links nach rechts und hob ab in Lüfte. Mellow überlegte nicht lange und rannte die Straße hinunter, auf direktem Weg zum Hauptquartier Wolke 7 am Waldesrand.

Völlig aus der Puste kam er an. Bei dem Versuch die Stahltüre zu öffnen, stellte er fest, dass sie von innen verriegelt war.

„Sind heute alle Türen für mich verschlossen?“

Er klopfte, rief nach Minja, rüttelte und zog mit aller Kraft an der Stahltüre. Vergebens. Die Türe bewegte sich keinen Millimeter. Niedergeschlagen setzte er sich auf den Boden.

„Mist. Echt, wie verhext. Wo seid ihr?“

BigBig landete auf seinem Kopf, rupfte ihm am silbernen Haar. Mellow war froh darüber, dass sich sein kleiner Freund, der Eisvogel, beruhigt hatte. Nach einer geraumen Zeit spitzte Minjas Kopf aus dem Dickicht hervor. Sie hielt nach allen Richtungen Ausschau.

„He, Minja. Hier bin ich!“, rief Mellow laut aus.

Minja blickte in seine Richtung und winkte ihn herbei. Mellow

sprang auf, rannte zur Türe, nahm seine beste Freundin in den

Arm und entschuldigte sich aus vollem Herzen.

„Ich weiß ja, dass du traurig bist, weil dir deine Großmutter

fehlt. Aber ich tue dir überhaupt nichts und du bist so giftig

zu mir.“, schellte Minja ihn.

Ansatzlos verpasste sie Mellow einen Bauchschlag, der sofort in die Knie ging und nach Luft japste. BigBig flog nach unten, flüchtete vor dem Streit, in die schützende Sicherheit.

„So, das musste jetzt einfach sein.“

Mellow stand wieder auf, hielt sich den Bauch, atmete tief durch und blickte Minja verständnislos an.

„Was ist, Mellow? So ist es mir ergangen, als du mit deinen Fäusten auf mich eingeprügelt hattest. Ich hatte bestimmt keinen Spaß dabei. Das kannst du mir glauben. Jetzt sind wir quitt. Und kein Wort mehr darüber.“

Sie blickten sich wütend an, brachen dann aber doch in einem schallenden Gelächter aus. Hand in Hand gingen sie nach unten. BigBig zupfte sich seinen Schlafplatz bequem. Mellow berichtete ihr von seinem unbegreiflichen Erlebnis am goldenen See.

„Ja, sie besaß unbeschreiblich schön geformte Flügel mit einem hohen Bogen und einem spitzen Auslauf nach unten.“, schwärmte er. „Und ihre Federn schimmerten dunkelviolett. Sie ist einzigartig und wunderschön.“

Minja überreichte Mellow die Nussschokolade und goss ihnen beiden einen Schluck hellbraunen Karamellsirup in die Gläser. Dann fragte sie ihn nach jeder erdenklichen Einzelheit aus und er stand ihr brav Antwort und Rede. Vergessen war ihr übler Streit. BigBig war froh, dass der Friede einkehrte. Mellow schleckte sich genüsslich über die pappigen Lippen.

„Und weißt du was das Beste daran war? Mariana kennt jemanden, der vielleicht Bescheid weiß, wo Großmutter sich befindet.“ Seine Augen strahlten vor Zuversicht.

„Das ist prima! Jetzt musst du nur noch schlafen und an den goldenen See zurückkehren.“

„Ach, Minja. Wenn das nur so einfach wäre. Ich bin so aufgeregt, dass es mir schwerfällt, einzuschlafen und zu träumen.“

„Vielleicht kann ich dir weiterhelfen. Wenn Onkel Klaus kein Auge zubekommt, dann trinkt von dem blauen Sirup, den der von deiner Großmutter bekommen hatte.“

Und so begaben sich die zwei auf den Weg zu Minjas Haus. Sie kramte im weißen Arzneischrank ihres Onkels, nach kurzem Stöbern fand Minja das Fläschchen und überreichte es ihrem besten Freund. Mellow verstaute die bläuliche Flüssigkeit sofort in seiner Hosentasche. Er nahm sich vor, noch am selben Abend davon zu trinken.

Sie schlenderten durch das sonst so belebte Dorf, das jetzt einen ausgestorbenen Eindruck hinterließ. Ödnis durchzog die leeren Wege und keine einzige Menschenseele war zu sehen. Bei Mellow drehte es sich eh nur noch um einen Gedanken. Er wünschte sich sehnlichst den Traum herbei, damit er die wunderschöne Mariana wiedertraf.

Sie schritten an den verrammelten Häusern vorbei, deren Fensterläden zugenagelt waren und die eine feindselige Stille ausstrahlten. Die Hunde waren aus ihren Zwingern und die Pferde von den Koppeln geholt worden, zurück in die sicheren Häuser und Ställe. Auch auf dem Spielplatz, in der Nähe von Wolke 7, fehlten die Kinder, die sonst so lautstark und ausgelassen spielten. Friedhofsstimmung breitete sich wie ein Fluch über das gesamte Dorf Nuckelon aus. Erleichtert trafen sie in ihrem Kellerraum ein und sperrten die Welt aus. BigBig schlief tief und fest auf seinem Schlafkissen. Minja zeigte Mellow ihre neuen Skizzen für das Fernrohr und sie fachsimpelten über die Weite, die sie mühelos damit erreichen könnten. So verflogen die Stunden bis zum Abend ziemlich schnell. Mellow bereitete sein Abendmahl vor. Er holte den blauen Sirup hervor, der süßlich duftete, und goss sich einen kräftigen Schluck ein. Und es dauerte keine Minute, bis ihm schläfrig die Augen zufielen. Aber so sehr er es auch wünschte, der goldene See blieb fern.

Das innere Auge

Mellow schrie laut auf, sprang mit einem schreckverzerrten Gesichtsausdruck zur Seite, wich nach hinten aus. Minja blickte ihn missbilligend an, schüttelte ratlos ihren Kopf.

„Wie lange soll es mit ihm so weitergehen? Mellow dreht vollkommen durch. Und kein Doktor hat Zeit.“, brummelte sie.

Mal hüpfte er mit einem Satz, wie ein ängstlicher Hase nach rechts, dann schlagartig nach links. Aber sie unterließ es, Mellow wegen seines sonderbaren Benehmens zu tadeln. Ruckartig ging er in die Hocke, hielt sich schützend die Arme vor das Gesicht, schirmte sich ab vor den blitzenden Funken. Die letzten Tage wunderte sie eh kaum etwas. Die Bewohner des Dorfes Nuckelon waren allem Anschein nach in die Wüste ausgewandert, oder hatten beschlossen, für immer hinter ihren Türen zu leben. Warum sollte Mellow, ihr verrückter Freund, denn nicht auch dem Wahnsinn verfallen? Bor Mellows Augen schlugen die glühenden Schnuppen ein, zerstoben mit einem donnernden Knall. Seltsamerweise hinterließen sie keine Spuren. Doch er zweifelte nicht, denn die Wahrheit war, er sah sie.

„Minja, du musst dich vor den Sternschnuppen schützen?“, warnte er seine beste Freundin erschüttert. „Guck, wie sie mit aller Wucht auf dem Boden zerknallen! Wie ihr helles Licht in allen Himmelsrichtungen zerspringt! Sieh doch!“

„Nein Mellow, ich weiß echt nicht was du siehst. Bei mir ist alles in bester Ordnung. Das sind deine Einbildungen.“, widersprach sie. Wie sie es vorausgesehen hatte, Mellow reagierte beleidigt.

„Du meinst wohl, dass ich lüge, weil du es nicht sehen kannst? Was denkst du dir eigentlich wer du bist? Das Maß aller Dinge, oder was? Das nervt.“

Minja verzog ihre Mundwinkel zu einer Fratze. Es hatte jetzt

keinen Sinn, vernünftig darauf zu antworten. Mellow fühlte sich

gekränkt.

„Bleibe sofort stehen und gebe dir Mühe! Das ist alles was ich von dir verlange.“, forderte Mellow sie streng auf.

Minja tat, wie ihr befohlen wurde und blieb stehen, richtete ihren Blick zu den Stellen, auf die Mellow im Sekundentakt mit seinem Zeigefinger deutete. Doch sie erkannte rein gar nichts, trotz all der Anstrengung. Er winkte verärgert ab, beeilte sich, um Schutz im sicheren Unterschlupf Wolke 7 zu finden, wollte zu seinem blauen Freund BigBig. Mellow ärgerte es ungemein, dass Minja ihn als Spinner mit wirren Sinnestäuschungen abtat. Er raufte sich wütend die silbernen Haare, während er weiterhin den knallenden Erscheinungen auswich. Minja lief eindruckslos geradeaus, ungeachtet dessen, wo gerade eine Leuchtkugel einschlug.

„Die Wolken ziehen sich zusammen und werden dunkler. Wenn wir trocken bleiben wollen, sollten wir uns beeilen.“

„Ja, lass uns rennen! BigBig ist froh, wenn wir bald bei ihm sind. Er fürchtet sich vor Gewitter.“, stimmte Minja zu.

Und so rannten die zwei den langen Weg durch das leblos wirkende Dorf, zurück zu ihrem geheimen Stützpunkt. Doch die schattigen Wolken türmten sich rasend schnell zu bedrohlichen Bergen auf. Graue und schwarze Farbtöne überschwemmten den Himmel. Der Regenguss kündigte sich durch das herannahende Grollen an. Gefährlich bauschte sich das Gewitter auf und die ersten Tropfen fielen als warnende Vorboten herunter. Unwetter gab es zu dieser spätsommerlichen Jahreszeit des Öfteren, also kein Grund zur Besorgnis. Mellow bückte sich nach vorne, sein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Er legte die Hand auf seinem Bauch, damit die Übelkeit nachließ. Eine unerklärliche Vorahnung schlich sich in sein Bewusstsein, dieses Gewitter war kein gewöhnliches Unwetter. Er fand für das befremdliche Gefühl in seinem Magen keine passenden Worte, behielt es für sich. Der Druck in seiner Bauchgegend schwoll an, Mellow bekam augenblicklich Gänsehaut und die Nackenhaare stellten sich senkrecht auf. An dieser Wolkenansammlung war etwas Eigenartiges. Er blickte nervös nach oben, stellte überrascht fest, dass der Schnuppenschauer augenblicklich vorbei war. Jedoch die Wolken verformten sich zu roten Figuren, bedrängten bedrohlich den Himmel. Er zwang sich, seinen Blick auf den nassen Boden zu richten, verspürte Angst davor, hoch zu schauen. Die Übelkeit lähmte ihn. Mellow kämpfte mit aller Kraft dagegen an. Er wollte vorwärtskommen. Als er seine Augen abermals in den Himmel richtete, erlebte er eine schreckliche Mischung aus dem Sehen und dem Fühlen eines Unheils ungeheuerlichen Ausmaßes. In den grauschwarzen Wolken zeichneten sich rote Horden von gruseligen Monstern und ihren furchterregenden Tieren ab. Spitze Hörner zierten die Köpfe der Monster, und sie schnaubten roten Rauch aus ihren dicken Nasen. Scharfe Zähne krachten aufeinander, und feuriger Schleim tropfte aus den Mäulern der Ungetüme. Sie zogen ihr glühendes Feuer durch die sattgrauen Wolken, die den Himmel verdunkelten. Es schien, als ob sie Feuer legten, als ob sie alles in Brand steckten.

Mellow strengte sich an, Minja geschwind in Sicherheit bringen. Er ergriff sie mit zittriger Hand und rannte so schnell er konnte. Minja kam aus der Puste, japste wie ein Hase auf dem Rücken nach Luft. Doch Mellow nahm keinerlei Rücksicht, denn er flitzte mit ihr ums nackte Überleben. Die Türe zur Wolke 7 war schon in greifbarer Nähe, da funkten die ersten Blitze auf, schossen neben den beiden in den Boden. Selbst Minja erschrak, als sie das Zittern der Erde spürte. Dampf verteilte sich und der Gestank von verkohlter Erde stieg ihnen in die Nasen. Mellow hechtete zum Türgriff, riss die Stahltüre auf und zog Minja in das Innere. Während seine Freundin unsanft die harten Stufen nach unten polterte, spürte Mellow feurige Hitze in seinem Nacken. Ein rotglühendes Monster, das einer Kreatur aus zerstäubten und glühenden Wasser glich, griff nach Mellows Arm. Er reagierte ruckartig und schlug die schwere Türe zurück ins Schloss. Panisch schloss er von innen ab, rannte von der nackten Angst besessen nach unten, sprang über Minja hinweg und verkroch sich im hintersten Eck.

„Tschip, Tschip, Tschiip.“ BigBig begrüßte die beiden mit lautstarkem Willkommenstschiepen. Er flatterte ohne Umwege auf Mellows Schulter, zupfte aufgeregt an seinem silbernen Haar. Mellow zitterte heftig und seine Gesichtsfarbe war kreidebleich.

„Wow, das war ein fetter Blitz. Bumm, schlug der knapp neben uns ein. Wahnsinn, wenn der uns getroffen hätte, wären wir bestimmt zu heißer Asche verwandelt worden.“

Minja schlug ihre Hände über den Kopf zusammen, war sich der Tragweite ihrer Feststellung aber nicht im Geringsten bewusst.

„Mii- njaa, ich glaaaube so-sogar, die- die Blit-tzze soll-t-teen u-uns treff-ffen.“, schlotterte Mellow, der unter Schock stand.

„Jetzt spinnst du aber total. So ein Unsinn.“ Minja verdrehte verständnislos ihre Augen. „Das ist ein heftiges Unwetter und keine Seltenheit. Wieso sollten uns die Blitze absichtlich verletzen wollen? Das war nur Zufall, nichts weiter.“

Langsam normalisierte sich der Zustand des verschreckten Mellows. BigBig übte einen beruhigenden Einfluss auf ihn aus. Minja zog sich ihre nassen Klamotten aus und forderte Mellow auf, sich ebenso trockene Wäsche überzuziehen. Draußen vor der Türe hauste der entfesselte Sturm und es tobte ein wummerndes Geräusch durch den unterirdischen Raum. Die Stahltüre wurde beinahe aus den Angeln gehoben.

„Glaub mir Minja, du siehst nicht das, was ich sehe. Und wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich spürte tief in mir, das Unglück sogar auf uns zukommen. Wir hatten riesiges Glück.“

Minja ging zu den vorrätigen Naschsachen, kramte leckere Erdbeerschokolade hervor, nachdem sie in trockenen Sachen gepackt war. Sie brach sich einen dicken Riegel ab, reichte ihn an Mellow weiter, der dankend ablehnte. Ihn gelüstete in diesem schauerlichen Moment nicht nach süßem Naschwerk. Seine heile Welt stürzte in ein bodenloses Chaos. Aurilia blieb verschwunden und kein erleichterndes Lebenszeichen in Aussicht.

„Verdrehte Welt. Die Bewohner des Dorfes verstecken sich in ihren Häusern und die Stadtbürger verhalten sich hitzig. Das ist mehr wie beängstigend.“ stellte Minja fest und schüttelte ihren Kopf.

„Minja, denke und sprich was du willst. Aber ich sage dir, da stimmt was nicht. Die Menschen benehmen sich nicht ohne Grund so seltsam. Es liegt riesengroßer Ärger in der Luft.“

Minja gab keinen Pfifferling auf Mellows Gedankengänge, obwohl es ihr nicht entging, dass eine streitsüchtige Stimmung als unerwünschter Gast in den Häusern Einzug hielt. Nur seine Fantasie war schon immer ausgeprägter, als bei den anderen Kindern. Der Rest war pure Spinnerei, weil die Nerven mit ihm durchgingen. Allein seine sonderbaren Träume zeugten von dem heillosen Durcheinander in seinem Kopf. Minja erwartete insgeheim, dass sobald Aurilia von ihrem Ausflug heimkam, alles wieder gut werden würde. Dann würden sie gemeinsam am Küchentisch sitzen, dem Brutzeln der bratenden Pfanne lauschen und ein neues Abenteuer aushecken.

Natürlich wagten sich beide im Moment nicht mehr vor die Türe und so blieb ihnen nur eines übrig, es war immer noch das Beste sich mit irgendetwas beschäftigen. Hauptsache es lenkte sie von ihrem Streitthema ab. Mellow holte die Zeichnungen für das Teleskop hervor und sie beugten sich gemeinsam über die bisherigen Skizzen. Nach mehreren Tafeln feinster Schokolade und etlichen Stunden an Tüfteleien entschlossen sie sich, sich aufs Ohr zu legen. Zumindest solange bis der Sturm vorbeigezogen war und sie mit BigBig zum Bach gehen konnten. Jeder einzelne von ihnen tat sich mit dem Einschlafen schwer, da ihnen die Gedanken durch die Köpfe jagten, aber die Müdigkeit siegte.

„Hallo, Mellow. Ich habe schon sehnsüchtig auf dich gewartet.“

Marianas Stimme zu hören war eine Wohltat. Wenn er sich am goldenen See befand, schien ihm diese Wirklichkeit viel realer als die Welt, in der er sich gerade schlafen gelegt hatte. Mellow erhob sich blinzelnd vom goldenen Boden.

„Hallo Mariana. Ich bin durcheinander und ich vermisse meine Großmutter. Was ist nur passiert?“

Mariana stellte sich vor ihm, spendete ein wenig Schatten, das gab ihm die Möglichkeit seine Augenlider zu entspannen. Auch dieses Mal stand sie ohne ihr Federkleid da. Ihr Lächeln strahlte pure Freude aus. Mellow fühlte sich auf unerklärliche Weise unendlich stark mit ihr verbunden. Ganz so, als ob sie beide aus derselben Familie entstammten.

„Was mit Aurilia geschehen ist, kann ich dir nicht sagen. Aber wie ich schon sagte, es gibt jemanden, der darüber Bescheid wissen könnte.“

„Dann fragen wir den Jemanden. Ich wünsche mir Antworten.“

Mariana lächelte verlegen.

„Nein, Mellow so einfach ist es leider nicht. Die Umstände sind überaus gefährlich. Ich kann dir nur verraten, dass du in einem uralten Mysterium verwickelt bist. Aurilia kennt das Geheimnis. Hat sie dir nichts darüber berichtet?“

Mellow reckte seine Faust nach oben.

„Nein, hat sie nicht und mir ist es völlig gleich in was ich verwickelt bin. Ich will meine Großmutter Auri bei mir haben. Und ich bin bereit, alles dafür zu tun.“

„Mellow, es ist wichtig für uns, dass dein Handeln durch Taten und nicht durch Worte geführt wird. Für dich und für mich und für all die anderen.“

„All die anderen?“, fragte Mellow erstaunt nach.

„Ich erahne deine Gedanken. Ein tiefes Geheimnis streift dich gerade mit seinen kristallenen Flügeln.“

Sie forderte ihn auf, sich auf seinen Hosenboden zu setzen und hinzuhören.

„Mellow, eine Schockwelle durchrast gerade das Universum. Es ist etwas passiert, was nicht passieren dürfte. Wir alle befinden uns in Gefahr. Das Höllenfeuer bricht über uns herein und der einzige, der das verhindern kann, bist du. Laizif jagt dich bereits. Er ist erbarmungslos und darf dich nicht erwischen, denn er wird dich, ohne mit der Wimper zu zucken, zerstören. Deswegen muss Aurilia gefunden werden, denn nur sie alleine kann dich vor ihm behüten.“

Mariana erwartete eine Reaktion, die aber ausblieb.

„Wenn wir dich verlieren, verlieren wir deine heilige Gabe.“

Mellow bemühte sich, seine Augen zu öffnen.

„Ich verstehe das alles nicht. Ich will doch nur meine Großmutter zurück. Sonst gar nichts.“

„Mellow, das kann ich verstehen, aber vertraue mir. Vielleicht hast du schon bemerkt, dass du die Fähigkeit besitzt, Dinge zu sehen, die andere nicht sehen. Du nutzt deinen inneren Blick. Das ist eine wertvolle Fähigkeit auf dem Weg deiner Suche. Nutze die Möglichkeiten, die es dir bietet. Nur so kannst du Aurilia helfen. Mellow nutze dein inneres Auge!“

Noch bevor Mellow etwas erwidern konnte, wurde er im geheimen Unterschlupf Wolke 7 wach. BigBig zupfte energisch am silbernen Haar und es blieb ihm keine andere Wahl, als aufzustehen.

„Ja, ja! Ich weiß, du hast Hunger.“

Mit einem sanften Rütteln weckte er Minja, die sich schwertat aufzustehen. Er wollte ihr unbedingt von seinem neuen Traum berichten. Minja war neugierig genug, sich die spannende Geschichte anzuhören, auch wenn sie ihn danach abermals für einen armen Spinner abtat. Mellow entsicherte das Schloss und lugte raus. Der Sturm war mittlerweile verzogen und sie begaben sich gefahrlos vor die Türe. Er atmete tief durch, blickte sich um und betrachtete neben dem Eingang die schwarzen großen Einschlaglöcher, die die Blitze hinterlassen hatten.

„Los komm schon! Beeile dich, Mellow. BigBig hat bestimmt tierischen Hunger.“

Unruhig flog der Eisvogel auf und ab, drängte seine Freunde, dass sie eine flotte Sohle vorlegen sollten. Der rauschende Bachlauf war vom vielen Regenwasser angeschwollen. BigBig jagte erfolgreich, schlug sich den gefiederten Bauch mit leckerem Futter zu. Es dauerte eine Weile bis er satt war. Auf dem Rückweg beschloss Mellow zuhause zu übernachten.

„Minja bleibst du heute Nacht bei mir? Ich habe das Gefühl, dass Großmutter auftauchen wird.“

Er brauchte sie nur einmal zu bitten, Minja war eine treue Seele. Auch wenn die Zeiten gerade schwierig waren. Zuhause suchte Mellow und Minja, wie jeden Tag, die Räume ab, aber Großmutter Auri blieb verschwunden. Mellow richtete üppige Käsebrote und gelbe Limonade in großen Gläsern her und sie verspeisten ihr Abendmahl vor dem Fernseher, guckten dabei gespannt eine neue Folge ihrer Lieblingssendung. Es war ja niemand da, der sie deswegen rügte. „Poch, poch, poch.“ Plötzlich pochte es stürmisch an der Türe. Mellow blieb vor Aufregung fast das Herz stehen. Blitzschnell warf er seinen Teller weg und sprang mit einem sportlichen Satz über die Rückenlehne des Sofas.

„Großmutter, Großmutter. Endlich.“, schrie er vor Erleichterung durch das gesamte Haus.

Minja blickte ihm verständnislos nach. Sie hatte kein Klopfen wahrgenommen. Sie biss genüsslich in ihr belegtes Brot, den halben Blick weiterhin auf dem flimmernden Bildschirm und die andere Hälfte auf die Türe gerichtet. Mellow riss mit einem Schwung die Türe auf und ihn überfiel vor Entsetzen die lähmende Starre. Unbändige Hitze drang ins Haus, die Welt vor der Türe war in ein geheimnisvolles Rot gehüllt. Ein Rot, aus dem zwei feurige Hände nach ihm griffen. Ein maskenhaftes Gesicht stierte böse nach Mellow, dem Jungen mit dem silbernen Haar. Der Schock durchdrang ihn. Er fiel bewusstlos in sich zusammen und stürzte hart auf dem Boden.

„Mellow, was ist passiert? Warte ich helfe dir.“

Minja ließ ihren Teller fallen und hechtete ihm zur Hilfe. Ohne Umschweife blickte sie nach außen ins Freie, doch sie stellte nichts Bemerkenswertes fest und schloss die Türe sofort wieder. Sie rüttelte an Mellow, aber es half nicht, er blieb regungslos. Sie zog den bewusstlosen Mellow an die Couch zurück, hievte ihn mit aller Kraft auf das Sitzpolster. BigBig flog aufgeregt durch das Wohnzimmer und tschiepte hektisch vor sich hin. Minja tätschelte das Gesicht ihres Freundes, packte ihn und schüttelte an den Schultern, doch Mellow blieb weggetreten. Erst Stunden später öffnete er seine Augen.

Tasuta katkend on lõppenud.

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