Einfach nicht hinfallen

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Sari: Verhasst #2
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Einfach nicht hinfallen
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Shino Tenshi

Einfach nicht hinfallen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Impressum neobooks

Kapitel 1

Ich saß auf der Couch meiner Eltern und starrte auf meine im Schoß zusammengefalteten Hände. Der Geruch von Kaffee drang in meine Nasen und ich spürte, wie meine Hände ein wenig zu zittern begannen, als ich tief Luft holte, um meine Wort von vorhin noch einmal zu wiederholen.

„Ich hab es Ihnen schon einmal gesagt. Robert hat mich auf die Brücke bestellt, um mit mir zu reden. Wir hatten in letzter Zeit regelmäßig Schwierigkeiten und er hat versucht mich in den Selbstmord zu treiben. Darum gab es durchaus sehr viel, worüber man reden musste. Ich hab den Frieden nicht getraut, den er mir verkaufen wollte und blieb auf Abstand. Er schüttete mir sein Herz aus und ich schien sein Verhalten langsam zu verstehen, als er sich plötzlich auf die Reling hievte und sich keine zehn Sekunden später nach hinten fallen ließ. Ich weiß nicht, warum er das getan hatte und ich habe so schnell, wie es meine Verfassung zugelassen hat, den Notarzt verständigt, aber der Fluss gibt nichts mehr her, was er einmal bekommen hat. Das weiß an sich jeder und sicher war es auch Robert klar gewesen. Vielleicht hatte er ihn sich deswegen ausgesucht.“

Die zwei Polizisten vor mir sahen mich ruhig an, während einer wieder alles notierte, was ich sagte. Das Alles wirkte so surreal, dass ich mich immer wieder leicht zwickte, um sicher zu gehen, dass es kein Traum war. Es tat jedes Mal weh. Der Selbstmord von Robert lag nun schon zwei Wochen zurück und sie wollten nicht daran glauben, dass es so passiert war. Es gab keinen Brief und auch sonst keinen Hinweis, dass er so etwas vorgehabt hätte. Darum wurde ich verdächtigt, dass ich nachgeholfen hätte.

„Hat man seine Leiche mittlerweile gefunden?“, versuchte ich das Thema zu wechseln und die Polizisten sah sich nur kurz an, bevor der Rechte von ihnen dann den Kopf schüttelte und ich spürte erneut diese kleine Hoffnung in meinem Herzen, die aber von der Verzweiflung niedergerungen wurde.

„Ich bin ehrlich, dass ich nie verstand, warum er sich mir gegenüber so benahm. Dauernd sprach er davon, dass ich sein Leben zerstört hätte. Wahrscheinlich tat ich das wirklich, indem ich ihn unbewusst dazu zwang, sich gegen mich zu stellen, wenn er nicht selbst ein Opfer werden wollte. In seinen Augen hatte ich ihn zum Täter gemacht, derweil wollte ich einfach nur endlich einen Ort haben, an dem ich mich nicht verstecken musste. Ich war dumm und naiv. Dafür musste ich bezahlen und der Preis dafür war viel zu hoch.“

Ich zupfte an dem Verband an meiner Hand und versuchte so ruhiger zu werden, doch es wollte mir nicht gelingen. Wie gerne hätte ich jetzt Marc bei mir gehabt, doch das ging nicht. Meine Mutter war ihm gegenüber immer noch feindselig und ich war noch nicht bereit diesen Kampf aufzunehmen. Immer wieder sah ich in meinem Träumen das grinsende Gesicht von Robert, wie es im Wasser verschwand. Warum hatte er das getan? Wir hätten zusammen bestimmt eine Lösung gefunden.

Erneut tauschten die Polizisten Blicke untereinander aus und der Rechte seufzte schwer, bevor er dann nickte. „Okay, ich glaube, dass dies jetzt genug ist für heute. Du bist wahrscheinlich wirklich unschuldig. Viele Selbstmörder greifen überraschend zum Messer und beenden es. Wir hatten schon öfters solche Fälle, wo niemand damit rechnete, es aber einfach wahr war.“

„Haben Sie schon mit Marc gesprochen? Er war dabei und könnte es bezeugen“, sprach ich einen weiteren Aspekt an, doch der Polizist schüttelte den Kopf. „Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Wir kriegen ihn einfach nicht zu fassen. Bist du dir sicher, dass er überhaupt existiert?“

Ich musste kurz verzweifelt auflachen und spürte sogleich den Schmerz in meinen Inneren. Auch auf mich reagierte Marc im Moment nicht mehr. Er kam nicht online, ging nicht ans Telefon und antwortete auf keine SMS. Ich verstand sein Verhalten nicht und hoffte, dass er sich irgendwann wieder bei mir melden würde oder hatte meine Mutter vielleicht Recht? Hatte er nun bekommen, was er von mir wollte und ließ mich wie eine heiße Kartoffel einfach fallen?

Ich spürte, wie sich bei dem Gedanken Tränen in meine Augen schlichen. Niemals wollte ich so über Marc denken. Er war immer liebevoll zu mir gewesen. Das sah ihm nicht ähnlich. Es entsprach nicht seiner Natur, mich jetzt im Stich zu lassen.

Unbewusst verstärkte ich das Zupfen an meinem Verband und ich schluckte trocken, als ich merkte, wie der Gips ein wenig abbröckelte. Die gebrochene Hand und meine Erinnerungen waren das Einzige, was mir von Robert geblieben war. In zwei Wochen wäre er aber ebenfalls weg und dann hätte ich nichts Greifbares mehr von ihm.

„Haben Sie noch Fragen an mich? Ich hätte nämlich bald eine Verabredung und müsste los.“ Ich sah die Polizisten mit großen Augen an und erneut tauschten sie Blicke aus, bevor der Schreiber dieses Mal den Kopf schüttelte, dennoch wandte sich wieder der Gleiche an mich. Hatten sie so eine strenge Arbeitsteilung?

„Nein, das war es erst einmal. Sei einfach für uns erreichbar, falls sich doch noch eine Frage ergibt.“ Sie standen auf, nachdem ich ihnen das versprochen hatte und sie reichten mir die Hand, um sich von mir zu verabschieden. Es war ein seltsames Gefühl, wieder alleine im Raum zu sein. Die leeren Kaffeetassen standen noch auf dem Tisch und ich hörte meine Mutter in der Küche.

Alles in mir schrie danach, mich an ihre Brust zu werfen und zu weinen, doch ich stand auf und ging in den Flur, um mir Schuhe und Jacke anzuziehen, um dann mit einem kurzen Abschiedswort aus der Tür zu verschwinden und mich mit Alex und Leon zu treffen…

„Da bist du ja.“ Alex lächelte mich breit an. Wir trafen uns an dem kleinen Springbrunnen in der Mitte der Innenstadt. Leon lehnte leicht gegen den Beton und sah mich mit vor der Brust verschränkten Armen an. Ich wusste, dass er ein Freund von mir war, dennoch blieb die Angst, dass er sich eines Tages gegen mich stellen würde, präsent. Vor allem wenn er so ablehnend wie jetzt dastand.

„Ja, tut mir Leid. Die Polizei war wieder bei mir.“ Ich seufzte schwer und umarmte Alex kurz zur Begrüßen, bevor ich Leon zunickte. Er lächelte kurz und erwiderte die schlichte Begrüßung, bevor Alex wieder meine Aufmerksamkeit forderte. „Echt? Können sie dich nicht bald mal in Ruhe lassen? Sie waren jetzt schon dreimal da. Was hoffen sie denn, zu finden?“

„Einen Beweis für meine Schuld“, beantwortete ich ihm die Frage und er sah mich entsetzt an, bevor er dann schon aufbrauste: „Deine Schuld?! Du bist nicht schuldig! Marc kann das doch bezeugen! Wieso solltest du?! Warum?! Wie kommen die auf den Blödsinn?!“

Ich musste wieder auflachen und Leon legte Alex beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Sie werden nichts finden, wenn Felix unschuldig ist. Da können sie noch so lange bohren, wie sie wollen. Wo kein Öl ist, kann man auch keines finden.“

Wie gerne würde ich die Ansicht von Leon teilen, doch ich hatte Angst, dass doch plötzlich ein Beweis auftauchte. So rein zufällig. Ich schüttelte den Kopf. Nein, so durfte ich nicht denken. Das war totaler Blödsinn. Die Polizei arbeitete fair und es war nun einmal Selbstmord. Da führte kein Weg dran vorbei.

„Haben sie Marc nicht befragt?“, durchbrach die Stimme von Alex wieder die Stille und ich schüttelte kurz den Kopf, bevor ich meine Schultern hängen ließ. „Er ist seit dem Todestag von Robert wie vom Erdboden verschluckt. Ich kann ihn auch nicht erreichen. Derweil könnte ich ihn jetzt wirklich gebrauchen. Hab' ich mich in ihm getäuscht?“

Ich sah meine beiden Freunde flehend an. Leon zuckte nur mit den Schultern und Alex’ Augen füllten sich mit Mitleid, bevor er zu mir trat und mir durchs Haar wuschelte. „Ich hab ihn nur einmal gesehen und er wirkte durchaus in Ordnung. Vielleicht ist er gerade beschäftigt. Bestimmt wird er sich wieder bei dir melden.“

 

Wie gerne hätte ich diese Worte geglaubt, doch allein die Tatsache, dass nicht einmal die Polizisten ihn fanden, ließ mich an ihnen zweifeln. Es war doch nicht möglich, dass er einfach so verschwand. Was versprach er sich davon? Das machte alles keinen Sinn.

„Marc war dabei gewesen, oder?“, fragte plötzlich Leon und ich sah ihn irritiert an, bevor ich dann zögerlich nickte und das Lächeln auf den Lippen des gutmütigen Riesen wurde eine Spur wärmer. „Dann ist es kein Wunder. Auch er ist Zeuge eines Selbstmords geworden. Wahrscheinlich sucht er nur einen Weg, wie er damit fertig werden kann. Jeder hat seine eigene Methode, mit schwierigen Situationen zurechtzukommen. Der Eine redet darüber mit Leuten, denen er vertraut, so wie du Felix und die Anderen schweigen und versuchen, es mit sich selbst auszumachen. Dabei verkriechen sie sich meist und sperren die Welt aus. Vielleicht zählt Marc zu dieser Sorte Mensch.“

Die Worte von Leon machten durchaus Sinn. Marc sprach nicht gern über seine Probleme. Selbst die Qualen seiner Vergangenheit gab er nur sehr schwer preis, dennoch waren wir ein Paar. Er sollte mir vertrauen, oder nicht?

„Na ja, irgendwann wird er schon wieder auftauchen. Ansonsten gibt es hier draußen noch viele weitere schöne Kerle.“ Alex legte einen Arm um meine Schultern und drehte mich dann zu der vorbeilaufenden Menschenmenge, wobei er auf den einen oder anderen Jungen deutete. „Wie diesen hier oder den da. Du musst dich nicht nur an einen binden. Schließlich bist du noch jung.“

Ich sah Alex irritiert an und legte dann eine Hand auf seine Stirn. Nein, Fieber hatte er definitiv nicht. Also schien er zumindest ansatzweise bei Verstand zu sein, dennoch konnte ich seine Worte nicht glauben. Das entsprach ihm gar nicht.

„Aber ich liebe weder den einen noch den anderen sondern Marc. Irgendwann wird er sich bestimmt bei mir melden. Bis dahin werde ich auf ihn warten. Vielleicht kann er mir dann auch erzählen, was in seinem Kopf vorging, dass er sich, ohne ein Wort zu sagen, einfach verpisst hat.“

Leon lachte auf und wuschelte mir durch die Haare bevor er sich dann vom Brunnen abstieß und auf die Geschäfte zusteuerte. „Das kleine Hündchen kann ja durchaus bissig werden. Wie süß. Aber jetzt kommt endlich. Wir wollten ein wenig shoppen gehen. Filme für den Abend besorgen und Knabbersachen. Oder habt ihr schon Wurzeln geschlagen, sodass ich euch gewaltsam aus der Erde reißen muss?“

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen und wandte mich dann zu ihm um. Alex brauchte ein paar Sekunden länger, um uns zu folgen, doch auch er schloss mit einem leichten Lachen zu uns auf. „Dass du so grob wärst, uns einfach unsere wertvollen Wurzeln auszureißen, hätte ich jetzt nicht gedacht.“

„Scheinbar musst du auch noch das ein oder andere über mich lernen, Alex. Alleine einkaufen macht einfach keinen Spaß und erst Recht kein einsamer Filmeabend. Darum müsst ihr mitkommen, ob ihr nun wollt oder nicht. Ich könnte mir zwar neue Teilnehmer suchen, aber euch hab ich schon so gut erzogen. Das wäre einfach zu viel Aufwand.“

„Oh, wie gnädig, dass du uns bei dir wähnst nur der Faulheit wegen. Da können wir uns ja beruhigen. Ich wusste gar nicht, dass du so träge bist. Sieht man dir gar nicht an.“ Alex stupste Leon frech in die Seite und dieser grummelte dann dunkel.

„Erziehung ist lästig. Das hebe ich mir für meine Kinder auf und muss es definitiv nicht öfters als nötig machen. Bei euch zwei hat es mir schon gereicht und deswegen werde ich nun versuchen so viel Nutzen wie möglich daraus zuziehen.“

„Du hast uns erzogen?“ Alex lachte erneut auf und ich musste ebenfalls lächeln. Die Zwei waren einfach angenehm zusammen. Man merkte, dass sie einander wirklich schätzten. Das war etwas, was ich mit der Zeit richtig zu würdigen lernte.

„Ja, hab ich.“ „Nein, hast du nicht. Ich habe dich erzogen. Vor mir warst du ein kleines Weichei. Schon vergessen?“ „Ist gar nicht wahr! Ich war nur nicht so stark wie jetzt, aber ich habe mich gebessert. Du dagegen bist immer noch so schwach wie damals. Wer ist hier also das Weichei?“ „Ähm… du?“ „Alex!“ Der Genannte begann darauf lautstark zu lachen. Der Blick von Leon war auch gerade mehr als göttlich. Mit so einem Konter hatte er wohl nicht gerechnet.

Auch wenn er gerade ein wenig perplex drein sah, legte sich im nächsten Moment ein Lächeln auf seine Lippen und wir begannen schließlich unsere Einkaufstour. Am Abend wollten wir uns dann bei Leon treffen, weil seine Eltern gerade nicht da waren und wir dadurch in Ruhe ein paar Filme schauen konnten. Die Zwei hatten in den letzten zwei Wochen alles getan, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Meistens schafften sie es auch, doch in solchen Momenten, wo sie nur miteinander beschäftigt waren, kam sein Lächeln zurück. Wie es verschwand und mich beschlich das Gefühl, dass eine eiskalte, nasse Hand an meinem Bein empor glitt.

Robert war tot. In einer Woche würde man ihn beerdigen. Einen leeren Sarg. Lächerlich. Aber die Hinterbliebenen brauchten einen Ort, an dem sie sich ihm nahe fühlen konnten. Das Kreuz am Fluss wurde schon in der ersten Woche aufgestellt. Niemand glaubte daran, dass er noch lebte.

Ich schluckte trocken und starrte auf die Rücken der Beiden, wie sie vor mir durch die Reihen gingen. Sie sahen einander an und ich fühlte mich alleine. Ich wusste nicht einmal woher diese Empfindung kam, doch sie wirkten so perfekt. Ihre Leben wurden nicht getrübt und sie konnten lachen. Einfach nur aus tiefsten Herzen lachen.

Ich stoppte und spürte, wie meine Hände zu zittern begannen, worauf ich sie ineinander krallte. So gut wie es zumindest mit dem Verband ging. Sie waren mittlerweile bei den Filmen angekommen und ich verspürte kurz den Drang zu gehen, als ihre Unterhaltung stoppte und sich Alex zu mir wandte. Er sah mich fragend an, bevor er dann kurz lächelte und mich zu sich winkte. „Felix? Was stehst du da rum? Komm her und schau dich um. Wir haben sogar schon den ein oder anderen gefunden. Lies sie dir mal durch und sag uns, was du davon hältst.“

Ein Stein fiel von meinem Herzen, als auch Leon mir zulächelte und ich bewegte mich ruhig auf sie zu. Ja, vielleicht schienen sie zu zweit perfekt, doch auch wenn ich es gerne vergaß, hatten sie noch einen Platz für mich in ihrer Mitte, den sie mir bereitwillig zur Verfügung stellten. Ihr Lächeln galt auch mir und ihre Augen sahen mich. Ich war keine Last, sondern ihr Freund…

Meine Hand verschwand in der Schüssel mit Popcorn, um im nächsten Moment mit Beute aufzutauchen und diese nach und nach in meinen Mund zu schieben. Wir saßen zu dritt auf der großen L-förmigen Couch. Leon lag auf dem breiteren Teil, dann kam Alex und schließlich ich. Wir hatten uns einen Horror, einen Aktion, eine Komödie und einen historischen Film mitgenommen.

Auf dem kleinen Couchtisch vor uns standen verschiedene Schüsseln mit Popcorn, Chips, Erdnussflips und Erdnüssen, sogar zwei Gläser mit Salzstangen. Um den Tisch herum standen einige Softdrinks. Ja, wir wollten heute einfach nur ungesund leben. Das musste hin und wieder auch mal sein. Einfach nur sein Leben genießen und wissen, dass man nicht alleine war.

Ich rückte mich bequemer hin und konnte nicht verhindern, dass ich mir wünschte, dass Marc nun hier war und ich mich an ihn lehnen konnte, doch er war nicht hier. Bevor ich zu Leon gefahren war, hatte ich noch einmal versucht, bei ihm anzurufen. Mehr als die Mailbox erreichte ich aber auch dieses Mal nicht und ich sprach wie immer eine Nachricht auf sie.

Meine Hand wanderte unbewusst zu dem Handy in meiner Hosentasche. Wie sehr wünschte ich mir, dass es einfach nur vibrierte und ich am anderen Ende die Stimme von Marc hören könnte, doch es blieb stumm. Schon seit Tagen. Außer Leon oder Alex riefen mich an, doch die Beiden saßen hier und plötzlich zuckte Alex neben mir zusammen.

Mein Blick glitt auf den Bildschirm und ich erkannte nur den Mann, der in seinem Arbeitszimmer saß und sich die Aufzeichnungen von verschiedenen Morden ansah. Ich begriff nicht, warum die Zwei zusammengezuckt waren, doch plötzlich war dort ein komisches Gesicht, das sich bewegte, obwohl der Film stand und auch ich spürte, wie sich mein Herz kurz vor Schreck zusammenzog.

Instinktiv griff ich noch einmal nach dem Popcorn, um so die Angst wegzuknuspern. Manchmal half es ganz gut, aber die Atmosphäre in diesem Film verschwand einfach nicht. Sie hing bedrohlich über allen Protagonisten und verteilte sich langsam auch bei uns im Wohnzimmer.

Die Atmosphäre verschärfte sich weiter, als der Junge der Familie immer wieder zum Schlafwandeln anfing und Lärm machte, der auf alles hindeuten konnte, bis man erkannte, dass es nur das Kind war. Der Film fesselte mich mit jeder Minute mehr und ich begann Marc für diesen Zeitraum zu vergessen. Er rutschte ganz weit nach hinten und in meiner Welt existierte nur der Schrecken, der durch die Zimmer huschte und in dem Filmmaterial lauerte.

Selbst als der Film zu Ende war, blieb ein beklemmendes Gefühl auf meiner Seele zurück und obwohl der Abspann lief, sagte erst einmal keiner von uns etwas. Ich spürte deutlich, dass auch Leon und Alex gerade versuchten das Gesehene zu verarbeiten, als schließlich die dunkle Stimme von Leon erklang: „Ach du Heilige! Das war krass!“

„Ja“, stimmte Alex ihm zu und auch ich nickte nur kurz, bevor ich das letzte Popcorn in meinen Mund schob. Ich sah auf die Namen, die über den schwarzen Hintergrund glitten und versuchte zu verstehen was dort gerade passiert war. In solchen Momenten fragte ich mich, ob es so etwas wie Dämonen und Engel wirklich gab oder ob sie nur Hirngespinste von den Leuten aus dem Mittelalter waren. Aber wenn so etwas nicht in irgendeiner Art und Weise existierte, wie kamen die Menschen von damals dann auf diese Ideen. Warum sollten sie sich so etwas ausdenken? Ein Dämon, der die Kinderseelen befiel, die seine Bilder betrachteten.

Ich schüttelte kurz den Kopf und seufzte dann, bevor ich mich in die Kissen der Couch sinken ließ und mein Blick zu meinen Freunden glitt. „Was meint ihr? Wollen wir jetzt die Komödie anschauen? Ich könnte jetzt ein wenig Auflockerung brauchen.“

„Ja, das ist eine gute Idee. Hoffentlich habt ihr euch bei dem Film nicht getäuscht. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, was an einem Film, der sich um das Finden von möglichst vielen Vögelarten dreht, komisch sein soll. Aber gut, ihr habt mich damals überstimmt. Ich mach mal kurz noch Popcorn. Alex, leg derweil den Film mal ein.“ Leon erhob sich und nahm die leere Popcornschüssel an sich, um dann damit zu verschwinden.

Alex seufzte neben mir und stemmte sich in die Höhe, um die DVDs auszutauschen, wobei ich spürte, dass er reden wollte. Es hing einfach in der Luft und ich gab mir einen Ruck. „Schon seltsam auf welche Ideen die Leute kommen, nicht wahr? Ein Dämon, der durch seine Bildnisse die Seelen der Betrachter befällt und sie dann zu schrecklichen Dingen zwingt. So was gibt’s bestimmt nicht.“

„Wenn du es glaubst. Wie heißt es so schön: Jede Geschichte hat einen Funken Wahrheit in sich.“ Die düstere Musik verschwand und kurz danach liefen die ersten Trailer zu anderen Komödien über den Bildschirm, als er schon zu mir zurückkam und sich neben mir niederließ.

„Aber doch nicht so ein Film! Das ist rein fiktiv und darauf ausgelegt uns Angst zu machen!“, begehrte ich auf und sah das traurige Lächeln von Alex. „Ja, vielleicht ist es so. Es muss ja nicht der Dämon sein, der die Wahrheit in diesem Film ist, sondern es kann einfach der Fakt sein, wie stark uns die Kunst in der Seele berührt. Vielleicht auch die Tatsache, dass Faszination zu Besessenheit und zu Wahnsinn führen kann. Kennst du die Cube-Filme?“

„Ähm… ich glaube nicht. Normalerweise schaue ich solche Filme nicht.“ Ich zuckte mit den Schultern und Alex lächelte nur kurz, bevor er sich bequemer hinsetzt. „In ihnen geht es darum, dass einige ausgewählte Menschen in einen Würfel gefangen werden, der aus vielen quadratischen Räumen besteht, die sich immer wieder neu formieren. Manche Räume waren sicher, andere mit Fallen ausgestattet. Der ein oder andere Film könnte durchaus so existieren, weil die Fallen realistisch waren, aber es ging nicht darum, sondern um die Grausamkeit der Menschheit. Wie schnell der Mensch alles tat nur, um selbst zu überleben, aber andererseits in der Gruppe dann solch eine Stärke entwickelt, um sein eigenes Leben für die anderen zu geben. Es ging nicht um ausgeklügelte Fallen und Menschen auf möglichst spektakuläre Weise umzubringen, auch wenn es auf den ersten Moment so wirkt, genauso wie bei den Final Destination Teilen. Sondern einfach, um die menschlichen Zügen und deren Fähigkeiten in einer Gruppe zu existieren. Final Destination zeigt eher die Unausweichlichkeit des Schicksals und wie machtlos der Mensch in Wahrheit ist. Deswegen mag ich diese nicht so sehr.“

 

„Du siehst dir gerne solche Filme an, kann das sein?“ Ich sah ihn schräg von der Seite an und er lachte kurz auf, bevor er wieder mit den Schultern zuckte. „Nicht unbedingt. Leon mag sie und er schleppt mich meistens mit. Hast ihn ja gehört, dass er Filme nicht gerne alleine anschaut. So ist das auch mit Kino. Ich weiß nicht, er ist wahrscheinlich einfach nicht gerne alleine unterwegs.“

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Leon, der immer stark und unbeugsam wirkte, war in Wirklichkeit schwach und unsicher, was seine Position in der Gesellschaft anging. Das passte nicht zusammen, aber es zeigte auch wieder, dass der Mensch aus vielen Facetten bestand, die man erst nach und nach entdecken konnte und wahrscheinlich kannte man seinen Gegenüber niemals wirklich ganz.

Schließlich kam Leon zurück und wir starteten den zweiten Film, der mit jedem Lacher die düsteren Gedanken vom Ersten vertrieb. Es tat gut, glücklich zu sein. Ich fühlte mich wohl und auch Leon lachte hin und wieder. Der Abend war schön und die Filme allesamt interessant. Sowohl der Film über Thor, als auch der historische Film über die Pest, in dem es darum ging, warum ein Dorf verschont blieb. Es war einfach ein angenehmer Abend und seit langem fühlte sich meine Seele mal wieder frei an…