Das Mädchen von Nachtland

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Das Mädchen von Nachtland
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Silke May

Das Mädchen von Nachtland

Fantasy - Roman

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Weitere Romane und Geschichten der Autorin.

Impressum neobooks

Kapitel 1
Prolog

Seit vielen Generationen lebten die Sonnländer in ihrem üppig blühenden Sonnland. Reich an Tiere und Rohstoffe, es war ein reiches Land, mit vielen Großbauern und Händlern. Alles, was dazu notwendig war, fanden sie in der Natur. Eines Tages jedoch gerieten zwei Großfamilien aneinander und verwickelten sich sogar in kriegsähnliche Handlungen.

Der Fürst verbannte beide Familien auf die andere Seite vom schwarzen Fluss, von wo sie nie mehr zurück durften, damit endlich Ruhe einkehrte.

Mit selbst gebauten Flößen überquerten die Streithähne den breiten schwarzen Fluss zum westlichen Ufer, von da an mussten sie zusammenhalten, um der rauen Natur gemeinsam zu trotzen. Das westliche Flussufer bestand aus einem Felsenkamm und einer steppen ähnlichen Landschaft. Nach vielen Jahren hatten sie das karge Land zu einem fruchtbaren Boden bearbeitet und es ging ihnen gut.

Viele Jahre später wurde die Westseite des Flusses durch eine hässliche Laune der Natur verwüstet. Heftige Stürme, und Regengüsse mit tief hängenden schwarzen Wolken, brachen über das Land herein. Der Fluss schwoll an und trat über das Ufer, das ganze Dorf wurde verwüstet. Das reißende Wasser riss Häuser sowie Menschen, die sich nicht schnell genug auf die Felsen retten konnten, mit sich.

Die Überlebenden hatten alles verloren und suchten in den Felswänden nach Höhlen, um sie als Wohnungen auszubauen. Sie meißelten ihre Häuser in die Felsen und führten ab sofort, ein hartes und karges Leben. Nach einigen Tagen ließen der Sturm und der Regen nach, der Himmel wurde klar und die Sterne funkelten am Himmel. Als sie am Morgen des folgenden Tages erwachten, war der schwarze Himmel mit Sternen übersät. Der zu erwartende Vollmond kündigte sich als schmale Sichel an, die in der Mittagszeit als Vollmond über ihnen stand. Auch an den nächsten Tagen blieben der Sternenhimmel und die Dunkelheit. Ein Blick zum gegenüberliegenden Ufer ließ sie erkennen, dass dort der helle Morgen angebrochen war. Von nun an wussten sie, dass sie für immer in Dunkelheit leben würden und der Vollmond ihr Tageslicht war. Mit der Erkenntnis, dass durch das fehlende Tageslicht bald nichts mehr wachsen würde, beschlossen sie, dass sie ans gegenüberliegende Ufer nach Sonnland mussten. Sie mussten über den gefährlichen schwarzen Fluss. Im schwarzen Fluss lebten Allgoren, es waren riesengroße schlangenähnliche Tiere mit vielen kurzen Beinen an ihren Seiten, mit denen sie sich an Land schnell fortbewegen konnten. Sie waren auch für Menschen sehr gefährlich. Ihr giftiger Biss lähmte ihre Opfer, die sie dann bei lebendigem Leib verspeisten.

In den Höhlen und im Tunnel hauste ein zwei Meter langer Morgod, ein Raupen ähnliches Tier, schwarz und stark behaart. Er war für die Menschen ungefährlich. Er spuckte einen widerlich riechenden Schleim, als Waffe, der am Körper lange haftete.

Hingegen die große rote Orax, sie war eine Spinne, die sich hauptsächlich im Tunnel aufhielt. Ihr Biss war sehr giftig, es folgte eine Lähmung am gebissenen Körperteil, die sich über den ganzen Körper ausbreitete und die Betroffenen bekamen hohes Fieber. Daraufhin folgte unweigerlich der Tod.

Kapitel 2

Drei der mutigsten Männer von Sternland bauten ein kleines Floß, es waren die Söhne der Dorfältesten, sie überquerten den Fluss, um Hilfe für ihr Volk zu bekommen.

Mit Schimpf und Schande wurden sie von den Sonnländern verjagt, Hilfe war von ihnen nicht zu erwarten. Gedemütigt verließen sie das Dorf und begaben sich zurück zum Flussufer, zu ihrem Floß.

Dort wurde ein Fischer auf sie aufmerksam.

»Seit ihr von drüben?« Hoffnungslos und niedergeschlagen nickten sie.

»Euch hat es furchtbar erwischt. Ihr habt ja nicht einmal mehr ein Tageslicht, nur noch ewige Nacht. Habt ihr überhaupt noch Lebensmittel?«

»Ja, noch haben wir Vorräte und etwas Obst hängt auch noch auf den verbliebenen Bäumen und Wild gibt es auch, wenn auch nur noch wenig.«

»In einigen Wochen wird es aber kritisch werden. Kein Tageslicht heißt auf Dauer, keine Lebensmittel und ihr werdet verhungern.«

Die drei Brüder schauten traurig zu Boden.

»Ich heiße Raik und bin Bauer und Förster, ich kann euch helfen, allerdings müsst auch ihr mir helfen.«

»Gerne, aber wie können wir dir helfen?«

»Es gibt auf der Rückseite eures Felsenkammes eine Pflanze, aus deren Blätter ich Medizin herstelle. Fürstin Ava leidet an Kinderlosigkeit. Mit diesem Saft erhelle ich ihre Stimmung und hoffe, dass sie leichter darüber hinwegkommt.

Ich bin jetzt schon im betagten Alter und komme mit meinen Füßen nicht mehr gut zurecht. Wenn ihr sie mir einmal wöchentlich bringt, versorge ich euch dafür mit Lebensmittel, Wolle und Stoff.«

»Das wäre schön, aber es ist sehr gefährlich über den Fluss zu fahren, darin befinden sich wilde Kreaturen, wir hatten nur Glück. Wir wissen nicht einmal, ob wir die Rückfahrt überleben?«

Der alte Fischer nickte.

»Nun ja, da könntet ihr recht haben. Aber es gibt einen Weg, der unter dem Fluss auf die andere Seite führt. Er ist aber auch nicht ganz ungefährlich. Den Tunnel hatten bereits meine Vorfahren gegraben und damit unsere Lebensmittelversorgung mit seltenen Früchten bereichert.« Die drei Brüder wurden hellhörig.

»Wo ist der Weg und welche Gefahren lauern dort?«

»Es ist ein Tunnel. In den aber immer etwas Flusswasser sickert und der Weg hindurch ist glitschig. Nachdem es von unserer Seite her abwärts und von eurer Seite her aufwärts geht, besteht die Gefahr, dass ihr stürzen könntet.

Ihr müsst vorsichtig gehen und vor allem nie einer allein! Hin und wieder geraten auch wilde Tiere wie Schlangen und Echsen hinein, welche für euch unangenehme Folgen haben könnten, also passt gut auf euch auf. Vor allem müsst ihr über die Anwesenheit des Tunnels Stillschweigen bewahren. Niemand darf jemals davon erfahren, wir würden Gefahr laufen, dass die Versorgung erlischt!« Die drei Brüder nickten.

»Du kannst dich auf uns verlassen.«

»Gut, folgt mir, ich zeige euch den Weg. Ich richte für euch die Lebensmittel her und ihr holt sie von heute an, an jedem 5. Tag bei mir ab. Ihr müsst kommen, wenn bei uns tiefe Nacht ist und alle schlafen. Ihr hattet Glück, dass ich zu dieser Zeit am Fluss war, normalerweise würde ich wie alle Anderen auch schlafen. Jedoch ist mein Fischernetz kaputtgegangen und ich musste es flicken, deshalb konnte ich es heute erst so spät in den Fluss werfen.

Wenn ihr jetzt schon etwas braucht, ein bisschen kann ich euch abgeben.«

»Das wäre schön, denn es wird bereits alles knapp.«

Der Bauer führte sie in die große Scheune, er hielt einem der Brüder einen großen Jutesack hin, bedient euch, ihr könnt von allem etwas nehmen. Den Brüdern leuchteten die Augen, als sie die großen Holzkisten mit Lebensmittel sahen. Von Kartoffeln, Gemüse bis Obst steckten sie alles in den Sack und sie waren dem Bauer sehr dankbar dafür.

Die drei jungen Männer füllten den Sack voll Lebensmittel und dankten Raik dafür.

»Wir würden dir gerne etwas geben, aber wir haben nichts.«

 

»Lasst es gut sein, bringt mir einfach beim nächsten Mal diese Blätter mit. Schaut, so sehen sie aus.«

Er hielt ihnen Blätter entgegen und reichte ihnen einen großen Leinenbeutel. Diese Pflanze wächst hinter eurem Bergkamm in der Steppe. Sie ist etwa fünf Fuß hoch und ihre Blüte erinnert an eine Kerze.

»Füllt mir immer diesen Beutel damit. Wenn ihr mir jedes Mal einen vollen Beutel mitbringt, dann ist das genug. Beim nächsten Mal kann ich euch auch Fleisch mitgeben, ich schlachte ein Schwein. Euer Wild könnt ihr dann etwas aufsparen. Ich kann euch auch immer von meinen geschossenen Wildtieren etwas abgeben. Das nächste Mal könnt ihr drei Säcke mit Lebensmittel bekommen, ihr müsst mir nur die leeren Säcke wieder mitbringen.«

»Das machen wir. Raik entschuldige, wer hilft uns, wenn du einmal nicht mehr unter den Lebenden weilst?« Raik klopfte dem jungen Mann auf die Schulter, »keine Angst, ich habe drei Söhne, sie alle kennen den Tunnel und ich werde sie noch heute, über euch und unsere Abmachung in Kenntnis setzen. Sie stehen mir beim Jagen zur Seite und sind Bauern wie ich. Es wird eine Abmachung über Generationen sein, vorausgesetzt sie bleibt geheim und es weiß nur ein kleiner Kreis davon.«

»Vielen Dank für alles, Raik du kannst dich auf uns verlassen.«

Raik schob einen Heuballen zur Seite und öffnete eine Bodenluke, unter der eine Holztreppe in die Tiefe führte.

»In fünf Tagen wird sie für euch geöffnet sein, ihr braucht sie nur anzuheben. Wir sind nicht immer daheim, aber es befindet sich alles hier in der Scheune und ihr könnt euch daran bedienen. Der Tunnel führt direkt hinter euren Felsenkamm und sein Ausgang befindet sich in einer Höhle.«

Raik reichte jeden von ihnen eine brennende Kerze und Zündhölzer.

»Die braucht ihr, legt sie euch nach Gebrauch immer am Tunnelende bereit. Auch die Kerzen und das Feuer lege ich hier für euch hin, wenn ihr Nachschub benötigt.«

»Vielen Raik, wir stehen auf ewig in deiner Schuld. Vielleicht können wir dir in der Zukunft, alles in irgendeiner Weise wieder zurückgeben.«

»Ich helfe gerne und jetzt geht, ich brauche noch etwas Schlaf, wir müssen heute noch auf unsere Felder. Passt auf euch auf!«

Die jungen Männer stiegen die Stufen in die Tiefe hinunter und gingen mit einem Sack voll Lebensmittel durch den Tunnel. Als sie am Ende des Tunnels ankamen, hatten sie einen Fußweg von fast einer Stunde hinter sich.

Von jetzt an hatten sie einen regelmäßigen Kontakt mit Raik und seinen Söhnen.

Kapitel 3

Zwei Jahre später erwartete Fürst Abner's Frau Ava in Sonnland, ihr erstes Kind.

Abner's Wunsch nach einem männlichen Nachfolger für sein Land, konnte sie ihm jedoch nicht erfüllen. Ava bekam ein Mädchen, Abner's heimliche Geliebte Leda, gebar jedoch am selben Tag seinen Sohn.

Das erstgeborene Kind war in der Regel sein Nachfolger und er wollte sein Reich, keinesfalls einem schwachen Mädchen überlassen, sondern einem kräftigen Sohn.

Kurz entschlossen entschied er, dass das Mädchen von Raik dem Förster und zugleich Großbauer, getötet werden sollte.

Leda's Sohn hingegen musste seine Frau als ihr Kind akzeptieren und an ihrer Brust stillen.

Damit die Geheimhaltung sicher war, tötete Abner persönlich, seine Geliebte Leda.

Raik nahm das Kind entgegen, brachte den Säugling allerdings im Tunnel unter dem Fluss zur andern Flussseite und stellte den Korb, indem der Säugling lag, am Ufer ab.

»Keine Angst kleines Mädchen, bald wirst du gefunden werden und sicherlich wird man hier mehr Herz für dich haben, als dein Vater, der Fürst.« Er strich dem Säugling sanft über den Kopf, befeuchtete den Korb etwas an, so als würde er angespült worden sein und ging zurück zum Tunnel.

Raik wusste, dass dort das Kind schnell gefunden würde. Schließlich würden morgens die Fischer zum Fluss kommen und jetzt war Morgen. Er warf einen letzten Blick zum Kind zurück und in die Richtung, von wo die Fischer kämen. Zufrieden stellte er fest, dass bereits zwei Männer den Bergweg verlassen hatten und zum Ufer gingen.

Raik beeilte sich schnell in die Höhle zu kommen, um ungesehen den Rückweg im Tunnel anzutreten.

Jahre später: Es war wie immer, ein klarer Vollmondtag. Schwarz war der Himmel und die Sterne am Himmel breiteten sich wie eine Decke über dem Fluss und dem Sternland aus. Der Helligkeit spendende Vollmond war bereits nur noch als schmale Sichel zu sehen, es wurde Abend und sein Volk begab sich langsam zur Ruhe.

Nachts wurde es kalt, nur die Sterne waren am Himmel zu sehen. Der nächtliche Wind brachte die Kälte mit einer dichten Nebelsuppe über dem Fluss und trieb die Steppenhexen vor sich her.

Steppenhexen waren ausgetrocknete grasähnliche Pflanzen, welche der Wind bereits zu großen Kugeln geformt hatte und mit ihnen sein tägliches Spiel machte.

Auf Sternland gab es keine Vegetation mehr, nur verdorrte knorrige Bäume. Alle Bewohner hatten eine blasse Hautfarbe, ihnen fehlte das Licht der Sonne. Sie hatten graue Haare und waren mit dunkler Kleidung bekleidet, bis ein paar wenige, die weiße Kleidung trugen, das waren die Dorfältesten.

Die Sternländer waren ein fleißiges und stilles Volk. Sie wohnten hoch oben in den Felsen, dort waren sie auch vor den Kreaturen des Wassers geschützt, welche nachts mit dem Nebel ans Ufer kamen und erst im Morgengrauen mit dem Nebel wieder verschwanden, wenn am Ostufer des Flusses in Sonnland, die Abenddämmerung begann.

Das Sonnland auf der gegenüberliegenden Seite am Ostufer vom Fluss war hingegen ein Pflanzenreiches Land. Ihr Himmel am Tag strahlte in einer herrlichen blauen Farbe und die Sonne erwärmte tagsüber das Land. So bunt wie das Land, so bunt war auch ihr Volk. Ihre Körper waren von der Sonne gebräunt und ihre Haare glänzten in goldenem Glanz. So bunt wie sie selbst waren auch ihre Kleider und ihre Häuser. Sie waren ein lautes und lustiges Volk, nicht so still wie das Sternvolk.

Brach im Osten der Tag an, wurde im Westen Nacht, der Licht spendende Mond verschwand langsam und die Sterne regierten. Wurde es im Osten Nacht, ging der Mond als zunehmende Sichel im Westen auf und der Tag brach an. Diese Gehzeiten wiederholten sich bereits seit vielen Jahren. Die Sonnländer dachten nicht einmal mehr an die Existenz der Sternländer. Im Gegenzug, dachten die Sternländer aber sehr wohl an sie, denn Kasota, wie sie den damals ausgesetzten Säugling nannten, den Onur und zwei weitere Fischer gefunden hatten, war der lebende Beweis der Sonnländer.

Das Mädchen Kasota war ein ganz besonderes Mädchen. Sie war lebhaft und wissbegierig, außerdem unterschied sie sich im Aussehen von den Anderen. Inzwischen zu einer hübschen jungen Frau mit blonden langen Haaren geworden, stand sie auf einem kurzen Steg, der in den Fluss hinein führte. Jeden Tag stand sie dort und sah hinüber ans weit entfernte Ufer, mit den schemenhaften Bergen, wo der Tag anbrach, während über ihr und dem Fluss, der schwarze Sternenhimmel lag.

Voller Sehnsucht sah sie hinüber. Einmal wollte sie auch einen hellen Tag erleben, mit blauem Himmel und einer Sicht bis in die Unendlichkeit. Erst als gleißendes Licht auf der anderen Seite des Ufers und der damit verbundenen Wärme, sich dichte Nebelschwaden auf dem Fluss bildeten und die Sicht trübte, ging sie heim.

Sie ging erhobenen Hauptes den steinigen Weg aufwärts.

Kasota erreichte die Häuser, welche tief in die Felsen gebaut waren. Das Haus ihrer Eltern lag hoch über den anderen in Fels gemeißelten Häusern. Ihr Vater Onur und ihre Mutter Yepa warteten bereits vor ihrem Haus auf einem Felsvorsprung auf ihre Tochter.

»Kasota, wo bleibst du denn?«, rief ihre Mutter ihr entgegen.

»Ich bin doch schon da!«

»Wo treibst du dich denn den ganzen Tag herum?«, fragte Yepa. Onur sah zu seiner Tochter, die den Berg hochkam.

»Woher wird sie schon kommen, vom Flussufer oder?«

»Meine Güte, irgendwann wird noch ein Unglück geschehen. Kind, ich möchte nicht, dass du dich andauernd am Ufer herumtreibst.«

»Was soll denn schon passieren, Mutter? Ich gehe doch nicht in den Fluss hinein, sondern war nur auf dem Steg.«

»Kasota, du weißt, dass du nicht bis zum Aufsteigen des Nebels am Fluss bleiben sollst. Der Nebel könnte Gefahren mit sich bringen, denk an die Flussungeheuer, welche im dichten Nebel nicht zu sehen sind.«

»Ja Vater, aber es ist so schön, wenn am anderen Ufer der Tag anbricht. Warum können wir nicht hinüber?«

»Kasota, wie oft soll ich dir noch sagen, dass es keine Möglichkeit gibt und außerdem, sind wir für sie ein fremdes Volk und wahrscheinlich auch nicht willkommen. Vielleicht würden sie uns sogar angreifen. Jetzt komm herein, damit wir Essen und uns anschließend zur Ruhe begeben können.«

Ihre Tochter wusste seit ein paar Jahren, dass sie in Sonnland geboren wurde. Nachdem sie ihren Vater gefragt hatte, warum nur sie blondes Haar hatte. Wenn der Mond in voller Blüte stand, glänzte ihr Haar wie Gold. Ihr Vater wusste, dass es jetzt an der Zeit war, seine Tochter aufzuklären. Seither wusste Kasota, dass in Sonnland auch Menschen lebten. Der Drang einmal dorthin zu kommen, wuchs immer mehr.

Kasota lag auf ihrem Strohlager, zugedeckt mit einer Wolldecke aus Schafwolle und sah zu der Kerze, welche neben ihr auf einem Steinteller auf dem felsigen Boden stand.

»Morgen werde ich zu Dorian gehen und mit ihm reden, vielleicht weiß er einen Ausweg«, murmelte sie vor sich hin und löschte das Licht.

Dorian war der Sohn von Can einem der Dorfältesten und nur etwas älter als sie selbst. Dorian war ihr Freund, die anderen vier Jugendlichen waren bereits um einige Jahre älter und hatten andere Interessen als sie.

Ansonsten gab es nur noch vier Kleinkinder, zum Teil lagen sie noch in den aus Holz gezimmerten Wiegen, in der schon viele Generationen lagen. In Sternland durften nur bis zu zehn Kinder und Jugendliche leben. Wenn die Jugendlichen zu jungen Erwachsenen herangewachsen waren und in der Lage, das Volk mit ihrer Arbeit zu unterstützen, durften wieder Kinder gezeugt werden. Es herrschten strenge Richtlinien, welche auch strikt eingehalten wurden, schließlich hing davon die Chance jeden Einzelnen zum Überleben ab. In Gedanken an Sonnland und an Dorian schlief sie ein.

Kapitel 4

Bereits in den frühen Morgenstunden wurde Kasota wach. Aus dem Nebenraum hörte sie schon ihre Mutter arbeiten und das Knistern des Feuers, das jeden Morgen als Erstes entfacht wurde. Kasota sah auf das Strohlager ihrer Eltern, ihr Vater war auch schon aufgestanden. Sicherlich war er mit drei anderen Fischern schon am Fluss um Fische zu fangen. Der Duft von Kräutertee zog zu ihr ins Schlaflager. Gleich würde ihre Mutter nach ihr rufen.

»Kasota, mein Kind aufstehen, der Tag bricht gleich an!«

»Ja Mutter, ich komme gleich!«

»Ist gut Kind, vergiss dich aber nicht zu waschen!« Kasota verdrehte die Augen. »Natürlich nicht, ich wasche mich immer!«

»Das ist gut. Dann ist wenigstens etwas von unserer Erziehung hängen geblieben«, sagte Yepa und schmunzelte dabei.

Kasota ging im Nachthemd zum Küchendurchgang. Sie stemmte ihre Arme in die Seiten und sah zu ihrer Mutter.

»Was willst du damit sagen?«

»Dass du zu einer sehr eigenständigen jungen Frau geworden bist, die sich nicht immer an das hält, was man ihr sagt.«

»Das stimmt überhaupt nicht!«, prustete sich Kasota auf.

»Oh, doch meine Tochter. Zum Beispiel habe ich dir immer wieder gesagt, dass du nicht allein zum Flussufer gehen sollst?«

»Ja, das stimmt, aber  «

»Halte jetzt keine Rede, denn ich könnte dir einiges darüber erzählen. Mach dich jetzt fertig, damit wir mit dem Frühstück fertig werden. Ich muss mit der Zubereitung des Mittagessens, für die Dorfältesten beginnen.«

Kasota verschwand hinter einer schmalen Holztür, welche vom Wohnraum in den Schlafraum führte.

Ihre Mutter deckte inzwischen den massiven Holztisch, um den sechs ebenso massive Holzstühle standen. Alles im Haus stammte aus Familien von Generationen vor ihnen. So wie es im ganzen Dorf üblich war und jede Generation es hegte und pflegte.

Yepa und ihre Tochter Kasota ließen sich das Frühstück munden, es gab frisches Fladenbrot und Kräutertee.

»Was wirst du heute machen, mein Kind?« Kasota zuckte mit den Schultern.

 

»Ich werde zu Dorian gehen.«

»Dorian hat deinen Vater abgeholt, sie sind beide zum Fischen gegangen. Du wirst mir beim Zubereiten der Speisen zur Hand gehen müssen. Nachdem ich heute für die Dorfältesten kochen muss, könntest du inzwischen unser Mittagsmahl zubereiten.«

»Ich kann nicht kochen.«

»Dann wirst du es lernen und du fängst heute damit an. Schließlich wirst du irgendwann Dorian ehelichen und ein Kind bekommen. Dann musst du für deinen Mann, seinen Vater und später auch für dein Kind kochen können.«

»Das liegt noch in weiter Ferne, jetzt habe ich noch keine Lust Dorian zu ehelichen und für ihn und Can den Haushalt zu führen.«

»Das mag schon sein, doch Übung und Fingerspitzengefühl, für manche Dinge im Haushalt, kommen nicht über Nacht. Kasota, heute wirst du damit anfangen.«

Ihre Mutter legte ihr die vorbereiteten Lebensmittel auf den Tisch und forderte sie mit einem Nicken dazu auf, endlich anzufangen.

Kasota betrachtete die Kartoffeln und das Gemüse.

»Wo kommt das her?«

»Das hat dein Vater gebracht.«

»Das weiß ich auch, aber woher hat es Vater?«

Yepa sah ihre Tochter an. »Das mein liebes Kind, geht uns Frauen nichts an. Es ist da und wir sind unseren Männern dafür dankbar.«

Vorwurfsvoll sah Kasota ihre Mutter an. »Hast du Vater nie danach gefragt? Ihre Mutter schüttelte den Kopf.

»Weiß es Dorian auch?« Ihre Mutter zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß es nicht. Ich denke aber, falls er es weiß, wird er es niemanden sagen. Das bleibt Männergeheimnis.«

»Das bekomme ich schon heraus«, gab Kasota trotzig von sich.

»Das wirst du schön bleiben lassen, sonst bringst du Dorian womöglich noch in Schwierigkeiten und jetzt fang endlich damit an, die Kartoffeln dünn zu schälen.«

Kasota wusste, dass das letzte Wort darüber noch lange nicht gesprochen wurde. Sie war sich sicher, sollte Dorian darüber Bescheid wissen, würde sie es schon herausbekommen.

Fleißig schälte sie die Kartoffeln und putzte das Gemüse, sie schnippelte alles klein her und gab es in den großen Topf. Sie füllte den Topf mit Wasser und gab Salz und frische Kräuter dazu. Sie setzte den Deckel darauf und stellte ihn über die Herdflamme.

»Fertig, kann ich jetzt gehen?«

»Ja, ich danke dir, es kocht jetzt von alleine, du kannst jetzt gehen. Wohin willst du?«

»Keine Ahnung, ich gehe einfach einmal darauf los. Vielleicht schaue ich zum Fluss und beobachte die Fischer.«

»Mach das, aber pass auf dich auf und gehe denn Männern nicht im Weg um.«

»Mach ich, außerdem gehe ich nicht ins Wasser, sondern schaue vom Ufer aus zu.«

Kasota verließ das Haus und blieb auf dem Felsvorsprung stehen. Sie sah in die Weite und zum Fluss hinunter. In der Ferne am Ostufer war es inzwischen genauso dunkel wie bei ihnen. Sie sah zum Himmel hoch, der Mond war bereits zur Hälfte sichtbar und erhellte schemenhaft die Umgebung. Bald würde es Mittag sein und der Mond würde das Land erhellen und ihr Haar goldgelb glänzen lassen. Langsam setzte sie sich in Bewegung und ging bergabwärts zu den Fischern am Fluss.

Dorian zog gerade ein Netz aus dem Wasser und holte die Fische heraus und warf sie in einen Holztrog, der mit Wasser gefüllt war. Die Fische zappelten darin und streckten ihre Köpfe aus dem Wasser, so als wollten sie herausspringen. Kasota stellte sich neben den Trog und sah hinein.

»Dorian, hast du die alle allein gefangen?« Dorian lachte.

»Natürlich nicht, denkst du, dass sie sich mir anbieten?« Kasota zuckte mit den Schultern. »Es hätte ja sein können, dass du schon so fleißig warst. Wann bist du fertig?«

»Kasota, wenn du still wärst, könnte es schneller gehen, also lass Dorian in Ruhe, sonst stehen wir in ein paar Stunden noch da«, gab ihr Vater mürrisch von sich.

Bockig verließ sie das Ufer und ging zurück zum Bergkamm. Von Langeweile getrieben spazierte sie den Bergkamm entlang. Immer wieder hielt sie inne und sah zur anderen Uferseite. Kasota merkte nicht, dass sie bereits das Ende vom Bergkamm erreicht hatte. Eine Schlucht trennte den Felsenkamm von dem nächsten Berg, der noch schroffer war als der Felsen, auf dem sie ihr Zuhause gefunden hatten. Verdorrte Büsche säumten den Weg der Schlucht. Neugierig schlug sie den Weg zur Schlucht ein. Mit Mühe bahnte sie sich einen Weg durch das Gestrüpp, die kahlen Zweige schob sie mit den Händen zur Seite und zog sich mit den verdorrten Zweigen, Kratzer an den Händen zu.

»Was machst du hier?«, polterte die dunkle Stimme ihres Vaters.

»Ich, ich wollte nur sehen, wohin es hier geht«, antwortete Kasota erschrocken.

»Hab ich dir nicht beigebracht, dass du dich nicht so weit von unserem Wohngebiet entfernen sollst?«

»Doch, aber ich war ganz in Gedanken versunken.« Onur sah seine Tochter schief von der Seite an.

»Du warst also so in Gedanken, dass du das trockene Geäst, das auf deiner Haut Kratzer hinterließ, nicht spürtest? Kasota, das glaubst du doch selbst nicht, oder?« Onur packte Kasota fest am Arm und zog sie mit sich fort.

»Zur Strafe wirst du heute den ganzen Tag den Berg nicht verlassen und deiner Mutter zur Hand gehen.«

Schweigend ging sie neben Onur her. Als sie den Weg der zu ihren Häusern hinaufführte erreicht hatten, kam ihnen Dorian entgegen. Schwer bepackt mit Körben voll toter Fische, sah er sie an.

»Gib mir einen Korb ab, dann hast du nicht so schwer zu tragen«, sprach ihn Onur an.

»Danke Onur«, antwortete dieser und reichte ihm den etwas leichteren Korb. »Darf man fragen, woher ihr kommt?«, dabei warf er einen Blick auf Kasota's zerkratzten Armen. Onur machte eine abfällige Handbewegung.

»Meine Tochter hat gegen unsere Regeln verstoßen, indem sie im Begriff war, auf die andere Seite des Berges zu kommen.« Vorwurfsvoll sah Dorian sie an.

»Kasota, das ist gefährlich, wieso machst du so etwas?«, gab Dorian entrüstet von sich. Kasota warf ihm einen stechenden Blick zu, während sie sich mit ihrem Gesicht seinem näherte.

»Dorian, das geht dich überhaupt nichts an, wir sind nicht vermählt«, raunte sie ihm grimmig zu.

»Nein, das stimmt. Vergiss aber nicht Kasota, dass es am zwanzigsten Vollmondtag so weit ist und wir vom ältesten Rat getraut werden.« Kasota zuckte mit den Schultern.

»Pah, da kommen aber noch neunzehn Vollmondtage dazwischen, wo noch viel passieren kann.«

»Pst, Kasota sei still, solche Worte möchte ich aus deinem Mund nicht mehr hören«, rügte sie ihr Vater.

Bei den Felsenhäusern angekommen, verschwand sie ins Innere und verbrachte den restlichen Tag damit ihrer Mutter zu helfen.

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