Loe raamatut: «Warrior & Peace», lehekülg 5

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»Madox! Nicht hinsehen!«, fauchte ich, doch der idiotische Junge lachte nur verschmitzt und kam mit geschlossenen Augen auf mich zugewankt.

»Kein Grund zur Panik, Warrior, Schatz. Man kann dich zehn Kilometer gegen den Wind riechen. Gibt es einen besonderen Grund, warum du nach Fäkalien und Müll stinkst? Habe ich den internationalen Stinktiertag verpasst? Wenn ja, rolle ich mich schnell im Biomüll.«

Mein Gesicht lief puterrot an, als ich an mir herabsah. Oh, verdammt! Ich hatte immer noch den Schlamm von Ebene 144 auf mir kleben. »Bei den Göttern, ist das peinlich«, winselte ich, was Madox nur noch lauter lachen ließ. Finster starrte ich ihn an, freute mich jedoch gleichzeitig, ihn zu sehen. Mein Halbbruder war ein groß gewachsener junger Mann. Anders als meine anderen Brüder bestand dieser aber nicht nur aus Muskeln und sadistischen Gesichtszügen. Zwar hatte auch er beides geerbt – und das manchmal nicht zu knapp –, sein Gesamtbild und seine Persönlichkeit waren im Allgemeinen allerdings etwas geschmeidiger. Ähnlich einer verspielten Raubkatze. Dichtes dunkles Haar stand in alle Richtungen ab und seine Haut leuchtete in einem warmen Hellbraun, während seine Flügel die Farbe von Schokolade hatten. Wie immer schien er sein Hemd verlegt zu haben und stakste mit nicht mehr als einer zerfetzten Jeans durch die Gegend. Daher war auch die um seinen Bauchnabel tätowierte Sonne zu sehen. Wenn man ihn nach der Bedeutung der Tätowierung frage, tischte er einem – meistens den Frauen – eine rührselige Geschichte über die Reinheit der Seele und Ehrerbietung der Götter auf. In Wirklichkeit war er einfach stockbesoffen gewesen und hatte Glück gehabt, nicht auf das Bild eines Schmetterlings, gleich neben der Sonne, gezeigt zu haben. Ich war auch die Einzige, die wusste, dass er während der gesamten zwei Stunden wie ein kleines Mädchen geflennt und sich dabei auch noch versehentlich selbst angekotzt hatte. Man konnte wohl behaupten, dass Madox und ich seit jeher beste Freunde waren. Mit nur knapp zwei Jahren Altersunterschied waren wir die Jüngsten im Hause Hades. Etwa ein bis dreißig Jahre trennten uns von den restlichen fünf Söhnen des Hades, die – insbesondere früher – allesamt stärker waren und einen Hang zu wahnhaftem Narzissmus besaßen. Infolgedessen hatte uns das Leben zusammengeschweißt.

»Kannst du bitte aufhören zu schnüffeln! Ich hatte keine andere Wahl!«, motzte ich Madox an und versuchte, ihm gegen das Schienbein zu treten. Trotz geschlossener Augen wich er meinem PseudoNinja-Angriff geschickt aus.

»Welche Wahl? Zwischen Hund oder Müllkippe?«, wieherte er und wischte sich die Lachtränen über seinen eigenen Witz aus dem Gesicht. Hahaha. Dieser Witzbold.

»Halt einfach die Klappe! Ich muss mich umziehen, bevor mich noch jemand sieht«, fuhr ich ihn mürrisch an, musste mir das Lachen aber ebenfalls verkneifen.

»Du bist aber nicht nackt, oder?«, fragte Madox interessiert.

Prompt knallte ich ihm das Kissen gegen den Kopf. »Nein! Spinnst du? Nur mein Gesicht ist frei«, erwiderte ich und hechtete zur großen Treppe, die nach oben in den zweiten Stock führte.

Madox folgte mir gut gelaunt. Die Augen hielt er dabei immer noch artig geschlossen. »Nur dein Gesicht? Was soll dann der Aufstand? Vater erzählte etwas über deine Klamotten, die vollkommen zerfetzt worden wären.« Seine sorglosen Worte ließen mich abrupt stehen bleiben. Madox rannte ungebremst in mich hinein. »Uff, was zum … Warrior?«

»Er … ein … ein Höllenhund musste heute wegen meinem Gesicht sterben.« Ich klang verdächtig tonlos.

Madox versteifte sich. Tastend hob er eine Hand und strich mir unendlich liebevoll über die Wange. »Das tut mir leid, Warrior. Vater hatte gerade erst zu erzählen angefangen. Ich bin gleich losgerannt, um dich zu suchen, und habe die Geschichte nicht zu Ende angehört. Wenn du willst, hau mir eine rein! Komm schon. Ich bin ein Arschloch. Ich hab es nicht anders verdient.« Ohne es zu wollen, musste ich kichern, als mir Madox mit verzerrter Märtyrer-Miene sein Gesicht entgegenstreckte und nach meinen Händen angelte. »Komm! Heb deine kleinen Fäustchen und schlag zu.«

»Blödmann!« Lachend wuschelte ich ihm durch das ohnehin schon zerzauste Haar und drückte ihm einen kleinen Kuss auf die Nasenspitze.

Madox schenkte mir ein spitzbübisches Grinsen, bei dem es verräterisch silbern aufblitzte.

»Was? Mad… hast du dir die Zunge piercen lassen? Reichen die Ohren und Augenbrauen nicht? Willst du aussehen wie ein Nadel­kissen?«, fragte ich irritiert, während wir ein weiteres Stockwerk nach oben wankten. Es war ein Wunder, dass er dabei nicht auf die Schnauze fiel. Vorsichtshalber pikte ich ihm mit dem Zeigefinger in den Rücken und lotste ihn über alle Hindernisse hinweg. Der marmorne Boden war hier oben gemütlich beheizt und alte weinrote Liegesofas aus altrömischer Zeit drängten sich in staubigen Nischen. Uralte Büsten und Gemälde von Göttern und anderen Sagengestalten hingen an den Wänden, zusammen mit kunstvollen Blumenarrangements, die in all dem alten Müll ein wenig deplatziert und zu frisch wirkten.

»Freesien?«, fragte ich Madox ein wenig gequält, als wir an einem Blumenstrauß vorbeigingen, der im Helm einer Ritterrüstung steckte.

Madox verzog mitleidig das Gesicht. »Mutter ist hier, tut mir leid, Prinzessin!«

Ich stöhnte. Heute war wirklich nicht mein Tag. »Also? Was ist das jetzt mit dem Metall in deiner Zunge?« Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich, einen weiteren Blick auf das Ding in seinem Mund zu erhaschen. Aha! Da! Eindeutig. Madox’ breites Grinsen zeigte einen gebogenen Ring mit roten Glitzersteinchen.

»Ach, dieser Stecker? War eine Wette mit Bright. Du musst nichts sagen, ich weiß, wie bescheuert das ist, glaub mir, ich wurde bereits ordentlich dafür verprügelt.«

In schmerzlicher Erinnerung rieb er sich das störrische Kinn, dabei linste er zu mir hinüber. Seine grünen Augen wurden eine Spur dunkler. Als ich ihm einen warnenden Klaps gab, seufzte er genervt, schloss jedoch wieder artig die Augen. Ein kurzer Blick würde ihn nicht umbringen. Vermutlich. Aber sicher war sicher.

»Ich dachte, Vater reißt mir das Ding mitsamt Zunge heraus.« Mitleidig verzog ich das Gesicht und nahm seine Hand in meine. Unsere Finger verflochten sich langsam ineinander, wie sie es seit Kindertagen taten.

»Was sagt Persephone dazu?«

»Soll das ein Witz sein? Mum war diejenige, die mich dafür verprügelt hat!«

»Autsch!« So ganz konnte ich mir bei dem Gedanken das Lächeln nicht verkneifen. Dennoch litt ich mit ihm. Persephone war Madox’ und Brights Mutter und Hades’ Frau seit … na ja, seit Urzeiten eben. Meine restlichen Brüder hatten jeweils andere Mütter – allesamt unbekannter Identität. Götter hatten es nicht unbedingt so mit dem Konzept der Treue. Zumindest, wenn man den Fluten an Frauen nachging, die hier regelmäßig aus dem Schlafzimmer meines Vaters wankten. Oder den Männern und Frauen aus Persephones. Als geborene Olympierin war es ihr allerdings auch nur wenige Monate im Jahr erlaubt, in der Hölle bei ihren Söhnen zu leben. Als Tochter der Demeter war Persephone, wie ihre Mutter zuvor, die Göttin der Fruchtbarkeit und des Frühlings. Der Grund, warum sie ausgerechnet Hades, den so ziemlich unblumigsten Typen, den ich kannte, hatte heiraten müssen, war mir bis heute unverständlich. Die beiden schienen sich nicht einmal wirklich zu mögen. Trotzdem behauptete Hades steif und fest, dass er Persephone ab dem ersten Augenblick ihrer Erschaffung hatte besitzen müssen. Als er jedoch bei meinem Onkel Zeus um Erlaubnis der Heirat bat, hatte dieser weder die Eier, dem zuzustimmen, noch hatte er den Mut, diese Bitte abzulehnen. Hades fasste das natürlich prompt als Zustimmung auf und nahm sie mit in die Unterwelt. Ihre Mutter Demeter war daraufhin so wütend, dass sie sämtliche Pflanzen eingehen ließ, sodass die Menschen elendig verhungerten. Schließlich musste Hades Persephone wieder aus der Unterwelt entlassen. Doch da diese bereits mit Hades verheiratet war – und hochschwanger noch dazu –, stimmte Demeter zu, Persephone vier Monate im Jahr in die Unterwelt zu lassen. Allerdings verweigerte die Göttin es bis heute, in dieser Zeit etwas wachsen zu lassen, sodass die Menschen wegen der verklemmten alten Schachtel den Winter ertragen mussten.

Diese Geschichten und weitere hatte ich mir als Kind zusammen mit Madox zuhauf anhören müssen. Ob diese nun wirklich stimmten oder mein Vater Persephone einfach nur in einer Bar abgeschleppt hatte, würde wohl ewig ein Geheimnis bleiben. Die Götter liebten es, sich mit ihren alten Geschichten und Heldentaten zu rühmen. Da war Persephone keine Ausnahme, die in etwa den charmanten Charakter eines Drachens geerbt hatte, was man insbesondere an ihrem fiesen rechten Haken zu spüren bekam. Ihre Ohrfeigen waren auch nicht von schlechten Eltern. Ich zumindest versuchte, in den vier Monaten ihres Besuches so wenig Zeit wie möglich in der Unterwelt zu verbringen.

»Ich freu mich schon darauf, sie wiederzusehen«, brummte ich leise und stand endlich vor der Tür meines Zimmers. Da ich nur sehr unregelmäßig Zeit in der Unterwelt verbrachte, war es wesentlich kleiner als die Gemächer meiner Brüder. Dennoch konnte ich getrost auf eine eigene Waffenkammer und einen Sportraum verzichten. Dafür hatte Hades das Bedürfnis, mich mit Unmengen an Kleidern überhäufen zu müssen, die ich niemals würde anziehen können. Die große rosarot gestrichene Tür, auf die Madox und ich kitschige Regenbogen-Einhörner gemalt hatten, erkannte mich sofort und schwang mit einem einladenden Quietschen auf.

»Setz dich!«, wies ich Madox an und zog ihn in Richtung Bett. »Ich zieh mir nur schnell was anderes an.«

Sofort ließ sich Madox auf das blaue Himmelbett plumpsen, dabei flatterten ein paar seiner Federn in alle Richtungen.

»Alles klar! Sag mal, möchtest du über heute reden?«, fragte er mich und wühlte sich wie ein großer Hundewelpe durch meine Kissen. Na toll! Morgen würde ich mit Sicherheit ein paar Dutzend ausgefallene Federn aus meinen Haaren fischen dürfen.

»Sicher«, antwortete ich seufzend und begann damit, ihm die schreckliche Auseinandersetzung mit Gladis von heute Nachmittag zu erzählen. Währenddessen angelte ich mir eine schwarze Jeans und einen passenden roten Kapuzenpulli aus dem Kleiderschrank. Meine verdreckten Stiefel kickte ich achtlos von den Füßen und warf die durchweichten Socken in den Müll. Sie stanken entsetzlich nach Jauche.

»Und dann kam dieser Vampir«, erzählte ich auf dem Weg ins Badezimmer. »Der Idiot hat meine Fährte aufgenommen, sodass ich mich im Müll verstecken musste!« Schnell zog ich mich aus und stellte mich unter die Dusche. Beiläufig schamponierte ich mir die Haare und schrubbte über meine blasse Haut, auf der überall blaue Flecken und Schürfwunden zu sehen waren.

»Und dann?« Madox’ Stimme drang durch den Dampf des Badezimmers hindurch.

»Was? Hau ab, du perverser Spanner! Ich erzähl gleich weiter«, schimpfte ich und spuckte ein wenig Wasser aus.

Madox hatte sich inzwischen eine meiner Schlafmasken über die Augen gezogen. »Pff, krieg dich wieder ein. Ich schau schon nicht hin. Es ist gerade spannend, also erzähl weiter.« Kurz zögerte ich, vergewisserte mich, dass Madox, der sich gerade auf den zugeklappten Toilettensitz fallen ließ, wirklich nichts sehen konnte und begann die Geschichte weiterzuerzählen, während ich mich beeilte, die Dusche zu beenden.

In ein flauschiges Handtuch gewickelt, tapste ich zu dem marmornen Waschbecken und kramte einen Föhn hervor. Langsam wischte ich über den beschlagenen Spiegel und musterte mein Gesicht, ohne in der Geschichte innezuhalten.

»Und dann war da dieser Junge. Er … er war eigenartig, ich …« Murmelnd blickte ich in den Spiegel und spürte, wie sich meine Gesichtszüge verhärteten. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel blickte, hatte ich das Gefühl, eine Fremde anzustarren. Vielleicht lag es auch an meinen angespannten Nerven oder dem fürchterlichen Tag, der hinter mir lag, allerdings war ich mir nie so extrem erschienen. Ohne Klamotten, die mich versteckten, war ich ein vollkommen anderes Wesen. Mein Körper war zierlich, mit einer schmalen Taille, die in eine geschwungene Hüfte mündete. Goldenes Haar lockte sich in Wellen über meinen Körper, wo es beinahe meine Kniekehlen kitzelte. Ich hatte es bereits mehrere Male abzuschneiden versucht, leider wuchsen sie genauso schnell wieder nach, wie ich sie kürzte. Das Einzige, was ein wenig aus dem Rahmen der perfekten goldenen Jungfrau fiel, waren meine katzenhaften violetten Augen, die denen meines Vaters ähnelten. Groß blickten sie unter einem Vorhang aus pechschwarzen Wimpern hervor. Mein Gesicht war ausnahmslos perfekt. Kein Pickel, kein Muttermal, keine Falte. Alles an mir war schön. Dabei wirkte ich auch noch zerbrechlich … wie Glas. Mein Spiegelbild zeigte mir einen verfluchten goldhaarigen Engel! Die schönste Tochter der Aphrodite seit Jahrtausenden, wie meine Mutter gerne verächtlich hervorspie. Mit dem einen Makel, dass meine Schönheit so ziemlich jeden zerstörte, der einen Blick darauf riskierte.

Mein Anblick rief Obsession hervor.

Ein Fleck freier Haut genügte. Ein unbedachter Augenblick, und ich ließ jeden wahnsinnig vor Verlangen werden.

Hingabe wurde zu zerstörerischem Kontrollzwang.

Beschützerinstinkt zur rasenden Eifersucht.

Selbst mein Geruch machte süchtig wie eine süße Droge.

Die Götter nennen es das Medusa-Syndrom. Umgangssprachlich war es allerdings eher als der Medusa-Effekt bekannt.

Es handelte sich um einen Gendefekt. Eine Überzüchtung von zu viel magischem Blut in meinem Körper, der dafür zu schwach war.

Die traurige Wahrheit: Ich bin ein Monster mit dem Gesicht eines Engels. Angeekelt wandte ich mich von mir selbst ab und unterdrückte den aufsteigenden Selbsthass.

»Lass es, Warrior. Du kannst nicht ändern, was du bist oder wie du aussiehst«, unterbrach Madox mein Trübsalblasen. Erstaunt blickte ich zu meinem Bruder, der immer noch mit der lächerlichen Nachtmaske über den Augen auf der Kloschüssel saß. Mit einem wehmütigen Lächeln sah er in meine Richtung. Nicht zum ersten Mal kam es mir so vor, als könnte er meine Gedanken lesen. »Du kannst nichts dagegen tun, Warrior, und selbst wenn, ich würde nichts an dir ändern wollen«, flüsterte er.

Traurig lächelte ich ihm zu. Madox’ Vertrauen in mich war unerschütterlich. Schon seit Jahren, besser gesagt, mit dem Einsetzen der Pubertät hatte er mein Gesicht nicht mehr gesehen oder sonst ein Fleckchen freier Haut. Auch wenn er steif und fest behauptete, die Kontrolle behalten zu können. Trotz dieser Aussage würde es für immer Theorie bleiben. Ich könnte es nicht ertragen, sein Leben wegen eines einzigen unbedachten Augenblicks zu zerstören.

»Danke«, seufzte ich leise und begann meine Haare zu föhnen, die sich augenblicklich in perfekte Locken auf meinen Rücken schmiegten. Danach schlüpfte ich in meine neuen Sachen. »Jedenfalls …«, nahm ich den Faden meiner Erzählung wieder auf und flocht mir mit schnellen Bewegungen einen straffen Zopf. » … schmiss mich dieser Idiot vor die Hunde!« Achtlos stopfte ich ihn in den Pulli und zog die Kapuze über den Kopf.

»Was? Einfach so?«, fragte Madox stirnrunzelnd.

»Hä? Ähm. Nein! Ich denke, sie sollten so lange damit beschäftigt sein, mich zu fressen, damit er in Ruhe die Kurve kratzen konnte.«

Mads Stirnrunzeln wich einem wütenden Zähnefletschen. »Dieser dreckige kleine Mistkerl. Schlau, schmutzig und gewissenlos, der Typ kommt definitiv aus einem der finstersten Löcher der Hölle. Aber wie konntest du das überleben?« Madox’ Flügel zitterten vor unterdrückter Wut.

Hilflos zuckte ich mit den Schultern. »Das ist ja das Seltsame. Ich weiß es nicht genau. Ich dachte, ich sei bereits tot … aber nein, mir ist nichts passiert. Meine Kapuze ist nur heruntergerutscht, bevor es wirklich hässlich werden konnte. Der Hund hat mein Gesicht gesehen und den Rest kannst du dir denken!« Nervös knabberte ich an meiner Unterlippe und nahm mir eine der Sonnenbrillen aus dem Kästchen unter der Spüle. Es handelte sich um ein modisches Designerstück, das mit seinen dunklen Gläsern mehr als die Hälfte meines Gesichtes bedeckte. Die Brille hüllte meine Welt in permanente Dunkelheit. Ich hasste sie. Trotzdem setzte ich sie auf und schlüpfte schlussendlich in neue Handschuhe und Schuhe. »Tja, das war’s. Scheißtag! Du kannst diese rosa Tussimaske jetzt runternehmen, Mad, ich bin fertig.«

Sofort riss sich Madox das Stück von seinem Gesicht und stürmte quer durch das Bad auf mich zu. Überrascht quiekte ich auf, als er mich stürmisch an sich drückte. Dabei raschelten seine dunklen Flügel leise, als er diese wie einen schützenden Kokon um uns beide legte. Kurz wehrte ich mich gegen diesen heftigen Gefühlsausbruch, doch als ich Madox’ Schultern beben spürte, legte ich meinen Kopf an seine Brust und tätschelte beruhigend seinen angespannten Bizeps.

»Keine Sorge. Mir gehts gut, Mad. Es ist nichts Schlimmes passiert.«

»Ich werde diesen Mistkerl umbringen«, knurrte er in den Stoff meiner Kapuze und atmete scharf aus. »Ich werde diesen mit Syphilis überwucherten Arsch finden, seinen schleimigen Kopf abschneiden und ihn dann an die Hunde verfüttern.«

Ich lachte leise und streichelte weiter beruhigend seinen Arm, dessen Muskeln sich fester anspannten.

»Alles klar, großer Krieger. Erstens war sein Kopf nicht schleimig und zweitens sitzt der Mistkerl wieder im Tartaros fest, also kannst du aufhören, blutige Rache zu schwören, ja?«

Abrupt senkte Madox seine Flügel. Finster starrte er auf mich herab und kniff die Lippen zusammen. »Was soll das heißen, er ist nicht schleimig? Natürlich ist er das! Er hat dich angefasst und dir Angst eingejagt und dich beinahe an die Hunde verfüttert. Für mich macht ihn das zu einer schleimigen, dreckigen Ratte mit Pestbeulen an den Eiern.«

Genervt verdrehte ich die Augen und ging ins Schlafzimmer. »Lass es, Mad! Ich will über den Typen nicht mehr reden.«

»Hast du ihn etwa genauer gesehen?«, fragte mich mein Bruder misstrauisch. Seine Augen leuchteten raubtierhaft im Dämmerlicht der Deckenlampe.

»Herrgott noch mal! Natürlich habe ich ihn gesehen! Er hat mich wie einen Teddybären an sich gedrückt.«

Madox’ Nasenflügel bebten. »Du hast ihm erlaubt, dich zu berühren?«

»Was …?« Fassungslos darüber, in welche Richtung sich dieses absolut lächerliche Gespräch entwickelte, blieb ich stehen und stemmte die Hände in die Hüfte. »Nein, du Holzkopf! Ich habe ihm natürlich nicht erlaubt, mich anzufassen. Stell dir vor, dass es nicht ganz so freiwillig gewesen ist, sich von einem bekloppten, muskulösen Typen in den Schlamm drücken zu lassen, während er mir droht, die Kehle aufzuschlitzen!«

Madox starrte mich an.

Lange.

»Er war muskulös?«

»Ahh!« Lachend warf ich Madox ein Kissen von meinem Bett gegen den Kopf.

Armselig sanft klatschte es gegen sein Gesicht und landete wie ein flacher Pfannkuchen am Boden. Madox hob eine Augenbraue. »Das ist häusliche Gewalt, Frau! Aber lenk nicht ab. War er muskulöser als ich?«

»Halt einfach die Klappe, Mad! Ich wollte nicht gekidnappt werden, ich wollte nicht angefasst werden, nur leider konnte ich nichts dagegen tun und jetzt Schluss damit. Wir sehen ihn nie wieder!« Wütend stapfte ich an Madox vorbei zur Tür.

»Warrior«, hielt er mich mit weicher Stimme auf.

»Was?« Genervt drehte ich mich um. Ein Polsterkissen knallte mir hart ins Gesicht.

»Du musst nicht immer das letzte Wort haben«, schniefte er und stakste mit hocherhobener Nase an mir vorbei und in den Flur hinaus.

Vier


Nur Warrior hat die Eier, den alten Herren Daddy zu nennen

»Was soll das werden, wenn es fertig ist?«

»Was?«, fragten Madox und ich gleichzeitig.

Die hellbraune Schönheit mit den dichten langen Haaren zog missbilligend eine Augenbraue nach oben und schnalzte mit der Zunge. »Das!«, fauchte sie und zeigte abfällig auf uns beide.

Nachdem Madox, so schnell er konnte, aus meinem Zimmer abgehauen war, hatte ich ihn nach einer schweißtreibenden Verfolgungsjagd endlich im Salon abgefangen, wo ich erfolglos probiert hatte, ihn mit einem Kissen zu ersticken. Leider war der Sohn des Hades um einiges stärker und kampferprobter im Umgang mit Kissen als ich, sodass wir uns letztendlich in einem Knäuel aus Armen und Beinen am Boden gewälzt hatten. Madox hatte sich nach einigen wilden Zwickattacken meinerseits dazu entschlossen, seine Überlegenheit zu demonstrieren und sich einfach auf meinen Bauch gesetzt, wo er nun meine Hände im Zaum hielt, während ich verzweifelt versuchte, ihm Fußtritte zu verpassen. Das Lachen war mir allerdings abrupt im Hals stecken geblieben, als Persephone in den Salon gerauscht kam. Ein wenig verlegen hörte ich auf, Madox zu treten. Hastig versuchte ich, ihn von mir herunterzuschütteln. Er blieb jedoch dümmlich grinsend auf mir sitzen. Seine Haare standen wild in alle Richtungen ab, während er in unserer Aufregung Dutzende Federn aus seinen Flügeln im Salon verteilt hatte.

Die Göttin starrte uns angewidert an. »Sohn, könntest du die Missgeburt bitte loslassen! Ich sehe es nicht gerne, wenn du ihr zu nahe kommst.«

Madox’ Grinsen verfinsterte sich. Unauffällig stupste ich ihn an. Er zog trotzig eine Augenbraue nach oben und blieb unter dem giftgrünen Blick seiner Mutter auf mir sitzen. Wie schön, dass ihm dieser nichts anzuhaben schien, aber mir zog er beinahe die Haut von den Knochen. Leicht panisch stupste ich ihn wieder an, bis er sich schließlich langsam aufrichtete. Schnaufend rappelte ich mich auf und wollte mich unauffällig aus dem Staub machen. Mein herzallerliebster, idiotischer Bruder packte mich aber an den Schultern und drückte mich beherzt an seine Brust. Na toll! Jetzt stand ich zwischen ihnen! Wütend funkelte ich Madox an, doch der hielt seinen Blick störrisch auf seine Mutter fixiert. Persephone kniff indessen ihre vollen Lippen zusammen, der Ausdruck ihrer lindgrünen Augen wurden immer giftiger. Ihr Körper steckte in einem grünen Kleid, das ihren Oberkörper wie eine zweite Haut umschmeichelte und elegant zu Boden fiel. Ein breiter Schlitz offenbarte ihre langen goldbraunen Beine, auf denen sich Efeu und Blumenranken wie lebendige Schlangen nach oben wanden. Ihr Haar, in dem Rosen und Veilchen aufblühten und ihre Köpfe Persephones Stimme entgegenstreckten, fiel wie glänzende Seide über ihren Rücken. Bei jedem ihrer eleganten Schritte strich eine Sommerbrise durch den Raum. Als Tochter der Demeter war sie zwar nur eine niederrangige Göttin, dennoch reichte ein durchdringender Blick von ihr aus, um mich wissen zu lassen, dass ich nicht mehr als ein armseliger kleiner Mensch im Dreck zu ihren Füßen war. Ihre Präsenz erleuchtete den Raum und füllte jedes noch so dunkle Eck im Salon. Bei dem Anblick ihres geliebten Sohnes, der den Bastard ihres Mannes umklammerte, wurde es abrupt um einige Grade kälter im Raum. Unauffällig hauchte ich aus und sah meinen eigenen Atem zu Wölkchen kondensieren. Himmel, war Persephone eine Frostbeule!

»Ähm … ich glaube, du solltest mich loslassen, sonst enden wir noch als Eis am Stiel«, flüsterte ich Madox zögerlich zu.

»Sie kann mich mal! Du bist meine Schwester«, brummte er zurück. Dennoch wollte ich es mir nicht bereits am ersten Tag mit Persephone verscherzen, also wand ich mich resolut aus Madox’ klammerndem Würgegriff und richtete meine Kapuze gerade. Schatten umhüllten mein Gesicht, als ich mich knapp vor der Frau meines Vaters verbeugte. »Willkommen, Persephone, es ist schön, dich wieder in der Unterwelt zu sehen! Wie war der Sommer?«

Ihr Blick stieß wie ein Schwert durch meine Gedärme und drehte genüsslich die Klinge einmal um. »Warrior! Ich habe gehört, du wurdest heute beinahe getötet.« Um ihre Lippen zuckte ein erfreutes Lächeln. Wow. Wie nett es war, sie mal lachen zu sehen, oder?

»Ähm … ja. So ist es. Ich hatte einen unglücklichen Zusammenstoß auf Ebene 144.«

»Ja, wie unglücklich!«, stieß Persephone hervor, bevor sie sich mit deutlich sanfterem Gesichtsausdruck zu Madox umdrehte. »Mein Sohn, ich soll dich zum Essen holen. Ich bestehe an meinem ersten Tag in diesem Höllenloch auf ein Essen mit der Familie.«

Madox nickte und lächelte leicht verlegen, seine Schultern entspannten sich. »Natürlich. Ich freue mich, Mutter. Warrior und ich folgen dir.«

Persephone zog eine Augenbraue nach oben. »Ich sagte Familie, Madox«, rügte sie ihn milde.

»Ganz genau«, erwiderte dieser trocken. »Warrior ist ebenfalls Familie! Also, sollen wir los? Ansonsten wird der alte Herr noch ungemütlich.«

Ungehalten schnalzte Persephone mit der Zunge und sah aus, als würde sie ihrem Sohn jeden Moment verbieten, mich mitzunehmen, ähnlich einem Kleinkind, dem man untersagte, eine hässliche Kröte mit an den Esstisch zu nehmen. Die herausfordernd funkelnden Augen ihres Sohnes schienen sie jedoch davon abzuhalten. Trotzdem warf sie mir einen Blick zu, der einer Giftnatter nicht unähnlich war, während die Raumtemperatur erneut um einige Grade sank. »Du solltest Hades nicht als alt bezeichnen, Madox. Nenne ihn Vater, wie jeder gute Sohn es tun sollte«, warf sie tadelnd ein, drehte sich geschmeidig auf ihren nackten Füßen um und glitt leichtfüßig wie eine Katze durch die Tür. Mad grinste indessen nur verschmitzt und zog mich hinter sich und seiner Mutter aus dem Raum. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, mich an dem Türrahmen festzukrallen. Ein Familienessen mit dem Rest meiner Brüder und Persephone war in etwa so angenehm, wie sich angespitzte Bambusspäne unter die Nägel zu treiben. Leider schien Madox meine Gedanken zu erraten, denn er schob mich nur noch schneller durch den nächsten Raum.

»Niemand nennt Hades Vater, Mutter«, erklärte er dabei Persephone, die langsam eine Augenbraue hochzog.

»Ach ja? Soweit ich weiß, nennt die kleine Missgeburt ihn Vater.«

»Ich habe auch einen Namen«, warf ich grummelnd ein.

Beide ignorierten mich. Madox nickte mit ergriffener Miene.

»So ist es! Nur Warrior hat die Eier, den alten Herren Daddy zu nennen. Uns anderen würde er bei dem Versuch die Federn einzeln ausreißen. Von meinem einzigen und letzten Versuch habe ich immer noch eine kahle Stelle am rechten Flügel.«

Persephone schnaubte ungehalten. Ihre Schritte hallten laut von den Wänden wider. Unauffällig ging ich aus der Schusslinie. Warum sagte Mad so etwas? Wollte er mich mit Efeuranken stranguliert am Boden wiederfinden? Ängstlich äugelte ich nach einer der Rosen in Persephones Haar. Kam es nur mir so vor oder sahen die Blumen mich komisch an?

»Hades ist viel zu weich, was dieses Mädchen betrifft. Ich sehe nicht ein, dass er sie euch ständig vorzieht. Aber von Aphrodites Brut war im Grunde nichts anderes zu erwarten. Ihre Bälger waren von Beginn an nervtötend, doch die hier ist zu allem Überfluss auch noch eine tickende Zeitbombe!«

»Ähm … ihr wisst schon, dass ich jedes Wort hören kann, oder?«, fragte ich, wurde jedoch erneut ignoriert. Allein die Rose starrte weiterhin so komisch auf mich runter. Finster starrte ich zurück.

Madox schnaubte aufgebracht und fuhr sich durch die Haare. »Lass es einfach, Mutter! Sind Bright und Hunter schon hier?«

»Natürlich sind sie das. Lax und Rade ebenfalls. Spade sollte bald nachkommen.« Schwungvoll warf sie ihre dunkle Haarmähne zurück und stieß die Türen zum Speisesaal auf. Der Raum erinnerte mich immer an eine wirre Mischung aus Mittelalter und einer gedeckten Tafel auf einer Teeparty bei Alice im Wunderland. Ein langer hölzerner Tisch stand in der Mitte eines riesigen, ansonsten leeren Saals, dessen Wände aus grob behauenen Steinen gefertigt waren. Von der kargen Decke hing ein gigantischer Kronleuchter. Der schwarz-weiß geflieste Fußboden erinnerte an ein Schachbrett und in der Mauer prangte eine Feuerstelle, in der man ganze Ochsen hätte braten können.

Unauffällig durchquerte ich den Speisesaal und setzte mich so weit wie möglich von Persephone weg. Madox pflanzte sich wie immer direkt neben mich, verschränkte die Arme am Hinterkopf und kippelte mit seinem Stuhl hin und her. Hades saß schon auf seinem üblichen Platz am Ende der Tafel. Die Göttin ließ sich elegant an seiner Rechten nieder und strich ihm zur Begrüßung sanft über die angespannten Schultern. Sein Gesicht blieb dabei ausdruckslos. Die lilafarbenen Augen waren auf seinen ältesten Sohn Hunter gerichtet, der ihm soeben über die letzte Hetzjagd verlorener Seelen irgendwo in Downtown berichtete. Bright, mein zweitältester Bruder, hatte es sich neben Hunter gemütlich gemacht, die Beine gelangweilt gegen den Tisch gestützt, und spielte mit einem langen Dolch, dessen geschärfte Schneide silbern aufblitzte, wenn er ihn in die Luft warf. Lax und Rade, die Zwillinge, saßen am anderen Ende und starrten missmutig auf ihre leeren Teller.

»Warum hat Rade pinke Haare?«, fragte ich Madox verwundert.

Er zeigte kichernd auf Lax, dessen strubbelige Haare in einem fiesen Giftgrün leuchteten. »Sie haben eine Wette verloren!«, sagte er viel zu laut.

Ihre Köpfe ruckten herum.

»Weil du geschummelt hast«, schnarrte Lax. Unter seinem rechten Auge prangte ein bereits verheilendes Veilchen im passenden Grünblau.

»Verräter!«, zischte Rade, dessen Nase so aussah, als hätte man sie gegen eine Wand gerammt. Dabei spießte er seine Gabel so fest in den Esstisch, dass sie zitternd stecken blieb.

»Ach ja?«, fragte Madox herausfordernd und zog eine Augenbraue nach oben. »Was kann ich dafür, wenn ihr illegale Basiliskenkämpfe mit einem Hexenmeister organisiert?«

»Basiliskenkämpfe?«, fragte ich interessiert.

»Ein Basilisk, der sich bei der Hälfte des Kampfes in ein Hühnchen zurückverwandelt hat!«, spuckte Lax wütend aus.

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