Loe raamatut: «Warrior & Peace», lehekülg 8

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Sieben


Steuerberater von Amboss erschlagen! Götter weisen Schadenersatzklage zuruck!

»Bei den Göttern!« Schweißgebadet öffnete ich die Augen und fiel prompt aus dem Bett. Ich schlug auf dem kalten Boden auf und stieß ein gequältes Stöhnen aus. Mit klopfendem Herzen und schweißnassen Haaren schleuderte ich die schweren Decken von mir und sah mich gehetzt im dunklen Zimmer um. Jeden Augenblick, so glaubte ich, würde ich eine Hand an meinem Kragen spüren, die mich packte und zurück in dieses irre Laboratorium zerrte. Immer noch brannte mir der durchdringende Geruch nach Desinfektionsmittel und Ozon in der Nase. Neben mir stand das breite Doppelbett mit der Hello-Kitty-­Bettwäsche – ein Geschenk von Madox zum achtzehnten Geburtstag. Rechts davon die Nachttischkommode mit meinem Hello­-Kitty-Wecker – ein Geschenk von Madox zu Weihnachten. Mein Schrank war als großer dunkler Schemen an der gegenüberliegenden Wand zu erkennen. Meine Bücher, mein Schreibtisch, mein Fernseher. Alles war an seinem Platz. Kein zerstörtes Laboratorium – mit verrückten Ärzten und genauso verrückten blauhaarigen Meuchelmördern namens Peace.

Keuchend presste ich meine Stirn gegen den kühlen Fußboden. Mein Gesicht brannte, als hätte ich Fieber. Sirrendes Adrenalin rauschte durch meinen Körper. Erneut schob sich Peace’ Gesicht in meine Gedanken. Die Erinnerung an seinen Körper, der aussah, als hätte man ihn aus Marmor geschlagen, raubte mir den Atem. Abgesehen von der Tatsache, dass ich mir vor Angst beinahe in die Hosen gepinkelt hatte, als er so plötzlich vor mir gestanden hatte, war er ein absolut arrogantes Arschloch. Um das zu wissen, musste ich ihn nicht einmal genauer kennenlernen. Warum machte mich dann schon alleine die Erinnerung an seinen verdammt noch mal perfekten Körper und die Farbe dieser kalten Augen so – so flatterig? Mein Magen zog sich zusammen. Stöhnend knallte ich den Kopf ein paarmal gegen den Boden. Aua. Das tat weh. Aber half eindeutig nicht. Frustriert hörte ich auf, eine Delle in den Boden schlagen zu wollen, und schnaubte laut. Es war mir bereits in der Hölle aufgefallen, als dieser Mistkerl mich an sich gepresst hatte. Ich fand diesen blauhaarigen Idioten eindeutig heiß. Himmel! Bekam ich eine Psychose?! Ich war definitiv krank im Hirn. Er hatte versucht, mich umzubringen! Sogar in meinem Traum, trotzdem fand ich ihn anziehend.

»Scheiße!« Stöhnend kämpfte ich mich zurück ins Bett und starrte mit verquollenen Augen auf den Hello-Kitty-Wecker. Halb acht, also noch zwei Stunden, bevor ich normalerweise aufstand, in die Bibliothek fuhr und für die Uni lernte. Leider hatte ich Hausarrest und somit viel zu viel Zeit, um über perfekte männliche Muskeln, blaue Haare und silberne Augen nachzudenken. Trocken schluckte ich einen dicken Kloß im Hals hinunter und stand auf. Meine nackten Zehen klebten am Boden, als ich die Vorhänge meines Fensters zurückschob. Graue schwere Wolken ballten sich am Himmel zusammen. Wassertropfen klatschten gegen die Scheiben, während ein kräftiger Wind an den Fensterläden rüttelte. Der kleine Park rund um unser Anwesen schien grau in grau zu sein. Ein greller Blitz durchzuckte die Wolkendecke. Dicht gefolgt von einem wütenden Donnergrollen, das das Glas klirren lies. Ein Schauder rieselte mir über den Rücken, während ich wie gebannt in den Himmel hinaufstarrte. Meine Zehen krallten sich ängstlich in den Boden. Die Luft schmeckte beinahe bitter von all dem aufgestauten Ozon. Zeus schien heute sehr schlechter Laune zu sein. Prüfend warf ich einen Blick nach unten und erkannte den massigen Leib eines Höllenhundes, der beinahe nahtlos mit den Schatten des anbrechenden Morgens verschmolz. Allein die roten Augen sahen gestochen scharf zu meinem Fenster hoch. Ich wurde also wirklich beschattet. Seufzend ließ ich den Vorhang zurückfallen und tapste ins Bett zurück. Die Decke war verschwitzt, genau wie der Rest meiner Sachen. Ich war in voller Montur eingeschlafen. Im Bett wälzte ich mich ein paarmal herum, knautschte das Kopfkissen zusammen und versuchte, mich wieder zu entspannen. Aber es gelang nicht. Mein Kopf war übervoll von den letzten Tagen. Ich fühlte mich unwohl in der eigenen Haut, die kribbelte und juckte, als würde etwas herausplatzen wollen. Wahrscheinlich der Frust. Ich pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und knabberte an meinem Daumennagel herum. Ich überlegte und entschied schließlich, dass meine Sachen zu ekelig waren, um sie noch länger anzubehalten. Also strampelte ich die Decke wieder von mir runter, setzte mich auf und zog den Pullover über den Kopf. Schnell zog ich auch den Rest aus und warf die Sachen in den Wäschekorb neben meinem Bett. Müde fuhr ich mir über das verquollene Gesicht und gähnte ausgiebig. Die Brille hatte über Nacht einen Abdruck auf meinem Nasenrücken hinterlassen, den ich behutsam wegmassierte. Manchmal fühlte es sich an, als würden mir all die Schichten unförmiger Klamotten die Luft abschnüren. So nackt, nur in BH und Höschen, konnte ich eigentlich nur mit mir selbst sein. Jeden anderen würde ich dabei in den Wahnsinn treiben. Sprichwörtlich.

Deprimiert schnappte ich mir die Fernbedienung aus dem Nachttisch und schaltete den Fernseher ein. Wenn ich schon sonst nichts zu tun hatte, konnte ich wenigstens die verpassten Ninja-Warrior-Sendungen nachholen. Mit einem beruhigenden Summen sprang der Fernseher an. Sein Brabbeln erfüllte meine Ohren. Meine angespannten Muskeln lockerten sich wieder. Drei Sendungen lang sah ich Athleten dabei zu, wie sie rannten, sprangen, sich die Köpfe einschlugen und ins Wasser fielen. Danach zog ich mir eine Wiederholung von Shopping Queen rein – Madox’ Lieblingssendung –, bevor ich zu Buffy – die Vampirjägerin wechselte. Ich liebte diese Sendung. Vielleicht, weil Buffy mich ein wenig an mich selbst erinnerte. Mitsamt düsterem Schicksal, dem sie nicht entkommen konnte. Außerdem war ich ein absoluter Spike-Fan. Ich hatte seine blonden Haare und den bissigen Charakter schon immer attraktiv gefunden. Obwohl dunkle Haare auch nicht schlecht waren … oder blaue. Wenn ich so darüber nachdachte, hatte Peace genau die gleiche sexy Narbe an der Augenbraue wie Spike. Entsetzt würgte ich den Gedanken ab. Woran zum Teufel dachte ich denn da? Mit hochrotem Kopf sprang ich aus dem Bett. Es regnete immer noch Bindfäden. Trotzdem hatte ich definitiv lange genug im Bett herumgelegen. Nach dem gierigen Knurren meines Magens zu urteilen, war die Mittagszeit schon längst überschritten. Schnell zog ich mir eine Hose, Socken und einen Kapuzenpulli an. Die Handschuhe folgten ebenfalls. Auch wenn nur meine Schwestern und Sofia zu Hause waren, wollte ich kein unbedachtes Risiko eingehen und zu viel Haut zeigen. Schnell stopfte ich die Haare nach hinten, zog die Kapuze hoch und stürmte aus dem Zimmer. Den Fernseher ließ ich laufen. Buffy küsste gerade Angel, ohne zu wissen, dass sie ihm damit die Seele rauben würde. Ihr ging es wie mir. Keine Ahnung, was dem Typen passieren würde, der das zweifelhafte Glück hatte, mein erster Freund zu werden. Aber es konnte definitiv nichts Gutes sein. Wahrscheinlich würde der arme Kerl sofort wahnsinnig werden und sich die Augen aus dem Schädel kratzen … oder ihm fiel der Penis ab.

»Woran denkst du?«

Erschrocken machte ich einen Satz nach vorne und wäre beinahe die letzten Stufen zur Eingangshalle hinuntergekullert. »Himmel, Diamond, hast du mich erschreckt.«

»Oh, entschuldige, du hast so in deine Gedanken versunken gewirkt.«

»Die perfekte Gelegenheit also, um mich von der Treppe zu schubsen.«

Diamond schnaubte. »Mach dich nicht lächerlich, Warrior. Dabei könnte ich mir einen Fingernagel abbrechen. Das ist die Mühe nicht wert.«

»Wie beruhigend.«

»Also?«

»Also, was?«

»An was hast du gedacht?«, fragte meine Schwester neugierig. Unaufgefordert folgte sie mir in die Küche. Ein Monstrum aus hellem Stahl, Chrom und Hightech. Ich bezweifelte, dass meine Schwestern kochen konnten. Sofia bereitete meistens all unsere Mahlzeiten zu. Vor Hunger krampfte sich mein Magen zusammen. Schmerzlich verzog ich das Gesicht und öffnete den Kühlschrank. Kühle Luft wehte mir entgegen, als ich den Kopf in das zwei Meter hohe Ungetüm steckte und nach was Essbarem Ausschau hielt.

»Ach, nichts Wichtiges, nur über Penisse«, teilte ich Diamond abwesend mit. Mhm, war das ein Sandwich?

»Über was?« Das Entsetzen in Diamonds Stimme war unüberhörbar. Elegant ließ sie sich auf einen der Barhocker vor der Kücheninsel nieder. Eine ihrer perfekten blonden Augenbrauen schoss nach oben.

»Ich habe nur darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn ich einen Jungen küsse.«

Ja! Es war tatsächlich ein Sandwich mit …

Vorsichtig holte ich den Teller hervor, pulte die Frischhaltefolie ab und schnupperte. Mhm, roch nach Tunfisch mit Mayonnaise. Auch gut. Zufrieden schnappte ich mir eine Cola aus dem Getränkefach. Ganz und gar nicht elegant ließ ich mich neben Diamond plumpsen, hakte einen Fuß hinter den anderen und begann die Kohlensäure aus meiner Cola zu schütteln.

»Ich verstehe. Und was hat Küssen mit Penissen zu tun?«

Behutsam öffnete ich meine Cola. Die Kohlensäure entwich mit einem zufriedenstellenden Zischen. »Warum das plötzliche Interesse an meinen verqueren Gedanken?«

Beiläufig zuckte sie mit den Schultern. »Du bist meine Schwester. Warum sollte es mich nicht interessieren?«

»Hm, vielleicht deshalb nicht, weil es dich die letzten achtzehn Jahre auch nicht interessiert hat?«

Sie sah mich komisch an. Ein trauriger Ausdruck huschte über ihr Gesicht.

»Das stimmt nicht«, flüsterte sie. »Ich habe mich immer für dich interessiert. Aber es ist besser für dich, unsichtbar zu bleiben als andersherum.«

Ich blinzelte verwirrt. Hä? »Falls es dich freut. Du warst immer meine Lieblingsschwester. Die anderen sind zum In-die Tonne-Werfen.«

Diamond lachte. Ein wunderschöner Klang, der es vermochte, Vögel aus den Bäumen zu locken. Schwungvoll warf sie sich das Haar über die Schulter. »Schon mal daran gedacht, netter zu den Menschen zu sein, damit sie dich mögen?«

Ich rümpfte die Nase. »Hast du schon mal versucht, nett zu einem Troll zu sein? Du bist eindeutig zu oft im Olymp unterwegs.«

Schon wieder dieser traurige Blick. »Und du eindeutig zu häufig in Abaddon. Ich habe Mutter schon viele Male gebeten, dich öfter in den Olymp mitzunehmen. Aber sie weigert sich. Es tut mir leid.« Sie runzelte ihre perfekte Stirn.

Grinsend stupste ich sie mit der Schulter an. »Hey, mach dir keinen Kopf. Ich jammere einfach zu viel. Im Grunde bin ich ganz gern unten. Ich liebe Madox und Hades und hätte es eindeutig schlechter treffen können. Und für gute Manieren ist es längst zu spät.«

Diamond lächelte verunsichert zurück und streichelte zaghaft meine behandschuhten Hände.

»Ach, Warrior, du bist so schnell groß geworden. Wann ist das passiert? Gestern habe ich dir noch Gutenachtgeschichten vorgelesen und heute denkst du über Penisse nach.«

Ich streckte ihr die Zunge raus. »Ich dachte nur darüber nach, was mit einem Jungen passieren würde, der mich küsst. Und kam zu dem Schluss, dass ihm der Penis abfällt.«

Diamonds kristallblaue Augen blitzten amüsiert. »Stell dir einmal dieses Gesicht vor. Er küsst dich und sein Penis fällt ab!« Ihr glockenhelles Lachen wurde laut.

Meine Mundwinkel zuckten.

»Die gesamte Männerwelt würde dich fürchten!«

»Ach, halt die Klappe!« Schmunzelnd nahm ich das Sandwich und inspizierte das leicht gräulich aussehende Innenleben. »Außerdem könnte er auch einfach wahnsinnig werden … wer weiß. Es ist idiotisch, darüber nachzudenken. Ich werde sowieso als ungeküsste Jungfrau sterben.«

Abrupt hörte Diamond auf zu giggeln und sah mich seltsam betroffen an. »Sag das nicht, Warrior, es gibt bestimmt einen Weg.«

»Nein. Für mich nicht.« Zaghaft hob ich das Brot und biss hinein. Ein Fehler. Schon der erste Bissen schmeckte so vergoren, dass mir die Galle hochkam.

Würgend beugte ich mich über den Teller und spuckte den Bissen wieder aus. Tränen brannten mir in den Augen, als ich den Geschmack hektisch mit einem Schluck Cola runterzuspülen versuchte.

»Was ist los?«

»Bäh. Ich glaube, der Fisch ist schlecht geworden!« Ich nahm noch einen großen Schluck. Der Geschmack hielt sich hartnäckig. Wie Asche klebte er auf meiner Zunge.

»Du bist ein wenig grün um die Nase. Geht es dir gut?«

Vor Ekel schüttelte es mich. Dennoch nickte ich, nahm den Teller mit dem Brot und warf es in den Mülleimer unter der Spüle. »Ja, aber jetzt ist mir definitiv der Appetit vergangen. Bei meinem Glück handle ich mir noch eine Fischvergiftung ein.«

»Ist nicht deine glänzendste Woche, was?«

»Nicht unbedingt«, schnaubte ich und ließ mich wieder auf den Sessel fallen.

»Warum denkst du plötzlich übers Küssen nach? Versteh mich nicht falsch, ich weiß, dass du neunzehn bist, aber du hast dich nie mit jemandem außer Madox getroffen oder anderweitiges Interesse an Jungs gezeigt.«

Erstaunt sah ich auf. Diamond hatte die Beine übereinandergeschlagen und sah mich neugierig an. Ihre neuerliche Plauderlaune fand ich ein wenig gruselig. So viel gesprochen hatten wir schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Diamond war Heras Zofe im Olymp und dementsprechend viel unterwegs. Da sie auch beinahe zehn Jahre älter war als ich, hatten wir nie viel miteinander zu tun gehabt.

»Ich bin vielleicht ein bisschen gestört, aber doch nicht tot, Diamond! Natürlich interessiere ich mich fürs Küssen. Du etwa nicht?«

»Doch, schon.« Diamond zögerte und leckte sich sichtlich verlegen über die schmalen Lippen. »Ich hatte meinen ersten Freund schon mit vierzehn. Aber du hast nie wirklich durchblicken lassen, dass Jungs dich reizen.«

»Was?«, ungläubig sah ich sie an. »Na ja, zum Ersten, es hat euch nie gejuckt, mit wem ich mich treffe. Zweitens ist es vollkommen egal, ob ich es will oder nicht. Es wird nie passieren. Einmal davon abgesehen, dass ich meine Zeit hauptsächlich in Abaddon verbringe und die einzigen Männer, mit denen ich dort Kontakt habe, meine Brüder sind. Und die sind eindeutig eher ein Grund dazu, lesbisch zu werden.«

»Na, ich weiß nicht. Sie sehen doch allesamt gut aus, oder nicht?«

»Sie sind zum Kotzen!«

»Wirklich? Aber du hängst doch so gerne mit dem Jüngsten herum? Oder?«

»Madox? Der ist … anders. Aber auch niemand, den ich daten würde. Ich meine – er hat als Kind Popel auf mich geschmissen!«

Angeekelt verzog Diamond das Gesicht. »Bäh … in Ordnung. Gibt es sonst niemanden, der dich interessieren würde?«

»N-Nein, ich …«

Das Bild von blauen Haaren und kalten silbernen Augen kam mir in den Sinn. Schnell schüttelte ich den Kopf, vertrieb die Erinnerung aus meinen Gedanken und ballte die Hände zu Fäusten. Langsam diagnostizierte ich bei mir einen ernsthaften Fall von Stockholm-Syndrom.

»Nein«, schloss ich schlicht. »Da ist niemand und das wird auch so bleiben.«

Peinliche Stille setzte ein. Keine von uns schien so recht zu wissen, was sie noch sagen sollte.

Diamond starrte mich immer noch so gruselig an. »Ich habe von deinem Zusammenstoß gehört. Von dem Jungen, der aus dem Tartaros geflohen ist!«

Aha, daher wehte also der Wind.

»Und?«

»Du musst Angst gehabt haben.«

Zögerlich zuckte ich mit den Schultern. »Ein wenig. Er war eindeutig verrückt. Es ist gut, dass er wieder im Tartaros sitzt.«

»Mhm.« Der Blick aus Diamonds Augen war undeutbar.

Nervös rutschte ich auf meinem Hintern herum. Dieses Gespräch wurde immer eigenartiger.

»Du musst dir keine Sorgen machen. Der Tartaros ist das sicherste Gefängnis der Götterwelt.«

»Ich weiß.«

»Wirklich? Wenn du willst … ich habe eine interessante Lektüre zu diesem Thema. Im Speziellen handelt diese von dem Tartaros und dessen Insassen. Wenn du möchtest, leihe ich sie dir.«

»Ähm … gerne. Danke!«

Lächelnd stand Diamond auf. »Schön. Ich lege sie dir vor die Tür. Jetzt muss ich zurück in den Olymp. Solltest du etwas dringend benötigen, ruf mich an und vergiss deinen Hausarrest nicht. Bleib im Haus. Ansonsten reißt dir Mutter noch endgültig den Kopf ab. Ich werde Sofia Bescheid geben, dass sie dir was Anständiges kochen soll.«

»D-Danke«, stottere ich erneut. Verdutzt starrte ich Diamond hinterher, die wie eine Göttin aus der Küche schwebte.

Was war das denn gewesen? Verwirrt kratzte ich mir den Kopf. Die Uhr über der Kücheninsel tickte leise. Im Haus herrschte absolute Stille. Wie sonst meistens auch. Das Anwesen war für vier Menschen einfach zu groß. Man konnte Tage hier drinnen herumlaufen, ohne jemandem zu begegnen. Ruby gehörte ein äußerst erfolgreich laufender Nachtclub in Londons Innenstadt und Opal war ein international erfolgreiches Model. Beide schliefen tagsüber und waren nachts unterwegs. Meistens hatte ich damit auch kein Problem. Ich war es gewohnt, alleine zu sein. Heute jedoch störte es mich. Ich fühlte mich einsam, ein wenig verloren. Außerdem spukte mir der gestrige Tag ein ums andere Mal durch den Kopf. Seufzend stand ich auf und stellte meinen Teller in die Spüle. Der Geruch des angetrockneten Essens von dem anderen Geschirr stieg mir dabei in die Nase. Prompt wurde mir wieder schlecht und ich beeilte mich, aus der Küche herauszukommen. Von draußen konnte ich den Wind an der Tür rütteln hören. Ein Donnern zerschlug die Stille. Ein seltsam intensiver Geruch nach Ozon vermischte sich mit meinem eigenen Duft nach Rosen und schien mich auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Ich konnte dieses komische Gefühl einfach nicht abschütteln. Gestern nach dem Angriff hatte es begonnen und seitdem fühlte ich mich, als würde pures Adrenalin durch meine Adern jagen. Als ich ein seltsames Geräusch hörte, blieb ich stehen. Mitten in der dunklen Eingangshalle, durch die das Licht der niedergehenden Blitze harte Schatten über den Boden schlug. Gänsehaut breitete sich auf meinen Unterarmen aus. Himmel, war das unheimlich. Durch meinen Kopf jagten sofort ein paar Szenen aus Horrorfilmen, die ähnlich gewesen waren. Ich lauschte angestrengt dem Heulen des Windes. Ein weiterer Blitz ging hinab, beleuchtete eine nackte Aphroditestatue, die durch die dunklen Schatten eine hässliche Fratze bekam. Mein Herz pochte. Ich schluckte. Meine Zunge klebte trocken am Gaumen und …

Ding Dong.

»Ahhh!« Ich sprang einen gefühlten Meter in die Höhe. Fuchtelte wild mit den Armen und Beinen.

Ding Dong.

Ding Dong.

Ding Dong.

»Herrgott noch mal. Macht mal jemand die Tür auf? Sophia? Wo bist du?«, krächzte es verschlafen durch den Raum, während eine hagere und zombieähnliche Gestalt in den Flur gewankt kam. Ich schrie erneut auf. Die Person neben mir schrie ebenfalls schrill auf. Gerade wollte ich zum Verteidigungsschlag ansetzen, als dem vermeintlichen Monster die Gurkenscheiben vom grünen Gesicht fielen. Meine Schwester Ruby starrte mich finster und ziemlich verschlafen an. Ihr Haar war vom Schlaf wie ein Vogelnest geformt. Sie steckte in einem zu langen Bademantel, mit dessen Ärmeln sie kreischend in meine Richtung wedelte. »Was soll der Mist, Warrior?«, keifte sie. »Mach die Tür auf. So kann ich doch nicht raus. Ich sehe aus wie …«

»Das Monster aus dem Sumpf? Shrek?«, half ich ihr keuchend auf die Sprünge. Mit ihren rötlichen Haaren und der grünen Gesichtsmaske sah sie Fiona von Shrek wirklich nicht unähnlich. Ich grinste, aber mein Herz pochte immer noch wie wild. Ruby presste giftig ihre Lippen zusammen.

Ding Dong. Erneut dröhnte die Klingel durch das Haus, verzerrt durch die Geräusche des Unwetters.

»Mach einfach auf«, zischte Ruby und verschwand wieder nach oben in Richtung ihres Zimmers.

»Das war megagruselig!«, schrie ich ihr hinterher und bekam als Antwort einen ausgestreckten Mittelfinger gezeigt. Ich schnitt ihrem Rücken eine Grimasse und öffnete die Tür. Beinahe hätte ich ein weiteres Mal aufgeschrien. Vor mir krümmte sich ein schattenhafter Riese.

»Scheiße!«

»Auch hallo, Warrior!«, grummelte besagter Riese und trat ins Innere. Ich wich zurück, kniff die Augen zusammen, als das Mons­trum von einem Mann ganz im Hundestil seine klatschnassen Haare ausschüttelte.

»Pah! Brave, mach das bitte woanders«, bat ich, die Arme schützend vor das Gesicht gehoben.

»Sorry. Ist Diamond da?«, fragte Brave, Sohn des Zeus und Freund meiner Schwester.

»Ist vielleicht noch oben … aber eigentlich wollte sie weg. Weiß nicht genau«, gab ich zurück, öffnete die Augen einen Spaltbreit und beobachtete den ungeschlachten Gottjungen. Brave war eine fleischgewordene Ken-Puppe. Samt stahlhartem Sixpack. Strahlendem Zahnpasta-Werbung-Lächeln und blonden Surfer-Boy-Haaren. Wäre er nicht schon seit Jahren mit meiner Schwester zusammen, hätte ich darauf gewettet, dass er stockschwul war. Brave grunzte verwirrt und wollte nach oben stürmen, als ich etwas aus seiner Nase rinnen sah.

»Warte! Ich glaube, du hast Nasenbluten.«

Überrascht blieb der Gottjunge stehen und wischte sich mit dem Handrücken darüber. Beinahe glaubte ich, etwas Silbernes aufblitzen sehen, doch das Rinnsal war zu schnell in seiner Handfläche verschwunden.

»Alles okay?«, fragte ich besorgt.

»Ist nichts!« Brave warf mir einen seiner strahlenden und leicht dümmlichen Grinser zu. »Das schlechte Wetter schlägt mir auf den Kopf. Kommt vor. Bin wetterfühlig. Danke fürs Aufmachen!«

Schon war er die Treppe hochgestürmt und ließ mich verwirrt und leicht nassgespritzt zurück. Ich runzelte die Stirn und schloss die Tür. Hinter mir tobte der Sturm. Ein paar Zweige peitschten gegen das Glas.

Seltsam. Ich folgte Brave nach oben und mit einem Schlag war es wieder bedrückend still. Die dicken Wände verschluckten beinahe jedes Geräusch. Sofort fühlte ich mich einsam und ein wenig paranoid. Die Augen der Gemälde schienen mich zu verfolgen. Leichte Kopfschmerzen setzten ein.

Vor meiner Zimmertür blieb ich stehen und sah nach unten. Wie versprochen lag dort ein Buch. Ein Post-it klebte darauf.

Stell nichts an!

Schnaubend zerknüllte ich das Papier, hob das Buch auf und beäugte es prüfend. Es war ein staubiger fetter Wälzer mit grauem, rissigen Einband. Der Titel zur Unleserlichkeit verwittert. Na, das sah ja eindeutig nach viel Spaß aus. Mit hochgezogenen Augenbrauen ging ich in mein Zimmer. Der Fernseher lief immer noch. Buffy schickte Angel diesmal gerade mit einem gezielten Roundhouse-Kick in die Hölle. Mein Interesse war jedoch mehr auf das Buch in meinen Händen gerichtet. Es verströmte den Geruch nach altem Pergament und Tinte und … Mhm, wenn Geheimnisse riechen könnten, würden sie wohl genau diesen Geruch haben. Seufzend setzte ich mich im Schneidersitz aufs Bett, streifte die Handschuhe ab und schlug wahllos eine Seite inmitten des Buches auf. Ein Lesezeichen rutschte heraus. Als hätte Diamond die Stelle für mich gekennzeichnet.

Tartaros (griechisch Τάρταρος, lateinisch Tartarus) ist in der griechischen Mythologie ein personifizierter Teil der Unterwelt, der noch unter dem Hades (oder auch Abaddon genannt) liegt. Er ist angeblich so tief, dass ein Amboss, der von der Erde zum Tartaros hinabfiel, neun Tage brauchte, um ihn zu erreichen; genauso lange, wie der Amboss benötigte, um vom Himmel bis zur Erde zu gelangen.

Irritiert hielt ich inne. Interessant. Nur welcher Blödmann kam auf die Idee, einen Amboss vom Himmel zu werfen? Und was, wenn der Amboss jemandem auf den Kopf fiel? Ich sah die Schlagzeilen förmlich vor mir: »Steuerberater von Amboss erschlagen! Götter weisen Schadenersatzklage zurück!« Kichernd blätterte ich um und las weiter.

Tartaros ist der Strafort der Unterwelt. Zu ewigen Qualen im Tartaros verurteilt waren: Tityos, Ixion, Oknos, die Danaiden, Sisyphos und Tantalos, der Sohn des Zeus. In Platons Phaidon wirft »ihr gebührendes Geschick« diejenigen in den Tartaros, die »häufigen und bedeutenden Raub an den Heiligtümern begangen oder viele ungerechte und gesetzwidrige Mordtaten vollbracht haben oder anderes, was dem verwandt ist«. Sie werden daraus nie wieder heraufsteigen.

Wooow. Moment! Wie vom Donner gerührt starrte ich auf die Zeilen unter mir. War das … konnte es? Nein! Entsetzt las ich die entsprechende Zeile erneut.

Zu ewigen Qualen im Tartaros verurteilt waren: Tityos, Ixion, Oknos, die Danaiden, Sisyphos und Tantalos, der Sohn des Zeus.

Tantalos, der Sohn des Zeus!

Tantalos, der Sohn d…!

Tantalos!

Peace Tantalos!

Bei den Göttern. Mein Mund klappte auf. Mein Kidnapper, mein Kidnapper mit dem bekloppten Namen Peace hatte ebenfalls Tantalos geheißen. Aber …

Nein! Unmöglich, es war ein Traum gewesen. Zweifellos ein äußerst intensiver, realistisch wirkender Traum. Dennoch musste es sich dabei um einen Zufall handeln. Es war ausgeschlossen, dass Zeus einen Sohn im Tartaros schmoren ließ. Außerdem kannte ich Zeus’ Kinder. Zwillinge, um genau zu sein. Das Mädchen hieß Violence und war – ganz nach ihrem Namen – ein verdammtes Miststück. Ihr Bruder, Brave, war seit Jahren mit meiner Schwester Diamond zusammen. Die beiden waren mit ihren blonden Haaren, blauen Augen, übersinnlicher Schönheit und Stärke die Stars der Götterwelt. Und Aphrodite selbst suhlte sich förmlich in der Anerkennung, die sie dank der Beziehung ihrer Tochter mit Brave von den anderen Göttern erhielt. Meine Existenz wurde dagegen lieber verschwiegen. Wann immer ich einen Raum betrat, setzte peinliches Schweigen ein. Deprimierend. Egal. Erneut starrte ich auf den Namen unter meinen Fingern. Tantalos.

Konnte mein Traum nicht einfach Zufall gewesen sein? Die Reaktion meines Gehirns auf eine traumatisierende Begegnung, die es zu verarbeiten versuchte? Höchstwahrscheinlich war Tantalos ein früherer Sohn von Zeus gewesen. So alt, wie das Buch aussah, musste der Junge vor Jahrtausenden gelebt haben. Der Schinken war einfach nicht up to date. Es gab also überhaupt keinen Grund, in Panik zu geraten. Besänftigt blätterte ich weiter. Ob ich noch mehr über diesen Tantalos fand? Tatsächlich stieß ich bereits auf der nächsten Seite wieder auf seinen Namen.

Die Götter verstießen Tantalos in den Tartaros und peinigten ihn dort mit ewigen Qualen, den sprichwörtlich gewordenen »Tantalosqualen«.

Gänsehaut breitete sich auf meinen Unteramen aus. Das klang ja fürchterlich. Meine Finger zitterten sogar, als ich nach einer Erklärung suchte, warum Tantalos verflucht worden war. Ich fand jedoch nichts. Enttäuscht ließ ich mich zurücksinken. Ohne wirkliches Interesse hob ich den Blick zum Fernseher und sah Buffy mit ihren Freunden Dämonen über den Bildschirm jagen. Gerade in dem Moment, als die Vampirjägerin dem Bösewicht einen Boxhieb verpassen wollte, kam die Werbung. Dieser extrem nervige Spot für Momondo begann zu laufen.

»Uns ist egal, was Sie in Ihrem Urlaub machen. Wir finden nur den besten Flug für Sie!« Das hektische Zucken im Fernseher kam mir vor, als wären die Farben viel zu grell. In meinen Ohren summte es, als könnte ich den Strom durch die Flüssigkristalle rinnen hören. Mein Blick verschwamm. Irritiert rieb ich mir den Kopf. Die Schmerzen wurden schlimmer. Wahrscheinlich hatte ich sie schon länger, nur war das Pochen in den Schläfen inzwischen so stark, dass ich es nicht mehr ignorieren konnte. Das schlechte Wetter setzte mir eindeutig zu. Ich habe schon immer empfindlich auf Wetterumschwünge reagiert, und das Unwetter ließ meinen Schädel wie einen Ballon anschwellen. Gerade, als ich den Fernseher leiser drehen wollte, schlug draußen ein Blitz ein, der die Umgebung taghell werden ließ. Das Bild des Fernsehers verpixelte sich. Ein scharfer Schmerz durchzog meinen Kopf.

»Aua!« Fluchend verzog ich das Gesicht und fühlte etwas in meiner Nase platzen. Draußen krachte Donner. Das Grollen stellte mir sämtliche Nackenhaare auf, als ich spürte, wie mir warmes Blut aus der Nase rann.

»Shit!«, hektisch warf ich mich zur Seite und durchwühlte meinen Nachttisch nach einem Taschentuch. Das Blut floss in einem Schwall heraus und kleckerte den Boden voll.

Was sollte das? Das Blut war nicht rot, sondern absolut silbern. Wie reines Quecksilber glitzerte es im zuckenden Licht des Fernsehers. Ich drückte mir das Taschentuch gegen die Nase. Was war nur los mit mir? Gestern waren es nur wenige silberne Schliere gewesen! Heute war es vollkommen verfärbt. War das normal? Hilflos sah ich auf, dabei fiel mein Blick auf das Fenster, wo sich das schlechte Wetter inzwischen zu einem richtiggehenden Sturm entwickelt hatte. Wütend riss der Wind an den Bäumen, die sich ächzend unter der starken Naturgewalt bogen. Das Heulen erinnerte mich an den Ruf der Höllenhunde, wenn sie auf Jagd waren. Besorgt presste ich das Taschentuch fester gegen die Nase und versuchte so, zu ignorieren, dass das Blut süßlich, fast wie geschmolzener Zucker schmeckte. Das war auch nicht normal, oder?

»Überall auf der Welt werden extreme Wetterphänomene gesichtet«

Mein Kopf schoss in Richtung des Fernsehers, wo die Sechzehn­Uhr-Nachrichten liefen. War es wirklich schon so spät? Wo war die Zeit geblieben? Die Nachrichtensprecherin mit den roten Lippen, die sie wie einen wasserstoffblonden Clown aussehen ließen, starrte auf die eingeblendeten Bilder neben sich, wo ein tropfnasser Korrespondent lautstark in sein Mikro brüllte. Hinter ihm sah man einen leuchtenden Blitz nach dem anderen niedergehen. Schnell schnappte ich mir die Fernbedienung und drehte lauter.

»In Marokko, Berlin, Paris, New York und London wurde dieses extreme Naturschauspiel gesichtet. Es wurden Windstärken in der Skala sieben bis neun verzeichnet. Besonders auffällig ist die Farbe der Blitze.« Eine Kameraaufnahme zeigte leuchtend blaue bis rote, die mit brutaler Gewalt in Bäume und Hausantennen einschlugen. Der Boden grollte von dem darauffolgenden Donner.

Tasuta katkend on lõppenud.

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