Loe raamatut: «Einführung in die Beratungspsychologie», lehekülg 3

Font:

Kommunikative Kompetenz haben Sprecher dann, wenn sie unterscheiden können, wann und wie sie auf andere so wirken, dass sie sich verständigen können. Wenn bei Beachtung der Geltungsansprüche dennoch Störungen auftreten, kann durch „Reparaturversuche“ Verständigung erreicht werden. Der „Neue“ könnte nachfragen, ob das so üblich ist, die anderen könnten ihm erklären, dass derartige ungeschriebene Regeln gelten. Helfen Reparaturversuche nicht, könnte in einem Diskurs Übereinstimmung in den Geltungsansprüchen hergestellt werden und ein Konflikt oder ein Problem gelöst werden.

Auch in professionellen Beratungsgesprächen gelten die Ansprüche von Wahrheit, Angemessenheit und Aufrichtigkeit, auf deren Grundlage Beratung als Erreichen eines Zieles und Herstellen von Einvernehmen überhaupt nur möglich ist.

Konversationsmaxime

Ähnliche Ansprüche formuliert der englische Philosoph Grice (1975) in seinen Kooperationsprinzipien mit den vier Basisregeln oder Konversationsmaximen:

■ Qualitätsmaxime: Botschaften sollten ein Maximum an Qualität, also Wahrheit und Aufrichtigkeit beinhalten.

■ Quantitätsmaxime: Botschaften sollten so viele Informationen wie notwendig enthalten, aber auch nicht mehr als nötig, also nicht redundant sein.

■ Relevanzmaxime: Botschaften sollten relevant sein und Bedeutung für den Gegenstand des Gesprächs haben.

■ Klarheitsmaxime: Botschaften sollten klar, deutlich und eindeutig sein.

Im Alltag werden diese Maximen oft nicht eingehalten, man nimmt es mit der Aufrichtigkeit manchmal nicht so genau, wiederholt die gleichen Inhalte mehrmals und kommt von „Hölzchen auf Stöckchen“. Soll eine Beratungssituation gelingen, sollte jedoch zumindest der Berater sich an die Maximen halten, aufrichtig zu sein, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig zu reden, nicht vom Thema abzukommen und sich klar auszudrücken. Die Maximen von Grice fokussieren den rationalen Informationsaustausch, die reine Übermittlung von Botschaften, also die Symbolfunktion des Organon-Modells, während die Aspekte von Ausdruck und Appell kaum berücksichtigt werden. Grice macht ebenso wie Habermas darauf aufmerksam, dass ohne die Bereitschaft zur Verständigung Kommunikation ihren Sinn verfehlt. Die Qualitätsmaxime, ebenso wie der Habermas’sche Aufrichtigkeitsanspruch stellen hohe Anforderungen an den Berater, wenn die Lebensführung des Klienten seinen eigenen Normen und Wertvorstellungen entgegensteht.

Dialogmodelle

In den so genannten Dialogmodellen (Krauss / Fussel 1996) werden weniger individuelle Motive, Haltungen oder Voraussetzungen der beiden Partner betrachtet, die in der wechselseitigen Perspektivenübernahme erfasst werden und die die Kommunikationshandlung steuern, sondern der kommunikative Prozess selbst steht im Mittelpunkt der Betrachtung. Nicht die Übermittlung von Informationen, sondern das Herstellen von Intersubjektivität ist in diesen Modellen Ziel der Kommunikation. Im Dialog konstruieren die Partner ihre gemeinsame Wirklichkeit nach Gesetzmäßigkeiten, die sie nicht miteinander aushandeln, sondern die sich aus der Natur der Kommunikationshandlung ergeben.

Konversationsanalyse

Diese Prozesse der Wechselseitigkeit werden in Konversationsanalysen untersucht (Atkinson et al. 1984; H. Sacks et al. 1974). Das zentrale Ziel solcher Analysen ist, die Kompetenzen zu beschreiben und zu erklären, die Sprecher nutzen und auf die sie sich verlassen, wenn sie an sozialen Interaktionen teilnehmen. Die unausgesprochenen Regeln, nach denen Partner im Gespräch Beiträge einbringen, Themen aufwerfen, fortführen, wechseln oder auch das Gespräch beenden können, sind dabei Gegenstand der Analyse. Es werden typische Muster von beispielsweise Begrüßungen, Verabschiedungen oder auch komplexen Verkaufs-, Bewerbungs- oder eben Beratungsgesprächen herausgearbeitet. Sogar Alltagsgespräche laufen in erkennbar geordneten Mustern ab, auch wenn sie uns manchmal chaotisch erscheinen. Die Konversationsanalyse ist allerdings eher eine sozialwissenschaftliche Methode der Analyse von Interaktionen als ein Modell menschlicher Kommunikation. Dennoch gibt sie wertvolle Hinweise, wie (Beratungs)gespräche strukturiert sind.

kollaborative Kommunikation

Im Modell der kollaborativen Kommunikation (Clark / Wilkes-Gibbs 1986) unternehmen Sprecher und Hörer alle Anstrengungen, um sicherzustellen, dass sie dasselbe Konzept der Bedeutung jeder Botschaft haben, bevor sie zur nächsten übergehen. Sie unterscheiden eine Phase der Präsentation einer Botschaft und eine der Akzeptanz, in der die Kommunikationspartner zu einem übereinstimmenden Verständnis kommen. In der Präsentationsphase können die Partner die Aussage gemeinsam konstruieren, indem beispielsweise der Sprecher eine kleine Pause macht: „Ich kenne Sie doch, Sie sind Susanne …“, wobei er seine Stimme erhebt und die Gesprächspartnerin den Nachnamen nennt. In der Phase der Akzeptanz versichern sich beide Partner, dass der andere richtig verstanden hat, indem sie eine gemeinsame Basis (common grounding) annehmen oder herstellen. Der Dialog „Ist Peter bei Susi?“ – „Das rote Auto steht vor der Tür!“, kann nur verstanden werden, wenn beide Partner wissen, dass Peter ein rotes Auto hat und Susi gewöhnlich mit seinem Auto besucht. Falls der Partner das nicht weiß, muss er nachfragen, um die gemeinsame Basis herzustellen und die Äußerung zu akzeptieren, bevor der Dialog voranschreitet. Missverständnisse können auftreten, wenn keine gemeinsame Basis entsteht. Dies lässt sich allerdings im kollaborativen Modell nicht ausreichend erklären, denn das Fehlen der gemeinsamen Basis setzt eine eigene Perspektive der jeweiligen Partner voraus, die der Kollaboration widerspricht.

Axiome menschlicher Kommunikation

Das wohl bekannteste und verbreitetste Modell menschlicher Kommunikation ist das von Watzlawick, Beavin und Jackson (1967). Die Autoren haben einen sehr weiten Begriff von Kommunikation und unterscheiden ausdrücklich nicht zwischen symbolisch-intentionaler Kommunikation (sprachlicher Kommunikation) und Ausdrucksverhalten. Watzlawick et al. haben jedoch keine vollständige und in allen Punkten empirisch prüfbare Theorie entwickelt, sondern beschreiben kommunikative Beziehungen, die für sie eine logische Konsistenz haben (Frindte 2001). Sie formulieren fünf Axiome, also aus sich heraus evidente, nicht zu beweisende Grundsätze:

■ Verhalten ist immer auch Kommunikation. Da es kein Gegenteil von Verhalten, kein Nichtverhalten gibt, ist es unmöglich, nicht zu kommunizieren. Auch wenn man schweigt oder sich abwendet, drückt man etwas aus, kommuniziert beispielsweise Desinteresse.

■ Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt. Sie besteht immer aus dem, was gesagt wird, dem Inhalt, und – meist nonverbalen – Hinweisen darauf, wie die Aussage gemeint ist, wodurch die Beziehung definiert wird. Der Beziehungsaspekt bestimmt, wie der Inhalt einer Botschaft zu verstehen ist. Wenn z. B. die Mutter zärtlich und mit einem lächelnden Gesicht zu ihrem Kind sagt: „Du kleiner Räuber“, ist klar, dass sie nicht davon ausgeht, dass das Kind strafbare Handlungen begeht. In jeder Kommunikation sind immer beide Aspekte enthalten, auch wenn sie in verschiedenen Situationen ein unterschiedliches Gewicht haben können. Wenn Inhalts- und Beziehungsaspekt nicht übereinstimmen, kann das Verwirrung stiften. Diese Situation wird auch „double bind“ genannt. Die geschiedene Mutter sagt beispielsweise mit einem bösen Gesicht und in barschem Tonfall zu Sohn oder Tochter: „Ich habe nichts dagegen, wenn du deinen Vater besuchst“, so dass das Kind nicht weiß, auf welche der widersprüchlichen Informationen es reagieren soll. Es sitzt in der Falle und kann es letztlich nur falsch machen.

■ Jede Kommunikation wird aus der unterschiedlichen Sicht der beiden Partner strukturiert. Diese „Interpunktion“ genannte Gliederung der Ereignisabfolge geschieht nach den Vorstellungen, Erfahrungen und Einstellungen der Partner. Jede Kommunikationshandlung lässt sich als Reaktion auf eine vorausgehende Handlung verstehen, so dass die Partner Anfang und Ende einer Kommunikationskette subjektiv setzen. Wegen dieses Sachverhaltes lässt sich trefflich streiten, wenn die Frau meckert, weil der Mann sich zurückzieht und der Mann sich zurückzieht, weil die Frau meckert.

■ Menschliche Kommunikation kann in digitaler und analoger Weise erfolgen. Die digitale Kodierung geschieht durch konventionelle Zeichen, deren Bedeutung annähernd festliegt und die als Einheiten voneinander abgrenzbar sind, also der Sprache. Die digitale Kommunikation begleiten analog nonverbale Informationen, die ihre Bedeutung untermauern und Befindlichkeiten transportieren. Nonverbale, analoge Zeichen sind weniger eindeutig, flüchtiger, gehen ineinander über und lassen sich schwer festmachen, so dass daraus viele Missverständnisse zu erklären sind. Sie eignen sich vorzüglich zur Manipulation und Steuerung anderer Personen, wobei der Urheber sich von jeder Verantwortung reinwaschen kann, indem er zutreffend behauptet, das, weswegen der andere verstimmt ist, nie gesagt zu haben.

■ Kommunikation ist entweder symmetrisch oder komplementär. Je nach Verhältnis, in dem die Kommunikationspartner zueinander stehen, können sie gleichberechtigt, also symmetrisch, kommunizieren oder komplementär. Dann ist der eine abhängig von den Vorgaben des anderen über Gesprächsdauer, Redebeiträge, Zeit und Raum, er ist ihm untergeordnet. Der Angestellte ist abhängig davon, ob der Chef gerade mit ihm reden möchte oder nicht. Der Schüler sollte warten, ob der Lehrer ihn zu Wort kommen lässt. Der Prüfling muss sich dem vom Prüfer bestimmten Verlauf der Prüfung unterordnen. Mann und Frau oder Freunde handeln ihre Beiträge im Gespräch dagegen gleichberechtigt aus.

Watzlawick et al. (1967) haben aus ihrer praktisch-therapeutischen Arbeit ein sehr eingängiges Modell geschaffen, das sich großer Beliebtheit erfreut, weil es plausibel erscheint und unmittelbar einleuchtet, allerdings ist es rein beschreibend und berücksichtigt beispielsweise nicht, dass auch Sprache wegen der Konnotationen nicht eindeutig ist, während manche nonverbalen Zeichen durchaus eindeutig sein können („Stinkefinger“, Vogel zeigen). Auch ist die Gleichsetzung von Verhalten und Kommunikation nicht gerechtfertigt, denn jede Kommunikation ist zwar Verhalten, aber nicht jedes Verhalten ist Kommunikation (Girgensohn-Marchand 1996). Die von Watzlawick et al. (1967) selbst als provisorisch bezeichneten Formulierungen erheben jedoch weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Endgültigkeit. Der theoretischen Schwäche stellen Watzlawick et al. (1967) die praktische Nützlichkeit gegenüber.

vier Seiten einer Nachricht

In Weiterentwicklung des Organon-Modells und des Modells von Watzlawick und Mitarbeitern hat Schulz von Thun (1981, 1989, 1998; Thomann / Schulz von Thun 1988), ebenfalls eher beschreibend-orientierend, besonders das zweite Axiom Watzlawicks et al. erweitert. Danach hat jede Mitteilung vier Seiten, die vier Seiten einer Nachricht (siehe Abbildung 3). Sie hat immer eine Sachebene, die Information, die sie enthält. Daneben gibt der Sprecher immer etwas von sich selbst preis, die Selbstoffenbarung oder Selbstkundgabe. Die Nachricht enthält Informationen, wie der Sprecher die Beziehung zum Gesprächspartner definiert, die Beziehungsseite, und welche Erwartung er an ihn hat, die Appellseite. Alle Aspekte sind in der Nachricht enthalten, können aber ein unterschiedliches Gewicht haben. Der Gesprächspartner kann nun seinerseits auf vier Ohren hören, und im Idealfall stimmen die Ebenen bei Hörer und Sprecher überein.


Abb. 3 Vier Seiten einer Nachricht (nach Schulz von Thun 1981ss)


Willi sitzt zu Hause auf der Couch und sieht fern. Er sagt: „Emma, das Bier ist alle!“ Auf der Sachebene ist das die Information, dass kein Bier mehr zur Verfügung steht. Auf der Selbstoffenbarungsebene drückt er aus, dass er noch Durst hat und ihn nach mehr Bier gelüstet. Auf der Beziehungsebene wird klar, dass Emma dazu auserkoren ist, ihm zu Diensten zu sein, und auf der Appellebene, dass sie ihm das Bier holen soll. Emma ihrerseits kann sich selbst als Dienerin ihres Mannes begreifen, in den Keller sprinten und dafür sorgen, dass er wieder Bier hat. Dann ist der Familienfriede gewahrt. Sie kann aber auch anders …

Schwierig wird die Kommunikation, wenn einer der beiden Partner „gewohnheitsmäßig“ mit einem bestimmten Mund spricht oder auf einem bestimmten Ohr bevorzugt hört. Dann können sich Kommunikationsstile herausbilden, auf deren Grundlage man dauerhaft streiten kann, ohne den Kreislauf je durchbrechen zu können.

Die verschiedenen Theorien und Modelle (siehe Tabelle 2) zeigen, dass Kommunikation nicht eindeutig ist, dass sie immer Mehrdeutigkeiten und Interpretationsspielräume beinhaltet, die die Verständigung erschweren. Ein Wunder, dass wir uns überhaupt verständigen und verstehen können.

Tab. 2: Kommunikationsmodelle


Modell Fokus
Shannon & Weaver Encoder-Decoder Übermittlung von Nachrichten
Bühler Organon Aspekte der Sprache
Grice Kooperationsprinzip rationaler Informationsaustausch
Mead Perspektiven- übernahme Interaktion im gemeinsamen Kontext
Habermas kommunikatives Handeln Situationsdefinition, Herstellen von Konsens
Watzlawick Dialog Prozess, Herstellen von Intersubjektivität
Clark & Wilkes-Gibbs kollaborativ Konstruktion von Bedeutung auf gemeinsamer Basis

Einen wesentlichen Anteil an einerseits der Verdeutlichung des Gesagten und andererseits an der Ambiguität (Mehrdeutigkeit) hat die nonverbale Kommunikation, die daher im Folgenden genauer betrachtet werden soll.

2.2Nonverbale Kommunikation


Kommunikation geschieht immer auf mehreren Kanälen gleichzeitig und nur in der Zusammenschau aller Kanäle können kommunikative Interaktionen interpretiert werden. Die in Kommunikationstrainings häufig zitierten Untersuchungen von Mehrabian (1980) ergaben, dass nur etwa 7 % der emotionalen Bedeutung einer Botschaft durch Sprache vermittelt werden, mehr als 38 % Prozent durch sprachbegleitende Merkmale wie Tonhöhe, Sprachmelodie, Betonung und über 55 % durch weiteres nonverbales Verhalten wie Gesten, Körperhaltung oder Gesichtsausdruck. Allerdings gilt das eher für inkongruente Botschaften und weniger für die Vermittlung von Sachinhalten (Röhner/Schütz).

Eigenschaften nonverbaler Zeichen

Nonverbale Signale entziehen sich dabei meist der bewussten Kontrolle. Sie laufen automatisch ab und sind in ihrer Bedeutung unbestimmter als verbale Äußerungen. Während Sprache nur eine bestimmte Anzahl von Wörtern für einen Sachverhalt zulässt, die zudem durch grammatische Regeln weiter eingeschränkt werden, kann man sich eines praktisch unbegrenzten Vorrats an nonverbalen Zeichen bedienen. Sie werden unmittelbar verstanden, obwohl sie noch weniger eindeutig sind als die sprachlichen Zeichen. Mit nonverbalen Mitteln werden hauptsächlich Einstellungen, Emotionen, Sympathie und Antipathie kommuniziert, die sich sprachlich nicht so gut ausdrücken lassen und oft auch aufgrund unausgesprochener Regeln des sozialen Miteinanders nicht ausgedrückt werden dürfen. In professionellen Beziehungen wird geradezu verlangt, dass der Berater sich der Preisgabe seiner persönlichen Bewertung seines Klienten und dessen Problemen enthält. Dass dies nicht immer einfach ist und oft nicht gut gelingt, liegt in der Natur der nonverbalen Kommunikation, die weniger bewusst gesteuert werden kann.

Eindruckssteuerung

Jeder Mensch hat ein Bild von sich selbst entwickelt, seinen Interaktionspartnern, der Welt, in der er lebt, und den Anforderungen, die bestimmte soziale Situationen an ihn stellen. Dieses Bild hat er in sozialen Begegnungen mit anderen gewonnen. Er überprüft es in seinen sozialen Interaktionen ständig und revidiert es dabei. Was er von sich und seinen Interaktionspartnern hält, kommt in der nonverbalen Kommunikation zum Ausdruck. Er betont bestimmte Verhaltensweisen und vermeidet andere, er gibt sich lässig, selbstbewusst, schüchtern oder streng, je nachdem, welches Bild er von sich in der Situation hat und welchen Eindruck er beim anderen – mehr oder weniger bewusst – erzeugen will. Der Eindruck, den die Person macht, entspricht dabei ihrem Bild von sich selbst und den anderen in dieser Situation (Forgas 1999).

dramaturgisches Modell

Goffman (1969) vergleicht in seinem „dramaturgischen Modell“ Alltagsinteraktionen mit einem Theaterspiel, bei dem man eine Rolle ausfüllt, sich in Szene setzt, sich hinter den Kulissen vorbereitet und sein Kostüm auswählt, um eine so gute Vorstellung abzugeben, dass die Darstellung für Wirklichkeit gehalten wird.

Wenn jemand aus der Rolle fällt, sich in einer sozialen Situation nicht angemessen verhält, im Restaurant lauthals rülpst, in einer Konferenz einschläft oder mit seiner Frau auf der Straße heftig streitet, ruft das bei den anderen Peinlichkeit hervor. Viele Filme leben von solchen Situationen. Die Beobachter werden dann schnell versuchen, die Fassade wieder herzustellen, indem sie das Rülpsen „überhören“, den Schläfer verstohlen wecken oder an den Streitenden schnell vorbeigehen.

Rollenerwartung

In jeder sozialen Situation werden mit diesen Rollen Erwartungen verknüpft. Eine Frau kann sich als Mutter, Ehefrau, Lehrerin oder Kundin eines Fitness-Studios unterschiedlich verhalten und manchmal geraten verschiedene Rollen in Konflikt. Rollen sind auch abhängig von sozialen Ordnungen. Je höher der Rang einer Person bewertet wird, desto stärker ist er den Rollenerwartungen unterworfen und desto tiefer ist der Fall, wenn er sie nicht erfüllt.

Auch Ratsuchender und Berater füllen bestimmte Rollen aus, mit denen sie unterschiedliche Erwartungen verknüpfen. So wird der Ratsuchende nicht damit rechnen, dass der Berater von seinen eigenen Problemen berichtet – was allerdings gelegentlich geschieht – und der Berater wäre sehr pikiert, wenn der Ratsuchende ihm Vorschläge für seine Vorgehensweise machen würde.

In sozialen Situationen versucht man also, den Eindruck, den andere von einem haben, so zu steuern, dass er mit dem, was man von sich präsentieren möchte, übereinstimmt. Das gelingt den verschiedenen Menschen mehr oder weniger gut und setzt voraus, dass man Wirkungen des Verhaltens und mögliche Reaktionen des Partners vorwegnehmen und sein Verhalten darauf einstellen kann. Der gute „Eindruckssteuerer“ weiß, was andere von ihm erwarten, wie ihre Urteile zustande kommen, was die jeweilige Situation verlangt und wie er gewünschte Reaktionen erzeugen kann, wie er als „ehrlich“, „freundlich“ oder „vertrauenswürdig“ erscheint. Er hat damit eine hohe soziale Intelligenz, das bedeutet aber nicht unbedingt, dass er diese zum Wohle anderer einsetzt. Er kann seine Fähigkeit auch zu Manipulation und Macht ausnutzen und dabei einen guten und harmlosen Eindruck hinterlassen.

Nicht nur dem durchschnittlichen „Menschenkenner“, sondern auch Beratern und Therapeuten fällt es schwer, die „Echtheit“ der Präsentation einer Person von sich selbst zu beurteilen. Die Annahme, sich vor Psychologen in Acht nehmen zu müssen, da sie einen sofort „durchschauen“, ist ein weit verbreitetes Vorurteil, entbehrt aber oft jeglicher Grundlage.

Blickverhalten

Eines der wirksamsten und wichtigsten nonverbalen Signale ist der Blick. Verliebte können sich stundenlang in die Augen sehen, die Augen sind das „Fenster zur Seele“. „Schau mir in die Augen, Kleines“, fordert nicht nur Humphrey Bogart in der legendären Szene aus „Casablanca“ auf. Man glaubt, Lügner können einem forschenden Blick nicht standhalten: Die Lüge steht ihm „ins Gesicht geschrieben“. Allerdings weiß das auch der Lügner und gute Eindruckssteuerer und wird versuchen, seinen Blick und seine Mimik unter Kontrolle zu halten, besonders wenn er annimmt, dass sein Gegenüber ausschließlich auf sein Gesicht achten wird (Ekman 2003). Der im Erkennen und der Verhörtaktik geschulte FBI-Agent wird daher eher auf periphere Körperpartien achten, wie Bewegungen von Händen und Füßen, die der Lügner nicht mehr unter Kontrolle hat, weil er sich auf die Wirkung seines Blickes und seiner Mimik konzentriert, während der naive Betrachter sich vom unschuldigen Blick betören lässt (Ekman 2003).

Blicke steuern aber auch ganz profan den Sprecherwechsel in der Interaktion, das Turn-Taking. Das Maß des Blickkontakts ist in Interaktionen, ohne dass es den Partnern bewusst ist, genau ausbalanciert. Der Hörer schaut länger auf den Sprecher als umgekehrt, in zwei Dritteln der Interaktionszeit schaut einer zum anderen, ihre Blicke treffen sich jedoch nur selten und werden schnell wieder abgewendet. Das häufiger werdende Abwenden des Blickes während einer Interaktion signalisiert, dass das Gespräch demnächst beendet wird (Forgas 1999). „Inquisitorisch“ und für den Partner unangenehm wirkt, wenn das Gegenüber den Blick nicht abwendet. Desinteresse oder Schüchternheit werden vermittelt, wenn ein Partner den anderen nicht anschaut. Beides wirkt irritierend und wird automatisch entsprechend interpretiert. Das Blickverhalten ist jedoch nicht universell, sondern kulturabhängig und wird auch bestimmt von Intimitätsgrad, Rolle und Geschlecht der Partner.

Emotionsausdruck

Im Gesichtsausdruck glaubt man, Emotionen weitaus besser ablesen zu können, als sie verbal zu vermitteln wären. Allerdings lassen sich nur die Grundemotionen wie Angst, Freude, Ekel, Überraschung, Wut und Trauer unmittelbar und überwiegend eindeutig zuordnen. Diese Ausdrucksreaktionen werden nicht gelernt, sondern treten auf entsprechende Reize spontan auf und werden auch beispielsweise von blind geborenen Kindern gezeigt (Birbaumer / Schmidt 2010).

Alle anderen Emotionen sind vermischt, stark vom sozialen Kontext und nicht zuletzt von Stimmungen des Beobachters abhängig. Allein der Sonnenschein reicht, um sich selbst und die anderen in einem helleren Licht erscheinen zu lassen und die Welt mit „anderen Augen“ zu sehen, ganz zu schweigen von der sprichwörtlichen „rosaroten Brille“ der Verliebten.

Erkennen von Emotionen

Im Gesicht gespiegelte „echte“ Gefühlszustände werden durch andere neuronale Systeme gesteuert als willkürlich herbeigeführte (Damasio 2004), so dass man annehmen könnte, es sei leicht, sie zu unterscheiden. Dies trifft jedoch im Alltag nicht zu. Dort achtet man meist allein auf die groben, länger dauernden, die Makro-Ausdrücke. Dabei wird man kaum beispielsweise ein echtes von einem unechten Lachen unterscheiden können (Ekman 2003). Extrem kurze, kaum wahrnehmbare und sehr flüchtige Ausdrücke, die Mikro-Ausdrücke, hingegen „verraten“ denjenigen, der etwas verbergen möchte.


Ekman und Friesen (1969 nach Ekman 2003) konnten zeigen, dass Psychiater in klinischen Interviews anhand der Mikro-Ausdrücke mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erkennen konnten, ob Patienten Suizidabsichten oder Halluzinationen zu verheimlichen suchten. Diese schwer wahrnehmbaren, weil äußerst flüchtigen Mikroausdrücke enthalten also doch Informationen über Lügen und Verheimlichen, die allerdings nur wenigen Beobachtern unmittelbar zugänglich sind.

Auch Ängstlichkeit, Ärger und andere Emotionen lassen sich durch das Achten auf Mikroausdrücke erkennen, allerdings sagen sie nichts darüber aus, was die Emotion verursacht. Ängstlichkeit oder Ärger können genauso bei einer falschen Anschuldigung empfunden werden wie bei einem „schlechten Gewissen“ oder Furcht vor Entdeckung.

Anpassung von Ausdrucksreaktionen

Körpersprache, Mimik und Gestik sind höchst komplexe Vorgänge und geschehen meistens unbewusst. Man versteht sie, ohne dass man sagen kann, warum. Im Gespräch wird die Körpersprache der beiden Partner in „Interaktionssynchronie“ koordiniert. Diese ideomotorischen Mitbewegungen hängen davon ab, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet ist, welche Intention wahrgenommen wird und mit welcher Person man „mitfühlt“ (Hoffmann / Engelkamp 2013). Auch in den mimischen Ausdrucksreaktionen passen sich die Interaktionspartner aneinander an und regulieren sich gegenseitig. Beim Wahrnehmen von Gesichtsausdrücken und beim Zeigen dieser Ausdrücke sind nämlich dieselben Spiegelneuronen (Mirror neurons) aktiv. Darüber verstehen wir das Verhalten und die Intentionen anderer auf einer basalen Ebene, die auch Voraussetzung für Empathie ist (Corradini / Antonietti 2013; Mainieri / Heim / Straube / Binkofski / Kircher 2013; Praszkier 2016). Dabei gibt es offensichtlich verschiedene Typen von Spiegelneuronen, die unterschiedlich kongruent mit der wahrgenommenen Handlung sind, so dass das wahrgenommene und das eigene mimische Verhalten moduliert wird (Hoffmann / Engelkamp 2013; Simon / Mukamel 2017).

Körperhaltung

Der Körperhaltung wird nicht nur in Kommunikations- und Präsentationstrainings viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die Körperhaltung vermittelt auch dem naiven Betrachter schon von weitem, in welcher Verfassung sich das Gegenüber befindet (Giese / de Gelder 2012). Eine zusammengesunkene Haltung mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf signalisiert Trauer und Depression, eine aufrechte, offene Haltung Selbstbewusstsein und Kontaktbereitschaft. Die Körperhaltung ist ein deutlicher Ausdruck von Gefühlen und Befindlichkeit. Sie zeigt, wie sicher, souverän oder überlegen sich jemand fühlt, aber auch wie interessiert und aufmerksam er ist. Mehrabian (1972) unterscheidet drei Reizklassen:

■ Unmittelbarkeitsreize wie Blickkontakt, Körperorientierung oder Berühren kommunizieren Sympathie und Antipathie.

■ Entspanntheitsreize wie Einnehmen des Raumes beim Sitzen oder Stehen oder Anspannung der Hände vermitteln Status und soziale Kontrolle. Im Bewerbungsgespräch wird der Personalchef entspannter in seinem Sessel sitzen als der Bewerber, der tunlichst eine nicht verkrampfte, aber doch kontrollierte, nicht zu lässige Haltung einnehmen sollte.

■ Aktivitätsreize wie Bewegungen und Gestik signalisieren Reaktionsbereitschaft und Aufmerksamkeit dem Partner gegenüber.

Wer wen wo berühren darf, ist konventionell und kulturell bestimmt. Berührungen können beruhigen, Trost spenden, Statusverhältnisse anzeigen oder auch einfach ritualisiert sein wie das Händeschütteln. Berührungen sagen etwas über das Verhältnis der Partner zueinander aus. Der Angestellte wird nicht dem Chef anerkennend auf die Schulter klopfen, Kinder, Menschen mit Behinderungen und Untergebene werden häufiger berührt. Allerdings haben auch Berührungen deutliche kulturelle Anteile (Forgas 1999). So berührt man sich in südeuropäischen Ländern wesentlich häufiger, was zu einer gewissen Irritierung führen kann, wenn eine griechische Studentin der Dozentin im Gespräch über den Arm streicht.

Raum und Territorium

Auch Raum und Territorium können nonverbal Einstellungen und Beziehungen kommunizieren und werden bestimmt durch die Intimität, die man dem Partner zugesteht. Kommt man sich zu nahe, ohne in einem entsprechenden Intimitätsverhältnis zu stehen, wird die Distanz wieder ausgeglichen. Lässt sich die Nähe zu fremden Personen nicht vermeiden, beispielsweise im Fahrstuhl, wird die Distanz durch Vermeiden des Blickkontakts gewahrt. Alle ziehen sich wenn möglich in eine Ecke zurück, schauen nach unten oder an die Decke, um den Blicken der anderen nicht zu begegnen.

parasprachlicher Ausdruck

Sprachlich Ausgedrücktes bekommt seinen Ausdrucksgehalt durch parasprachliche Mittel, also nichtverbale, stimmliche Äußerungen. Sie begleiten die gesprochene Sprache und geben Hinweise darauf, wie das Gesprochene zu verstehen ist. Tonfall, Rhythmus, Geschwindigkeit, Lautstärke, Stimmlage gehören ebenso dazu wie Lachen, Seufzen, Weinen, Gähnen oder Pfeifen. Manche Emotionen werden sehr deutlich von der Stimmführung transportiert, z. B. Zorn, Nervosität, Traurigkeit oder Glück. Auch Erregung oder Angst werden besonders wirksam in der Stimme dargestellt. Die Stimme ist dabei zuverlässiger als der Gesichtsausdruck, weil sie schwerer willkürlich gesteuert werden kann. Verbale Äußerungen, denen die parasprachlichen Begleitausdrücke fehlen, irritieren den Hörer.

Die Ansprache des Präsidenten


„Was war da los? Aus der Aphasie-Station drang, gerade als die Rede des Präsidenten (Reagan, S. N.) übertragen wurde, lautes Gelächter, und dabei waren doch alle so gespannt darauf gewesen …

Da war er also, der alte Charmeur, der Schauspieler mit seiner routinierten Rhetorik, seiner Effekthascherei, seinen Appellen an die Emotionen – und alle Patienten wurden von Lachkrämpfen geschüttelt. Nein, nicht alle: einige sahen verwirrt aus, andere wirkten erregt, zwei oder drei machten einen besorgten Eindruck, aber die meisten amüsierten sich großartig. Die Worte des Präsidenten waren eindringlich wie immer, aber bei den Patienten riefen sie offenbar hauptsächlich Heiterkeit hervor. Was mochte in ihnen vorgehen? Verstanden sie ihn nicht? Oder verstanden sie ihn vielleicht nur zu gut?“ Von einer Patientin mit einer totalen Agnosie, die gesprochene Sprache verstehen aber die parasprachlichen Merkmale nicht mehr wahrnehmen konnte, weswegen sie bewusst auf Haltung und Bewegung der Partner achten musste, berichtet Sacks: „Mit steinernem Gesicht hörte auch Emiliy D. der Rede des Präsidenten zu und unterlegte sie mit einer seltsamen Mischung aus verstärkten und fehlerhaften Wahrnehmungen – genau das Gegenteil von dem, was unsere Aphasie-Patienten taten. Die Rede bewegte sie nicht – kein gesprochenes Wort rief mehr eine Regung in ihr hervor – und alles, was Emotionen ausdrückte, seien es echte oder gespielte, ging völlig an ihr vorbei. War diese Frau, für die gesprochene Worte keine Gefühle mehr vermittelten, nun ebenso fasziniert und mitgerissen wie wir? Keineswegs. ‚Er ist nicht überzeugend‘, sagte sie. ‚Er spricht keine gute Prosa. Er gebraucht die falschen Worte. Entweder ist er hirngeschädigt, oder er hat etwas zu verbergen.‘ ( …) Das war also das Paradoxon der Präsidentenrede. Wir ‚Normalen‘ wurden, zweifellos beeinflußt durch unseren Wunsch, hinters Licht geführt zu werden, tatsächlich und gründlich hinters Licht geführt. Die Täuschung durch die Worte war, im Verein mit der Täuschung durch den irreführenden Tonfall, so gekonnt, daß nur die Hirngeschädigten davon unbeeindruckt blieben.“ (O. Sacks 1987, S. 115ff)