Dederike - Zum Dienen geboren

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Dederike - Zum Dienen geboren
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Dederike

Zum Dienen geboren

Dederike

Zum Dienen geboren

Lesbischer – BDSM – Roman

Swantje van Leeuwen

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar

1. Auflage

Covergestaltung:

© 2019 Susann Smith & Thomas Riedel

Coverfoto:

© 2019 Depositphotos.com

Dieses Werk enthält sexuell explizite Texte und erotisch eindeutige Darstellungen mit entsprechender Wortwahl. Es ist nicht für Minderjährige geeignet und darf nicht in deren Hände gegeben werden. Alle Figuren sind volljährig, nicht miteinander verwandt und fiktiv. Alle Handlungen sind einvernehmlich. Die in diesem Text beschriebenen Personen und Szenen sind rein fiktiv und geben nicht die Realität wieder. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Orten sind rein zufällig. Das Titelbild wurde legal für den Zweck der Covergestaltung erworben und steht in keinem Zusammenhang mit den Inhalten des Werkes. Die Autorin ist eine ausdrückliche Befürworterin von ›Safer Sex‹, sowie von ausführlichen klärenden Gesprächen im Vorfeld von sexuellen Handlungen, gerade im Zusammenhang mit BDSM. Da die hier beschriebenen Szenen jedoch reine Fiktion darstellen, entfallen solche Beschreibungen (wie z.B. das Verwenden von Verhütungsmitteln) unter Umständen. Das stellt keine Empfehlung für das echte Leben dar. Tipps und Ratschläge für den Aufbau von erfüllenden BDSM-Szenen gibt es anderswo. Das vorliegende Buch ist nur als erotische Fantasie gedacht. Viel Vergnügen!

Impressum

© 2019 Swantje van Leeuwen

Verlag: Kinkylicious Books, Bissenkamp 1, 45731 Waltrop

Druck: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN siehe letzte Seite des Buchblocks

»Leder, über meine Augen gelegt, das meine Sinne schärft. Ketten, die mich

halten. Ich lausche den Klangspuren, die du in den Raum zeichnest, erfühle mit meiner

Haut deinen Atem, deine Wärme. Du berührst mich mit zarten Fingerspitzen und

meine Nackenhärchen richten sich auf. Atem, gierig eingesaugt, füllt meine Lungen und wird als lustvolles Stöhnen wieder entlassen. Ich biege mich dir entgegen, möchte dich spüren, mehr, immer mehr.«

Floré Justine de Virisse (*1991)


Kapitel 1

Fast völlig entblößt standen die beiden Mädchen neben-einander. Die Brünette trug erotische hautfarbene Nylonstrümpfe mit Ferse und einer rückwärtig, am Bein verlaufenden Naht, die von einem breiten ›Vintage‹-Hüftgürtel von jeweils vier Strapsen gehalten wurden, und schwarze Riemchen-Pumps an ihren zierlichen Füßen, deren weinroten Sohlen man im Augenblick vielleicht erahnen konnte. Schulterlange Locken umrahmten die zarten, blassen Züge ihres Gesichts. Sie hatte etwas Anziehendes und gepaart mit ihrer Attraktivität bildete sie einen starken Kontrast zu ihrer Begleiterin.

Denn das Mädchen mit den kastanienbraunen, langen und glatten Haaren trug nur schlichte schwarze Halterlose und ihre Füße steckten in recht abgenutzten einfachen Pumps. Nichts an ihr hatte auch das Geringste von dem Flair, dass die Brünette ausstrahlte.

Während die Brünette klein und zerbrechlich wirkte, wies sie deutlich mehr Rundungen auf. Ihre Brüste zeigten ein gutes Mittelmaß – nicht zuviel, aber auch nicht zu wenig – und ihre Hüften waren etwas breiter. Dazu kam ein Gesicht, dass der liebe Gott einzig und allein zum Anlocken der Freier geschaffen hatte.

Die Arme der beiden Mädchen waren hinter ihren Rücken verschränkt. Mit sich fast berührenden Schultern standen sie da, ihre Füße leicht gespreizt und wartend.

Die Brünette wirkte ruhig und gelassen. Ihr hatte es noch nie etwas ausgemacht so dazustehen und zu warten. Es gefiel ihr sogar in dieser Haltung zu verharren, so lange wie es von ihr verlangt wurde, indessen die Kastanienbraune unruhig wirkte, gar ein wenig nervös, und von Zeit zu Zeit minimal, aber doch erkennbar schwankte. Im Gegensatz zur Brünetten schien ihr die erzwungene Knechtschaft deutlich zu missfallen.

»Was für ein hübsches Paar ihr doch seid«, flüsterte die Blondine vor sich hin, die sie von ihrem Stuhl aus beobachtete. »Eine Jungfrau und eine Hure«, fügte sie für sich allein, und die beiden unhörbar, hinzu. Ein süffisantes Lächeln umspielte ihre zarten, schwungvollen, roten Lippen, bei der Vorstellung, dass die Brünette noch so etwas wie eine Jungfrau sei. »Aber sei's, wie es sei ... Ich muss zugeben: Sie spielt ihre Rolle wirklich ausgezeichnet.«

»Hören Sie, Lady, ich sagte Ihnen bereits, dass ich nicht auf dieses bizarre Zeug stehe, okay?«, protestierte die mit dem kastanienfarbenen Haar, ohne wirkliche Überzeugung in der Stimme. »Ich mach's mit Mädels, ja, aber das hier ...«, fügte sie hinzu und verstummte, als die Blonde ihren unzufriedenen Blick auf sie richtete.

»Fihn! Rot op![1] Du kennst das Arrangement. Eintausend Euro für eine Nacht deiner Zeit. Wenn du es nicht willst, dann fehlt es in Amsterdam nicht an Nutten, die es haben wollen!« Mit ihren eisblauen Augen streifte sie den Schreibtisch auf dem ein Stapel frischer Einhundert-Euro-Noten lag.

Die Kastanienbraune mit den schwarzen Strümpfen folgte seufzend ihrem Blick und ließ, als sie sich ihrem Schicksal ergab, die Schultern hängen.

Wortlos wandte sich die blonde Frau wieder den Mädchen zu und legte ihren Ellbogen auf die Armlehne des Stuhls. Sie legte ihr Kinn in ihre Handfläche und musterte die Mädchen für eine Weile. »Dreht euch um, damit ich euch richtig ansehen kann«, flüsterte sie. Sie war keine Fremde in der Gesellschaft des Amsterdamer Rotlichtmilieus und genoss deren Gesellschaft, wann immer sie nach einer beruflichen Abwesenheit wieder zurück in ihre Heimatstadt und nach Hause kam. Und regelmäßig bezog sie die Brünette in ihr Spiel mit ein. In ihrem Kopf rasten die Gedanken hin und her, bei all den Möglichkeiten, die ihr die beiden boten, gepaart mit dem Nervenkitzel der Kontrolle.

Augenblicklich drehten sich die beiden Mädchen auf ihren hohen Absätzen herum.

Der Blondine gefiel, wie schnell die Brünette auf ihre Anweisung reagierte – ohne groß nachzudenken, während bei der Kastanienbraunen, die verzögerten Sekunden eine Ewigkeit anzudauern schienen. Sie genoss den Anblick der beiden in vollen Zügen, betrachtete ausgiebig deren Kehrseite, ließ ihre Blicke vom Kopf, über die im Rücken verschränkten Arme, bis hinunter zu den bestrumpften Füßen gleiten. »Legt eure Hände auf eure Hintern, dann beugt euch vor und spreizt eure Backen. Ich will eure Löcher sehen!«, befahl sie nun, und ergötzte sich daran, wie beide ihrer Anordnung nachkamen – wobei die Brünette auch diesmal deutlich schneller war. »Der liebe Gott, scheint mir, hatte einen ausgesprochen gut Tag, als er euch beide geschaffen hat«, lobte sie lächelnd. »Öffnet mir jetzt eure Schatzkästchen ... Schön die Lippen auseinander, damit ich sehen kann, wofür ich bezahle!«

Es brauchte keine Sekunde und die Brünette hielt ihre Venuslippen mit den Fingern beider Hände fest und zog das Kätzchen weit auf, um ihr den geforderten Einblick zu gewähren, indessen die andere einen Moment zögerte.

»Brauchst du eine Extra-Einladung?«, herrschte die Blondine sie auch gleich an. »Na, geht doch!«, stellte sie dann aber gleich fest. »Und jetzt aufrichten! Dreht euch einander zu und dann ganz dicht zusammenrücken! Schaut euch an!« Mit einer Handbewegung unterstrich sie, was sie von ihnen zu sehen wünschte.

Die Oberkörper der beiden kamen wieder nach oben. Dann wandten sie sich einander zu und traten so dicht zusammen, bis sich ihre Brüste aneinanderpressten und sich ihre Zehen fast berührten. Ganz wie befohlen starrten sie sich gegenseitig in die Augen.

»Ihr beide gebt schon fast ein romantisches Bild ab«, grinste die Blonde. Ihr gefiel, wie die Kastanienbraune leicht auf die etwas kleinere Brünette hinabschaute. »Wie süß das aussieht, wenn eure Nippel beim Atmen aneinanderstoßen!« Für einen längeren Moment überließ sie es ihnen sich anzuschauen, und sog die von beiden ausgehende Unruhe darüber in sich auf, was sie wohl als nächstes fordern würde. »Warum küsst ihr euch nicht für mich?«, schnurrte sie nach einigen Minuten in die eingetretene Stille, in der nur das Atmen der beiden im Raum zu hören gewesen war. Sie lehnte sich entspannt auf ihrem Beobachterposten zurück und legte ihre bestrumpften Beine damenhaft übereinander. Sie nahm das Bild der beiden Frauen in sich auf und das Gefühl von Nylon auf Nylon, das ihre Beine aussandten, die sie aneinander rieb, wenn auch nur minimal. Sie konnte spüren, wie ihre Erregung zunahm, zusätzlich angeheizt durch den Anblick, den die Mädchen ihr boten und das Empfinden der absoluten Macht, die sie in diesem Augenblick auf die beiden ausübte, indem sie ihnen ihre Wünsche diktierte.

Die Kastanienbraune wagte ein protestierendes Schnauben – ein schwacher Versuch ihrer Rebellion, doch dann lehnte sie wie verlangt ihren Kopf nach vorne und legte ihre rubinroten, sanft geschwungenen Lippen auf den zarten mädchenhaften Mund der Brünetten.

Anfangs zeigten sie sich nervös und zurückhaltend – jeder Kuss war nichts weiter als ein leichter unscheinbarer Hauch. Aber schon bald verloren sie sich im Moment und gaben ihren Wünschen nach. In kürzester Zeit umtanzten sich ihre hungrigen Zungen. Sie hatten ihre Augen fest geschlossen und ihre Lippen bewegten sich im Takt des aufreizenden Spiels hin und her.

 

Einige Minuten erlaubte ihnen die Blondine sich zu amüsieren. Sie studierte die Bewegungen, wie und wo sich die Körper berührten und aneinander rieben, während sich die beiden leicht wiegten. Dann stand sie auf und ließ den schwarzen Satinumhang von ihren Schultern gleiten.

In diesem Augenblick erblickte die Kastanienbraune sie aus den Augenwinkeln. Sie keuchte und hielt inne, während ihre Lippen weiterhin auf die der Brünetten gepresst waren. Zwischen den Beinen der Blondine hatte sie einen riesigen Dildo ausgemacht, der mit zahlreichen Lederriemen befestigt war, die sich um deren Taille schlangen, und der an ihrem Körper leicht herabhing.

Provozierend schwang die Blonde ihre Hüften, was das dicke Kunstglied wie ein fleischiges Metronom im Rhythmus ihres Verlangens schwingen ließ.

Die Augen der Kastanienbraunen weiteten sich. Sie brach den Kuss ab und öffnete ihren Mund, um ihrem Protest Raum zu schaffen.

»Denk er niet eens over na, teef![2]«, gab ihr die Blondine mit dem Lächeln einer Viper zu verstehen und fügte mit einem Unterton, der keinen Widerspruch duldete hinzu: »Jetzt werdet ihr euch beide über das Bett beugen. Lasst mich eure hübschen Fotzen sehen!«

»Ja, Meesteres«, erwiderte die Kastanienbraune recht kleinlaut und beäugte immer noch den sich wiegenden Phallus.

Die Brünette nickte ebenfalls. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich etwas wieder, das der anderen völlig fehlte: eine wissende Vorfreude auf das, was nun kommen würde. Und in ihren Augen lag ein begehrliches Verlangen, während sie die Blondine ansah.

Hand in Hand schritten die beiden Mädchen durch den Raum und ließen sich dann kniend vor dem Bett nieder. Sie legten ihre Oberkörper auf die seidenen Bettlaken und spreizten ihre Beine, um der Blondine ihre Schätze zu enthüllen, die dort versteckt lagen.

Wie beiläufig folgte ihnen die Blondine. Wie zuvor beobachtete sie jede einzelne Bewegung und erfreute sich an den Körpern der beiden. Begierig sog sie deren deutlich zu riechende, nervöse Besorgnis durch die Nase in sich ein, die erregend den Raum erfüllte, um sie lustvoll durch ihren Mund wieder frei zu geben. Oh, wie werde ich das genießen, dachte sie bei sich und ließ sich hinter der zitternden Kastanienbraunen nieder.

*

Um vier Uhr morgens verließ die Kastanienbraune den Raum – ausgelaugt und völlig erschöpft drückte sie die zehn Einhundert-Euro-Scheine an ihre Brust.

Kaum war sie gegangen drängten sich die Brünette und die Blondine auf dem Bett zusammen. Das zierliche Mädchen legte ihren Kopf liebevoll auf den Schoß der Blonden, die ihr mit ihren schlanken Fingern sanft und fürsorglich durch die Locken fuhr und zufrieden seufzte.

»Das war einfach wundervoll, dich zusammen mit einer anderen Frau zu beobachten«, flüsterte sie ihr dabei zu.

Die Brünette schnurrte wohlig vor sich hin. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ohne ein Wort zu sagen, strich sie hingebungsvoll mit ihrer Hand über die Innenseite des bestrumpften Oberschenkels der anderen.

Für einen Augenblick herrschte Schweigen.

»Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich dir etwas zum Spielen besorge«, lächelte die Blonde.

***


Kapitel 2

»Oh, hallo! Sie sind sehr früh dran! Warten Sie bitte einen Moment, ich lasse Sie sofort herein!« Warm und sanft klang die weibliche Stimme durch den Lautsprecher der Gegensprechanlage.

Dederike trat einen Schritt zurück und spähte durch das imposante schmiedeeiserne Doppeltor zum Haus dahinter.

Es war ebenerdig und makellos eingebettet in die Hügel, mit Blick auf die Außenbezirke Amsterdams, und von einer hohen gekalkten Mauer umgeben. Es sah sehr modern und sauber aus, irgendwie kantig und an eine Festung erinnernd, die keinen Hauch von Komfort verriet.

Nach einigen Sekunden begannen sich die beiden Flügel des Tores zur Seite zu öffnen, angetrieben von einem unsichtbaren Mechanismus, der irgendwo in den aufragenden Seitenpfeilern versteckt war.

Dederike atmete noch einmal kräftig durch. Dann schritt sie den langen Weg zur großen, einschüchternden Tür des Hauses hinauf. Dabei presste sie ihre Handtasche fest an sich. Plötzlich verspürte sie eine gewisse Nervosität und Besorgnis. Ich brauche diesen Job so dringend, dachte sie bei sich. Ich darf das einfach nicht vermasseln.

Als sie näherkam, schwang die Tür auf und eine Frau trat heraus, um sie zu begrüßen. Es war eine zierliche Brünette mit Porzellanhaut und zarten Gesichtszügen. Sie trug ein helles Sommerkleid mit einem hübschen Blumendruck, dessen Träger um ihren schlanken Hals gebunden waren. Schulter und Rücken waren frei und ihre blasse, makellose Haut war zu sehen. »Hello!«, grüßte sie freundlich. Ein warmes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Je moet Dederike zijn?[3]«

Dederike holte tief Luft. »Ja, ik ben Dederike de Jong[4]. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.« Sie streckte ihre schmale Hand aus, und als ihr Gegenüber sie nahm, zitterte sie ein wenig. »Wir haben miteinander telefoniert?«, fügte sie direkt hinzu, um ihre spürbare Unsicherheit zu überspielen.

»Ja, haben wir.« Die Frau musterte sie. »Sie haben also Kunstgeschichte studiert?«

Dederike wurde rot und erinnerte sich, dass sie ihr so viele Details wie möglich gegeben hatte, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Dabei war sie sich nicht einmal sicher gewesen, ob ihr Studienabschluss für die Tätigkeit einer Haushälterin überhaupt eine Rolle spielte. Aber sie hatte sich gedacht, dass es ja nicht schaden würde, es zu erwähnen. »Ah, ja«, antwortete sie mit einem Grinsen, »meine größte Torheit!«

Die Brünette lächelte sie an und legte ihren Kopf leicht zur Seite. »Ach, Quatsch«, erwiderte sie, »wie können Sie das nur sagen? Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn wir vergessen, was wir gelernt haben!«

»Das Zitat hab' ich schon mal gehört«, nickte Dederike. »Aber so wird es wohl sein. Nur wird das heute von vielen nicht mehr so gesehen. Für die kommt das Wort Bildung von Bildschirm und nicht von Buch, denn dann würde sie ja Buchung heißen.«

»Stimmt. Wir leben zwar alle unter dem gleichen Himmel, haben aber nicht alle den gleichen Horizont«, lachte die Brünette.

Dederike schloss sich ihr an. Die angenehme, zwanglose Art ihres Gegenübers beruhigte sie.

»Wie auch immer. Ich bin Kristiina van der Linden«, stellte sich die Zierliche nun vor. »Es ist sehr schön Sie zu treffen. Möchten Sie nicht hereinkommen?« Noch während sie fragte, trat sie zur Seite und winkte ihre Besucherin ins Haus.

Dederike lächelte sie wieder an. Dann nickte sie und trat durch die Tür an ihr vorbei.

Der Kontrast zwischen dem Äußeren und dem Inneren war schockierend. Von außen sah das Haus kalt und auf gewisse Weise imposant aus, mit seiner unscheinbaren, weißen Fassade, die nichts von seinem wahren Charakter verriet. Aber das Innere stellte das exakte Gegenteil dar. Alles wirkte warm, einladend und verzauberte mit endlosen persönlichen Details.

Als Dederike die breite Eingangshalle betrat, schaute sie sich neugierig um und bestaunte das üppige Holzdekor und die edlen Möbel. Das hier war Welten von ihrem Zimmer im Studentenwohnheim oder dem beengten Einzimmerappartement, dass sie gemietet hatte entfernt. Die beruhigende, anheimelnde Wärme des Hauses nahm sie gefangen und sorgte dafür, dass sie sich auf der Stelle wohl fühlte.

»Kommen Sie! Wir unterhalten uns im Wohnzimmer. Es ist gleich dort«, schlug Kristiina vor und deutete durch einen breiten Rundbogen in einen weiten, offenen Raum dahinter.

»Ja, graag, dank je.[5]« Dederikes Absätze klackerten laut auf dem Eichenboden als sie eintrat.

»Ich hoffe, Sie verzeihen uns. Ich habe gerade eine ›WhatsApp‹ von MC bekommen. Der Verkehr auf der ›Kinkerstraat‹ ist anscheinend mal wieder so schlimm, dass wir noch etwas warten müssen, ehe wir loslegen können.« Kristiina schaute ihre Gästin fragend an. »Vind je dat goed?[6]«

Dederike nickte, schließlich wollte sie sich von ihrer besten Seite und flexibel zeigen. Schweigend verspürte sie plötzlich Kristiinas Hand an ihrem Oberarm, eine intime Geste, die freundlich von ihr gemeint war, für sie aber fehl am Platz wirkte.

»Ausgezeichnet! Bitte nehmen Sie Platz«, forderte Kristiina sie auf. »Ich habe gerade einen Kaffee gekocht. Möchten Sie einen?«

Dederike lächelte. »Einen Kaffee würde ich sehr gern nehmen ... Weiß, keinen Zucker, wenn das in Ordnung ist?«

»Natürlich. Ich bin gleich wieder da.« Kristiina machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich in Richtung des Küchenbereichs.

Dederike schaute sich um. Sie nahm ihre Umgebung in sich auf und bewunderte die Aussicht durch die riesigen, dominierenden Glastüren an der gegenüberliegenden Wand des Raumes, durch die sie über eine Terrasse auf einen makellosen, azurblauen Swimmingpool blickte. Oh, mijn God!, dachte sie bei sich. Ik moet deze baan krijgen.[7]

Als sie sich auf dem bequemen Sofa niederließ und wartete, dachte sie darüber nach, wie sie hierher gekommen war. Sie musste sich eingestehen, dass sie in letzter Zeit vom Pech verfolgt war und keineswegs alles so lief, wie sie sich das ausgemalt hatte. Ihr Studienabschluss mit Schwerpunkt Kunstgeschichte hatte sich als Schlag ins Gesicht erwiesen, als ihr klar geworden war, dass sich nur sehr wenige Menschen für Kunst oder Geschichte interessierten, geschweige denn für Kunstgeschichte. Wenn sie in den USA, in San Francisco oder New York, oder vielleicht in London, leben würde, hätte sie vermutlich mehr Glück gehabt, aber die beruflichen Aussichten mit ihren Qualifikationen waren in Holland und dem näheren Ausland praktisch gleich Null. Es schien niemanden zu interessieren, dass sie Cheerleaderin, Schulsprecherin oder Abschlussbeste ihres Studienjahrgangs an ›Zuyd University of Applied Sciences‹ in Maastricht gewesen war. All die potentiellen Arbeitgeber hatten sich ausschließlich für ihre Erfahrung und ihr daraus resultierendes Wissen interessiert – aber diesbezüglich hatte sie nichts vorzuweisen. Sie hatte sogar versucht, ihr Röckchen zu heben, extra halterlose Strümpfe angezogen, sich in ihren Ausschnitt sehen lassen und ihr hübsches Gesicht genutzt, mit dem sie gesegnet war. Aber selbst das hatte nur dazu geführt, dass eine Reihe Männer mittleren Alters und sogar einige Frauen sie auf despektierliche Weise genauer unter die Lupe nehmen wollten.

Ja, es war sogar schlimmer noch. Denn sie hatte schnell feststellen müssen, dass sie auch für weniger anspruchsvolle Arbeiten nicht in Frage kam, weil überqualifiziert, und sich Burgerrestaurants und andere Esslokale ebenso regelmäßig von ihr abwandten.

Sie wollte bereits aufgeben und ihre Eltern anrufen, in der erniedrigenden Aussicht, sie um Hilfe zu bitten und zu akzeptieren, was sie ihr schon viel zu oft gesagt hatten: Es gibt Studienabschlüsse, die können ein wahrer Mühlstein sein und sind nicht gerade von Vorteil. Mit schwerem Herzen hatte sie daraufhin einen letzten Blick in die Kleinanzeigen der kostenlosen Wochenzeitung geworfen, in der Hoffnung, doch noch etwas halbwegs Passendes für sich zu finden. Und dabei war ihr eine Anzeige ins Auge gefallen, die es geschafft hatte ihr Interesse zu wecken:

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Hausmädchen

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Sie war sich nicht sicher gewesen, was es mit dem knappen, bescheidenen Text auf sich hatte. Einzig und allein der zierliche Rahmen hatte die Anzeige zwischen all den farbenfrohen ›Homework‹-Betrügereien und Fast-food-Stellenanzeigen ein wenig herausgehoben. Und genau deshalb hatte sie ihren Blick auf den Text gelenkt. So altmodisch er auch rüberkam: Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, hatte sie die Nummer gewählt und ihre Weichen gestellt.

Und jetzt saß sie in dem opulentesten Haus, in dem sie je gesessen hatte, fühlte sich merkwürdig ›underdressed‹ und deplatziert neben der bezaubernden und anmutigen Kristiina van der Linden. Sie fragte sich, wie wohl deren Ehemann war, dieser mysteriöse MC. Sie sah sich aufmerksam im Raum um und hoffte, eine Fotografie zu finden, aber das Paar schien abstrakte Kunst und eklektische Stilelemente Bildern von sich selbst vorzuziehen. Wie auch immer MC van der Linden war, er musste beruflich äußerst erfolgreich sein, denn solch ein Haus in bester Lage, schätzte sie leicht und locker auf zwei Millionen Euro ein.

 

*

Das metallische Klappern der Pfennigabsätze auf dem Holzboden kündigte Kristiina van der Lindens Rückkehr an.

Mit einem Lächeln drehte sich Dederike zu ihr um. Jetzt war sie völlig entspannt und begann sich im Haus und in Gegenwart der Eigentümerin wohl zu fühlen.

Kristiina näherte sich dem Sofa und stellte ein reich verziertes silbernes Tablett mit drei feinen Porzellantassen auf den dazugehörigen Tisch.

Dederike kam nicht umhin, zu beobachten, wie sich das lockere Sommerkleid fest über den Hintern ihrer Gastgeberin zog, derweil diese sich bückte, und auch die feine Naht, die rückwärtig an ihren Beinen hinauflief, entging ihr nicht – im Zusammenhang mit den sich abzeichnenden Strumpfhaltern ein klarer Hinweis darauf, dass es sich um hauchzarte, sommerliche, hautfarbene Nylonstrümpfe handelte. Da zeichnet sich ja nicht einmal ein Höschen ab, du Luder!, ging es ihr durch den Kopf, und sie fühlte sich deshalb sofort schuldig. Solche verwerflichen Gedanken entstammten noch ihrer Zeit als Cheerleaderin, doch hatte dieses Relikt jetzt keinen Platz mehr in ihrem Leben.

»Ich bin sicher, dass MC in ein paar Minuten hier sein wird. Normalerweise ist der Verkehr nicht so schlimm«, bemerkte sie entschuldigend und setzte sich ihr gegenüber.

Während Dederike zu ihr hinübersah, richtete sich ihre zierliche brünette Gastgeberin auf, hielt ihren Hals und ihre Wirbelsäule perfekt gerade und legte ihre Hände flach auf ihren Schoß. Es war etwas Besonderes an ihrer Haltung, das sie nicht einzuordnen wusste: etwas Starres und Anständiges. Sie musterte Kristiina im Versuch die junge Frau richtig einzuschätzen, die vielleicht gerade einmal ein paar Jahre älter als sie selbst war. Sie wirkte als sei sie aus Porzellan, irgendwie puppenartig, mit einer süßen Stupsnase und großen, braunen Augen. Ihr Make-Up war auf ein Minimum reduziert und sie schien es bei ihrem frischen, jugendlichen Teint auch nicht wirklich zu brauchen.

Während sie Kristiina studierte, schien diese mit ihr dasselbe zu tun. Sie saß schweigend da und sah Dederike an. Es wirkte als sei sie halb in Trance, derweil sie ihre Augen, dunkel wie ein romantischer Teich in dem man nur zu gern baden geht, musternd über den Körper ihrer Gästin gleiten ließ.

Reflexartig fühlte Dederike, wie sie Kristiinas Pose spiegelte, ihren Rücken aufrichtete und ihren Kopf anhob. Ein Kratzen in ihrem Hals, ließ sie die Stille zwischen ihnen ungewollt durch ein leichtes Räuspern unterbrechen. Sie griff nach vorn, um sich ihre Tasse Kaffee zu holen. »Ist die Frage erlaubt, was Sie beruflich machen, Vrouw van der Linden?«, fragte sie, um zumindest irgendeine Frage zu stellen und ein Gespräch in Gang zu setzen.

Kristiina lächelte.

Dederike wurde jetzt zum ersten Mal klar, dass es wie eine bemalte Fassade wirkte, eine autonome Reaktion, die androidenartig und oberflächlich wirkte. Unwillkürlich fragte sie sich, was diese Frau unter diesem hübschen, jugendlichen Gesicht wirklich dachte.

»Oh, ich denke, man könnte mich gut und gern eine Hausfrau nennen. Ich kümmere mich um MC«, erwiderte Kristiina. Sie ließ den Satz so im Raum schweben, als ob es dem noch etwas hinzuzufügen gäbe, aber sie von etwas zurückgehalten wurde, es auszusprechen.

Dederike war es nicht entgangen. Sie begann darüber nachzudenken, welche Geheimnisse es in diesem Haus wohl gab. Ihr bisheriges Gefühl der Sicherheit und des Trostes war leicht erschüttert. Welchen Einfluss hat ihr Ehemann auf sie? Was ist die Wahrheit in dieser Beziehung?, fragte sie sich.

Noch während sie darüber nachdachte, vernahm sie die aufschwingende Haustür, worauf auch Kristiina sich in Richtung Flur drehte.

*

»Ah, MC ist gekommen!«, erklärte Kristiina. In ihrer Stimme lag die unverkennbare Note ihrer Aufregung. Sie sprang auf und schritt auf ihren High Heels schnell durch den Raum, wobei sie winzige Schritte machte, die unreif und kindlich wirkten – weit entfernt von dem selbstbewussten Gang, den sie zuvor gezeigt hatte.

Dederike erhob sich, richtete ihr Kleid, strich eine vorwitzige Haarsträhne hinters Ohr und wartete auf das Erscheinen von Kristiinas Ehemann.

Nach wenigen Sekunden kehrte Kristiina van der Linden in den Salon zurück.

Dederike schnappte nach Luft, als sie sah, wer ihr folgte. Nur zwei Schritte hinter der attraktiven Brünetten erschien eine andere Frau – eine große, schlanke Blondine mit kurzen, fast schneeweißen Haaren und einem auffallend schönen Gesicht. Ihr Verstand raste, und sie schalt sich innerlich wegen ihrer Vorurteile, schockiert darüber, dass Kristiina van der Linden mit einer anderen Frau verheiratet war. Und sie verfluchte sich, weil sie deshalb so verwirrt wirkte.

Die Blonde trat an ihrer Frau vorbei und auf Dederike zu. Sie grinste leicht, als sie deren Unbehagen spürte.

Sie war eine beeindruckende Gestalt, die Dederike in ihren High Heels um mindestens fünfzehn Zentimeter überragte. Sie trug einen grauen Hosenanzug, der maßgeschneidert und teuer wirkte. Er passte perfekt zu ihr und betonte ihre Hüften und Brüste. Ihre bestimmt zwölf Zentimeter hohen Pumps hatten Pfennigabsätze, und die zahlreichen schmalen Riemchen umschlossen auf aparte Weise die schlanken Fesseln ihrer bestrumpften Füße. Ihr Schritt war kraftvoll, sehr bestimmend – ohne jedes Stocken oder Schwanken.

»Hello! Ik ben Marieke Colien van der Linden. Maar MC is ook genoeg[8]«, stellte sie sich vor und bot Dederike selbstbewusst die Hand. Ihre Stimme war tief und rau, mit einer immateriellen Sinnlichkeit, die schwer zu ignorieren war. »Sie müssen Dederike sein, mit einem Master in Kunstgeschichte«, fügte sie mit einem ironischen Lächeln hinzu.

Dederike fühlte, wie eine warme Röte ihren Nacken hinaufkroch und sich über ihr Gesicht ausbreitete. Als sie Mariekes festen Händedruck nahm, sah sie zu Kristiina hinüber, die hinter ihrer statuenhaften Frau stand und diese mit einem Ausdruck anstarrte, der anbetend wirkte. »Jjjaaa ..., ik ben Dederike. Ik ben heel blij je te ontmoeten[9]«, schaffte sie es zu antworten.

»Ausgezeichnet. Dann sollten wir über den Job reden.« Marieke kam direkt auf den Punkt und deutete auf das Sofa, von dem Dederike sich gerade erst erhoben hatte.

Dederike beschlich das seltsame Gefühl, als habe sie es ihr gerade nicht erlaubt, sich zu setzen, sondern es befohlen – sodass sie gezwungen war ihr zu gehorchen. Fast ohne nachzudenken, setzte sie sich zurück auf die Couch und richtete sich auf, wobei sie die Haltung nachahmte, in der sich Kristina zuvor niedergelassen hatte.

Auf dem Absatz drehte sich Marieke um, trat zu dem anderen Sofa und ließ sich dort anmutig nieder. Dann wandte sie sich nach links und klopfte auf ein Kissen neben sich.

Sofort wechselte Kristiina ihren Platz und setzte sich zu ihr.

Zum ersten Mal sah Dederike die beiden Frauen zusammen und bemerkte die Unterschiede zwischen ihnen. Sie schienen perfekte Gegensätze zu sein: groß und zierlich; befehlend und gewinnend; blond und brünett. Aber trotz all ihrer Unterschiede passten sie perfekt zusammen, wobei jede die perfekte Ergänzung zur jeweils anderen darstellte.

Dederike fühlte wie ihr Herz raste. Plötzlich machte sie die seltsame Paarung vor ihr sehr nervös. Es war nicht so, dass sie etwas gegen lesbische Beziehungen als solche hatte, nur hatte sie bislang nichts damit zu tun gehabt. Das Konzept war ein anderes, nicht ihres. Sie war ein kleines Mädchen aus Zwolle und dort mit traditionell christlichen Werten aufgewachsen – und dementsprechend hätte sie jedem, der sie danach gefragt hätte gesagt, dass für sie eine Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden sollte. Aber sie war auch eine Universitätsabsolventin und hatte es geschafft, sich einigermaßen von ihrer Erziehung zu befreien. Sie war nach Amsterdam gezogen, um bessere Arbeitschancen zu haben, ihren Horizont zu erweitern, neue Leute kennenzulernen und etwas über verschiedene – andere – Lebensweisen zu lernen. Sie war keine Fanatikerin und hatte sich schon wiederholt die alljährlich Anfang August stattfindende ›Gay Pride‹ angesehen, und verzaubert mit tausend anderen die ›Canal Parade‹ bestaunt, bei der Heteros, Schwule, Lesben und Transgender die Gleichheit feiern. Sie hatte sogar Fotos gemacht, so sehr hatte ihr die Parade der geschmückten Boote auf ›Prinsengracht‹ und auf einem der Teil der ›Amstel‹ gefallen und das Zeichen, dass ihr Heimatland in Bezug auf Toleranz gegenüber Schwulen, Lesben und Transgendern damit in die Welt sandte. Und sie hatte sich sogar einmal dabei erwischt, dass sie gern inmitten all dieser exotisch, bizarr und sehr erotisch gekleideten, fröhlichen Menschen mitgemacht hätte. Aber schlussendlich war sie feige gewesen – und ganz sicher naiv.