Die Gilde der Rose

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Die Gilde der Rose
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Talira Tal

Die Gilde der Rose

Dämonenfessel

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Danksagung

P R O L O G

K A P I T E L 1

K A P I T E L 2

K A P I T E L 3

K A P I T E L 4

K A P I T E L 5

K A P I T E L 6

K A P I T E L 7

K A P I T E L 8

K A P I T E L 9

K A P I T E L 10

K A P I T E L 11

K A P I T E L 12

K A P I T E L 13

K A P I T E L 14

K A P I T E L 15

K A P I T E L 16

K A P I T E L 17

K A P I T E L 18

K A P I T E L 19

K A P I T E L 20

K A P I T E L 21

K A P I T E L 22

K A P I T E L 23

K A P I T E L 24

K A P I T E L 25

K A P I T E L 26

K A P I T E L 27

K A P I T E L 28

K A P I T E L 29

K A P I T E L 30

K A P I T E L 31

K A P I T E L 32

K A P I T E L 33

K A P I T E L 34

K A P I T E L 35

K A P I T E L 36

K A P I T E L 37

K A P I T E L 38

K A P I T E L 39

K A P I T E L 40

K A P I T E L 41

K A P I T E L 42

K A P I T E L 43

K A P I T E L 44

K A P I T E L 45

K A P I T E L 46

K A P I T E L 47

K A P I T E L 48

K A P I T E L 49

K A P I T E L 50

K A P I T E L 51

K A P I T E L 52

K A P I T E L 53

Und zum guten Schluss …

Buchempfehlungen

Impressum neobooks

Danksagung

Ich freue mich meinen Roman „Die Gilde der Rose“ –Dämonenfessel, präsentieren zu können.

An dieser Stelle möchte ich mich vor allen Dingen bei Frank Vollmann bedanken. Unermüdlich stand er mir, seit ich mich 2015 entschlossen hatte, das Buch endlich zu veröffentlichen, mit Rat und Tat zur Seite.

Einen Riesendank an meine Testleser. Ruth Wirth, Sabina Samuel, Steffie Pee, Ursula Zaweja, Jill Dießner, Silke Dudek und ganz besonders Elke Krüßmann.

Und vielen, vielen Dank an die Gewinnerinnen der Rollen im Buch. Gerne haben sie nicht nur freundliche Rollen übernommen. Yasemin Wolf, die nicht nur ihren Namen gegeben hat, sondern auch den handschriftlichen Brief selbst geschrieben hat.

Viktoria Keller, Jenny Rei und Jenny Böhringer und Shanti.

Vor allen Dingen ein DICKES DANKESCHÖN an die talentierte Designerin Mai Cover für das wunderschön gestaltete Buchcover!

Ebenfalls geht mein Dank an Simone Wilhelmy für das Wappen der Gilde der Rose.

Ich danke allen die mich unterstützt haben und an mich glauben.

Für Oma Ilse

und

meinem Sohn Hendrik, meinem größten Fan

P R O L O G

In einer uralten Chronik findet man einen Bericht, der Unglaubliches offenbart. Viele Jahre wurde der Text von den Anhängern der großen Mutter allen Seins übertragen. Der Bericht handelt von einer Begegnung des Guten mit dem Bösen und von der Entstehung einer mächtigen magischen Blutlinie: Die Hexen der Familie Rose.

Die Erdmutter wurde von den Menschen als Göttin verehrt. Sie wurde mit Mater Magna, Hekate oder Diana, Gaia und vielen anderen Namen angesprochen. Ihre Aufgabe war es, das Gleichgewicht des Lebens zu erhalten. Hekate ist ebenfalls die Urmutter aller Hexen.

Die Erdmutter war wunderschön, äußerlich sowie in ihrem Inneren. Ihre Seele war rein. Das bemerkte ein Engel im Himmel. Er beobachtete die große Mutter eine ganze Weile, bis er es nicht mehr aushielt und auf die Erde kam, um ihr seine Liebe zu gestehen. Auch die Erdmutter entflammte für den Cherub, der ihr bei jedem Treffen Rosen mitbrachte. Aus der Verbindung der beiden sich Liebenden ging ein Mädchen hervor.

Eines Tages kehrte der Gottesbote nicht mehr zu seiner Familie zurück. Die Urmutter weinte bittere Tränen, aus denen Flüsse, Seen und Meere entstanden. Sie riet ihrer Tochter, sich niemals fest an einen Mann zu binden. Es würde nur Unglück bringen!

Es verging einige Zeit, bis das Kind seine Mutter in den Armen eines exotischen Mannes vorfand. Der Fremde hatte ein fein geschnittenes Gesicht, lediglich seine zwei Hörner störten das attraktive Antlitz. Das Kind fragte sich, ob er ein Mensch oder ein Tier war.

Der Mann gab sich herzlich, erklärte der Kleinen, dass er ihr verschollener Vater wäre. Gott hätte ihn für den Frevel eine Familie gegründet zu haben, im Himmel geläutert. Er hätte ihm die Flügel abgehackt. Als Beweis zog der Mann einen Lederbeutel hervor, in dem er die blutigen Überreste eines Flügelstumpfs aufbewahrte. Ohne seine Flügel hätte Gott ihn herzlos auf die Erde geworfen. Ihm wäre nichts wichtiger gewesen, als zu seiner Familie zurückzukehren.

Der Teufel, der in Wirklichkeit mit dem Mädchen sprach, hatte seine eigene Geschichte, wie er aus dem Himmel verbannt worden war und zurück auf die Erde kehrte, etwas abgeändert.

Er war es gewesen, der dem Engel aufgelauert und diesem seine Flügel abgehackt hatte. Anschließend hatte er sein Blut getrunken, um dem Himmelsboten ähnlich zu sehen. Der ausgelöschte Cherub wurde zu einem Felsen versteinert.

Das Mädchen blieb misstrauisch, vertraute dem Mann nicht. Dieser wollte sie zu Egoismus und Machtgier erziehen. Das Kind bemerkte, wie die eigene Mutter sich unter dem Einfluss des zurückgekehrten Geliebten veränderte. Wenn sie vorher für die Ernte der Mensch gesorgt hatte, ließ sie die Felder absichtlich verdorren, sodass die Menschen hungerten und sich gegenseitig bekämpften. Die Erklärungen des angeblichen Vaters ergaben für das Mädchen keinen Sinn.

 

Als der Teufel sich ebenfalls das Mädchen zur Frau nehmen wollte, um sie genau wie die Mutter mit seinem Gift zu betäuben und zu manipulieren, wies ihn das Kind auf die Liebe der Mutter hin. Sie wollte sie nicht verletzen.

Luzifer lachte gehässig und erklärte: „Wenn ich dich nicht haben kann, werde ich auch sehr traurig sein! Ich habe dir doch beigebracht, dir selbst immer die Nächste zu sein!“

Das Mädchen floh, und der Gehörnte folgte ihr. Noch bevor er das Kind erreichen konnte, schoss eine dichte Rosenhecke aus der Erde. Die Hecke war nicht zu überwinden oder seitlich zu umgehen. Der Höllenfürst verlor die Spur des Mädchens. Die Rosen mit ihren Dornen malten sich bei jedem Kontakt, schmerzlos in die Fußsohlen des Kindes. Es würde ein ewiges Zeichen dieser Linie der Hexen sein.

So spaltete sich die Gilde der Rose von den anderen Hexen ab. Die Frauen dieser Gilde binden sich bis zum heutigen Tag an keinen Mann und nutzen ihre starke Magie ausschließlich nur zum Guten.


Das Wappen der Gilde der Rose

K A P I T E L 1

Dortmund anno 1601

Ihre Lunge brannte, und sie glaubte, ihr Herz würde explodieren. Mit aller Kraft klammerte sich das Mädchen an die Hand ihrer Mutter und wünschte sich sehnlichst, sie würde sie wieder tragen. Die kleinen Füße konnten mit dem Tempo der Frau nicht mithalten.

»Freyja, eile dich. Ich kann dich nimmer auf diesem engen Pfad tragen«, rief die Mutter ihr gehetzt zu.

Der Pfad auf dem die beiden liefen war so schmal, dass keine zwei Personen nebeneinander hergehen konnten. Gesäumt war der Weg von dichtem, stacheligem Buschwerk und hohen Bäumen, die ihre Äste wie Finger nach den beiden Flüchtenden ausstreckten.

Eilen? Sie konnte einfach nicht schneller und die Angst, die ihre Mutter ausstrahlte, machte ihr schwer zu schaffen. Wo ist meine Großmutter? Was ist geschehen? So viele Fragen wirbelten in ihrem Kopf herum.

Die spitzen Steine, über die ihre nackten Füße liefen, taten weh, und sie war froh, als ihre Mutter endlich anhielt. Sie ballte die Hand, die ihre Mama so fest gedrückt hatte, zu einer Faust. Aber diese Pein war nichts gegen den Schmerz, der sie urplötzlich durchflutete. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, so intensiv war es. Wehrlos drückte sie ihr Gesicht gegen den Leib ihrer Mutter. Es tut so weh! Dieses Leid war nicht körperlich. Nein, es war vielmehr mental und durchlief sie in heißen Wellen. Es machte ihr Angst, denn diese Qual bedeutete, dass jemand litt, der sie sehr liebte. Normalerweise schützte sich das vierjährige Kind vor seelischen Attacken, indem es eine unsichtbare Blase um sich herum erzeugte. Dann konnten die negativen Gefühle ihr von Außen nichts mehr anhaben. Aber dieses Mal war es zu mächtig. Sie hatte ein paar Mal den Versuch gewagt, ihr imaginäres Schutzschild zu erschaffen, aber es wollte ihr einfach nicht gelingen, und sie fühlte, dass es ihrer Mutter genauso erging. Nur langsam verebbten die Schreie, die von dem Dorf, welches unterhalb des sich hoch in die Berge schlängelnden Pfades lag, zu ihnen hallten.

Dort standen Mutter und Tochter und klammerten sich verzweifelt aneinander. Die Hände der Frau lagen auf den Ohren des Kindes, um sie vor den Schreien zu schützen. Sie durchdrangen das Mädchen wie ein Sturm.

Der beißende Geruch, der in der Luft lag, schien ihre Lungen zu verkleben. Er hatte seinen Ursprung in dem Feuer, welches inmitten des Marktplatzes prasselte. Alles roch nach verbranntem Fleisch.

Das Kind erinnerte sich an ein grausames Erlebnis: Es waren Ochsen! Ihr Unterstand war vom Blitz getroffen worden und hatte Feuer gefangen. Die Tiere hatten sich nicht ins Freie retten können. Damals hatte es genauso gestunken wie in diesem Augenblick.

Das Mädchen wurde unruhig. Es wollte fort von diesem Ort, von diesem Gestank und diesen Schmerzen, die sie bald nicht mehr würde ertragen können.

Ihr Blick wanderte hoch zu dem Gesicht ihrer Mutter. Tränen schimmerten in deren smaragdfarbenen Augen. Die erste Träne suchte sich ihren Weg, rann die Wange hinab.

»Axara, du musst mit Freyja fliehen.« Die Stimmen, die einem Echo gleich erklangen, lösten Mutter und Tochter aus ihrer erstarrten Haltung. Es waren zwei Vögel, die auf den ersten Blick wie gewöhnliche Spatzen aussahen. Bei näherem Hinsehen erkannte man aber, dass ihr Gefieder golden glänzte. Außerdem beherrschten sie die menschliche Sprache, und wenn sie redeten, taten sie es meistens synchron. Die beiden ließen sich auf einem dicken Ast einer knorrigen Eiche nieder, sodass sie mit der Frau auf Augenhöhe sprechen konnten.

Die Frau richtete ihre Kapuze, die der stürmische Wind ihr vom Kopf gerissen hatte. Sie strich ihrer Tochter zärtlich über die rotblond geflochtenen Zöpfe und blickte zu ihren beiden Vögeln hinüber. »Blitz und Donner, wo habt ihr verweilt? Mich plagte schon Sorge, dass wir ohne euch dieses verlogene Dorf verlassen müssten. Mich hält hier nichts mehr. Mutter hat immer nur geholfen, niemals jemandem Leid zugefügt. Warum haben sie bloß so über sie gerichtet?« Heiser, beinahe zerbrechlich klang ihre Stimme.

»Axara, der Dämon hat ihr Unrecht getan, er ist auch hinter dir her. Er hatte mit dem Dorfbüttel Hannes geschwatzt. Wir haben alles mit angehört!« Erneut zwitscherten sie gleichzeitig. Doch dann veränderte sich ihre Melodie. Es wurde nun deutlich, dass sie das gehörte Gespräch nachspielten.

Donners Stimme klang wie Samt und Seide. So weich, man wollte in ihr versinken. Es war der Dämon, den er nun imitierte: »Gehabt euch wohl, Junker Hannes.«

Blitz antwortete in kratzigem Ton. Er lispelte leicht, keuchte zwischen den einzelnen Vokalen: »Gehabt Euch wohl, Edelmann. Wie darf ich Euch ansprechen?«

»Namen sind Schall und Rauch, Dorfbüttel Hannes. Verratet mir lieber, ob ich Euch meinen Met anbieten darf?«

»Zu Met sage ich doch niemals nein. Sehr gerne.«

Eine kleine Pause folgte, bis der Vogel weitersprach: »Sagt Junker Hannes, mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr eine Hexe gefangen habt. Prost auf den großartigen Hexenjäger!«

»Zum Wohle, Schall ... äh ... Herr Edelmann. Da habt Ihr recht vernommen. Die alte Katharina Rose weilt in der Arreststube unseres Rathauses. Aber mich dünkt, dass sie nicht ganz gewiss der Hexerei bezichtigt werden kann. Die Witwen Kampmann und Scheller gaben bereits zu Protokoll, dass sie die alte Rose nachts in den Wäldern splitternackt bei Vollmond haben tanzen sehen. Am nächsten Tag wären ihre Eier faul und die Milch sauer gewesen. Katharina Rose gesteht aber nicht.«

»Aber Junker Hannes, mir ist ebenfalls zu Ohren gekommen, dass Ihr vor der alten Rose bereits zwei Hexen habt laufen lassen. Das ist Eurem Ruf als Hexenjäger aber bei Gott nicht dienlich.«

»Ja, ja. Das ist recht und ein wahres Ärgernis.«

»Nun, vielleicht helfen einige dieser Goldtaler und ein guter Rat von mir.«

»Gold? Und dann noch ein guter Rat? Warum wollt Ihr Katharina Roses Verurteilung?«

Donner imitierte das kalte Lachen des Fremden. Es passte so ganz und gar nicht zu der melodisch klingenden Stimme. »Ich hatte um die Hand von Axara Rose angehalten. Die Alte hat mich von ihrem Grundstück gejagt.«

»Axara Rose? Ihr wisst, dass sie mit einem Bastard belastet ist?«

»Ja, ich würde das Weib sogar mitsamt dem Balg nehmen.«

»Das ist eine wahre Wohltäterschaft, Herr ... wie war doch gleich Euer Name?«

»Schall und Rauch! Katharina Rose wird alles gestehen, wenn Ihr der Alten sagt, Ihr hättet den kleinen Bastard in Eurer Gewalt.«

»Hmm, fürwahr ein teuflischer Plan, aber dennoch siegversprechend. Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin. Die kleine Freyja ist ihr Ein und Alles.«

»Aber guter Junker Hannes. Ihr könnt doch nicht alles bedenken. Es reicht mir aus, wenn Ihr die Befragung so deichselt, dass die Alte endlich gesteht und der Stadtrichter sie zum Tode verurteilt. Dann hole ich mir Axara Rose und das Balg.«

Blitz und Donner hatten mit ihrer Vorstellung geendet, und nun wurden sie auf einmal sehr eindringlich. »Deshalb musst du mit dem Kinde fliehen, Axara. Er hat bekommen, was er wollte, die ehrwürdige Katharina Rose ist tot. Er will dich besitzen.«

»Ein Dämon ist es? Wirklich? Wie könnt ihr euch dessen so sicher sein?«

»Wir haben seine höllische Aura sehr deutlich gespürt«, zwitscherten die beiden Vögel wieder wie aus einem Schnabel.

»Er wird unsere magische Spur verfolgen.« In der Stimme der Frau flackerte Panik auf, und auch dem Mädchen wurde nun deutlich, was da unten im Dorf geschehen war. Sie hatten ihre Großmutter getötet. Nun verstand sie ihren Schmerz und fühlte sich dennoch so hilflos.

»Du musst die höhere Macht um Hilfe bitten. Nur sie kann euch vor ihm beschützen. Eile dich, Axara, ehe er hier auftaucht«, zwitscherten die beiden Vögel und trieben die Frau zur Eile an.

K A P I T E L 2

Essendia anno 1616

-Stift Rellinghausen-

Es stank nach Schimmel und Fäulnis. Ich fror erbärmlich. Hier gab es keine Decke, die mich wärmen konnte. Ich kauerte in einer Ecke meines zwei mal zwei Klafter großen Gefängnisses. Die Kammer war niedrig, aber mit meiner Körpergröße von 5,3 Fuß konnte ich problemlos in ihr stehen. Mittlerweile war ich dafür zu schwach. Der Boden der Zelle war mit gammeligem Stroh ausgelegt. Außer meiner Näpfe für Essen und Trinken enthielt mein Gefängnis nichts.

An der Wand klebte getrocknetes Blut, Überreste von den Menschen, die vor mir hier inhaftiert waren. Möglicherweise ebenfalls zu Unrecht beschuldigt, weil andere Dorfbewohner falsch Zeugnis ablegten. Vielleicht waren sie aber auch Diebe und Mörder.

Ich hatte meine Beine an meinen Körper gezogen, sie mit meinem Rock bedeckt. Zwei Ratten saßen unweit von mir und ließen sich meine Henkersmahlzeit schmecken. Mein Leib bestand nur noch aus Haut und Knochen, die unter der dicken Schmutzschicht von Lehm und anderem Dreck verborgen blieben. Der Schandkittel, den ich anziehen musste, und meine Haare trugen mittlerweile die gleiche Farbe. Wie lange hatte ich mich nicht mehr gewaschen? Ich dachte über die Frage nach und war froh, dass sie mich von Hunger und Kälte ablenkte. Vier Tage und drei Nächte harrte ich bereits im Gefängnisturm meiner Heimatstadt aus.

Morgen wäre mein achtzehnter Geburtstag. Ich bezweifelte arg, dass ich den noch erleben würde. Wenn ich mich erhob, drehte sich alles. So saß ich die ganze Zeit in meiner Ecke, beobachtete die Ratten und schlief viel.

Seit die Schergen des Dorfbüttels mich hier nach dem Verhör des Stadtrichters, dem Himmel sei Dank ohne qualvolle Folter, einsperrten, verweigerte ich den Fraß strikt. Gut, das abgestandene Wasser trank ich, denn Durst war schlimmer als Hunger. Der Richter hatte mich zum Tode verurteilt. Ich wartete auf meinen Henker. Wie viel Zeit steht mir noch zur Verfügung?

Ich versuchte meine blau gefrorenen Zehen zu bewegen, spürte den scharfen Schmerz durch meine starren Gliedmaße fahren. Vielleicht erfror ich ja auch vor meiner Hinrichtung. Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Was für ein makabres Wortspiel, aber wer wusste schon, was mir auf meinem kurzen, noch verbleibenden Lebensweg alles einfiel?

Mit einem lauten Quietschen öffnete sich die Tür zu meinem Gefängnis und riss mich aus meinen Todesahnungen. Oh, nein! Der größte Hurensohn von Essendia trat ein. Ihm verdankte ich meine momentane Misere. Helge Schappner. Gute zwei Köpfe überragte mich dieser Fiesling. Deshalb musste er sich auch in meinem Gefängnis bücken. Wie immer grinste er mich mit diesem widerlichen zahnlosen Mund an, trat auf mich zu, packte schmerzhaft meinen Arm.

 

»Wohlan, mein süßes Täubchen. Mich deucht, dass morgen deine Stund‘ geschlagen hat. Ei, schau nur diese Pracht da draußen!«

Es knackte verdächtig, als er meinen halb verhungerten Körper nach oben riss. Ich stöhnte leise auf, biss mir aber sofort auf die Lippen, um ihm die Freude meiner Pein nicht zu gönnen. Helge zerrte mich vor das kleine Fenster. Von dieser Position aus konnte man direkt auf den Platz vor dem Gefängnisturm sehen.

Der Anblick, der sich mir bot, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Um den Schandpfahl, der in der Mitte des Platzes stand, errichteten sie einen Scheiterhaufen. Die Arbeiter beendeten ihr Werk, blickten hämisch grinsend in unsere Richtung. Der Pfahl ragte mahnend wie ein Zeigefinger in die Höhe. Ich schloss die Augen, um die Erinnerungen, die ich damit verband, nicht an die Oberfläche zu lassen.

»Schau nur!«, fauchte Helge mich an.

Ich öffnete meine Lider erneut, blickte auf den menschenleeren Platz. Die Männer waren fort. Es dämmerte. Ich war mir nicht sicher, ob der Morgen hereinbrach oder der Abend den Tag ablöste. Der viele Schlaf raubte mein Zeitgefühl.

Helges fauliger Atem, der meinen Nacken streifte, zog mir widerlich in die Nase. Er riss mich aus meinen Überlegungen. Sie wollen mich verbrennen. Ich sollte so sterben wie meine geliebte Großmutter. Ihr Bild tauchte vor meinem inneren Auge auf: Ihre gütigen Augen, umrahmt von unzähligen Fältchen. Der gleiche Mund mit den geschwungenen Lippen, den ich auch den meinen nennen durfte. Ihre verblassten Sommersprossen. Das schlohweiße Haar, das wallend ihren Rücken hinabfiel. Viele Erinnerungen besaß ich leider nicht mehr an sie. Großmutter Katharina starb auf dem Scheiterhaufen, als ich drei oder vier Jahre alt war. Damals floh ich mit Mutter aus Dortmund, unserer alten Heimatstadt, an diesen Ort. An die Flucht erinnerte ich mich nur schemenhaft. Aber seitdem lebten wir hier, in Essendia. Unser kleines Häuschen stand in der Nähe eines der Dorftore am Waldrand.

Meine Großmutter und meine Mutter hatten viel von Pflanzenheilkunde verstanden, deshalb glich unser Garten einem duftenden, farbenfrohen Paradies. Mama hatte mir allerlei beigebracht. Aber wir waren doch keine Hexen.

»Am siebten Tag von heute an werde ich die holde Sabina Schuster freien. Sie erhörte mein Werben, und fehlt es ihr auch an deinem Liebreiz, so ist doch ihre Aussteuer erklecklich hoch. Sabina ist ein braves Weib und wird meiner schon gehorchen.«

In meinen Gedanken versunken hatte ich Helge vergessen. Natürlich stand er noch bei mir. Ich konnte seine diabolische Freude über meine jetzige Lage spüren. Ich wäre ihm keine brave, folgsame Ehefrau geworden. Männer interessierten mich nicht. Es gab keine in meinem Leben. Ich wusste nicht, wer mein Vater war, meine Mutter Axara hüllte sich über seinen Verbleib in Schweigen. Wir pflegten nur sporadisch Kontakt mit Männern. Es hatte mir nie gefehlt.

Die Erinnerungen an Mama lösten in meiner Brust ein starkes Brennen aus. Sie verschwand vor zwei Jahren von jetzt auf gleich spurlos. Ich suchte im ganzen Dorf nach Hinweisen, fand aber keine Spur von ihr. Seitdem lebte ich alleine in unserem Häuschen.

»Schau, Freyja Rose!« Seine schwielige Hand hielt nun mein Kinn mit festem Griff. Er zwang mich, in Richtung des Dorftores zu blicken.

Schwarze Rauchwolken stiegen vereinzelt in den Himmel. Nein! Es darf einfach nicht sein. Doch ich wusste, was es bedeutete, als die Rauchschwaden sich mehrten. Sie brannten mein Häuschen nieder. Mein Zuhause. Ich klammerte mich an die Kette aus Pferdehaar und Ton, die um meinen Hals baumelte. Es war das einzige Andenken, das ich von meiner Mutter besaß.

»Am morgigen Tage wirst du des Herren Sonne zum letzten Male aufgehen sehen. Die Flamme wird deinen sündigen Leib läutern, genau wie den von deiner Kate. Törichtes Weib, die Schuld daran trägst du allein.«

Meine Miene war starr, um nichts in der Welt würde ich ihm meine Emotionen preisgeben. Sollte der widerliche Kerl doch von mir denken, was er wollte. Das Schicksal schien es zu wünschen, dass ich an meinem achtzehnten Geburtstag meine geliebte Großmutter und vielleicht auch meine Mutter wiedersah.

Es tat weh, das immer dichter werdende Rauchmeer zu beobachten und mir vorzustellen, wie die Flammen alles, was mir wichtig war und was ich liebte, verzehrten.

»Deinen Gestank will ich nicht weiter ertragen. Sonst wäre ich einem Schäferstündchen nicht abgeneigt. Aber so entgeht dir die Freud‘ an meiner Manneskraft. Du erinnerst mich an ein Schwein, das sich wohl im Modder suhlte.«

Dem Himmel sei Dank, so bleibt mir diese Pein wenigstens erspart.

Helge schleuderte mich in meine Ecke zurück, spuckte vor mir auf den Boden und verließ wütend meine Zelle.

Sofort kauerte ich mich zusammen. Erst als ich mir sicher war, dass er den Gefängnisturm verlassen hatte, ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Ob mein Kater sich hatte retten können? Bestimmt war er rechtzeitig vor den Schergen geflüchtet. Er war doch so ein kluges Tier. Ich wollte es mir nicht ausmalen, wie er den Flammen zum Opfer fiel. Und was ist mit Blitz und Donner? Ihr Käfig hing in der Küche. Seit ich mich erinnern konnte, lebten sie bei uns. Über der Trauer des Verlustes meines Häuschens und meiner treuen Tiere fiel ich in einen tiefen Schlaf.

*

Ein lautes: »Hexe, Hexe!« hallte von unten zu meiner Zelle hinauf und weckte mich.

- Klack, klack - Steinchen flogen durch die Gitterstäbe in mein Gefängnis. Die Kinder des Ortes sangen: »Hexe, Hexe, du wirst brennen!«

Na, jedenfalls werde ich dann nicht mehr frieren, dachte ich voller Hohn und zog den Rock weiter über meine Füße, die von einer neugierigen Ratte beschnüffelt wurden.

Der Schlaf erlöste mich abermals von der Angst und der Trauer. Ich träumte etwas Wundervolles. Ich stand an meiner Kate. Alles war mir vertraut. Der süßliche Duft meiner vielen Rosen stieg in meine Nase. Rosen, diese Blumenart rankte in den unterschiedlichsten Farben um mein Häuschen. Es passte zu unserem Namen, Rose. Ich brach eine Blume ab, inhalierte mit geschlossenen Lidern ihren vertrauten Duft.

Ein Windhauch, der meine langen, rotblonden Haare tanzen ließ, weckte mich aus meiner Versunkenheit. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Irritiert blinzelte ich, aber die Person, die da zwei Schritte von mir entfernt stand, verschwand nicht. Meine geliebte Großmutter lächelte mir gütig entgegen. Sie sah genauso aus wie in meinen Erinnerungen.

»Großmutter Katharina. Bist du ...« Ich trat einen Schritt auf sie zu, doch Großmutter hob die Hand, um mich aufzuhalten. Sie nickte stattdessen. Stehe ich einem Geist gegenüber? Kann sie deshalb nicht sprechen?

Endlich öffnete sie den Mund. Die Erinnerung an ihre Stimme kehrte zurück. »Ja, holdes Kind. Freyja, ich würde dich gerne in meine Arme schließen, doch ist es mir nimmer vergönnt. Nur meine unsterbliche Seele darf zu dieser Zeit bei dir verweilen.«

»Warum?« Ich verstand es nicht. Sie stand doch vor mir. Weswegen sollte ich sie nicht umarmen können? Sie sagte, es wäre nur ihre Seele, aber sie sah so leibhaftig aus. Dennoch hörte ich auf die Worte meiner weisen Großmutter. Das milde Lächeln, welches mir so vertraut war, wich nicht aus ihrem Gesicht.

»Lasse dir sagen, dies ist eine magische Stund‘. In eben diesen Minuten vor 18 Sommern erblicktest du das Licht der Welt. Einzig für diese Stund‘ darf ich dem Reich der Verblichenen den Rücken kehren. Sei gewiss, mein Blick ruht immer auf dir. Nun darf ich zu dir sprechen, dir Kunde bringen über den Verbleib deiner Mutter.«

Ich hielt den Atem an. Ein Schauder vertrieb die Wärme, die mich eben noch liebkoste. »Mama. Wo verweilt sie? Was ist ihr widerfahren?«

Sie legte einen Finger auf ihre Lippen. »Lass mich berichten, Freyja, ehe die Zeit verronnen ist.«

Ich nickte, um ihr zu zeigen, dass ich verstand. Großmutter fuhr fort: »Wir, die Weiber des Geschlechts Rose, entstammen einer uralten magischen Blutlinie. Wir haben nie wider die Regeln gelebt, haben unser Können nur rechtens benutzt. Zum Missfallen der dunklen Seite. Im Verbund waren wir zu stark, sodass sie uns nichts anhaben konnten. Als mein Körper hingerichtet wurde, floh deine Mutter mit dir, jedoch lehrte sie dich nicht die Magie. Alles nur zu deinem Schutz.«

Ich dachte über das Gehörte nach, spürte, wie sich das Zittern meines Leibes verstärkte. Ich schwieg weiter, in der Hoffnung, mehr über Mamas Verschwinden zu erfahren. Tief in mir hatte ich es schon immer gefühlt. Es war einfach da gewesen, und ich hatte es mir nie erklären können. Dieses mächtige Gefühl, dass ich eigentlich etwas konnte und es doch nicht durfte. Das war es also, meine magischen Fähigkeiten. Ich war tatsächlich eine Hexe!

»Der mächtige Zeratostus, ein Dämon, nahm deine Mutter hinfort in eine andere Welt. Sie hofft dort auf deine Hilfe, Freyja.«

»Aber wie kann das mir möglich sein?« Ich hielt es nicht mehr aus, brach mein Schweigen. Wie sollte ich diesen Dämon finden?

»Du findest den We ...« Während sie sprach, löste sich die Erscheinung meiner Großmutter in Luft auf, hinterließ nichts als wärmende Sonnenstrahlen.

Was wollte sie mir noch sagen? Doch ich kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, etwas kitzelte mich in meinem Gesicht. Ich schlug die Augen auf und starrte erschrocken in zwei stecknadelkopfgroße Äuglein. Eine meiner Zellengenossinnen wollte sich wohl erkundigen, ob ich mittlerweile als Futter dienen konnte. Doch sie erschrak genauso wie ich und suchte bei ihrem Gefährten Schutz. Was für ein merkwürdiger Traum, besann ich mich.

Die Sonne schickte ihre Strahlen bereits in meine dreckige Kammer, und an der Stelle, wo ein breiter Lichtschein den strohbedeckten Boden küsste, befanden sich zwei goldene Eier.

Ich konnte es nicht glauben, riss meine Augen auf. Rieb sie mir immer wieder. Die Eier blieben an ihrer Stelle, verschwanden nicht, also mussten sie Wirklichkeit sein. Auf allen Vieren krabbelte ich zu ihnen, nahm sie behutsam in die Hand. Sie waren kleiner als Hühnereier. Ich erinnerte mich unwillkürlich an den sehnlichsten Wunsch meiner Mutter, dass Blitz und Donner Eier legen sollten. Sie wären mit Gold nicht aufzuwiegen, versicherte sie mir oft. Doch der erhoffte Nachwuchs blieb aus. Jetzt lagen vor mir zwei Eier, die eine ähnliche Farbe wie das Gefieder meiner Vögel aufwiesen. Konnte das ein Zufall sein?