Loe raamatut: «Geschichte der Schweiz», lehekülg 7

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Krieg zwischen Schweizern und Schwaben

Die Eidgenossen hatten bewiesen, dass sie südlich des Rheins eigenständig als Ordnungsgewalt wirken und, wenn auch zögerlich, auch jenseits des jeweils eigenen Territoriums herrschaftliche Strukturen aufbauen konnten. Das erklärt, weshalb sie am vergleichbaren Vorhaben nicht interessiert waren, das am Reichstag zu Worms 1495 angegangen wurde. Die Schweizer Reichsstände waren dort gar nicht zugegen. Der Reichstag bot der europäischen Mittelmacht, die Karl den Kühnen besiegt hatte, kein angemessenes Gefäss mehr: Die Orte hätten sich auf der schwäbischen Bank der einflussarmen Reichsstädte zurechtfinden müssen. Am Reichstag hatten die Fürsten das Sagen; insbesondere die geistlichen Kurfürsten waren es, welche die Reichsreform voranbrachten. Das Reichskammergericht in Frankfurt (und ab 1527 in Speyer) wurde geschaffen, ein Reichsregiment von Kaiser und Fürsten geplant, die Bildung von Reichskreisen (unter anderem die benachbarten in Schwaben, Österreich und am Oberrhein) angegangen. Sie sollten Urteile des Kammergerichts umsetzen und die Landesverteidigung garantieren, beides wenn nötig mit Waffengewalt. Diese Zentralisierungsmassnahmen bezweckten, den «ewigen Landfrieden» (der tatsächlich bis 1806 Bestand haben sollte) sicherzustellen und das adlige Instrument der Fehde auszumerzen. In der Eidgenossenschaft war beides kein Problem mehr, für das man «nüwerungen» auf sich genommen hätte, insbesondere nicht den Gemeinen Pfennig als Kopf-, Vermögens- und Einkommenssteuer für das Reich. Wie andere periphere Reichsgebiete von Böhmen über Savoyen hin zu den Niederlanden versagten sich die Eidgenossen diesen Reformen. Die Massnahmen gegen das Fehdewesen hätten auch eine Handhabe geliefert gegen die schweizerischen Kriegerhaufen, die das Umland mit ihren Beutezügen und Erpressungen heimsuchten. Während die Reichsstände als treibende Kraft eine «gestaltete Verdichtung» (Peter Moraw) der Reichsstrukturen betrieben, wollten die Eidgenossen gleichsam im «unverdichteten» Reich verbleiben – nicht aber dieses verlassen.

Eher zufällig zur gleichen Zeit brach der Schwaben- oder Schweizerkrieg aus, wie er nach dem jeweiligen Feind benannt wurde. Im Umfeld der Eidgenossen trat mit dem Gotteshausbund nun ein neuer Akteur auf. Das Gotteshaus war das Bistum Chur, dessen Bischof in die landständische Struktur des Bundes eingebunden war, der ausser der Stadt Chur etliche Talschaften umfasste, die vom Domleschg über den Albula und das Engadin in die Seitentäler Bergell, Puschlav und Münstertal reichten. Allianzen mit den Gotteshausleuten hatte im Laufe des 15. Jahrhunderts auch der Obere oder Graue Bund geschlossen, in dem sich seit 1395 der Abt von Disentis, Adlige und Gemeinden des Vorder- und Hinterrheintals zusammenfanden. Um Fehden zu vermeiden und damit den Übergang über die verschiedenen Alpenpässe vom Panixer bis zum San Bernardino für Händler zu sichern, schloss der Graue Bund schon früh verschiedene Bündnisse, insbesondere mit Glarus. 1471 kam es ausserdem zu einer Allianz mit dem dritten und jüngsten der rätischen Bünde, dem 1436 – nach dem Tod des Feudalherrn Friedrich VII. von Toggenburg – gegründeten Zehngerichtebund, der von Davos über das Prättigau bis nach Maienfeld reichte. Hier erlangte in den 1470er-Jahren Herzog Sigmund von Tirol das Blutgericht, das ein lokaler Landvogt von der Burg Castels aus wahrnahm. Zugleich bildete der Zehngerichtebund mit dem Grauen und dem Gotteshausbund aber einen selbstständigen Teil des übergreifenden Zusammenschlusses als «Drei Bünde». Sie verpflichteten sich zu Hilfeleistungen und Schiedsgerichten und vereinten regelmässig die Gesandten der rund 50 Talschaften zu Bundstagen, nicht zuletzt im Hinblick auf eine eigene Aussenpolitik. Angesichts der habsburgischen Präsenz in der Region lag es nahe, dass der Graue Bund und der Gotteshausbund 1497/98 eine Allianz mit den Eidgenossen (ohne Bern) eingingen. Kurz darauf eskalierte ein Streit um Vogteirechte im Münstertal zwischen dem Gotteshausbund und dem habsburgischen Landesherrn von Tirol. Dies war nun aber nicht mehr der 1490 verstorbene Sigmund, sondern Maximilian, der Erbe des Burgunderreichs und seit 1493 König im Reich. Die epochalen Kriege von Habsburg gegen Valois wurden seit 1494 in Italien geführt, wohin der französische König vorgestossen war. Entsprechend wichtig waren für Maximilian die Bündner Passwege nach Italien. Anders als sein Vater, Kaiser Friedrich III., pflegte er zu den Eidgenossen zumeist guten Kontakt. Doch im Konflikt mit dem Gotteshausbund rief er den schwäbischen Bund zu Hilfe, der 1488 gleichsam als Nachfolgeorganisation des Sankt Jörgenschildes gegründet worden war. Diesem gehörte Maximilian selbst an, ausserdem der Herzog von Württemberg, hohe und niedrige Adlige, Prälaten und 20 schwäbische Reichsstädte. Diese Zusammensetzung zeigt, dass sich nun zwei widersprüchliche Bündnis- und damit Ordnungsmodelle in der Region Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein gegenüberstanden: das adlig-hierarchische, das tendenziell Urteile von akademisch ausgebildeten Juristen am Reichskammergericht umsetzte, und das kommunale von gleichrangigen Orten, die Konflikte durch Schiedsgerichte von Laien oder durch Waffengewalt aushandelten. Dazu kam die militärische und wirtschaftliche Konkurrenz zwischen schwäbischen Landsknechten und schweizerischen Reisläufern, die sich mit dem Ruf «Hie Lanz! – Hie Schwytz!» entgegentraten.

Gleichsam im Mittelpunkt der Auseinandersetzung lag das linksrheinische Konstanz, der alte Vorort des Herzogtums Schwaben. 1498 war die Reichsstadt, nicht zum ersten Mal, Stätte einer ausserordentlichen Tagsatzung der Eidgenossen gewesen. Andererseits hatte zu Fasnacht 1495 ein Freischarenzug von 1000 Innerschweizern durch eine angedrohte Brandschatzung 4000 Gulden erpresst. Konstanz, die Stadt ebenso wie der Bischof, sahen sich also im Dilemma zwischen einerseits dem adligen Schutz, dem die schwäbischen Reichsstädte vertrauten, und andererseits den gleichsam mafiösen Schutzgeldforderungen der Kriegerhaufen aus den an sich geografisch und politisch nahestehenden eidgenössischen Orten. Nach anhaltenden Versuchen, neutral zu bleiben, schloss sich Konstanz schliesslich dem Schwäbischen Bund an. Was folgte, könnte als – entsprechend grausamer – «Bürgerkrieg im Bistum Konstanz» bezeichnet werden.

Beide Kriegsparteien verwüsteten in kleineren Schlachten, vor allem aber blutigen Plünderungszügen 1499 die Gebiete entlang der Rheingrenze, ehe die Bündner an der Calven, am Ausgang des Münstertals, im Mai ebenso obsiegten wie zwei Monate später bei Dornach die Solothurner und eidgenössische Hilfstruppen. Es hatte nichts gefruchtet, dass König Maximilian Ende April nach anfänglichen Vermittlungsversuchen auch persönlich in die Kämpfe eingriff und die Reichsacht gegen die Eidgenossen verhängte. Am 22. September 1499 wurde der Friede von Basel geschlossen, in dem bei territorialem Status quo die Landgerichtsbarkeit im Thurgau von Konstanz an die Eidgenossen fiel: Ihre Gemeine Herrschaft führte nun uneingeschränkt bis vor die Mauern der linksrheinischen Reichsstadt. So wurden konkurrierende Rechtsansprüche entflechtet und klar entlang von territorialen Grenzen getrennt – eine Grenze zu Konstanz und zu Schwaben, wohlverstanden, und nicht zu «Deutschland». Die Eidgenossen legten grossen Wert darauf, dass sie den Krieg nicht gegen König und Reich geführt hatten, die im Friedensvertrag gerade deshalb nicht erwähnt wurden. Gegen Maximilian ging es nur «von wegen sine Maiestät Graffschafft Tirol», und als seine Hauptgegner wurden der Bischof von Chur und der Gotteshausbund benannt. Gleichwohl galt der Basler Friede von 1499 der nationalen Geschichtsschreibung seit dem späten 19. Jahrhundert anachronistisch als Beginn der «faktischen Unabhängigkeit» vom Reich, wobei man eigentlich an das Deutsche Reich von 1871 dachte. 1499 suchte dagegen niemand «Unabhängigkeit», im Gegenteil: Sie hätte die zehn «des heilgen Römschen richs besunders gefryete Staend» ihrer Herrschaftslegitimation beraubt, die alternativlos in den königlichen Privilegien begründet lag.

Letzte Erweiterungen der Bündnisse

Das Reichskammergericht wurde im Basler Frieden nicht erwähnt. Man konnte aber dessen letzten Paragrafen, der laufende «processe und beswärungen» gegen Eidgenossen, Untertanen und «verwanndte» niederschlug, als Befreiung davon lesen. Daran war den zehn Orten sehr gelegen, welche die alte reichsrechtliche Befreiung von auswärtiger Appellation grosszügig interpretierten, weniger für sich als wegen der Zugewandten. Tatsächlich hatte das Kammergericht gegen ihren ausdrücklichen Willen den St. Galler «Varnbüler Handel» und den Appenzeller «Schwendiner-Handel» an sich gezogen und die beiden Zugewandten Orte vorübergehend mit Reichsacht belegt. Das berührte insofern Grundsätzliches, als die Eidgenossen 1489 im «Rorschacher Klosterbruch» gerade bewiesen hatten, dass es ausreichte, wenn sie alleine als regionale Ordnungsmacht auftraten, diplomatisch mit Schiedsgerichten und notfalls mit Waffengewalt. Durchaus konservativ mussten sich nun einerseits die rastlosen Appenzeller mit sieben Orten (ohne Bern) die Herrschaft über das Rheintal teilen, während andererseits die Stadt St. Gallen daran gehindert wurde, jenseits der engen Stadtgrenzen auf Kosten des Fürstabts ein Territorium zu erwerben, das ihrem im Leinwandgewerbe und -handel erworbenen Reichtum entsprochen hätte. Gleichwohl sahen es das Kammergericht und hinter ihm die Reichsstände als ihre ureigene Aufgabe an, einen geistlichen Reichsfürsten, den St. Galler Abt, auf dem Rechtsweg vor eigenmächtiger Fehde zu bewahren. Maximilian dachte weniger prinzipiell und wollte den Zugriff auf Schweizer Söldner statt mit Geld, woran es ihm im Vergleich zu Frankreich mangelte, durch reichsrechtliche Konzessionen erlangen. Er zeigte sich am – Konstanzer – Reichstag von 1507 zu einer Freistellung vom Kammergericht bereit, die dann aber wegen Vorbehalten der Reichsstände unterblieb. Gleichwohl gelobten die Eidgenossen, die der Einladung als «Glieder und Verwandte des Heiligen Römischen Reichs» gefolgt waren, Beteiligung am Romzug. In der Erbeinigung von 1511, welche die «Ewige Richtung» von 1474 erneuerte, versprachen sie weiter, ihrem «allergnädigsten Herren dem Römischen Keyser» getreue Dienste zu erweisen, womit auch das Verhältnis zu Habsburg nachbarschaftlich geregelt war. Pragmatisch verzichtete man darauf, die Frage des Kammergerichts grundsätzlich zu klären: Für die zehn Orte stellte sie sich nicht mehr, für die anderen Angehörigen des Bundesgeflechts sollte sie erst im Dreissigjährigen Krieg wieder aktuell werden. In der Reichsmatrikel von 1521, dem Verzeichnis der stellungs- und steuerpflichtigen Reichsstände, standen die zehn Orte nicht drin, wohl aber die geistlichen Fürsten auf Schweizer Gebiet und St.Gallen sowie Basel und Schaffhausen.

Während Maximilian den wiederholt erwogenen Anschluss von Konstanz an die Eidgenossenschaft verhindern konnte, setzten sich gerade in Basel und Schaffhausen, die teilweise oder gar ganz rechtsrheinisch lagen, die Anhänger der Eidgenossen durch. 1501 wurden die beiden Reichsstädte aufgenommen, wobei auch sie sich auf Bündnisse oder Kriege nur mit Einwilligung der anderen Orte einlassen durften. Damit vor allem Basel, die nunmehr grösste Stadt der Eidgenossenschaft, die Gleichgewichte nicht verschob, mussten sie bei Streitigkeiten zwischen den anderen Orten zudem «stille sitzen» und vermitteln. Die Gruppe der Länder wurde auch dadurch etwas gestärkt, dass 1513 das unruhige Appenzell sich dem Bund anschloss, dem es schon lange nahestand. Diese drei Beitritte richteten sich alle nicht gegen das Reich. Im Gegenteil, die eben erlangte Reichsfreiheit, von Basel 1488 und von Appenzell 1507, war wie schon für das seit 1478 reichsfreie Freiburg Voraussetzung für die vollberechtigte Teilnahme an der Eidgenossenschaft. Damit war die Zahl von 13 Orten erreicht, die sich bis 1798 nicht mehr verändern sollte.

Die Versuchungen im Süden

Der Friede von Basel führte nicht nur mittelbar zur Erweiterung der Eidgenossenschaft, sondern zu weiteren «ennetbirgischen» Verwicklungen. Vermittelt hatte ihn nämlich Maximilians Schwiegervater, der mailändische Herzog Ludovico Sforza. Er wollte möglichst schnell Söldner anwerben, die ihm gegen den französischen König Ludwig XII. beistehen sollten. Die 1494 begonnenen italienischen Kriege waren gleichsam das Laboratorium der europäischen Staatenwelt, die jetzt überhaupt erst Gestalt annahm: mit wechselnden Allianzen, der Tendenz zum Gleichgewicht der Mächte, einer Diplomatie mit residierenden Botschaftern. Auch die Schweizer zog es auf diesen Kampfplatz, zuerst als Reisläufer vor allem im französischen Heer. Die Verpflichtung aus diesen Soldverträgen kollidierte nicht nur mit Sforzas Versuch, mit Schweizer Söldnern das Herzogtum Mailand zurückzuerlangen, das Ludwig XII. seinerseits mit der Hilfe von Reisläufern besetzt hatte. In den allgemeinen Wirren hatten zudem die Waldstätte ihrerseits Truppen gegen Süden geschickt: 1500 eroberten sie Bellinzona, dessen Kastelle den Zugang zu Gotthard und San Bernardino kontrollierten. Mit Blenio und Riviera wurde es ihre Gemeine Herrschaft. Zu diesem uneinheitlichen oder vielmehr eigennützigen Vorgehen der eidgenössischen Orte passte es, dass Sforzas eigene Reisläufer ihn im «Verrat von Novara» den Franzosen auslieferten, in deren Reihen ebenfalls viele Schweizer standen.

Das nun französische Mailand trat 1503 Bellinzona endgültig ab und regelte in einem Vertrag wirtschaftliche, verkehrstechnische und rechtliche Fragen mit den Eidgenossen. Dennoch verschlechterten sich die Beziehungen zu Ludwig XII. Stattdessen gingen die Orte 1510 eine Allianz mit dem Kriegerpapst Julius II. ein, der 1506 die Schweizergarde geschaffen hatte und nun die Franzosen aus Italien vertreiben wollte. Sein Mittelsmann war Matthäus Schiner, als Fürstbischof von Sitten auch Landesherr im Wallis, der für seine diplomatischen Verdienste wenig später den Kardinalshut erhielt. Im Pavierzug von 1512 und mit dem blutigen Sieg in der Schlacht bei Novara ein Jahr später verdrängten die Eidgenossen Frankreich vorübergehend aus Oberitalien und erwarben sich für ihre militärischen Leistungen die mit Furcht durchmischte Bewunderung vieler Beobachter, so von Niccolò Machiavelli. Für kurze Zeit spielten die Schweizer tatsächlich Grossmacht und setzten ihren Schützling Massimiliano Sforza, den Sohn Ludovico Sforzas, als Herzog von Mailand ein. Dafür trat er ihnen Lugano und Locarno mit Seitentälern ab, den alliierten Wallisern das Eschental (Val d’Ossola) und den Bündnern das Veltlin, Bormio und Chiavenna, die Stadt am Ausgang der Bündnerpässe.

Um solche agrarischen Alpentäler als Gemeine Herrschaft zu verwalten und auszupressen, reichten die aufwendigen Entscheidungsmechanismen dieser Bünde. Mit einer vielgestaltigen Städtelandschaft wie der Lombardei und einem wirtschaftlichen und religiösen Zentrum wie Mailand mit seinen 100 000 Einwohnern waren sie jedoch überfordert. Erst recht fatal musste sich das Fehlen einer Zentralgewalt und klarer Hierarchien im militärischen Bereich auswirken, als der eben gekrönte Nachfolger Ludwigs XII., Franz I., sofort wieder die Alpen überschritt und die Eidgenossen sich unvermittelt auch diplomatisch isoliert wiederfanden. Die Truppen der westlichen Orte um Bern zogen sich zurück, als die Franzosen bereit waren, ihnen die Lombardei abzukaufen. Die Innerschweizer waren damit nicht einverstanden und provozierten unter Kardinal Schiners Oberbefehl am 13./14. September 1515 die Schlacht bei Marignano. Die vernichtende Niederlage zeigte, dass die Gevierthaufen nicht mehr zeitgemäss waren. Die Zukunft gehörte dem Zusammenspiel der Infanterie mit einer beweglichen Artillerie, die bei Marignano die Schweizer Gewalthaufen durchlöcherte, und mit Kavalleristen, die aus sicherer Distanz Radschlosspistolen abfeuern konnten. Die neuen Feuerwaffen überforderten die finanziellen und organisatorischen Ressourcen der einzelörtischen Aufgebote.

Die Eidgenossen schlossen Ende 1516 einen Ewigen Frieden mit Frankreich, der tatsächlich von epochaler Dauer sein sollte. Um sie als Verbündete zu gewinnen, gewährte Franz I. ihnen eine hohe Kriegsentschädigung; auch dass sie ihre Eroberungen bis auf das Eschental behalten konnten, war für Besiegte aussergewöhnlich. 1521 wurden die Ennetbirgischen Vogteien Lugano, Mendrisio, Locarno und Valle Maggia als Gemeine Herrschaft der zwölf Orte (ohne Appenzell) eingerichtet. Ins selbe Jahr fiel ein erneuerter Bündnisvertrag mit Franz I., der auch die Anwerbung von bis zu 16 000 Schweizer Söldnern vorsah. Das folgenreiche Bündnis nützte insofern besonders Frankreich, als es sich an seiner Ostflanke durch Truppen geschützt wusste, für die es im Normalfall keine Kosten tragen musste. Aus der Schweiz drohten zudem keine echte, vor allem dauerhafte militärische Gefahr mehr und – nach Marignano, Reformation und Eroberung der Waadt – nicht einmal ernsthafte territoriale Ambitionen. Ausserdem durften die Franzosen bei vielen Eidgenossen auf tief verwurzelte Vorbehalte gegen den gemeinsamen Feind Habsburg zählen. Die Perspektive des schweizerischen Juniorpartners war nunmehr eher ökonomisch: «Liberté et franchise du Commerce», also freier Handel und handelspolitische Privilegien im Herzogtum Mailand und in der Messestadt Lyon. Zum Sitz des 1522 erstmals eingesetzten französischen Gesandten bei der Eidgenossenschaft wurde Solothurn, dem die Residenz des «Ambassadors» höfischen Glanz vermittelte.

Die Eidgenossen erfinden ihre Geschichte

Nicht mehr selbstständig, sondern in französischen Diensten fanden weiterhin viele Schweizer Söldner den Weg in die Lombardei. Bei Bicocca unterlagen sie 1522 den kaiserlichen Truppen Karls V., Maximilians Enkel und Nachfolger als Kaiser, dank Heiratspolitik aber zugleich der erste Habsburger auf dem spanischen Thron. Bei Bicocca fiel einer der Hauptleute, ein Überlebender von Marignano, Arnold Winkelried aus Unterwalden. Ein gleichnamiger Held tauchte 1563 in Aegidius Tschudis Chronicon Helveticum auf. Hier bezeichnete der Name aber den «getreuen Mann unter den Eidgenossen», der nach einer erst um 1470 greifbaren Überlieferung durch seinen Opfertod den Sieg von Sempach ermöglicht haben soll und 1533 im «Halbsuterlied» erstmals mit dem Nachnamen «Winkelried» identifiziert worden war. Im Mittelalter ehrten die Chronisten immer wieder Zeitgenossen oder ihre Familien, indem sie deren gleichnamige Vorfahren in historischen oder mythischen Schlachten als Ritter neben Caesar oder Karl dem Grossen auftreten liessen. Wenn Tschudi (nicht nur) hier dieses Vorgehen wählte, dann zeigte er auch, dass sich die Schweizer an adligen Vorbildern orientierten, als sie sich historiografisch in die Weltgeschichte einzuordnen begannen, die noch als eine christliche Heilsgeschichte gedacht wurde.

Diese Notwendigkeit ergab sich recht eigentlich erst mit den Burgunderkriegen, als mit den Eidgenossen gleichsam ein neues Volk auf die europäische Bühne drängte. Bis dahin war die seltene Geschichtsschreibung weitgehend einzelörtisch und städtisch gewesen. Überlokale Gemeinsamkeiten betonten dagegen zuerst die Landorte, die in ihrer unstaatlichen Struktur mehr darauf angewiesen waren. Wegweisend dafür war die geschilderte Umdeutung der alten Bünde nach dem Alten Zürichkrieg. Gemäss dem Schwyzer Landschreiber Hans Fründ ging es im Krieg darum, die Zürcher «mit unser macht ze wysen, den pünden nach ze gan». Die alten, unauflösbaren Bünde, und zuerst diejenigen der Waldstätte, hätten also den Kern einer von Anfang an gegen Habsburg gerichteten Eidgenossenschaft ausgemacht. Diese Privilegierung der Innerschweizer Bünde (und Sichtweise) gegenüber den vielen anderen, die es auch gegeben hatte, ergab erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Sinn: Nun hatten sie sich als so dauerhaft und erfolgreich erwiesen, dass selbst Berner Chronisten wie Diebold Schilling Fründs Sichtweise übernahmen.

Sie zählte ebenso zu den verschiedenen Überlieferungen, die in die erfolgreiche Dichtung eingingen, die der Obwaldner Landschreiber Hans Schriber um 1474 einer Sammlung von Urkunden voranstellte. Dieses Weisse Buch von Sarnen vereinte die Herrschaftsrechte der Obwaldner, die das Römische Reich ihnen, den Urnern und den Schwyzern gewährt habe. Die drei Orte verteidigten, so das Weisse Buch, ihre ursprüngliche Freiheit gegen die Habsburger Vögte und schlossen dann den Bund von Brunnen, um später die ähnlich hilfsbedürftigen weiteren fünf Orte in ihren erfolgreichen Bund aufzunehmen. Damit war die wirkungsmächtige Gründungsgeschichte um einen Innerschweizer Kern geschaffen. Die Vorgeschichte zum Brunnener Bund von 1315 bestand im Weissen Buch aber nicht in der Schlacht bei Morgarten, die auffälligerweise nicht erwähnt wird, sondern in den verschiedenen Elementen der hier erstmals greifbaren Befreiungssage: Landvogt «Gijssler», Burgenbruch, Rütlischwur und Tellenschuss. Letzterer ist eine Adaption der Toko-Sage aus den Gesta Danorum des Saxo Grammaticus (12. Jahrhundert) und zeigt, dass Schriber belesen war. Der Text war noch ungedruckt, wurde aber vermutlich im Umfeld der Konzilien in der Region zugänglich. Der Schwyzer «Stoupacher» hat im Weissen Buch eine «wise frowen» und folgt ihrem Rat. In einer Zeit, in der wenig über Frauen und zumal ihr politisches Handeln überliefert wurde, überrascht diese Urfigur der Stauffacherin. Schribers Schöpfung war auch sonst originell und, vor allem, äusserst wirkungsmächtig. In ihrer Entstehungszeit bekämpfte die Schilderung eines Freiheitskampfs gegen Habsburger Tyrannen die Ewige Richtung von 1474. Tatsächlich besiegelte Unterwalden das Abkommen nie, und Obwaldens Führungsgruppe um Hans Schriber blieb ein entschiedener Gegner Österreichs.

Unter Legitimationsdruck standen die (Inner-)Schweizer aber schon länger, und das hatte der Zürcher Chorherr Felix Hemmerli, ein Anhänger Habsburgs im Zürichkrieg, 1451 in seinem Dialog De nobilitate et rusticitate festgehalten. Schon im Titel ist die Gegenüberstellung von bäuerischen Rebellen und naturgegebener Adelsherrschaft greifbar. Hemmerli verspottete die «Schweizer», die Kuhschwänze so auf dem Kopf trügen wie (habsburgische) Adlige Pfauen- oder Straussenfedern an ihren Helmen. Diese Verleumdung war insofern nicht aus der Luft gegriffen, als die eidgenössischen Führungsschichten versuchten, in einer Art von Selbst-Nobilitierung, wozu auch das Tragen von Straussenfedern zählte, der Einordnung als adelmordendes «Bauernvolk» zu entgehen. Dieses Bild hatte sich bei ausländischen Autoren seit Morgarten und Sempach entwickelt und war besonders prominent im Manifest Maximilians I. nachzulesen. Wohl auf Hemmerlis Behauptung, alle deutschen Adligen kämen von Rom her, reagierte auch der Anfang des Weissen Buches und bereits das ältere, dort aufgenommene Herkommen der Schwyzer und Oberhasler. Die vornehmen, mit Rom verbundenen Ursprünge waren das pure Gegenteil des Sodomievorwurfs an Alpenhirten, der im Namen «Kuhschweizer» steckte. Er hatte nicht nur zum Ausbruch des Plappartkriegs geführt, sondern 1499, als Landsknechte Kälbergemuhe nachahmten, auch zum Krieg gegen die «Sauschwaben» beigetragen.

Zur «Antwort der Bauern» (Guy Marchal) gehörte auch das Idealbild des frommen und ritterlichen Bauern, der dank seinem Tugendadel in Notwehr über den verkommenen, pflichtvergessenen Geblütsadel obsiegte, wobei die Schlachtensiege als Gottesurteile für sein auserwähltes Volk, ein neues Israel, gedeutet wurden. Solche Vorstellungen wurden auch für die städtischen Eliten anschlussfähig, die zumal in Zürich anfangs erhebliche Mühe damit bekundeten, dass sie als Verbündete von Schwyz den Namen «Sviceri» erhielten. Um 1500 war dies anders: Auch in der Chronistik wurde «Schweizer» zu einem anderen Wort für «Eidgenossen». Zwar versuchten gleichzeitig reichstreue Humanisten wie der Elsässer Jakob Wimpfeling nachzuweisen, dass die Frankreich hörigen Schweizer gar kein Recht zur selbstständigen Kriegsführung hatten und schon gar nicht gegen den Kaiser und die deutsche Nation. Doch Maximilian, der sich selbst 1507 als «ein geborener, guter Eidgenosse» bezeichnete, folgte dieser Linie nur kurz, und das Instrument etwa der «Erbeinung» zeigte, dass die Schweizer als Kollektiv selbst mit dem Kaiserhaus Verträge auf einer Ebene eingehen konnten, wie sie zwischen Adelsgeschlechtern üblich waren. Galten die Schweizer als bündnisfähig, so waren auch ihre Kriege im Sinn der mittelalterlichen Lehre vom Bellum justum gerecht; und sie zugleich legitime Obrigkeiten.

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Žanrid ja sildid
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