Loe raamatut: «Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht», lehekülg 8

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2. Europarechtliche Garantie der Umwandlung aus Sicht des Wegzugsstaates

117

Ob UK-Recht die Umwandlung der FlyHigh Ltd. in eine GmbH zulässt, ist dem Bearbeiter nicht bekannt (MAT c). Die Prüfung des UK-Gesellschaftsrechts könnte entbehrlich sein,[22] wenn eine – unterstellte – Bestimmung, welche der FlyHigh Ltd. den identitätswahrenden Wechsel der Rechtsform in eine GmbH verbietet, gegen Art. 49, 54 AEUV verstieße. Hiergegen könnte sprechen, dass der EuGH in der Entscheidung Daily Mail (Rn 89) Bestimmungen des Heimatstaates einer Gesellschaft, die dieser die Sitzverlegung verbieten, europarechtlich gebilligt hat. Dies hält der EuGH zwar auch in der Cartesio-Entscheidung (Rn 89) aufrecht, präzisiert aber den Grund hierfür: Jeder Mitgliedstaat darf nach seinem IPR bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine Gesellschaft nach seinem materiellen Recht gegründet werden kann und damit eine Gesellschaft dieses Staates ist; er darf auch bestimmen, ob er sie „wegziehen“ lässt; erst dies verleiht der Gesellschaft die Voraussetzungen, die erforderlich sind, um nach Art. 49, 54 AEUV Niederlassungsfreiheit zu genießen. Ist die Gesellschaft jedoch zulässiger Weise „weggezogen“, so darf ihr der Heimatstaat nicht mehr untersagen, ihre Rechtsform am Ort des neuen Sitzes zu ändern; er darf in dieser Situation auch nicht die Auflösung der Gesellschaft vorsehen.[23] Da im Fall die FlyHigh Ltd. seit Gründung vom englischen Recht als englische Gesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland behandelt wird, darf sich somit das englische Recht der geplanten Umwandlung nicht widersetzen.

3. Umwandlung im neuen (deutschen) Gesellschaftsstatut
a) Deutsches Umwandlungsrecht

118

Grundlage für die begehrte Umwandlung könnte nur § 1 Abs. 1 UmwG sein. Eine Verschmelzung (§ 1 Abs. 1 Nr 1 UmwG) oder eine Vermögensübertragung (§ 1 Abs. 1 Nr 3 UmwG) würden die vorherige Gründung einer deutschen GmbH erfordern. Auch die aus Anlass des Brexit vorgenommene Erweiterung der §§ 122a, 122b UmwG erstreckt lediglich die Möglichkeit der Verschmelzung einer EU-Kapitalgesellschaft auf eine deutsche Personenhandelsgesellschaft (zB GmbH&Co KG). Hingegen wird der Rechtsformwechsel von einer EU/EWR-Kapitalgesellschaft in eine deutsche Kapitalgesellschaft, den Flug wünscht, weiterhin nicht ausdrücklich geregelt: Dem von Flug verfolgten Ziel entspräche ein Formwechsel (§ 1 Abs. 1 Nr 4 UmwG). Diesen sieht jedoch § 191 UmwG nur als Formwechsel aus einer deutschen Gesellschaftsform in eine andere deutsche Gesellschaftsform vor; Bestimmungen für den Formwechsel von einer Limited zu einer GmbH fehlen.[24]

b) Europarechtliche Garantie der Zuzugsumwandlung

119

Dieses Ergebnis könnte jedoch wiederum gegen Art. 49, 54 AEUV verstoßen. Die vormals in Deutschland herrschende Ansicht lehnte einen solchen Verstoß ab: Art. 49, 54 AEUV zwinge zwar dazu, einer die Niederlassungsfreiheit genießenden Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaates die Verlegung des Verwaltungssitzes und damit die Niederlassung in Deutschland trotz der Sitztheorie im deutschen IPR zu gestatten. Wenn die Gesellschaft jedoch zudem ihren Satzungssitz ändern und sich in eine deutsche Gesellschaft umwandeln wolle, berühre dies nicht mehr die Niederlassungsfreiheit; die Cartesio-Entscheidung des EuGH wende sich lediglich an den Wegzugsstaat.[25]

Dem ist entgegenzuhalten, dass ein Mitgliedstaat, der eigenen Gesellschaften einen Rechtsformwechsel gestattet, hingegen Gesellschaften aus einem anderen Mitgliedstaat, die ihren Sitz in das Inland verlegen, hiervon generell – nicht nur in Missbrauchsfällen – ausnimmt, die ausländische Gesellschaft ohne Rechtfertigung anders behandelt, als seine eigenen Gesellschaften (vgl Art. 54, 49 Abs. 2 aE AEUV). Zwar ist kein Mitgliedstaat durch Art. 49, 54 AEUV gehalten, einen identitätswahrenden Rechtsformwechsel zu ermöglichen; tut er es aber für inländische Gesellschaften, so muss er auch Freizügigkeit genießende Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten einbeziehen.[26] Dass im Fall, anders als in dem vom EuGH (Vale) entschiedenen Fall, Zuzug und Rechtsformwechsel nicht zur selben Zeit erfolgen, ändert hieran nichts; die bereits in Deutschland verwaltete FlyHigh Ltd. ist erst recht gleich einer deutschen Gesellschaft zu behandeln. Erleichterungen gegenüber §§ 190 ff UmwG erfordert die Niederlassungsfreiheit hingegen nicht.[27]

c) Frist

120

Da die Zulässigkeit des Formwechsels ausschließlich auf der von Art. 54, 49 AEUV gewährleisteten Freizügigkeit beruht, entfällt in dem Zeitpunkt, in dem das UK den Status eines Mitgliedstaats der EU oder zumindest des EWR verliert, die Zulässigkeit des (identitätswahrenden) Formwechsels. Ein Völkervertrag, der die Anerkennung der Gründungstheorie sichert, würde zwar nicht den Formwechsel absichern, aber die weitere Existenz der Limited aus deutscher Sicht. Daher muss die Umwandlung analog §§ 190 ff UmwG vor dem Ausscheiden des UK vollzogen sein. § 122m UmwG, der nur die Beurkundung des Verschmelzungsplans bis zu dem Zeitpunkt fordert, von dem ab das UK nicht mehr als Mitgliedstaat gilt, ist nicht analog auf den Formwechsel anzuwenden.

Ergebnis:

121

Der Rechtsformwechsel in eine GmbH ist in EU-Rechtskonformer Analogie zu § 1 Abs. 1 Nr 4 UmwG zulässig, wenn sämtliche sonstigen Voraussetzungen der §§ 190 ff UmwG erfüllt sind; der Rechtsformwechsel muss bis zum Ausscheiden des UK aus der EU vollzogen sein, sofern das UK nicht im EWR verbleibt. Eine Verschmelzung auf eine deutsche GmbH oder GmbH&Co KG wäre hingegen intertemporal durch § 122m UmwG begünstigt.

Frage 6: Umwandlung in luxemburgische Sárl ohne Verwaltungssitzverlegung
1. Anwendbares Recht

122

Wie zu Frage 5 bestimmt sich die Umwandlung nach dem Gesellschaftsstatut; da die FlyHigh GmbH mit Verwaltungssitz in Deutschland ein deutsches Gesellschaftsstatut besitzt und der geplante Rechtsformwechsel zu einer luxemburgischen Sarl ohne Änderung des Verwaltungssitzes erfolgen soll, ändert sich bei Anwendung der Sitztheorie auch das Gesellschaftsstatut nicht. Damit müsste nach deutschem Recht eine luxemburgische Sarl mit deutschem Verwaltungssitz zulässig sein.

2. Europarechtliche Garantie der Umwandlung aus Sicht des Wegzugsstaates

123

§ 4a GmbHG sieht ausdrücklich vor, dass eine GmbH ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland hat. Eine Verlegung des Satzungssitzes nach Luxemburg als GmbH käme also nicht in Betracht. Die gewollte Umwandlung in eine luxemburgische Sarl unter Verlegung des Satzungssitzes scheitert hingegen nicht an § 4a GmbHG, aber daran, dass in Anwendung der Sitztheorie nur deutsche Gesellschaftsformen für die Umwandlung von Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland zur Verfügung stünden und die Sarl keine deutsche Gesellschaftsform ist.

124

Dem könnten jedoch wieder Art. 49, 54 AEUV entgegenstehen. Hierzu hat der EuGH in der Sache Polbud[28]entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit das Recht einer nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaft auf Umwandlung in eine Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates erfasst, sofern der Staat, in dessen Rechtsform umgewandelt werden soll, das zulässt. Dies gilt auch dann, wenn die Gesellschaft nach der Umwandlung im „Zuzugsstaat“ keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben will. Da jeder Mitgliedstaat frei ist, die kollisionsrechtliche Anknüpfung der seinem Recht unterliegenden Gesellschaften zu bestimmen, darf sich Deutschland der Umwandlung nicht, insbesondere nicht durch Auflösung der GmbH, in den Weg stellen, wenn das Recht von Luxemburg bereit ist, die Umwandlung in eine seinem Recht unterstehende Gesellschaft zu akzeptieren, insbesondere eine Verlegung des Verwaltungssitzes nicht verlangt (sog. „isolierter Formwechsel“). Dies ist vorliegend der Fall, da das Recht von Luxemburg eine Sarl auch ohne inländischen Verwaltungssitz vorsieht (MAT e). Im Übrigen erlaubt das luxemburgische Recht auch eine Sárl unipersonnelle.

Ergebnis:

Der Rechtsformwechsel ist zulässig, da das Recht von Luxemburg nicht verlangt, dass der Verwaltungssitz nach Luxemburg verlegt wird und das deutsche Recht sich wegen der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV dem nicht durch Auflösung der GmbH entgegenstellen darf.

Anmerkungen

[1]

Vgl Grossfeld/Berndt RIW 1996, 630.

[2]

OLG München IPRspr 1997 Nr. 25.

[3]

BGH EuZW 2000, 412.

[4]

Zuletzt EuGH Rs. C-378/10 ECLI:EU:C:2012:440 (Vale); EuGH Rs. C-106/16 ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud).

[5]

BGHZ 154, 185; BGH NJW 2011, 3372, 3373.

[6]

BGHZ 80, 76.

[7]

OLG Düsseldorf IPRax 1996, 423.

[8]

BGH NJW 1999, 1871.

[9]

OLG Hamm IPRax 1998, 363.

[10]

Strittig ist, ob dies die Rechtsform wahrt, so Knof/Mock GmbHR 2007, 852, 856; aA Kindler NJW 2008, 3249, 3251.

[11]

EuGH Rs. 81/87 ECLI:EU:C:1988:456 (Daily Mail).

[12]

EuGH Rs. C-210/06 ECLI:EU:C:2008:723 (Cartesio).

[13]

EuGH Rs. C-106/16 ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud); dazu unten Frage 6 Rn 122.

[14]

Zu der Thematik, ob der neue Sitzstaat dies ermöglichen muss, siehe Frage 5, Rn 117 ff.

[15]

EuGH Rs. C-585/08 und C-144/09 ECLI:EU:C:2010:740 (Pammer/Reederei Karl Schlüter GmbH & Co KG; Hotel Alpenhof GesmbH/Heller).

[16]

Jayme/Hausmann19 Nr 134.

[17]

Der BGH (Fn 32) folgt für Gesellschaften aus nicht der EU oder dem EWR angehörenden Staaten (zB auch Schweiz) weiter der Sitztheorie; ein Übergang zur Gründungstheorie wäre nicht unproblematisch, da einheitliche Mindeststandards zur Gesellschaftsgründung, welche die Freizügigkeit innerhalb von EU und EWR rechtfertigen können, im Verhältnis zu Drittstaaten (insbesondere den beliebten karibischen Gründungsparadiesen für Off-shore-Gesellschaften) nicht bestehen.

[18]

Vgl EuGH Rs. 33/78 ECLI:EU:C:1978:205 (Somafer/Saar-Ferngas).

[19]

EuGH Rs. C-212/97 ECLI:EU:C:1999:126 (Centros).

[20]

EuGH Rs. C-208/00 ECLI:EU:C:2002:632 (Überseering BV).

[21]

EuGH Rs. C-167/01 ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art), NJW 2003, 3331.

[22]

Auch in der Praxis wird man keine aufwendigen Ermittlungen zur Rechtslage anstellen, falls es auf die unbekannte Regelung nicht ankommt.

[23]

So ausdrücklich EuGH Rs. C-210/06 ECLI:EU:C:2008:723 (Cartesio).

[24]

OLG Nürnberg WM 2012, 993.

[25]

OLG Nürnberg WM 2012, 993 mit Nachweisen zur deutschen Rechtsprechung.

[26]

EuGH Rs. C-378/10 ECLI:EU:C:2012:440 (Vale) NJW 2012, 2715.

[27]

Drygala EWiR 2012, 263, 264 (Anm. zu OLG Nürnberg oben Fn 23).

[28]

EuGH Rs. C-106/16 ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud).

Literaturhinweise

Behandlung der fallrelevanten Themen in:

Rauscher Internationales Privatrecht (5. Aufl., 2017)


Substitution: Rn 537 ff, insbesondere Rn 544
Verbraucherzuständigkeiten Brüssel Ia-VO: Rn 2038 ff
Wohnsitz in Brüssel Ia-VO: Rn 1778 ff, insbesondere Rn 1783
Gesellschaftsstatut und Art. 49, 54 AEUV: Rn 632 ff
Partei- und Prozessfähigkeit: Rn 626

Weitere Literatur

1. Substitution

Staudinger/Looschelders (2019) Einl IPR, Rn 1218.

Cramer Die Beurkundung der GmbH-Gründung durch einen in der Schweiz zugelassenen Notar mit Amtssitz im Kanton Bern, StR 2018, 746.

Götze/Mörtel Zur Beurkundung von GmbH-Anteilsübertragungen in der Schweiz, NZG 2011, 727.

2. Verbraucherzuständigkeiten Brüssel Ia-VO

Rauscher/Staudinger (2016), Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn 1.

Rösler/Siepmann Der Beitrag des EuGH zur Präzisierung von Art. 15 I EuGVO, EuZW 2006, 76.

3. Wohnsitz in Brüssel Ia-VO

Rauscher/Mankowski (2016), Art. 4 Brüssel Ia-VO, Rn 2.

4. Gesellschaftsstatut und Art. 49, 54 AEUV

Kieninger Internationales Gesellschaftsrecht zwischen Polbud, Panama und Paradise, ZEuP 2018, 309.

Kindler Der reale Niederlassungsbegriff nach dem VALE-Urteil des EuGH, EuZW 2012, 888.

Loose Unternehmensmobilität in Europa, JR 2019, im Erscheinen.

5. Partei- und Prozessfähigkeit

Binz/Mayer, Die Rechtsstellung von Kapitalgesellschaften aus Nicht-EU/EWR/USA-Staaten mit Verwaltungssitz in Deutschland, BB 2005, 2361.

2. Teil Klausuren › II. Familienrecht

II. Familienrecht

2. Teil Klausuren › II. Familienrecht › Fall 3 Eine dänische Bigamie

Fall 3 Eine dänische Bigamie

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Der italienische Staatsangehörige Marcello Mestre und die deutsche Staatsangehörige Frieda Frankfurt haben am 1.6.1970 in Tondern (Dänemark) in der Form des dänischen Rechts die Ehe geschlossen. Sie lebten zu dieser Zeit in Hamburg. Grund für die Eheschließung in Dänemark war, dass Marcello von Januar 1967 bis August 1968 mit der deutschen Staatsangehörigen Dörte Degen verheiratet gewesen war. Diese Ehe war durch das Amtsgericht Hamburg mit seit dem 17.8.1968 rechtskräftigem Urteil geschieden worden. Der Standesbeamte beim Standesamt Hamburg Mitte hatte deshalb Marcello und Frieda auf absehbare Schwierigkeiten bei der beabsichtigten Eheschließung hingewiesen und den Verlobten den „Tondern-Tipp“ gegeben.

Seit 1995 leben die Ehegatten in Venedig (Italien), wo Marcello ein Hotel betreibt. 2008 hat Frieda auf Antrag die italienische Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erworben, nachdem bis dahin wegen der aus italienischer Sicht zweifelhaften Eheschließung an einem automatischen Erwerb der italienischen Staatsangehörigkeit kraft Eheschließung stets Zweifel bestanden hatten.

Nach Jahren der Untreue ihres Gatten beschließt Frieda, sich scheiden zu lassen. Sie verlässt am 28.6.2013 die eheliche Wohnung. Da ihr der italienische Rechtsanwalt, den sie im Dezember 2013 aufsucht, die Langwierigkeit eines Scheidungsverfahrens in Italien darstellt, zieht Frieda am 1.2.2015 auf Dauer nach Berlin.

Der Rechtsanwalt, den sie in Berlin konsultiert, meint, ihre Ehe sei eigentlich nicht wirksam und deshalb kein Fall für eine Scheidung. Er stellt am 29.3.2016 bei dem für den Wohnort der Frieda örtlich zuständigen Amtsgericht Berlin Köpenick (Familiengericht) folgende, dem Marcello am 21.6.2016 zugestellte, Anträge:


Die am 1.6.1970 geschlossene Ehe von Frieda Frankfurt und Marcello Mestre wegen Verstoßes gegen das Ehehindernis der anderweitig bestehenden Ehe aufzuheben.
Hilfsweise die vorbezeichnete Ehe zu scheiden.


1. Wie wird das Gericht entscheiden, wenn Marcello mit beiden Anträgen einverstanden ist?
2. Abwandlung 1: Bei im Übrigen unverändertem Sachverhalt haben die Ehegatten während ihrer gesamten Ehe in Locarno (Kanton Tessin, Schweiz) gelebt und leben dort (getrennt) auch weiterhin. Außerdem hat Frieda nicht die italienische Staatsangehörigkeit erworben. Ist ein deutsches Gericht für einen Scheidungsantrag der Frieda zuständig? Wie kann das Familiengericht Zweifel an der Auslegung der maßgeblichen Zuständigkeitsbestimmungen klären, wenn der Antragsgegner vorträgt, kein Gericht in der EU sei für diesen Scheidungsantrag zuständig?
3. Abwandlung 2: Die Ehe ist für beide Ehegatten die erste Ehe, beide sind ausschließlich italienische Staatsangehörige und haben seit der Eheschließung immer in Deutschland gelebt. Sie haben in einem am 3.1.2012 vor einem Notar in Berlin geschlossenen Ehevertrag unter anderem bestimmt: „Soweit dies derzeit oder künftig gesetzlich zulässig ist, vereinbaren wir für eine Scheidung unserer Ehe die Anwendung italienischen materiellen Rechts.“ Frieda möchte geschieden werden, Marcello will einer Scheidung nicht zustimmen. Welchen Antrag kann Frieda mit Aussicht auf Erfolg im Januar 2018 vor deutschen Gerichten stellen?

126

Materialien

I. Intertemporale Hinweise zum deutschen IPR

a)

Intertemporale Fragen sind zu erörtern.

Soweit sich daraus die Anwendung einer früheren Rechtslage ergibt, ist davon auszugehen, dass dem geltenden deutschen IPR und IZPR inhaltlich identische Normen zu den fallrelevanten Fragen und in den fallrelevanten Zeitpunkten in Kraft waren.

II. Italienisches IPR

b)

Mit Wirkung vom 1.9.1995 wurde das italienische IPR reformiert; bis 31.8.1995 war das IPR geregelt in den Einführungsbestimmungen des codice civile:

disposizioni sulla legge in generale[1] (disp.s.l.in gen., „Bestimmungen über das Gesetz im Allgemeinen“)

c) Art. 17 disp.s.l.in gen.

Der Personenstand, die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Personen und die Rechtsverhältnisse der Familie werden vom Recht des Staates geregelt, dem diese angehören.

[Hinweis: Art. 17 Abs. 1 wurde auf die Voraussetzungen und die Wirkungen der Ehe bei gleicher Staatsangehörigkeit angewendet.]

d) Italienisches IPRG, seit 1.9.1995 in Kraft[2]

Art. 31 IPRG

(1) Die persönliche Trennung und die Auflösung der Ehe unterliegen dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten im Zeitpunkt des Trennungsantrags oder des Antrags auf Auflösung der Ehe. Fehlt ein solches, ist das Recht des Staates anwendbar, in dem das Eheleben überwiegend stattfindet.

(2) Die persönliche Trennung und die Auflösung der Ehe werden durch italienisches Recht geregelt, wenn sie von dem anwendbaren ausländischen Recht nicht vorgesehen sind.

III. Italienisches materielles Recht

Codice Civile[3]

e) Art. 86 cc

1970 geltende Fassung: Eine Ehe kann nicht eingehen, wer bereits durch eine frühere Ehe gebunden ist.

Seit 5.6.2016 geltende Fassung: Eine Ehe kann nicht eingehen, wer bereits durch eine frühere Ehe oder eine unione civile zwischen Personen gleichen Geschlechts gebunden ist.

f) Art. 115 Abs. 1 cc

Der italienische Staatsbürger ist den im ersten Abschnitt dieses Kapitels enthaltenen Vorschriften auch dann unterworfen, wenn er die Ehe im Ausland nach den dort geltenden Formvorschriften schließt.

[Hinweis: Zum genannten 1. Abschnitt gehört auch Art. 86 cc]

g) Art. 117 Abs. 1 cc

(1) Die unter Verstoß gegen die Bestimmungen der Artikel 86, 87 und 88 geschlossene Ehe kann von den Ehegatten, ihren nächsten Aszendenten, der Staatsanwaltschaft und von all denen angefochten werden, die an der Anfechtung ein berechtigtes und gegenwärtiges Interesse haben.

(2) Eine in Verletzung des Artikels 84 geschlossene Ehe kann von den Ehegatten, von jedem Elternteil und von der Staatsanwaltschaft angefochten werden (…)

h)

Die in Art. 117 Abs. 1 cc erwähnte Anfechtung erfolgt durch Klage; das stattgebende Urteil hebt die Ehe ex tunc auf. Die Scheidung der früheren Ehe beseitigt nicht die Aufhebbarkeit im Fall der Art. 117 Abs. 1, 86.

legge n. 898 v. 1.12.1970 (italienisches Scheidungsgesetz) idF. legge n. 55 v. 6.5.2015[4]

i) Art. 3 L 1970/898

Die Auflösung der Ehe oder die Beendigung ihrer zivilrechtlichen Wirkungen kann von einem der Ehegatten beantragt werden:

(…)

2. in den Fällen, in denen:

(…)

(b) eine gerichtliche Trennung zwischen den Ehegatten durch rechtskräftiges Urteil ausgesprochen oder eine einverständliche Trennung gerichtlich bestätigt worden ist oder wenn eine tatsächliche Trennung besteht, sofern diese tatsächliche Trennung wenigstens zwei Jahre vor dem 18.12.1970 begonnen hat.

In allen vorgenannten Fällen muss für die Einreichung des Antrags auf Auflösung der Ehe oder Beendigung ihrer zivilrechtlichen Wirkungen die Trennung zwischen den Ehegatten ununterbrochen mindestens zwölf Monate gedauert haben, gerechnet von dem Zeitpunkt an, zu dem die Ehegatten im Ehetrennungsverfahren vor dem Gerichtspräsidenten erschienen sind, oder sechs Monate im Fall der einverständlichen Trennung, auch wenn das streitige Urteil in ein einvernehmliches umgewandelt worden ist, oder von dem Zeitpunkt an, der in einer anwaltsunterstützten Trennungsvereinbarung angegeben ist oder der sich aus der Urkunde über die vor dem Standesbeamten geschlossene Trennungsvereinbarung ergibt. Eine eventuelle Unterbrechung der Trennung muss von der beklagten Partei eingewendet werden.

k)

Es ist davon auszugehen, dass andere Gründe des italienischen Rechts für die gerichtliche Scheidung der Ehe der Ehegatten nicht vorliegen. Eine anwaltlich unterstützte Ehescheidung ohne gerichtliches Verfahren („divorzio breve“) nach legge n. 162 v. 10.11.2014 iVm. Decreto legge n. 132 v. 12.9.2014 erfordert immer ein Einvernehmen der Ehegatten über die Scheidung.

Vor Inkrafttreten der legge 1970/898 sah das italienische Recht eine Scheidung nicht vor. Ausländische Scheidungsurteile mit Beteiligung italienischer Staatsangehöriger waren wegen Verstoßes gegen den italienischen ordre public bis zum Inkrafttreten des Scheidungsgesetzes (oben i) nicht anerkennungsfähig. Später erfolgte eine Anerkennung bis zum 31.12.1996 nach Art. 797 codice di procedura civile, der ein formelles gerichtliches Anerkennungsverfahren vorschrieb. Erst seit 1.1.1997 gilt mit Art. 67 des italienischen IPRG das Prinzip der Inzidentanerkennung.

l) Art. 150 cc

(1) Die persönliche Trennung[5] der Ehegatten ist zulässig.

(2) Die Trennung kann gerichtlich oder einverständlich erfolgen.

(3) Das Recht, die gerichtliche Trennung oder die Bestätigung der einverständlichen Trennung zu verlangen, steht ausschließlich den Ehegatten zu.

m) Art. 151 cc

(1) Die Trennung kann beantragt werden, wenn sich, auch unabhängig vom Willen eines oder beider Ehegatten, eingetretene Tatsachen ergeben, welche die Fortsetzung des Zusammenlebens unerträglich gestalten oder schwere Nachteile für die Erziehung der Nachkommenschaft mit sich bringen.

(2) Bei Ausspruch der Trennung erklärt der Richter, wenn es sich aus den Umständen ergibt und ein entsprechender Antrag gestellt ist, welchem der Ehegatten wegen seines mit ehelichen Pflichten nicht zu vereinbarenden Verhaltens die Trennung anzulasten ist.

Žanrid ja sildid
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