Loe raamatut: «Ab heute ohne mich»

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Tina Engel

Ab heute ohne mich

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Anfang

Leos Party

Das Ende

Und tschüss

Frei und nun?

Neuer Tag, neue Bleibe

Ein Häuschen mit Garten

Nur geträumt?

Rote Rosen

Haus der Träume

Recherchen für einen Traum

Nägel mit Köpfen

Weihnachten

Die Arbeit fängt erst an

Der Tag danach

Ende eines Sommers

Nach Hause

Wiedersehen macht Freude?

In der Höhle des Löwen…und der Löwin

Sehnsucht

Zurück in den Süden

Jahresende mit Schrecken

Noch ein Versuch…

Umwerfende Neuigkeiten

Neues Jahr, neue Gäste

Hallo Baby

Die Frage aller Fragen

Zwei Jahre im Zeitraffer

Impressum neobooks

Der Anfang

Es war ein Samstag Anfang September. Die Sonne strahlte im vorherbstlichen Gold vom wolkenlosen Himmel auf die Stadt nieder. Mitten in der City auf und rings um einen großen Parkplatz war an diesem Nachmittag der Teufel los.

Stadtfest - ein Fest für Groß und Klein. Über den gesamten Platz verstreut gab es Imbissbuden aller Art, Zuckerwatte- und Softeisbuden, Info- und Verkaufsstände, Schießbuden, Karussells - eigentlich war alles vorhanden, was so ein Fest ausmachte und was das Besucherherz begehrte.

Die 25-jährige Lisa befand sich mittendrin in dem Gewühl. Eigentlich hasste sie solche großen, unübersichtlichen Menschenansammlungen, bei denen man sich kaum drehen und wenden konnte und ständig in eine Richtung geschoben wurde, in die man gar nicht wollte.

Gut, heute wurde sie mal nicht geschoben. In ein adrettes Kostüm gehüllt, stand sie hinter einem der zahlreichen Stände. Ein Infostand, den Lisas Freund Dennis am frühen Morgen hier mit aufgebaut hatte. Er und einer seiner Kollegen präsentierten die Agentur, in der er seit ein paar Jahren arbeitete. Dennis war eine Art Allround-Berater - er vermittelte in Immobilien-Angelegenheiten, auch wenn es um Finanzen allgemein oder um eine maßgeschneiderte Geldanlage ging. Zum Thema Geld wusste er eine Menge zu erzählen – egal, worum es im Einzelnen ging.

In Schlips und Kragen verpackt und brav gestylt sprachen die beiden jungen Herren sehr redegewandt auf interessierte Passanten ein. Hin und wieder gewannen sie den einen oder anderen Unentschlossenen für ein Gespräch oder vereinbarten einen Beratungstermin in der Agentur. Für Dennis gehörte es auf seinem Weg nach oben dazu, auf solchen Veranstaltungen durch Präsenz zu glänzen. In den letzten Jahren war er dank seines konsequenten Einsatzes auf der Karriereleiter immer wieder ein Stückchen hinaufgeklettert. Sein Chef hielt große Stücke auf ihn. Und umgekehrt war es genauso.

Anfangs hatte Lisa es interessant und bewundernswert gefunden. Inzwischen jedoch langweilte es sie nur noch. Sie hatte schon vor einer ganzen Weile aufgehört, sich Gedanken um seine Karriere zu machen. Auch wenn sie ihn auf Geschäftsessen, Messen oder diverse Ausstellungen begleitete, war sie nur noch mechanisch anwesend, mit aufgesetztem Lächeln und geheucheltem Interesse.

Dennis allerdings war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er davon noch nichts mitbekommen hatte.

Seit fünf Jahren waren sie ein Paar. Lisa war sich nicht ganz sicher, was genau sie bei Dennis hielt.

War es Liebe? Auf jeden Fall war es das bis vor einiger Zeit noch gewesen.

Damals, am Anfang ihrer Beziehung hatte sie ihn nur anzusehen brauchen, schon wusste sie: er war der Mann, mit dem sie einmal Kinder haben und mit dem sie alt werden wollte.

Leo kam anmarschiert und steuerte direkt auf Dennis zu. „Na, du alter Schwätzer!“ rief er gutgelaunt.

Dennis schlug in die gebotene Hand ein und grinste: „Na? Soll ich dir auch was Feines aufschwatzen?“

Nee, lass man, du hast mir schon genug angedreht“, lachte Leo, der ein paar Pfunde mehr auf den Rippen hatte und damit sehr gemütlich wirkte.

Er zwinkerte auch Lisa grüßend zu. Dann flachsten er und Dennis ein wenig herum. Dabei schaffte Leo es immer wieder, das letzte Wort zu haben, was Lisa mächtig amüsierte.

Später meinte er, an beide gewandt: „Habt ihr nächsten Samstag eigentlich schon was vor?“

Nö, wieso?“ entgegnete Dennis, nachdem er einen kurzen Blick mit Lisa getauscht hatte.

Ich mache Party.“

Einfach so oder warum das?“ fragte Lisa neugierig, doch insgeheim schwante ihr schon etwas.

Ich werd' einfach so neunundzwanzig und wollte in meinen Geburtstag reinfeiern.“

Da machen wir doch glatt mit“, meinte Dennis, Lisa nickte ebenfalls begeistert. Endlich gab's mal wieder eine von Leos berühmt-berüchtigten Partys. Wenn er feierte, ging es nicht so spießig zu und es gab immer was zu lachen.

Moment mal“, stutzte Lisa im nächsten Moment und tippte sich gegen die Stirn. „Neunundzwanzig bist du letztes Jahr auch schon geworden…“

Leo tat, als wäre er nun total verlegen. Da klopfte Lisa ihm auf die Schulter und meinte grinsend: „Na, vielleicht tut sich ja beziehungstechnisch in den nächsten Tagen noch was. Wir lassen uns deine Party auf keinen Fall entgehen.“

Supi, dann sehen wir uns. Ich muss erst mal wieder – und ihr repräsentiert mal noch schön fleißig hier“, meinte Leo und drehte nun weiter seine Runde, um nebenbei noch ein paar anderen Leuten Bescheid zu geben.

Dennis drehte sich zu Lisa um und zog sie im nächsten Moment zu sich.

Er deutete ihren Gesichtsausdruck wohl richtig. „Hey, mir tun auch schon die Füße weh. Aber wir haben das hier bald geschafft.“

Schön wär’s“, seufzte sie leise und ließ sich flüchtig von ihm küssen.

Zwei seiner Kumpels kamen, kurz darauf gesellten sich zwei von Lisas Freundinnen zu ihnen und irgendwann war der ganze Stand plötzlich voller bekannter Gesichter.

Langsam begann diese Sache doch noch, Lisa ein wenig Spaß zu machen. Dennis holte unter dem Tisch einen Karton Sekt hervor, sein Kollege kramte aus einem anderen Karton Plastikbecher hervor – es wurden zwei Flaschen geöffnet und das sprudelnde Zeug in die Becher gegossen.

Von einem der Karussells tönte schon die ganze Zeit Musik aus den Charts herüber, seit ein paar Minuten sogar etwas lauter. Prompt wippten die Mädchen im Takt mit und kicherten.

Einer der Jungs gab eine witzige Story über einen tollpatschigen Typen aus seiner Firma zum Besten, die Leute am Stand lachten immer wieder amüsiert.

Lisa ebenfalls. Sie hatte sich gerade wieder etwas gefangen, als sie in der Menschenmenge auf dem Platz jemanden entdeckte. Ralf.

Ihr Herz schlug plötzlich bis zum Hals. Warum auf einmal? Es war doch schon lange vorbei. Seit dem hatten sie sich - zumindest inoffiziell - nicht wieder gesehen.

Lisa sah nun auch das Mädchen an seiner Seite. Lara. Mit ihr war er schon genauso lange zusammen wie Lisa mit Dennis.

Lara zeigte nun auf Dennis. Lisa wäre am liebsten auf der Stelle im Erdboden versunken. Jetzt kamen die Beiden auch noch auf direktem Weg zu ihnen an den Stand!

Lisa trank ihren Becher in einem Zug leer. Sie musste jetzt ganz locker und relaxt bleiben. Konnte sie das in Anbetracht der Lage überhaupt? Ihr blieb keine Wahl.

Da standen die Beiden auch schon vor ihnen. Ralfs Augen strahlten wie eh und je, immer hatte er den Schalk im Blick, egal zu welcher Gelegenheit. Verstohlen blinzelte er kurz zu Lisa herüber.

Hi“, hauchte sie lautlos und erwiderte seinen fröhlichen Blick. Sie meinte, seine Gedanken zu hören: Hey, wir wissen was, was die nicht wissen…

Vor zwei Jahren, auf Leos vorletzter, groß angelegter Geburtstagsparty, hatte es zwischen ihnen gefunkt. Gewaltig. Von einer Sekunde auf die andere. Dabei kannten sie sich schon länger, hatten sich bis dahin immer irgendwie geheimnisvoll umschwänzelt - wie zwei Katzen, die nicht wussten, was sie voneinander zu halten hatten. Doch auf der Party dann hatten sich nicht nur ihre Blicke auf ganz seltsame Art berührt, sondern am Buffet auch ihre Hände, als sie aus Versehen im gleichen Moment zum gleichen Häppchen greifen wollten.

Ein erschrockener und zugleich faszinierter Blick in die Augen des anderen - und schon war alles gesagt.

Ich muss dich wiedersehen, allein“, hatte er ihr in jener Nacht leise zugeflüstert. Mit diesen Worten war die Lawine ins Rollen gebracht worden.

Wehmütig hatte Lisa später oft daran zurück gedacht.

Hin und wieder hatten sie sich heimlich in dem kleinen Wald am Stadtrand getroffen, hatten viel geredet, geträumt, gelacht. Dann waren sie ein paar Mal miteinander im Bett eines auswärtigen Hotels, einer Pension, auf der Rückbank eines Autos oder wo auch immer gelandet. Sie hatten eine kurze, wahrlich heiße Affäre ausgelebt. Bis beide nach ein paar Wochen ganz abrupt aus ihrem erotischen Traum aufwachten und einsahen, dass sie sich mit jedem Mal, das sie sich trafen, nur noch tiefer ins Chaos hineinritten. Dass sie sich damit gegenseitig nur unnötig wehtaten, da für beide zu dem Zeitpunkt feststand, dass sie sich nicht von ihren Partnern trennen konnten. Lara war damals im fünften Monat schwanger gewesen. Für Lisa ein Grund mehr, dem Baby nicht die Familie zu zerstören.

Leider war das ungeborene Wesen zwei Monate später noch in Laras Bauch aus unerklärlichen Gründen gestorben.

Oft war Lisa versucht gewesen, den Kontakt zu Ralf wieder aufzunehmen, ihm in der schweren Zeit beizustehen. Aber was wäre daraus geworden?

Sie wären wieder zusammen im Bett gelandet, alles wäre von vorn losgegangen, Gefühle wieder hoch gekocht.

Um stark zu bleiben und diese traurige Geschichte irgendwie zu überstehen, brauchte Lara ihren Freund Ralf zu jener Zeit mehr denn je an ihrer Seite.

Lisa hatte damals nur eine einzige SMS auf Ralfs Handy geschickt: „Nicht traurig sein.“

Nun stand er auf einmal wieder vor ihr. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen. Sie vergrub ihre Hände tief in den Jackentaschen, so sehr zitterten sie vor Aufregung. So sehr brachte er ihr Herz noch in Wallung.

Lara wurde in diesem Augenblick von einem der Jungs angesprochen. Das musste Lisa ausnutzen.

„Na, wie geht’s?“ fragte sie, so locker sie konnte. Dabei sah sie Ralf mit großen Augen an.

In diesem Moment – super!“ Seine Augen lachten sie an. Wie kannst du nur fragen? Wenn ich dich sehe, dann geht es mir einfach gut, dann ist die Welt in Ordnung!

Diese Zweideutigkeit seiner Antwort hatte nur Lisa herausgehört. Also hieß das, dass es ihm sonst nicht gut ging? Leider war dies nicht der richtige Ort, um das näher zu erörtern.

Und selbst?“ fragte er.

Wie immer“, antwortete sie. Es hat sich nichts geändert, ich habe dich vermisst , sagte ihm ihr Blick.

Da wandte sie sich von ihm ab und meinte zu Dennis, der etwas abseits bei ein paar anderen Leuten stand: „Habt ihr noch was zu trinken?“

Dennis wurde auf Ralf und dessen Begleiterin aufmerksam. „Aber klar doch.“ Er kam kurz zu ihnen, um Ralf und Lara zu begrüßen. Dann füllte er sämtliche Becher um sich herum. Schon stießen sie alle noch einmal an.

Auf dieses Wiedersehen nach so langer Zeit“, sah Lisa zu Ralf und seiner Freundin. Lara lächelte, es wirkte jedoch verkrampft. Hatte sie damals möglicherweise doch etwas mitbekommen?

Kurz suchte Lisa seinen Blick. Sein Blick sagte: Alles okay.

Laras Gespräch mit Tom, einem alten Schulkameraden, der sich zufällig gerade neben ihr am Stand aufhielt, lebte auf.

Lisa war mehr als versucht, näher an Ralf heranzutreten, um herauszufinden, ob auch sie ihn noch verwirren konnte. Doch im nächsten Moment schalt sie sich mies und hinterhältig. Schließlich war Ralf in Begleitung. Und da er und Lara immer noch ein Paar waren, schien sich bei den Beiden mit der Zeit alles wieder eingerenkt zu haben, zumindest, was Ralfs kurzzeitigen Gefühlsausbruch in Bezug auf Lisa betraf.

Und da war dann auch noch Dennis. Notgedrungen versuchte Lisa, sich im Folgenden mehr auf eine ihrer Freundinnen zu konzentrieren, und wurde prompt in ein Gespräch verwickelt. Ralf wechselte mit Dennis und dessen Leuten ein paar Worte, Lara blieb derweil an seiner Seite. Irgendwann gab sie ihrem Freund jedoch zu verstehen, dass sie weiterwollte.

Lisa horchte auf. Noch einmal trafen sich ihre Blicke. Er rief kurz: „Bis die Tage mal!“ Dann drehte er sich um und ging. An seiner Hand Lara.

Verzweifelt wünschte Lisa sich - wie schon so oft in den letzten Jahren – in diesem Moment ganz weit weg von hier. Nur schwer ertrug sie diese wieder aufkeimende, unerfüllte Sehnsucht. Ganz besonders in diesem Moment.

Nach einer Weile voller Wehmut riss sie sich zusammen und platzierte sich an Dennis’ Seite. Er nahm zwar kaum Notiz von ihr, weil er mit zwei Leuten in ein Gespräch vertieft war, doch zumindest hatte er ihre Hand in seine genommen.

Sein Chef gesellte sich an diesem Nachmittag auch noch zu ihnen.

Lisa machte drei Kreuze, als das ganze Getue endlich überstanden war und sie abends zu Hause aufs Sofa fallen konnte.

Dennis hingegen war noch mit Kumpels losgezogen. Er hatte seine Freundin zwar gefragt, ob sie mitwollte, doch danach stand ihr heute nicht mehr der Sinn.

Sie war froh, dass sie nun ihre Ruhe hatte. Sie war geschafft vom Tage und dennoch viel zu aufgewühlt.

Sie hatte Ralf wiedergesehen. Er hatte sich in den letzten beiden Jahren nicht verändert, hatte immer noch seine sportliche Figur mit den breiten Schultern, an die man sich so schön anschmiegen konnte. Seinen Schädel zierte immer noch dieser 5-Millimeter-Stoppel-Haarschnitt, der sich so weich und flauschig anfühlte, wenn man sanft darüber strich.

Mehr als ein Mal ertappte Lisa sich dabei, dass sie auf ihr Handy starrte. Nein, keine Nachricht von ihm. Keine neu erwachte Sehnsucht seinerseits. Kein „Ich muss dich sehen“.

Lisa fuhr hoch und schüttelte sich. Nein, sie durfte nicht an ihn denken! Alles, was sie sich mit Dennis aufgebaut hatte, würde wie ein Kartenhaus zusammenstürzen, wenn sie erneut schwach wurde. Noch einmal stand sie das nicht ohne Folgen durch.

Sie ging in die Küche. Dort nahm sie sich aus dem Kühlschrank eine Flasche Rotwein. Die leerte sie im Verlaufe dieses Abends, ziemlich zügig sogar – dann fiel sie wie ein Stein in ihr Bett.

Sie verschlief den halben Sonntag. Als sie wach wurde, lag Dennis neben ihr. Sie hatte nicht mal gemerkt, dass bzw. wann er heimgekommen war.

Schon bald verzog sie sich vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer, aufs Sofa. Sie aß einen Happen und zappte sich durch das Sonntags-Fernseh-Programm. Zwischendurch tauschte sie SMS mit der einen oder anderen Freundin.

Am frühen Abend gesellte sich Dennis zu ihr aufs Sofa. Doch sobald er irgendwelche Annäherungsversuche startete, wich Lisa ihm aus. Sie schob Kopfweh vor.

Leos Party

Da Dennis’ Chef ausgerechnet an diesem Abend mit seinen besten Mitarbeitern und deren Partnerinnen hatte essen gehen wollen, konnten Lisa und Dennis erst später zu Leo fahren. Lisa hatte nach dem Essen darauf bestanden, noch einmal kurz nach Hause zu fahren, damit sie aus dem Kostüm in bequemere Kleidung schlüpfen konnte. Sie tauchte in schwarze Jeans und in ein schwarzes Leder-Top, in dem ihr Dekolleté so sexy zur Geltung kam. Dennis knöpfte lediglich sein Hemd ein Stück auf und krempelte die Ärmel hoch, schon sah er gleich etwas legärer aus.

Die Party in Leos Haus war in vollem Gange.

Leo öffnete ihnen auf ihr Klingeln hin höchstpersönlich und ließ sie herein.

Bis Mitternacht war es noch eine gute Stunde.

Lisa - kaum mitten im Geschehen angekommen - wurde urplötzlich von einer seltsamen inneren Unruhe erfasst. Sie konnte sich zunächst jedoch nicht erklären, warum.

Neugierig ließ sie ihren Blick durch die Menge gleiten und entdeckte den Grund für ihre Unruhe – Ralf. Er unterhielt sich gerade mit zwei Mädchen.

Wo war Lara?

Dennis stieß sie sanft an. „Hey, Leo hat gefragt, was du trinken möchtest.“

Sorry“, zwinkerte sie Leo nun zu. „Ich hole mir, was ich brauche.“

Leos Augen leuchteten auf, er lachte sein gemütliches Lachen. „Recht so!“ feixte er.

Wenig später fand Lisa sich an einem Tisch wieder, auf dem Sekt, Wein und Bowle zur Auswahl standen. Sie löffelte sich ein Glas voll mit Bowle und besonders vielen Früchten.

Leos Spezial-Mix“, hörte sie in diesem Moment Ralf neben sich. Sie wandte den Kopf zur Seite und schaute zu ihm auf. „Der verheißt nix Gutes, was?“ meinte sie lächelnd und überspielte damit ihre innere Aufregung. Er schüttelte leicht den Kopf. „Du weißt doch, ihm ist langsam jedes Mittel recht, um sich eine Frau gefügig zu machen.“

Oh mein Gott!“ riss sie die freie Hand theatralisch vor den Mund und tat bestürzt. „Meinst du, ich sollte auf der Hut sein?“

Soll ich auf dich aufpassen?“ fragte er und grinste sie frech an.

Nee, das nimmt auch kein gutes Ende“, winkte sie ab, doch in ihren Gedanken schrie es: Ja, tu es, kümmer dich um mich, genau wie damals…

Darf ich dich dann wenigstens im Auge behalten?“ tat er leicht gekränkt, das Strahlen in seinen Augen verriet ihn allerdings.

Bist du heute hier der Aufpasser vom Dienst?“ blinzelte sie zu ihm auf.

Nein, ich habe heute frei.“

Lisa sah sich suchend um: „In jeder Hinsicht? Oder wo hast du Lara versteckt?“

Sie ist mit Freundinnen im Kino, diese Partys sind ihr zu langweilig, weil sie hier kaum wen kennt.“

Hat sie dich einfach so gehen lassen? Weiß sie nicht, dass hier ein paar hübsche Mädels herumlaufen, die so ein Leckerchen wie dich garantiert nicht von der Sofa-Kante schubsen würden?“ Lisa schüttelte den Kopf, denn diesen Mann ließ man besser nicht ohne Aufsicht. Schließlich war auch sie bereits seinem Charme zum Opfer gefallen…

Leicht ist es ihr nicht gefallen. Sie war schon drauf und dran, einen Streit zu provozieren.“ Ralf war ernst geworden.

Weil du nicht mit ihr ins Kino wolltest?“ hakte Lisa nach.

Weil ich mir dieses heiße Outfit nicht entgehen lassen wollte.“ Dabei musterte er vor allem ihr einladendes Dekolleté, jedoch nur mit seinen Augen, damit es keinem der anderen Anwesenden auffiel. Wie oft hatte er ihre hübschen, festen Brüste schon geküsst, berührt und sanft gestreichelt...

Ach ja?“ fragte sie anzüglich und nippte an ihrem Glas.

Er beugte sich leicht zu ihr und gestand ihr leise: „Ich habe gehofft, dich hier wiederzusehen.“

Lisa wich ein Stück zurück. „Na gut, nun hast du mich gesehen… dann bis zum nächsten Mal.“ Sie drehte sich um und tat, als wollte sie ihn stehen lassen. Prompt griff er nach ihrem Arm. „Bitte bleib“, flehte er leise. Dann raunte er ihr zu: „Du bist die heißeste Person des ganzen Abends.“ Er fächelte sich Luft zu und grinste nun wieder.

Sie trat einen Schritt auf ihn zu, um nicht so laut reden zu müssen: „Wenn dich einer hören würde…“ Sie lächelte verschmitzt.

Dann lass uns mal schnell das Thema wechseln“, tat er ängstlich und sah sich um.

Lisa musste arg aufpassen, dass sie nicht zu offensichtlich mit ihm flirtete. Dennis war hier irgendwo in greifbarer Nähe. Er sollte keinen Grund haben, einen Verdacht zu schöpfen.

Lisa stieß mit ihrem Glas an Ralfs Bierflasche: „Auf unser Wiedersehen!“

Auf uns…er Wiedersehen.“ Er liebte diese Wortspielchen, mit denen er ihr sagen konnte, was er dachte.

Sie stupste ihm mit ihrer anderen Hand vor die Brust: „Mann, jetzt bleib mal sachlich.“

Ach ja? Und dann?“ grinste er verstohlen. Dann flüsterte er dicht an ihrem Ohr. „Würdest du mich echt nicht von der Sofa-Kante schubsen?“

Wer weiß?“ entgegnete sie geheimnisvoll. Allein die Vorstellung, mit ihm auf einem Sofa eins zu werden, weckte Erinnerungen, die sie tief in ihr Innerstes verbannt hatte. Langsam wurde es ihr in seiner Nähe zu heiß. Sie brauchte Abstand, um den Anstand wahren zu können. Suchend schaute sie sich um und checkte, wer alles in diesem Raum war und wen sie davon kannte.

Sie entdeckte eine Freundin und brauchte gar nicht lang nach einer Erklärung zu suchen, da Ralf in diesem Moment verständnisvoll meinte: „Geh ruhig zu ihr, sonst wachsen wir noch zusammen… obwohl... die Vorstellung könnte mir gefallen“, lechzte er leise. Doch als er sah, wie sie seufzend die Augen verdrehte, ließ er sie gehen. „Ich hoffe, wir sehen uns später noch.“

Lisa legte kurz ihre Hand auf seinen Arm: „Ganz bestimmt.“ Jede noch so kurze Berührung seiner Haut tat unheimlich gut, doch im nächsten Moment rissen sie alte Wunden wieder auf.

Sie gesellte sich zu der erspähten Freundin, begrüßte diese herzlich. Schon vertieften sie sich in ein Gespräch über ihre Jobs. Sie arbeiteten beide in der gleichen Anwaltskanzlei, hatten genug Stoff zum Erzählen, Lästern und Feixen.

Es wurde Mitternacht. Alle versammelten sich draußen im Garten und stießen lauthals auf Leo an. Dabei ging im Garten ein kleines Feuerwerk los.

Ein paar Minuten später wurde Leo von drei Mädchen entführt. Wohin, war leicht zu erraten. Leo lebte ziemlich zentral in der Stadt. Nicht weit von seinem Haus war das Rathaus.

Leo musste die extra für ihn hübsch hergerichtete Treppe fegen. Dabei wurde er von vielen seiner Gäste umringt und tatkräftig angefeuert.

Unter den johlenden Zuschauern fanden sich auch Lisa und Ralf wieder. Kräftig feuerten sie den armen Leo mit an, der eine Menge Schutt zusammenzukehren hatte. Er hatte die richtige Frau noch nicht gefunden, das musste er nun ausbaden.

Irgendwie konnte er einem schon leid tun. Doch er nahm es mit Humor und war auch hier um seine üblichen, schlagfertigen Sprüche nicht verlegen.

Lisa war mehr zufällig nach und nach in eine dunkle Ecke neben der Treppe gerückt und beobachtete das Szenario von dort aus, als sie plötzlich an der Hand gefasst und fortgezogen wurde. Weiter ins Dunkel hinein.

Ihre feine Nase erkannte sein Aftershave – es war Ralf.

Was machst du?“ fragte sie leise.

Psst“, bekam sie nur zu hören. Schon folgte sie ihm in eine dunkle Seitengasse. Dort zog sie ihre Hand zurück, als hätte sie sich an ihm verbrannt. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand und seufzte. „Das ist keine gute Idee.“

Er trat zu ihr. „Ich kann nicht anders.“ Aber statt sie zu küssen, stemmte er nur die Hände links und rechts neben sie gegen die Wand und sah sie an. Dicht war sein Gesicht dabei über ihrem. Um sie herum war es stockdunkel, doch Lisa spürte seinen Atem, seine unmittelbare Nähe. Die Luft zwischen ihnen knisterte förmlich.

Leise fragte er: „Bist du glücklich mit ihm?“

Was möchtest du hören? Ein Nein? Soll dann alles wieder von vorn losgehen? Hast du vergessen, auf was wir uns vor knapp zwei Jahren geeinigt haben?“

Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke.“

Und was ist mit Lara? Ich kann dich genauso fragen – bist du glücklich mit ihr?“ Ihre Stimme hatte einen bitteren Klang.

Sie hat sich verändert, seit das mit dem Baby passiert ist.“ Aus seiner Stimme klang Enttäuschung.

Liebst du sie noch?“ hakte Lisa vorsichtig nach. Vielleicht konnte sie ihn damit von einer Dummheit abhalten.

Erst nach einer Weile meinte er leise: „Ich hab mich an sie gewöhnt, sie gehört irgendwie zu meinem Leben dazu…“

So geht es mir mit Dennis auch“, dachte sie halblaut und senkte den Kopf. Dann hob sie ihn wieder, entschlossen sagte sie nun: „Komm, lass uns zu den anderen zurückgehen.“ Doch kaum hatte sie es ausgesprochen, lag sie auch schon in seinem Arm und fühlte seinen weichen, warmen Mund auf ihrem. Einen Moment lang war sie ihm ergeben, Erinnerungen wurden wach. Erinnerungen an eine Zeit, in der die Schmetterlinge wild in ihrem Bauch herum geflattert waren. An eine Zeit, in der sie sich von einem heimlichen Treffen zum nächsten gefiebert hatten und es kaum erwarten konnten, sich wiederzusehen.

Schlagartig besann sie sich. Es fiel ihr unendlich schwer, doch schließlich schaffte sie es, sich von ihm zu lösen. Noch einmal meinte sie: „Lass uns gehen.“ Zur Bestärkung ihres Satzes ging sie langsam ein paar Schritte voraus.

Ralf holte sie ein. „Sorry.“

Schon gut.“

Für den Rest des Abends ging sie ihm aus dem Weg.

Es war schwer, seine Gegenwart zu ertragen, zu groß war die Sehnsucht nach seiner Nähe, seinen Berührungen, nach mehr.

Also suchte sie bald Dennis auf und sagte ihm, dass sie heimfuhr. Als er nach dem Warum fragte, gab sie vor, dass ihr die Bowle wohl nicht bekommen sei.

Dein Magen ist doch sonst nicht so empfindlich“, versuchte er es mit einem Lächeln, ließ sie dann jedoch gehen. Er selbst wollte noch bleiben.

Wäre sie noch so verliebt wie am ersten Tag in ihn, wäre sie enttäuscht gewesen, dass er so wenig Mitgefühl zeigte und sie sogar allein gehen ließ.

Aber in dieser Nacht war Lisa froh, allein sein zu können.

Sie hatte sich zuerst ein Taxi rufen wollen, überlegte es sich dann allerdings anders und marschierte zu Fuß los.

Plötzlich folgten ihr Schritte. Umschauen oder nicht? Lisa blieb stehen. Mutig drehte sie sich um. Es war Ralf, der nun auf sie zukam.

„Bist du wahnsinnig - so allein hier durch die Nacht zu laufen?“ fuhr er sie besorgt an.

„Mein Kerl hat beschlossen, noch zu bleiben. Was soll ich tun?“

„Ein Taxi nehmen?“

„Und wenn ich etwas frische Luft brauche?“ konterte sie etwas zickig.

„Dann lass mich dich wenigstens ein Stück begleiten“, bat er nun versöhnlich.

„Ralf, das ist nicht gut. Für uns beide nicht“, hielt sie dagegen, doch ihr Widerstand hielt sich auf sehr wackeligen Füßen.

„Ich... ich kann dich nicht einfach gehen lassen, nicht nach diesem Abend. Ich habe mich durch zwei lange Jahre gequält...“

Da legte sie ihm resolut den Zeigefinger auf die Lippen. „Aber immerhin bist du bei ihr geblieben, die ganzen zwei Jahre. Also kannst du mit ihr gar nicht sooo unglücklich sein.“

Er wich zurück. „Hast du eine Ahnung!“

Fragend sah Lisa ihn an.

„Die erste Zeit, nachdem wir unser Baby verloren hatten, war einfach furchtbar. All ihre Launen habe ich ertragen, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich sie betrogen hatte, während unser Kind unter ihrem Herzen wuchs. Ich brachte es nicht übers Herz, sie allein zu lassen. Ich fühlte mich schuldig. Doch je mehr Zeit vergeht, umso mehr frage ich mich, was für eine Fassade ich da eigentlich noch aufrechterhalte.“

„Das frage ich mich auch“, sagte sie mehr zu sich selbst.

Sanft hob er ihr Kinn an, so dass sie ihn nun ansehen musste. Im Schein der Laterne glitzerten Tränen an ihren Wimpern. Sacht küsste er die kleinen Tröpfchen fort.

„Wir haben es damals nicht geschafft. Sag mir einen Grund, warum wir es heute schaffen sollten“, meinte sie erstickt und wich einen Schritt zurück.

Doch sie wollte nicht erst die Antwort abwarten. Zwischen ihnen würde sich eh nichts ändern. Irgendwann würde er wieder zu Lara zurückkehren – so, wie damals.

Lisa drehte sich um und ließ ihn stehen. Sie nutzte seinen perplexen Zustand und verschwand rasch im Dunkel der Nacht.

Während sie durch die spärlich beleuchteten Straßen lief, kamen ihr erneut die Tränen. Sie ließ ihnen nun freien Lauf.

Dieses Aufeinandertreffen war zuviel für sie gewesen.

Ralf wollte sie vermutlich nur wieder als Gespielin beanspruchen – um sein eigenes Leben etwas aufzupeppen. Doch der Preis dafür war zu hoch. Lisa konnte ihn nicht zahlen. Und dann der Ordnung halber auch noch weiterhin mit Dennis zusammenleben, als wäre alles bestens.

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