Loe raamatut: «Creative Leadership»

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Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

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Wolf Bauer / Torsten Zarges

Creative Leadership.

Erfahrungen aus drei Jahrzehnten an der Spitze der UFA.

Köln: Halem, 2020

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© Copyright Herbert von Halem Verlag 2020


Print: ISBN 978-3-86962-572-0
E-Book (PDF): ISBN 978-3-86962-573-7
E-Book (ePub): ISBN 978-3-86962-574-4

Umschlaggestaltung: Bruno Dias Ribeiro

Lektorat: Rüdiger Steiner

Satz: Herbert von Halem Verlag

Druck: Finidr, s.r.o. Tschechische Republik

Copyright Lexicon © 1992 by The Enschedé Font Foundery.

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Wolf Bauer

mit Torsten Zarges

Creative Leadership

Erfahrungen aus drei Jahrzehnten

an der Spitze der UFA


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1.FREIHEIT oder: Wie wird aus dem Bedürfnis nach Autonomie eine unternehmerische Leitlinie?

2.VERANTWORTUNG oder: Woran spürt man die Wirkungsmacht der bewegten Bilder?

3.FORSCHERDRANG oder: Warum liegt im Reiz neuer Märkte ein sinnvolles Geschäftsprinzip?

4.AUSDAUER oder: Wieso ist Markenbildung ein zentraler Erfolgsfaktor?

5.SOUVERÄNITÄT oder: Warum braucht ein erfolgreicher Kreativunternehmer eigene Rechte?

6.GRÜNDERGEIST oder: Wie findet man den richtigen Rahmen für Expansion und Diversifikation?

7.INNOVATION oder: Wie hält man den Brunnen der Ideen am Sprudeln?

8.FÜHRUNGSSTÄRKE oder: Was macht einen guten Creative Leader aus?

9.AGILITÄT oder: Warum sollte man die ganze Organisation immer wieder infrage stellen?

10.DEMUT oder: Wie bleibt man offen für Kritik von außen?

11.SCHEITERN oder: Weshalb ist ein blaues Auge dann und wann gar nicht schlimm?

12.BRÜCKENSCHLAG oder: Wie lassen sich Kultur- und Wirtschaftsfaktoren unter einen Hut bringen?

13.SEHNSUCHT oder: Wie findet man die Faszination, die einen nicht mehr loslässt?

Anhang

Wolf Bauers UFA-Führungsteam

Bildnachweise

Literatur

Register

»Aber du darfst keine Angst vor dem Lernen haben, es muss ein Teil von dir und selbstverständlich werden wie das Atmen.«

(Ibn Sina in Noah Gordons Der Medicus)

EINLEITUNG

Was ist Kreativität? Wie würden Sie antworten, wenn ich Ihnen diese Frage stellen würde? Ich meine nicht Ihr subjektives Empfinden, sondern den objektiven Stellenwert. Nun, die Zahlen der Europäischen Kommission von 2018 sprechen eine klare Sprache: 1,23 Millionen Unternehmen der Cultural and Creative Industries (CCI) beschäftigen EU-weit 8,66 Millionen fest angestellte Mitarbeiter. Das sind 3,8 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. In Deutschland liegt der Anteil mit 4,0 Prozent geringfügig höher: 1,66 Millionen Angestellte in knapp 129.000 Unternehmen. Zusammengerechnet erwirtschaftet die europäische Kultur- und Kreativindustrie 465,7 Milliarden Euro Umsatz, davon entfallen 95,4 Milliarden auf Deutschland. Hätten Sie gedacht, dass wir damit in etwa so groß sind wie die Metallindustrie, ein Drittel größer als das Baugewerbe und anderthalbmal so groß wie die Kunststoffindustrie?

Aus gutem Grund hat die Politik die Kreativen ins Blickfeld genommen. In offiziellen Berichten der Bundesregierung lässt sich nachlesen, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft eine wichtige Quelle für originäre Ideen sei; dass sie zur wichtigen Gestalterin und Impulsgeberin von Innovation werde; dass die Gründungsdynamik in der Kultur- und Kreativwirtschaft höher sei als in anderen Wirtschaftsbranchen; dass zukunftsorientierte Arbeits- und Geschäftsmodelle hier schon heute alltäglich und viele Unternehmen damit Vorreiter hin zu einer wissensbasierten Ökonomie seien. Keine Frage: In einer Zeit, in der Wissen und Ideen unsere wichtigsten Rohstoffe sind, übernehmen die Creative Industries eine Leitfunktion. Wo es von kreativen Menschen wimmelt, ist allerdings nicht zwingend die ideale Struktur im Einsatz, um das spezifische Talent jedes einzelnen zur Geltung zu bringen. Mit ihrem wachsenden gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Stellenwert wird es für die Unternehmen der Kreativwirtschaft unverzichtbar, ihre Teams so zu strukturieren und zu führen, dass diese möglichst effektiv, effizient und mit größtmöglichem Innovationsoutput arbeiten können.

Kaum eine Herausforderung hat mich in 27 Jahren an der Spitze der UFA, Deutschlands größter Film- und Fernsehproduktionsgruppe, so intensiv und so dauerhaft beschäftigt wie diese. Kreative Teams zu führen, unterscheidet sich fundamental von der schlichten Steuerung einer hierarchischen Ordnung. Wenn sich jedes einzelne Mitglied eines kreativen Teams als Individuum und als besonderes Talent versteht, dann bedeutet ›Creative Leadership‹, dass auch deren Führung kreative Voraussetzungen erfüllen und kreativen Prinzipien folgen muss. Damit die Menschen, die ich führe, kreativ sein können, muss ich sie auf kreative Weise führen – das war stets meine Überzeugung. Dabei hatte ich eigentlich nie die Absicht gehabt, unternehmerisch tätig zu werden, und ich hatte auch eigentlich keine betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen, um eine Unternehmensgruppe zu führen. Da jedoch Bertelsmann – damals der größte Medienkonzern der Welt – zu Beginn der 1990er-Jahre jungen, offenbar zu Hoffnung berechtigenden Nachwuchskräften wie mir beherzt Führungsaufgaben anvertraute, sprang ich ins kalte Wasser und lernte schwimmen – in diesem Fall: unternehmerisch zu handeln.

Hätte mir als Student oder angehender Fernsehjournalist irgend jemand vorausgesagt, dass ich einmal den Marktführer unter Deutschlands Produktionsunternehmen aufbauen und leiten würde – ich hätte nur laut gelacht. Mit hohem Einsatz hätte ich wohl dagegen gewettet, dass ich einmal derjenige sein würde, der gemeinsam mit einem Team aus kreativ und unternehmerisch herausragenden Talenten

•Managementmethoden in einem Segment der Kultur- und Kreativwirtschaft einführt, die dort bis dato nicht zu Hause waren;

•den höheren Sinn oder ›purpose‹ eines Unternehmens, also den Leitgedanken, passgenau zuschneidet auf die kreativen Talente, die dieses Unternehmen erfolgreich machen;

•Innovationsprozesse entwickelt, die zu einem verlässlichen Ideen-Output für über 2.000 Programmstunden pro Jahr führen und neben der Neuerfindung von Programmen auch die Adaption internationaler Formate und die Optimierung langlaufender Programmmarken umfassen;

•eine Programmmarkenstrategie umsetzt, die dem Unternehmen schon zu Jahresbeginn 80 Prozent des Jahresumsatzes absichert;

•feedbackgesteuerte Programmoptimierung unter Zuhilfenahme von hauseigener Marktforschung etabliert;

•die Internationalisierung des Kreativgeschäfts frühzeitig und konsequent angeht;

•als erster Produzent überhaupt Kunden und Partner systematisch nach ihrer Zufriedenheit befragt und der

•ein gewinnorientiertes Unternehmen mit relevanten, wirkungsmächtigen, gemeinschaftsstiftenden Programmen zur kulturellen Institution entwickelt.

Mich persönlich interessieren Autobiografien herzlich wenig. Bitte erwarten Sie daher auch keine von mir! Gern folge ich hingegen der Anregung, meine Erfahrungen aus drei Dekaden Creative Leadership zu vertiefen, um damit hoffentlich ein paar Denkanstöße für gegenwärtige wie künftige Führungskräfte der Kultur- und Kreativwirtschaft zu liefern. Vielleicht taugen meine Einsichten auch als Ermutigung für Absolventen kultur- und geisteswissenschaftlicher Studienfächer, sich unternehmerische Führung zuzutrauen. Nur so kann das Potenzial geistiger Diversität für unsere Kreativindustrie gehoben werden.

1.FREIHEIT ODER: WIE WIRD AUS DEM BEDÜRFNIS NACH AUTONOMIE EINE UNTERNEHMERISCHE LEITLINIE?

Man soll nicht von sich auf andere schließen, heißt es bekanntlich. Ich muss gestehen, dass ich diesen Ratschlag schon früh missachtet habe. Das war, glaube ich, eine der besten Entscheidungen meines beruflichen Lebens.

Mein großer Traum als Jugendlicher war es, Architekt oder Städteplaner zu werden. Mit dem Blick von heute kann man wohl sagen, dass schon früh eine gewisse Gestaltungslust in mir steckte, auch wenn diese sich später auf ganz andere Weise Bahn brechen sollte. Was mich reizte, waren zutiefst menschliche Fragen, die eng mit der Planung von urbanem Leben verknüpft sind: Wie organisiert sich eine Gesellschaft und wie entsteht ihre Öffentlichkeit? Wie wollen ihre Mitglieder miteinander kommunizieren und zueinander finden? Auf welchen Flächen können sie ihre gesellschaftliche Diskussion austragen? Meine philosophische Neigung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich kein Musterschüler war. Und so wurde es mit meinem ziemlich schlechten Abitur nicht gerade leicht, einen Studienplatz zu ergattern. Ich musste zwei Jahre warten. Also studierte ich erst einmal Kunstgeschichte, Philosophie und Zeitungswissenschaft in München. Quasi als Überbrückung, sagte ich mir. Eine Zulassung zum erträumten Architekturstudium erhielt ich schließlich in Berlin. Sonst hätte es für mich keinen Grund gegeben, dorthin zu gehen. Wie das manchmal so mit Träumen ist, platzte meiner nach vier Semestern und einer Zwischenprüfung. Kurse wie »Computergestützte Optimierung der Nasszellenplanung im Sozialen Wohnungsbau« ließen meine Faszination erkalten. Mein vermeintlicher Lebenstraum, durch Architektur gesellschaftliche Ordnung herzustellen, war in der trüben Realität angekommen. Stattdessen hatten die Semester in München mein Interesse an journalistischer Arbeit geweckt. Mein gedanklicher Schwerpunkt an der Freien Universität Berlin verschob sich mehr und mehr auf das parallel angefangene Publizistikstudium bei Harry Pross, dem großen Publizistikwissenschaftler, dessen Sicht auf die Verantwortung des Journalismus stark von seinen Erfahrungen mit der antikommunistischen McCarthy-Hetze in den USA geprägt war.

Pross hatte Laborseminare eingerichtet, die mich besonders begeisterten: Spitzenleute aus der publizistischen Praxis kamen zu Besuch an die Uni und vermittelten uns Studenten, wie konkrete Medienprodukte gemacht wurden. Oft genug durften wir uns selbst an den authentischen Herausforderungen einer Zeitungsoder Fernsehredaktion versuchen. Einer dieser Gastdozenten war Hanns Werner Schwarze, der damals das Berliner ZDF-Studio leitete, außerdem Redaktionsleiter und Moderator des politischen Magazins Kennzeichen D war und als mächtiger TV-Mann galt. Er nahm sich die Zeit, mit uns eine komplette Ausgabe seines Formats zu gestalten. Wir planten Themen, recherchierten Fakten, drehten Beiträge und schrieben Kommentartexte. Als einzige Magazinsendung im deutschen Fernsehen griff Kennzeichen D in den 1970er-Jahren regelmäßig Themen beider deutscher Staaten auf, um so Verständnis beim Zuschauer für das Leben im jeweils anderen Deutschland zu wecken. Natürlich bekamen die ZDF-Zuschauer unsere Übungssendung nicht zu sehen.

Hanns Werner Schwarze aber sollte für mich zum ersten Wegbereiter meiner Fernsehlaufbahn werden. Gegen Ende des Studiums machte ich die frustrierende Erfahrung, keinerlei Aussicht auf einen Job zu haben. Meine Magisterarbeit hatte ich über Fernsehkritik im Fernsehen geschrieben, eine umfassende politisch-soziologische Studie zu der Frage, wie das Medium mit sich selbst umgeht und wie es seinem öffentlich-rechtlichen Anspruch besser genügen könnte. Ich schrieb mehr als 50 Bewerbungen an die verschiedensten Medienunternehmen. Ich wartete und wartete, doch vergeblich – es kam nicht eine einzige Antwort. Es gab nichts, was mich in Berlin hielt. Also kündigte ich meine Wohnung und zog zurück in meine Heimat Stuttgart. Da rief eines Tages völlig unerwartet Schwarze an. »Herr Bauer, warum bewerben Sie sich denn gar nicht bei mir?«, begann er das Gespräch. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich den Eindruck vermeiden wollte, die Beziehung zu einem meiner ehemaligen Seminarleiter auszunutzen. »Jetzt haben Sie sich mal nicht so«, berlinerte er los. »Sie würden gut bei uns reinpassen. Kommen Sie mal vorbei!« So fuhr ich wieder nach Berlin. Und blieb.

Als Reporter bei Kennzeichen D

Kennzeichen D hatte eine komplizierte, teils verdeckte Hierarchie. Mir war nicht auf Anhieb klar, wer Reporterbeiträge drehen durfte und wer nicht. Es gab etliche Redakteure, die mit Recherchen und sonstigen Drehvorbereitungen beschäftigt waren. Vor der Kamera waren nur die großen Namen wie Joachim Jauer, Dirk Sager oder Harald Jung zu sehen. Zu meiner Verwunderung bekam ich nach 14 Tagen meine erste Chance. Ich sollte über ein Neonazi-Treffen nahe der Wewelsburg bei Paderborn, Himmlers einstiger SS-Weihestätte, berichten. Andere Kollegen arbeiteten seit mehreren Jahren für die Redaktion und hatten noch keinen eigenen Beitrag gedreht. Aus heutiger Sicht gibt es nur ein ehrliches Urteil: Ich hatte damals keine Ahnung, was ich tat. ›Learning by doing‹ wurde für mich zum wortwörtlichen Arbeitsprozess. Ich versuchte genau hinzuschauen, wie die erfahrenen Reporter vorgingen, und nahm vor allem im Schneideraum dankbar jede Hilfe an. Recht bald machte Schwarze mich zur Trailer-Stimme von Kennzeichen D. Ich durfte im Intro der Sendung die Themen ankündigen, was mir als freiem Mitarbeiter ein paar zusätzliche Einnahmen bescherte.

So froh ich über meinen Job bei Kennzeichen D war, so wenig hätte ich mir eine Festanstellung beim ZDF vorstellen können. Hierarchien jeglicher Art erschienen mir als Gräuel. Schon während meiner Schulzeit – damals waren Kopfnoten im Zeugnis noch eine Selbstverständlichkeit – hatten mir die Lehrer ein handfestes Problem mit Autoritäten bescheinigt. Das äußerte sich etwa darin, dass ich als 17-Jähriger zusammen mit meinem Bruder eine der ersten Schülermitbestimmungen Deutschlands initiierte. Die Lehrer betrachteten mich als Störfaktor, mein Bruder wurde gar von der Schule verwiesen. Auch zehn Jahre später passte es nicht in meine Vorstellungswelt, mich voll und ganz in ein hierarchisches System einzugliedern. Eines Tages wollte Schwarze wissen, ob ich Ahnung von Autos hätte. Obwohl ich verneinte, bot er mir eine Redakteursstelle für ein neues Auto- und Verkehrsmagazin an, das von einer freien Produktionsfirma zugeliefert und seitens des ZDF von einem Redakteur – von mir – betreut werden sollte. Als ich die Zusicherung erhielt, auch diese Aufgabe freiberuflich erledigen zu können, sagte ich zu. So kam es zur Zusammenarbeit mit Hanns Joachim Friedrichs und Harry Valérien. Sie moderierten Telemotor und fanden genau wie ich, dass ein kritisches Magazin zu Mobilitäts- und Umweltthemen dem ZDF besser zu Gesicht stünde als eine bloße Aneinanderreihung von Fahrtests der neuesten Pkw-Modelle.

Obwohl ich den Abläufen und Deadlines von zwei regelmäßigen Sendungen gerecht werden musste, fühlte ich mich frei. So hätte es ewig für mich weitergehen können, wenn sich nicht bald mein Drang gemeldet hätte, neben journalistischen auch unterhaltende Inhalte zu entwickeln und damit eine andere Seite des Fernsehhandwerks zu erkunden. Getrieben wurde dieser Drang vor allem von der US-Miniserie Holocaust und meiner Erkenntnis, welch große Wirkungsmacht emotionales Erzählen entfalten kann. Darauf werde ich im nächsten Kapitel noch näher eingehen. Mein Türöffner für diese neue Richtung wurde Gerd Bauer, langjähriger Leiter der ›Hauptredaktion Unterhaltung Wort‹ im ZDF und Vater von Serien wie Schwarzwaldklinik, Traumschiff oder Das Erbe der Guldenburgs. Als freier Autor schlug ich ihm eine Show-Idee vor, die verschiedenste Genreelemente enthielt, eine Art Themenshow zur Kulturgeschichte des Küssens in Entertainment-Form. Bauer war angetan und wollte mich gleich als Unterhaltungsredakteur auf den Mainzer Lerchenberg holen. Abermals schlug mein Freiheitsdrang durch und ließ mich das attraktive Angebot dankend ablehnen. In jeder anderen Konstellation, versicherte ich ihm, würde ich liebend gern mit ihm und dem ZDF zusammenarbeiten. »Die UFA Berlin sucht jemanden wie dich«, empfahl er mir einige Wochen später.

Die Legende UFA

Die UFA – damit assoziierte ich Fritz Lang und Ernst Lubitsch, Marlene Dietrich und Pola Negri, große deutsche Filmkunst von Weltgeltung und den Niedergang unter dem Diktat der Nazi-Propaganda. Doch auch mit der neuen UFA hatte ich schon persönlichen Kontakt gehabt, als ich kurz zuvor für Kennzeichen D über die Verfilmung des Romans Der Boxer von Jurek Becker berichtet hatte. Damals setzte ich mich zum ersten Mal – und seither immer wieder – intensiv mit der Geschichte der Marke UFA auseinander. Ich erkannte schnell, dass die Nachkriegs-UFA, die ich vor mir sah, also das 1964 von Bertelsmann-Gründer Reinhard Mohn übernommene kleine Produktionshaus, ein völlig eigenständiges Kapitel in der Firmengeschichte darstellte. Zur historischen UFA gab es nur einen wesentlichen Bezug: Man fühlte sich der künstlerischen Tradition bahnbrechender Filmemacher aus der Zeit zwischen 1917 und 1933 verpflichtet. Zugleich markierte die unrühmliche Zeit des Nationalsozialismus – als scheinbar simple Liebesschnulzen gezielt mit politischen Botschaften à la »individuelles Glück muss hinter den Idealen des Vaterlands zurückstehen« aufgeladen wurden – eine ewige Erinnerung an die Macht des bewegten Bildes und die Verpflichtung, damit verantwortungsvoll umzugehen.

Ich suchte also den damaligen UFA-Chef Werner Mietzner zum Vorstellungsgespräch auf. Im privaten Rahmen hatte ich ihn einige Male getroffen, weil seine deutlich jüngere Ehefrau mit mir zusammen an der FU studiert hatte. Ich hatte ihn als ebenso belesenen wie interessierten Gesprächspartner erlebt, und auch bei unserer ersten beruflichen Begegnung waren wir auf einer Wellenlänge. Er schaute sich etliche Kandidaten für den Producer-Job an und gab mir schließlich den Zuschlag. Obwohl ich es ihm mit zwei – aus heutiger Sicht fast schon dreisten – Bedingungen nicht leicht machte: Ich wollte weiter freiberuflich arbeiten. Und ich wollte nichts mit Korruption zu tun haben. Mir war nämlich zu Ohren gekommen, dass Produktionsfirmen zur Auftragsgewinnung mitunter andere Mittel als nur Überzeugungskraft einsetzten. »Darüber muss ich nachdenken«, entgegnete mir ein spürbar verunsicherter Mietzner. Er brauchte eine Woche Bedenkzeit, um meine damals offensichtlich ungewöhnlichen Vorbehalte zu akzeptieren. Wiederum ein halbes Jahr später sah ich ein, dass ich mich entscheiden musste. Kennzeichen D und UFA ließen sich zeitlich nicht mehr miteinander vereinbaren. Ich entschied mich voll und ganz für die UFA – und zum ersten Mal in meinem Leben für eine Festanstellung. Hätte ich damals geahnt, dass mein Vertrag mit diesem Unternehmen die nächsten 38 Jahre laufen würde, wäre ich wohl schreiend geflüchtet. Hanns Werner Schwarze jedenfalls verabschiedete mich in meiner letzten Kennzeichen D-Redaktionskonferenz vor versammelter Mannschaft mit den Worten: »Leider hat sich ein hoffnungsvoller politischer Journalist entschlossen, zum Zirkus zu gehen.«

An meiner Entscheidung, einen Arbeitsvertrag bei der damaligen UFA-Fernsehproduktion zu unterschreiben, hatte auch die Unternehmensverfassung des Mutterkonzerns Bertelsmann ihren Anteil. Diese hatte ich aufmerksam studiert und sie gefiel mir auf Anhieb. Besonders verlockend fand ich das Angebot, schon in jungen Jahren ein gehöriges Maß an Eigenverantwortung und einen Vertrauensvorschuss zu bekommen. Mich beeindruckte, welche Souveränität und welches Selbstbewusstsein ein Unternehmen haben musste, das sich eine solche Leitlinie auf die Fahnen schrieb. Ebenso wichtig fand ich den erklärten zentralen Stellenwert von Kreativität und den Respekt vor kreativ tätigen Individuen sowie die bewusste Anerkennung der gesellschaftlichen Verantwortung. Wenn ich schon irgendwo festangestellt sein wollte, dann in so einem Laden.