Loe raamatut: «Restart», lehekülg 5

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Fortschritt

Wochenlang quält sich Eden zu Hause, bis sie es nicht mehr aushält. Sie ruft beim FBI an und hat einen gewissen Norton am Telefon. Dieser stellt sich als ihr Vorgesetzter vor. Ihr ist es egal, sie will endlich wieder arbeiten.

Der gute Mann an der anderen Leitung begrüßt sie herzlich, fragt nach ihrem Wohlbefinden und ist über ihre Aussage erstaunt, dass sie ab kommenden Montag ihren Dienst wieder antreten möchte. Er versucht sie davon zu überzeugen, sich noch etwas zu erholen, aber sie lehnt vehement ab. Beide einigen sich darauf, dass Eden vorerst nicht auf der Straße agieren und die erste Zeit an ihrem Schreibtisch Akten wälzen wird. Er möchte ihr somit helfen, dass ihr Gedächtnis bezüglich ihrer Arbeit, nach und nach wiederkehrt.

Was die Arbeit angeht, möchte sie jede einzelne Erinnerung zurückhaben, aber nicht was ihr Privatleben angeht. Bloß nicht! Der tägliche Anblick von Ryan versaut ihr schon morgens den Rest des Tages.

Sie erklärt sich damit einverstanden, weil ihr das tatsächlich sehr gut passt. So kann sie die Akten von Neve Preston und Samantha Rodriguez sichten, ohne dass es auffällt, oder einem ihrer Kollegen merkwürdig vorkommt. Was kann ein Agent nur in alten und geschlossenen Akten suchen? Ganz einfach! Ihre Vergangenheit! Denn egal was ihr Verstand ihr sagt, ihr Herz sagt ihr, dass sie diese Akten sichten muss. Sie wird das Gefühl nicht los, dass ihr vorheriges Leben irgendetwas damit zu tun hat. Und da spielt die Tatsache, dass sie zwei Jahre ein Kaninchen war, nur eine minimale Rolle.

Zuhause hat sie allerdings nicht so viel Glück. Ihr Vorgesetzter freut sich sie wieder in seinem Team begrüßen zu dürfen. Ryan hingegen zettelt einen regelrechten Streit an. Er möchte nicht, dass seine über alles geliebte Frau schon so früh nach der OP wieder arbeiten geht. Es sei viel zu gefährlich. Ihr Körper hätte die Stahlplatte noch nicht richtig angenommen und könnte abgestoßen werden. Ihr Gehirn könnte noch immer entzündet sein und sie könnte einen Anfall oder ähnliches erleiden, wenn sie ihren Kopf überanstrengt. Ryan bemuttert sie von vorne bis hinten und möchte sie am liebsten in Watte einpacken. Aber Eden knallt ihm lediglich ihre Horrorzimmertür vor der Nase zu und geht erst tief in der Nacht ins Bett.

Seit dem Zwischenfall mit dem Hund bei dem Basketballplatz, kann sie nicht mehr richtig schlafen. Fast jede Nacht wacht sie schweißgebadet auf und versucht sich von ihren Träumen zu erholen. Was sie träumte, weiß sie meistens kaum noch. Nur hin und wieder tauchte dieser Hund vor ihr auf. Es kommt ihr immer so vor, als wenn sie mit ihm spielen würde. Immer wieder sah sie im Traum, wie eine Hand einen Stock schmiss, der Hund hinterher rannte und dieses Stück Holz brav zurückbrachte.

Dann hatte sie eines Nachts einen Schwangerschaftstest vor Augen und spürte eine Welle des Glücks und der Freude über sich einbrechen, als sie sehen konnte, dass er positiv war. Jede Nacht war pures Kopfkino für sie, womit sie allerdings nichts anfangen konnte. Es waren fremde Bilder für sie! Fremde Szenen! Fremde Leben! Warum fühlt sie sich, als wenn sie ein Teil dieser Szenen und dieses Lebens wäre? Wieso drehte ihr Kopf überhaupt durch und präsentiert ihr jede Nacht diese Träume? Was hat das alles zu bedeuten? Hat Ryan vielleicht Recht? Ist es möglicherweise doch zu früh, schon zur Arbeit zu gehen? Überfordert sie sich etwa jetzt schon? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht braucht sie einfach nur ihre Arbeit, um wieder Ruhe im Kopf zu haben.

Sie gönnt sich aber noch eine Fahrt mit ihrem Teufel und hält irgendwann vor einem Autohaus. Mit einem Hochgefühl betritt sie die Verkaufshalle und spürt, wie ihr Herz zu rasen beginnt, als sie die vielen Modelle der Mercedes Fahrzeuge dort stehen sieht. Ihr läuft das Wasser im Mund zusammen, als sie zwischen den Autos läuft und immer wieder an einem stehen bleibt, um sich im Innenraum umzuschauen.

Gemütlich schlendert sie umher, bis sie von einem geschniegelten und gebügelten Verkäufer angesprochen wird. Er redet ihr die Ohren blutig, worauf sie aber kaum eingeht, weil sie eines der Fahrzeuge ins Visier genommen hat. Ohne den guten Mann zu beachten, schlüpft sie an allen anderen Autos vorbei und bleibt vor einem silbernen SL AMG stehen. Ihr Herz beginnt regelrecht zu rasen. Ihr Kopf feiert eine prächtige Party. Sie kann es kaum fassen, wie dieser Wagen auf sie wirkt. Es ist ein absolutes Hochgefühl das sie durchströmt. Dieses Auto, das wartend und lautstark brüllend vor ihr steht, löst in ihr Gefühle aus, die sie das letzte Mal bei ihrem Teufel empfand.

»Ich möchte eine Probefahrt machen«, haucht sie betäubt von diesem Vehikel und spürt, wie ihr das Wasser erneut im Mund zusammenläuft. Ihre Finger beginnen vor Aufregung zu zittern, unter den Achseln bildet sich Schweiß. Sie glaubt vor Hitze fast zu zergehen, weil ihre Körpertemperatur bis ins unermessliche steigt. Wie kann ein Wagen nur so eine körperliche Reaktion auslösen? Das ist doch nur Blech, Gummi und Kupferleitungen. Ein paar Schalter und brennbare Flüssigkeiten. Weshalb fühlt sich ihr Körper an, als wenn dieser mit einer der Flüssigkeiten überschüttet und angesteckt worden wäre? Was ist los mit ihr?

Ihr ist es egal. Sie rupft dem Verkäufer nur noch die Wagenschlüssel aus der Hand, als dieser nach wenigen Minuten damit zurückkehrt und setzt sich sofort in den schwarzen Ledersitz. Sie atmet tief durch und spürt selber, wie ihre Augen beginnen zu strahlen, als sie sich im Innenraum umblickt.

»Wow«, haucht sie sabbernd. Vorsichtig rollt sie das Auto aus der Verkaufshalle. Kaum berühren die Räder den Asphalt, gibt sie Gas. Mit quietschendem Reifen rast sie die Straße entlang. Sie blickt in den Rückspiegel und fängt schallend laut zu lachen an, als sie sehen kann, wie der Verkäufer ängstlich und panisch auf die Straße eilt. Verstört blickt er ihr hinterher. Hat der gute Mann etwa Angst um sein Eigentum? So eine schlechte Fahrerin ist sie nun wirklich nicht.

Fast zwei Stunden fährt sie durch San Francisco und öffnete irgendwann das Verdeck, um das Schmuckstück zu einem Cabrio umzufunktionieren. Sie genießt den Fahrtwind und lässt sämtliche Sorgen hinter sich. Egal was noch alles in ihrem neuen Leben auf sie zukommen wird, ihr ist es im Moment egal. Sie will sich und den Wind spüren. Sie will ein neues Leben beginnen und irgendwie versuchen, ihr altes zu vergessen. Jedenfalls was das Private angeht. Denn das ist ihr bis heute zu wider. Ryan, diese Jill, dieses Haus, diese Idylle! Sie merkt einfach, dass dieses Leben nicht ihres ist und nicht zu ihr passt. Ebenso der unersättliche Sex mit ihrem Mann. Fast jede Nacht muss sie ihn ertragen. Ihm fällt es keineswegs auf, dass sie sich kaum an dem Geschlechtsverkehr beteiligt. Sie weiß ja nicht wie ihr gemeinsames Sexleben zuvor aussah, aber ihm muss doch mal langsam auffallen, dass von ihrer Seite kaum Aktivität vorhanden ist. Er hat es noch nicht einmal bemerkt, dass sie in einer Nacht fast eingeschlafen ist. Nur dieser harte und stoßende Rhythmus ließ sie wach bleiben.

Als Eden den Mercedes wehmütig zum Autohaus zurückfährt, entscheidet sie sich kurzerhand und parkt den Mercedes am Straßenrand.

»Ich kaufe den Wagen, so wie er ist. Erledigen sie die Zulassung. Ich hole ihn in zwei Stunden ab«, schmeißt sie dem überfordertem Verkäufer entgegen, der zuerst erleichtert ist, dass das Auto in einem Stück und ohne Schrammen zurückgekehrt ist. Als er dann aber den Verkauf und die dazugehörige Provision wittert, schmeißt er sämtliche Fürsorge über Bord. Ist dann ja schließlich nicht mehr sein Eigentum.

Gegen Abend steigt Eden aus einem Taxi und erfreut sich an dem Gedanken, gleich in ihrem neuen Wagen zu sitzen. Sie hat sich schlagartig in das Schmuckstück verliebt. Weil sie weiß, dass sie genug Geld auf dem Konto hat, hat sie sich kurzerhand zu diesem Kauf entschieden.

Ryans Reaktion auf den Silberpfeil, ist allerdings alles andere als erfreulich. Er schimpft wie ein Rohrspatz mit ihr, wie sie so viel Geld für ein Auto ausgeben kann, weil sie mit dem Geld den nächsten Urlaub bezahlen wollten. Sie hätten sich so viele gemeinsame Pläne gemacht, wofür die Summen benötigt worden wären und nun hätte sie mit einem Schlag alles vernichtet, was sie zusammen geplant haben. Edens Antwort darauf ist allerdings erneut das zuschlagen ihrer Zimmertür.

»Verdammt Eden‼ Was ist los mit dir? Ich erkenne dich nicht wieder! Seit du im Krankenhaus aufgewacht bist, bist du mir völlig fremd geworden! Wo ist meine Frau?? Sind deine Erinnerungen noch immer nicht zurückgekehrt?«, brüllt er fürsorglich durch das Holz.

»Offensichtlich nicht«, nuschelt Eden vor dem Computer sitzend. Sie kümmert sich nicht weiter um ihren Mann. Warum auch? Er ist ihr genauso fremd, wie sie ihm. Sie ist nur noch in diesem Haus, weil es für sie ein Zufluchtsort ist. Sobald sie wieder aktiver am Leben teilnimmt, wird sie ausziehen und die Scheidung einreichen.

Was aber, wenn ihre Erinnerungen voll und ganz zurückkehren? Wie entscheidet sie sich dann? Sie genießt ihr neues Leben! Sie spürt einfach, dass es richtig ist und hat das erste Mal das Gefühl, dass sie tatsächlich lebt und frei von sämtlichen Richtlinien ist. Warum sollte sie also dieses Lebensgefühl aufgeben und ein Leben führen, das instinktiv keineswegs zu ihr passt? Irgendetwas ist falsch, dass weiß sie. Sie muss zu sich selbst finden und das kann sie nur, wenn sie Ruhe hat und alleine ist. Sie braucht keinen Mann an ihrer Seite, der verzweifelt versucht, die Frau zurückzugewinnen, die er in ihr sieht. Denn diese Frau ist sie nicht mehr! Nur wer sie ist, weiß sie selbst noch nicht.

Load

Als Eden am Montag in der Golden Gate Avenue steht, schluckt sie schwer. Sie legt den Kopf in den Nacken und zählt die einzelnen Etagen dieses Gebäudes. Siebzehn an der Zahl und sie muss in den dreizehnten. Also los!

Dort angekommen, steigt ihr Puls. Sie wandert durch einen breiten Flur und steht dann vor einer Tür. Das Schild verrät ihr, dass sich hinter dieser hölzernen Blockade ihr Arbeitsplatz befindet. Gedanklich versucht sie sich vorzustellen, wie es wohl aussehen wird. Wie wird der erste Eindruck auf sie wirken? Wie werden die Kollegen auf sie zugehen? Wird sie sich wohl, oder genauso fehl am Platz fühlen, wie an Ryans Seite? Sie weiß es nicht! Sie kann es nur herausfinden, wenn sie die Tür öffnet und das Büro betritt. Schließlich hat sie sich selbst eine Aufgabe gegeben. Neve Preston und Samantha Rodriguez! Zwei Namen und ein Fall, der sie die nächsten Wochen beschäftigen wird.

Zitternd umgreift sie den Knauf, dreht ihn und öffnet die Tür einen Spalt. Sofort prallen ihr unendlich viele Stimmen und unterschiedliche Geräusche entgegen. Gleichzeitig fängt ihr Herz vor Freude an zu hüpfen.

Mit einer flüchtigen Bewegung, schließt sie die Tür hinter sich. Sie versucht sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Nervös, das ist genau der richtige Ausdruck für ihr derzeitiges Gefühlsleben. Sie kommt mit der gesamten Situation und dem Anblick keineswegs zurecht, der ihr geboten wird.

Langsam beginnen ihre Beine zu arbeiten. Ihre Füße tragen sie Schritt für Schritt durch dieses große Büro, in dem unzählige Schreibtische stehen, an denen ebenso viele Männer und Frauen sitzen und ihrer Arbeit nachgehen. Einige telefonieren, andere tippen auf der Tastatur herum. Es werden Kaffeetassen umhergetragen, gefaxt, kopiert, in Akten gelesen und bis zum erträglichen Geräuschpegel gesprochen.

Aber von einer Sekunde zur anderen wird es still. Hier und da klingelt noch ein Telefon und das piepen eines Faxgerätes ist noch zu hören, aber sämtliche Stimmen sind von einem Moment zum anderen verklungen. Eden bemerkt es sofort. Sie hebt ihren Blick, weil sie sich das erste Mal völlig eingeschüchtert fühlt.

»Sieh mal. – Sie ist wieder da. – Sie sieht verdammt gut aus. – Will sie wirklich schon wieder arbeiten? – Die schönen Haare.«

Unendlich viele Sätze prallen ihr flüsternd und gedämpft gegen den Kopf, bis etwas passiert, was sie zusammenzucken lässt. Jemand beginnt zu klatschen.

Erschrocken blickt sie in die Richtung und sieht einen Mann mittleren Alters, der sich von seinem Stuhl erhebt und klatscht. Sein Blick ist direkt auf sie gerichtet. Wie erstarrt bleibt Eden stehen und blickt ihn mit großen Augen an. Dann beginnt plötzlich das ganze Büro zu klatschen. Sämtliche Mitarbeiter in diesem Raum, klatschen Beifall und richten ihre Blicke auf Eden, die sich am liebsten in das nächste Mauseloch verkriechen will. Was soll das?? Ihr ist das absolut peinlich! Warum machen diese fremden Menschen das nur?

»Hallo Eden«, hört sie eine Stimme hinter sich. Kumpelhaft wird ihr auf die Schulter geklopft.

Erschrocken dreht sie sich etwas und sieht einen kräftigen Mann neben sich stehen, der sie stolz lächelnd begrüßt. Verwirrt schaut sie ihn an, während das Klatschkonzert anhält. Schwarze Haare, Bart und harte Gesichtszüge, die aber trotzdem freundlich wirken.

»Ich bin es, Trevor, dein Partner«, stellt er sich vor und reicht ihr die Hand. Ok, sie hat einen Partner. Trevor. Das ist ja schon mal was wert.

»Entschuldigung… ich… äh…!«, stottert Eden verlegen rum, während sich Trevors Hand wie ein Schraubstock um ihre legt.

»Kein Problem. Wir wissen hier alle von deiner Amnesie und hoffen, dass du bald wieder alles weißt«, lächelt dieser Trevor vertraut, worauf sie nur schlucken kann.

»Mrs. Stewart‼«, brüllt es plötzlich lautstark durch das Büro, woraufhin schlagartig das Klatschkonzert abrupt abstirbt. Trevor blickt in eine Richtung und macht dann eine Kopfbewegung in dieselbe.

»Chef will mit dir reden«, grinst er recht fies. Zaghaft stupst er sie mit dem Ellenbogen an, um sie in Bewegung zu setzen.

Auf dem Weg zum Ende des Großraumbüros, blickt Eden verunsichert um sich. Sämtliche Blicke, die sie begeistert begleiten, hängen ihr spürbar im Nacken.

»Warum haben die alle geklatscht?«, fragt sie wie ein Kleinkind und hört Trevor neben sich ebenso lachen.

»Weil sie dir alle ihren Respekt zollen. Du hast bei deinem letzten Einsatz großartige Arbeit geleistet und für alle ist es ein Weltwunder, dass du noch lebst. Kaum ein Mensch überlebt die Dead Rabbits«, unterrichtet er sie beiläufig, bis sie vor einer gläsernen Bürotür stehen, die einen Spalt offensteht.

»Viel Spaß!«, grinst er sarkastisch, klopft ihr erneut auf die Schulter und geht den Weg zurück, den er auf sich genommen hat, um Eden zum Chef zu bringen. Sie schluckt schwerfällig, hebt zitternd eine Hand und klopft zaghaft gegen die Scheibe.

»Kommen sie rein«, raunt eine offensichtlich mies gelaunt tiefe Stimme. Jetzt fängt Eden noch mehr zu zittern an. Was wird sie da drinnen erwarten?

Bebend betritt sie das Büro. Ihr Blick fällt sofort auf einen älteren Mann am Ende des Büros. Wie eine steife Puppe sitzt er an einem Schreibtisch und liest angestrengt in einer Akte, die auf der grünen Schreibtischunterlage vor ihm liegt.

»Schließen sie die Tür«, raunt er, ohne seinen Blick zu heben. Wie ihr gesagt wird, tut Eden das, bleibt aber dicht an der Glasscheibe stehen.

»Setzen sie sich«, grummelt der Mann weiter. Er liest noch immer in der Akte. Wie auf Knopfdruck setzt Eden sich in Bewegung und nimmt ihm gegenüber Platz. Ihr Puls rast noch immer. Sie hat das Gefühl diesen nicht unter Kontrolle zu kriegen. Was glaubt sie denn was ihr passiert? Dieser Trevor hat ihr vor nicht einmal fünf Minuten gesagt, dass sie großartige Arbeit geleistet hat. Also müsste dieser Norton dies ebenso sehen. Oder vielleicht doch nicht? Vielleicht ist er sauer, dass einer seiner Agents fast in einem Sarg heimgekehrt wäre und somit bewiesen hat, dass sie unfähig ist, ihre Arbeit ordnungsgemäß zu erledigen? Was wird er ihr vorwerfen??

Der gute Mann schlägt die Akte vor sich zu, hebt den Kopf und blickt Eden direkt in die Augen. Sie schluckt sichtbar, weil ihr ein eiskalter und unberechenbarer Ausdruck entgegenprallt. Dieser Eisblock soll der Chef von dieser Abteilung sein? Kein Wunder, dass sie solche Panik schiebt.

Norton wandert mit seinen Augen über Edens Kopf. Flüchtig verharrt er an der kurzgeschorenen Seite. Als wenn jemand eine Aussage getroffen hätte, nickt er zaghaft. Schlagartig wechselt sein Blick in eine Art der Fürsorglichkeit.

»Wie geht es ihnen?«, fragt er in einem unbekannt ruhigen Ton. Eden nickt nur steif, was er ihr gleichmacht.

»Sie haben wirklich fantastische Arbeit geleistet und ich bin froh, dass sie diesen Einsatz einigermaßen heile überstanden haben«, lobt er sie dann doch, schmeißt ihr aber im selben Ton einen Vorwurf auf den Schoß.

»Ich bin allerdings derselben Meinung wie ihr Mann. Sie sollten noch nicht arbeiten gehen. Fahren sie nach Hause und kurieren sie sich aus. Ich möchte hier Agents haben, die hundertzehn Prozent geben. Sie haben bisher jeden Fall lösen können und ich möchte, dass es weiterhin so bleibt!« Was?? Ihr Mann? Hat er etwa mit Ryan telefoniert? Haben die beiden etwa einen Plan ausgeheckt, um Eden zuhause zu halten? Was soll das?? Sie kann wohl am besten einschätzen und entscheiden was gut für sie ist und was nicht! Warum zum Teufel mischt Ryan sich da ein??

»Mir geht es gut und ich kann ihnen versichern, dass ich zu hundert Prozent wieder einsatzfähig bin. Die fehlenden zehn Prozent, werde ich mir in den nächsten Wochen hinter dem Schreibtisch aneignen«, wirft sie Nortons Hoffnung über Bord, sie wieder nach Hause schicken zu können.

Schweigende Sekunden verstreichen heimlich still und leise. Niemand sagt etwas. Beide sehen sich an. Beide atmen, aber niemand macht eine Bewegung.

»Sie wissen, dass ich ihnen und ihrem Urteilsvermögen vertraue. Sie haben mich bisher noch nie enttäuscht.« Als wenn er seine eigene Aussage bestätigen will, nickt er und lehnt sich in den Stuhl zurück.

»Na dann, Mrs. Stewart, willkommen zurück im Team!«, begrüßt er sie. In Eden fällt eine Last der Anspannung ab, was sie lächelnd entgegennimmt, aber trotzdem noch leicht versteift nickt. Jetzt kann sie wieder arbeiten. Jetzt kann sie die Akten von Neve Preston und Samantha Rodriguez sichten. Welch eine Wohltat!

Norton beugt sich zur Seite, öffnet eine Schublade des Schreibtischs und reicht Eden etwas. Mit flackernden Lidern blickt sie auf seine Hand und sieht eine schwarze Börse. Sie weiß, was es ist. Sie weiß, was sich dort drinnen befindet.

Schwitzend und zitternd, gleitet ihre Hand über den Schreibtisch, greift zaghaft nach dem Leder und zieht es an sich. Ehrfürchtig verharrt sie einige Sekunden, bis sie sich dazu überreden kann, das Leder aufzuklappen. Als das dann aber mit wackeligen Fingern geschafft ist, blickt sie auf einen FBI Ausweis und in ihr eigenes Gesicht.

»Danke!«, flüstert sie leise. Eine Welle der Freude und des Stolzes bricht über sie herein. Bestätigend hierzu bohrt sich zeitgleich ihre Waffe mit dem Holster am hinteren Hosenbund in ihren Rücken. Jetzt ist sie vollständig! Jetzt kann sie mit Herzblut wieder arbeiten, denn alles ist da wo es sein soll!

Der Ausweis wandert in die Innentasche ihrer Jacke, die Waffe ist am Rücken und sie ist an ihrem Arbeitsplatz. Perfekter geht es also gar nicht! Jetzt muss nur noch die Erinnerung wiederkommen und sie kann wieder leben.

Norton macht eine weisende Kopfbewegung und schmeißt Eden somit wortlos aus dem Büro. Wie auf Befehl, erhebt sie sich vom Stuhl, huscht durch die Glasscheibe und atmet tief aus, als die Tür hinter ihr ins Schloss fällt. Sie spürt, wie sich ihr angespanntes Gesicht lockert und ein stolzes Lächeln über ihre Wangen wandert. Dann fällt ihre Aufmerksamkeit auf diesen Trevor, der sich von einem Schreibtisch erhebt und sie zu sich winkt.

Mit sicheren Schritten wandert sie durch die Reihen. Währenddessen wird sie von einigen Kollegen mit einem stolzen Blick begleitet. Als sie bei Trevor ankommt, reicht er ihr gleich eine Tasse.

»Willkommen zurück!«, grinst er bis zu den Ohren und setzt sich auf seine Seite des Schreibtisches. Eden trinkt einen Schluck Kaffee, setzt sich an die andere und spuckt das Getränk hustend in den Becher zurück.

»Wahnsinn, was zur Hölle ist das??«, schluckt sie angewidert. Skeptisch blickt sie zu dem dunklen Getränk herunter.

»Verdammt, wie alt ist das Zeug? Von vorgestern oder was?«, flucht sie. Trevor schaut sie etwas überfordert und zugleich fragend an.

»So trinkst du deinen Kaffee aber am liebsten. Er schmeckt dir am besten, wenn er vom Vortag ist«, berichtigt er ihre Aussage und sieht dabei zu, wie sie große Augen bekommt. Mit diesen, schaut sie in den Becher zurück.

»Memo an uns beide. Ich trinke nur noch frischen Kaffee!«, murmelt sie, steht vom Tisch auf, blickt sich suchend um und wandert direkt auf die Kaffeemaschine zu, die im hinteren Teil des Büros einen vierundzwanzig Stunden Job verrichtet.

Tage um Tage sichtet Eden alte und teilweise auch geschlossene Akten. Sie wollte bewusst nicht sofort mit den beiden Frauen anfangen. Sie will keinen Verdacht schöpfen. Sie will nicht wirken, als wenn sie irgendetwas wüsste. Langsam an die Arbeit herantasten und dann auf ihren persönlichen Schwerpunkt konzentrieren. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, oder wie geht dieser Spruch nochmal? Auch wenn es ihr ungemein unter den Fingernägeln brennt, ruft sie sich selbst zur Vernunft und trainiert ihren Kopf vorerst auf alte Fälle. Häppchen für Häppchen füttert sie ihre Gehirnwindungen und stellt nach über einer Woche fest, dass ihr Kopf auf Hochtouren arbeitet. Schlagartig kann sie sich an jeden einzelnen Fall erinnern. Sie weiß dahingehend wieder alles und hat teilweise auch wieder Bilder vor Augen. Wie wundervoll es sich anfühlt, diesen Teil ihres Lebens zurückerhalten zu haben. Es geht kaum noch besser.

Nach fast zwei Wochen hat sie dreiviertel ihrer alten Fälle gesichtet. Aufgeregt und mit rasendem Puls, schreitet sie mit schweren Schritten in das Archiv des FBIs und steht gleich einem Herren gegenüber, der das Rentenalter sichtlich schon lange überschritten hat. Er sitzt an einem alten Holzschreibtisch mit einer kleinen Tischlampe als Beleuchtung. Gesellschaft leisten ihm ein paar private Fotos auf dem Tisch, die kleine Kinder zeigen. Offensichtlich seine Enkel. Ansonsten ist dieser Teil des Gebäudes recht nüchtern. Ein Geruch von altem Gemäuer umschleicht Edens Nase und das, obwohl die Mauern mit Sicherheit nicht älter als sie selbst sein können. Trotzdem spürt sie ein beklemmendes Gefühl in sich aufsteigen.

Mit einem lauten Schluckreflex tritt sie im recht dunklen Lichtschein an den Schreibtisch und zieht somit die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich. Er blickt hoch. Seine grauen Augen blinzeln prüfend über den Rand der Lesebrille, dann huscht ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht.

»Hallo Eden. Schön dich endlich wieder hier zu sehen«, begrüßt er sie freundlich. Er reicht ihr die Hand. Eden nimmt diese und überkommt eine Gänsehaut, als sie die ledrige und recht kalte Haut spürt. Ist der gute Mann ein Vampir, oder was? Seine Körpertemperatur ist alles andere als gesund. Oder ist er eventuell schon tot und hat es selber noch nicht mitbekommen?

»Hallo«, begrüßt sie ihn ebenso freundlich und lässt den Eisklotz von Hand los.

»Welche Akte möchtest du haben?«, fragt der gute Mann. Vollkommen ruhig wartet er auf eine Antwort von der Frau sich gegenüber. Sie überlegt allerdings noch ein paar Sekunden, ob das wirklich eine so gute Idee ist. Warum zieht sie sich Akten heran, die schon geschlossen sind? Wird es vielleicht doch auffallen? Wird der gute Mann ihr gegenüber eventuell skeptisch? Wird er sie wie einen Schweizer Käse mit Fragen durchlöchern, was sie damit will? Es gibt nur eine Möglichkeit dies herauszufinden.

Somit haucht sie leise »Neve Preston und Samantha Rodriguez!«. Der ältere Herr nickt flüchtig, erhebt sich vom Stuhl und steuert in den hinteren Teil dieser Räumlichkeit.

»Das war damals echt ein heißer Fall von dir. Du hast die beiden Monatelang observiert. Als du allerdings zu den Kaninchen musstest, wurde dein Weg echt gefährlich. Die beiden Banden sind ja seit Jahren absolut verfeindet. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich es nicht so toll fand, dass Norton dich da eingeschleust hat. Aber dir kann man jeden Fall vor die Nase setzen und du löst ihn, als wenn es ein Kreuzworträtsel wäre«, hört Eden den Mann tief im Raum murmeln. Gleich darauf kommt er zwischen den unzähligen Regalen wieder hervor. In den Händen trägt er zwei große weiße Kartons.

Als er näher kommt, kann Eden beide Namen der Frauen auf der Pappe lesen. Er stellt die Kartons auf dem Schreibtisch ab und reicht ihr zwei Akten.

»Warum interessiert dich der Fall noch? Der ist doch schon lange abgeschlossen. Du hast dazu beigetragen, dass die beiden ihrer kriminellen Aktivität nicht mehr nachgehen können. Nicht sehr schön, aber wenigstens erfolgreich. Zwei Kriminelle weniger auf der Straße«, lobt er Edens damalige Arbeit, was in ihr Panik und Entsetzen aufsteigen lässt. Was?? Was hat der Mann gesagt?? Sie hat die beiden zur Strecke gebracht? Sie ist für den Tod der beiden verantwortlich?? Das kann nicht sein! Das kann absolut nicht sein‼ In ihrem Computer zuhause, steht nichts davon drin, dass sie auch nur annähernd etwas damit zu tun hatte. Was faselt der Mann da also?

Eden spürt wie die Muskeln ihres Kiefers den Dienst verweigern und hört im Kopf ihre Zähne aufeinander klappern. Innerlich zitternd, greift sie nach den Kartons. Sie hat das Gefühl, als wenn Backsteine dort drinnen wären, als sie beide leicht anhebt. Was hat er da nur gesagt? Wieso soll sie für den Tod der beiden verantwortlich sein? Diese Samantha hat sich selbst getötet und Neve wurde mit Kugeln durchsiebt. Hat sie etwa auch nur eine davon auf sie abgefeuert? War sie so tief bei den Dead Rabbits drin, dass sie solche Gangmorde tatsächlich mitmachen musste? Warum? Wofür? Das ist doch alles nur ein schlechter Scherz!

»Kann ich…?«, stottert sie zitternd und macht eine weisende Kopfbewegung nach hinten. Sie will sich an den leeren Tisch am Anfang des Raumes setzen und die Kartons wälzen. Sie muss gedanklich vorankommen. Vor allem jetzt! Jetzt nachdem der Mann ihr etwas vor die Füße geschmissen hat, was sie nicht glauben kann.

»Ach Eden«, schmunzelt der Herr vertraut und setzt sich auf den Stuhl zurück, der sich ächzend und knarrend beschwert.

»Du weißt, dass du mit meinen Akten und Beweisen alles machen kannst. Nimm sie mit nach Hause und mache damit was du willst. Du bist wirklich die einzige Person hier, der ich blind vertraue«, lächelt er und beendet dieses Thema, indem er sich über die Zeitschrift beugt, die aufgeschlagen vor ihm liegt.

Eden spürt, wie ihr der Schweiß die Achseln herunterläuft, als sie sich mechanisch umdreht und einen Fuß vor den anderen setzt. Die Worte des Mannes können keineswegs der Wahrheit entsprechen. Aber vielleicht doch! Warum sollte sie sonst ständig diese merkwürdigen Träume haben und sich so dermaßen für diesen Fall interessieren? Irgendetwas muss doch dahinter stecken. Aber muss es unbedingt das sein? Muss es wirklich die Tatsache sein, dass sie scheinbar das Leben der beiden Frauen auf dem Gewissen hat?

Kalter Schweiß steht ihr auf der Stirn, als sie das Archiv verlässt und gleich darauf das Gebäude.

Zuhause angekommen, nimmt sie die mit Backstein beladenen Kartons und bringt sie ins Haus. Ryan müsste schon lange hier sein, aber im Gegensatz zu sonst, kommt er ihr nicht grinsend und strahlend entgegen. Warum nicht? Sein Auto steht auf der Auffahrt, aber wo ist er?

»Ryan?«, ruft sie neugierig durch das Haus, erhält aber keine Antwort. Es ist irgendwie zu still im Haus. Das kennt sie nicht.

Unsicher, aber neugierig schleppt sie die beiden Kartons nach oben in ihr Horrorzimmer. Dann hört sie irgendwelche Laute von nebenan. Sie kann Ryan hören. Sie hört ihn stöhnen. Nur warum? Dieses stöhnen kennt sie von ihm. Leider zur Genüge! Aber warum lässt er diese Laute von sich, wenn sie nicht bei ihm im Bett ist? Was soll das??

Nicht wirklich wütend über diese Tatsache, die ihr innerhalb einer Sekunde in den Sinn kommt, schreitet sie mit harten Schritten zum Schlafzimmer hinüber und reißt die Tür auf. Wie vermutet liegt Ryan im Bett und lässt sich fröhlich von einer Frau reiten. Er beachtet nur sie, nimmt dann aber den Blick von ihr weg und schaut zu Eden an die Tür. Sie steht da und weiß nichts mit der Situation oder dem Anblick anzufangen. Sie ist nicht wirklich wütend über dieses Bild, trotzdem passt es ihr keineswegs.

»Hallo Schatz«, trällert Ryan freudestrahlend. Eden presst ihren Kiefer zusammen, lockert diesen aber, als die Frau sich umdreht und sie dann in das Gesicht von Jill blickt.

»Hallo Schätzchen‼«, trällert sie in ihrer gewohnten und quietschenden Stimme. Dann streckt sie eine Hand nach ihr aus.

»Komm her, Schätzchen. Wir haben schon ohne dich angefangen. Ryan hatte keine Ahnung wann du nach Hause kommst«, quiekt ihre beste Freundin weiter und grinst noch immer wie ein Honigkuchenpferd.

Anstatt sich in Bewegung zu setzen, so wie Jill und Ryan es sich erhofft haben, macht Eden nur einen Schritt zur Seite und gibt den Blick auf die offenstehende Schlafzimmertür frei.

»Raus‼ Alle beide‼«, zischt sie stattdessen und bringt ihren Ehemann mit ihrem Blick um.

»Was??«, quietscht Jill lächelnd, weil ihr diese Aussage scheinbar etwas fremd vorkommt. Ryan schaut sie ebenso fragend an.

»Raus, habe ich gesagt‼«, wiederholt Eden wütend ihre Aussage.

»Aber…!« Ryan erhebt sich etwas aus seiner liegenden Haltung. Eden kann regelrecht dabei zusehen, wie unzählige Fragezeichen über seinem Kopf schwirren. Jill steigt stattdessen von ihm herunter und macht ein paar Schritte auf Eden zu.

»Was ist denn los, Schätzchen?«, trällert sie.

»Es ist doch Freitagabend und…!« Eden denkt nicht eine Sekunde nach und greift sich an den Rücken. Mit einer schnellen Bewegung zieht sie ihre Waffe aus dem Holster und richtet diese entsichert in das pervers geschminkte Gesicht von Jill.

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