Loe raamatut: «tali dignus amico», lehekülg 5

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ii) Falsche Freunde (und Klienten): Satire 1,9

Horazsat. 1,9In der berühmten Satire 1,9 wird eine Störung im Idealleben dargestellt, welches Horaz in Satire 1,6 beschrieben hatte. Der lästige quidam, der den Sprecher auf seinem Weg durch die Via Sacra aufhält und gerne zum Maecenas-Kreis gehören würde, illustriert, wie Gowers 2012 bemerkt, die anstrengende Routine eines jeden Klienten, der sich auf der Suche nach Patronen und einem Einkommen beinahe wie ein „scurrying parasite“ verhält.1 Für die vorliegende Arbeit ist die Figur des garrulus2 von Bedeutung. Denn zum einen stellt er, wie in der Forschung schon erkannt,3 den negativen Typus eines streberhaften (Dichter-)Klienten dar, der mit allen Mitteln in den Freundeskreis eines mächtigen Patrons aufgenommen werden will, um offensichtlich persönlichen bzw. finanziellen Profit zu ziehen, ohne dabei die erforderlichen moralischen (und literarischen) Eigenschaften zu besitzen.4 Zum anderen wirkt er dadurch als Gegenfigur des Horaz-Sprechers: Im Gegensatz zu Horaz in Satire 1,6 will sich der garrulus hier z.B., falls nötig, selbst empfehlen und versucht daher, sich durch Angeberei bei Horaz die Unterstützung zu erschleichen, um sich Maecenas anzunähern (sat. 1,9,56ff.). Er entlarvt seine Hintergedanken und lässt seine durchaus korrupte Natur deutlich erkennen.5

Dem Horaz-Sprecher ist klar, dass diese Nervensäge auf keinen Fall zum Maecenas-Kreis gehören darf. Daher wird die diametrale Distanz zu ihm stark betont: Der Freundeskreis um Maecenas basiert auf wahren Werten und gleicht einer Familie, in der es keinen Platz für Hintergedanken, Angeberei und Neid gibt (domus hac nec purior ulla est | nec magis his aliena malis, 49f.) – ‚Übel‘, die Horaz deutlich am garrulus erkennt. Diese Distanz lässt sich gut mit derjenigen vergleichen, die der Horaz-Sprecher in Satire 1,6 gegenüber dem neidischen und auf Äußerlichkeiten fokussierten volgus zum Ausdruck bringt. Der garrulus verrät alle Erwartungen und Einstellungen des volgus aus der sechsten Satire und wird so zu einer Figur, welche die bedrohlichen vitia (Neid und Misstrauen) verkörpert.

Der garrulus überfällt den auf nugae konzentrierten Ich-Sprecher und stört damit dessen Gedankenwelt und poetische Muße schon im dritten Vers. Er verhält sich angeberisch und aufdringlich. Es wird sofort klar, dass seine Eigenschaften auf einem falschen Verständnis von qualitativ hochwertiger Dichtung basieren (6‑34), so dass der Sprecher seine Verzweiflung betont (35‑43). Ab Vers 43 offenbart der garrulus endlich, was ihn zu Horaz treibt: Er versucht, sich dem Freundeskreis des Maecenas zu nähern. Dies wird humorvoll inszeniert, als er aufdringlich nach dem Wesen des Verhältnisses zwischen Horaz und Maecenas fragt und selbst eine Antwort auf die Frage gibt, die sein falsches Verständnis und zudem seine Annäherungsstrategie naiv bloßstellt (sat. 1,9,43‑60):Horazsat. 1,9,43-60


‘Maecenas quomodo tecum?’
hinc repetit. ‘paucorum hominum et mentis bene sanae.’
‘nemo dexterius fortuna est usus. haberes 45
magnum adiutorem, posset qui ferre secundas,
hunc hominem velles si tradere: dispeream, ni
summosses omnis.’ ‘non isto vivimus illic,
quo tu rere, modo; domus hac nec purior ulla est
nec magis his aliena malis; nil mi officit, inquam, 50
ditior hic aut est quia doctior; est locus uni
cuique suus.’ ‘magnum narras, vix credibile.’ ‘atqui
sic habet.’ ‘accendis quare cupiam magis illi
proximus esse.’ ‘velis tantummodo: quae tua virtus,
expugnabis: et est qui vinci possit eoque 55
difficilis aditus primos habet.’ ‘haud mihi dero:
muneribus servos corrumpam; non, hodie si
exclusus fuero, desistam; tempora quaeram,
occurram in triviis, deducam. nil sine magno
vita labore dedit mortalibus.’ 60

Im Mittelpunkt steht der vom Horaz-Sprecher betonte Kontrast zwischen der auf inneren Werten basierenden Natur des Maecenas-Kreises und der angeberischen, korrupten Natur des lästigen Gesprächspartners. Dies lässt sich gut an den evasiven Antworten des Horaz-Sprechers beobachten, die er auf die eindringlichen Fragen und Vorschläge des garrulus gibt. Die Hintergedanken, die er bei seinem Gesprächspartner erkennt (his aliena malis, 50), helfen, die „Familie“ (domus) um Maecenas kontrastiv darzustellen:6 Weder Geiz noch Neid hätten dort Platz; es handle sich vielmehr um eine geistige Verbundenheit, um eine aufrichtige amicitia also, in der jedes Mitglied einen Platz habe, so dass politische Macht oder Geldvermögen keine Rolle spielen würden (51f.).

Nicht nur bietet sich der garrulus großsprecherisch als magnus adiutor bei Horaz an (45f.), sondern er versucht auch, seine Hintergedanken zu verbergen, indem er vorgibt, die gleiche innere Ausrichtung wie sein Gesprächspartner verfolgen zu wollen (53ff.). Mit der ironischen Antwort des Horaz-Sprechers in Vers 54f. wird evident, dass Horaz ihn moralisch und literarisch als ungeeignet durchschaut hat. Die Nervensäge disqualifiziert sich auch dadurch, dass sie die Ironie nicht erkennt und darauf insistiert, in den Maecenas-Kreis eindringen zu wollen (56ff.). Der quidam wirkt damit, wie in der Forschung schon bemerkt, als Karikatur eines Komödienparasiten7 – gleichzeitig aber auch als Karikatur eines schlechten Klienten, der um einen Patron wirbt.8

Darüber hinaus lassen sich in der Beschreibung des Maecenas in dieser Passage weitere Anknüpfungen an Satire 1,6 beobachten, die von der Bedeutung der inneren Werte beim (Abhängigkeits-)Verhältnis handeln: So wie Maecenas etwa in sat. 1,6,63Horazsat. 1,6,63 Sicherheit in der moralischen Bewertung bescheinigt wird (turpi secernere honestum), so wird er nun als paucorum hominum et mentis bene sanae (1,9,44) bezeichnet – dass dies die Schlussfolgerung impliziert, dass der garrulus offenbar den Typus des turpis darstellt, ist evident. Denn die Mittel, mit denen der garrulus versichert, sich Maecenas nähern zu wollen, stehen in diametralem Gegensatz zu denen, auf welche sich Horaz in sat. 1,6 bei seiner Aufnahme in amicorum numero gefreut hatte: Standen dort innere Werte, die in Adjektiven wie pudicus (82), honestus (63), purus (64, 69) oder insons (69) Niederschlag fanden, im Mittelpunkt des Diskurses (Hor. sat. 1,6,54ff.)Horazsat. 1,6,53ff. und bestand er darauf, seine Aufnahme in den Maecenas-Kreis keinesfalls durch casus oder fors (1,6,53f.) zu erreichen, sondern durch seine innere Aufrichtigkeit,9 so gibt der garrulus hier zu, genau casus und fors erzwingen zu wollen, und geht dabei unverschämt vor (sat. 1,9,57‑59): muneribus servos corrumpam; non | … desistam…, | occurram in triviis, deducam – seine fehlende virtus ist offenkundig. Der gleich danach pathetisch vorgebrachte Satz, der als Höhepunkt die Passage beschließt, erzielt damit einen widersprüchlichen Effekt. Denn das bis in die Gegenwart nachklingende, gnomische Apophthegma nil sine magno | vita labore dedit mortalibus (1,9,59f.)10 wirkt aus dem Mund eines solchen turpis garrulus frech. Das Gespräch wird sodann durch Fuscus Aristius’ Auftritt abgebrochen (60ff.), der ebenso die Natur des garrulus kennt (sowie die unüberwindliche Abneigung, die Horaz gegen diesen empfindet). Er will Horaz nicht helfen, weil er in der hilflosen Situation seines Freundes schwelgt, was die Szene noch humorvoller gestaltet.11

Melters bemerkt überzeugend,12 dass der garrulus eine Figur verkörpert, „die im Kern ihres Charakters jene ethischen, ästhetischen und der Gattung der Satire potentiell inhärierenden Verfehlungen repräsentier[t], von denen sich Horaz in seinem bisherigen Satirenbuch stets absetzen wollte.“ Dass diese Verfehlungen auch den Erwartungen des volgus entsprechen und dass der garrulus gerade diese Erwartungen im Kleinen widerspiegelt, ist daher evident: Gegen beide Figuren zeigt der Horaz-Sprecher seine Aversion: in Satire 1,9 durch die humorvolle Karikatur des Schwätzers, in Satire 1,6 durch eine philosophischer wirkende Darstellung des neidischen volgus (man denke an den Satz in Hor. sat. 1,6,92f.: longe mea discrepat istis | et vox et ratio).Horazsat. 1,6,92f.

Durch diese Darstellung(en) bemerkt der Leser sofort, wie der Horaz-Sprecher versucht, einerseits die inneren Werte als Grundlage für sein Verhältnis zu Maecenas zu präsentieren und andererseits zu zeigen, dass das volgus nicht in der Lage ist, das wahre Wesen des Bündnisses nachzuvollziehen. Die Folge dieses mangelnden Verständnisses ist, dass nicht nur Neid entsteht, der zur negativen Betrachtung des Horaz führt, sondern auch, dass (zum Scheitern verurteilte) Nachahmungsversuche in einer störenden Situation münden, die Horaz zur Verzweiflung bringt.

Doch bald zeigt der Horaz-Sprecher, dass problematische Aspekte nicht nur außerhalb des Verhältnisses zu Maecenas im Neid und in Hintergedanken zu finden sind, sondern auch innerhalb desselben, und zwar in der steigenden Menge von Verpflichtungen, die er zu erledigen hat. Diese geben dem Dichter-Freund (und -Klienten) das Gefühl des Freiheitsverlustes, was offen in Satire 2,6, thematisiert wird. Ob dies einer Problematisierung des persönlichen Verhältnisses zu Maecenas gleichkommt, wird in den folgenden Abschnitten gezeigt.

iii) Auftretende Probleme zwischen Horaz und Maecenas: Satire 2,6

Horazsat. 2,6Das zweite Satirenbuch ist dadurch charakterisiert, dass der Horaz-Sprecher im Dialog mit einem Gesprächspartner programmatische und moralphilosophische Argumente vorstellt, die bereits im ersten Buch behandelt wurden.1 In Satire 2,6 spricht allerdings Horaz allein, und zwar über sein Verhältnis zu Maecenas.2 Für die vorliegende Arbeit bemerkenswert ist die Selbstinszenierung im Rahmen dieses Verhältnisses und v.a. dessen Problematisierung.

Zwar hatte sich der Horaz-Sprecher schon in Satire 2,1 als amicus mächtiger Männer präsentiert (als solchen bezeichnet ihn sein Gesprächspartner Trebatius, und er selbst gibt seinen engen Umgang mit ihnen zu)3 und sich sicher gezeigt, dass er trotz der allgemeinen invidia des volgus eine privilegierte Stelle bei den Mächtigsten (v.a. offenbar Maecenas und Augustus) genieße und genießen werde (sat. 2,1,74ff.).4 Doch erst in Satire 2,6 bietet der Horaz-Sprecher dem Leser eine Vertiefung in das Thema an. Dort erweist sich die Beziehung zum mächtigen Maecenas allerdings als ein von positiven und negativen Seiten gekennzeichnetes Abhängigkeitsverhältnis, das Horaz zu einer Hinterfragung der Natur des Bündnisses führt. Denn er sieht seine innere Freiheit in der Stadt durch die verpflichtenden Dienste beim Gönner und Freund auf eine unangenehme Weise beschnitten – dass daraus weder die Rolle des Horaz als cliens noch eine (auch nur verhüllte) Kritik an Maecenas zu erschließen ist, muss dennoch betont werden.5

Werden die negotia des Horaz betrachtet, so sind diese nicht ausschließlich für die clientela typisch (etwa die Verpflichtungen als Zeuge vor Gericht und beim Notar bei finanziellen Transaktionen). Doch die Hektik des Stadtlebens wird eben doch mit der Machtposition des einflusseichen amicus in Verbindung gebracht, die weder Anonymität noch die Muße ermöglicht, wie sie in Hor. sat. 1,6 noch als Ideal ausgemalt wurde.6 Die Belastung durch Verpflichtungen in der Großstadt wird bei Martial und Juvenal zu einem Topos für das zeitraubende und nervenaufreibende Stadtleben, das mit dem Klientenleben verbunden ist. Der Horaz-Sprecher deutet die Problematik des Abhängigkeitsverhältnisses unter dem Stadt- und Landleben-Diskurs erstmals an.7

Nicht selten ist aus dieser Stadtschilderung ein indirekter Vorwurf gegen Maecenas herauszuhören, als wolle der Horaz-Sprecher ihm seine Unzufriedenheit vor Augen führen8. Da allerdings gerade Maecenas Horaz das Landgut ermöglicht, wie der Sprecher gerne betont, und vor allem diese literarische Inszenierung nicht ohne humorvolle Nuancen gelesen werden darf, die einen engen und vertraulichen Umgang zwischen Maecenas und Horaz implizieren, ist eine verhüllte Kritik kaum zu erwarten9 – man halte sich nur die Inszenierung des engen Umgangs mit Maecenas auch in den Epoden vor Augen (dazu s.u.).

Die Satire schließt mit der berühmten Stadt-Landmaus-Erzählung, in der die Vor- und Nachteile beider Lebensweisen als Fabel kontrastiert werden. Obwohl das Landleben als Favorit aus dem Vergleich hervorgeht, weist die Darstellung der positiven Aspekte des Stadtlebens darauf hin, dass es sich dabei mehr um die Inszenierung der inneren Zerrissenheit in der Sprecherstimme handelt als um die Andeutung eines Konflikts im Verhältnis zwischen Maecenas und Horaz.10 Wie Holzberg 2009 bemerkt, bringt die Mäusegeschichte allegorisch zum Ausdruck, „daß der Dichter sich nicht entscheiden kann, ob er lieber in der Stadt oder auf dem Land wohnt.“11

Die Satire beginnt mit einem 15 Verse langen Gebet an Merkur als persönlichen Schutzgott (custos mihi maximus, 15). Ihn bittet der Sprecher darum, das als munus bekommene Landgut für ihn zu erhalten. Denn dieses Landgut stelle für ihn die Erfüllung seiner vota dar (sat. 2,6,1‑5):Horazsat. 2,6,1 5


Hoc erat in votis: modus agri non ita magnus,
hortus ubi et tecto vicinus iugis aquae fons
et paulum silvae super his foret. auctius atque
di melius fecere. bene est. nil amplius oro,
Maia nate, nisi ut propria haec mihi munera faxis. 5

Offenbar bedankt sich Horaz indirekt bei Maecenas, der für solche munera verantwortlich ist.12 Doch der Sprecher begründet im Hauptteil des Gedichts seine Sehnsucht nach der Landruhe durch den Kontrast mit den anstrengenden opera und labores, die von ihm in der Stadt zu erledigen sind (20‑59): Schon ab der ersten Stunde des Tages inszeniert sich Horaz im Wirbel seiner Pflichten. So weckt ihn der matutinus pater Janus allegorisch und mahnt ihn zu seinen officia auf dem Forum als sponsor (23ff.), welche er gegen alle Widerstände erledigen muss. Ihn erwarten allerdings noch zahlreiche andere officia, die vor allem dadurch mit Maecenas in Verbindung gebracht werden, dass sie dem Horaz auf seinem Weg zum Esquilin und zu Maecenas, wie ein angerempelter Fußgänger süffisant erkennt, aufgetragen werden (sat. 2,6,20‑42):Horazsat. 2,6,20 42


Matutine pater, seu Iane libentius audis, 20
unde homines operum primos vitaeque labores
instituunt – sic dis placitum –, tu carminis esto
principium. Romae sponsorem me rapis: ‘eia,
ne prior officio quisquam respondeat, urge.’
sive aquilo radit terras seu bruma nivalem 25
interiore diem gyro trahit, ire necesse est.
postmodo quod mi obsit clare certumque locuto
luctandum in turba et facienda iniuria tardis.
‘quid tibi vis, insane?’ et ‘quam rem agis?’ inprobus urget
iratis precibus, ‘tu pulses omne quod obstat, 30
ad Maecenatem memori si mente recurras.’
hoc iuvat et melli est, non mentiar. at simul atras
ventum est Esquilias, aliena negotia centum
per caput et circa saliunt latus. ‘ante secundam
Roscius orabat sibi adesses ad Puteal cras.’ 35
‘de re communi scribae magna atque nova te
orabant hodie meminisses, Quinte, reverti.’
‘inprimat his cura Maecenas signa tabellis.’
dixeris: ‘experiar’: ‘si vis, potes,’ addit et instat.
septimus octavo propior iam fugerit annus, 40
ex quo Maecenas me coepit habere suorum
in numero, (…)

Im Unterschied zum langen Ausschlafen, das in sat. 1,6,122ff.Horazsat. 1,6,122ff. noch möglich war, wird Horaz jetzt am frühen Morgen von Gott Janus aus dem Bett getrieben. Zuerst inszeniert sich der Sprecher bei der Erledigung der allgemeineren officia eines jeden freien Bürgers auf dem Forum, wo er als sponsor gebraucht wird (24‑26), um sich in verschiedenen Gerichtsverfahren zu engagieren. Von dort muss er sich aber rasch zu Maecenas begeben, und zwar durch die Menschenmenge auf dem Forum. Dabei gerät er an einen inprobus, der ihm nicht nur Ungeduld und Rücksichtslosigkeit, sondern auch sein enges Verhältnis zu Maecenas vorwirft (tu pulses omne quod obstat | ad Maecenatem memori si mente recurras, 30f.). In einer Art Autorkommentar erklärt das sprechende Ich sich selbst sowie dem Leser (und letztendlich Maecenas), dass der Gedanke, bei ihm zu sein, zwar das Höchste ist (iuvat et melli est, non mentiar, 32). Doch er gibt gleichzeitig offen zu, dass die auf ihn wartenden aliena negotia centum überlastend seien: Die starke adversative Konjunktion at sowie die Umschreibung des esquilinischen Viertels als atrae Esquiliae betonen die negative Betrachtung der folgenden officia (36‑39). Für Ganter stehen diese officia deutlich in Verbindung mit Horazens Rolle als Maecenas’ Klient einerseits und andererseits als Patron für andere.13 Doch ist Vorsicht geboten, weil der Besuch bei Maecenas gerade nicht als salutatio oder anteambulatio gekennzeichnet ist.14

Drei Figuren verlangen von Horaz seine Betätigung in amtlichen Angelegenheiten. Sie deuten auf die vertrauliche Position des Horaz bei Maecenas hin: 1) Ein gewisser Roscius lässt Horaz an den bevorstehenden Termin beim praetor urbanus beim Puteal (34‑35) erinnern.15 2) Vertraulich mit Vornamen angesprochen, wird Horaz dann von einem Kollegen noch an einen anderen Termin erinnert: Die scribae brauchen ihn für eine Angelegenheit von öffentlicher Bedeutung (res communis, magna atque nova: 36‑37). 3) Schließlich wird Horaz nachdrücklich darum gebeten, die persönlichen Siegel des Maecenas auf ein Privatdokument stempeln zu lassen (38‑39). Nur die letzte Bitte steht in direkter Beziehung zu dem Vertrauensverhältnis zu Maecenas, doch wird klar, dass man Horaz auf dem Weg zu Maecenas abpassen kann und dass Horaz auch wegen seines Kontakts zu ihm als prominente Figur wahrgenommen und gesucht wird. Der sich anschließende Rückblick auf die Entstehung dieser Beziehung ist erneut nötig, um die falschen Vorstellungen der Leute, zu denen auch der letzte Bittsteller gehört, zu berichtigen (sat. 2,6,40‑59):Horazsat. 2,6,40 59


septimus octavo propior iam fugerit annus, 40
ex quo Maecenas me coepit habere suorum
in numero, dumtaxat ad hoc, quem tollere raeda
vellet iter faciens et cui concredere nugas
hoc genus: ‘hora quota est?’ ‘Thraex est Gallina Syro par?’
‘matutina parum cautos iam frigora mordent’, 45
et quae rimosa bene deponuntur in aure.
per totum hoc tempus subiectior in diem et horam
invidiae noster. ludos spectaverat, una
luserat in campo: ‘fortunae filius’ omnes.
frigidus a rostris manat per compita rumor: 50
quicumque obvius est, me consulit: ‘o bone – nam te
scire, deos quoniam propius contingis oportet –,
numquid de Dacis audisti?’ ‘nil equidem.’ ‘ut tu
semper eris derisor.’ ‘at omnes di exagitent me,
si quicquam.’ ‘quid? militibus promissa Triquetra 55
praedia Caesar an est Itala tellure daturus?’
iurantem me scire nihil mirantur ut unum
scilicet egregii mortalem altique silenti.
perditur haec inter misero lux non sine votis:

Anders als in sat. 1,6,62 spricht er hier nicht von amicitia, sondern formuliert offen: Maecenas me coepit habere suorum | in numero (41f.). Indem er schildert, welche Belanglosigkeiten beide im Gespräch austauschen, wird die Erwartung der Beobachter hinsichtlich der Wichtigkeit des Horaz reduziert. Auf den Gedanken, Horaz habe durch sein Verhältnis zu Maecenas Insiderwissen auch im politischen Bereich, antwortet der Ich-Sprecher mit einer Gegendarstellung. Er kontrastiert allerdings die Thematik der Stadtgespräche (über Gladiatoren und das Wetter) auch mit den Gesprächen auf dem Land, die vom Wert der Selbsterkenntnis gekennzeichnet sind. Da der Leser allerdings von Horaz selbst aus der Epistel 1,18 erfahren wird, dass Verschwiegenheit zur wahren Freundschaft gehört (vor allem in einer Freundschaft zu mächtigen Gönnern), lässt sich darin auch ein Ablenkungsmanöver erkennen.16

Als miser in der Stadt drückt er daher seine vota aus (59), um auf das Land fliehen zu können, wo wahre Freundschaft in Bescheidenheit zu genießen ist; dies schlägt sich in den folgenden Versen nieder (60‑76).17

Neben der topischen Inszenierung einer bescheidenen cena unter wahren Freunden, bei der keine sozialen Rollenspiele nötig sind, sondern die Hierarchie bewusst flach gehalten wird, so dass auch die Sklaven verzogen sind und von den dapes naschen dürfen, betont der Sprecher die Möglichkeit, endlich über wichtige moralphilosophische Themen sprechen zu können (sat. 2,6,71‑76):Horazsat. 2,6,71-76


sermo oritur, non de villis domibusve alienis
nec male necne Lepos saltet; sed, quod magis ad nos
pertinet et nescire malum est, agitamus, utrumne
divitiis homines an sint virtute beati,
quidve ad amicitias, usus rectumne, trahat nos 75
et quae sit natura boni summumque quid eius.

Tovar Cortés sieht in der Kontrastierung zwischen den trivialen Maecenas-Gesprächen (in sat. 2,6,71f. werden Immobilien und Tänzer als typische Themen genannt) und dem Gespräch bei der ländlichen cena eine indirekte Kritik an Maecenas, doch ist das nicht überzeugend.18 In der Kritik steht vielmehr die Stadt als ein Ort, der ausschließlich nugae zulässt, nicht Maecenas, der nur über nugae sprechen kann. Auf dem Land fände auch Maecenas die entspannte Situation vor, um sich an den lebensphilosophischen Themen zu beteiligen. Zugleich wird aber der Anspruch in den Themenformulierungen, die Quaestiones wie für einen Cicero-Dialog zu sein scheinen, dadurch entlarvt, dass Cervius eine anilis fabella von der Stadt- und Landmaus als Redebeitrag liefert.19 Diese stellt sich als Spiegel der horazischen Alternative von innerer Freiheit durch Bescheidenheit und äußerlichem Wohlstand mit belastender Hektik heraus, wie die Forschung schon bemerkt hat.20

Die Beziehung zwischen den beiden Mäusen wird gekennzeichnet: Als vetus hospes empfängt die arme Landmaus einen vetus amicus aus der Stadt mit allen Ehren zu einer scheinbaren vita beata, die der Gastgeber mit der horazischen Maxime eines carpe diem anpreist.21 Die Stadtmaus verhält sich nicht unangemessen, im Gegenteil: Als Wirt ist sie genauso emsig wie die Landmaus um das Wohl ihres Gastes bemüht. Zwar gibt die Landmaus zuerst dem Schein nach und hält sich für einen laetus conviva bei seinem wohlhabenden amicus, da sich ihr Glück ins Positive gewendet habe (110f.). Doch bald muss die Landmaus erkennen, dass in der Stadt die insidiae überall präsent sind. Sie beendet folglich ihre Erfahrung in der Stadt mit der Begründung, die bescheidene, doch sichere Landatmosphäre dem luxuriösen, aber erschreckenden Stadtleben vorzuziehen (sat. 2,6,115‑117):Horazsat. 2,6,115 117


‘tum rusticus: “haud mihi vita 115
est opus hac” ait et “valeas: me silva cavosque
tutus ab insidiis tenui solabitur ervo.”’

Natürlich darf der Leser weder diese Erzählung noch die Satire an sich rein selbstreferenziell lesen, wie es v.a. seit Brink 1965 und West 1974 communis opinio ist.22 Doch die Inszenierung knüpft erkennbar an die bisher vorgestellten Situationen an, die Horazens Unzufriedenheit betont haben, da dieser sich durch die Hektik seiner Verpflichtungen und die daraus entstandenen Gefahren, wie die invidia, bedrückt sieht.23 Fand der Leser außerdem in Satire 1,6 die Beschreibung der vita solutorum misera ambitione gravique (sat. 1,6,129),Horazsat. 1,6,129 wo der Dichter seine Autonomie bewahren konnte und das sorglose Leben in der Stadt genoss, schließt der horazische Sprecher die Satire jetzt mit einem Satz ab, aus dem ersichtlich wird, dass er in der Stadt keine Ruhe mehr findet und dass gerade eine solche Ruhe für ihn notwendig ist (haud mihi vita | est opus hac, Hor. sat. 2,6,115f.).