Die Stasi – Eine Behörde im Osten

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Die Stasi – Eine Behörde im Osten
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Walter Brendel

Die Stasi – Eine Behörde im Osten

Die Stasi – Eine Behörde im Osten

Walter Brendel

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2022

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Einleitung

Erster Teil: „Feind ist, wer anders denkt“

Zweiter Teil: "Eiserne Vorhang" im Kalten Krieg

Dritter Teil: KSZE-Schlussakte und gegen die Andersdenkenden

Fazit

Quellen

Einleitung

Sie versteht sich als "Schwert und Schild der Partei". Sie will ihrem Staat, der DDR, dienen und ihn mit allen Mitteln schützen - die Stasi. Vor Angriffen von innen und von außen.

Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR: Es ist nicht nur eine Behörde – es ist ein ganzes Imperium. Geheimpolizei und Nachrichtendienste in einer einzigen Institution. Die Staatssicherheit durchdringt die Gesellschaft komplett. Ihre Informanten sind überall.

In Gerichten und Behörden, am Arbeitsplatz, in der eigenen Familie – in Ost, aber auch in West. Wie die Stasi zu dem geworden ist, zeigt " Die Stasi–Eine Behörde im Osten".

Das vierteilige Buch zeigt chronologisch die Entwicklung der Staatssicherheit der DDR. Was machte die Stasi zu einem der erfolgreichsten Geheimdienste der Welt? Welche Abgründe verbergen sich in den 111 Kilometern Akten, die nach dem Ende der Staatssicherheit vor der Vernichtung gerettet wurden?

Bis heute ist die Stasi beeindruckend und beängstigend. Sie war Geheimpolizei und Nachrichtendienst in einem einzigen, gigantischen Imperium. Beim Mauerfall beschäftigt sie über 91 000 Hauptamtliche und 189 000 inoffizielle Mitarbeiter. Das macht die Stasi zum größten Arbeitgeber der DDR.. Die Teile erzählen bekannte und unbekannte Fälle, von Schauprozessen und Entführungen, von Mordanschlägen und Bespitzelungen - sogar unter Freunden und Liebespaaren. Und von dem Mann, der fast 40 Jahre lang den Takt angab: Minister Erich Mielke, linientreuer Kommunist und skrupelloser Geheimdienst-Chef.

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Dem ersten Teil haben wir die Worte von Erich Mielke vorangestellt: „Feind ist, wer anders denkt“. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR: Es ist nicht nur eine Behörde – es ist ein ganzes Imperium. Geheimpolizei und Nachrichtendienste in einer einzigen Institution. Die Staatssicherheit durchdringt die Gesellschaft komplett. Ihre Informanten sind überall.

In Gerichten und Behörden, am Arbeitsplatz, in der eigenen Familie – in Ost, aber auch in West. Wie die Stasi zu dem geworden ist, zeigt "Feind ist, wer anders denkt - Geheimnisse der Stasi".

Im zweiten Teil lesen wir von der Zeit des Mauerbaus. Willy Band ist Regierender Bürgermeister im Westteil der Stadt.

"Schießt vor allem nicht auf Eure eigenen Landsleute". Das ist der Appell von Willy Brandt vor dem Schöneberger Rathaus – unmittelbar nach Beginn des Mauerbaus.

Hunderttausende drängen sich vor ihm auf dem Platz und skandieren Parolen gegen das Regime im Osten. Die Mauer teilt die Welt von nun an in zwei Blöcke. Sie ist der real sichtbare "Eiserne Vorhang" im Kalten Krieg.

Und sie bedeutet auch eine wichtige Zäsur für die Stasi. Die Agenten können nicht mehr so leicht zwischen Ost und West wechseln. Das ist ein Hindernis – auch für Mielkes Männer. Im internen Machtpoker der DDR kann der Minister für Staatssicherheit punkten. Es gelingt ihm, die Verantwortung für die Grenzkontrollen an das Ministerium für Staatssicherheit zu ziehen.

Der dritte und letzte Teil behandelt sie Spionageaffäre im Bundeskanzleramt. Dass ausgerechnet der Bundeskanzler, der durch seine neue Ostpolitik eine Annäherung zwischen der Bundesrepublik und der DDR ins Werk gesetzt hat, wegen eines enttarnten Agenten in seinem Umfeld den Hut nehmen muss, ist ein klassisches Eigentor der Stasi.

Trotzdem verschlechtern sich die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten nicht wirklich – im Gegenteil. Die Verabschiedung der KSZE-Schlussakte von Helsinki manifestiert 1975 die internationale Anerkennung der DDR und damit die Grenzen zwischen den beiden Blöcken.

Erster Teil: „Feind ist, wer anders denkt“

Die Worte des allmächtigen Ministers Mielke soll das Feindbild durch unsere Buchreihe begleiten. Nach der Gründung am 8. Februar 1950 1950 ging es vor allem um den Kampf gegen Reste der faschistischen Umtriebe, wo noch ein Teil des braunen Gedankengutes in den Köpfen der Menschen waren. Ideale Ansprechpartner für die Organisation Gehlen aus Westdeutschland.

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), war in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zugleich Nachrichtendienst und Geheimpolizei und fungierte als Regierungsinstrument der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Formal war es innerhalb des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik ein „Ministerium der bewaffneten Organe“. Auch die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), der Auslandsgeheimdienst der DDR, war eine von etwa zwanzig Hauptverwaltungen des MfS.

In der Stasi-Zentrale in der Ost-Berliner Normannenstraße residiert Erich Mielke, der Chef eines der erfolgreichsten Geheimdienste der Welt. Nach Mossad und KGB dürfte es der Dritterfolgreichste Geheimdienst der Welt sein. Der Auftrag lautet, die DDR am Leben halten, sie vor Feinden von Innen und Außen zu schützen und sie zu einer führenden Nation zu entwickeln.

Der Kommunist Erich Mielke blickt auf eine sozialistische Bilderbuchkarriere zurück. Als Sohn eines Stellmachers am 28. Dezember 1907 in Berlin geboren, wuchs er in einem proletarischen Umfeld auf. Seine Mutter starb nach der Geburt des vierten Kindes 1910 mit 34 Jahren. 1911 heiratete der Vater erneut. Die sechsköpfige Familie bewohnte eine 30-Quadratmeter-Wohnung in einem Hinterhaus in der Stettiner Straße. Bis 1921/22 besuchte Mielke die 43. Gemeindeschule. Bei einer Begabtenauswahl unter 360 Kindern aus mittellosen Arbeiterfamilien erhielt er 1923 einen Freiplatz am Köllnischen.

Erich Mielke

Er verließ die Schule wegen Schwierigkeiten beim Erlernen der klassischen Sprachen bereits nach einem Jahr und absolvierte anschließend bis 1927 eine Lehre als Speditionskaufmann. Nach dem Abschluss seiner Ausbildung arbeitete Mielke als Expeditionsgehilfe bei der Automatischen Fernsprechanlagen-Bau-Gesellschaft (Autofabag), einer Tochterfirma des Siemens-Konzerns, wo er im Januar 1931 entlassen wurde, nachdem er eine Lohnerhöhung gefordert hatte. Im Juli 1931 trat er eine Stelle beim Wohlfahrtsamt in Kreuzberg an.

Sowohl Mielkes Vater als auch seine Stiefmutter traten früh in die KPD ein. 1921 trat der 14-jährige Mielke dem KJVD bei. Als Zeitpunkt seines Eintritts in die KPD nannte er in einem Fragebogen von 1932 das Jahr 1928. 1945 datierte er seinen Parteieintritt auf 1927, in einem weiteren Fragebogen von 1951 schließlich auf das Jahr 1925, das seit den 1960er Jahren öffentlich als Jahr seines Parteieintritts angegeben wurde.

In seinem Wohngebiet war Mielke als Leiter einer Straßenzelle der KPD aktiv, aber auch als Instrukteur der KPD-Betriebszelle in der nahegelegenen Werkzeugmaschinenfabrik Hasse & Wrede tätig. Auch der Roten Hilfe und dem Roten Frontkämpferbund (RFB) gehörte Mielke an. Im RFB hatte er die Funktion eines „Schriftführers und Kulturobmanns“ inne. Wegen der Teilnahme an einer verbotenen KPD-Demonstration in Leipzig verbüßte Mielke 1930 eine mehrtägige Ordnungsstrafe im Polizeigefängnis am Alexanderplatz. Arbeitslos geworden, beschäftigte ihn 1931 die kommunistische Rote Fahne, wobei eine Tätigkeit als „Lokalreporter“ ins Reich der Legende gehört. Als Angehörige des 1931 gegründeten Parteiselbstschutzes, einer paramilitärisch organisierten und bewaffneten Gruppe der Partei, verübten am 9. August 1931 Mielke und Erich Ziemer die Morde an den Polizeioffizieren Paul Anlauf und Franz Lenck auf dem Bülowplatz in Berlin.

Die KPD schaffte die beiden daraufhin einige Tage später in die Sowjetunion. Mielke behauptete später, die NS-Justiz hätte ihn 1934 „in Abwesenheit verurteilt zum Tode (Bülowplatz)“. Tatsächlich war das Verfahren gegen ihn durch Beschluss vom 23. April 1934 gemäß § 205 StPO noch vor der Eröffnung des Hauptverfahrens eingestellt worden, da man seiner nicht habhaft werden konnte.

In Moskau erhielt er von 1932 bis 1936 eine politische und militärische Ausbildung an der Lenin-Schule und kämpfte von 1936 bis 1939 unter dem Decknamen Fritz Leissner im Spanischen Bürgerkrieg bei den Internationalen Brigaden. Zuletzt im Range eines Hauptmanns, versah Mielke nach eigenen Angaben vor allem Stabsdienst in den Führungen der XI. und XIV. Brigade sowie Aufgaben als „Kaderoffizier“ in der 27. Division.

Dagegen haben Spanienkämpfer, darunter Walter Janka, Mielke als Offizier des Servicio de Investigación Militar (SIM), der stalinistischen Geheimpolizei in Spanien, in Erinnerung. Unter anderem war Mielke beteiligt am Umsetzen der Stalinschen Säuberungen in den republikanischen Truppen.

In der Endphase des Spanischen Bürgerkrieges begab sich Mielke im Februar 1939 über die Pyrenäen nach Frankreich, wo er zusammen mit anderen Interbrigadisten zunächst interniert wurde, dann aber nach Kontaktaufnahme mit der KPD-Leitung im Mai 1939 auftragsgemäß nach Belgien ging. Entgegen einer später von ihm verbreiteten Legende hielt sich Mielke unter seinem Klarnamen in Belgien auf und wurde nicht aus Deutschland ausgebürgert. Die Staatsanwaltschaft Berlin verzichtete auf ein Auslieferungsersuchen für Mielke. Sie sah die Polizistenmorde als ein „politisches Verbrechen“ an, wofür der Auslieferungsvertrag mit Belgien keine Auslieferung erlaubte.

 

Unter dem Decknamen Gaston war Mielke bis in die Monate nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Mitherausgeber der für Deutschland bestimmten und bis Februar 1940 illegal von der KPD im Grenzgebiet zu Belgien verbreiteten Neuen Rheinischen Zeitung. Die deutsche Invasion veranlasste die Regierung Belgiens im Mai 1940 zum Abtransport aller deutschen Staatsangehörigen in französische Internierungslager.

Mielke kam Ende Mai 1940 in das Lager Cyprien, aus dem er im August 1940 nach Toulouse flüchtete. Vermutlich fand er im September 1940 Unterschlupf in einem französischen Arbeitskommando für Ausländer. Im Sommer 1941 nahm Mielke eine weitere Identität als „Richard Hebel“ an und erbat bei dem KPD-Funktionär Willi Kreikemeyer in Marseille Hilfe bei der Ausreise nach Mexiko und materielle Unterstützung, die er erhielt.

Nachdem deutsche Truppen infolge der Landung der Amerikaner in Nordafrika im November 1942 Südfrankreich besetzt hatten, löste sich die Marseiller Emigrantenszene auf. Verbürgt sind jedoch spätere Kontakte der KPD-Gruppe in Toulouse, wo Mielke sich Leisner nannte, zur Parteiführung in Moskau. Im März 1943 telegrafierte von dort der KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck, der das Pseudonym entschlüsselt hatte: „Sicherung Leisner wegen Bülowplatzsache“.

Nach einer Verhaftung 1944, bei der man ihn jedoch nicht als den noch immer gesuchten Bülowplatz-Mörder identifizierte, wurde er in die Organisation Todt eingegliedert, die in den besetzten Staatsgebieten Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge zur Errichtung militärischer Anlagen einsetzte. Mit dieser kam er im Dezember des Jahres zurück nach Deutschland. In seiner stark gefälschten und geschönten Biografie von 1951 kaschierte er seine Aktivitäten für die Organisation Todt als Tätigkeit in einer „Arbeiterkompanie“.

Mielke kehrte am 14. Juni 1945 nach 14 Jahren wieder in die elterliche Wohnung in Berlin zurück. Als ehemaliger Kader der Exil-KPD suchte und fand er binnen weniger Tage den direkten Kontakt zur Parteiführung. Ende Juni sollte Mielke als Leiter der Polizeiinspektion im Bezirk Wedding eingesetzt werden, wozu es aber wegen der unmittelbar bevorstehenden Übergabe des Bezirks an die französische Besatzungsmacht nicht mehr kam.

Stattdessen übernahm er am 15. Juli die Leitung der Polizeiinspektion im Bezirk Lichtenberg im sowjetischen Sektor. Aus dieser Funktion schied er zum 30. November 1945 wieder aus, als ihm im Zentralkomitee der KPD die Funktion des Abteilungsleiters für Polizei und Justiz übertragen wurde. Seit April 1946 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) war er von Juli 1946 an Vizepräsident der Deutschen Verwaltung des Innern (DVdI), die mit Gründung der DDR in Ministerium für Inneres umbenannt wurde, und innerhalb derer er ab Mai 1949 die Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft aufbaute.

Erich Honecker gratuliert Erich Mielke (rechts) zum 30-jährigen Jubiläum des Ministeriums für Staatssicherheit, Februar 1980

Bei der Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, „Stasi“) im Februar 1950 wurde Wilhelm Zaisser als Minister eingesetzt und Erich Mielke, neben Joseph Gutsche und anderen, einer seiner Stellvertreter im Range eines Staatssekretärs. Im gleichen Jahr wurde er auch Mitglied des Zentralkomitees der SED. Der Prozess gegen den westdeutschen KPD-Bundestagsabgeordneten Kurt Müller wurde maßgeblich von Mielke vorbereitet. Nach den Ereignissen des 17. Juni 1953 wurde Zaisser abgesetzt, Ernst Wollweber übernahm die Leitung des MfS. 1957 entließ Walter Ulbricht Wollweber auf dessen Wunsch, und Mielke wurde zum Leiter des MfS ernannt. Diese Position bekleidete er bis zum 7. November 1989. Zurzeit von Mielkes Amtsantritt zählte die Behörde rund 14.000 hauptamtliche Mitarbeiter, Ende 1989 91.000. In einem von Mielkes Stahlschränken befand sich ein kleiner roter Koffer mit Dokumenten, die den langjährigen DDR-Staatschef Erich Honecker hätten kompromittieren können.

Von 1958 bis 1989 war Mielke Abgeordneter der Volkskammer. Ab 1971 wurde Mielke Kandidat und ab 1976 Vollmitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED. Von 1960 bis 1989 war er Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates der DDR (NVR), ab 1980 Armeegeneral.

Von 1953 bis 1989 war er erster Vorsitzender der Sportvereinigung Dynamo. Von 1957 bis 1989 war er Mitglied des Vorstandes des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR und Mitglied des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport der DDR. Also eine schön gefärbte Karriere des Erich Mielke.

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Die Stasi entführt politische Gegner, verteidigt die Grenze und bespitzelt das eigene Volk. Sie trägt zum Rücktritt des westdeutschen Bundeskanzlers Willy Brand bei und stielt tausende Geheimnisse.

Als das Volk aufbegehrt, stürmen Bürgerrechtler das Ministerium für Staatssicherheit. Bereits am 7. November 1989 trat Mielke zusammen mit der gesamten Regierung Stoph zurück, am folgenden Tag zusammen mit dem gesamten Politbüro des ZK der SED. Am 17. November wurde sein Abgeordnetenmandat aufgehoben. Am 3. Dezember wurde Mielke aus der SED ausgeschlossen, am 7. Dezember kam er unter dem Vorwurf der „Schädigung der Volkswirtschaft“ und des „Hochverrats durch verfassungsfeindliche Aktionen“ in Untersuchungshaft.

Der einst mächtige Minister wurde am 2. Februar 1990 ins Haftkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen verbracht, aus dem er am 8. März 1990 aus gesundheitlichen Gründen entlassen wurde. Im Juli desselben Jahres kam er erneut in Untersuchungshaft, nachdem das Krankenhaus der Volkspolizei die Haftfähigkeit bestätigt hatte, unter anderem wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Rechtsbeugung“.

Zunächst kam er in ein West-Berliner Krankenhaus, dann in die Haftanstalten Rummelsburg in Ost-Berlin und anschließend nach Plötzensee. Am 4. Oktober 1990 wurde Mielke auf Antrag seines Anwalts wegen schlechter Haftbedingungen in die JVA Moabit verlegt, wo er für längere Zeit verblieb.

Die Akten der Stasi, Einblick in eine Welt voller Geheimnisse.

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Sommer 1952, genau am 8. Juli, in West-Berlin. Auf offener Straße, in der Gerichtsstraße in West-Berlin greifen zwei Unbekannte einen Passanten an. Sie packen ihm, drängen ihm in ihr Auto. Dann rast der Wagen los. Der Name des Entführten war Walter Linse. Er arbeitet als Jurist, Er arbeitete für den West-Berliner Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen (UFJ), der Menschenrechtsver-letzungen in der DDR dokumentierte. Genau dorthin wollen ihm seine Entführer bringen.

In dieser Zeit gibt es noch keine Mauer. Ungehindert kann deshalb der Wagen die Sektorengrenze passieren. Man ist jetzt in der DDR, die sich als der bessere Teil Deutschlands sieht.

Dem Ministerium für Staatssicherheit und dem sowjetischen Geheimdienst MGB waren diese Vorbereitungen bekannt. Mit einer Entführung Linses sollte der Kongress verhindert werden oder wenigstens Schaden nehmen. Zur Entführung warb der MfS-Offizier Paul Marustzök auf Weisung Bruno Beaters im Juni 1952 den schwerkriminellen Berliner Bandenführer Harry Bennewitz an, der in der Ost-Berliner Stadtvogtei in Untersuchungshaft saß.

Marustzök stellte mit Zustimmung Erich Mielkes aus Bennewitz und drei anderen Kriminellen die Entführungsbande zusammen. Nachdem seit der Befehlserteilung am 14. Juni fünf Versuche, Linse zu entführen, gescheitert waren, wurde die Planung verändert. Am 8. Juli 1952 brachte das MfS ein West-Berliner Taxi vom Typ Opel Kapitän samt Fahrer in seine Gewalt, während ein eigens vom MfS für Bennewitz in West-Berlin angeschaffter Neuwagen gleicher Bauart, nun mit dem Original-Taxi-Schild und dem KFZ-Kennzeichen präpariert, zur Entführung Linses benutzt wurde.

Morgens gegen 7:30 Uhr, wenige Meter von seinem Wohnhaus entfernt in der Gerichtsstraße 12 in Berlin-Lichterfelde, bat ihn ein Mitglied der Bande um Feuer. Linse, der in seiner Aktentasche suchte, wurde angegriffen und trotz heftiger Gegenwehr in den Wagen gezogen. Als Linse sich weigerte, seine heraushängenden Beine in den Wagen zu ziehen, schoss ihm Bennewitz in eine Wade. Ein Lieferwagenfahrer versuchte vergeblich, das Auto zu rammen, wurde aber beschossen. Er hielt ein Polizeifahrzeug an, das die Verfolgung aufnahm, doch das Entführungsfahrzeug entkam mit hoher Geschwindigkeit aus dem amerikanischen Sektor in die DDR nach Teltow. Dort wartete Marustzög, der zu Linse in das Entführungsfahrzeug stieg, um ihn in das „U-Boot“ einzuliefern, die zentrale Untersuchungshaftanstalt des MfS in Ost-Berlin.

Die Bande und ihr Familienanhang verbrachte die Zeit vom 21. Juli bis 2. September 1952 in einem Erholungsheim des MfS in Heringsdorf, weil die Aktion unerwartet hohe Wellen in der westlichen Öffentlichkeit geschlagen hatte. Währenddessen besorgte das MfS für sie und weitere sieben in den Fall verwickelte Geheime Mitarbeiter und deren Angehörige neue, in der gesamten DDR verstreute Wohnsitze.

Linse saß bis Dezember 1952 im MfS-Gefängnis in Hohenschönhausen in Haft. Das MfS zeichnete seine Selbstgespräche und Gebete mit versteckten Mikrofonen auf. Anschließend übergab das MfS ihn an den sowjetischen Geheimdienst MGB (Vorläufer des KGB), in Berlin-Karlshorst. Zermürbt von den Verhören, bekannte sich Linse gegenüber den Vernehmern der Spionage und Subversion gegen die DDR für schuldig. Am 23. September 1953 verurteilte ihn ein sowjetisches Militärgericht wegen „Spionage, antisowjetischer Propaganda und Bildung einer antisowjetischen Organisation“ zum Tode.

Walter Linse in sowjetischer Haft, 1953

Seine frühere Tätigkeit während der Zeit des Nationalsozialismus als Beauftragter für die „Arisierung“ jüdischer Unternehmen bei der Industrie- und Handelskammer wurde 2007 in der Öffentlichkeit bekannt und zum Anlass einer anhaltenden Kontroverse über sein damaliges Verhalten und seine Persönlichkeit. Als Reaktion auf die Entführung mit einem Pkw wurden die Straßenübergänge von West-Berlin nach Ost-Berlin und in die DDR bis auf wenige kontrollierte Übergänge für den Fahrzeugverkehr mit Barrieren versperrt.

Ein Bandenmitglied namens Knobloch hatte wenig später vor Freunden erst mit der Fangprämie und dann auf Nachfrage mit der Tat geprahlt. Knobloch musste daher auf Anordnung des MfS nach Leipzig umziehen, um sich zu verstecken. Von dort aus brach er im März 1953 heimlich nach West-Berlin auf, um einen schon länger geplanten Einbruch zu begehen. Vorher besuchte er den in West-Berlin wohnenden Bruder seiner Verlobten, der von der Entführung wusste. Dieser verständigte die Polizei, die Knobloch am Tatort festnahm. Im folgenden Prozess konnte durch den geständigen Angeklagten der Hergang von Linses Entführung minutiös aufgeklärt werden. Die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin verurteilte Knobloch am 4. Juni 1954 zu zehn Jahren Zuchthaus. Nach Verbüßung seiner Strafe ging er nach Ost-Berlin zurück, wo er 1992 verstarb.

Der Prozess gegen Knobloch hatte endgültig vor aller Welt die Rolle des MfS im Fall Linse offenbart. Marustzöks Karriere als Entführungsspezialist endete mit einer Versetzung nach Leipzig. Seine Nachfolge in der Betreuung der Bandenmitglieder trat im MfS Otto Knye an.

Bandenchef Bennewitz hatte sich in Hotels als MfS-Mitarbeiter ausgegeben, stellte immer neue Unterhaltsforderungen und drohte damit, die Zusammenarbeit mit dem MfS zu beenden. Er musste ebenfalls nach Leipzig umziehen. Im September 1953 hatte Knye Bennewitz zu einer Übersiedlung nach Polen überredet, wo er sofort mit neuer Identität als Portugiese dem Bruderorgan MBP zwecks Bekämpfung von Devisenvergehen im Danziger Hafen übergeben wurde. Trotz Heirat und monatlicher Schweigegeldzahlung sowie Sachleistungen für private Schwarzmarktgeschäfte durch das MfS gelang es Bennewitz nicht, in Polen Fuß zu fassen. Zwei Jahre nach seiner Rückkehr verunglückte Bennewitz im November 1958 tödlich im Hafen Rostock. Die Angehörigen der Familie Bennewitz waren inzwischen zu Mitwissern der Entführung Linses geworden und erhielten bis in die 1980er Jahre vom MfS monatlich Schweigegeld in Höhe von vierhundert bis eintausend DDR-Mark.

Im Mai 1960 hatte das Sowjetische Rote Kreuz auf Anfrage der deutschen Schwesterorganisation mitgeteilt, dass Linse am 15. Dezember 1953 in einem sowjetischen Gefangenenlager verstorben sei. Trotz des bald darauf verkündeten Dementis war diese Meldung das erste offizielle Eingeständnis der Verantwortung der Sowjetunion für die Entführung und den Tod Linses.

 

1961 wurde die Gerichtsstraße in Berlin-Lichterfelde in Walter-Linse-Straße umbenannt und am 16. Dezember 1962 wurde Linse in der Bundesrepublik Deutschland amtlich für tot erklärt. Der Generalstaatsanwalt Russlands rehabilitierte Linse am 8. Mai 1996 als politisches Opfer.

Am 29. Juni 2007 schrieb der Förderverein der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen einen mit 5000 Euro dotierten „Walter-Linse-Preis“ aus zur Ehrung von Personen, die sich „in herausgehobener Weise um die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur verdient gemacht haben“. Kurz zuvor hatte jedoch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten eine Linse-Biographie des Politologen Benno Kirsch veröffentlicht, durch die erstmals Hinweise auf die von Kirsch hierbei weitgehend positiv gezeichnete Rolle Linses während der NS-Zeit öffentlich bekannt wurden. Nachdem der Berliner Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Martin Gutzeit, den Vorsitzenden des Fördervereins Jörg Kürschner am 6. Juli 2007 aufgefordert hatte, die Auslobung des Preises bis zu einer Klärung der Belastung Linses auszusetzen, kam der Förderverein dieser Forderung im August zwar nach, Kürschner nahm Linse jedoch engagiert in Schutz und bezichtigte Gutzeit seinerseits des „medialen Totschlags“ an dem Menschenrechtler Linse.

Im Auftrag des Landesbeauftragten legte der Jurist und Historiker Klaus Bästlein im September 2007 ein Gutachten zur Rolle Linses in den Jahren bis 1949 vor, das sich mit der Arbeit Kirschs kritisch auseinandersetzte und auf der Grundlage eigener Prüfung von Archivunterlagen und persönlichen Aufzeichnungen Linses zu dem Ergebnis kam, dass Linse sich zwar über seine Amtstätigkeit hinaus nicht mit antisemitischen Erklärungen hervorgetan habe, aber nicht nur als „Gehilfe“ des NS-Regimes, sondern aus historischer Sicht als ein „NS-Täter“ anzusehen sei, der die „Tatherrschaft“ bei der wirtschaftlichen Ausplünderung der Juden im Chemnitzer Bezirk gehabt und sich nicht davor gescheut habe, „Juden in massiver Weise unter Druck zu setzen oder bei der Gestapo zu denunzieren“. Nachdem auch der wissenschaftliche Beirat der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen den Förderverein aufgefordert hatte, wegen des noch ungeklärten Umfangs von Linses Verantwortung für NS-Unrecht auf diesen Namen zu verzichten,] zog der Förderverein am 6. Dezember 2007 diesen Namen zurück und gab bekannt, dass der Preis stattdessen „Hohenschönhausen-Preis zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur“ heißen solle. Weitere Fälle wurden nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung wurden weitere Fälle aufgearbeitet. So der Fall von Günter Malkowski. Dieser war ein Student der Deutschen Hochschule für Politik und Teilnehmer am Widerstand in der frühen DDR.

Für das Sommersemester 1949 bewarb sich Malkowski erfolgreich um einen Studienplatz an der Freien Universität Berlin. Im Aufnahmegespräch, an dem Ernst Tillich, ein Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP) und KgU-Leiter, teilnahm, sprach er freimütig von seinem Kontakt zum französischen Geheimdienst. Tillich will Malkowski in einem späteren Privatgespräch wegen seines unkonspirativen Verhaltens und vor einer Fortsetzung der geheimdienstlichen Tätigkeit gewarnt haben.

Malkowskis Absicht, das Studium 1949 in West-Berlin fortzusetzen, scheiterte. Im Januar 1949 hatte auch in Leipzig ein HO-Geschäft eröffnet, das entgegen der propagierten gleichmäßigen Verteilung der Güter sonst rationierte Waren einer besserverdienenden Kundschaft zu stark überhöhten Preisen anbot. Aus Protest hatte Malkowski die Schaufensterscheibe zerstört und war später festgenommen worden.

Nach fünf Wochen freigelassen, konnte er sein Studium weder in Leipzig noch in West-Berlin fortsetzen und flüchtete nach Westdeutschland, wo er im Ruhrgebiet als Bergmann arbeitete und gewerkschaftlich tätig wurde. Malkowski blieb, wie zuvor in der DDR, SPD-Mitglied, machte jedoch auf die Flüchtlingsbetreuungsstelle der Partei den Eindruck eines „politischen Abenteurers“.

Nach der Überlieferung der KgU (Kampfgruppe gegen Ungerechtigkeit) registrierte im Januar 1951 ihr Mitarbeiter Hanfried Hieke Günter Malkowski, von dem es hieß, er habe zuvor für „Ausländer“ gearbeitet, als V-Mann unter dem Decknamen „Junker“. Hieke, seit August 1950 „Sachgebietsleiter Sachsen“ der KgU, kooperierte unter dem Decknamen „Fred Walter“ mit Regimegegnern, die konspirativ Informationen beschafften.

Schon im Frühjahr 1951 hatte die KgU entdeckt, dass Hieke verbotenerweise auch für den amerikanischen Militärnachrichtendienst MID arbeitete, und sich im Mai 1951 von ihm getrennt. Hieke hatte zuvor begonnen, „ungefähr zwei Dutzend V-Leute samt der an sie angeschlossenen Gruppen ohne deren Wissen aus der KgU“ herauszulösen, um nur noch für den MID tätig zu sein. Seine Kündigung reichte er im Juli nach. Malkowski, den Hieke unter Vertrag genommen hatte, sammelte weiterhin in Sachsen unter dem Decknamen Junker Nachrichten und übermittelte Aufträge. Bei der KgU war er seit März 1951 „nicht mehr aufgetreten“.

Am 9. September 1951 verhaftete die sowjetische Geheimpolizei Malkowski im Ost-Berliner Bezirk Treptow. Ob diese und etwa 200 weitere Verhaftungen von KgU-Angehörigen in Sachsen überwiegend auf einen Verrat Hiekes zurückgingen, ist unklar. Die Verhaftungswelle, die mehr als vierzig Hinrichtungen zur Folge hatte, war eine der größten der sowjetischen Geheimpolizei und des Ministeriums für Staatssicherheit in der Frühzeit der DDR. Ein Überlebender berichtete nach seiner Freilassung im Jahre 1956, dass „Junker alias Malkowski … bis zuletzt geschwiegen hatte“ und trotz „unmenschlicher“ Haft im Unterschied zu Hieke und anderen niemand belastet oder verraten hatte.

In einer Verhandlung am 16. April 1952 vor dem Sowjetischen Militärtribunal (SMT) Nr. 48240 wurde Malkowski vorgeworfen, sich an einer Flugblattaktion der KgU während der Leipziger Frühjahrsmesse 1951 und der Schleusung des Kuriers der antisowjetischen, ukrainischen Organisation OUN durch die DDR beteiligt zu haben. Das Gericht in Weimar verurteilte ihn wegen „Spionage, antisowjetischer Tätigkeit und Propaganda und Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation“ zum Tode durch Erschießen.

Malkowski wurde im Mai 1952 von Berlin-Lichtenberg über Brest-Litowsk in die Sowjetunion transportiert. Nachdem der Oberste Sowjet am 26. Juni 1952 Malkowskis Gnadengesuch abgelehnt hatte, wurde das Todesurteil am 4. Juli 1952 im Moskauer Butyrka-Gefängnis vollstreckt. Malkowskis Leiche wurde verbrannt und die Asche anonym auf dem Moskauer Donskoi-Friedhof bestattet. Im Juli 1960 teilte die sowjetische Botschaft in Bonn der Mutter Malkowskis mit, ihr Sohn sei „1952 in sowjetischer Haft verstorben“.

Dasselbe Schicksal wie Malkowski erlitten die neun Berliner Studenten Günter Beggerow, Fritz Flatow, Kurt Helmar Neuhaus, Aegidius Niemz, Friedrich Prautsch, Peter Püschel, Werner Schneider, Wolf Utecht und Karl-Heinz Wille. Alle wurden vom SMT Nr. 48240 zum Tode verurteilt und zur Hinrichtung in die Sowjetunion deportiert.

Vergleichbares ereignete sich allerdings auch in anderen Regionen der DDR, etwa der Fall des Arno Esch in Mecklenburg-Vorpommern. 1946 begann er ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Rostock. Esch wurde Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei (LDP). Als Jugendreferent der LDP wandte er sich gegen den Leitanspruch der Freien Deutschen Jugend (FDJ). 1948 wurde er in den LDP-Hauptausschuss, auf dem Eisenacher Parteitag 1949 in den LDP-Zentralvorstand gewählt. Er war Mitautor des Eisenacher Programms der LDP.

Esch war Pazifist und setzte sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein. In Leitartikeln der Norddeutschen Zeitung plädierte er für einen sozial orientierten Liberalismus, für Gewaltenteilung, Bürgerrechte und die Abschaffung der Todesstrafe. Für Kontroversen sorgte sein Ausspruch: „Ein liberaler Chinese steht mir näher als ein deutscher Kommunist.“

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