Es geschah in jener Nacht

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Es geschah in jener Nacht
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Walter Brendel

Es geschah in jener Nacht

Es geschah in jener Nacht

Walter Brendel

Der Mordfall Christin Rexin

Impressum

Texte: © Copyright by Waltrr Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2021

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Warum?

Christin

Unheilvolle Begegnung

Der Plan

Die Mordversuche

Messerattacke

Gift-Cocktail

Der dritte Mordversuch

Der Mord

Die Ermittlungen

Die Anklage

Die Mörderbande

Der Prozess

Das Urteil

Schlussakkord

Notwendige Nachbemerkungen

Ein Tatsachenbericht, gestaltet nach Schwurgerichtsakten, Polizeiberichten, Pressemeldungen und Aussagen von Zeitzeugen.

Nichts, das man tötet, ist jemals tot.

Peter Rudl

In Memoriam Christin Rexin

Geboren am 30. August 1990, ermordet am 21.Juni 2012

Warum?

Berlin-Lübars gilt als letztes Dorf der bundesdeutschen Hauptstadt. Eine grüne Idylle abseits des Großstadttrubels. Lübars kommt aus dem Slawischen und bedeutet „Liebe“.

Und eine Liebe endet hier tödlich. Das Dorf ist ein Ortsteil des Berliner Bezirks Reinickendorf. In ihm fin-det man neben viel Natur noch eine klassische Dorfstruktur, im Mittelpunkt eine barocke Dorfkirche vom Ende des 18. Jahrhunderts. Auf fünf von sechs Bauernhöfen des Ortes stehen Pferde auf der Koppel.

„Weite Felder, üppige Wiesen und Koppeln, auf de-nen die Mähnen der Pferde unbändig im Winde wehen. Willkommen in Lübars.“ So wirbt der Bezirk Reinickendorf für „das letzte weitgehend erhaltene Dorf Berlins“. Natur pur stecke in jedem Atemzug.

Lübars liegt am Tegeler Fließ, das eine eiszeitliche Abflussrinne darstellt und in den Tegeler See mündet. Bekannt geworden ist Lübars durch den am Dorfrand liegenden Freizeitpark, der auf einer alten Müllhalde, die es hier bis 1975 gab, im Verlauf mehrerer Jahre angelegt wurde. Eine Jugendfarm lädt vor allem die Stadtkinder zum Kennenlernen der Großtierhaltung ein. Es leben hier ungefähr 5000 Menschen. Jeder kennt jeden in dieser friedlichen Dorffamilie.

Doch im Juni 2012 wird diese Harmonie jäh gestört, denn eine junge Pferdewirtin wird ermordet, was für ungläubiges Entsetzen sorgt.

In Lübars geht es normalerweise recht beschaulich zu

Was ist geschehen? Weshalb muss die junge Pferdewirtin Christin Rexin im blühenden Alter von einundzwanzig Jahren sterben? Ist dieser Mord schon grausam genug, so sind die Motive und Hintergründe noch perfider.

Der Mord ist in Lübars noch immer Gesprächsthema. Die meisten der 5000 Seelen kennen Christin. Sie wurde in der Kirche des Dorfes getauft und konfirmiert. Sie ist hier zur Grundschule gegangen.

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst“, so lautete der Taufspruch, den der Pfarrer der kleinen Christin einst mit ins Leben gab. Beschützen konnte er sie nicht.

Nun steht auf ihrem Grabstein: „Du bist unser Stern, der ewig leuchtet.“

Die Dorfkirche

Sechs Gehöfte gibt es im Dorf, fünf davon sind Pfer-depensionen. Ein Pferde-Idyll. Kein Wunder, dass das blonde Mädchen in die Tiere vernarrt ist. Für Christin ist das keine Schwärmerei, sondern harte Arbeit. Der Beruf der Pferdewirtin ist ein Knochenjob. Ihre Liebe zu Pferden bringt Christin den Tod.

Der Mord an dem blonden Pferdemädchen lässt das Dorf seither nicht los, Lübars wird nie mehr sein, wie es war. Und längst ist klar: Im vermeintlich gut-bürgerlichen Milieu der Pferdeliebhaber geht es auch nur um eines – Habgier.

Pferde – dafür interessierte sich Christin schon als Mädchen, erzählen die Leute in Lübars. Reiten hat sie früh gelernt. Das liegt nahe in diesem Dorf am Rand Berlins. Im alten Dorfkern mit Kirche und Feuerwache sind Pferdehöfe und Reitställe reihenweise nebeneinander an der Kopfsteinpflasterstraße zu finden. Die Reithose ist hier so verbreitet wie die Jeans.

Christin

In der Mitte von Lübars, gleich neben der Kirche, liegt einer der vielen Pferdehöfe des Ortes. Freie Pferdeboxen werden angeboten. Pferde stecken ihre Köpfe aus den Boxen. Dahinter liegen die Koppel und endlos wirkende Wiesen. Eine Pferdewirtin berichtet über Christin: „Christin saß hier oft mit Miss Ellie, ihrem Jack-Russel-Terrier, den sie einst zum Geburtstag bekommen hatte, auf der Bank. Bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr war sie auf dem Hof. Jeder hier kannte Christin. Ein freundliches Mädchen, immer hilfsbereit“, sagt die Frau und: „Was geschehen ist, ist unfassbar.“

Für sie, für ihre Tochter, für die Menschen in Lübars. Und vor allem für Christins Familie.

Doch der Reihe nach.

Christin wird am 30. August 1990 geboren. Sich als Mädchen gegen zwei ältere Brüder zu behaupten, ist manchmal nicht einfach. Doch das ist kein Thema für Christin. Schon frühzeitig hat sie die Männer der Familie im Griff. Das betrifft nicht nur die Brüder Denis, der 1984 geboren wird, und Patrick, geboren 1986, sondern auch den Papa beziehungsweise „Daddy Jankie“, wie Christin ihren Vater liebevoll nennt. Da muss Mutter Anke sich schon manchmal mit einem Machtwort durchsetzen.

Christin wächst in einer wohlbehüteten Umgebung im Haus der Familie auf. Die Eltern ermöglichen den Kindern alles, was in ihrer Macht steht, und dass das Nesthäkchen dabei besonders profitiert, muss nicht extra erwähnt werden.

Ordnung halten ist allerdings nicht ihre besondere Stärke, doch wozu hat man schließlich große Brüder.

Gemeinsames Essen 1994

Natürlich ist Christin nicht anders als andere Mädchen in ihrem Alter auch. Sie kann schon mal trotzig werden, wenn nicht alles nach ihren Wünschen abläuft. Doch das Bocken hält nie lange an, und sie sucht rasch wieder die Nähe der Familie und der Freunde. Obwohl sie stets ihre eigene Meinung vertritt, ist sie gegenüber jedermann offen.

Tiere sind für Christin wichtige Bezugspersonen

Vor allem ist sie nie nachtragend und glaubt, wie von der häuslichen Umgebung her gewöhnt, dass jeder Mensch Vertrauen verdient. Diesen Glauben muss sie aber letztlich mit ihren Leben bezahlen.

Frühzeitig entwickelt sich bei Christin die Liebe zu Tieren und bereits mit sieben Jahren steht ihr Berufs-wunsch fest: Etwas mit Tieren machen.

Das ist auch die Zeit, wo Christin sich den Pferdehof als zweite Heimat aussucht.

Erst auf Papas Rücken ...

... und 1994 hoch zu Ross

Die Brüder verwöhnen die kleine Christin bei jeder Gelegenheit genauso hemmungslos wie ihr Vater es tut.

Sie wächst heran, und aufgrund der liebevollen At-mosphäre ihrer Kindheit steht sie mit beiden Beinen fest im Leben, ist freundlich und hilfsbereit und wird von allen, die ihr begegnen, geliebt.

Anke Rexin betrachtet immer amüsiert, wie der grimmige Ausdruck auf dem Gesicht des Familienoberhaupts unverzüglich verschwindet und einem wohlwollenden, zärtlichen Lächeln Platz macht, wenn er seine kleine Tochter ansieht.

Christin hat es bereits als Baby verstanden, ihn um den Finger zu wickeln, und er ist nicht fähig, ihrem Charme zu widerstehen.

So hart und unerbittlich er sein kann, so sanft und nachgiebig ist er gegenüber seiner Tochter. Christin sieht ihren Vater reumütig an, wenn sie was ausgefressen hat, und schon verzeiht er ihr.

Papa ist der Beste

Sie vergöttert ihn und der Gedanke, ihn zu erzürnen oder zu enttäuschen, ist ihr unerträglich. Obwohl sie gelegentlich ein ziemlicher Dickkopf ist, strebt sie immer danach, ihm zu gefallen und seine Erwartungen zu erfüllen.

Christin liebt diese Welt in Lübars, liebt die Pferde. Als Schülerin verbringt sie viele freie Stunden auf einem der Gehöfte, um die Tiere zu pflegen, mit ihnen auszureiten, den Stall auszumisten. Die anstrengende Arbeit, die damit verbunden ist, scheut sie nicht. Im Gegenteil, denn nach dem Realschulabschluss hat sie ihre Liebe zu den Pferden zum Beruf gemacht, lernt Traktor fahren und interessiert sich zunehmend auch für den Reitsport.

Christin und ihre Freundinnen zur Konfirmation

Konfirmation 2005

Beim Abschlussball der 10. Klasse

Doch nur das Pferd als Fortbewegungsmittel ist auch nicht im Sinne Christins und schon bald gibt es den eigenen fahrbaren Untersatz.

Ob dann später Papas Auto oder die der Brüder – mit „bitte, bitte“ leiht sie sich gern die Fahrzeuge der anderen, vor allem, wenn in ihrem Auto die Tankfüllung mal wieder gegen Null tendiert.

 

Mit viel Humor und Überzeugung beichtet sie danach alles, sodass die Sache dann schnell wieder in Ordnung ist.

Ihre zuweilen chaotische und spontane Art ist aber so sonnig angelegt, dass ihr niemand lange böse sein kann. Und es gibt ja auch immer noch den Papa für den Fall der Fälle.

Das erste Auto, ein aufgemotzter Fiat Panda. April 2009

Auch andere Fahrzeuge sind Christin nicht fremd

Christin und Ralf Rexin

Christin und ihre Oma im Oktober 2011

Die beiden Rexin-Frauen 2010

Christin in ihrem Element

„Sie war ein ausgesprochen zartes Wesen“, sagt Pferdewirtin Marion Köhler. Sie habe das Mädchen, als es noch im Dorf wohnte, öfter nach dem Reiten mit dem Auto nach Hause gefahren. Es sei unfassbar, dass ein solches Mädchen so schrecklichen Menschen einfach ausgeliefert war.

Am besten lässt sich Christin durch einen Nachruf ihrer Freundin beschreiben:

„Sie war ein Familienmensch durch und durch, die Familie ging ihr über alles. Sie wollte immer, dass ihre Familie stolz auf sie sein kann.

Christin war die beste Freundin, die man sich wünschen konnte. Sie war immer da, wenn ich sie gebraucht habe, egal, wie spät es war, ein Anruf und sie war da. Sie hatte die einzigartige Gabe, mich immer wieder aufzuheitern, egal, wie schlimm mein Problem war. Sie gab mir immer das Gefühl, dass alles gut werden würde, und sie sagte stets, wir schaffen das zusammen. Sie war fröhlich, hilfsbereit und lebenslustig.

Ich habe sie selten traurig erlebt, denn sie sah in jedem Rückschlag nur das Positive und ging jedes noch so große Problem an, weil sie sich sicher war, dass auf Regen immer Sonnenschein folgen würde. Christin war eine Freundin, mit der man Pferde stehlen konnte, und die für jeden Spaß zu haben war. Sie war vielmehr wie eine Schwester als eine Freundin für mich, sie war meine Familie. Ich habe selten jemanden kennengelernt, der etwas Schlechtes über sie sagte, und Leute, die es doch taten, nahmen sich meiner Meinung nach einfach nicht die Zeit, sie richtig kennenzulernen.

Sie gab nicht viel auf das, was andere von ihr dachten oder über sie sagten. Sie sagte immer, ich weiß, wer ich bin, dafür brauche ich keine anderen. Sie sah in jedem Menschen stets nur das Positive und war sich sicher, dass jeder Mensch eine Chance verdiente. Sie machte sich immer ein eigenes Bild von jedem Menschen und gab nichts darauf, was andere von ihm hielten. Wenn sie einen Raum betrat, dann füllte sie ihn mit Leben und mit Freude. Wenn ich an Christin denke, dann denke ich an einen Menschen, der es nicht verdient hat, so früh aus dem Leben gerissen zu werden, sie hatte doch noch so viele Dinge vor und wollte noch so viel erreichen.

Den Platz in meinem Herzen wird ihr niemand mehr nehmen und die Leere, die sie in meinem Leben hinterlassen hat, wird auch niemand mehr füllen können.

So einen Menschen wie sie gibt es nur einmal im Leben, und ich bin froh, dass ich zehn wundervolle und lustige Jahre mit ihr verbringen durfte, auch wenn es viel zu kurz war. Die Erinnerung an sie wird ewig weiterleben, dafür werde ich sorgen. Gott hat nun einen der besten Engel, den er haben kann, ihre Familie und ihre Freunde haben einen Schutzengel mehr, auf den sie sich in jeder Lebenslage verlassen können.“

Diese Zeilen schrieb Michelle Hübner, Christins Schulfreundin seit der 6. Klasse. Beide verband auch die Liebe zu Pferden. Und Michelle war es auch, die den letzten Tag mit Christin verbrachte. Dazu später mehr.

Heiter und unbeschwert, die beiden Freundinnen

Michelle und Christin, drei Tage später war Christin tot

Der Umgang mit Pferden ist Christin so lieb und wichtig, dass sie das Gymnasium mit dem mittleren Schulabschluss verlässt. Kein Bruch – eine Entwicklung. Wie der ganze Lebensweg von Christin R. den Eindruck einer bruchlosen Entwicklung in Lübars macht.

Christin

Christin im Oktober 2009

Ihre Eltern, die zu erschüttert von dem Verbrechen sind, um mit Fremden zu sprechen, ihre Brüder, ihre Freundinnen und Freunde – alles war, wie es ist, wenn Familien intakt sind, Freundschaften sich seit Grundschulzeiten entwickeln, und die große Stadt weit genug weg ist, damit Jugendliche nicht auf dumme Ideen kommen. Christin R. – eine junge Frau, hübsch, 1,72 groß, aufgewachsen dort, wo man viel draußen ist und Tiere mag. Weil sie zwei Brüder hatte, sei sie nicht gerade verzärtelt gewesen, sondern robust, hört man, lustig, auch feierfreudig. „Fröhlich und ausgelassen“, sagt jemand, der sie gut kannte.

Es wird noch besser für die junge Frau, die auf dem Pferdehof in Brandenburg ihr Hobby zum Beruf macht, als Robin H. dort erscheint – ein großer junger Mann, 23 Jahre alt, ein freundliches offenes Gesicht, blaue Augen. Und natürlich Reiter. Dressur- und Springreiter, Turnier erfahren. Und wie Christin R. einer, der das Reiten zum Beruf gemacht hat.

Christin R. verliebt sich in Robin.

„Total verknallt“ sei sie gewesen, sagt jemand, der sie damals erlebte. Richtig glücklich habe sie gewirkt: Sie arbeitete mit dem Mann zusammen, den sie liebte. Und sie machte Pläne mit ihm.

Dass Christin ihre Familie auch mal ganz schnell vor vollendete Tatsachen stellt, ist zwar zumeist nicht be-sonders schlimm und wird auch fast immer gebilligt, aber in einem Fall wird es zum tragischen Verhängnis.

Und das ist der Tag, an dem sie den Pferdewirt und Springreiter Robin H. der Familie als ihren Freund vorstellt.

Der eher farblos wirkende Robin H. hat eine ganz besondere Wirkung auf Frauen. Christin R. soll hoff-nungslos in ihn verliebt gewesen sein. Er ist Springreiter – und der Schwarm vieler junger, blonder Mädchen. Er kann sogar schon erste Erfolge auf dem Parcours vorweisen. Keine großen, aber immerhin.

Unheilvolle Begegnung

Christin mag den 23-Jährigen, der sich gewandt ausdrücken kann, viel über Pferde weiß und durchaus charmant auftritt. Er macht der hübschen Berlinerin Avancen. Wenig später sind sie ein Paar. Christins Eltern und die beiden älteren Brüder sehen der romantischen Schwärmerei etwas verwundert zu. Aber die Tochter beziehungsweise kleine Schwester ist derart verliebt und glücklich, dass Robin schnell bei ihnen ein und aus geht.

„Unser Kind strahlte einfach, wenn es mit ihm zusammen war und Pläne schmiedete“, erinnern sich die Eltern.

Der Mörder und das Opfer. Bild von 2011

In der Manier eines Hochstaplers hat sich Robin gern und regelmäßig als wohlhabend und erfolgreich beschrieben – eine einzige Lügengeschichte. In seiner Ausbildung kommt er ständig mit Menschen zusammen, die über die finanziellen Mittel verfügen, die für einen erfolgreichen Pferdezüchter und Turnierreiter unerlässlich sind. Der Wunsch nach Reichtum und Erfolg wird zur Besessenheit.

Um den Reiterhof von Robin R. westlich von Berlin vor der Pleite zu retten, beschließen Mutter und Sohn im Frühjahr 2012, Christin R. zu töten. So wollen sie an das Geld aus acht Lebensversicherungen im Wert von 2,4 Millionen Euro gelangen, die auf Christins Namen abgeschlossen sind.

Bei der Fleischfachverkäuferin Tanja L., der späteren Mittäterin, ist es die gleiche Masche, die Robin anwendete. Sie hat Robin während eines Reitturniers kennengelernt. Wenige Tage später habe er ihr „per SMS seine Liebe gestanden“.

Richtig ist jedoch, dass Robin H. bereits zu diesem Zeitpunkt in Tanja L. ein willfähriges Werkzeug sieht. Hat er ihr doch sehr schnell auch erzählt, dass er ein Auftragskiller sei.

Auf die Frage, warum sie nicht sofort Abstand gesucht habe, sagt Tanja L.: „Er war mein Traummann.“ Aber sie sei auch schockiert gewesen, habe es nicht glauben können und einfach verdrängt.

Später, als schon von der Ermordung Christin R.’s die Rede gewesen sei, habe sich das Verhältnis gewandelt. „Ich hatte große Angst vor ihm“, so Tanja L. „Er hat gedroht, auch mich zu töten. Das würde ihm nichts ausmachen.“

„Es ist erschreckend, welche Kaltblütigkeit der Freund mit seinen dreiundzwanzig Jahren an den Tag gelegt hat“, sagt die Leiterin der Mordkommission, Jutta Porzucek. „Selbst erfahrene Ermittler seien von der grausamen Tat geschockt gewesen.“

Robin H. kann offenbar sein Umfeld immer wieder nach seinen Vorstellungen beeinflussen. Auch im Prozess wird das durch zahlreiche Zeugenaussagen deutlich.

„Ein lieber, netter Kerl“, sagen selbst Christins Eltern. Auch Bekannte aus der Reitsportszene bestätigen das. Selbst eine Ex-Freundin und deren Eltern unterstützen ihn noch großzügig und verlieren kein schlechtes Wort über ihn.

Eine Bankangestellte: „Das war wie im Film. So stellt man sich einen Pferdewirt vor.“

Die Polizei: „Er war so höflich, das Verhör lief in einer angenehmen Atmosphäre ab.“

Gut zwei Jahre lang sind Christin und Robin, beide Pferdewirte, ein Paar. Sie lebt und arbeitet zeitweise bei ihm.

Wir werden uns später mit diesem Mörder beschäftigen.

Eine Abfolge an Taten, die zeigt, wie tief die Habgier bei dem Ex-Freund und seiner Mutter sitzt – und wie rasch sie sich auf andere Menschen überträgt. Wie ist so etwas möglich?

„Bei Menschen, die Derartiges vorhaben, gibt es kaum ein Unrechtsbewusstsein“, erklärte die Psychiaterin Dr. Sigrun Roßmanith bei Maischberger. „Die Täter schalten ihre moralische Instanz aus. Das Destruktive kann die Kehrseite der Kreativität sein.“

Der italienische Professor Cesare Lombroso entwi-ckelte mit seinem 1876 erstmals veröffentlichten Werk „Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung“ eine neue Theorie in der Kriminologie, den Übergang vom Tat- zum Täterstrafrecht. Dabei stellte er fest, dass es den geborenen Verbrecher gibt. Der Kriminelle wird hier als besonderer Typus der Menschheit beschrieben, der zwischen dem Geisteskranken und des Primitiven in der Mitte steht. Die direkte Verwandtschaft zu den aggressiveren, nicht kulturell domestizierten Vorfahren des heutigen Menschen trete bei manchen Personen in ihren körperlichen Merkmalen offen zutage, so Lombrosos These. Eine bestimmte Schädelform oder zusammengewachsene Augenbrauen sind damit der Verweis auf eine atavistische – damit niedrigere und gewalttätigere – Entwicklungsstufe. Diese Personen unterschieden sich durch körperliche und psychische Merkmale wie zum Beispiel Henkelohren, blasse Haut, Tätowierungen oder Arbeitsscheu von ihren gesetzestreuen Zeitgenossen und seien somit als Übeltäter identifizierbar, noch bevor sie gegen ein Gesetz verstoßen hätten.

Lombroso

Damit deuten äußere Merkmale auf die tief verwurzelten Anlagen zum Verbrecher hin, die auch durch die Aneignung sozialer Verhaltensweisen nicht überdeckt werden können.

Wenn diese These so einfach wäre, wäre keiner der Mörderbande jemals in den Verdacht gekommen, Christin getötet zu haben.

Mutter und Sohn H. stammen aus Schleswig-Holstein. Wie es so schön heißt, aus geordneten Verhältnissen. Eine normale Familie im bürgerlichen Milieu. Ohne Geldnot. Die Mutter ist Anlageberaterin, der Sohn gelernter Pferdewirt. Der Vater, ein Berufssoldat, stirbt 2005 beim Joggen an einem Herzinfarkt. Auch Robin will Berufssoldat werden. Er verpflichtet sich für zwölf Jahre bei einer Spezialeinheit. Ein vermeintlich schwerer Autounfall kommt dazwischen.

Bereits als Jugendlicher hat Robin die Heimat in Schleswig-Holstein verlassen. Er will eine große Karriere als Turnierreiter beginnen und zieht nach Westfalen. Robin erreicht einige kleinere Erfolge, der große Wurf jedoch bleibt ihm versagt. Sein unbedingtes Ziel ist aber, die höchsten Stufen zu erklimmen.

Und Robin selbst gibt sich zielstrebig und verlässlich. Seine Ideen, einen Pferdehof aufzubauen, zu züchten, Turniere zu reiten und die besten Tiere seines Hofes später gewinnbringend zu verkaufen, klingen zwar ein wenig großspurig, aber die Voraussetzungen scheinen zu stimmen. Das gutbürgerliche Milieu der Pferdeliebhaber verfügt über Geld, viel Geld. Nach vorsichtigen Schätzungen werden in der Branche jedes Jahr weit mehr als fünf Milliarden Euro umgesetzt, allein in Deutschland, und der Markt gilt noch lange nicht als ausgeschöpft.

Ein eigenes Gestüt, das wäre es!, schwärmt Robin. Und seine Mutter, Cornelia H., will den Traum des Sohnes großzügig unterstützen. Das hat sie versprochen.

Zusammen mit seiner Mutter, Cornelia Bettina Susann H. erfüllt er sich den Traum vom eigenen Pferdehof. Während Robin die Arbeitsabläufe leiten will, soll seine Mutter die kaufmännischen Belange erledigen. Beide sehen sich nach geeigneten Objekten um. Obwohl die Finanzierung eines solchen Kaufes nicht gesichert und aus eigenen Mitteln keinesfalls möglich ist, lässt sich Robin verschiedene Angebote in Nordrhein-Westfalen unterbreiten und gibt auch mindestens eine Kaufzusage ab. Später suchen beide in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg nach günstigeren Angeboten.

 

Der Ostersamstag 2011: Robin und Cornelia H. kommen zum Osterfeuer in Christins Elternhaus und haben sich als möglicher neuer Chef und neue Chefin vorgestellt.

Am 17. Juni 2011 schließen Cornelia und Robin H. ohne Finanzierungszusage einer Bank oder ausrei-chende eigene Mittel einen notariellen Kaufvertrag über den „Goldnebelhof“ in Oranienburg zu einem Kaufpreis von sechshunderttausend Euro ab. Robin beginnt den Betrieb wie ein Eigentümer zu führen, stellt Pferde auf dem Hof ein und nimmt, ohne die Alt- und Noch-Eigentümer, Jäkel und Schannowske, nach deren Einverständnis zu fragen, umfangreiche, aber wenig sachgerechte bauliche Veränderungen auf dem Gelände vor.

Bereits ab dem 1. April 2011 wohnen Mutter und Sohn auf dem Hof und stellen noch im Laufe des Monats April bei der Berliner Volksbank einen Finanzierungsantrag zum Erwerb des „Goldnebelhofs“ zum obengenannten Preis.

Im Kaufvertrag vom 17. Juni 2011 wird eine Kauf-preisfälligkeit zum 30. Juni 2011 vereinbart, was illusorisch ist, da die allein angefragte Berliner Volksbank den Kreditantrag noch nicht bearbeitet hat. Nachdem die späteren Angeklagten trotz Erinnerung der Verkäufer keinerlei Zahlung geleistet haben, treten diese am 22. August 2011 vom Kaufvertrag zurück und erklären die fristlose Kündigung des geschlossenen Pachtvertrages. Letztlich verliert Cornelia H. durch den fehlgeschlagenen Kauf des „Goldnebelhofs“ etwa sechsundsechzigtausend Euro.

Aber es gibt merkwürdige Vorfälle. Der Kredit platzt, der alte Eigentümer geht auf Distanz, und der Kaufvertrag für den Hof muss rückabgewickelt werden. Robin muss im September 2011 ausziehen.

Mutter und Sohn suchen nach einer neuen Variante, pachten nun ein großzügiges Anwesen in Friesack im Havelland.

Zwischenzeitlich, am 10. August 2011, besteht Christin erfolgreich ihre Abschlussprüfung als Pferdewirtin und kauft sich ihr neues Auto vom Typ Toyota RAV 4.

Doch der Gedanke und Wunsch für den eigenen Pferdehof von Robin und Cornelia H. bleibt.

Am 1. Oktober 2011 pachtet Cornelia H. ein Anwesen in Wutzetz am Dorfring 1. Die Renovierung und der Hausputz werden durch die Familien Rexin und Daebel, die Schwester von Ralf Rexin, durchgeführt. Zweitausendfünfhundert Euro Pacht muss Cornelia H. monatlich zahlen. Eintausend Euro weniger als sie als Baufinanzberaterin verdient.

Wieder alles umsonst? Das darf nicht sein. Ein Plan muss her. Und Christin. Am 16. Oktober 2011 zieht Christin von Lübars nach Wutzetz.

Die angehende Schwiegermutter stellt die Freundin ihres Sohnes auf dem erworbenen Hof an und wird ihre Chefin, auch wenn sie Christin den vereinbarten Lohn und die nötigen Krankenkassenbeiträge oft schuldig bleibt.

Sie organisieren, Christin arbeitet. Oft ist sie allein auf dem Gehöft. Sie sorgt für Ordnung, schippt Leitungsgräben, betreut die Tiere. Zeitweise stehen bis zu acht Fohlen und acht erwachsene Holsteiner-Pferde in den Boxen. Christin arbeitet ohne zu murren, denn sie liebt und vertraut Robin. Es geht ja um ihre Zukunft.

Ein offenes Stromkabel, das im Stall unter Stroh versteckt liegt, löst einen Kurzschluss aus, als Christin dort sauber macht. Sie bleibt unverletzt.

Christin liebt Robin, den Springreiter. Dass er hem-mungslos lügt, ahnt sie nicht. „Er kann taktisch mani-pulativ mit anderen umgehen“, so ein Auszug aus der Urteilsbegründung. Auf dem gepachteten Reiterhof denkt Christin, sie und Robin werden sich dort eine gemeinsame Zukunft aufbauen.

Sie ahnt nicht, dass sie zur Zielscheibe, zum Mordopfer wird.

„Die saßen hier am Tisch“, sagt Dr. Karl Ziegler, Reitstall-Besitzer und Internist mit Praxis in Berlin, „Mutter und Sohn H. und Christin, die mir als Robins Verlobte vorgestellt wurde.“

Ziegler will das Gestüt nebenan verpachten, hat es bundesweit inseriert. Es besteht aus den Stallungen mit kleiner Wohnung für den Pferdeknecht, einer Scheune, zwei Reitplätzen, drei Hektar Weideland und einem Haus mit drei Wohnungen.

Der Pachtvertrag ab Mitte Oktober soll über fünf Jahre laufen. Im gleichen Monat ist Christin im Auftrag von Robin und Cornelia H. eine Woche in Leck, um Pferde anzuschauen und zu filmen. Vermutlich ist es auch in dieser Woche, wo durch Mutter und Sohn der Mordplan entwickelt wird.

Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklageschrift davon aus, dass Mutter und Sohn bereits im Oktober 2011 den Plan gefasst haben, das Leben von Christin hoch zu versichern, und die junge Frau dann zu töten.

Doch es gibt viel Ungereimtes in Robins Leben. Sogar verheiratet ist er noch. Anfang November findet deshalb ein Gespräch in Lübars mit Christins Familie über die Ehe mit Sabrina S. statt.

Mitte November ein weiteres Gespräch, wo es um Altlasten aus Nordrhein-Westfalen und um die eigentlichen Gründe für das Scheitern des Kaufes vom Goldnebelhof geht. Robin H. versteht es blendend, sich durch neue Lügen aus der Affäre zu ziehen.

Am 24. November 2011 erfährt Christin, dass sie schwanger ist. Am nächsten Tag verlässt sie für zehn Tage das Anwesen in Wutzetz. Als Grund wird ange-geben, dass der Hof von der Landwirtschaftskammer und dem Veterinäramt überprüft wird.

Des Weiteren solle ein Privatdetektiv zur Beobachtung des Hofes anwesend sein; vermutlich angeheuert von Tino und Matti (ehemalige Beschäftigte, d. A.) wegen des Arbeitsgerichtsprozesses gegen Cornelia H.

Später stellt sich allerdings heraus, dass dies gelogen war. Der wahre Grund ist die Anwesenheit von Frau S., der angeblichen Ehefrau von Robin auf dem Hof in Wutzetz.

Das Anwesen sollen Robin und Christin, die inzwi-schen ein Kind erwarten, einmal übernehmen und da-rauf ihre Zukunft aufbauen. Doch die Zukunft gibt es nicht.

Christin erleidet eine Fehlgeburt und muss sich am 7. Dezember 2011 einer „Ausschabung“ unterziehen.

Am 13.12.2011 kommt Christin mit zwei Doggen nach Lübars. Die Familie ist angehalten zu sagen, dass die Hunde ein Geschenk von Oma Margarete Rexin seien, falls Frau Cornelia Hinz nachfragt.

Zunächst beziehen Robin und Christin mit ihren bei-den Doggen die Wohnung im Erdgeschoss. Die Dachwohnung ist das Domizil von Cornelia H. Im Keller ist das Büro der Firma „Gestüt im Havelland/ Brandenburgs Sportpferde“ untergebracht.

Im Stall stehen zeitweise acht Fohlen und acht erwachsene Pferde, die beritten werden.

Mutter Cornelia, die mal eine Versicherungsagentur betrieb, ist wochentags als Baufinanzberaterin in einer Bank in Mecklenburg-Vorpommern tätig und Robin ist ständig als Springreiter unterwegs. Das bedeutet, dass das gesamte Gestüt allein auf Christins Schultern liegt, die dafür von früh bis spät auf dem Hof schuftet.

Am ersten Weihnachtsfeiertag findet dann die Weihnachtsfeier in Wutzetz mit der kompletten Familie von Christins Seite statt. Die Silvesternacht wird in Lübars gefeiert, mit der Anwesenheit von Christin und Robin.

Überschattet wird aber alles schon durch das desolate Arbeits- und Versicherungsverhältnis von Christin als Angestellte bei Cornelia H., sie wird nämlich nie sozialversichert und – wie auch andere Angestellte – nur teilweise bezahlt. Sie alle erhalten lediglich Abschlagszahlungen, die das vereinbarte Gehalt nicht annähernd erreichen. Seit September gab es deswegen schon mehrere Gespräche über das Arbeitsverhältnis und die ausstehenden Lohnzahlungen zwischen Christin und Robin.

Im Dezember 2011 trifft dann der Vollstreckungsbe-scheid der DAK über 2502,20 Euro Mitgliedsbeitrag vom 01.07.2011-31.10.2011 für die außenstehenden Beiträge aus Christins Arbeitsverhältnis in Lübars ein.

Cornelia H. dazu: „Das kläre ich mit dem Steuerberater, wenn ich in Leck bin. Da ist etwas schiefgelaufen.“

Anke Rexin machte der H. eindeutig klar, Christins Sozialbeiträge zu entrichten, damit Christin krankenversichert ist und die Kostenübernahme hinsichtlich der Fehlgeburt und Nachuntersuchungen erfolgt.

Und auch am Jahresende treten die Probleme hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses zwischen Cornelia H. und den Arbeitnehmern Tino und Matti auf. Diese bitten Christin, dass sie bei Robin und Cornelia H. nachfragen soll, wie es mit ihren Gehaltsabrechnungen und Lohnzahlungen aussieht.

Cornelia H. dazu: „Das liegt alles beim Steuerberater und wird erledigt.“ Christin bekommt daraufhin eine Abschlagszahlung bar auf die Hand.

Anfang 2012, bei einem Besuch von Christin und Robin in Lübars, kam das Gespräch zufällig auf den bevorstehenden Gerichtstermin, H. gegen Tino und Matti, beim Arbeitsgericht Neuruppin, zu sprechen. Robin fragt Anke Rexin noch, ob sie wisse, ob denn das Gericht in Neuruppin dafür auch zuständig sei. Anke Rexin spricht Robin dann persönlich auf Gehalt und Lohnabrechnungen für Christin an. Robin dazu: „Das macht alles Mama, die ist für Personal zuständig.“