Queen Victoria

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Queen Victoria
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Walter Brendel

Queen Victoria

Queen Victoria

Walter Brendel

Ein intimes Porträt der Monarchin

Impressum

Texte: © Copyright by Waltr Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2021

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Einleitung

Kindheit und Prinzessin

Die Königin

Das Frauenbild in England

Die Hochzeit

Sex mit Folgen

Alberts Einfluss

Alberts Tod

Die Lage im Land

Ein neuer Mann an ihrer Seite

Die späten Jahre

Quellen

Einleitung

Ihr Name steht für eine ganze Epoche der jüngeren Geschichte. Am 24. Mai jährt sich ihr Geburtstag zum 200. Mal. An ihr irritiert noch heute, dass das Bild, das die höfische Propaganda von ihr zeichnete, nicht die „echte“ Victoria widerspiegelt: eine lebenslustige, machtbewusste Frau.

Ihren Ruhm ersaß sich die Monarchin, die länger herrschte als alle vor ihr. Ihr Auftreten prägte ein Zeitalter. Victoria (1819 -1901), Königin des Vereinigten Königreichs, Kaiserin von Indien, Herrscherin über das größte Empire der Weltgeschichte – vor allem Fotos prägen das Bild von ihr: mal als streng dreinblickende Landesmutter, mal als biederbrave Ehefrau an der Seite von Prinzgemahl Albert, der Liebe ihres Lebens.

Doch dieses Image ist das, was man heute Fake bezie-hungsweise durchkalkulierte Propaganda nennen würde: Der Erfinder dieser steril-prüden Victoria war Prinzgemahl Albert. Er ist es, der die junge Frau an seiner Seite in das enge Korsett eines sittsamen Frauenideals schnürt, für das die viktorianische Epoche heute noch verrufen ist. Ihrem Albert gegenüber zeigt sie sich dagegen als leidenschaftliche und erotische Frau. Auch nach seinem frühen Tod sollte sie ihr Interesse an attraktiven Männern nicht verlieren.

Sie versüßt sich den Lebensabend mit einem Jagdgehilfen des verstorbenen Prinzgemahls: John Brown, sieben Jahre jünger als sie, ein schlichter, derber Schotte, der ihr Diener und ständiger Begleiter wird. Viele Untertanen gehen davon aus, dass er auch ihr Geliebter ist.

Es ist die Witwe Victoria, die sich mehr und mehr in die Politik ihres Weltreichs einmischt. Nicht ohne Eitelkeiten: Immer wieder drängt sie ihre Premiers, ihr doch eine Kaiserkrone zu beschaffen. Nicht auszudenken, wenn ihre Tochter Kaiserin von Deutschland ist und sie „nur“ Königin.

Eine Mutter ihrer Untertanen war sie nur bedingt: In ihrer Jugend bedauerte sie das Los der bitterarmen Unterschicht.

Für soziale Reformen hat sie sich freilich erst im Alter eingesetzt. 230 Kriege führte Großbritannien unter ihr in den Kolonien – ein königliches Bedauern über die vielen Toten ist nicht überliefert. Im Mai 2019 feiert die überzeugte Imperialistin und lebenslustige Queen ihren 200. Geburtstag.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist das britische Königshaus reichlich heruntergekommen. George III. hat seinen Lebensabend in geistiger Umnachtung verdämmert, seine beiden Nachfolger sind kaum königliche Figuren. Als der derbe Wilhelm IV. („Matrosen-Bill“) 1837 stirbt, hinterlässt er keine männlichen Nachkommen; die nächste in der Erbfolge ist seine Nichte Viktoria.

Sie wird Königin, und so endet auch die 123-jährige Personalunion zwischen England und dem Königreich Hannover: Dort sind Frauen von der Erbfolge ausgeschlossen, Viktorias Onkel Ernst August I. wird König.

Viktoria, 18 Jahre alt, war nicht als Thronerbin vorgesehen und ist nicht dafür ausgebildet. Sie vertraut auf den Rat des Premierministers William Lamb Viscount Melbourne und den ihres Onkels, des belgischen Königs Leopold I. Ihr wichtigster Berater wird bald ihr Cousin, Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, den sie 1840 aus Liebe heiratet.

Die nächsten 20 Jahre ist Viktoria damit beschäftigt, neun Kinder zur Welt zu bringen – dabei mag sie keine Babys und haßt es, schwanger zu sein. Später wird man sie „Großmutter Europas“ nennen, weil viele ihrer 40 Enkel und 88 Urenkel auf den Thronen des Kontinents Platz nehmen.

Die Amtsgeschäfte führt im Hintergrund Albert. Manche Untertanen sehen den Einfluss des „Deutschen“, wie sie ihn nennen, mit Argwohn. Vom Stadtleben und Buckingham Palace hält das Paar wenig, es zieht nach Windsor Castle in Berkshire, kauft Osborne House auf der Isle of Wight und Schloss Balmoral in Schottland.

Die Monarchin hält Auseinandersetzungen auf Schlachtfeldern für unzivilisiert. Den blutigen Krim-Krieg gegen Russland kann sie nicht verhindern, aber sie regt Reformen im Militär an. Die sozialpolitischen Ideen Alberts fördert sie halbherzig.

Über ihren Mann schreibt Viktoria: „Er war für mich alles, mein Vater, mein Beschützer, mein Führer, mein Ratgeber in allen Angelegenheiten, fast möchte ich sagen, er war mir Mutter und Mann zugleich.“ Im Dezember 1861 stirbt Albert an Typhus. Von nun an trägt die Queen schwarz. Sie zieht sich zurück und bekommt den Beinamen „Witwe von Windsor“.

Viktoria meidet London, lässt die Minister zu sich kommen. Die jährliche Rede zur Parlamentseröffnung hält sie nur siebenmal in ihren 40 Witwenjahren selbst. Ihren ältesten Sohn Edward lässt sie nicht an den Regierungsgeschäften teilhaben, denn sie gibt dem Thronfolger die Schuld am Tod ihres Mannes: Albert ist, obwohl schon krank, nach Cambridge gereist, um den Prinzen von Wales wegen einer Affäre mit einer Schauspielerin zur Rede zu stellen.

Öffentlich hingegen ist die Königin auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Wenn die wechselnden Premierminister, zunehmend gestützt auf ihre demokratische Legitimation und das Unterhaus, sich ihrem Willen nicht beugen, droht sie mit Abdankung. Als Ehrfurcht gebietende ernste Gestalt in schwarzen Kleidern verkörpert Viktoria die steifen Ideale ihrer Zeit, in der sich viele Briten angesichts der voranschreitenden Industrialisierung an die überkommene Ordnung klammern.

Alle Enkel Victorias sollten ihren oder ihres Mannes Namen als ersten Vornamen tragen. Sie verheiratete sie in Fürstenhöfe überall in Europa und hoffte, so den Frieden zu sichern. Noch heute regieren ihre Nachkommen: Elisabeth II. von England und ihr Mann sind beide Ururenkel Victorias, ebenso Sophia und Juan Carlos von Spanien. Auch Harald V. von Norwegen, Karl XVI. Gustav von Schweden und Margarethe II. von Dänemark sind ihre Nachkommen.

Auch unter den nicht mehr regierenden Königinnen und Königen Europas finden sich die Nachfahren Victorias, Konstantin II. von Griechenland und Michael I. von Rumänien zum Beispiel. Nachkommen der Queen sind auch die Oberhäupter der ehemaligen Herrscherhäuser von Serbien, Russland, Preußen (Deutschland), Sachsen-Coburg-Gotha, Hannover, Hessen, Baden und Frankreich.

Viktorias Lieblingspremier Benjamin Disraeli betreibt eine Expansionspolitik, die die Königin begeistert. Das Empire wird groß und mächtig wie nie – die Queen, die sich seit 1877 auch Kaiserin von Indien nennen darf, wird zu seinem Symbol. Zu ihrem Goldenen und Diamantenen Thronjubiläum 1887 und 1897 kommen zahlreiche europäische Fürsten; ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Adelshäusern des Kontinents nutzt Viktoria, um ihre Stellung zu festigen.

Das Weihnachtsfest 1900 verbringt Viktoria in Osborne House. Die 81-Jährige hat Rheuma, ist vom Grauen Star fast blind und fühlt sich schwach und schwindlig; sie stirbt am frühen Abend des 22. Januar 1901. Bei ihr sind unter anderem ihr ältester Sohn, der als Edward VII. ihr Nachfolger wird, und der deutsche Kaiser Wilhelm II., ihr Enkel.

Kaum eine Königin war für England so prägend, wie Queen Viktoria. Sie begründete ein Weltreich, in dem die Sonne niemals unterging. Nie davor und nie mehr danach war das Empire größer, als während ihrer Regierungszeit. Sie überlebte sieben Attentate.

Kindheit und Prinzessin

Die spätere Monarchin, die diesem Zeitalter ihren Namen gab, wurde am 24. Mai 1819 im Londoner Kensington-Palast geboren. Ihr Vater, der den recht pompösen Namen „Edward Augustus“ (1767 - 1820) hatte, trug als vierter, legitimer, Sohn des 1811 wegen einer Erkrankung von den Throngeschäften entbundenen Königs Georg III. (1738 - 1820) den Prinzen-Titel „Duke of Kent“. Bei der Geburt von Victoria wurde davon ausgegangen, dass ihr Vater oder sie wohl kaum den Thron besteigen würden. Edward Augustus hatte immerhin drei ältere Brüder und insbesondere der Drittgeborene, William, galt als überaus viril.

Victorias Vater, der Duke of Kent, war hochverschuldet und aufgrund seines cholerischen und häufig sadistischen Führungsstils seiner militärischen Ämter seit 1803 enthoben. Er verband mit einer Eheschließung die Hoffnung auf Erhöhung seiner Apanage. So kam am 11. Juli 1818 zu einer Hochzeit, in welcher der Duke of Kent mit der Fürstin von Leiningen die Ehe schloss.

 

Wenige Wochen nach der Hochzeit wurde Victoire, nunmehr Duchess of Kent, schwanger. Edward Augustus und seine Frau kehrten vor der Geburt aus der deutschen Kleinstadt Amorbach nach Großbritannien zurück.

Im Beisein mehrerer Würdenträger gebar Victoire am 24. Mai 1819 im Kensington Palace ein gesundes Mädchen. Für damalige Verhältnisse ungewöhnlich, wurde die Prinzessin mit Hilfe der deutschen Geburtshelferin Charlotte von Siebold zur Welt gebracht, unmittelbar nach der Geburt gegen Pocken geimpft und von ihrer Mutter selbst gestillt.

Die Geburt fand in der Öffentlichkeit kaum Beachtung.

Edward Augustus, Victorias Vater (Gemälde von William Beechey)

Am 24. Juni 1819 wurde die Prinzessin im Kuppelsaal des Kensington Palace durch den Erzbischof von Canterbury getauft und eigens zu dieser Zeremonie hatte man das königliche Taufbecken aus dem Tower of London herbeigebracht.

1820 wurde nach dem Tod von Georg III. der wegen seiner snobistischen Exzentrik als „Dandy King“ berüchtigte Prinzregent zum König (Georg IV.) gekrönt. Im selben Jahr verstarb der Vater der kleinen Victoria an den Folgen einer Lungenentzündung (23. Januar 1820), zu diesem Zeitpunkt war seine Tochter erst acht Monate alt, die ein Einzelkind blieb. Victorias Mutter Victoire (1786 - 1861), eine gebürtige Prinzessin von Sachsen-Coburg-Saalfeld und verwitwete Fürstin von Leiningen, wurde vom König kaum beachtet.

Mutter und Tochter lebten weiter im Kensington-Palast.

Einer der Hofbeamten, der Baronet John Conroy (1786 -1854), spekulierte darauf, dass Victoria doch einmal den Thron besteigen könnte und er dann zu einer einflussreichen Schlüsselposition gelangen würde. Er redete der Herzogin von Kent ein, dass das Leben von Victoria durch mögliche Mordanschläge gefährdet sein könnte. Victoria wuchs in Folge weitgehend ohne Sozialkontakte auf. Mutter und Conroy schirmten sie von der Außenwelt ab. Die häusliche Bildung der eher lernfaulen Prinzessin durch Erzieherin und Hauslehrer war von mittelmäßiger Qualität.

Die Duchess of Kent mit ihrer Tochter Victoria (Gemälde von Henry Bone)

Nach dem Tod ihres königlichen Onkels Georg IV., dessen einziges legitimes Kind 1817 gestorben war, bestieg Victorias 65-jähriger Onkel 1830 als Wilhelm (William) IV. den Thron. Dessen Bruder Friedrich August, Duke of York, war bereits 1827 ohne Nachkommen gestorben. Der für seine Ungehobeltheit bekannte „Sailor King“ Wilhem IV. (1765 – 1837) hatte mit seiner Ehefrau sechs Kinder gezeugt, die aber sämtlich früh gestorben waren. Seine zehn (!) illegitimen Söhne und Töchter kamen für eine Thronfolge nicht in Betracht. Victoria rückte auf Platz 1 der Thronfolge auf.

Als sie siebzehn Jahre alt war, wurden ihr von ihrem Onkel Leopold, König von Belgien, zwei Heiratskandidaten vorgestellt: Der niederländische Prinz Alexander von Oranien, den ihr Onkel William bevorzugte, und ihr Cousin Albert von Sachsen-Coburg. William IV. hatte nichts Persönliches gegen Albert, wollte allerdings keine weitere Beziehung zum Haus Sachsen-Coburg aufbauen, was nach seiner Fehde mit Victorias Mutter nicht verwunderlich scheint. Victoria entschied sich trotzdem für Albert. Sie soll sich sofort in ihn verliebt haben und war eine sture, willensstarke junge Frau, die sich gegen die Einwände ihres Onkels William durch-setzt. Hier dürft ihr nicht glauben, dass Victoria sich der Pläne im Hintergrund nicht bewusst war. Sie wusste sehr genau, welche Vorteile welcher junge Mann für sie hatte und weshalb die Prinzen ihr vorgestellt worden waren. Trotzdem wählte sie Albert, da sie den Prinzen von Oranien zu langweilig fand. Doch noch war es nicht soweit.

Ihre trotz der besonderen Isolations-Umstände ihrer kindlichen und jugendlichen Jahre ausgesprochen ausgeprägte Willensstärke bewies Victoria 1835. Conroy hatte mit Unterstützung von Herzogin Victoire versucht, die Kronprinzessin zu seiner Ernennung zum Privatsekretär im Fall des Thronwechsels zu bewegen. Victoria lehnte ab und ließ sich auch nicht durch Ultimaten ihre Mutter umstimmen. Der lebenslange Bruch des Mutter-Tochter-Verhältnisses war die Folge.

Doch wie war Victoria als Prinzessin, bevor sie im Alter von nur achtzehn Jahren Königin von England wurde? Victoria selbst hat ihre Kindheit immer als traurig beschrieben. Ihre Mutter Victoria, Herzogin von Kent, soll eine sehr vorsichtige Person gewesen sein, die ihre Tochter nur ungern aus den Augen ließ und ihr sehr strenge Regeln auferlegte. So durfte Victoria nicht einmal ein eigenes Schlafzimmer haben und musste im Zimmer ihrer Mutter schlafen.

Die Herzogin von Kent entschied, wen Victoria treffen durfte. Auch durfte sie nicht einmal allein eine Treppe hinuntergehen. Es musste immer jemand auf sie aufpassen. Auf die Herzogin von Kent soll übrigens die strenge viktorianische Moral zurückgehen: Victorias Mutter war schockiert davon, dass die unehelichen Söhne von Victorias Onkel William am Hof willkommen waren und soll Victoria lange Zeit von allem ferngehalten haben, was sie als unmoralisch und verwerflich angesehen hat. Hier muss angemerkt werden, dass William IV. mit seiner Angst vor der Herzogin von Kent nicht falsch gelegen hat: Zusammen mit dem staatlichen Kontrolleur Sir John Conroy, der von vielen heute als ihr Liebhaber interpretiert wird, soll die Herzogin Victoria mit Absicht isoliert und schwach gehalten haben.

Das war der Hintergrund folgender Überlegungen: Conroy und sie hatten gehofft, der König möge sterben, bevor Victoria volljährig wurde, damit die Herzogin als Regentin eingesetzt wurde. Gleichzeitig versuchten sie Victoria zu ihrer Marionette zu machen, um durch sie Großbritannien lenken zu können. Victoria aber hatte andere Pläne.

John Conroy (Gemälde von H.W. Pickersgill, 1837)

Sie verabscheute Conroy und verbannte ihn vom Hof, sobald sie Königin geworden war. Die Isolation von anderen Kindern oder Besuchern sorgte dafür, dass ihr einziger Freund ihr Hund Dash war. Ihre Liebe zu Hunden bewahrte Victoria sich ihr Leben lang. Victoria war berüchtigte Tagebuchschreiberin und notierte in ihrem Journal, dass sie es gar nicht mochte, von ihrer Mutter auf Partys und bei Besuchen in den ländlicheren Gegenden Englands vorgezeigt zu werden. Auch William IV. gefiel das nicht. Er glaubte, die Herzogin von Kent würde den Menschen von England Victoria als Williams Rivalin vorstellen, nicht als seine rechtmäßige Erbin. Die vielen Reisen machten Victoria bald krank, doch Conroy und ihre Mutter gaben ihr Ziel nicht auf, bis Victoria volljährig war.

Victoria mit ihrem Spaniel Dash (Gemälde von George Hayter, 1833)

William IV. schwor am Leben zu bleiben, bis Victoria achtzehn Jahre alt war, damit ihre Mutter, die Herzogin von Kent war, nicht Regentin werden könnte. Es gelang ihm: Bloß einem Monat nach Victorias achtzehntem Geburtstag verstarb er.

Am 20. Juni 1837, bloß einen knappen Monat nach ihrem achtzehnten Geburtstag, starb William und Victoria wurde über Nacht zur Königin von England. In ihrem Tagebuch vermerkte sie: „Ich wurde um 6 Uhr von Mama geweckt, die mir sagte, der Erzbischof von Canterbury und Lord Conyngham seien hier und wünschten mich zu sehen. Ich stieg aus dem Bett und ging in mein Wohnzimmer (nur in meinem Morgenmantel) und empfing sie allein. Lord Conyngham teilte mir dann mit, dass mein armer Onkel, der König, um zwölf Minuten nach zwei aus dem Leben geschieden war und folglich, dass ich Königin bin.“

Aus den Zeilen spricht ein gewisser Stolz, aber auch Er-leichterung darüber, endlich etwas ohne ihre Mutter unternehmen zu dürfen. Der Tod ihres Onkels, zu dem sie eine tiefe Bindung hatte, war ein trauriges Ereignis für Victoria, doch er machte die junge Frau endlich frei: Sie war Königin und konnte endlich tun, was sie wollte. Sie selbst entschied sich dafür als „Queen Victoria“ bekannt zu sein. Ihren Vornamen Alexandrina – gewählt nach dem russischen Zar I. – verwarf sie.

Hier bricht übrigens das Bündnis zwischen Hannover und England, das mit König George I. von England 1714 begonnen hatte. Im Königreich Hannover konnten Frauen den Titel nicht erben, weshalb Victoria anders als ihre Vorgänger bloß Königin von England werden konnte. König von Hannover wurde Victorias Onkel Ernst August, der jüngere Bruder ihres Vaters, der bis zur Geburt ihres ersten Kindes auch Victorias rechtmäßiger Thronerbe war.

Victoria erhält die Nachricht von ihrem Beitritt von Lord Conyngham (links) und dem Erzbischof von Canterbury. Kupferstich nach einem Gemälde von Henry Tanworth Wells, 1887

Als die mit 18 Jahren gerade kronfähig gewordene Victoria am 20. Juni 1837 nach dem Tod ihres Onkels zur Königin wurde, lag das Ansehen der Monarchie in Großbritannien am Boden. Die Könige des aus Norddeutschland stammenden, seit 1714 regierenden Hauses Hannover (Hanover) hatten durch Unfähigkeit, Verschwendungssucht und persönliche Eskapaden das Prestige des Königshauses erheblich beschädigt.

Unter den Vorgängern von Victoria hatte es zudem eine unumkehrbare Verschiebung des Machtzentrums vom Thron zum Parlament gegeben. Das Königreich befand sich auf dem Weg zur konstitutionellen Monarchie, in der die Monarchen vor allem die Aufgabe hatten, als Symbol für die ideelle Einheit des Königreichs zu wirken. Victoria ist dieser historischen Aufgabe während ihrer Thronzeit letztlich im Wesentlichen gerecht geworden, wenn sie auch lange Phasen von zur Unpopularität führender Abgerücktheit hatte und regelmäßig versuchte, aktiv die Außenpolitik ihres Landes zu beeinflussen.

Victoria hatte einen wachen Verstand, war aber intellektuell nicht in der Lage, jenseits einmal gefasster Einstellungen durch politisch-kühle Analyse zu das Hinterfragen eigener Vorurteile einschließenden Schlüssen zu kommen. Durch und durch konservativ in ihrem Denken, dabei im persönlichen Umfeld durchaus zur Sentimentalität und Mitleid fähig, verschloss sie ihre Augen von dringenden Problemen im Königreich. Weder die massiven sozialen Probleme der ländlichen und städtischen Unterschichten noch das dauerexplosive Irland-Problem haben jemals wirkliche Betroffen-heit und zentrales Engagement bei Victoria erweckt. Am Herzen lag ihr dagegen die Weltmachtstellung Großbritanniens und die Verhinderung von großen Kriegen in Europa.

Leopold I. (Gemälde von Franz Xaver Winterhalter)

Die erste Kronratssitzung der jungen Victoria. Gemälde von David Wilkie, 1838

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