Loe raamatut: «Erinnerungswürdig», lehekülg 3

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BARBARA KRAFFT
1764–1825
Sie schuf das Porträt Mozarts

Fast niemand kennt ihren Namen. Auch sind kaum dokumentarische Materialien wie Briefe, Tagebucheintragungen oder andere persönliche Zeugnisse von ihr erhalten. Nur Kunstexperten wissen um ihre wichtigsten biografischen Lebensstationen und kennen ihre bedeutendsten Bildnisse. Aber fast alle kennen das von ihr geschaffene Porträt Mozarts, das sogar Mozartkugeln ziert. Barbara Krafft hat 28 Jahre nach dem Tod Mozarts im Jahr 1819 nach den Angaben von Mozarts Schwester Nannerl das am häufigsten reproduzierte und inzwischen bekannteste Bildnis Mozarts gemalt. Sie gehört zu den bedeutendsten Porträtmalerinnen des Klassizismus und verstand es als Künstlerin, sich ein Netzwerk von Auftraggebern zu schaffen und Verkaufsausstellungen zu organisieren. Kurzum: Sie ist nicht nur eine bedeutende Malerin, sondern auch ein Marketingtalent des 18. und 19. Jahrhunderts.

Barbara Krafft wird am 1. April 1764 in Iglau an der böhmisch-mährischen Grenze als Tochter des k. u. k. Hofmalers Johann Nepomuk Steiner geboren. Er porträtiert Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Joseph II., bleibt aber trotzdem ein von Geldsorgen geplagter Künstler. Die Mutter Maria Anna verfügt deshalb in ihrem Testament, dass nur das Kind erbberechtigt sein soll, das einen „ordentlichen“ Beruf ergreift. Daher erhält Barbara nach deren Tod nur den Pflichtteil, Bruder Franz Xaver, der Chirurg ist, wird Universalerbe. Schon in ihren Kinderjahren erhält Barbara Malunterricht von ihrem Vater, mit dem sie nach Wien übersiedelt und dort 1786 ihr erstes Bild ausstellt. Sehr rasch macht sie sich als Porträtmalerin einen Namen.

1789 heiratet sie den Apotheker Josef Krafft. Im Jahr 1792 wird ihr Sohn Johann August geboren, den sie zum Maler ausbildet und der später in München als Lithograf tätig wird. Die Tochter Barbara wird 1801 in Prag geboren. In der Folge signiert sie ihre Bilder mit „Barbara Krafft nata Steiner pixit“ (Barbara Krafft, geb. Steiner hat es gemalt), um ihres Vaters Bekanntheit und ihre Herkunft als Qualitätsmerkmale anzuführen. 1794 zieht Barbara mit ihrem Mann und Sohn Johann August in die fürsterzbischöfliche Residenzstadt Salzburg, weil sie sich dort weniger künstlerischer Konkurrenz stellen muss. Die Stadt zählt damals 16 000 Einwohner und ist bereits vom Geist der Aufklärung geprägt. Sehr rasch erhält sie Aufträge für großformatige Repräsentationsporträts durch Salzburger Adelsfamilien, so etwa von Graf und Gräfin Kuenberg oder von Franz Xaver Altgraf von Salm-Reifferscheidt, aber auch von wohlhabenden Bürgerfamilien. Alle hier geschaffenen Porträts bemühen sich um eine Deutung des Charakters der dargestellten Person, was sich besonders in den Mund- und Augenpartien abzeichnet. Die Porträts der Salzburger Bürger*innen zeugen durch die genaue Darstellung von teuren Stoffen und prachtvollem Schmuck von der Wohlhabenheit der Dargestellten. Obwohl sie nur zwei Jahre in der Stadt verbringt, entstehen damals viele bedeutende Porträts, von denen das Salzburg Museum eine Reihe besitzt.

Von Salzburg übersiedelt sie in ihre Geburtsstadt Iglau und geht 1797 nach Prag. Die Gründe für ihren oftmaligen Ortswechsel sind unbekannt. Vermutlich hat die Adelsfamilie Kuenburg eine Vermittlerrolle gespielt. Zudem ist Prag weitaus größer als Salzburg und zeigt ein reges kulturelles Leben. In den sieben Prager Jahren entstehen wieder eine Reihe von Porträts und auch ihr einziges Altarbild für die Pfarrkirche von Bubeneč, einem Stadtteil von Prag.

Als Barbara Krafft 1804 nach Salzburg zurückkehrt, ist Salzburg mittlerweile durch die Napoleonischen Feldzüge zu einem Spielball der europäischen Politik geworden. Das geistliche Fürsterzbistum ist jetzt ein weltliches Kurfürstentum, das 1806 unter die Habsburgerherrschaft, 1809 unter französische, 1810 unter bayerische Verwaltung und schließlich ab 1816 endgültig ins k. u. k. Reich eingegliedert und zu einem Bezirk Oberösterreichs degradiert wird. Durch die Kriegsgeschehnisse leidet das Kulturleben enorm. Doch die ehemals als Auftraggeber für ihre Porträts aufgetretenen reichen Bürgerfamilien übernehmen nun wichtige Verwaltungsaufgaben, was sich für die Künstlerin wirtschaftlich positiv niederschlägt. Im Jahr 1819 entsteht das Mozartporträt im Auftrag Joseph Sonnleitners nach den Angaben von Mozarts Schwester Nannerl. Sonnleitner ist Librettist, Theaterdirektor, Archivar und Gründer der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Das Porträt des Musikgenies soll Mozart nach den Angaben Nannerls am treffendsten darstellen.

Nach 16 Jahren verlässt Barbara Krafft erneut Salzburg und zieht mit ihrem bereits künstlerisch tätigen Sohn Johann August und ihrer noch minderjährigen Tochter Barbara nach Bamberg. Auch diese Residenzstadt war ursprünglich ein geistliches Hochstift und vom Wittelsbacher Herzog Wilhelm übernommen worden. Obwohl Bamberg nur halb so viele Einwohner wie Salzburg zählt, von denen sich die meisten aus Militärangehörigen, Beamten und Handwerkern zusammensetzen, hat sich ein reges Kulturleben entwickelt. Es entsteht ein Theater, eine Stadtbibliothek und ein Museum. In den vier Jahren ihres Bamberger Aufenthaltes soll Barbara Krafft, wie in einem Nekrolog festgehalten wird, nicht weniger als 145 Porträts geschaffen haben. Tatsächlich haben Kunsthistoriker aus der Bamberger Zeit aber nur 42 ermitteln können.

Barbara Kraffts Bedeutung liegt in der genauen Beobachtungsgabe der von ihr Porträtierten und ihren geglückten Versuchen, deren Charakterzüge durch den Gesichtsausdruck zu vermitteln. In einer Zeit, da Frauen noch kein Zugang zu Kunstakademien gewährt wird, gelingt es ihr, zu einer der bedeutendsten klassizistischen Porträtmalerinnen zu werden. Mit ihrer großen Verkaufs- und Selbstvermarktungsgabe und ihren organisierten Verkaufsausstellungen schafft sie als Frau eine beachtliche künstlerische Karriere und wird von ihrem Mann, von dem sie sich während ihrer zweiten Salzburger Periode trennt, wirtschaftlich unabhängig. Das Salzburg Museum hat ihr um die Jahreswende 2019/2020 eine Ausstellung mit ihren bedeutendsten Porträts gewidmet.

EMILIE KRAUS VON WOLFSBERG
1785–1845
Einst Geliebte Napoleons, dann Hundsgräfin von Gnigl

Die attraktive, erst zwanzigjährige Emilie Victoria von Kraus wird nach dem Einmarsch Napoleons in Wien dessen Geliebte und begleitet ihn, als Adjutant Felix verkleidet, auf all seinen Kriegszügen. Nach Napoleons Heirat mit Erzherzogin Marie-Louise von Österreich erhält sie eine stattliche Apanage und lebt dann im Schlösschen Rauchenbichler Hof in Salzburg-Schallmoos ein fürstliches Leben mit 160 Haustieren. Sie endet allerdings völlig verarmt und stirbt 60-jährig im unbeheizten Fischerhäusl am Alterbach.

Emilie Victoria Kraus wird als Tochter des Bergwerk-Schichtmeisters Jože und seiner Frau Rosalia in Idria im Herzogtum Krain geboren. Als der Vater stirbt, übergibt die Mutter die außergewöhnlich hübsche Tochter zur weiteren Ausbildung in Wien dem k. u. k. Offizier Philipp von Mainoni, der später Hofrat im Kriegsministerium wird. Obwohl in sehr ärmlichen Verhältnissen sozialisiert, gelingt es Emilie durch ihre gute Erziehung und hofgerechtes Auftreten in der Wiener Aristokratie gesellschaftsfähig zu werden. Als Napoleon 1805 in Wien einmarschiert, schafft es Mainoni, Emilie zu einem Empfang ins Schloss Schönbrunn mitzunehmen, wo sich Napoleon leidenschaftlich in sie verliebt. Er lässt sie vom damals berühmtesten Porträtisten Johann Baptist Lampi als nackte Venus malen.

Von nun an begleitet Emilie Napoleon auf all seinen Kriegszügen durch Europa, wobei sie stets als Page Felix verkleidet in seiner Nähe ist. Am Hof in Paris allerdings darf sie nicht vor der ersten Gattin Napoleons, Josephine, auftreten, sondern muss versteckt in den Tuilerien leben. Später erklärt Emilie beharrlich, dass Napoleon sie geheiratet habe, wobei ein Graf von Montholon als Trauzeuge gedient haben soll. Madame de Rémusat, die Palastdame der Kaiserin Josephine, schreibt in ihren Memoiren über Napoleons Moralität gegenüber Frauen:

„Sobald er eine neue Geliebte hatte, theilte er es ohne Verzug seiner Frau mit und äußerte ein beinahe rohes Erstaunen, wenn sie gegen Vergnügungen eiferte […] Er sei kein Mensch wie ein anderer, sagte er, und die Gesetze des Anstandes und der Sittlichkeit seien nicht für ihn gemacht“ (Wittmann, 13).

Nach der neuerlichen Besetzung Wiens im Jahr 1809 residiert Napoleon I. wieder im Schloss Schönbrunn, wohin er aus Warschau eine zweite Geliebte, Maria Gräfin Walewska, mitgebracht hat. Beide Mätressen bringen innerhalb von vier Tagen im Mai 1810 zwei Söhne des Franzosenkaisers zur Welt. Einen Monat zuvor hatte Napoleon die Erzherzogin Marie-Louise von Österreich, die Tochter des Kaisers Franz I., geheiratet.

Als Napoleons Heer im Juni 1812 die Grenzen des russischen Zarenreiches übertritt, erlebt Emilie an der Seite des französischen Kaisers alle Schrecken des Krieges. Doch als das Heer im Winter 1812/13 den Rückzug antreten muss, ist auch das Glück an der Seite Napoleons für Emilie zu Ende. Napoleon trennt sich von Emilie, hinterlegt aber für sie auf der Bank von London die stattliche Apanage von 480 000 Gulden, die vom Ziehvater Mainoni verwaltet wird, der ihr jährlich einen Betrag von 24 000 Gulden zukommen lässt. Zudem erhält Emilie den Titel „Baronin von Wolfsberg“, Mainoni wird Mitglied der französischen Ehrenlegion. Die nunmehr Geadelte überlässt ihr Kind Eugen dem kinderlosen Ehepaar Megerle von Mühlfeld. Eugen wird später ein erfolgreicher Advokat und als Eugen Alexander Megerle auch ein bekannter Politiker. Erstaunlich ist, dass in den Biografien Napoleons die abenteuerliche Gestalt des Pagen Felix keinen Niederschlag findet.

Im Jahr 1817 heiratet Emilie den Wiener Rechtsanwalt Michael Schönauer, doch die Ehe geht drei Jahre später in Brüche. Im Jahr 1824 zieht die Baronin mit ihrer Mutter und Schwester nach Bregenz, wo sie sich in den 14 Jahre jüngeren Vorarlberger Barbiergesellen Vinzenz Brauner verliebt, der ihr Lebensgefährte wird. Nach dem Tod ihrer Mutter zieht sie mit Brauner nach Salzburg, da dieser die Stelle eines Kreiswundarztes zugesprochen erhält.

Von Napoleon durch die Apanage finanziell großzügig ausgestattet, kauft die Baronin in Salzburg zwei Häuser; eines in der Dreifaltigkeitsgasse und das Schlösschen Rauchenbichlerhof in Schallmoos. Dort entwickelt sie ein fürstliches Leben, aber auch eine geradezu pathologische Liebe zu Tieren. Sie hat mehr als 30 Hunde aller Rassen, Affen, seltene Raubvögel. Während sie ihren Bediensteten Hungerlöhne zahlt, werden ihre Hunde maßlos verwöhnt. Im „Biographischen Lexikon des Kaiserthums Österreich“ findet sich dazu folgender Eintrag:

„Die Hunde speisten von silbernen Tellern, ein jeder hatte eine eigene Bedienung, sie wurden gepflegt wie ein Schoßkind, gefüttert wie eine Spansau, und starb einer aus der vierfüßigen Sippe, so ward ihm in dem Hausgarten ein Marmordenkmal gesetzt“ (BLKÖ, 2).

So wird sie bald von der Gnigler und Schallmooser Bevölkerung nur mehr als die „Hundsgräfin“ bezeichnet. Ihr Privatzoo verschlingt enorme Summen. Ihren pompösen Lebensstil kann sie sich leisten, solange die Beträge aus Napoleons Apanage regelmäßig fließen.

Doch 1832 kommt die Nachricht vom Selbstmord ihres Ziehvaters und Vermögensverwalters Mainoni. Dieser war dem Glücksspiel verfallen und hatte durch gefährliche Transaktionen ihr Vermögen auf null reduziert. Auch ihr kostbarer Schmuck von Mainoni und der Vertrag Napoleons, mit dem ihre Zuwendungen bisher abgesichert waren, sind nicht mehr auffindbar. Als dann ihr Lebensgefährte Vinzenz Brauner 1838 im Alter von 39 Jahren stirbt, muss die „Hundsgräfin“ ihre Besitzungen verkaufen. Sie wendet sich nun an Marie-Luise, die Witwe Napoleons, und an die österreichische Kaiserin-Witwe Carolina Augusta, die zeitweilig in Salzburg im Toskana-Trakt wohnt, um finanzielle Unterstützungen. Die Gnadenpension, die sie von der Napoleon-Witwe erhält, reicht aber nicht aus, um ihre Tiere zu versorgen. So landet sie schließlich, verarmt und zur Bettlerin herabgekommen, im Fischerhäusl am Alterbach, wo sie am 15. April 1845 im Alter von 60 Jahren stirbt. Ihre letzte Ruhestätte findet sie am Friedhof in Gnigl an der Kirchenmauer. Im Grab werden später aber auch zwei arme Bauern beigesetzt. Der Historiker Anton von Schallhammer hat das Leben der „Hundsgräfin“ anhand von Urkunden erforscht und sein Manuskript dem Salzburg Museum übergeben.

PETER KARL THURWIESER
1789–1865
Der „Gamspeter“: Theologe, Meteorologe und Salzburgs erster Alpinist

Die Stadt Salzburg ist immer schon reich an Originalen und Sonderlingen gewesen. Eines der prägnantesten Originale ist der Theologe Peter Karl Thurwieser. Wegen seiner umfassenden Bildung, aber auch durch seine alpinistischen Erfolge, seine meteorologischen Erkundungen sowie seine sonderbare Aufmachung ist er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Landeshauptstadt allseits bekannt. Mit seinem blauen Frack, seinen Schnallenschuhen und seinem schwarzen Filzhut mit dem Edelweißsträußchen stellt er eine besondere Attraktion dar.

Da Peter Karl Thurwieser für die Landwirtschaft oder ein Handwerk zu schwächlich ist, wird der in Kramsach in Tirol Geborene (damals zum Fürsterzbistum Salzburg gehörig) an die Universität Innsbruck zum Studium der Theologie geschickt. Im Jahr 1810 tritt er in das Priesterhaus in Salzburg ein, wo er im September 1812 zum Priester geweiht wird. Vor allem das Studium der Mathematik und der orientalischen Sprachen (Hebräisch, Chaldäisch, Aramäisch und Arabisch) faszinieren ihn. Er übernimmt zunächst die Katechetenstelle in Mülln, später wird er Hilfspriester in Bergheim und Siezenheim.

Im März 1820 wird er als Professor des Bibelstudiums des Alten Testaments und der orientalischen Sprachen an das Lyceum, das an die Stelle der 1810 von den Bayern aufgelösten Universität getreten ist, berufen. In dieser Funktion wirkt er 43 Jahre. In diesen mehr als vier Jahrzehnten widmet er sich intensiv den mathematischen Wissenschaften, der Meteorologie mit einer präzisen Aufzeichnung der Salzburger Wetterverhältnisse und den orientalischen Sprachen. Vom Salzburger Erzbischof Friedrich Fürst zu Schwarzenberg erhält er die Kustodenstelle an der Salzburger Kollegienkirche. Da die Uhr dieser Kirche sehr unpräzise ist, versucht er sie zur Verlässlichkeit zu bringen, was ihm aber misslingt. Da die Uhr dieser Kirche sehr unpräzise läuft, wird zu Thurwiesers Zeit ein unpünktlicher Mensch in der Stadt auch als „Collegi-Uhr“ bezeichnet (Nora Watteck). Thurwieser versucht, das Uhrwerk zu mehr Verlässlichkeit zu bringen, was ihm aber misslingt.

Als Priester und Wissenschafter ist er in der ganzen Stadt hoch geachtet. Als Mensch lebt er in äußerster Bescheidenheit und trägt bis zu seinem 60. Lebensjahr keinen Mantel und verwendet keinen Regenschirm. Zudem ist er bekannt für seine Wohltätigkeit, da er stets mittellose Studenten finanziell unterstützt.

In einer Zeit, da die Gebirge von den Menschen nicht nur als unwirtliche Gegend, sondern auch als Sitz von verwunschenen Seelen und bösen Geistern betrachtet werden, beginnt Thurwieser die Alpen planmäßig zu ersteigen und zu erforschen. So wird er zum Erstbesteiger des Hochkönigs über die Übergossene Alm zum Gipfel (1826), des Ankogels, des Dachsteins (1834) und der Watzmann-Südspitze sowie Drittbesteiger des Ortlers (1838). Eine der Ortlerspitzen trägt seither den Namen Thurwieser-Spitze. Das Gasteinertal, das Zillertal und die Berge des Berchtesgadener Landes sowie der Tiroler Alpen und die Dolomiten sind seine bevorzugten alpinistischen Ziele.

Dabei trägt der kleingewachsene Theologe immer seine barometrischen Geräte mit. Nur wenn er steile Felsen erklettern muss, legt er seinen blauen Frack ab, der ihm auch bei Übernachtungen im Gelände als Wärme- und Wetterschutz dient. Bei seinen Touren trägt er als Nahrungsmittel gebackene Zwetschken und hartgesottene Eier mit, von denen er sogar ein Dutzend auf einmal verzehren kann. Zum Schutz gegen die Sonnenbestrahlung hängt ein grüner Schleier von seinem Filzhut herab. Wegen seiner sonderbaren Erscheinung jagt er den Sennen auf den Almen, die noch keine Touristen zu sehen bekommen haben, Furcht ein. Bei seinen Gipfelbesteigungen lässt er zumeist selbst gefertigte Feuerwerkskörper und Knallfrösche explodieren, was ihm den Ruf eines Hexers oder Zauberers einträgt.

Viele seiner Bergtouren unternimmt er in Gesellschaft hochstehender Persönlichkeiten, so oftmals mit Erzherzog Johann und mit dem Erzbischof Kardinal Schwarzenberg. Seine alpinistischen Erkundungen und Erfahrungen, die als Meisterstücke touristischer Schilderungen gelten, veröffentlicht er sodann in der Zeitschrift des Innsbrucker Ferdinandeums und im „Salzburger Amts- und Intelligenzblatt“. Den Gaisberg besteigt Thurwieser während seines Lebens 480 Mal.

Sein Tod erscheint gerade wegen seiner bergsteigerischen Meisterleistungen als grotesker Unglücksfall. Denn als er vom Dachboden des Imhofstöckls an der Nordseite des Mozartplatzes aus seinen Hühnern nachjagt, stürzt er am 28. Jänner 1865 vom Dach. Er stirbt im Alter von 76 Jahren an den Folgen dieses Sturzes. Sein Aussehen, seine wissenschaftlichen Tätigkeitsbereiche und seine allseitige Bekanntheit tragen ihm zu Lebzeiten schon die Spitznamen „Wetterfrosch“ und „Gamspeter“ ein.

FRANZ STELZHAMER
1802–1874
Der gefeierte Mundartdichter bediente gefährliche Klischees

Für Oberösterreich ist Franz Stelzhamer der bedeutendste Mundartdichter des 19. Jahrhunderts und Schöpfer der Landeshymne. Übersehen wird, dass er viele Jahre seines Lebens – vor allem seine Studienzeit und die letzten 18 Jahre seines Lebens – in Salzburg verbringt, in Henndorf stirbt und dort begraben liegt. Seine zärtliche Schilderung der Innviertler Heimat und seine behutsame Annäherung an die kleinen Dinge des Lebens dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er in seinem familiären Dasein rücksichtslos und in seinen politischen Anschauungen als grausamer Antisemit auftritt.

Stelzhamer wird am 29. November 1802 im Weiler Großpiesenham im Innviertel als Sohn der Kleinhäuslerfamilie Johann und Maria Stelzhamer geboren. Dem Wunsch seiner Eltern gemäß soll er Priester werden und wird deshalb an das Gymnasium zu St. Peter (heute: Akademisches Gymnasium) nach Salzburg geschickt. Bereits seine zwei älteren Brüder studieren dort ohne entsprechenden Erfolg. Franz aber erweist sich rasch als Primus der Klasse und darf als „Informator“ seinen Mitschülern Nachhilfe erteilen, was als Auszeichnung gewertet wird. Als sein Bruder Peter wegen „Teufelsbündelei“ im Peterskeller der Schule verwiesen wird, kommt es jedoch zu einem raschen Leistungsabfall. Dazu dürfte auch seine Liebe zu der Kaufmannstochter Antonie Nicoladoni beigetragen haben, die er in seinem in Hochdeutsch verfassten Gedichtzyklus „Liebesgürtel“ verherrlicht. Er betätigt sich auch als Mitbegründer der „Rhetoriker“, einer Vereinigung dichtender Gymnasiasten, die später von der Polizei verboten wird. Nach der letzten Gymnasialklasse verlässt er Salzburg und beginnt in Graz, wo sein Bruder Peter inzwischen lebt, das Studium der Rechtswissenschaften, das er dann in Wien fortsetzt.

Da ihn die Not plagt und er immer wieder erkrankt, versucht er sich als Hauslehrer und beginnt, Gedichte in Mundart zu schreiben. Als die Gedichte durch seinen Freund Eduard Zöhrer vertont werden, wird er in Oberösterreich sehr rasch populär. Den literarischen Durchbruch schafft er 1837 mit seinem Band „Lieder in obderenns’scher Volksmundart“, die von der literarisch interessierten Öffentlichkeit in Oberösterreich begeistert aufgenommen werden. Am bekanntesten ist das Gedicht „s’Hoamatgsang“, das ihn zum gefeierten Heimatdichter werden lässt und 1952 im oberösterreichischen Landtag zur oberösterreichischen Landeshymne erkoren wird: „Hoamatland, Hoamatland/di han i so gern/wiar a Kinderl sein Muader/a Hünderl sein Herrn […]“

1838 kehrt er nach Oberösterreich zurück und wird in Linz als Journalist tätig. Wegen der Popularität seiner Mundartgedichte kann er ab 1842 Vortragsreisen durch Österreich und Bayern absolvieren und wird in den Münchner Künstler- und Adelskreisen gefeiert. 1845 heiratet er die aus Böhmen stammende Näherin Betty Reis und übersiedelt mit ihr nach Ried im Innkreis. Aus dieser Ehe geht die Tochter Carolina hervor. Als die Revolution 1848 ausbricht, ist er wie die meisten Zeitgenossen ein begeisterter Verfechter, wendet sich jedoch bald davon ab. Von nun an gelingt es ihm nicht mehr, im österreichischen Literaturbetrieb zu reüssieren. Da die Familie von Geldsorgen geplagt wird, verlegt er seinen Wohnsitz nach München, weil er dort bessere Einkommenschancen sieht.

In München schreibt er das „Bunte Buch“ (1852), das neben anderen sehr reaktionären Texten auch den Essay „Jude“ enthält. Einem fiktiven Erzähler unterschiebt er darin seine politische Zielvorstellung von der Vernichtung der Juden:

„In alle Welt zerstreut, schlingt er [Anm. d. Verf.: der Jude] sich, ein Riesenbandwurm, um die Ernährungsorgane eines jeden kultivierten Staatskörpers […] Die Völker ringen um Vorrang und Macht, die Völker wetteifern in Kunst und Wissenschaft, in Entdeckung und Erfahrung, die Völker opfern Gut und Blut für Fürst und Vaterland; der Jude sieht zu, zufrieden, dass er heute oder morgen, da oder dort seinen Bandwurmrüssel, gleichviel, an die offene Wunde, oder an die Errungenschaft anlegen kann und – saugen“ (zit. nach Laher).

Er kritisiert das angebliche jüdische Schmarotzertum und bedient sich einer hetzerischen Propaganda, wie sie später von den Nationalsozialisten betrieben wird. Das Buch widmet er dem bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig von der Pfordten. Für den oberösterreichischen Autor Ludwig Laher ist dies das wüsteste antisemitische Pamphlet aus der Feder eines Schriftstellers des 19. Jahrhunderts. Stelzhamer schwelgt nicht etwa in den Vorurteilen seiner Zeit, sondern er ist ein geistiger Vorläufer des Antisemitismus. Dadurch wird das durchaus beachtenswerte Talent, das großartige Gedichte in der Innviertler Mundart geschrieben und seine Heimat mit poetischen Bildern verherrlicht hat, in seiner literarhistorischen Bedeutung empfindlich geschmälert. Stelzhamers Text ist allerdings kein singulärer Ausdruck des im Christentum jahrhundertelang tief verankerten Judenhasses. Denn zwei Jahre zuvor veröffentlicht der Komponist Richard Wagner unter Pseudonym sein Pamphlet „Das Judenthum in der Musik“ (1850).

Stelzhamer hat bewusst verdrängt, dass das von ihm angeprangerte jüdische Schmarotzertum von ihm selbst gelebt wird, denn einer seiner großzügigsten Förderer in seiner Wiener Zeit ist der aus Böhmen stammende Jude Ludwig August Frankl. Für Laher steht Stelzhamer deshalb „für die Unbegreiflichkeit menschlicher Abgründe“.

Nach seiner Rückkehr nach Salzburg stirbt seine Frau Betty im Alter von 38 Jahren. Im selben Jahr beginnt der 54-jährige Dichter Stelzhamer eine Beziehung zu Hermine Tremml, der Tochter seiner Jugendliebe Antonie Nicoladoni. Die letzten 18 Lebensjahre verbringt Stelzhamer überwiegend in Salzburg und Henndorf. 1866 erleidet er einen Schlaganfall, was für ihn jedoch kein Hindernis darstellt, die um 34 Jahre jüngere Salzburger Lehrerin Therese Böhm-Pammer zu heiraten. Sie wohnt mit ihrem unehelichen Sohn Luzian in Henndorf. Die nicht legalisierte Beziehung zu Stelzhamer hat schon bisher zu Ärgernissen in der kleinen Dorfgemeinde geführt. Stelzhamers letztes Gedicht, welches er seiner in Henndorf verbliebenen Familie widmet, – „Uebern Anger bin ih ganga“ – verfasst er zwei Monate vor seinem Tod.

Am 14. Juli 1874 stirbt der Dichter in seinem Wohnhaus Henndorf Nr. 84 und liegt auf dem Henndorfer Friedhof begraben. Es gibt wohl kaum einen anderen österreichischen Dichter, dem so viele Denkmäler erbaut wurden und der in seinem Heimatland Oberösterreich als Säulenheiliger verehrt wird. Im Jahr 1900 huldigt Hermann Bahr in seinem Theaterstück „Der Franzl“, das in fünf Szenen das Leben Stelzhamers schildert, dem Mundartdichter. Heute wird die Bedeutung des Oberösterreichers mit seinen teils kitschigen und trivialen Versen einem neuen kritischen Diskurs unterzogen, etwa durch die Germanistin Silvia Bengesser.

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