Loe raamatut: «Karpfenkrieg», lehekülg 3

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Gerald Fuchs, der Kommissar der Erlanger Mordkommission, und seine attraktive Assistentin Sandra Millberger standen am Ende der geteerten Schulstraße – dort, wo diese in einen Feldweg übergeht. Wie oft waren sie hier schon vorbeigekommen, auf dem Weg zum Neuhauser Bierkeller! Das Neubaugebiet Am Sonnenhang, hinter ihnen, lag noch im Schatten der dahin schleichenden Nacht. Drüben im Osten, über den Bäumen am Horizont, erstrahlte ein gelb-orangefarbenes Lichtband, welches von Minute zu Minute anwuchs. Der Kommissar sah auf seine Armbanduhr. Der kleine Zeiger stand genau auf der Sechs. Normalerweise lag er um diese Zeit noch im Bett und schlief. Am Sonntag sowieso. Mit seinen fünfundvierzig Jahren war er noch immer Single, dabei sah er blendend aus. Seine sportliche Figur streckte sich auf stattliche einen Meter dreiundachtzig. Sein ovales Gesicht mit dem männlich kantigen Kinn hatte schon so manches Frauenherz erwärmt, ebenso wie seine hellgrünen Augen mit den langen, gebogenen Augenwimpern unter den buschigen Augenbrauen. Er war nach seinem verstorbenen Vater, Hans Fuchs, dem Bruder seiner Tante Kunigunde Holzmann geraten. Die war ja lieb und nett, aber eine furchtbar rechthaberische und besserwisserische Furie. Er ging ihr und ihrer Freundin Retta – auch so ein tratschsüchtiges Exemplar – lieber aus dem Weg. Die beiden Besserwisser hatten ihn in der Vergangenheit schon genug geärgert. Rechts des Weges waren noch immer die Kollegen von der Kriminaltechnischen Untersuchungsabteilung tätig. Unter ihnen tummelte sich auch Dr. Thomas Rusche, forensischer Anthropologe und Rechtsmediziner. Ein exzellenter Mann. Er hatte gerade seine Arbeit beendet und kam auf die beiden Beamten zu. „Morgen, hübsche Frau. Morgen, Herr Kollege“, begrüßte er die beiden Ermittler von der Kripo. „Kein schöner Anblick“, fuhr er ohne Umschweife fort. „Da ist nicht mehr so viel übrig geblieben.“

„Verbrannt?“, vergewisserte sich Sandra Millberger.

„Verbrannt“, bestätigte der Rechtsmediziner, „aber das ist sicherlich nicht die Todesursache.“

„Sondern?“, fragte der Kommissar.

„Kann ich noch nicht beantworten. Dazu müssen wir erst die Ergebnisse der Leichenschau abwarten.“

„Todeszeitpunkt?“, ließ Gerald Fuchs nicht locker.

„Vorsichtig geschätzt, vor zwei bis drei Stunden, aber auch dazu Genaueres nach der Autopsie. Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Da wurde nachgeholfen. Brandbeschleuniger. Wahrscheinlich Benzin.“

„Wissen Sie, wer die Leiche gefunden hat? Und handelt es sich bei dem Brandopfer um eine Frau oder einen Mann?“, wollte die Beamtin wissen.

„Also erstens, es handelt sich um die Überreste eines Mannes, und zweitens, eine Frau ging heute am frühen Morgen mit ihrem Hund spazieren. Das Tier hat die Leiche entdeckt. Die Frau können sie im Moment leider nicht befragen. Die hat einen Schock abbekommen. Kollegen von Ihnen haben sie zu Dr. Habicht, einem Arzt hier vor Ort, gebracht.“

„Wann können wir uns den Toten ansehen?“, wollte die Assistentin des Kommissars noch wissen.

„Hübsche Frau, ich weiß wirklich nicht, ob Sie sich diesen Anblick nicht besser ersparen sollten. Ach noch eins: Das Opfer trug eine beige Jeansjacke mit für ihn viel zu langen Ärmeln. Ich bezweifle, dass dies seine Jacke war. Auch die Stelle hier, an der er verbrannt wurde, ist nicht identisch mit dem Tatort. Der oder die Täter haben ihn vom Feldweg, auf dem wir gerade stehen, auf das offene Feld gezogen. Hier, sehen Sie die Schleifspuren?“ Thomas Rusche zeigte auf eine Stelle des Weges, die von Männern der KTU umlagert war. „Und dort im Graben“, fuhr er fort, „neben dem Stamm der Eiche, fanden wir einen unversehrten, grünen Filzhut, wie ihn auch Jäger gerne tragen, sowie eine Taschenlampe. Nun aber genug der Rede, ich muss in die Rechtsmedizin und mir vom Gericht oder von Oberstaatsanwalt Dr. Brockmeyer die Genehmigung für die Leichenschau holen.“

„Letzte Frage: Wer wird bei der Autopsie mit dabei sein, Herr Rusche?“

„Ich werde den Niethammer vorschlagen. Der hat eine Menge Erfahrung mit Verbrannten.“

*

Das Lebendgewicht des Aischgründer Spiegelkarpfens betrug beinahe zwei Kilogramm. Ein stattlicher Brocken. Fein säuberlich ausgenommen, längsseitig in zwei Hälften geteilt, gewürzt und paniert lagen die beiden Teile auf einem mächtigen Küchenbrett der Fischküche Fuchs. Dann ließ der Herr des Hauses eine Hälfte in das in der riesigen Karpfenpfanne brutzelnde Butterschmalz gleiten. Schnalzend und zischend nahm die brodelnde Flüssigkeit die Fischhälfte auf, welche nach ihrem Tauchgang sofort wieder an der Oberfläche des kochenden Schmalzes erschien, sich appetitlich krümmte und eine goldbraune Farbe annahm. Neben dem Herd stand ein überdimensionaler Teller, zur Hälfte mit zwei Bergen von Endivien- und Kartoffelsalat gefüllt. Kunni Holzmann war in goldenen Lettern in die Glasur des Porzellans eingelassen. Kunigunde Holzmann stand ebenfalls gleich neben dem Herd und sah zu, wie ihr Karpfen in dem brodelnden Butterschmalz dahinschwamm, und hörte mit wachsendem Appetit dem Blubbern und Brutzeln der kochenden Flüssigkeit zu. Plötzlich war da so ein leises Knistern. Nein, es war eher ein leichtes Trippeln, welches immer lauter wurde. Tripp, tripp. Wie leichte Schritte kleiner Füße auf Metall, hörte es sich an. Dann drang das durchdringende Ruhgu-gu an Kunnis Ohr. Ruhgu-gu. Kunni Holzmann wälzte sich in ihrem Bett. Das Bild des brutzelnden Karpfens wurde blass und blässer und löste sich gänzlich in Nichts auf. Die Ruhgu-gu-Rufe dagegen wurden immer lauter, begleitet vom dem Tänzeln winziger Krallen auf dem kupfernen Fenstersims. Kunnis Traum war wie weggeblasen. Sie war mit einem Mal glockenwach. „Scheiß-Taubn“, fluchte sie und vertrieb mit ihrem Erscheinen am Schlafzimmerfenster die beiden Ringeltauben auf dem Fenstersims. Weit flogen die beiden nicht, nur bis zu einer Astgabel des nahestehenden Walnussbaumes, und schickten ein wütendes Ruhgu-gu herüber. Dann klingelte auch noch das Telefon.

„Gutn Morgen, Kunni, bist scho wach?“, flüsterte die Retta pietätvoll in den Telefonhörer.

„Na, ich schlaf no und telefonier mit dir im Tiefschlaf.“

„Hast scho ghört, drobn Am Sonnenhang hams an verbrennten Totn gfunna.“

„Kannst net a wenig lauter redn“, belferte die Kunni zurück, „hab kein Wort verstandn, mit deim Genuschel.“

„A verbrennte Leich hams gfunna“, schrie die Retta nochmals ins Telefon.

„Wer? Übrigens, schreia brauchst fei a net. Bin doch net gochhehret.“

„Des waß ich doch net, alte Doldn.“

„Etz werd fei net beleidigend, am frühn Morgen“, schrie die Kunni aufgebracht zurück. „Was waßdn überhaupt? Wen hams denn verbrennt?“

Retta stöhnte auf. „Wenns die Polizei nu net amol waß, woher solls dann ich wissen? Des Feier muss die Leich jedenfalls gscheit hergricht ham, haßts. Dei Gerald und die Sandra warn scho am Tatort.“

„Der Depp, der kricht doch sowieso nix backn. Do ruf ich besser morgen die Sandra an. Vielleicht wissns bis dahin a weng mehr. Sen die Polizistn scho weg, vom Tatort?“

„Ich glaub scho“, meinte die Retta.

„Dann schau mer uns des amol o“, schlug die Kunni vor, „Wies der Leitmayr a immer macht. Kummst bei mir vorbei?“

„Der Kaschper scho widder“, murmelte die Retta vor sich hin. „Ja, ich kumm bei dir vorbei. Mach mi gleich aufn Wech.“

„Aber erscht trink ich an Kaffee, und waschn und oziehgn muss ich mich a noch. Kannst der ruhig Zeit lassn.“

„Übrigens, bald gehts widder los“, merkte die Retta noch an.

„Wer is los?“

„Es geht widder los“, wiederholte die Retta etwas lauter. „Die Karpfenzeit geht bald widder los. Sollt mer uns beim Fuchsn-Wirt a Plätzla reserviern lassen. Ich frei mich scho aufs erschte Kärpfla.“

„Ich hätt heit frieh fast scho an gessn, im Bett“, antwortete die Kunni, „aber dann sen die Scheiß-Taubn dazwischn kumma mit ihrm bledn Ruhgu-gu, Ruhgu-gu.“

„Hast du heit morgn scho was trunkn?“, wollte die Retta wissen. „Also dann reservier ich uns demnächst scho amol für den siebtn September a Plätzla beim Fuchsn-Wirt“, schlug sie vor bevor sie auflegte.

*

Dass Ulrich Fürmann vom anerkannten Frauenarzt zum Obdachlosen und Landstreicher abgestiegen war, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Warum musste er auch seine Patientinnen in verfänglichen Situationen, gerade wenn sie auf diesem unbequemen Stuhl lagen, mit einer versteckten Kamera fotografieren? Das macht ein Arzt nicht, dem man Vertrauen entgegenbringen soll. Und dann war dieser Bursche auch noch so blöd, einige der Fotos im Netz zu veröffentlichen. Das konnte ja nicht gut gehen. Er war geständig. Mit viel Glück hatte er nur eine Bewährungsstrafe bekommen, was dem Geschick seines Verteidigers zuzurechnen war, damals, vor zwei Jahren. Seine Zulassung, weiterhin als Arzt zu praktizieren, war aber dahin. Da ließ die Ärztekammer nicht mit sich reden. Der Abstieg ging schnell. Seine Frau, die frigide, fette Kuh, so sah er das, hatte nur darauf gewartet die Scheidung einreichen zu können. Zeitgleich folgten die Klagen von sechsunddreißig seiner ehemaligen Patientinnen. Sie klagten auf Schmerzensgeld, weil er mit den Fotos – angeblich, wie sie meinten – ihre Würde als Frauen verletzt habe. Der Richter gab ihnen recht. Das Haus, das Barvermögen, das Aktienpaket, wurden von den Scheidungsfolgen, den Unterhaltskosten für Frau und Kinder, den Geldstrafen, welche das Gericht verhängt hatte, ratzfatz aufgefressen. Nun war er zweiundvierzig Jahre alt, schien aber in den beiden letzten Jahren um mindestens zehn Jahre gealtert zu sein. Sein Haar war fransig und ungepflegt. Er verströmte einen eigenartigen, unangenehmen Körpergeruch, den er selbst schon gar nicht mehr wahrnahm. Es wäre ihm auch egal gewesen. Mit den anderen Obdachlosen in Erlangen konnte er es nicht. Sie waren ihm zu primitiv. Nicht sein Niveau. Mit denen konnte man nur übers Saufen reden, nicht über Politik, Sport oder wirtschaftliche Themen. Das war es, was ihm am meisten fehlte, eine gepflegte Kommunikation, die Teilnahme am aktuellen Geschehen dieser Welt. Geld für Zeitungen hatte er zwischenzeitlich aber auch nicht mehr. Mit der Zeit ging ihm die Stadt auf den Sack. Er verzog sich aufs Land. Hier waren die Menschen freundlicher, großzügiger und verständnisvoller gegenüber einem Obdachlosen. Ihre Scheunen boten oftmals Platz für die eine oder andere Übernachtung. Vor allem während der kalten Jahreszeit. Die Fallobstwiesen, Erdbeerfelder, Kirschbäume, Schrebergärten und Bierkeller boten ausreichende Angebote für Essbares – man musste sie nur zu nutzen wissen. So zog Ulrich Fürmann durch den ganzen Landkreis. Als er, von Neuhaus kommend, vor sich Röttenbach im Tal der sanften Hügel liegen sah, glaubte er, ein neues Schlaraffenland entdeckt zu haben. Er war sensibilisiert und hatte den rechten Blick für die Obst- und Schrebergärten und sonstigen natürlichen Nahrungsquellen. Es gefiel ihm, was er sah. Auch die kleine Gartenlaube auf dem Grundstück hinter der Jahnstraße, gleich an den winzigen Bachlauf angrenzend, registrierte er mit Wohlwollen und Vorfreude. Sein Hochgefühl hätte sich wahrscheinlich augenblicklich in Luft aufgelöst, hätte er gewusst, dass das Anwesen Hanni dem Hammer gehörte.

*

„Ja, Horst, ich bins, der Hanni. Bist heit Nacht gut hamkumma?“ Johann Hammer hatte die Telefonnummer auf dem Display erkannt.

„Nein, hier ist nicht der Horst. Ich bins, die Hanna, seine Frau. Wo ist er denn, der alte Gauner? Habt ihr wieder ordentlich gesoffen und er schläft noch seinen Rausch aus?“

„Hallo, Hanna, grüß dich“, antwortete Hanni der Hammer. „Dei Mo is net da. Der hat sich heut früh aufn Wech nach Neuhaus gmacht. Ich hab ihm noch mei Jeansjackn und mein Jägerhut mit aufm Weg geben, weil des hat ganz schee abgekühlt gestern Abend, damit er uns net a nu krank wird. Is er net daham?“

„Nein, er ist nicht nach Hause gekommen.“

„Leck mich am Arsch, der wird doch net nu irgendwo im Wald liegn und sein Rausch ausschlafn? Waßt was? Ich schwing mich mal aufs Fahrrad und fahr den Weg ab. Vielleicht find ich ihn. Dann ruf ich dich gleich an, gell. Sollte er zwischenzeitlich daham auftauchn, dann sei so gut und sag mir auf meim Handy Bescheid. Okay?“

„Okay. Schau mal, dass du ihn findest.“

Johannes Hammer hatte während des Telefonats ständig hinaus auf seinen Garten gesehen. Eine eigentümliche Gestalt trieb sich draußen auf der Jahnstraße herum. Er sah aus wie ein Obdachloser. Wie ein Landstreicher. Ein Röttenbacher war er jedenfalls nicht, und er glotzte so was von auffällig in den Garten und auf das Haus. Der Mann hatte einen irren, strengen Blick und sah zum Fürchten aus. Lange, ungepflegte, widerspenstige Haare standen von seinem Kopf ab. Seine Kleidung war abgerissen und schmuddelig. Auf seinem Rücken trug er einen abgewetzten Rucksack, und sein Blick war irre und furchteinflößend. Hanni der Hammer hatte das Telefonat mit Hanna Jäschke beendet und beobachtete nun die ungepflegte Gestalt. Die bewegte sich nicht von der Stelle. Als wäre sie festgewachsen. Dem Hausherrn wurde es zu bunt. Er musste weg, Knöllchen-Horst suchen. Wutentbrannt riss er das Fenster auf. „Heh, du Struwwelpeter“, rief er hinaus, „was willstdn du hier? Warum starrstdn du dauernd auf unsern Gartn und unser Haus? Bei uns gibts fei nix zu Bettln. Des socher der gleich! Schau dassd verschwindst, sonst macher der Ba!“

Ulrich Fürmann starrte immer noch auf die herrlich roten Eiertomaten, die ihm von vier Tomatenstöcken entgegenlachten. Er fühlte, wie der Hunger in seinem Magen rumorte. Dann besann er sich und ging weiter. Ein unfreundlicher Zeitgenosse, der da zum Fenster herausplärrte. Er nahm sich vor, das Grundstück in der Nacht näher zu inspizieren.

*

Johannes Hammer schwang sich auf sein Fahrrad und strampelte die Schulstraße hinauf. Es ging bereits auf elf Uhr zu. Wo kamen denn die ganzen Polizeifahrzeuge her, welche ihm entgegenfuhren? Das sah ja fast wie ein Betriebsausflug aus. Machten die Bullen vielleicht eine Sternfahrt? Er trat in die Pedale und machte sich Sorgen um Knöllchen-Horst. Hoffentlich war ihm nichts zugestoßen. Mit fast dreiundsechzig Jahren konnte spontan alles passieren. Herzinfarkt, Schlaganfall, Kreislaufzusammenbruch. Besonders nach so einer durchzechten Nacht. Er sah sich ringsherum um. „Horst?“, brüllte er von Zeit zu Zeit in die offene Natur. Die Sonne lachte wieder von einem wolkenlosen Himmel und die Kühle der Nacht hatte sich längst verzogen. Lediglich über dem nahen Wald stiegen noch kleine Dunstwölkchen auf, die sich aber sofort verflüchtigten. Das Getreide links und rechts des Weges stand schon hoch. Bald würden die Mähdrescher mit ihren gierigen Mäulern kommen und nur noch Stoppeln hinterlassen, erste Boten des nahenden Herbstes. „Horst, hörst du mich?“, rief er erneut über die Getreidefelder. „Horst, ich bin’s, der Hanni.“ Keine Antwort. Hanna rief auch nicht an. Bertl Holzmichl ratzte bestimmt noch immer in der Gartenlaube vor sich hin und schlief seinen Rausch aus, aber Knöllchen-Horst war immer noch verschwunden. „Und wenn er in an Weiher neigfalln ist?“, ging es ihm durch den Kopf. „Das wärs ja noch gwesen.“ Sein Mobiltelefon vibrierte. Es war Hanna. „Hast du ihn schon gefunden?“, fragte sie.

„Na, ich bin etz grad an der Stell, wos im Wald ständich den Berch nach Neuhaus runter geht“, antwortete er. „Wie gsacht, ich ruf di scho an, wenn ich fündich worn bin.“

Fünfzehn Minuten später war Hanni der Hammer bei Hanna angekommen – ohne ihren Mann. Sie berieten, was zu tun sei. „Ruf bei der Polizei an“, forderte er sie auf.

„Aber heute ist doch Sonntag!“

„Na und? Die sen doch immer besetzt“, argumentierte er. „Wenn der Horst in seim Rausch in die Schwarzbeersträucher neigfalln is, finna wir den nie. Der wacht höchstens auf, wenn der vo die Ameisn odder die Schnagn zerstochen wird.“

„Was soll ich der Polizei sagen? Dass der säuft wie ein Besenbinder und sich wahrscheinlich im Vollrausch nur verlaufen hat?“

„Bloß net“, riet ihr Johann Hammer, „da sens zu empfindlich, die Bulln. Die fühln sich immer gleich verarscht. Da tätn die gor net mit dem Suchn anfanga.“

„Warum müsst ihr Mannsbilder nur immer so viel trinken?“, beschwerte sich Hanna Jäschke.

„Is halt ab und zu a schee“, antwortete er.

„Ab und zu, bei euch ist das doch ein Dauerzustand.“

„Na ja, so schlimm is a net. Und sonst? Machst immer noch dei Kräuterführunga?“

„Hhm, macht immer noch Spaß.“

„Immer nu ums Schloss rum?“

„Ja, ich treffe mich mit meinen Teilnehmern immer in der Schlossstraße, beim alten Brunnen, und dann laufen wir meistens um das Schloss herum.“

„Und da wächst was?“

„Und wie! Im Frühjahr wächst dort sogar der Gundermann, das ist eine Zauberpflanze, die verrät in der Walburgisnacht die Hexen. Dort findest du auch Liebeskräuter mit aphrodisierender Wirkung.“

„Du manst, die machn geil?“

„Ihr Mannsbilder habt auch nur immer das Eine im Kopf. Bald wird es die Herbstkräuter geben und im Oktober die Wurzelkräuter. Geh doch einmal mit, dann lernst du noch etwas.“

„Na, Gundermann, Wurzlkräuter, des is nix für mich. Ich foahr etz widder ham. Helfen kann ich dir etz ja eh net.. Wenn er auftaucht, der Horst, rufst mich an. Ich schau hamwärts a numal, ob ich ihn find.“ Johann Hammer verabschiedete sich, und schwang sich draußen wieder auf den Fahrradsattel.

Als er nach knapp zwei Kilometern wieder aus dem Wald hinausfuhr und es nach Röttenbach nur noch bergab ging, erkannte er nach einer Weile die beiden Tratschtanten Kunni und Retta. Sie standen etwas abseits des Weges, ein Stück feldeinwärts, und gestikulierten heftig.

„Hallo, ihr zwei Hübschen, Ostern is fei scho vorbei. Der Osterhos kummt erscht nächstes Joahr widder.“

„Ja, do schau her“, rief die Kunni ihm entgegen, „Hanni der Hammer. Wu kummstn scho widder her, du alter Gauner? Hast dei Karpfen zählt, ob der Kormoran nu welche übrig glassn hat?“

„Kennt scho sei, kennt scho sei“, antwortete er und stieg vom Fahrrad. „Und ihr, was machtn ihr da auf dem Feld?“

„Wir schaua uns den Tatort an“, klärte ihn die Kunni auf.

„Tatort? Was mantn ihr damit?“

„Des waßt du nunni? Heit früh hams doch an Totn gfunna. Den hat sei Mörder anzundn, sacht mer. Da, wo des Gras so versengt is, muss er glegn sei.“

„Anzundn? Ermordet, sacht ihr?“ Hanni der Hammer bekam einen Riesenschreck. „Wer isn dann der Tote?“

„Des wissen wir a nu net. Des muss die Polizei ja erscht nu feststelln. Jedenfalls wars a Mo. An grüna Jägerhut aus Filz hams gfunna. Gleich da am Wech. Net weit davon entfernt, wu dei Fahrrad steht. Und a Taschnlampn.“

Johann Hammer entwich augenblicklich die Gesichtsfarbe. Er sah auf einmal leichenblass aus. „Mein Gott“, entfuhr es ihm, „des werd doch net der Horst sei.“

„Is der schlecht, Hanni?“, wollte nun die Kunni wissen. „Schaust auf amol su käsweiß aus. Was hast du grad von einem Horst gsacht?“

„Der Horst“, stammelte der Angesprochene, „der Knöllchen-Horst, der Holzmichls Bertl und ich ham gestern a weng gfeiert – grillt.“

„Und dabei gscheit gsuffn“, steuerte die Retta bei, doch ihr Kommentar verbuffte in der warmen Sommerluft.

„Jedenfalls hat sich der Horst heut früh, so umera dreia werds gwen sei, zu Fuß aufn Hamwech nach Neuhaus gmacht. Durchn finstern Wald?, ham wir, der Bertl und ich, nu gsacht. Des macht nix, mant der Horst drauf, ich hab mei Taschnlampn dabei, und außerdem, bis ich daham bin, bin ich widder nüchtern. Mei beige Jeansjackn habbin nu aufdrängt, dem Horst, weils ganz sche frisch war, heit Nacht, und mein grüna Filz … Mein Gott, wenn des der Jäschkes Horst is, … ich werd mir doch mei Leben lang Vorwürf machen, dass ichn geh hab lassen, den Horst.“

6

„Sandra, ich bins, die Kunni“, meldete sich Kunigunde Holzmann am Telefon.

„Ja hallo, Tante Kunni, wie geht’s dir denn? So eine Überraschung. Willst du deinen Neffen sprechen? Der ist gerade beim Chef. Du hast bestimmt mitbekommen, was bei euch am Wochenende passiert ist. Der Gerald und unser Chef beraten gerade, wie wir am schnellsten die Identität des Toten herausfinden können.“

„Deswegn ruf ich ja o, Sandra. Mitn Gerald wollt ich net sprechen, aber mit dir. Was hatn der Tote oghabt? Waßt du des?“

„Eine beige Jeansjacke, ein hellbraunes, kurzärmliges T-Shirt und eine normale Jeans“, antwortete die Polizistin. „Außerdem haben unsere Kollegen noch einen grünen Filzhut und eine Taschenlampe in einem Graben gefunden.“

„Dann gehst hie zu eiern Chef und zum Gerald und sagst den beiden an schena Gruß vo mir. Sagst bei dem Totn handelt es sich um den Horst Jäschke. Ich tät euch raten nach Neuhaus zu fahrn und die Hanna Jäschke zu besuchn, die vermisst nämli seit gestern ihrn Mo. Ob die den bei der Polizei scho als abgängich gmeldet hat, waß ich net. Solltet ihr da hinfahrn und der Hanna ihr Mo des Mordopfer sei, könnt ihr ja gleich a DNA-Probn mitnehma. Ich man a Zahnberschtla wird er wohl ham, der Horst. Und noch was: die Jackn und den Hut, welche der Tote tragn hat, die ghörn dem Johann Hammer in Röttenbach, in der Jahnstraß. Ich denk die Informationa sparn eich an Haufen Ärwert ei. Im Gegenzug – wenn die Ergebnisse vo der Leichenschau vorliegen – möchte ich gern wissen, wie der Horst Jäschke umkumma is. Kannst ja dem Gerald ausrichten, dass er sich net widder so bled anstellen soll wie beim letztn Mal und mana, er könnt den Fall alla lösn. Es wär besser, wir würdn desmal von vornherein zammärwern.“

„Tante Kunni, du bist wie immer, ein Schatz. Woher weißt du denn das alles?“

„Des kann ich eich später a nu erzähln. Machs gut, Sandra. Und der Gerald soll sich des gut überlegn, gell.“

*

Margot Segmeier, Vereinspräsidentin des Vereins Ferienregion Aischgrund e. V., geht in einer wahren Begeisterung in ihrem Job auf. Schlechte Nachrichten aus der lokalen Presse gefallen ihr gar nicht, besonders wenn das Zugpferd der Region, der Aischgründer Spiegelkarpfen für solche Negativmeldungen sorgt. In den letzten Tagen gab es zu viele schlechte Meldungen. Zuerst fuhr dieser Idiot von einem Genossenschaftspräsidenten besoffen Amok und hätte fast einen Polizeibeamten über den Haufen gefahren, und dann auch noch ein Mord an einem Neuhauser Teichwirt. Das Schicksal des toten Karpfenzüchters war ihr persönlich egal, aber was der Mord für die Sicherheit der Region bedeutete … Wenn sich das bei potentiellen Feriengästen herumspricht. Eine Katastrophe. Der Aischgrund, eine unsichere Region! Nicht auszudenken. Margot Segmeier war vor zehn Jahren aus Paderborn ins Fränkische zugezogen. Sie hatte sich in einen Franken verliebt und ihn schließlich auch geheiratet. Zuerst dachte sie, sie könnte ihren Mann Peter dazu bewegen sich in ihrer Heimatstadt niederzulassen, aber da biss sie sich die Zähne aus. „Ja glabst du denn, ich zieh zu euch Preißn?“, hatte er immer wieder gesagt. „Wisst ihr überhaupt, was a Schäuferla oder a backener Karpfn sen? Habt ihr scho mal was davo ghert? Oder vo Blaue Zipfl?“ Schließlich gab sie nach und folgte ihm nach Adelsdorf. Dort ansässig geworden, wähnte sie sich in einem fremden Land, dessen Sprache sie weder verstand, noch daran glaubte, diese jemals erlernen zu können. Aber es war nicht nur die Sprache. Es war eine andere Welt. Was diese Franken zu gewissen Anlässen trieben, verstand sie nicht. Eine Kirmes war bei ihnen eine Kerwa. Ein furchtbares Wort. Kerwa! Bam aufstelln, Betzn raustanzn, Geger rausschlogn. Warum diese Einheimischen mit verbundenen Augen, eine lange Holzrute in der Hand, auf eine leere Heringsbüchse einschlagen, würde für sie immer ein Geheimnis bleiben. Ab und zu liefen ihr andere traumatisierte Leidensgenossen aus Wolfenbüttel, Lüdenscheid oder Norderstedt über den Weg, welche von ähnlichen Verständnisschwierigkeiten berichteten. Auch im Hause Segmeier gab es diese anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten. Sie musste sich sehr anstrengen, ihren Peter zu verstehen. Zudem er auch noch maulfaul war. Das jung vermählte Ehepaar füllte die Kommunikationslücke durch häufigen Sex aus. Dabei musste man wenigstens nicht reden. Dachte sie. Bei Peter war das anders. „Schneggerla, ich kumm“, „Hast a schens fests Ärschla“, „Passt, wacklt und hat Luft“ und auch noch andere seltsame Sätze gab er von sich, und wieder stand Margot vor ungelösten Rätseln. Nach ungefähr drei Jahren konnte Margot unterscheiden, wo welches Wort endete und das nächste begann. Verstehen konnte sie aber immer noch nichts. Sie gab nicht auf, und langsam verbuchte sie wider Erwarten die ersten Erfolge. Sie konzentrierte sich auf sogenannte Schlüsselwörter, die sie immer wieder hörte, wie Gschmarri, Allmächd, gaddzn, Schleppern, Hundskrübbl, Brunzkartler, Gwaaf oder Waggerla. Das musste offenbar ihr Vorname auf fränkisch sein. Dann kamen ihr aber doch Zweifel, als ihr Mann sie plötzlich auch als Schneggerla betitelte. Sie schloss daraus, dass es im Fränkischen immer eine Doppelbezeichnung gibt. Die Schlüsselwörter schrieb sie sich fleißig auf. Ihre Liste war bereits ellenlang. Sie machte erhebliche Fortschritte. Mit der Zeit gelang es ihr – nur mittels der Schlüsselwörter – den Inhalt einer fränkischen Unterhaltung zu fünfzig Prozent richtig abzuleiten. Natürlich erlitt sie manchmal auch gehörigen Schiffbruch. Das gehörte dazu. Wenn ihr Mann Peter zum Beispiel von seinen Gaggerli sprach, musste das doch etwas anderes sein, als wenn die Einheimischen frische Eier im Supermarkt kauften. Die Einwohner von Paderborn, ihrer Heimatstadt, mussten auf Fränkisch jedenfalls Gschwerdl heißen. Da war sie sich ziemlich sicher. Ihr Vater namens Friederich war der Fregger, und ihre Mutter, die Doris, die Dolln. Das hatte sie irgendwie von Peter gelernt, wenn er von Paderborn oder ihren Eltern sprach.

Es war eine harte Zeit des Lernens, aber heute liebt Margot Segmeier das Frankenland und ihre Arbeit abgöttisch. Vor drei Jahren wurde sie zur Vereinspräsidentin der Ferienregion Aischgrund e. V. gewählt. Ihr Mann Peter habe da mit seinen weitreichenden lokalen Beziehungen zu einflussreichen Politikern des Landkreises gewaltig mitgewirkt, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Die Aufgaben seiner Frau bestehen darin, das Karpfenland Aischgrund zu einer attraktiven Urlaubsregion aufzubauen – im Mittelpunkt der Aischgründer Spiegelkarpfen, kulinarische Spezialität und Zugpferd im Land der tausend Teiche. Böse Zungen behaupten allerdings, dass Margot nur deshalb zur Präsidentin gewählt wurde, weil sie selbst einem Aischgründer Spiegelkarpfen zum Verwechseln ähnlich sieht. „Sie hat ein Maul wie ein Karpfen“, sagen viele. „Und an Buckl hats a“. Kurz nach ihrer Wahl zur Vereinspräsidentin versuchte ein einheimischer Karpfenzüchter ihr zu erklären, dass der Aischgründer Spiegelkarpfen nur ganz wenige Schuppen habe. Als sie daraufhin antwortete: „Ach wie niedlich, ich habe gar nicht gewusst, dass der Fisch auch Haare hat“, galt sie auch als brunzdumm. Natürlich hat Margot auch Neider. „Eine Preußin als Vereinspräsidentin, des geht doch net gut.“ Doch mit neununddreißig Jahren und ihrer preußischen Hartnäckigkeit steht Margot Segmeier über den Dingen, und gute Marketing-Ideen hat sie tatsächlich.

*

Die komplette Familie saß im Wohnzimmer versammelt: Hanni der Hammer, seine Frau Jana und Tochter Chantal. Kommissar Fuchs hatte darauf bestanden. Er und Sandra Millberger wollten sich ein Gesamtbild machen. Vielleicht hatte ja doch eines der Familienmitglieder eine wichtige Beobachtung in der besagten Nacht gemacht, als Horst Jäschke erstochen wurde. „Wenn wir die Situation richtig verstehen, Frau Hammer, haben Sie letzten Samstag Ihren Mann dabei unterstützt, das Grillfest zu organisieren, beziehungsweise ihm bei der Speisenzubereitung geholfen. Kann man das so sagen?“

Ein zustimmendes „Hm“ war alles, was ihr der Kommissar entlocken konnte.

„Haben Sie an dem Abendessen teilgenommen?“

„Mhmh“, und ein dazugehöriges Kopfschütteln sollten eine Verneinung bedeuten.

„Etz Kreiz nochamol, Jana“ fuhr ihr Mann dazwischen, „etz mach halt amol dei Schleppern auf! Was solln der Kommissar mit Hm und Mhmh ofanga?“ Jana Hammer zuckte bei den scharfen Worten ihres Mannes zusammen.

„Schrei doch die Mama nicht so an“, ging Chantal Hammer dazwischen und sah ihren Vater mit wütenden Augen an.

Sandra Millberger erkannte sofort, dass in dieser Familie jegliche Harmonie fehlte. „Das ist eine, am täglichen Leben zerbrochene Frau. Kein Wunder, bei der Ehe mit diesem Mann, und die Tochter hasst ihren Vater“, ging es ihr durch den Kopf. Jana Hammer saß mit auf den Oberschenkeln aufgelegten Armen auf dem Sofa, die Blicke auf einen imaginären Punkt auf dem Fußboden gerichtet. Die Augen der Polizistin wanderten durchs Zimmer. Ein riesiges Holzkreuz mit dem gekreuzigten Jesus hing an der Wand. In einem kleinen Porzellanschälchen lag ein wertvoller Rosenkranz aus Jade, gleich daneben ein Gebetbuch in einem weißen, ledernen Umschlag. „Sie ist bestimmt eine überzeugte Katholikin“, war sich Sandra Millberger sicher.

„Haben Sie irgendetwas Auffälliges bemerkt?“, bohrte ihr Chef weiter.

Jana Hammer hatte die Frage gar nicht richtig registriert. Erst als ihr Mann sie anstieß, besann sie sich. „Na“, antwortete sie mit feiner, brüchiger Stimme, „ich bin um halba neina vo die Fürbitten ham kumma. Dann hab ich den Fernseher eigschaltn. Wenn Sie mich aber fragn, welche Sendung ich angschaut hab, dann kann ich Ihna des gar net amol sagn. Mei Mann und seine Gschäftsfreund warn da am Feiern. Jedenfalls hab ich ihre Stimmen ausm Gartn ghört. So ummera dreiundzwanzig Uhr bin ich dann ins Bett ganga. Wie lang die Männer zamm warn, waß ich net. Da hab ich schon längst gschlafn. Am nächstn Morgen ham mich dann Martinshörner gweckt. Der Lärm muss vo der Schulstraß kumma sei. Ich hab aber ka Ahnung ghabt, was da gschehn is.“

„Wann haben Sie Ihren Mann tags zuvor das letzte Mal gesehen?“, wollte Sandra Millberger wissen.

„Am Samstag?“

„Genau.“

„Des war, als seine Gäst kumma sen. Jedenfalls, als mei Mann den grüna Salat aus der Küchn gholt hat, war ich schon weg. Der Gottesdienst is ja a um viertl achta anganga. Wir ham es ja net weit, zum Gotteshaus von St. Mauritius. Wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben. Selig jene, die sich in deinem heiligsten Willen finden, denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun. Des is der Sonnengesang des heiligen Franziskus“, murmelte sie noch, dann klinkte sie sich aus dem Gespräch aus und starrte wieder auf den nicht vorhandenen Punkt auf dem Fußboden.

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Žanrid ja sildid
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22 detsember 2023
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9783960081081
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