Loe raamatut: «Der Letzte macht das Licht aus?»
Wunibald Müller
Der Letzte macht das Licht aus?
WUNIBALD MÜLLER
Der Letzte macht
das Licht aus?
Lust auf morgen in der Kirche – eine Ermutigung
echter
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
1. Auflage 2017
© 2017 Echter Verlag GmbH, Würzburg
Umschlag: wunderlichundweigand.de (Foto: gettyone)
Satz: Hain-Team (www.hain-team.de)
eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim (www.brocom.de)
ISBN
978-3-429-04392-6
978-3-429-04934-8 (PDF)
978-3-429-06354-2 (ePub)
Inhalt
Vorwort
I. TEIL
1. Kapitel: Der Letzte macht das Licht aus
2. Kapitel: Dazu stehen: Wir befinden uns in einer Krise
3. Kapitel: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Licht sehen wir das Licht“ (Psalm 36,10)
II. TEIL
4. Kapitel: Lust auf morgen – eine Ermutigung wider die Angst
5. Kapitel: Ein Glaube, der uns vertrauensvoll über das Wasser gehen lässt
6. Kapitel: „Seht, ich mache alles neu“
III. TEIL
7. Kapitel: Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten
8. Kapitel: Transparent sein
9. Kapitel: Wahrhaftig leben heißt, zu unserer Menschlichkeit stehen
IV. TEIL
10. Kapitel: Ego-Kirche und Selbst-Kirche
11. Kapitel: Wenn Ego-Kirche und Selbst-Kirche miteinander tanzen
12. Kapitel: Gott innerhalb und außerhalb der Kirche entdecken
Epilog
Literatur
Vorwort
Ich habe in den vergangenen 25 Jahren als Leiter des Recollectio-Hauses kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht nur von außen, sondern auch von innen kennenlernen dürfen und bin auf diese Weise auch mit innerkirchlichem Leben und seiner Wirklichkeit, die sich nicht selten von dem äußeren Schein unterscheidet, vertraut geworden.
Auf diesem Hintergrund will ich einige spirituell und psychologisch ausgerichtete Anregungen machen, wie die Kirche mit der augenblicklichen Situation umgehen kann, vor allem aber auch, wie die Mitglieder der Kirche, die kirchlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen psychologisch und spirituell damit zurechtkommen können. Ich kann keine Rezepte anbieten, auch keine scharfsinnigen Analysen vortragen, gar Lösungen anbieten, wie es angesichts dieser Situation weitergeht oder weitergehen könnte. Ich will Mut machen, die Wirklichkeit nicht auszublenden, sondern sich ihr schonungslos zu stellen, ohne sich von ihr total herunterziehen zu lassen. Denn es gibt auch nach wie vor viel Schönes, das uns aufbaut, wenn wir einen Blick dafür haben oder uns den Blick dafür bewahrt haben. Bis dahin, dass wir vielleicht sogar, wenn wir genau hinschauen, sehen und entdecken, was wir bisher übersehen haben, weil wir uns von einem falschen Licht haben blenden lassen.
Während ich das schreibe, taucht ein Traum aus der vergangenen Nacht in mir auf. Ein Priester fragt mich, ich glaube, es ist sogar der Regens eines Priesterseminars, ob wir denn damit rechnen können, in Zukunft überhaupt noch Priester zu haben, und ich antworte und ich weiß nicht, woher ich diese Zuversicht nehme, dass ich fest daran glaube. Es ist eine Gewissheit, die sich nicht an den Realitäten festmachen lässt, sondern die aus einer anderen Quelle gespeist wird. Diese Quelle, die man auch als Glaube oder Hoffnung bezeichnen kann, die uns das Evangelium schenkt und von der wir uns nicht abbringen lassen (vgl. Kol 1,23), ist mehr denn je gefragt, wenn man Ausschau danach hält, wie es in der Kirche weitergehen soll. Sie kann eine hilfreiche Quelle sein, wenn man sie nicht dazu benutzt, die Wirklichkeit zu beschönigen, notwendigen Veränderungen aus dem Weg zu gehen und Luftschlösser zu bauen oder es sich dort gemütlich zu machen. Wir benötigen sie, um mit ihrer Hilfe das anzugehen, was wir angehen müssen, um dem wieder näherzukommen, worum es uns, worum es der Kirche letztendlich geht.
Da das, was und worüber ich schreibe, mich selbst als Christ und Katholik betrifft, der sich viel in der Kirche engagiert hat, kann ich nicht nur aus einer vornehmen Distanz heraus darüber schreiben. Vielmehr muss ich und will ich das als Betroffener entsprechend engagiert angehen. Ich will ja mit meinen Ausführungen auch dazu beitragen, dass es weitergeht mit der Kirche, das grundsätzliche Potenzial, das sie hat, genutzt wird, vielleicht sogar ausgelöst durch die Krise, in der sie sich befindet, noch besser als das bisher geschehen ist.
Die Überlegungen, die ich hier vorstelle, habe ich zum Teil das erste Mal auf Einladung des damaligen Bischofsadministrators der Diözese Limburg, Weihbischof Grothe, und des Personalchefs der Diözese, Georg Franz, vor den Priestern und Diakonen der Diözese Limburg und auf Einladung von Stadtdekan Johannes zu Eltz vor kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Stadtdekanats Frankfurt vorgetragen. Ihnen verdanke ich auch den Titel des Buches. Mein Dank geht auch an Heribert Handwerk, der mich dazu ermutigt hat, die Überlegungen weiter auszuführen und in Buchform zu bringen.
Wunibald Müller
I. TEIL
1. Kapitel
Der Letzte macht das Licht aus
Die alte Kirche verabschiedet sich
Der inzwischen 80-jährige kirchliche Würdenträger bleibt mit einer Selbstverständlichkeit in seinem Bischofshaus wohnen, auch wenn er nicht länger aktiver Bischof ist. Alle um ihn herum wundern sich, viele empören sich und sind entsetzt. Doch er scheint es nicht zu merken. So sehr hat das Anspruchsdenken, das er von seinem Amt herleitet, von ihm Besitz ergriffen. Er ist nicht länger in der Lage, sich auf die gleiche Ebene mit den anderen zu stellen. Der spirituellen Herausforderung, die für ihn darin bestehen könnte, sich zurückzuziehen, loszulassen, endlich den Weg nach innen anzutreten, stellt er sich offensichtlich nicht. Dabei hat er sich große Verdienste erworben, auf die er dankbar zurückblicken kann. Die Vollendung seines Lebens, so mein Eindruck, würde für ihn darin bestehen, sich jetzt von der inneren Sonne wärmen zu lassen und nicht länger von der äußeren, die ihm nicht geben wird, was er vielleicht immer noch von ihr erwartet.
Was mich erschreckt, ist, wie leicht man sich anscheinend selbst etwas vormachen kann. Da ist es dann auch nicht man selbst, der die Entscheidung trifft, weiterhin im Bischofshaus zu wohnen, sondern das Domkapitel. „Ohne mein Zutun“, so sagt er, tut er das. Als müsste man ihn deswegen fast bedauern. Auch sei er natürlich nur aus Pflichtbewusstsein Bischof geworden und nur auf Bitten des Papstes mit 75 nicht zurückgetreten. Warum kann er nicht dazu stehen, dass natürlich auch er genau das wollte. Er gekränkt war, dass er nicht in einer größeren Bischofsstadt Bischof geworden war. Er tödlich beleidigt gewesen wäre, hätte der Papst ihn nicht gebeten, mit 75 weiterzumachen. Er über einen sehr ausgeprägten Ehrgeiz verfügt und durchaus auch autoritäre und klerikale Züge bei sich kennt.
Ich schwanke zwischen innerer Empörung und Traurigkeit. Empörung steigt in mir auf, weil hier jemand sein Amt, aber auch seine Popularität missbraucht, um sich Vorteile daraus zu erwerben, dies aber vehement abstreiten würde, würde man ihm das so sagen. Er offensichtlich nicht (mehr) spürt, wie unglaubwürdig er wird. Wie er wohl auch vorher nicht mehr mitbekommen hat, wie viele in seiner Diözese auf diesen Augenblick gewartet haben, dass endlich ein neuer Bischof kommt, der dann auch wirklich in der Diözese anwesend ist, der nicht ständig zu spät kommt, der nicht Versprechungen macht, die er nicht einhält, der alles besser weiß, der Probleme einfach weglacht. Das alles darf sein und ist menschlich. Entscheidend ist, dass es mir bewusst ist und ich dazu stehe.
Traurig bin ich, weil ich diesen Bischof sehr schätze. Er sich wirklich hingegeben hat und auch durch Rückschläge sich nicht hat entmutigen lassen, Reformen in der Kirche voranzutreiben. Auch hat er immer den konkreten Menschen im Blick gehabt, hat sich fair gegenüber kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verhalten, die in Schwierigkeiten geraten sind, weil sie sich nicht entsprechend den kirchlichen Normen verhalten haben. Es macht mich traurig, dass ein Amt jemanden so entstellen und blind für die eigenen dunklen Flecken machen kann. Er sagte einmal, das Amt eines Bischofs mache einen auch demütig. Davon spüre ich bei ihm wenig.
„Von nun an geht’s bergab“
Für mich ist dieser Bischof ein Beispiel für eine Kirche, ein Verständnis von Kirche und Leitung in der Kirche, die zunehmend der Vergangenheit angehören. Er wirkt wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, in der die Kirche noch etwas darstellte, da und dort gar noch als ecclesia triumphans glänzen konnte. Diese Zeit ist vorbei, und es ist gut, dass sie vorbei ist. Aber auch gesamtgesellschaftlich spielen die großen Kirchen eine immer geringere Rolle. Darüber kann auch ihre äußere Präsenz in Form von kirchlichen Gebäuden oder medialen Großereignissen, wenn ein Papstbesuch ansteht, nicht hinwegtäuschen.
Vor einiger Zeit besuchte ich an einem hohen kirchlichen Festtag den Vespergottesdienst in einer Klosterkirche. Knapp 20 Gottesdienstbesucher waren anwesend. Dann zogen feierlich die Mönche ein, am Schluss der Abt mit Mitra und goldbesetztem Abtsstab. Bei mir löste das gemischte Gefühle aus. Ja, warum nicht feierlich und getragen? Doch es kam mir auch vor wie ein Geschehen aus einer anderen Welt oder eine Art Puppenspiel. Vor allem aber erinnerte es mich an eine Kirche, die etwas darstellte, es auch verstand, etwas darzustellen, die Einfluss und Macht hatte, von der heute aber nur noch Relikte übriggeblieben sind.
Diese Kirche befindet sich im rasanten Absturz. Man muss es so klar sagen, will man nicht länger den Kopf in den Sand stecken. „Von nun an geht’s bergab“, heißt es in einem Schlager von Hildegard Knef, den die Älteren vielleicht noch kennen. Genau das trifft auf die Kirche zu. Ich begegne zunehmend einer Kirche, die morsch, hinfällig, einsturzgefährdet ist. Sie erinnert an ein krankes System, das dabei ist, einzustürzen trotz vielfältiger Versuche, es mit immer neuen Stützvorrichtungen davor zu bewahren.
Angesichts dieser Situation mutet es mich eigenartig an, mitzubekommen, wie die Leitungen in den Diözesen immer schneller neue Planungen vorlegen, wie dieser Trend gestoppt werden, wie auf ihn reagiert werden kann. Doch noch ehe die darin geforderten Veränderungen durchgeführt werden können, sind diese Planungen schon zur Makulatur geworden, also zu etwas, das nur noch für den Papierkorb taugt, und man sieht sich gezwungen, wieder neue Überlegungen anzustellen, um der Misere begegnen zu können.
Manche mögen das, was ich hier sage, nicht gerne hören. Ich erinnere mich an einen Vortrag, den ich für kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in einer großen bayerischen Diözese hielt. Viele stimmten mir zu, dass die Kirche sich in einer großen Krise befindet. Andere wieder verwiesen auf ihre Erfahrungen in ihren Gemeinden, in denen der Gottesdienst weiterhin gut besucht ist, und auch ein reges Gemeindeleben herrscht. Das ist natürlich schön und soll nicht schlechtgeredet werden. Auch kann sich darin vielleicht zeigen, wie Kirche vor Ort aussieht oder aussehen wird, die eine Chance hat, auch in Zukunft am Leben zu bleiben. Zugleich kann es aber auch sein, dass dort, wo es jetzt um das Gemeindeleben noch einigermaßen gut bestellt ist, der Zerfall einfach nur langsamer vonstattengeht, Traditionen, die anderswo längst schon obsolet geworden sind, sich hier – noch – als robuster erweisen.
Der Wirklichkeit ins Gesicht sehen
Wenn wir uns nichts vormachen und genauer hinschauen, wie dramatisch sich in den letzten Jahren die Gesamtsituation der Kirche verändert hat, dann muss man den Eindruck gewinnen, dass in der katholischen Kirche so langsam die Lichter ausgehen. Jüngstes Beispiel: die Zahlen der Priesterweihen in Deutschland im Jahr 2016. Sie bewegen sich, ohne dass man anscheinend etwas dagegen machen kann, in Richtung null. Wer der Wirklichkeit ins Gesicht sieht, der muss zur Kenntnis nehmen, dass selbst an Weihnachten die Gotteshäuser sich nicht mehr füllen, überhaupt die Zahl der Gottesdienstbesucher am Sonntag auch in der katholischen Kirche immer mehr auf die Größe zusammenschrumpft, wie man es in der Regel von den Protestanten her kannte.
Jeder Seelsorger, jede Seelsorgerin wird zahllose Beispiele aus seinem/ihrem Erfahrungsbereich nennen können, bei denen sie die Erfahrung machen, dass so langsam die Lichter ausgehen, das Interesse an Gott, an Kirche, an ihrer Arbeit gegen null geht. Was der Münsteraner Priester Thomas Frings, der sich vorerst von seiner Diözese verabschiedet und in ein Kloster zurückgezogen hat, in seinem Aufruf „Kurskorrektur“ schreibt, bringt vieles auf den Punkt, was in der Kirche und in der Seelsorge im Argen liegt. Mit dem, was er sagt, spricht er vielen Seelsorgern aus dem Herzen. Sie haben wie er längst die Hoffnung aufgegeben, dass die Saat, die sie gesät haben, einmal aufgeht. Sie haben den Glauben verloren, dass der Weg, den sie als Gemeindeseelsorger einst mit Freude und Engagement gegangen sind, in die Zukunft weist.
Viele dieser Seelsorger stehen im Unterschied zu Pfarrer Frings – noch! – als „Verfügungsmasse“ einer Kirche bereit, „die auf allen Ebenen mehr an ihrer Vergangenheit arbeitet als an ihrer Zukunft“. Sie tun ihren Dienst, aber nicht wenigen unter ihnen ist ihr Herz schon lange nicht mehr so beteiligt, wie das einmal der Fall war. Sie bedienen äußerlich die Tradition, die Erwartungen derer, die sich der Tradition verpflichtet fühlen, innerlich ziehen sie sich aber immer mehr zurück. Ihre Zahl nimmt nach meinen Erfahrungen zu. Da kann auch die großangelegte Seesorgestudie nicht darüber hinwegtäuschen, die den Eindruck erweckt, als sei es mit der Grundstimmung und Grundzufriedenheit unter den Seelsorgern und Seelsorgerinnen insgesamt doch ganz gut bestellt.
Ein offener Brief von elf Kölner Priestern hat ein großes öffentliches Interesse gefunden. Darin beklagen sie unter anderem, dass die Frage nach Gott bei vielen Menschen hierzulande kein Thema mehr ist, dass außerhalb der „Erstkommunion-Saison“ kaum noch Kinder und junge Familien zum Gottesdienst kommen und viele Jugendliche und Erwachsene, wenn überhaupt, nur noch punktuell am Leben unserer Gemeinden teilnehmen, obwohl sie sich gerade für junge Familien jahrzehntelang engagiert haben. Sie fordern ein Umdenken in der Pastoralplanung. Kirche muss für sie vor Ort zu finden und zu sprechen sein, die Leitung der Gemeinde gehört dahin, „wo der Kirchturm steht und die Glocken läuten“.
Wenn man das hört und beobachtet, wie vieles immer schneller verschwindet, wundert es einen nicht, wenn bei manchen so langsam das Gefühl aufkommt, dass in der Kirche das Licht ausgeht. Mich erinnert das an einen Song von Reinhard Mey, in dem er die Schließung von „Schraders Filmpalast“ beschreibt; da heißt es: „Die Türen sind verschlossen, der Schaukasten ist leer. Die Leuchtschrift ist zerschlagen. […] Die Hauswand bunt besprüht, da steht verwaschen und verblasst: Der Letzte macht das Licht aus in Schraders Filmpalast.“
Wenn man augenblicklich mitbekommt, wie viele Ordensgemeinschaften ein Haus nach dem anderen schließen, eine Gemeinschaft nach der anderen aufgelöst wird, wie viele Kirchengemeinden ihre Selbstständigkeit verlieren, wie viele Kirchen geschlossen werden, dann ist das brutale Wirklichkeit.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Kirche sich schon dem ganzen Ausmaß der Krise wirklich gestellt hat, ja wirklich bereit ist, sich ihr zu stellen, oder es doch lieber vorzieht, darüber hinwegzuschauen. Wie auch immer: Die Wirklichkeit wird sie irgendwann einholen. Manche unter denen, die in besonderer Weise in der Kirche Verantwortung haben, wissen das längst, sprechen auch offen darüber. Andere wieder wollen es nicht wahrhaben, verdrängen es, machen einfach so weiter.
2. Kapitel
Dazu stehen: Wir befinden uns in einer Krise
Die Krise annehmen
Wagen wir den Blick auf unsere kirchliche Wirklichkeit, dürfen wir uns nichts vormachen und müssen dazu stehen, dass wir uns in einer Krise befinden. Für eine Krise aber ist es typisch, dass wir verunsichert sind. Krisen können uns an den Rand unserer Möglichkeiten bringen. Sie können uns in Depression und Resignation treiben, aus der wir nicht mehr herauskommen. Das ist eine Seite von Krisen, die man nicht schönreden sollte. Krisen können sich aber auch als eine Chance erweisen. Wir merken, dass sich etwas zugespitzt hat, es so nicht weitergehen kann.
Das aber trifft auch auf die Situation zu, in der sich die katholische Kirche augenblicklich befindet. Hier hat sich mit der Zeit so manches zugespitzt, das schon länger nicht mehr gestimmt hat und wo es jetzt höchste Zeit ist, endlich Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Kirche befindet sich in einer handfesten Krise. Wie gehen wir in der Kirche damit um? Machen wir einfach so weiter wie bisher, quälen wir uns durch die Krise? Verfallen wir in Aktionismus angesichts der Krise? Resignieren wir? Oder betrachten wir die Situation als eine Chance, die wir nutzen wollen, auch, um endlich Neues, wirklich Neues, zu probieren? Wir können einfach weitermachen wie bisher, den Kopf in den Sand stecken. Wir können einfach aufgeben, resignieren oder aber uns herausfordern lassen durch die Situation.
Will die Kirche die Chance, die sich aus ihrer Krise ergibt, für sich nutzen, muss sie zunächst dazu stehen, dass sie sich in einer Krise befindet. „Was nicht angenommen ist, kann nicht geheilt werden“, wusste schon Irenäus von Lyon.
So beginnt der Heilungsprozess zunächst einmal damit, sich zuzugestehen, dass wir uns in einer Krise befinden. Wir an einem Punkt angekommen sind, an dem es nicht weitergeht. Verena Kast beschreibt das sehr treffend in dem Bild von einem dunklen Schlauch, in dem wir uns befinden und nirgends einen Ausweg sehen. Das ist eine Situation, die wir verständlicherweise oft nur sehr schwer aushalten können und der wir möglichst schnell entrinnen möchten. Doch es bleibt uns nichts anderes übrig, als sie auszuhalten.
Denn wenn wir uns in einer Krise befinden und so tun, als sei das nicht der Fall, schleppen wir uns durch die Krise, versuchen uns durch Appelle, Durchhalteparolen, Aufputschmittel jeglicher Art aktiv zu halten. Dementsprechend ist auch unsere Ausstrahlung. Wir kommen lustlos, jammernd, resigniert daher. Wir machen „unser Ding“, ziehen es durch. Von Freude, gar Begeisterung ist da nichts zu spüren.
Innehalten und sich eine Brachzeit gönnen
Oder wir suchen nach Fluchtwegen. Statt die schwierige Situation, auch die Unschlüssigkeit, die damit einhergeht, auszuhalten, ziehen wir es vor, in einen Aktionismus zu verfallen. Wir gönnen uns nicht die Zeit des Innehaltens und die Brachzeit, die wir brauchen, um wieder fruchtbar zu werden. Wir wollen uns nicht der ganzen Palette von Gefühlen aussetzen, die sich einstellen, wenn uns bewusst wird, von was wir uns verabschieden müssen, welche Verluste wir zu beklagen haben, was uns zugemutet wird. Diese Gefühle reichen von Fassungslosigkeit, Ärger und Wut bis hin zu Angst, Verzweiflung und Trauer.
Wenn wir uns in einer Krise befinden und an den toten Punkt gekommen sind, sollten wir das daher zunächst einmal als Einladung betrachten, für eine Weile innezuhalten. Wir gönnen uns eine Brachzeit, die oft die Voraussetzung dafür ist, dass wir wieder fruchtbar werden, dass der Boden für neue Ideen, die Energie für neue Unternehmungen sich regenerieren und bilden kann. Wir ruhen uns in dieser Zeit aus, schenken den Dingen, denen wir in der vergangenen Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben, unser Interesse. Wir nehmen uns vor, tiefer zu graben, um neue Quellen zu erschließen. Sind offen dafür, uns überraschen zu lassen.
Auch ist das eine Zeit, in der wir Trauerarbeit leisten müssen. Es tut weh, sich von Vertrautem verabschieden zu müssen, so überfällig es vielleicht auch ist. Es tut weh, miterleben zu müssen, wie die Kirche immer mehr an Bedeutung verliert. Es stimmt einen traurig, keine Jugendlichen mehr in den Gottesdiensten anzutreffen, es ist frustrierend, feststellen zu müssen, dass trotz großer Anstrengungen und guter Ideen die Menschen, die man gerne ansprechen wollte, offensichtlich nicht erreicht werden. Darüber sollte man nicht einfach hinweggehen. Auch hat es nichts mit Wehleidigkeit zu tun, das zu bedauern und zu beklagen. Man sollte nur nicht darin hängenbleiben, aber genau deswegen ist es wichtig, die Trauer, das Bedauern, den Frust zunächst zuzulassen.
Dann betrachten wir die Krise als eine Chance, sehen in ihr vielleicht sogar einen Fingerzeig Gottes, dass sich etwas ändern muss. Aus der Krise kann uns dann ein Segen erwachsen. Gehen wir dagegen über die Krise einfach hinweg, machen wir uns etwas vor. Vor allem aber nutzen wir nicht die Chance, die in ihr liegt. Wir investieren Kräfte in Aktionen, die am Ende verpuffen, weil wir nur die Dekoration verändern, uns dabei manchmal recht viel einfallen lassen, doch am Schluss feststellen müssen: Was darunter ist, ist geblieben und wird es so lange bleiben, bis wir den Mut aufbringen, den Schnitt zu machen, die mitunter auch radikalen Konsequenzen zu ziehen, die wir ziehen müssen, so weh es tun mag, soll wirklich Neues entstehen können. Wir beherzigen, was Martin Luther sagt: „Ist’s Gottes Werk, bleibt es besteh’n, ist’s Menschen Werk, wird es vergeh’n“.
Geht es uns um Gott oder um unsere Aufführung?
Stellen wir uns der Krise, kann uns das auch dazu führen, wenn wir bereit sind, uns ihr radikal zu stellen, dass sie uns zwingt, an die Wurzel zu gehen, was ja in dem Wort radikal, das von dem lateinischen Wort für Wurzel radix abgeleitet wird, anklingt. Wir müssen uns mit dem auseinandersetzen, worum es wirklich und eigentlich in der Kirche geht, und uns dabei auf eine schmerzhafte Wurzelbehandlung einlassen.
In seinem Bestseller „Ich bin dann mal weg“ stellt Hape Kerkeling einen Vergleich zwischen Kirche und Kinosaal her. Er schreibt: „Gott ist der Film, und die Kirche ist das Kino, in dem der Film läuft.“ Wer behaupte, ein Film sei schlecht, beklagt laut Kerkeling oft nur die miese Qualität der Vorführung. „Die Leinwand hängt leider schief, ist verknittert, vergilbt und hat Löcher. Die Lautsprecher knistern, manchmal fallen sie ganz aus.“
„Gott ist der Film und die Kirche ist das Kino.“ Geht es uns um Gott, kann die zum Teil triste Situation, die wir in der Kirche und in der Seelsorge vorfinden, dazu führen, dass wir zunächst traurig, manchmal auch verzweifelt sind, zwischendurch tatsächlich auch mal am liebsten die Flinte ins Korn werfen würden. Doch der Film läuft weiter. Mit und ohne uns. Gott lässt sich nicht ausknipsen. Oder? Wir machen doch die Existenz Gottes in unserer Welt nicht von Zahlen abhängig, von unserer Aufführung? Oder doch?
Ich glaube, das Grundproblem, das wir als Kirche haben, ist, dass wir selbst Gott erstickt haben. Das erinnert mich an Friedrich Nietzsche, der von einem Verrückten berichtet, der durch die Straßen rennt und schreit: „Ich suche Gott!“ Die Menschen lachen über ihn und fragen: „Ist er denn verloren gegangen? Fürchtet er sich vor uns? Ist er ausgewandert?“ Da richtet der Verrückte sich auf und ruft: „Wohin ist Gott? Ich will es euch sagen! Gott ist tot und wir haben ihn getötet – ihr und ich!“ Dann schweigt er und zertrümmert die Straßenbeleuchtung.
Das wahre Licht vom falschen Licht unterscheiden
In der spirituellen Begleitung hilft mir manchmal die Vorstellung von dem, was man ignis fatuus nennt, was man mit falschem Feuer übersetzen könnte. Es ist der Stern, dem die Karawane in der Wüste folgt, um irgendwann festzustellen, dass sie einem falschen Stern aufgesessen ist, sich etwas vorgemacht hat. Dabei ist es zunächst gar nicht so einfach, zu erkennen, dass es sich um ein falsches Feuer handelt, weil es leuchtet, lodert und zumindest am Anfang wärmt.
Es gibt also auch ein Feuer, es gibt ein Licht, das falsch ist. Das sich als Schein, als eine Täuschung erweist. Es wird etwas vorgegeben, was gar nicht da ist. Man sitzt dann einer Scheinwelt auf. Könnte es sein, dass uns in der Kirche oft ein Licht vorgegaukelt wurde oder auch noch vorgegaukelt wird, das in Wirklichkeit gar nicht leuchtet? Von dem wir uns haben blenden lassen und es höchste Zeit war oder höchste Zeit wird, dass dieses Licht ausgeht?
Gott verdunstet nicht
Der Letzte aber, der das Licht, das wahre Licht, das wirklich leuchtet, ausmacht, ausmachen würde, ist der, der das Licht selbst ist, in dessen Licht wir das Licht (erst) sehen. Vielleicht musste und muss in der Kirche das Licht ausgehen, weil es das eigentliche Licht verfinsterte und verfinstert. Das Licht ist weder in der Kirche noch in der Seelsorge ausgegangen und wird dort auch nicht ausgehen. Das Licht, das ausgegangen ist und ausgehen musste, kann uns jetzt nicht länger blenden, so dass wir das eigentliche Licht sehen: Gott.
Von Pierre Teilhard de Chardin wird erzählt, dass seine Mutter, als er fünf Jahre alt war, seine Locken abschnitt und sie verbrannte. Zunächst schaute der kleine Pierre voller Faszination auf jede Locke, wie sie innerhalb weniger Sekunden zu Asche verbrannte. Dann fing er plötzlich an zu weinen und lief aus dem Zimmer. Einige Tage später begann er Eisenstücke zu sammeln, da sie nicht verbrennen konnten und dem Feuer widerstehen konnten. Später, als er feststellte, dass Eisen rosten kann, verzichtete er auf seine Eisensammlung und begann stattdessen Steine zu sammeln. Für ihn waren sie unzerstörbar. Als Erwachsener versuchte Pierre Teilhard de Chardin ewige Wahrheiten zu finden, die unzerstörbar waren.
Auch wenn wir unseren Glauben in irdenen Gefäßen tragen und er zerbrechlich ist – der, an den wir glauben, ist es nicht. Ich halte von daher auch die Rede von der Gottesverdunstung für problematisch. Sie erweckt den Eindruck, Gott könnte verdunsten, wo es doch eigentlich darum geht, dass unsere Vorstellung von Gott, unsere Weise, über ihn zu denken, von ihm zu reden, ihn irgendwie einzufangen, zu fassen, sich auflöst. Vielleicht ist es genau das, was die Voraussetzung dafür ist, ihn wieder zu entdecken unter all dem, womit wir ihn entstellt und den Zugang zu ihm erschwert haben.
Gott können wir entdecken, wenn wir uns von manchen Bildern und Vorstellungen, wie Gott und wo er zu sein hat, freimachen. Dabei kann uns auch ein Verständnis von Atheismus helfen, das Atheismus nicht gleichsetzt mit Gottlosigkeit im Sinne einer Ablehnung Gottes. Er kann auch als Ablehnung einer bestimmten Art des Theismus, also einer bestimmten Vorstellung von Gott, verstanden werden. Tatsächlich gibt es ja auch Formen von Theismus, die den Menschen „auf dem Weg zu jenem Geheimnis, das wir Gott nennen, eher im Wege stehen als helfen“ (Grün, Hajik, Nonhoff 2016,18). Die Krise in der Kirche kann uns helfen, uns von solchen Bildern und Vorstellungen zu verabschieden und Gott für uns neu zu entdecken.
Tasuta katkend on lõppenud.