Menschenspuren im Wald

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Menschenspuren im Wald
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Peter Wohlleben

Menschenspuren

im Wald

Ein Waldführer der besonderen Art

erkennen • verstehen • einmischen


Wie geht's dem Wald?

Echte Natur oder Plantagenwirtschaft: Förster Peter Wohlleben lädt zur Fährtensuche in unsere heimischen Wälder ein und schärft den Blick für menschengemachte Spuren. Wer dem Baumfreund dabei auf Waldwege und Rückegassen folgt, beginnt rasch, Bäume und ihren Zustand genauer zu betrachten, Holzstapel oder Reisighaufen zu beurteilen und Käferfallen oder Wildkameras zu erkennen. Dabei wird klar: Der Mensch benimmt sich oft »wie die Axt im Wald«. Forstwirtschaft, Holzindustrie und Jagdverbände drücken ihre Stempel auf, und auch unsere Freizeitaktivitäten beeinflussen Tier- und Pflanzenwelt.

Die Exkursion mit dem Waldhüter führt auf federnde Wege, über verdichtete Böden, durch Fahrspuren, Matsch und Schnee. Zeigerpflanzen verraten unterwegs, wie es dem Boden und den vielfältigen Bodenorganismen geht. Totholz, Baumstümpfe und Futterstellen zeigen die Interessen der Waldbesitzer und Jagdpächter, Auf Schritt und Tritt wird dabei deutlichen, wie unsere Wälder zu Holzfabriken verkommen, wie sie natürlicherweise aussehen und wo die wahren Ursachen für das Waldsterben liegen – aber auch, was jeder Einzelne von uns tun kann, um diesem empfindlichen Ökosystem zu helfen.

Für den Wanderrucksack ausdrücklich empfohlen!


Inhalt

Cover

Titel

Wie geht’s dem Wald?

Natur von Menschenhand

Das Waldreservat – der Urwald von morgen

Kahlschlagswirtschaft: die härteste Form der Waldbewirtschaftung

Dauerwald: urwaldfern, aber kahlschlagsfrei

Plenterwald: die urwaldähnlichste Wirtschaftsform

Spuren auf dem Boden lesen

Folgen der intensiven Bodenbearbeitung

Fahrspuren schwerer Forstmaschinen

Verdichtungen in Rückegassen

Erosion des Waldbodens durch Harvester und Forwarder

Unterwegs mit 1 PS

Spuren der Vergangenheit

Was Zeigerpflanzen über die Bewirtschaftung verraten

Den Wald vor lauter Bäumen sehen

Forstwirtschaftliche Hauptbaumarten

Bäume in Reih und Glied oder lieber wild?

Wildschäden und aufwendige Abwehrmaßnahmen

Bestandespflege – ein unnötiger Zeitvertreib

Astung für makelloses Möbelholz

Durchforstung für mehr Licht im Kronendach

Waldgraffiti – Markierungen an Bäumen

Baumfällung – Spuren an Baumstümpfen

Baumschäden durch Fällung und Maschinen

Viel Sonne, wenig Bäume – der Kahlschlag

Schutzgebiet Bestattungswald

Holz am Wegesrand

Holz für Möbel, Papier oder Ofen?

Markierungen am abfuhrfertigen Holz

Wann wurde der Baum gefällt?

Reisigbündel zum Verheizen im Kraftwerk

Zeichen abseits der Bäume und Wege

Unsichtbare Insektizide und Käferfallen

Kalk am Boden und aus der Luft

Das Waldsterben und seine Ursachen

Nistkästen – fragwürdige PR-Aktion im Wald

Wege und Plätze für die Forstwirtschaft

Warnschilder und Schranken

Auf der Pirsch

Hochsitze für die Jagd

Wiesen und Äcker für das Wild

Nur eine Handvoll Mais …

Salz für das Wild

Von Romantik keine Spur

Achtung: Aufnahme

Spuren unserer Freizeitnutzung

Ärgerlich und schädlich: Rallye durch den Wald

Menschliche »Wildwechsel« und die Folgen

Ernten ohne zu säen: Pilze und Beeren sammeln

Stachelbeersträucher unter Bäumen?

Was bleibt zu tun?

Nicht verzagen, Förster fragen

Wem gehört der Wald und wer kann mitbestimmen?

Einmischen ist erlaubt

Besiegelt: über den Einkauf Einfluss nehmen

Mit Geduld ans Ziel

Der Autor

Weitere Bücher

Impressum


Wie geht’s dem Wald?

Dies ist nicht mein erstes Waldbuch, aber eines, welches mir besonders am Herzen liegt. Denn die bisher erhältlichen Bestimmungsbücher beschränken sich auf Flora und Fauna. Beschränken? Die Standardwerke enthalten Hunderte, wenn nicht Tausende von Arten und spiegeln die Fülle des Lebens in der Natur wider. Und dennoch klafft eine große Lücke, denn die meisten Spuren, die Sie draußen finden können, sind menschlichen Ursprungs. Wir leben in einer Kulturlandschaft, und das gilt auch für unsere Wälder – oder besser Forste, denn echte, unverfälschte Wälder sind in Mitteleuropa nicht mehr zu finden. Lediglich winzige Fleckchen in versteckten Alpentälern mögen noch ein wenig Ursprünglichkeit bewahrt haben, alles andere sind vom Menschen gemachte Wirtschaftswälder oder gar Plantagen.

Auch wenn ich an der aktuell praktizierten Forstwirtschaft Kritik übe, so ist das Anliegen dieses speziellen Waldführers ein ganz anderes. Er soll Sie in die Lage versetzen, zu beurteilen, warum ein Wald so aussieht, wie er aussieht, woher er kommt und welche Geheimnisse er verbirgt. Wie nötig ein solcher Ratgeber ist, zeigt ein Blick in mein E-Mail-Postfach. Immer häufiger werde ich von Bürgerinitiativen, aber auch von besorgten Einzelpersonen nach den Dingen gefragt, die sich vor der Haustür im heimischen Wald abspielen. Welche Absichten verfolgt der Eigentümer? Wird ökologisch oder konventionell bewirtschaftet? Stimmen die Aussagen, die manchmal am Waldeingang auf Schautafeln die Natürlichkeit bewerben, mit den Spuren im Inneren überein? Entsprechen die beruhigenden Worte der örtlichen Förster den Tatsachen oder soll da etwas verschwiegen werden? Mancherorts ist es umgekehrt: Was merkwürdig und verdächtig erscheint, ist vielleicht eine Maßnahme, die dem Wald zurück zur Natur verhelfen soll. Ob ich nicht einmal vorbeikommen und nachschauen könne? Das bringt mich in eine gewaltige Zwickmühle, schließlich ist auch mein Tag nur 24 Stunden lang.

 

Doch nun können Sie mich einfach im Rucksack mitnehmen, und ich erkläre Ihnen unterwegs, was es im Wald zu sehen gibt. Und da diese Spuren auf Schritt und Tritt zu beobachten sind, kann ab sofort jeder Spaziergang zu einer spannenden Entdeckungsreise werden. Dabei bereisen wir die Vergangenheit, identifizieren verschiedene Nutzergruppen, decken die Ziele der Besitzer auf und überlegen, was jeder Einzelne von uns tun kann, um diesem empfindlichen Ökosystem zu helfen.


Im Wald finden sich überall Spuren menschlichen Ursprungs. Manchmal sind sie leicht zu erkennen – weil der Mensch sich wie die Axt im Wald benimmt –, manchmal sind sie aber auch erst auf den zweiten Blick zu sehen. Genauer hinschauen lohnt sich in jedem Fall.

Natur von Menschenhand

Wenn Sie durch einen Wald wandern, dann fällt Ihnen bei genauerem Hinsehen vielleicht auf, dass er sich in kurzen Abständen im Aussehen verändert. Mal sind es jüngere, dann wieder ältere Bäume, mal Buchen, dann wieder Fichten oder Kiefern. Einige Parzellen sehen verwildert aus, andere dagegen wirken geordnet wie ein Gemüsebeet. In all diesen Unterschieden, aus den Zeichen an den Bäumen, vor allem aber aus der Struktur des Waldes lässt sich ablesen, welches Ziel dort der Eigentümer verfolgt. Soll es ein urwaldähnliches Ökosystem werden? Ist es gar ein Totalreservat (oder einfach eine vergessene Ecke)? Oder feiert hier die tot geglaubte Plantagenwirtschaft eine fröhliche Wiederkehr? Schauen wir uns beispielhafte Parzellen einmal genauer an.

Das Waldreservat – der Urwald von morgen

Dunkler, von mächtigen Kronen beschatteter Boden, dicke Stämme mit Spechthöhlen, umgestürzte Riesen – so sieht ein Urwaldreservat aus. Da hier keine Baumfällungen erlaubt sind, finden Sie in solchen Schutzgebieten auch keine glatt gesägten Stümpfe oder liegende Kronenreste, die beim Abtransport des Holzes übrig geblieben sind. Abgestorbene Bäume sowie heruntergefallene Äste vermodern in der feuchten, windstillen Atmosphäre sehr rasch, sodass es im Vergleich zu bewirtschafteten Wäldern in manchen Reservaten richtig aufgeräumt aussieht.

Kann das bloße Nichtstun ein Wirtschaftsziel sein? Dazu komme ich gleich, doch es gibt noch einen anderen Grund, diese Waldform an den Anfang zu setzen: Da es keine echten, vom Menschen völlig unbeeinflussten Wälder mehr in Mitteleuropa gibt, stellt das Reservat die naturnächste Waldform und damit einen Referenzwert für die ökologische Waldwirtschaft dar. Hier lassen sich ungestörte Prozesse vom Werden und Vergehen beobachten, hier haben die letzten Urwaldarten ein Refugium. Wie sehr Forstwirtschaft dieses Ökosystem verändert, lässt sich nur durch vergleichende Forschung herausfinden, und das ist der besondere Wert dieser Schutzgebiete. Wenn im Folgenden andere Wirtschaftsformen vorgestellt werden, dann können Sie diese vor Ihrem geistigen Auge neben die Reservate stellen und sehen, wie sehr sie von der Natur entfernt sind.


Wo der Mensch nicht eingreift, finden unzählige Pflanzen- und Tierarten geeignete Lebensräume.

Waldreservate funktionieren wie Urwälder. Sie lagern etwa zehn Tonnen Biomasse pro Jahr und Hektar in Form von lebenden und toten Bäumen sowie Humus ein. Ein Teil dieses Materials wird wieder von Pilzen und Bakterien gefressen und veratmet, doch die Hälfte verbleibt dauerhaft im Ökosystem. So bindet der Wald nach Jahrhunderten über 150 000 Tonnen Kohlendioxid pro Quadratkilometer. Die lebende und tote organische Substanz ist voller Wasser, welches an heißen Tagen an die Luft abgegeben wird und diese deutlich kühlt. Zudem haben die Bäume selbst in Trockenperioden immer Zugang zu genügend Feuchtigkeit für ihre Wurzeln. Viele Tierarten sind auf solch konstante Bedingungen angewiesen. Laufkäfer des Urwalds etwa brauchen eine bestimmte Luftfeuchtigkeit. Werden auch nur einzelne Bäume gefällt, so wird die Luft etwas trockener und die Käfer verschwinden. Selbst die Zusammensetzung der Spinnenarten verändert sich in dem Augenblick, wenn Holz geerntet wird. Die nachgelagerte Nahrungskette der Vögel und Säugetiere beeinträchtigt dies zwangsläufig auch – wie genau, das ist noch nicht erforscht.

Neben der Artenvielfalt geht es aber auch um die Bäume selbst. Von Natur aus wachsen die jungen im Dämmerlicht unter den Kronen der ausgewachsenen Exemplare jährlich nur wenige Millimeter. Ein zwei Meter hoher Baum kann durchaus schon 100 Jahre alt sein, und diese Langsamkeit ist das Geheimnis, warum diese Wesen so lange leben können. Nur bei einem extrem gebremsten Jugendwachstum können sie später ein Alter von mehreren Hundert Jahren erreichen. Das Holz wird dicht und zäh und ist widerstandsfähig gegen Pilzbefall. Zudem bleibt stets genug Energie übrig, um sich gegen Parasiten zu wehren und eine heftige Krankheit zu überstehen. Solche Geruhsamkeit und solche Bedacht sind in Wirtschaftswäldern gar nicht gefragt und auch schädlich für die Rendite. Wer will schon nach 100 Jahren nur bleistiftdicke Stämme ernten? Wo Bäume bereits nach 80 Jahren ins Sägewerk wandern sollen, legt man auf diese Prozesse keinen Wert. Für die Tierarten, die Buchen oder Eichen erst ab Baumalter 200 besiedeln können, sieht die Sache schon ganz anders aus. Der Mittelspecht etwa benötigt solche alten Recken, hat in forstwirtschaftlichen Fragen aber leider kein Mitspracherecht. Dabei lassen sich Reservate auch anderweitig nutzen, wovon ich ab Seite 85 noch erzählen werde.


Jeder Knoten am Zweig steht für ein Lebensjahr.

Kahlschlagswirtschaft: die härteste Form der Waldbewirtschaftung

Haben Sie schon mal einen Wald von oben gesehen? Auf Luftbildkarten im Internet sieht er oft wie ein Flickenteppich aus. Und auch vom Waldweg aus scheinen die Grenzen zwischen den verschiedenen Parzellen häufig wie mit dem Lineal gezogen zu sein. Fein abgegrenzt wachsen hier die Baumarten, oft je Teilstück nur eine einzige in einheitlichem Baumalter. Solche Wälder stammen aus den Zeiten der Kahlschlagswirtschaft, die gerade leider wieder auflebt. Sie ist die Methode der Wahl für Kontrollfanatiker und stammt aus Zeiten, in denen der Wald völlig ausgeplündert war und wieder aufgebaut werden sollte (siehe Foto auf Seite 15).

Kahlschläge, um die Wälder vor Ausplünderung zu bewahren? Was schizophren klingt, war damals übliche Praxis. Ein Beispiel: Ein Forstbetrieb wirtschaftet mit Fichten. Seine Fläche beträgt 100 Hektar (= ein Quadratkilometer), die Bäume erntet er nach 100 Jahren Wachstum. Im Idealfall entspricht jeder einzelne Hektar einem Jahrgang. Wenn er nun jedes Jahr den ältesten Hektar Fichten kahl schlägt und diese Fläche wieder aufforstet, dann ist dies in Bezug nur auf die Holzmenge exakt nachhaltig. Die übrigen 99 Hektar wachsen weiter vor sich hin, im kommenden Jahr ist das nächste Feld dran. So eine Wirtschaftsweise lässt sich einfach kontrollieren, und der Fachbegriff dafür lautet »Altersklassenwald«, weil jeder Jahrgang an Bäumen fein säuberlich getrennt von den anderen aufwächst.

Hier trennt eine schmale Fichtenparzelle zwei Kahlschläge. Die Bäume sind alle gleich alt.

Abgesehen von der Kontrolle hat das Modell aber nur Nachteile. Mit einem funktionierenden Waldökosystem hat so eine Plantage nichts mehr zu tun, eher schon mit einem überdimensionalen Maisfeld. Ein bis drei Baumarten, alle gleich dick (oder besser dünn), gleich hoch, gleich jung – da gibt es für die meisten heimischen Tierarten, die auf alte Bäume und viel Totholz angewiesen sind, wenig zu holen. Dazu passt die industrielle Ernte der Stämme mit Großmaschinen, und auch in Bezug auf Spritzmittel trifft der Vergleich mit der Landwirtschaft zu. Die riesigen Monokulturen sind anfällig gegen Fraß der Raupen einiger weniger Schmetterlingsarten, weshalb in jedem Sommer Hunderte von Quadratkilometern mit Insektiziden besprüht werden – Tendenz steigend.

Im Laufe der Zeit hat sich zwar die optimale Quadratform verändert, aber noch immer ist der Wald in sichtbare Altersklassen aufgeteilt.

Nach einem Kahlschlag liegt der Waldboden in der prallen Sonne und erwärmt sich stark. Dadurch werden Pilze und Bakterien besonders aktiv und bauen innerhalb weniger Jahre den größten Teil des Humus ab. Wie ein Strohfeuer verpuffen die Nährstoffe, die kurzfristig zu einem starken Wachstum von Stickstoffzeigern wie Brombeeren oder Brennnesseln führen. Das führt zu einem geringeren Holzzuwachs des künftigen Walds, der zudem noch unter Wassermangel leiden wird: Humus ist ein enorm wichtiger Speicher für Feuchtigkeit. Selbst wenn die Fläche eines Tages wieder von Bäumen bedeckt ist, dauert es bis zu 500 Jahre, bis der Humusvorrat wieder annähernd aufgefüllt ist. Doch bis dahin wurde die Fläche ja fünfmal kahl geschlagen …


Nach dem Kahlschlag begünstigt das Strohfeuer der Nährstoffe das Wachstum der Brombeeren.

Leider wird diese Praxis bis heute ausgeübt. Zwar ist die Kahlschlagsgröße in vielen Bundesländern beschränkt, doch statt diese harten Eingriffe ganz zu verbieten, setzt man auf die Einsichtsfähigkeit der Besitzer. Und selbst wenn diese rücksichtsvoll sind, holen die Sünden der Vergangenheit sie oft ein. Gerade Nadelholzplantagen sind extrem anfällig für Stürme, sodass rund 50 Prozent dieser Hölzer durch »Naturkatastrophen« anfallen. Und ob ein Sturm oder der Besitzer eine Kahlfläche verursacht, ist in den Auswirkungen für die Natur völlig egal. Helfen würde eine Rückkehr zu heimischen Waldgesellschaften, die überwiegend aus stabilen Laubbäumen wie Buche oder Eiche bestehen. Das Ganze dann als Plenterwald bewirtschaftet, wo urwaldähnlich alle Altersgruppen an Bäumen innig gemischt und kahlschlagsfrei wachsen, und Mensch und Natur könnten wirklich zufrieden sein.

Dauerwald: urwaldfern, aber kahlschlagsfrei

Neulich habe ich in einem Naturschutzgebiet am Oberlauf der Ahr etwas beobachtet, was es überall im deutschsprachigen Raum zu sehen gibt. Dort wurde zunächst der alte Buchenwald stark aufgelichtet. So etwas nennt man Schirmhieb, weil zwar rund die Hälfte aller Stämme gefällt wird, die andere Hälfte aber noch einige Jahre als Schattenspender stehen bleibt. Unter den großen Buchen kommen Sämlinge auf, die durch den starken Lichteinfall rasch emporwachsen. Sind sie deutlich über kniehoch, dann ist die letzte Stunde der Altbäume gekommen. Sie werden in ein bis zwei Durchgängen fast völlig entfernt. Als winziges Zugeständnis an den Naturschutz bleiben ein paar »Ewigkeitsbäume« stehen, die sich allerdings wegen des rapide ändernden Kleinklimas innerhalb weniger Jahrzehnte verabschieden. Ökologisch unterscheidet sich solch ein Kahlschlag von der ersten beschrieben Variante durch nichts. Alle Tierarten, die auf alte Bäume angewiesen sind, verschwinden. Das Kleinklima ändert sich, der Humus wird abgebaut, die Langzeitfolgen sind dramatisch. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die kniehohen Buchensämlinge gelten als Wald im Sinne des Gesetzes. Förster und Waldbesitzer, die so arbeiten, dürfen also ohne rot zu werden behaupten, sie arbeiteten kahlschlagsfrei.

 

Der Schirmhieb ist ein Kahlschlag auf Raten.

In der prallen Sonne sterben die letzten Altbuchen langsam, aber sicher ab.

Das Wort »Kahlschlag« mag heute kaum noch jemand in den Mund nehmen. Zu viele Menschen sind gut informiert und wissen, dass so etwas nicht ökologisch ist. Und da manch ein Forstbetrieb trotz starker Holznutzungen weiterhin als Vorreiter in Sachen Naturschutz gelten will, wurde ein wenig Wortkosmetik betrieben. »Dauerwald« nennt sich die Wirtschaftsform, die ganz ohne Kahlschläge auskommen möchte. In den Anfängen zu Beginn des letzten Jahrhunderts war das durchaus ehrlich gemeint. Die Vorreiter der ökologischen Waldwirtschaft, später zur »Arbeitsgemeinschaft naturgemäße Waldwirtschaft« zusammengeschlossen, meinten damit einen Wald, in dem schonend immer nur einzelne Stämme geerntet werden durften. Der Boden sollte gesunden, das artenreiche Tierleben zu seiner Entfaltung gelangen.

Doch heute wird der Begriff zunehmend für verdeckte Kahlschläge missbraucht. Und diese funktionieren über »Z-Bäume« (Zukunfts-Bäume). Das sind besonders gerade Exemplare mit makellosen Stämmen, die von den Förstern dauerhaft mit Farbe markiert werden (siehe Foto auf Seite 21). Diese Elite wird von nun an bei jeder Durchforstung kräftig gefördert, indem jeweils ein bis zwei Nachbarn entfernt werden. So können die Z-Bäume eine große Krone ausbilden und besonders viel Holz bilden. Bei 50 bis 100 Stück pro Hektar, die so gefördert werden, kommt irgendwann der Tag X: Dann sind alle Nachbarn gefällt, und die Auserwählten sind unter sich. Alle etwa gleich dick, gleich schön, gleich alt und gleich groß – das ist ein uniformer Wald, der sich gut zu Geld machen lässt. Und weil alle Bäume gleichzeitig ihr optimales Erntealter erreichen, werden innerhalb weniger Jahre auch alle gefällt. Hat sich durch die permanente Auflichtung schon ein wenig Nachwuchs angesiedelt, dann zählt dies wie zuvor beschrieben als Schirmhieb und damit offiziell als ökologisch nachhaltig. Wehe jedoch, Stürme oder Borkenkäfer vergreifen sich an den Auslesebäumen und bringen ihnen den Tod! Da die weniger attraktiven Stämme meist schon entfernt wurden, kann nun nicht auf Ersatzkandidaten umgesattelt werden, wodurch lokal kleine Löcher im Wald entstehen, die sich so schnell nicht wieder schließen.


Dauerwald heißt: Wirtschaften ohne Kahlschlag. Anfangs war das auch wirklich so.


Naturnahe Forstwirtschaft in einem Naturschutzgebiet in der Eifel.

Am Rande sei vermerkt, dass Betriebe, die den Dauerwaldbegriff so verwenden, noch ein anderes Wort verfälscht haben. Echte Ökobetriebe (und davon gibt es einige!) wirtschaften naturgemäß. Sie möchten sich in allen Eingriffen an natürlichen Prozessen orientieren und diese in ihrer Entfaltung so wenig wie möglich stören. Konventionelle Betriebe haben das aufgegriffen – allerdings nur verbal. »Naturgemäß« änderten sie ab in »naturnah«, und schon konnten sie sich dieses bedeutungslose Etikett anheften. Tatsächlich behaupten die meisten Kahlschlagsförster, ihre Betriebsweise sei naturnahe Waldwirtschaft. Das beruhigt zumindest das Gewissen der Bürgerinnen und Bürger, die ihren Waldhütern völlig vertrauen.

Hinter den Kulissen wird jedoch bereits auf großer Fläche die Renaissance der Nadelholzplantagen eingeleitet. Während unter dem Eindruck der 1990er-Windwürfe ein großer Umschwung zu mehr Naturnähe einsetzte, ist momentan der gegenläufige Trend zu beobachten. Schon macht das hässliche Wort der »Verbuchung« in der Branche die Runde; Laubbäume werden damit zu Unkraut abgestempelt. Und mit der Verhärtung der Sichtweise gelten nun auch kleinere Kahlschläge wieder als salonfähig, wenn sie zur Umwandlung naturferner Plantagen in Dauerwald dienen.

Ein Zukunfts-Baum – er wird im Dauerwald regelmäßig von seinen Nachbarn »befreit«.

Doch Moment: Führt ein Kahlschlag mit anschließender Bepflanzung nicht wieder zu einem monotonen gleichaltrigen Baumbestand? Ich habe den Eindruck, dass es momentan überwiegend darum geht, den immer rascher wachsenden Holzhunger der Industrie zu befriedigen. Um die Bevölkerung zu beruhigen, werden für diese naturfernen Wirtschaftsweisen sämtliche Vokabeln aus dem Bereich der Ökologie so verbogen, dass sich zumindest in den PR-Broschüren der Forstverwaltungen ein harmonisches und nachhaltiges Bild unserer Wälder ergibt.

Künstlich, aber nahe an der Natur: der Laubplenterwald.