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Kapitel Eins

An: Dell@MeanGreen.com

Von: TaroIch@LotusDesigns.com

Hallo Dell,

ich weiß, es ist erst zwei Stunden her, dass wir unsere Kontaktinformationen ausgetauscht haben, aber ich wollte mich trotzdem melden und mal hören, wie es dir geht. Ich hoffe, das wirkt nicht seltsam oder verzweifelt, aber ich hatte heute Abend wirklich viel Spaß, als wir uns unterhalten haben. Und ich schätze, ein kleiner Teil von mir macht sich Sorgen, ob die Verbindung, die wir auf der Party hergestellt haben, einseitig war und du jeden Kontaktversuch ignorieren wirst. Ich hoffe, das ist nicht der Fall.

Ich habe unser Gespräch auf Cris' Party wirklich genossen und ich hoffe, wir können das wiederholen, wenn du magst. Oder falls du kein Fan vom Telefonieren bist, könnten wir uns immer noch E-Mails schreiben. Es ist ein bisschen altmodisch, wenn man an Skype und Facetime denkt, aber es geht darum, womit man sich wohlfühlt.

Hast du den Film E-Mail für dich gesehen? Falls nicht, es ist eine herrliche romantische Komödie mit Tom Hanks und Meg Ryan, in der zwei Leute, die sich in einem Chatroom kennengelernt haben, eine auf E-Mails basierende Freundschaft aufbauen, aus der irgendwann mehr wird. In unserem Fall hoffe ich auf diese Freundschaft, da ich neben der zu Cris nicht viele habe. Er ist ein großartiger Freund.

Habe ich dir erzählt, dass Cris und ich uns jeden Dienstag im gleichen Diner und am gleichen Tisch treffen? Das ist eine weitere seiner Methoden, mich geselliger zu machen, wobei er trotzdem meine Routinen und mein Bedürfnis nach Ordnung respektiert. Nicht viele Freunde würden das tun, aber wir haben uns kennengelernt, als ich immer noch darum gekämpft habe, mein Leben allein auf die Reihe zu bekommen. Vielleicht erzähle ich dir irgendwann mehr davon, wenn du gern befreundet wärst.

Bitte schreib zurück, selbst wenn es nur ist, um mir zu sagen, dass du deine Meinung zu unserer Freundschaft geändert hast. Ich werde es nicht persönlich nehmen.

Beste Wünsche

Taro Ichikawa

***

An: TaroIch@LotusDesigns.com

Von: Dell@MeanGreen.com

Hallo Taro,

natürlich wäre ich gern mit dir befreundet. Ich habe auch nicht viele Freunde und ich glaube, wir waren uns auf der Party beide einig, dass wir mehr gebrauchen könnten. Ich bin schon wieder ganz von deiner engen Freundschaft zu Cris hingerissen. Es klingt, als würdet ihr alles füreinander tun. Ich stand letzten Jahres am Anfang einer ähnlichen Freundschaft, aber ich habe es ziemlich böse versaut. Ich hoffe, dass ich es irgendwann in naher Zukunft wiedergutmachen kann und er mir verzeiht. Aber er hat genauso gut das Recht, mir zu sagen, dass ich ihn verdammt noch mal in Ruhe lassen soll.

Ich habe E-Mail für dich nicht gesehen, aber der Film landet sofort auf meiner Netflix-Liste. Immer davon ausgehend, dass es ihn auf Netflix gibt, aber ich finde ihn so oder so. Mit E-Mails bin ich total einverstanden. Ich verbringe sowieso den größten Teil des Tages am Computer oder am Tablet und kümmere mich um die Website. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass das Lesen und Beantworten von Mails vermutlich zu deiner täglichen Routine gehört. Dann brauchst du nichts zu ändern, damit wir sozusagen rumhängen können.

Ich habe viel über unser Gespräch gestern Abend nachgedacht und darüber, wie offen du mit deiner Demisexualität umgehst. Heute Morgen habe ich zusätzlich recherchiert, weil ich es verstehen möchte. Ich weiß nicht wirklich warum, aber es ist so.

Wie dem auch sei: Ich finde, du bist ganz schön tapfer, weil du bereit bist anzunehmen, wie du bist, selbst wenn du… na ja, anders bist. Und zwar nicht auf schlechte, sondern nur eben auf unerwartete Weise. Ich bin irgendwie neidisch darauf, wie gut du dich kennst, weil ich mich meistens fühle, als wüsste ich überhaupt nicht mehr, wer ich bin. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich es jemals gewusst habe. Ist das traurig? Ich bin fast einundzwanzig. Es ist ziemlich traurig.

Habe ich dir erzählt, dass ich Schwierigkeiten beim Schlafen habe? Ich weiß es nicht mehr. Es begann letzten Herbst nach der Überdosis und ist nach der Transplantation schlimmer geworden. Es fällt mir schwer einzuschlafen und wenn ich es tue, habe ich diese bizarren Träume, aus denen ich unruhig aufwache. Nicht unbedingt verängstigt wie nach einem Albtraum, aber es ist immer noch seltsam genug, dass ich nicht schlafen mag. Chet macht sich deshalb Sorgen, auch wenn er es nicht zugibt oder mich danach fragt. Er ist so vorsichtig bei mir und manchmal wünschte ich, er würde mir einen Schubs geben, weißt du? Keine Ahnung. Ich rede Unsinn. Schieben wir es auf den Schlafmangel. LOL

Ich hoffe, bald von dir zu hören

Dell

***

An: Dell@MeanGreen.com

Von: TaroIch@LotusDesigns.com

Hi Dell,

es tut mir leid, dass du Schlafschwierigkeiten hast. Aus Solidarität verrate ich dir was: Ich muss das Licht anlassen oder ich kann nicht einschlafen. Das ist schon seit Jahren so. Es ist eine Angst, die ich einfach nicht loswerde, egal, was ich tue oder was andere mir sagen.

Hast du schon einmal von der traditionellen japanischen Kräuterbehandlung namens Kampo gehört? Dabei handelt es sich um eine Reihe von Kräuterpräparaten, die Gingko, Süßholz und Gerstengras enthalten. Meine Mutter hat sie verwendet, als ich noch klein war, also erinnere ich mich nicht mehr so genau. Aber ich bin mir sicher, dass du online Informationen dazu findest, falls es dich interessiert. Ist nur ein Gedanke, besonders, da es nicht klingt, als würdest du frei verkäufliche oder verschreibungspflichtige Medikamente verwenden.

Es überrascht mich nicht, dass Chet dich nicht zum Reden drängt. Ich habe ihn erst einmal getroffen, aber er scheint ein sehr selbstständiger Mensch zu sein, der von anderen dasselbe erwartet. Liege ich falsch? Wie gesagt, ich habe ihn nur einmal getroffen. Du könntest versuchen, mit ihm zu reden, vielleicht selbst das Gespräch suchen?

Ich weiß, für introvertierte Menschen wie uns ist es schwierig, den ersten Schritt zu wagen, aber es könnte helfen? Ich weiß nicht. Ignorier meinen Rat, wenn du magst. Ich bin definitiv kein Experte für zwischenmenschliche Beziehungen. Nicht auf lange Sicht.

Ich halte es nicht für traurig, dass du immer noch dabei bist, dich zu finden. Mit zwanzig ist man noch jung. Eine Menge Leute begreifen sich erst, wenn sie älter sind. Und ich schätze, es hängt davon ab, womit du haderst. Dein Leben nach dem Porno? Deine Sexualität? Du kannst mir zu allem Fragen stellen, ich werde dich nicht verurteilen. Versprochen.

Du hast in deiner vorherigen Mail erwähnt, dass du den größten Teil des Tages am Computer oder am Tablet verbringst und an der Website arbeitest. Ich bin neugierig, was dich so beschäftigt hält. Ich meine, ich kenne mich mit Webdesign aus und ich kann mir nicht vorstellen, dass es mehr als dreißig Minuten dauert, ein neues Video hochzuladen.

Ich würde liebend gern mehr von deiner Arbeit hören. Meine ist größtenteils ziemlich langweilig, aber sie ist systematisch und daher leicht für mich. Nur nicht, wenn ich in letzter Minute einen Änderungswunsch vom Kunden bekomme oder etwas schiefgeht. Ich musste Cris schon mehr als einmal als Verstärkung dazurufen, in erster Linie, damit ich keinen Nervenzusammenbruch habe. Er ist bei so was ziemlich spontan.

Bis dann

Taro

***

An: TaroIch@LotusDesigns.com

Von: Dell@MeanGreen.com

Hey,

du hast recht. Ich bin kein Fan von frei verkäuflichen Medikamenten und schon gar nicht von verschreibungspflichtigen. Sie kommen anderen Formen von Chemikalien, also Drogen, einfach zu nah. Ich stelle mich sogar an, bei Kopfschmerzen Aspirin zu nehmen. Und härtere Sachen? Ich muss jeden Tag Immunsuppressiva und was für den Blutdruck nehmen, was an sich schon nervt. Ich habe Tabletten satt, aber ich muss sie für den Rest meines Lebens schlucken, und das ist meine Schuld. Das habe ich akzeptiert.

Nachdem ich nach Harrisburg gezogen bin, war ich im Entzug. Einer meiner Therapeuten hatte Kräuterbehandlungen als gute Alternative für Süchtige erwähnt, aber ich habe mich nie darum geschert. Kräuterkuren fühlen sich immer ein bisschen nach Hipsterkram an, aber diese Kampo-Sache, die du erwähnt hast, interessiert mich. Haben deine Eltern an diese traditionellen Kräuterkuren geglaubt? Auf der Party hatte ich den Eindruck, dass du nicht gern über sie redest, daher werde ich nicht großartig nachfragen. Aber ich bin neugierig.

Meine Familie kommt aus einer Kleinstadt im ländlichen Georgia, wo die Bibel das Gesetz ist und nichts anderes toleriert wird. Mein Onkel wurde schon als Jugendlicher von der Familie verstoßen, aber er hat sich ein tolles Leben aufgebaut und ich bin stolz auf ihn. Er war der Einzige, an den ich mich wenden konnte, nachdem meine Eltern mich wegen meiner Drogensucht und ein paar anderen Geschichten rausgeworfen haben. Ich bin Chet jeden Tag dankbar, dass er mich hergebracht und mir ein Zuhause und einen Job gegeben hat. Dass er als Kameramann und Fotograf an mich geglaubt hat. Ich hasse es, darüber nachzudenken, wie viel schlimmer mein Leben wäre, wenn er mich nicht abgeholt hätte, als ich ihn angerufen habe.

Okay, genug von der Gefühlsduselei. Meine Arbeit. Es wirkt wahrscheinlich ziemlich unkompliziert: die Szene drehen, schneiden und hochladen. Aber es steckt so viel mehr dahinter.

Chet ist ein Perfektionist, was ziemlich auf mich abfärbt. Daher kann es mehrere Tage dauern, eine Szene so zu schneiden, wie wir sie haben wollen, besonders längere. Außerdem müssen wir zuerst einen Trailer hochladen. Eine Einführung und Zusammenfassung der Szene schreiben. Außerdem haben wir zu jeder Szene eine offene Kommentarseite, damit die Abonnenten uns Feedback hinterlassen können. Chet und ich versuchen beide, so oft wie möglich mit ihnen zu interagieren, indem wir ihre Kommentare beantworten oder an Unterhaltungen teilnehmen.

 

Manchmal melden Fans Hasskommentare und um die müssen wir uns dann kümmern. Ich habe sie anfangs Chet überlassen, aber ich werde allmählich besser darin, mich gegen Trolle durchzusetzen. Im Internet ist es leichter als im richtigen Leben, für sich einzustehen. Das ist scheiße, aber stimmt. Dann müssen noch die E-Mails beantwortet werden, die über die Kontaktseite reinkommen.

Chet kümmert sich um den Rest des Geschäfts und den übrigen Kram wie Probleme mit den Kreditkartenabrechnungen. Wir reden auch darüber, einen kleinen Internetshop aufzumachen, um Mean Green-Merchandise zu verkaufen, zum Beispiel T-Shirts und Baseballkappen. Aber damit sind wir noch nicht weit gekommen. Ich will es erst wieder ansprechen, wenn Chet sein Privatleben im Griff hat, weißt du? Er hat gerade so viel auf dem Teller mit seinen Gefühlen für Cris, die Cris nicht zu erwidern scheint. Ich bin mir sicher, dass du durch Cris einiges gehört hast.

Oh, ich habe mir E-Mail für dich angeschaut. Ein sehr süßer Film, aber irgendwie auch traurig, wenn man an die ganzen kleinen Geschäfte denkt, die dank großer Ketten wie Fox Books kaputtgegangen sind. Ich habe es gehasst, dass sie ihren Buchladen schließen musste. Und er war ein bisschen alt. Haben die Leute früher wirklich so lange darauf warten müssen, dass das Internet sich verbindet? Das hätte mich irre gemacht.

Bis dann

Dell

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An: TaroIch@LotusDesigns.com

Von: Dell@MeanGreen.com

Hey,

ich weiß, ich habe die letzte Mail geschrieben und technisch gesehen bist du an der Reihe, aber Chet hat mir heute Abend etwas Merkwürdiges erzählt. Offenbar hat Jake Bowden… also der Typ, für den sich Cris vor ein paar Wochen interessiert hat. Er hat eine superheftige depressive Episode, die ihn ans Bett fesselt. Er geht nicht zur Arbeit und sein Mitbewohner – ein Darsteller namens Benny, den du auf der Party vermutlich kennengelernt hast – hat sich solche Sorgen gemacht, dass er Gabe angerufen hat, der manchmal mit Jake zusammenarbeitet, und am Mittwoch hat Gabe Cris dazugeholt. Cris ist es gelungen, Jake aus dem Bett zu locken, aber danach war er emotional so am Ende, dass er Chet um Hilfe gebeten hat. Und Chet hat sie beide eingeladen, hier einzuziehen, während sie mit Jakes Problemen fertigwerden. Es ist ein bisschen verrückt, aber eben genau das, was Chet tun würde.

Er hat mich gefragt, ob ich etwas dagegen habe, was ich natürlich nicht habe. Das Haus ist groß genug für vier Personen. Ich kenne Jake kaum und habe ihn nur einmal gesehen, als er zum Brunch kam, um mit Chet über Cris zu reden. Aber wenn er in einer Krise steckt, verdient er jede Hilfe, die er braucht. Sie ziehen morgen früh ein. Unser Leben wird dadurch eine ganze Ecke interessanter, das ist mal sicher.

Dell

***

An: Dell@MeanGreen.com

Von: TaroIch@LotusDesigns.com

Morgen,

tja, das sind mal verrückte Neuigkeiten. Cris hat mir nichts davon gesagt, aber es war ja erst gestern Abend und ich kann mir vorstellen, dass sein sorgsam durchgeplanter Tagesablauf inzwischen eher wie ein Wirbelsturm aussieht. Ich bin mir sicher, dass er es mir erzählt, sobald er dazu in der Lage ist.

Ja, das Internet brauchte früher so lange, um sich zu verbinden. Ich habe es nicht erwähnt, aber ich bin sechsundzwanzig und erinnere mich nur noch vage an die Qual, sich einzuwählen, bevor LAN-Verbindungen zur Norm wurden. Aber WLAN ist mit Abstand am besten. Ich will nie wieder zu den früheren Varianten zurück.

Tut mir leid, ich muss hier abbrechen. Ein Anruf von der Arbeit kommt rein. Ich schreibe später noch mal.

Taro

***

An: Dell@MeanGreen.com

Von: TaroIch@LotusDesigns.com

Da bin ich wieder! Hat nicht so lange gedauert, wie ich dachte.

Wie fühlt es sich an, dass Cris plötzlich bei euch wohnt? Ich weiß, es sind erst ein paar Stunden, aber ich bin ein winziges bisschen eifersüchtig auf all die Zeit, die du mit meinem besten Freund verbringen kannst und ich nicht.

Danke, dass du mir von deiner Arbeit erzählt hast. Ich hätte nie gedacht, dass es so viel Aufwand bedeutet, eine kleine Internet-Pornoseite zu unterhalten, aber ich vermute, ihr müsst mit euren Fans interagieren, um ihre Aufmerksamkeit zu erhalten. Derzeit sind die Aufmerksamkeitspannen ziemlich begrenzt, weil so viel Unterhaltung zur Verfügung steht. Und die persönliche Note gibt eurer Bezahlseite viel mehr Charakter als eine freie Seite. Diese Frage wird dir vermutlich oft von tödlich neugierigen Leuten wie mir gestellt, aber ist es schwierig, mit so vielen Bildern nackter Männer zu arbeiten?

Was Kampo angeht, hat mein Vater mehr an Kräutermedizin geglaubt, wenn es um die geistige Gesundheit und die allgemeine Befindlichkeit geht, als an die moderne Medizin. Auch wenn er ein anerkannter Chirurg war, hat er die psychiatrische Medizin für Kokolores und psychische Erkrankungen für Aufmerksamkeitsschreie gehalten. Das war eine furchtbar altmodische Einstellung und ich teile sie nicht.

Um ganz offen zu sein: Meine Eltern sind beide gestorben, als ich achtzehn war. Ich rede nicht gern darüber, aber es war leichter, es aufzuschreiben, als es zu sagen. Was ich dir sagen kann, ohne mich unwohl zu fühlen, ist, dass es eine tragische, traumatische Erfahrung war und dass ich lange gebraucht habe, um mich davon zu erholen. Ein Teil meiner Bemühungen, mit meiner Trauer und Schuld umzugehen, ist, jeden Samstag das Mausoleum zu besuchen, wo sie beerdigt sind. Immer nach einer morgendlichen Session im Fitnessstudio. Da morgen Samstag ist (wow, diese Woche ist nur so verflogen!) werde ich vermutlich erst Sonntag auf deine nächste E-Mail reagieren. Also halt mich bitte nicht für unhöflich, wenn du bis dahin nichts von mir hörst.

Danke, dass du mir von deiner Familie und deiner Beziehung zu Chet erzählt hast. Es klingt, als hätte er dich gut behandelt, und ich verstehe, warum du ihm dankbar bist. Hast du über meinen Rat nachgedacht, ein Gespräch mit ihm zu führen? Es sei denn, du fühlst dich noch nicht bereit. Wann immer du dich damit wohlfühlst, mein Freund.

Wir reden bald

Taro

Kapitel Zwei

Wenn irgendjemand Dell vor einer Woche gesagt hätte, dass er an einem Freitagnachmittag im Galaxy Diner sitzen und darauf warten würde, mit Rick Fowler zu Mittag zu essen, hätte er denjenigen ausgelacht. Aber im Verlauf der Woche, in der er sich mit Taro geschrieben hatte, hatte Dell viel nachgedacht.

Wirklich viel.

Er hatte gegrübelt, Recherche betrieben und seine Vergangenheit im Licht dessen, was er allmählich für die Wahrheit über sich hielt, neu bewertet. Und wenn er je eine Chance haben wollte, damit zurechtzukommen, musste er bei Rick Wiedergutmachung leisten.

Dell spielte an dem Glas Eistee herum, das er bereits bestellt und beinahe bis aufs Eis leer getrunken hatte. Seine Kellnerin brachte ihm ein zweites Glas und nahm das alte mit. Er sah auf dem Handy nach, wie spät es war. Rick war zehn Minuten zu spät dran. Dells Bauch verkrampfte sich vor Sorge, versetzt worden zu sein. Nicht, dass er es nicht verdiente nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war.

Ein Schatten fiel auf den Tisch. Dell sah auf. Seine Augen weiteten sich beim Anblick von Rick, der neben ihm stand, die Hände locker an den Seiten und so gut aussehend wie immer. Er wirkte ernster, seitdem er angeschossen worden war, auch wenn er diesen Ausdruck für den Dreh als Adam Swift leicht abstreifen konnte. Nur im Privatleben machte er sich nicht die Mühe, ihn zu verbergen.

Dell stand lächelnd auf; nicht sicher, ob er Rick umarmen sollte. Rick fällte die Entscheidung, indem er ihm linkisch die Hand schüttelte.

»Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, sagte Rick, als er sich setzte. »Ich bin in einer Baustelle hängen geblieben. Ich schwöre, an irgendeiner Abfahrt der Route 15 ist immer eine.«

»Stimmt. Danke, dass du gekommen bist.«

»Du hast mich zum Mittagessen eingeladen. Ich schlage nie Essen aus, wenn es umsonst ist.« Rick sprach wie so oft leichthin und versteckte damit seine wahren Gefühle zu diesem Treffen. Aber er war erschienen und das war ein erster, erfreulicher Schritt.

Die Kellnerin nahm die Bestellung für Ricks Getränk auf und ging.

»Und ich bin neugierig«, fuhr Rick fort. »Du hättest heute Abend mit mir sprechen können, wenn ich mit Avery seine zweite Duo-Szene drehe.«

»Ich wollte unseren Privatkram nicht mit dem Geschäftlichen vermischen«, sagte Dell. »Es leben inzwischen zu viele Leute in meinem Haus und ich konnte mir nicht vorstellen, dass du dich bei dir mit mir treffen wolltest.«

Rick nippte an seiner Sprite. »Noch mehr missratene Verwandte, die dem religiösen Kult entkommen sind, den du Familie schimpfst?«

Dell schnaubte. »Ich wünschte, es wäre so. Nein, Jake und Cris sind für eine Weile eingezogen.«

»Warum?«

Er erzählte von den Ereignissen der vergangenen Tage, soweit sie ihm bekannt waren. Es war alles Wissen aus zweiter Hand durch Onkel Charles, doch Rick schien zu begreifen.

»Das hatte es also damit auf sich, als alle auf einmal die ganze Woche in Jakes und Bennys Wohnung herumhingen?«

»Ja, Chet scheint eine Vermutung zu haben, was mit Jake los ist, aber er hat bisher nichts gesagt. Was immer es ist, ich bin froh, dass Jake Unterstützung hat.«

Emotionaler Support während einer Krise bedeutete alles.

Der seltsame Dreieckstanz zwischen Jake, Cris und Onkel Charles hatte sich gestern etwas zugespitzt. Dell war überrascht gewesen, als Onkel Charles ihm gesagt hatte, dass Cris und Jake in die Gästezimmer im ersten Stock ziehen würden, bis es Jake wieder besser ging, aber er hatte sich rasch daran gewöhnt. Onkel Charles sorgte sich um Cris, der sich wiederum um Jake sorgte. Daher würde Onkel Charles alles tun, um Jake zu helfen.

»Wie hält sich Jake?«, fragte Rick.

»Es scheint ihm ganz gut zu gehen, auch wenn er ein bisschen müde und kaputt ist. Was immer mit ihm los ist: Hoffentlich bekommt Jake bald die Kurve.«

»Freut mich zu hören.« Ricks ruhige Fassade bekam Risse. »Ich hatte einen Cousin, der mit üblen Depressionen zu kämpfen hatte und sich keine Hilfe gesucht hat. Das ist nicht gut ausgegangen.«

»Das tut mir leid.«

Ihre Kellnerin kehrte zurück, um sich zu erkundigen, ob sie bestellen wollten.

»Was ist das teuerste Gericht auf der Speisekarte?«, fragte Rick.

Sie zögerte. »Äh, ich glaube, unsere gemischte Meeresfrüchteplatte.«

»Das nehme ich.«

Dell verdrehte die Augen und verbarg ein Grinsen. Rick benahm sich nicht grundlos wie ein Arsch. Dell hatte angeboten, ihn einzuladen. Daher war es die kleine Rache, die Dell verdiente, sich das teuerste Gericht auszusuchen. »Ich nehme einen Bacon-Cheeseburger und Pommes, keine Zwiebeln.«

»Verstanden«, sagte sie, ohne etwas aufzuschreiben.

Mein Burger kommt besser ohne Zwiebeln.

»Nun, da du mich zu einem Festmahl aus Meeresfrüchten einlädst«, sagte Rick mit leichtherzigem Grinsen. »Über was wolltest du reden?«

Dell räusperte sich kräftig. »Ich möchte mich entschuldigen. Für letzten Herbst.«

Ricks dunkler Blick hielt seinen fest. »Was genau letzten Herbst?«

Nun, da es so weit war, hingen die Worte fest. Wollten nicht rauskommen. Aber genau deshalb hatte Dell Rick eingeladen. Er schuldete Rick etwas. »Es tut mir leid, dass ich mit dir geschlafen habe, obwohl ich es nicht wollte, und es tut mir leid, dass ich dich als Reaktion darauf ausgeschlossen habe, statt mit dir zu reden.«

Rick legte den Kopf schief. »Und?«

Verdammt, das tut weh.

»Es tut mir leid, dass ich unser Versprechen gebrochen habe, uns von Drogen fernzuhalten, und Special K genommen habe.«

»Warum hast du das getan?«

Dell schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid. Ich bin noch nicht bereit, darüber zu reden.«

»Du bist nicht bereit?« Rick neigte sich nach vorn. In seinen Augen blitzte Ärger. »Du hast dir zwei Tage nachdem wir miteinander geschlafen haben, eine Überdosis reingepfiffen. Hast du irgendeine Ahnung, wie schuldig ich mich gefühlt habe? Es war, als ob die Tatsache, dass wir Sex gehabt hatten, dich dazu gebracht hätte, wieder was zu nehmen.«

 

»Es lag nicht an dir, ich schwöre es.« Zunehmende Schuldgefühle drohten, den mageren Inhalt von Dells Magen wieder hochzuschicken.

In den zwei Tagen, bevor es dazu gekommen war, und in all den Monaten danach war Dell nie aufgegangen, dass Rick sich für seine Überdosis verantwortlich fühlen könnte. Dell war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Erst als Rick sich von der Schusswunde erholt hatte und wieder zur Arbeit erschienen war, hatte Dell richtig über seinen früheren Freund nachgedacht.

Und er hasste sich für die Schuld, mit der Rick vielleicht gelebt hatte.

Oder sogar ganz bestimmt, wenn der unverhohlene Schmerz in Ricks Gesicht ein Hinweis war. »Du sagst, es lag nicht an uns«, sagte Rick. »Aber ich habe in den letzten acht Monaten geglaubt, dass es daran lag. Nur ein paar Tage nach deiner Überdosis hat mich Jons verrückter Stalker zusammengeschlagen und wieder drei Wochen später hat derselbe Irre mich angeschossen. Schon nach der Prügel dachte ich, dass ich nie wieder meine Wohnung verlassen würde, und nachdem ich angeschossen wurde? Verdammt, ich wundere mich immer noch, dass ich je zum Telefon gegriffen und Chet gefragt habe, ob wir wieder filmen können.

Und zwar nicht, weil ich zu nervös war, nach draußen zu gehen und wieder gesehen zu werden, sondern weil ich davon ausgegangen bin, dass Chet mir sagt, dass ich mich verpissen soll. Dass ich nicht länger willkommen wäre wegen dem, was auch immer du ihm über die Überdosis oder uns erzählt hast.«

»Ich habe ihm gar nichts gesagt«, sagte Dell. Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern im lauten Diner. »Er respektiert meine Privatsphäre und aus irgendeinem Grund vertraut er mir, ohne dass ich mich über die schlimmste Entscheidung meines Lebens auskotze. Es tut mir furchtbar leid, wie sehr dich das alles getroffen hat, und ich schwöre dir, dass ich nie vorhatte, dir wehzutun.«

»Ich war nur der Kollateralschaden.«

Dell fuhr zusammen. »Es tut mir leid.«

»Ja, das sagtest du bereits. Und ich glaube dir. Ich bin kein Heiliger. Du weißt von all dem üblen Scheiß, den ich gebaut habe, und auch, was ich durchgemacht habe, und du warst trotzdem mein Freund. Du hast mir geholfen, daran zu glauben, dass ich das vielleicht hinter mir lassen und wieder eine Beziehung führen kann. Und dann hast du mich weggestoßen und bist beinahe gestorben. Und dann ist Jon – der eine Mann, dessen Vergebung ich verzweifelter brauche als alles andere auf der Welt – auch fast gestorben. Hast du irgendeine Vorstellung, wie dringend ich mir was besorgen wollte und es nicht getan habe? Was für Schmerzen es waren, sich von einer Schusswunde zu erholen, ohne etwas Stärkeres als verdammtes Aspirin?«

Der dumpfe Schmerz in Dells Brust stieg ihm in die Kehle und Tränen brannten in seinen Augen. »Ich war zu sehr mit meinen Nierenproblemen beschäftigt, um über deine Lage oder Gefühle nachzudenken, und das werde ich immer bereuen. Ich weiß nicht, wie ich das wiedergutmachen soll, Rick.«

»Es geht nicht darum, dass du irgendetwas wiedergutmachst«, sagte Rick mit Schmerz in der Stimme. »Ich glaube, wir haben beide gesagt, was wir zu sagen hatten. Wir haben beide Fehler gemacht und waren beide verletzt. Ich denke, wir können nur versuchen, nach vorn zu sehen.«

»Können wir wieder Freunde sein?«

Rick antwortete nicht sofort. »Ich weiß es nicht. Vielleicht.«

Ich nehme lieber ein Vielleicht als ein Verdammt, nein.

»Okay«, sagte Dell. »Das ist nur fair.«

Die Kellnerin erschien mit ihrem Essen. Sie setzte Dells Cheeseburger und Pommes zuerst ab, dann platzierte sie einen großen Teller mit gedämpften und gegrillten Meeresfrüchten vor Rick.

»Es tut mir leid, aber ich habe keinen Hunger«, sagte Rick zu ihr. »Können Sie es mir einpacken?«

»Natürlich«, sagte sie, dann warf sie Dell einen Blick zu.

»Ich bleibe«, sagte er. Es tat weh, dass Rick davonlief, aber er verstand ihn. Er hatte sich etwas vorgemacht, als er davon ausgegangen war, dass etwas zu vergeben ebenso leicht war, wie sich zu entschuldigen. Als Süchtiger sollte er es besser wissen.

Die Kellnerin ging mit Ricks Essen. Dell nahm eine Pommes und klopfte damit an den Rand seines Tellers. Er hatte auch keinen Hunger mehr.

»Dell?«, sagte Rick leise.

»Ja.« Er hob nicht den Kopf, bis Rick eine Hand über den Tisch schob und die Finger um Dells Handgelenk schloss.

Rick lächelte nicht, aber seine Miene war freundlich. »Ich meine nach wie vor alles, was ich letztes Jahr gesagt habe. Dass du stark und fähig bist und Liebe verdienst. Du verdienst ein sicheres und trockenes Leben. Es ist nicht wichtig, was du in der Vergangenheit getan hast. Nicht mehr.«

»Danke. Das bedeutet mir viel, nach allem, was passiert ist.«

»Gern geschehen. Ich bin nicht in der Position, dir etwas nachzutragen oder dich zu verurteilen. Es tut mir leid, wie es gelaufen ist. Vielleicht können wir eines Tages wieder wie früher Freunde sein.«

»Ich hoffe es. Du warst der erste gute Freund, den ich gefunden habe, als ich hergezogen bin, und ich habe es verdorben. Ich werde das immer bedauern. Vielleicht werde ich eines Tages in der Lage sein, mit jemandem über die Überdosis zu reden, aber ich bin einfach noch nicht so weit.«

Rick nickte. »Ich verstehe. Wenn du je das Gefühl hast, dass du es mir sagen möchtest, ruf an. Ich verspreche, dass ich dir zuhören werde.«

»Danke. Ehrlich, das ist mehr, als ich verdiene.«

»Nein, ist es nicht. Du verdienst viel mehr. Ich war derjenige, der zu selbstsüchtig war, um über seinen Schatten zu springen.«

»Junge.« Dell drehte seine Hand, sodass ihre Handflächen ineinander lagen, und drückte zu. »Du bist letztes Jahr auch durch die Hölle gegangen. Du musst gerade ein bisschen selbstsüchtig sein.«

Der Kellnerin kam mit Ricks Essen zurück, das inzwischen in einer Take-away-Schachtel und einer Plastiktüte verstaut war. Sie lösten langsam ihre Hände, aber sie schien es gar nicht zu bemerken. Sie lächelte nur und ging.

»Danke fürs Zuhören«, sagte Dell.

»Gern.« Rick stand mit dem Essen in der Hand auf. »Ich sehe dich heute Abend beim Dreh, okay?«

»Ja, natürlich.«

Dell sah zu, wie Rick den Diner verließ, und ein kleiner Teil seiner Ängste ging mit ihm. Er hatte endlich versucht, die Angelegenheit mit Rick geradezurücken. Etwas, das er schon vor Monaten hätte tun sollen, direkt nachdem er sich von der Transplantation erholt hatte. Seine Angst hatte ihn so oft davon abgehalten Rick anzurufen, aber er hatte es geschafft. Und das Ergebnis war viel besser, als er erwartet hatte.

Vielleicht würde er eines Tages in der Lage sein, über die Überdosis zu reden, aber noch war es nicht so weit. Und wenn doch, war sein Onkel der Erste, der es verdiente, die Wahrheit zu erfahren. Onkel Charles hatte ihn gefunden, als er bewusstlos im Schlafzimmer gelegen hatte. Er hatte ihn ins Krankenhaus gebracht und drei Tage lang an seinem Bett gesessen, während Dell im Koma gelegen hatte. Hatte ihn monatelang zur Dialyse gefahren. Hatte bei ihm gesessen, als er sich auf die Nierentransplantation vorbereitet hatte, die sein Leben retten sollte, und auch hinterher, während der Rekonvaleszenz, als Dell versucht hatte zu begreifen, dass ein lebenswichtiges Organ eines anderen Menschen in seinem Körper arbeitete.

Onkel Charles verdiente es, zuerst Bescheid zu wissen.

Dell schielte unter das Brötchen des Burgers und stieß ein Seufzen aus. Dann pickte er die Zwiebeln herunter.

***

Darsteller, die länger als ein paar Monate für das Studio arbeiteten, kannten sich gut genug im Haus aus, um ohne Klingeln hereinzukommen. Rick/Adam Swift tat genau das gegen sechs am Abend, pünktlich für die angesetzte Szene. Dell war bereits unten und passte das Set an, das sie verwenden wollten, als Adam und Onkel Charles zusammen hereinkamen.

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