Hochschulrecht im Freistaat Bayern

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bb) Auswirkungen des Unionsrechts allgemein

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Wie in anderen Bereichen auch beeinflussen Auswirkungen des Unionsrechts allgemein das Hochschulrecht. Dass dieses an sich in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verblieben ist, entbindet die Mitgliedstaaten nicht von der Beachtung des Unionsrechts, wenn dieses die Materie Hochschulrecht berührt. Dies gilt insbesondere für die Grundfreiheiten des Binnenmarktes. So fordern z.B. die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Gleichbehandlung von deren Kindern hinsichtlich der Ausbildungsförderung,[78] die Herstellung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit die gegenseitige Anerkennung der berufsqualifizierenden Diplome. Dies verlangen in gewissem Umfang bereits die unmittelbar anwendbaren und Individualrechte begründenden primärrechtlichen Normen der Grundfreiheiten (s.u. Rn. 79–80).[79] Zur Klarstellung und Konkretisierung wurden Richtlinien und Verordnungen des EG/EU-Sekundärrechts erlassen (s.u. Rn. 79–80).

cc) Charta der Europäischen Grundrechte

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Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta)[80] wurde aufgrund eines Mandats des Europäischen Rates unter dem Vorsitz des früheren deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog ausgearbeitet und anlässlich des Europäischen Rates von Nizza feierlich proklamiert.[81] Sie wurde bereits frühzeitig vom EuGH rezipiert[82] und genießt seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gem. Art. 6 I, 2. HS EUV Primärrechtsrang. Das in Art. 14 I GR-Charta verankerte „Recht auf Bildung“ erstreckt sich auf die schulische Erziehung und den schulischen Unterricht einschließlich der Umschulung sowie jedenfalls wegen der Einbeziehung der „beruflichen Ausbildung“ auch auf die Hochschulbildung (Universitäten und Fachhochschulen).[83] Es handelt sich um kein Leistungsrecht, sondern um ein Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu bestehenden, vom Schutzbereich erfassten und von Grundrechtsverpflichteten betriebenen Bildungseinrichtungen.[84] Gemäß Art. 13 GR-Charta sind Kunst und Forschung frei. „Die akademische Freiheit wird geachtet“. Darin wurde ein Rückschritt gegenüber „Gewährleistungen“ gesehen.[85] Die Formulierung erklärt sich aber dadurch, dass der Anschein einer Kompetenz der EU zu einer solchen Gewährleistung vermieden werden sollte.[86]

b) Sekundärrecht

aa) Verbindliche Rechtsakte

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Die Hochschulen betreffendes verbindliches Sekundärrecht wurde vor allem zur Ergänzung und zur Klarstellung der Folgen aus den Grundfreiheiten erlassen. Die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU[87] gestaltet die primärrechtlich verankerte Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 45 AEUV) näher aus und bezieht u.a. in Art. 10 deren Kinder in das Verbot von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit ein. Die Folgen nicht nur für den Zugang zu Bildungseinrichtungen, sondern auch für die Ausbildungsförderung[88] verdeutlichte bereits das Urteil im Fall Casagrande, das vor der Einfügung ausdrücklicher, zugleich aber limitierter Kompetenzen der damaligen EG für die Bildung (jetzt Art. 165, Art. 166 AEUV) durch den Vertrag von Maastricht erging: „Die Bildungspolitik gehört zwar als solche nicht zu den Materien, die der Vertrag der Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane unterworfen hat. Daraus folgt aber nicht, dass die Ausübung der der Gemeinschaft übertragenen Befugnisse irgendwie eingeschränkt wäre, wenn sie sich auf Maßnahmen auswirken kann, die zur Durchführung etwa der Bildungspolitik ergriffen worden sind“.[89] Folglich musste wegen des Diskriminierungsverbots der Anspruch auf Ausbildungsförderung auch auf entsprechend qualifizierte Kinder des Wanderarbeitnehmers ausgedehnt werden. Die Herstellung der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49, Art. 56 AEUV) erforderte zur Klarstellung der primärrechtlichen Garantien Regelungen über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, gestützt auf Art. 53 AEUV. Dies erfolgte durch eine Reihe sektorspezifischer Richtlinien[90] sowie bereichsübergreifend durch die Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen,[91] und die Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG[92], die seit 20. Oktober 2007 durch die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen[93] unter Beibehaltung des Inhalts (mit Verbesserung und Straffung) ersetzt werden. Die Rechte von Studenten aus anderen Mitgliedstaaten, die nicht aus eigenem oder abgeleitetem Recht unter die Freizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV fallen, wurden in der Richtlinie 93/96/EWG des Rates über das Aufenthaltsrecht der Studenten vom 29. Oktober 1993[94] geregelt, die zum 30. April 2006 aufgehobenen und durch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ersetzt wurde.[95]

bb) Wirkung von Empfehlungen

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Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Empfehlungen, die zwar ausdrücklich „nicht verbindlich“ sind (Art. 288 AEUV), die aber gleichwohl auch rechtliche Bedeutung entfalten, gerade auch im Bereich des Hochschulrechts. So rekurrierte der EuGH im Urteil Gravier u.a. auf einen Beschluss und allgemeine Leitlinien des Rates, um das Studium an Hochschulen unter die „Berufsausbildung“ im Sinne des Art. 128 EWGV a.F. zu subsumieren.[96]

cc) Programme

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Bereits vor der Einfügung der Unionsbürgerschaft (Art. 9 EUV, Art. 20 I AEUV) durch den Vertrag von Maastricht wurden gemäß der im Zuge des Binnenmarktprogramms (Weißbuch der Kommission 1985) entwickelten Idee des „Europa der Bürger“[97] Programme zur Förderung der Mobilität im Hochschulbereich aufgelegt. Genannt sei hier das erste ERASMUS-Programm[98], das fortgesetzt[99] und schließlich in das Programm Sokrates (später: Aktionsprogramm für lebenslanges Lernen) aufgenommen wurde.[100] Ab 2014 wurden durch die Verordnung (EU) Nr. 1288/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 aus Effizienzgründen sämtliche Programmschienen (insgesamt elf Teilprogramme) nunmehr einheitlich unter dem Dach des sog. „Erasmus+“-Programms zusammengefasst.[101]

c) Insbesondere: Folgen der Grundfreiheiten des Binnenmarktes gemäß der Rechtsprechung des EuGH

aa) Freizügigkeit der Arbeitnehmer

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Auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 45 AEUV) können sich auch die Beschäftigten nicht nur an privaten, sondern auch an staatlichen Hochschulen berufen, da die Bereichsausnahme des Art. 45 IV AEUV („öffentliche Verwaltung“) ein unionsrechtlicher und eng zu interpretierender Begriff ist.[102] Das Bildungswesen einschließlich der Hochschulen (Professoren, Assistenten, nichtwissenschaftliches Personal) fällt nicht darunter.[103] Ausgenommen sind bestimmte Leitungspositionen mit weitreichenden hoheitlichen Befugnissen, z.B. der Rektor bzw. Präsident einer Hochschule.[104] Studierende fallen als solche nicht unter Art. 45 AEUV, da sie keine Leistung für einen anderen erbringen, sondern sich überwiegend theoretisch auf das Berufsleben vorbereiten.[105] Einbezogen werden nach der Rechtsprechung des EuGH allerdings Personen, bei denen ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem zuvor ausgeübten Beruf und dem Lehrgang oder Studium besteht.[106] Im Übrigen stehen ihnen abgeleitete Rechte als Familienangehörige eines Wanderarbeitnehmers zu, z.B. der nichtdiskriminierende Zugang zum Studium einschließlich Stipendien als „soziale Vergünstigung“ im Sinne des Art. 7 II der Verordnung Nr. 492/2011[107]. Dies gilt auch, wenn die Kinder eines Wanderarbeitnehmers ein Studium in ihrem Heimatland aufnehmen oder fortsetzen.[108] Als Unionsbürger haben Studenten zudem eigene, d.h. unabgeleitete Rechte aus der durch die Unionsbürgerschaft begründeten Freizügigkeit (s.u. Rn. 81).

bb) Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit

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Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), die auch Gesellschaften (juristische Personen) berechtigt (Art. 54 AEUV), ermöglicht die Gründung von Niederlassungen und Zweigniederlassungen (vgl. Art. 49 I 2 AEUV) von privaten Bildungseinrichtungen und damit auch Hochschulen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV), die ebenfalls auch für Gesellschaften gilt (Art. 54 i.V.m. Art. 62 AEUV), berechtigt zu grenzüberschreitenden Bildungsangeboten.[109] Beide Grundfreiheiten sind unmittelbar anwendbar, d.h. ohne sekundärrechtliche Harmonisierungsmaßnahmen,[110] und begründen subjektive individuelle Rechte.[111] Damit besteht für Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten ein Anspruch auf diskriminierungsfreie Zulassung (Diskriminierungsverbot). Beschränkungen bedürfen einer sachlichen Rechtfertigung (Beschränkungsverbot). Diese kann in Gründen des Verbraucherschutzes und der Sicherung der Qualität der Hochschulausbildung liegen, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist und wirksamer Rechtsschutz möglich sein muss.[112]

 

d) Folgen der Unionsbürgerschaft

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Weitreichende, bei ihrer Einfügung durch den Vertrag von Maastricht wohl nicht vorhergesehene Auswirkungen auch auf die Hochschulen hat nach der Rechtsprechung des EuGH die Unionsbürgerschaft (Art. 9 EUV, Art. 20 I AEUV). Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt (Art. 9 S. 2 EUV, Art. 20 I 2 AEUV), was sich nach dessen Recht unter Beachtung des Unionsrechts bestimmt.[113] Der Unionsbürgerstatus wurde vom EuGH als der „grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten“ bezeichnet.[114] Zu den daraus resultierenden Rechten gehört das allgemeine, d.h. anders als bei den „herkömmlichen“ Grundfreiheiten von einer wirtschaftlichen Tätigkeit losgelöste[115] Freizügigkeitsrecht gemäß Art. 20 II lit. a, Art. 21 I AEUV. Dieses ist unmittelbar anwendbar und begründet ein subjektives Recht für Individuen[116] nicht nur als Diskriminierungsverbot, sondern als Beschränkungsverbot[117] und wird, wenn man der Rechtsprechung folgen will,[118] vom EuGH konsequent als „Grundfreiheit“ bezeichnet.[119] Da dadurch der Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet wird, ergeben sich aus dem Zusammenwirken des Art. 20 AEUV mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 I AEUV Erweiterungen,[120] die erhebliche praktische Bedeutung gerade auch für Hochschulen haben.[121] Denn die Einfügung der Unionsbürgerschaft hat den Stand des Unionsrechts gegenüber den zuvor ergangenen Urteilen des EuGH grundlegend verändert.[122]

e) Konkrete Rechte und Folgen

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Daraus ergeben sich für die Studierenden und die Hochschullehrer folgende konkreten Rechte:

aa) Recht auf diskriminierungsfreien Hochschulzugang

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Studenten aus anderen Mitgliedstaaten der EU haben als Unionsbürger das Recht auf diskriminierungsfreien Hochschulzugang. Da das Studium an Hochschulen nach der Rechtsprechung des EuGH bereits vor Einfügung der Unionsbürgerschaft und auch vor Einfügung der limitierten Kompetenz der EU in Art. 165 AEUV wegen Art. 128 EWGV a.F. in den Anwendungsbereich des Vertrages fiel,[123] besteht dieses Recht seit langem. Es wird jetzt auch auf die Unionsbürgerschaft gestützt und setzt allein das Bestehen eines Aufenthaltsrechts voraus, das aus dem Unionsrecht (Art. 20 I lit. a, Art. 21 I AEUV), aber auch (bloß) aus dem nationalen Recht folgen kann. Grundsätzlich ist daher jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat bewegt und/oder aufhält, in allen Bereichen, die geeignet sind, das Recht auf Bewegungsfreiheit und Aufenthalt zu erleichtern, genauso zu behandeln wie die Inländer.[124] Daher hat z.B. Österreich nach Ansicht des EuGH dadurch gegen das Unionsrecht (Art. 18 I, Art. 165, Art. 166 AEUV) verstoßen, dass es nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die Inhaber von in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Sekundarschulabschlüssen unter den gleichen Voraussetzungen wie die Inhaber von in Österreich erworbenen Sekundarschulabschlüssen Zugang zum Hochschul- und Universitätsstudium in Österreich haben.[125] Die seitens Österreichs vorgebrachten Rechtfertigungsgründe für die Regelung wurden nicht akzeptiert. Das Urteil stieß auf heftige Kritik.[126] Als Folge aus dem Urteil führte Österreich ein allgemein für Unionsbürger eröffnetes Zulassungsverfahren in Studiengängen ein, für die mehr Bewerber als Studienplätze vorhanden sind.[127] Für die Zustimmung zum Vertrag von Lissabon erhielt Österreich seitens des Kommissionspräsidenten die Zusicherung, das an sich gebotene und auch seitens der Kommission eingeleitete[128] erneute Vertragsverletzungsverfahren (Art. 260 AEUV) für fünf Jahre zu suspendieren.[129] Diese Frist wurde von der Kommission am 18. Dezember 2012 bis Dezember 2016 verlängert.[130] Im Urteil Bressol, das Zulassungsbeschränkungen für medizinische Studiengänge betraf, bestätigte der EuGH, dass vom aus Art. 21 I AEUV folgenden Recht von Unionsbürgern, im Anwendungsbereich der Verträge nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden, auch Situationen erfasst werden, „die die Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung betreffen, wobei sowohl das Hochschul- als auch das Universitätsstudium eine Berufsausbildung darstellen“.[131] Dieses Verbot erstreckt sich auch auf mittelbare Diskriminierungen, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis einer besonderen Benachteiligung führen, sofern die nationale Regelung nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht.[132] Die Prüfung, ob dies der Fall ist, überlässt der EuGH dem jeweils zuständigen nationalen Gericht, das dabei an die vom EuGH vorgegebenen Kriterien gebunden ist.[133]

bb) Gleichbehandlung zugelassener Studierender

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Das Recht auf Gleichbehandlung hat zur Folge, dass zugelassene Studierende grundsätzlich wie Inländer behandelt werden müssen. Daher dürfen ihnen z.B. nicht höhere Studiengebühren abverlangt werden als inländischen Studierenden.[134]

cc) Recht auf Stipendien

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Im Urteil Bidar revidierte der EuGH angesichts der seither erfolgten Entwicklung des (damaligen) Gemeinschaftsrechts seinen Standpunkt, den er in den Urteilen Lair[135] und Brown[136] vertreten hatte, dahingehend, dass die Förderung, die Studenten für ihren Lebensunterhalt gewährt wird, dem Anwendungsbereich des Vertrages und daher dem Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 I AEUV) unterfällt. Zwar haben auch danach Studierende, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben, um dort ein Studium aufzunehmen und dort zu diesem Zweck nach der Studentenrichtlinie[137] aufenthaltsberechtigt sind, auf Grundlage dieser Richtlinie keinen Anspruch auf eine Unterhaltsbeihilfe. Dies hindere einen Angehörigen eines Mitgliedstaats, der sich gemäß Art. 20 II lit. a, Art. 21 I AEUV und der Richtlinie 90/364[138] rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalte, wo er beabsichtige, ein Studium aufzunehmen oder fortzuführen, nicht daran, sich während dieses Aufenthalts auf den Gleichbehandlungsgrundsatz zu berufen. Zwar sei es legitim, dass ein Aufnahmemitgliedstaat eine derartige Beihilfe nur Studierenden gewährt, die nachgewiesen haben, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft dieses Staates integriert und sich für eine gewisse Zeit im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben. Art. 18 AEUV stehe aber einer nationalen Regelung entgegen, die Studierenden den Anspruch auf Beihilfe zur Deckung ihrer Unterhaltskosten verwehrt, auch wenn sie sich rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und dort einen großen Teil ihrer Ausbildung an weiterführenden Schulen erhalten und folglich eine tatsächliche Verbindung zu der Gesellschaft dieses Mitgliedstaates hergestellt haben. Auf einen finanziellen Beitrag der Studierenden oder ihrer Angehörigen zum Hochschulsystem dürfe nicht abgestellt werden.[139] Vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt besteht aber gemäß Art. 24 II der Richtlinie 2004/38/EG kein Anspruch auf Studienbeihilfen „in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens“.[140]

dd) Berufsrecht der Hochschullehrer

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Hochschullehrer sind Arbeitnehmer im Sinne des Art. 45 AEUV. Die Bereichsausnahme des Art. 45 IV AEUV (öffentliche Verwaltung) ist eng auszulegen und erfasst – abgesehen von Leistungsfunktionen wie Rektor bzw. Präsident – nicht den Hochschulbereich (s.o. Rn. 79). Mobilitätsbeschränkungen ergeben sich ungeachtet entsprechender unionsrechtlicher Regelungen[141] durch Probleme bei der Anrechnung von Versorgungsansprüchen.[142]

ee) Lehrinhalte

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Die Festlegung der Lehrinhalte bleibt an sich in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Vorgaben können sich freilich aus den Berufsanerkennungsrichtlinien ergeben, wenn und soweit für die gegenseitige Anerkennung berufsqualifizierender Diplome bestimmte Anforderungen gestellt werden. Weitergehend sind die „freiwillig“ vorgenommenen Anpassungen im Rahmen des sog. Bologna-Prozesses (s.o. Rn. 70).

f) Die Frage der Kompetenzabgrenzung

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Die erheblichen Auswirkungen des „allgemeinen“ Unionsrechts auf die Hochschulen zeigen die eingeschränkte Wirkung des Prinzips der begrenzten Ermächtigung (Art. 5 II EUV), des hier regelmäßig nicht greifenden Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 III EUV) und auch des in Art. 165 IV, Art. 166 IV AEUV enthaltenen Harmonisierungsverbots.[143] Daran hat auch die Festlegung von Kompetenzbereichen im Reformvertrag von Lissabon (vgl. Art. 1 ff. AEUV) grundsätzlich nichts geändert.[144] Dies ist seitens der deutschen Länder, aber auch in der Wissenschaft auf Kritik gestoßen.[145] Umso verwunderlicher ist, dass man sich im Rahmen des Bologna-Prozesses „freiwillig“ in weitere, nicht unbedingt sinnvolle Vorgaben zwängt (s.o. Rn. 70).

1. Kapitel Grundlagen › II. Rechtsgrundlagen › 5. Bundesrecht

5. Bundesrecht

a) Verfassungsrechtliche Vorgaben der Grundrechte

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Verfassungsrechtliche Vorgaben der Grundrechte bestehen für das Hochschulzugangsrecht und für das Hochschulorganisationsrecht.[146] Besonders bedeutsam sind für das Hochschulzugangsrecht Art. 12 GG und für das Hochschulorganisationsrecht Art. 5 III GG. Daneben sind auch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG)[147], der Gleichheitssatz (Art. 3 I GG), die Glaubens-[148] und Gewissensfreiheit (Art. 4 I GG)[149], die Meinungs- und Pressefreiheit[150], die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 I und II GG)[151] und das Eigentumsrecht (Art. 14 GG)[152] relevant. Ferner sind Art. 33 II und V GG zu beachten.

aa) Hochschulzugangsrecht

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Die Hochschulzulassung unterliegt den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die das BVerfG im Numerus-clausus-Urteil aufgestellt hat. Danach folgt aus dem in Art. 12 I 1 GG gewährleisteten „Recht auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip“ ein „Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium, das nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes einschränkbar“ ist. „Absolute Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger einer bestimmten Fachrichtung sind nur verfassungsmäßig, wenn sie in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden und wenn Auswahl und Verteilung der Bewerber nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber und unter möglichster Berücksichtigung der individuellen Wahl des Ausbildungsortes erfolgen“.[153] Gefordert wird die völlige Ausschöpfung der Ausbildungskapazität. Obwohl das BVerfG einen absoluten numerus clausus als „am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren“ ansieht und „Teilhaberechte nicht von vornherein auf das jeweils Vorhandene beschränkt sind, stehen sie doch unter dem Vorbehalt des Möglichen dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Dies hat in erster Linie der Gesetzgeber in eigener Verantwortung zu beurteilen, der bei seiner Haushaltswirtschaft auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen hat“. „Ihm obliegt auch die Entscheidung über Umfang und Prioritäten des Hochschulausbaus“. Ein „etwaiger Verfassungsauftrag“ verpflichtet nicht dazu, „für jeden Bewerber zu jeder Zeit den von ihm gewünschten Studienplatz bereitzustellen“.[154] Die Bevorzugung von „Landeskindern“ ist ebenso unzulässig[155] wie Beschränkungen zur Berufslenkung.[156]