Tasuta

Die beiden Dianen

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Ihr braucht nur: Karl und Calais, zu sagen, und die Wachen werden Euch hinaus lassen.«

»Hernach, gnädigster Herr, wenn ich unterliege und Ihr siegt, erlaube ich mir, Euch daran zu erinnern, daß Frau Diana von Castro, die Tochter des Königs, Gefangene von Lord Wentworth ist und die legitimsten Rechte auf Euren freundlichen Schutz hat.«

»Ich werde mich meiner Pflicht als Mensch und als Edelmann erinnern,« erwiderte Franz von Lothringen. »Ferner?«

»Endlich. gnädigster Herr, werde ich heute Nacht eine beträchtliche Schuld gegen einen Fischer von dieser Küste Namens Anselm eingehen. Stirbt Anselm mit mir, so habe ich an Meister Elyot, der meine Domänen verwaltet, geschrieben, er möge für die Wohlfahrt und den Unterhalt der fortan ihrer Stütze beraubten Familie sorgen. Zu größerer Sicherheit aber, gnädigster Herr, wäre ich Euch sehr verbunden, wenn Ihr über dem Vollzug meiner Befehle wachen wolltet.«

»Es soll geschehen,« sprach der Herzog von Guise. »Ist dies Alles?«

»Das ist Alles. Nur, wenn Ihr mich nicht wiederseht, denkt, ich bitte Euch, zuweilen an mich mit einigem Bedauern und sprecht von mir mit einiger Achtung, sei es gegen den König, der sich sicherlich über meinen Tod freuen, sei es gegen Frau von Castro, die sich vielleicht darüber betrüben wird. Und nun halte ich Euch nicht mehr länger zurück und sage Euch Gott befohlen, gnädigster Herr.«

Der Herzog von Guise stand auf und sprach:

»Verjagt Eure traurigen Gedanken, Freund. Ich gehe von Euch, um Euch ganz Eurem geheimnißvollen Vorhaben zu überlassen, und gestehe, daß ich bis morgen um acht Uhr sehr unruhig sein und kaum schlafen werde. Doch dies wird hauptsächlich der Dunkelheit wegen der Fall sein, welche für mich über dem schwebt, was Ihr thun wollt. Irgend Etwas sagt mir, daß ich Euch wiedersehen werde, und ich sage Euch nicht Lebewohl.«

»Ich danke für das Vorzeichen, gnädiger Herr; denn seht Ihr mich wieder, so wird es in Calais, einer französischen Stadt, sein.«

»Dann könnt Ihr Euch rühmen, sowohl die Ehre von Frankreich, als meine eigene Ehre einer großen Gefahr entrissen zu haben,« sprach der Herzog von Guise.

»Die kleinen Barken retten zuweilen die großen Schiffe,« erwiderte Gabriel sich verbeugend.

Der Herzog von Guise drückte auf der Schwelle des Zeltes bei einer freundschaftlichen Umarmung zum letzten Male Gabriel die Hand und kehrte ganz träumerisch in seine Wohnung zurück.

VII.
Obscuri sola sub nocte . .

Als Gabriel an seinen Platz zurückkehrte, nachdem er Herrn von Guise bis vor die Thüre begleitet hatte, machte er Martin-Guerre von ferne ein Zeichen, worauf dieser sogleich aufstand und hinausging, ohne daß es schien, als bedürfte er einer andern Erklärung.

Nach einer Viertelstunde kam der Stallmeister, begleitet von einem dürftig angezogenen Menschen mit hagerem Gesicht, zurück.

Martin näherte sich seinem Herrn, der wieder in seine Betrachtungen versunken war. Die andern Gesellen spielten oder schiefen in die Wette.

»Gnädiger Herr,« sprach Martin-Guerre, »hier ist unser Mann.«

»Ah! gut,« sagte Gabriel. »Ihr seid der Fischer Anselm, von dem mir Martin-Guerre gesprochen hat?« fügte er sich an den Mann mit dem elenden Aussehen wendend bei.

»Ich bin der Fischer Anselm, ja, gnädiger Herr.«

»Und Ihr wißt, welchen Dienst wir von Euch erwarten?« fragte der Vicomte d’Ermès.

»Euer Stallmeister hat es mir gesagt, und ich bin bereit.«

»Martin-Guerre,« fuhr Gabriel fort, »muß Euch auch gesagt haben, daß Ihr bei diesem Unternehmen mit uns das Leben wagt.«

»Oh! er brauchte mir das nicht zu sagen,« versetzte der Fischer. »Ich wußte das eben so gut und besser als er.«

»Und dennoch seid Ihr gekommen?«

»Ich stehe zu Euren Befehlen.«

»Gut, Freund, das ist die Handlungsweise eines muthigen Herzens.«

»Oder einer verlorenen Existenz.«

»Wie dies?« fragte Gabriel. »Was wollt Ihr damit sagen?«

»Ei! bei Unserer Lieben Frau der Gnade! ich trotze jeden Tag dem Tod, um einen Fisch nach Hause zu bringen, und zuweilen bringe ich nichts. Es ist also kein großes Verdienst, wenn ich heute meine bleiche Haut für Euch wage, der Ihr Euch anheischig macht, wenn ich sterbe oder wenn ich lebe, das Loos meiner Frau und meiner drei Kinder zu sichern.«

»Ja,« entgegnete Gabriel, »doch die Gefahr, der Ihr täglich trotzt, ist zweifelhaft und verborgen. Ihr schifft Euch nie im Sturme ein. Diesmal aber ist die Gefahr sichtbar und gewiß.«

»Ah!« versetzte der Fischer, »es ist nicht zu leugnen, »man muß ein Wahnsinniger oder ein Heiliger sein, um sich in einer solchen Nacht auf die See zu wagen. Doch das geht Euch an und ich habe nichts auszusetzen, wenn Ihr entschlossen seid. Ihr habt mich zum Voraus für meine Barke und meinen Leib bezahlt. Nur werdet Ihr der heiligen Jungfrau eine schöne Kerze von echtem Wachs schuldig sein, wenn wir unversehrt an Ort und Stelle kommen.«

»Und sind wir an Ort und Stelle, so ist Eure Aufgabe nicht vollbracht, Anselm,« sagte Gabriel. »Nachdem Ihr gerudert habt, müßt Ihr Euch im Fall der Noth schlagen und das Soldatenhandwerk treiben, nachdem Ihr als Seemann gedient. Es sind folglich zwei Gefahren statt einer vorhanden, vergeßt das nicht.«

»Es ist gut . . . entmuthigt mich nicht zu sehr . . . Man wird Euch gehorchen. Ihr verbürgt mir das Leben derjenigen, welche mir theuer sind. Ich gebe Euch das meinige. Der Handel ist abgeschlossen, sprechen wir nicht mehr davon.«

»Ihr seid ein braver Mann,« versetzte der Vicomte d’Ermès. »Seid unbesorgt, Eure Frau und Eure Kinder sollen nie an etwas Mangel leiden. Ich habe meinem Verwalter Elyot meine Befehle in dieser Hinsicht geschrieben und der Herr Herzog von Guise wird selbst dafür Sorge tragen.«

»Das ist mehr, als ich brauche,« sagte der Fischer, »Ihr seid großmüthiger als ein König. Ich werde nicht den Pfiffigen gegen Euch machen. Hättet Ihr mir auch nur die Summe gegeben, die uns in den so harten Zeiten aus der Verlegenheit gezogen, ich würde das Uebrige nicht von Euch verlangt haben. Doch wenn ich mit Euch zufrieden bin, so hoffe ich, daß Ihr auch mit mir zufrieden sein werdet.«

»Sprecht, haben wohl vierzehn Menschen in Eurer Barke Platz?« fragte Gabriel.

»Es sind schon zwanzig darin gefahren.«

»Ihr braucht also Arme, um Euch beim Rudern zu helfen, nicht wahr?«

»Ah! ja wohl! Ich werde genug am Steuerruder und am Segel zu thun haben, wenn das Segel halten kann.«

»Wir haben Ambrosio, Pilletrousse und Landry, welche rudern werden, als ob sie ihr ganzes Leben nichts Anderes gethan hätten,« sagte Martin-Guerre, »und ich selbst schwimme eben so gut mit dem Holz, als mit meinen Armen.«

»Ah! gut,« rief Anselm heiter, »ich werde das Ansehen eines vornehmen Patrons haben, mit so vielen und wackeren Gesellen, die mir zu Dienst stehen. Meister Martin hat mir nur Eines nicht gesagt: den Punkt, wo wir landen sollen.«

»Das Fort von Risbank,« antwortete der Vicomte d’Ermès.

»Das Fort von Risbank! Ihr habt gesagt, das Fort von Risbank?« rief Anselm ganz erstaunt.

»Allerdings, was habt Ihr dagegen einzuwenden?«

»Nichts,« erwiderte der Fischer, »nichts, wenn nicht, daß sich an diesem Ort kaum landen läßt, und daß ich meinestheils nie dort Anker geworfen habe. Das ist lauter Felsen.«

»Weigert Ihr Euch, uns zu führen?« sagte Gabriel.

»Meiner Treue! nein, und obgleich ich diese Gegend wenig kenne, werde ich doch mein Möglichstes thun. Mein Vater, der wie ich Fischer von Geburt war, pflegte zu sagen: »Man muß weder den Fisch, noch die Kundschaft meistern wollen.« Ich führe Euch zum Fort von Risbank, wenn ich kann. Wir werden da eine hübsche Spazierfahrt machen?«

»Um welche Stunde müssen wir uns bereit halten?« fragte Gabriel.

»Ihr wollt, glaube ich, um vier Uhr ankommen,« versetzte Anselm.

»Zwischen vier und fünf Uhr, nicht früher.«

»Nun, von dem Orte, wo wir abfahren, um nicht gesehen zu werden und keinen Verdacht zu erregen, haben wir, genau gerechnet, zwei Stunden zu schiffen, das Wesentlichste ist, daß wir uns nicht unnöthig auf der See ermüden. Von hier zum Krek zu gehen, rechnen wir eine Stunde.«

»Wir werden also das Lager um ein Uhr nach Mitternacht verlassen.«

»So ist es.«

»Ich will sogleich meine Leute in Kenntnis setzen,« sagte Gabriel.

»Thut das, gnädiger Herr,« sprach der Fischer. »Ich bitte Euch nur um Erlaubniß, bis ein Uhr ruhig mit ihnen schlafen zu dürfen. Ich habe zu Hause Abschied genommen. Die Barke erwartet uns sorgfältig verborgen und fest angebunden. Nichts ruft mich also mehr hinaus.«

»Ruht aus, Ihr habt Recht, Anselm. Ihr werdet diese Nacht genug Anstrengung haben. Martin-Guerre, benachrichtige nun die Bursche.«

»He! Ihr Leute, Spieler und Schläfer!« rief Martin-Guerre.

»Wie? Was gibt es?« fragten sie aufstehend und näher hinzutretend.

»Dankt dem gnädigen Herrn,« sprach Martin. »Um ein Uhr findet eine besondere Expedition statt.«

»Gut! sehr gut! vortrefflich!« erwiderten einstimmig die Kriegsknechte.

Malemort mischte auch sein Hurrah in diese unzweideutigen Zeichen der Zufriedenheit.

Doch in demselben Augenblick traten vier Gehilfen von Ambroise Paré ein und meldeten, sie kämen, um den Verwundeten zu holen und in die Ambulanz zu bringen.

Malemort stieß gewaltige Schreie aus.

Trotz seiner Einwendungen und seines Widerstands legte man ihn auf eine Tragbahre. Vergebens machte er seinen Kameraden die härtesten Vorwürfe und nannte sogar Ausreißer und Verräther die Feigen, die sich ohne ihn schlagen wollten. Man nahm keine Rücksicht auf seine Schmähungen und trug ihn fluchend und schwörend fort.

»Wir haben nun noch alle unsere Anordnungen zu treffen und Jedem seine Rolle und Reihe zu bezeichnen,« sagte Martin-Guerre.

»Was für ein Geschäft sollen wir verrichten?« fragte Pilletrousse.

 

»Es handelt sich um eine Art von Sturm,« antwortete Martin.

»Ah! dann steige ich zuerst hinauf!« rief Yvonnet.

»Gut!« sprach der Stallmeister.

»Nein, das ist ungerecht!« entgegnete Ambrosio. »Yvonnet maßt sich immer den ersten Platz bei der Gefahr an. Man sollte wahrhaftig glauben, sie sei nur für ihn vorhanden.«

»Laßt ihn gewähren,« sagte der Vicomte d’Ermès dazwischen tretend. »Bei der gefährlichen Erkletterung, die wir zu versuchen haben, wird, denke ich, derjenige, welcher zuerst hinaufsteigt, am wenigsten ausgesetzt sein. Zum Beweis mag dienen, daß ich zuletzt hinaufsteige.«

»Dann ist Yvonnet bestohlen!« sagte Ambrosio lachend.

Martin bezeichnete Jedem seine Nummer für den Marsch, in der Barke, beim Sturm. Ambrosio, Pilletrousse und Landry wurden benachrichtigt, daß sie zu rudern hätten. Man sah endlich für Alles vorher, wofür man vorhersehen konnte, um so viel als möglich Mißverständnisse und Verwirrung ja vermeiden.

Lactance nahm einen Augenblick Martin-Guerre bei Seite.

»Verzeiht,« sagte er, »glaubt Ihr, daß wir zu tödten haben?«

»Ich weiß es nicht genau, doch es ist sehr möglich,« antwortete Martin.

»Ich danke,« sprach Lactance, »in diesem Fall will ich mir immerhin in meinen Gebeten einen Voraus für drei oder vier Todte und eben so viele Verwundete machen.«

Als Alles geordnet war, forderte Gabriel seine Leute auf, ein paar Stunden zu ruhen. Er übernahm es, sie selbst zu wecken, wenn es sein müßte.

»Ja, ich werde gern ein wenig schlafen,« sagte, Yvonnet, »denn meine Nerven sind diesen Abend furchtbar aufgeregt, und ich habe es sehr nöthig, frisch und munter zu sein, wenn ich mich schlage.«

Nach einigen Minuten vernahm man unter dem Zelte nur noch das regelmäßige Schnarchen der Kriegsknechte und die monotonen Paternoster von Lactance.

Bald hörte auch dieses letztere Geräusch auf. Von der Müdigkeit überwältigt, entschlummerte Lactance auch.

Gabriel allein wachte und überlegte.

Gegen ein Uhr weckte er geräuschlos und einen nach dem andern seine Leute. Alle standen auf und bewaffneten sich in der Stille. Dann verließen sie sachte das Zelt und das Lager.

Bei den Worten Calais und Karl, welche Gabriel mit leiser Stimme sprach, ließen sie die Wachen ohne Hinderniß passieren.

Von Anselm dem Fischer geführt, wanderte die kleine Truppe längs der Küste hin. Keiner sprach ein Wort. Man hörte nur den Wind heulen und das Meer in der Ferne wehklagen.

Die Nacht war noch schwarz und nebelig. Niemand fand sich auf dem Wege unserer Abenteurer. Doch wären sie auch Jemand begegnet, man würde sie vielleicht nicht gesehen haben, und hatte man sie auch gesehen, so wären sie sicherlich zu dieser Stunde und in dieser Dunkelheit für Gespenster gehalten worden.

* * *

Im Innern der Stadt war auch Einer, der zu dieser Stunde noch wachte.

Das war Lord Wentworth, der Gouverneur.

Und doch hatte sich Lord Wentworth, der am andern Tage auf das Eintreffen des Entsatzes rechnete, den er von Dover verlangt, in sein Zimmer zurückgezogen, um einige Augenblicke zu ruhen.

Er hatte in der That seit drei Tagen nicht geschlafen und sich auf allen Punkten, wo seine Gegenwart nothwendig war, vervielfältigend an den gefahrvollsten Orten mit dem unermüdlichsten Muthe ausgesetzt.

Am Abend des 4. Januar hatte er noch die Bresche am alten Schloß untersucht, selbst die Schildwachen gestellt und die städtische Miliz, welche mit der leichten Vertheidigung des Fort von Risbank beauftragt war, die Revue passieren lassen.

Doch trotz seiner Müdigkeit und obgleich Alles sicher und ruhig war, konnte er nicht schlafen.

Eine unbestimmte, dumpfe, unablässige Furcht hielt ihn auf seinem Ruhebett wach.

Alle seine Maßregeln waren indessen gut getroffen. Der Feind konnte materiell keinen nächtlichen Sturm durch eine so wenig vorgerückte Bresche, wie die vom alten Schloß, versuchen. Die anderen Punkte bewachten sich durch sich selbst, durch die Sümpfe und durch den Ocean.

Lord Wentworth wiederholte sich dies Alles hundertmal, und dennoch konnte er nicht schlafen.

Er fühlte unklar in der Nacht um die Stadt her eine furchtbare Gefahr, einen unsichtbaren Feind kreisen.

Dieser Feind war in seinem Geiste nicht der Marschall Strozzi, es war nicht der Herzog von Nevers, es war sogar nicht der große Franz von Guise.

Wie! war es etwa sein ehemaliger Gefangener, den von fern, von den Wällen herab, sein Haß mehrere Male im Gefecht erkannt hatte? War es wirklich dieser Narr, dieser in Frau von Castro verliebte Vicomte d’Ermès.

Ein lächerlicher Gegner für den Gouverneur von Calais in der noch so furchtbar bewachten Stadt!

Lord Wentworth konnte, was er auch thun mochte, diese unbestimmte Angst weder überwinden, noch sich dieselbe erklären.

Aber er fühlte sie und schlief nicht.

VIII.
Zwischen zwei Abgründen

Das Fort von Risbank, das man wegen seiner acht Flügel auch den Thurm Octogon nannte, war, wie gesagt, am Eingange des Hafens von Calais, vor den Dünen, gebaut und ruhte mit seiner furchtbaren Granitmasse auf einer eben so düsteren und eben so ungeheuren Felsmasse.

Ging die See hoch, so brachen sich ihre Wellen am Felsen, sie erreichten aber nie die letzten Lagen des Mauergesteins.

Das Meer war sehr heftig und sehr drohend in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar 1558 gegen vier Uhr Morgens. Es stieß die ungeheuren, düsteren Seufzer aus, die es einer beunruhigten und stets trostlosen Seele ähnlich machen.

In einem Augenblick, ein wenig, nachdem die Schildwache von zwei bis vier Uhr auf der Plattform des Thurmes von der Schildwache von vier bis sechs Uhr abgelöst worden war, vermischte sich eine Art von menschlichem Schrei, wie aus einem blechernen Instrumente hervorgehend, im Winde mit der ewigen Klage des Oceans.

Dann hätte man können die neue Schildwache beben, horchen und, nachdem sie die Natur dieses seltsamen Geräusches erkannt, ihre Armbrust an die Mauer legen sehen. Als sich der Mann der Wache hierauf versichert hatte, daß ihn kein menschliches Auge beobachten konnte, hob er mit einem mächtigen Arm sein steinernes Schilderhaus auf und zog einen Haufen von Stricken hervor, welche eine lange Leiter mit Knoten bildeten, die er stark an den in die Zinnen des Fort eingenieteten eisernen Klammern befestigte.

Hiernach band er an einander diese verschiedenen Bruchstücke von Stricken, entrollte dieselben über die Zinnen, und zwei schwere Bleikugeln machte sie bald auf den Felsen fallen, worauf das Fort stand.

Die Strickleiter war zwei hundert und zwölf Fuß lang und das Fort von Risbank zwei hundert und fünfzehn Fuß hoch.

Kaum hatte die Schildwache ihre geheimnisvolle Operation beendigt, als eine Nachtrunde oben auf der steinernen Treppe erschien, welche auf die Plattform führte.

Doch die Runde fand die Wache vor dem Schilderhause stehend, fragte nach dem Losungswort, erhielt es und ging weiter, ohne etwas gesehen zu haben.

Die Schildwache wartete ruhiger. Das erste Viertel von vier Uhr war schon vorüber.

Nach zwei Stunden übermenschlicher Anstrengung gelang es auf dem Meere einer Barke, worauf vierzehn Männer, am Felsen des Fort von Risbank zu landen. Eine hölzerne Leiter wurde an die Felsen angelegt. Sie erreichte eine erste Aushöhlung des Steines, worauf sechs Mann stehen konnten.

Einer nach dem andern erstiegen stillschweigend diese kühnen Abenteurer auf der Barke die Leiter und kletterten, ohne sich bei der Aushöhlung aufzuhalten, fort, wobei sie sich nur ihrer Hände und Füße bedienten und die kleinsten Vortheile, die ihnen das Terrain bot, benützten.

Ihr Ziel war sicherlich, an den Fuß des Thurmes zu gelangen. Aber die Nacht war stockfinster, der Felsen schlüpfrig; ihre Nägel rissen sich ab, ihre Finger wurden blutig auf dem Gestein. Der Fuß von einem derselben glitschte aus, er rollte, ohne sich halten zu können, und fiel in’s Meer.

Zum Glück war der letzte von den vierzehn Männern noch in der Barke, die er, obschon vergebens, anzubinden suchte, ehe er sich der Leiter anvertraute.

Derjenige, welcher gefallen war und während seines Falles keinen Schrei auszustoßen den Muth gehabt hatte, schwamm kräftig gegen die Barke. Der Andere reichte ihm die Hand und hatte, trotz der Stöße der unter seinen Füßen sich bewegenden Barke, die Freude, ihn unversehrt hereinzuziehen!

»Wie, Du bist es Martin-Guerre?« sagte er, als er ihn in der Finsternis zu erkennen glaubte.

»Ich selbst, ich gestehe es, gnädiger Herr,« antwortete der Stallmeister.«

»Wie hast Du ausglitschen können, Ungeschickter?« fragte Gabriel.

»Es ist besser, daß es mir begegnet ist, als einem Andern.«

»Warum?«

»Ein Anderer hätte vielleicht geschrien.«

»Hilf mir, da Du gerade da bist, dieses Seil um diese dicke Wurzel schlingen. Ich schickte Anselm mit den Andern fort und ich hatte Unrecht.«

»Die Wurzel hält nicht, gnädiger Herr. Ein Stoß wird sie zerreißen und die Barke wird mit uns verloren sein.«

»Es läßt sich nichts Besseres thun,« erwiderte der Vicomte d’Ermès. »Wir wollen handeln und nicht sprechen.«

Als sie die Barke, so gut es ging, angebunden hatten, sagte der Vicomte zu seinem Stallmeister:

»Steige hinauf.«

»Nach Euch, gnädiger Herr; wer würde Euch die Leiter halten.«

»Steige hinauf!« wiederholte Gabriel ungeduldig mit dem Fuße stampfend.

Der Augenblick war nicht günstig für Erörterungen und Ceremonien. Martin kletterte bis zur Aushöhlung und hielt, hier angelangt, mit allen seinen Kräften den Baum der Leiter, während Gabriel diese ebenfalls erstieg.

Er hatte den Fuß auf der letzten Sprosse, als eine gewaltige Welle an die Barke anprallte, das Kabel zerriß, und Leiter und Schaluppe in die offene See forttrug.

Gabriel wäre verloren gewesen, hätte sich nicht Martin, auf die Gefahr, mit ihm zu Grunde zu gehen, mit einer Bewegung rascher als der Gedanke über den Abgrund geneigt und seinen Herrn am Kragen gepackt. Dann zog der brave Stallmeister mit der Stärke der Verzweiflung Gabriel unverletzt auf den Felsen.

»Du hast mir ebenfalls das Leben gerettet, mein wackerer Martin,« sprach Gabriel.

»Ja, aber die Barke ist fern!« versetzte der Stallmeister.

»Bah! wie Anselm sagt, sie ist bezahlt,« erwiderte Gabriel mit einer Sorglosigkeit, unter der er seine Unruhe verbergen wollte.

»Gleichviel!« sagte der kluge Martin den Kopf schüttelnd, »findet sich Euer Freund nicht als Schildwache da oben, hängt die Leiter nicht am Thurme oder bricht sie unter unsern Füßen, ist die Plattform von überlegener Mannschaft besetzt, so ist uns jede Chance eines Rückzuges, jede Hoffnung auf Rettung mit dieser verfluchten Barke geraubt.«

»Desto besser, wir müssen nun siegen oder sterben!«

»Es sei!« sprach Martin-Guerre mit seiner gleichgültigen und heldenmüthigen Naivität.

»Vorwärts« sagte Gabriel, »die Gefährten müssen unten am Thurme angekommen sein, da ich kein Geräusch mehr höre. Wir müssen sie einholen. Gib Acht, Martin, daß Du Dich diesmal gut hältst und nicht eher eine Hand los lässest, als bis Du Dich mit der andern festgeklammert hast.«

»Seid unbesorgt, ich werde vorsichtig sein.«

Sie begannen ihre gefahrvolle Aufsteigung, und nach zehn Minuten, nachdem sie zahllose Schwierigkeiten und Gefahren überwunden hatten, holten sie ihre zwölf Gefährten wieder ein, welche voll Angst auf dem Felsen gruppiert unten am Fort von Risbank ihrer harrten.

Das dritte Viertel von vier Uhr und etwas mehr noch war abgelaufen.

Gabriel bemerkte mit unaussprechlicher Freude die Strickleiter, welche auf den Felsen herabhing.

»Ihr seht es, Freunde,« sagte er mit leiser Stimme zu seiner Truppe, »man erwartet uns da oben. Dankt Gott, denn wir können nicht mehr rückwärts schauen das Meer hat unsere Barke fortgetragen. Vorwärts also, und Gott beschütze uns!«

»Amen!« sprach Lactance.

Es mußten in der That entschiedene Leute sein, diejenigen, welche Gabriel umgaben. Bis jetzt verwegen, wurde das Unternehmen nun mehr beinahe wahnsinnig, und dennoch rührte sich nicht einer bei der furchtbaren Nachricht, daß jeder Rückzug abgeschnitten sei.

Bei dem schwachen Schimmer, der vom bedecktesten Himmel fällt, schaute Gabriel ihre männlichen Gesichter an und fand sie völlig unempfindlich.

Sie wiederholten Alle nach ihm:

»Vorwärts!«

»Ihr erinnert Euch der Verabredung?« sagte Gabriel. »Ihr kommt zuerst, Yvonnet, dann geht Martin-Guerre, dann jeder der bezeichneten Reihe nach bis auf mich, der ich zuletzt hinaufsteigen will. Die Stricke und Knoten dieser Leiter sind hoffentlich fest!«

 

»Das Seil ist von Eisen, gnädiger Herr,« sagte Ambrosio. »Wir haben die Probe gemacht, es würde dreißig so gut als vierzehn tragen.«

»Vorwärts also, mein braver Yvonnet!« sprach der Vicomte d’Ermès. »Du hast nicht den am mindesten gefährlichen Theil des Unternehmens. Marsch und Muth!«

»Muth, daran fehlt es mir nicht, gnädiger Herr,« erwiderte Yvonnet, »besonders wenn die Trommel rasselt und die Kanone donnert; doch ich gestehe, daß ich eben so wenig an ein schweigsames Erstürmen, als an dieses flatternde Strickwerk gewöhnt bin. Es ist mir auch lieb, daß ich zuerst hinaufsteige und die Anderen hinter mir habe.«

»Ein bescheidener Vorwand, um Dir den Ehrenposten zu sichern!« sagte Gabriel, der sich nicht in eine gefährliche Erörterung einlassen wollte. »Vorwärts! keine Phrasen! obgleich der Wind und die See unsere Worte bedecken, müssen wir doch handeln und nicht sprechen. Vorwärts, Yvonnet, und erinnert Euch Alle, daß es erst auf der hundert und fünfzigsten Sprosse erlaubt ist, auszuruhen. Seid Ihr fertig? Die Muskete auf dem Rücken befestigt, den Degen in den Zähnen? . . . Schaut aufwärts und nicht hinab, und denkt an Gott und nicht an die Gefahr. Marsch!«

Yvonnet setzte zuerst den Fuß auf die Leiter. Es hatte vier Uhr geschlagen, eine zweite Nachtrunde war an der Schildwache auf der Plattform vorübergezogen.

Langsam und schweigend wagten sich nun einer nach dem andern diese vierzehn unerschrockene Männer auf die schwache im Winde schaukelnde Leiter.

Das war nichts, so lange Gabriel, der zuletzt kam, einige Schritte vom Boden blieb. Aber wie sie mehr vorrückten und ihre lebendige Traube immer mehr schwankte, da steigerte sich die Gefahr zu einem unerhörten Maße.

Es müßte ein zugleich herrliches und gräßliches Vergnügen gewesen sein, in der Nacht und im Sturmwinde diese vierzehn schweigsamen Männer, diese vierzehn Dämonen die schwarze Mauer erklettern zu sehen, auf deren Höhe der Tod möglich, bei der unten der Tod gewiß war.

Beim hundert und fünfzigsten Knoten hielt Yvonnet an. Alle thaten dasselbe.

Es war verabredet, hier so lange auszuruhen, als Jeder brauchen würde, um zwei Pater und zwei Ave zu sprechen.«

Als Martin-Guerre sein Gebet verrichtet hatte, sah er zu seinem Erstaunen, daß sich Yvonnet nicht mehr rührte. Er glaubte sich getäuscht zu haben, machte sich seine Unruhe zum Vorwurf und begann ein drittes Pater und ein drittes Ave.

Doch Yvonnet blieb immer unbeweglich.

Obgleich man nur noch ungefähr hundert Fuß von der Plattform entfernt war und es sehr gefährlich wurde, zu sprechen, entschloß sich doch Martin-Guerre, Yvonnet an die Beine zu klopfen und zu ihm zu sagen:

»Gehe doch vorwärts!«

»Nein, ich kann nicht mehr,« erwiderte Yvonnet mit erstickter Stimme.

»Du kannst nicht mehr, Elender! und warum nicht?« fragte Martin schauernd.

»Ich habe den Schwindel,« sagte Yvonnet.

Ein kalter Schweiß perlte auf der Stirne von Martin-Guerre.

Er wußte eine Minute lang nicht, wozu er sich entschließen sollte. Erfaßte der Schwindel Yvonnet und er stürzte, so wurden Alle in seinem Fall nachgezogen. Wieder hinabsteigen war nicht minder gefährlich. Martin fühlte sich unfähig, irgend eine Verantwortlichkeit unter diesen gräßlichen Umständen zu übernehmen. Er neigte sich nur zu Anselm hinab, der ihm folgte, und sagte:

»Yvonnet hat den Schwindel.«

Anselm bebte, wie Martin-Guerre gebebt hatte, und sprach zu Scharfenstein seinem Nachbar:

»Yvonnet hat den Schwindel.«

Und Jeder zog auf eine Minute den Dolch aus seinen Zähnen und sagte zu demjenigen, welcher ihm folgte:

»Yvonnet hat den Schwindel, – Yvonnet hat den Schwindel.«

Bis endlich die unselige Kunde zu Gabriel gelangte, der ebenfalls erbleichte, als er sie vernahm.