Transzendierung des Ichs und christliche Botschaft

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Transzendierung des Ichs und christliche Botschaft
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Anton Weiß



Transzendierung des Ichs und christliche Botschaft



Eine Deutung christlicher Glaubensinhalte aus spiritueller Sicht





Dieses ebook wurde erstellt bei






Inhaltsverzeichnis





Titel







Zusammenfassender Überblick







Vorwort







Einführung







Vorgeschichte







Das Ich als Sündenfall und Erbsünde







Hybris







Einseitigkeit







Sich annehmen







Ich und Unbewusstes







Abgehobene Standpunkte







Die Sorge um sich selbst







Haben oder Sein







Reich Gottes







Wo „zwei oder drei“ oder nur einer







„Nicht mehr ich lebe“







Tod und Auferstehung







Die Weigerung zu sterben







Verschlungen im Bauch des Fisches







Erlösung







Kann man den Tod des Ichs herbeiführen?







Einzelne Aussprüche







Leben im Hier und Jetzt







„Schau nicht zurück“ gegen „Kehret um“







Werdet wie die Kinder







Selig die Armen







„Bleibt in mir“







Moralische Forderungen







Christliche Werte







„guter Meister“







Literatur:







Impressum neobooks







Zusammenfassender Überblick



Die Grundlage für alles, was ich geschrieben habe, ist meine erschütternde Erfahrung im Jahr 2005. Es war das Begreifen, wie sehr unser Dasein vom Ich her bestimmt ist und dass es darum geht, dieses Ich zu transzendieren. Aufgrund dieser Erfahrung zeigte sich mir die christliche Botschaft in einem völlig neuen Licht. Viele Aussprüche Jesu über z. B. die unnötige Sorge, die sich die Menschen machen, zeigten die Sorge des Ichs um seinen Bestand. Die Ursünde (Erbsünde), von der in der christlichen Botschaft die Rede ist, erscheint als die Befindlichkeit im Ich, in der sich der Mensch mit dem Eintritt in dieses Leben vorfindet. Es besteht in der Abtrennung von seinem Urgrund, von seiner Quelle, und damit von Gott. Das entspricht der Vertreibung aus dem Paradies. Schwerwiegende Folgen dieser Getrenntheit sind die Entfremdung des Menschen von sich selbst, von seinen Mitmenschen und von der Natur. Angst, Sorge, Verlangen und Gier sind die Folgen.



Bei Jesus kreist alles Denken um einen einzigen Begriff: Reich Gottes. Was damit gemeint ist, kann offensichtlich nicht direkt gesagt werden, deshalb verwendet er viele Gleichnisse; das bedeutendste ist das vom „Schatz im Acker“. Eines scheint klar: Es liegt in uns, in jedem Menschen verborgen; es ist das, was von anderen als Selbst, als Höheres Wesen, Wesenskern, wahrer Mensch, innerer Mensch oder anderen Begriffen bezeichnet wird. Und dieser innere Mensch kann nicht anders in Erscheinung treten als durch den Tod des Ichs, denn dieses hindert dieses Selbst an der Teilhabe am Leben. Dieser Tod ist symbolisiert im Tod Jesu am Kreuz, aber auch schon in der geplanten Opferung Isaaks durch Abraham.



Wenn durch Jesu Auferweckung die Überwindung des Todes gezeigt wird, dann kann das nicht den Tod des Körpers meinen, sondern den Tod des Ichs des Menschen, denn im Ich ist der Mensch tot, weil er durch sein Denken unfähig ist, am Leben teilzuhaben. Der Tod des Ichs führt daher zum neuen Leben, das in der Taufe symbolisiert ist.



Wenn von Jenseits die Rede ist, dann meint das nicht ein Jenseits der Welt oder ein Jenseits des Lebens, also nach dem Tod, sondern ein Jenseits des Ichs; es wird deshalb als jenseits erlebt, weil es dem Zugriff des Versandes entzogen ist.



Je mehr der Mensch im Ich steht, umso mehr unterliegt er den Mächten der Finsternis – dem Unbewussten. Das Unbewusste erscheint als Böses, weil es der Mensch an der Teilhabe an seinem Leben ausschließt, ihm den Zugang zum Leben versperrt..



Wer begreift, dass das Ich transzendiert werden muss, gerät an die absolute Grenze, weil der Mensch als Ich das Ich nicht hinter sich lassen kann. Alles, was er tut, geschieht immer von seinem Ich her. Das führt in die Verzweiflung, aus der allein die neue Lebensweise hervorgeht, wie Phönix aus der Asche.



Zum Schluss werden noch einzelne Aussprüche Jesu beleuchtet, wie: „Werdet wie die Kinder“, „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin“ oder „Kehret um“ u. a..





Vorwort





Da ich in verschiedensten Schriften die umwälzenden Erfahrungen beschrieben habe, die mir im Jahr 2005 zuteil wurden, bitte ich den Leser um Verständnis, wenn ich in der vorliegenden Abhandlung auf diese Schriften verweisen werde. Ich versuche natürlich, die für das Verstehen notwendigen Zusammenhänge darzulegen und bitte nochmals um Verständnis dafür, dass ich mich dadurch andererseits gezwungen sehe, in früheren Schriften geäußerte Gedanken zu wiederholen.








Einführung





In dem für mich schicksalhaften Jahr 2005 habe ich Erlebnisse gehabt, die mir gezeigt haben, worum es im Leben geht: um die Transzendierung des Ichs. Da ich im christlichen Glauben aufgewachsen bin und Religion für mich immer die entscheidende Komponente im Leben war, bedurfte es für mich keines großen Nachdenkens, um die entscheidenden Parallelen zu urchristlichem Gedankengut zu sehen. In meinen Schriften habe ich an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen. Es erschien mir aber reizvoll, diese Parallelen mehr oder weniger umfassend darzustellen, was hiermit geschieht.



Die vorliegende Arbeit beansprucht in keiner Weise theologische Korrektheit. Das würde ständig zu Rechtfertigungen führen, die lediglich einen intellektuellen Reiz hätten. Es geht mir in erster Linie darum, meine Erlebnisse im Licht derjenigen christlichen Glaubensinhalte darzustellen, die sich mir schlichtweg aufdrängen. Insofern darf man auch keinesfalls Vollständigkeit erwarten.







Vorgeschichte





Vielen heutigen Menschen sagt die christliche Botschaft nichts mehr, da sie als ein mehr oder weniger tradierter Glaube an überliefertes Gedankengut aufgefasst wird. Schon Karl Rahner hat gesagt, dass Glaube in heutiger Zeit nur mehr möglich ist, wenn Erfahrung dahinter steht, „oder er wird nicht mehr sein“ (aus dem Gedächtnis zitiert). Um aber Glaubenserfahrung zu machen, muss ein elementares Interesse daran vorhanden sein, ganz nach dem Jesuswort: „Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles andere wird euch hinzugegeben werden“ (nach Mt 6,33) (alle Bibelzitate nach „Die Bibel“, Einheitsübersetzung Altes und Neues Testament; Herder 2009, sofern nicht anders angegeben; die Abkürzungen entsprechen dem üblichen Gebrauch: Gen für das erste Buch Moses etc.).



Dieses elementare Interesse aber kann man heute kaum mehr irgendwo sehen. Das Hauptinteresse der meisten Menschen besteht heute darin, ihren Wohlstand zu mehren. Die Kirchen haben es nicht verstanden, die christliche Botschaft für den modernen Menschen verstehbar zu machen. Sie beschränken sich in der Regel zu sehr auf ein Für-wahr-Halten von Glaubensinhalten. So stehen die Erfahrungen des Lebens moderner Menschen nicht mehr in Verbindung mit der christlichen Botschaft, und das müsste durchaus nicht so sein.




Die katholische Kirche hat es in den Anfängen der Tiefenpsychologie versäumt, darin eine Chance für eine Neuinterpretation christlichen Gedankenguts zu sehen. Gerade die psychologischen Erkenntnisse hätten für ein tiefgehendes neues Verständnis christlicher Glaubensinhalte erkannt werden müssen, was aber nicht geschah. Kein Wunder, dass heute der Psychotherapeut an die Stelle des Priesters und Beichtvaters getreten ist.

 



Sehr wohl hat es aber einzelne Personen im Raum der Kirche gegeben, die schon früh erkannt haben – z. B. Josef Goldbrunner in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts –, dass die Psychologie eines C. G. Jung sehr nahe an christliche Grundwahrheiten heranreicht. Für mich, der ich damals Theologie studierte, waren seine Bücher wegweisend.



Mein Leben verlief im wahrsten Sinne des Wortes „katholisch“, d. h. allumfassend. Neben Psychologie interessierten mich vor allem andere Religionen, insbesondere die östlichen, ganz besonders aber der Zen-Buddhismus. Hier fand ich, besonders durch das Buch von Eugen Herrigel „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ das, was ich als Kern der religiösen Ausrichtung verstand: Dass es etwas geben muss, das dem Verstand nicht zugänglich ist und das dennoch in das Leben des Menschen einbrechen kann. So verstand ich auch die geheimnisvollen Gleichnisse Jesu vom Reich Gottes. Ich spürte, dass es da etwas gibt, was dem Zugriff des Menschen entzogen ist. C. G. Jung bezeichnet dies als eine „schwer zu erringende Kostbarkeit“, worauf das Gleichnis vom Schatz im Acker oder der kostbaren Perle ebenfalls hinweisen. Mein ganzes Leben war darauf ausgerichtet, diese Kostbarkeit zu erlangen. Was ich aber konkret hatte, war lediglich der Glaube daran, dass es das gibt. Mit zunehmendem Alter stellte ich fest, dass die meisten Menschen diesen Glauben, diese Hoffnung, dass es etwas gibt, was den Verstand übersteigt, längst aufgegeben und sich den Freuden und Genüssen des Lebens zugewandt hatten. Die Wissenschaften lieferten ein Erklärungsmodell für die Entstehung und Entwicklung der Welt und des Lebens, das den Glauben an einen Gott überflüssig machte. Da es mir nie eingeleuchtet hat, dass es eine Welt ohne Verursacher geben kann, merkte ich, dass ich mit meinen Auffassungen ins Abseits geriet und behielt weitgehend meine Überzeugungen in meinen privaten Kontakten für mich. Da ich Religionslehrer war, hatte ich ja in den Klassen, die ich unterrichtete, ein Betätigungsfeld für sie.



Immer blieb in meinem Leben die Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethe, Faust) lebendig. Ich spürte ein Verlangen, von dem ich längst begriffen hatte, dass es nicht durch Haben von Gütern und allen Freuden, die das Leben bieten kann, gestillt werden kann. Ganz nach dem Satz des hl Augustinus: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, o Gott“. Wir tragen in uns ein unstillbares Verlangen und mir wurde klar, dass dieses Verlangen nicht auf der horizontalen Ebene - also der Ebene der hab- und erwerbbaren Güter (auch geistiger, z. B. Wissen) -, seine Erfüllung finden kann, sondern nur in der vertikalen Dimension, also im geistig-spirituellen Bereich. Ich sehe heute dieses unstillbare Verlangen in seiner Entartung als Gier und Sucht in unserem gesellschaftlichen Leben. Welche Ausmaße das erreichen kann, hat die Finanzkrise 2008/2009 gezeigt, die letztlich die unstillbare Gier nach Vermehrung seines Reichtums darstellt. Wie unstillbar dieses Verlangen ist, könnte man begreifen, wenn man die sexuellen Perversionen, denen sich Menschen hingeben, ernst nehmen und nicht als extremes oder krankhaftes Verhalten einzelner abtun würde. Auch in allem, was als Sucht bezeichnet werden kann, wird dieses unstillbare Verlangen sichtbar, genau so wie in Selbstmord und Amoklauf, Zerstörungswut sich selbst und anderen gegenüber aus Verzweiflung, weil das nicht gefunden wird, was der Mensch so dringend braucht. Aber wir haben uns angewöhnt, so etwas als Ausdruck von psychischer Störung anzusehen, deren Ursachen in neurologischen oder genetischen Gegebenheiten zu sehen sind. Wir glauben allen Ernstes, dass, wenn ein Mensch alles hat, was zum Leben nötig ist, er zufrieden leben kann. Wir verkennen und ignorieren völlig die Grundforderung, die das Leben uns stellt: das Ich zu transzendieren, den wahren Grund seines Menschseins, seine Quelle zu erkennen bzw. zu erleben und aus ihr zu leben. Darum geht es in diesem Leben.



Es vergingen die Jahre, es vergingen Jahrzehnte, und immer noch war dieses Verlangen nicht gestillt. Ich wurde nie schwankend in meinem Glauben - aber die ersehnte Erfüllung blieb aus. Und das Wissen um dieses unstillbare Verlangen nützt gar nichts; es bleibt ein unstillbares Verlangen, auch wenn man weiß, dass es durch Güter nicht zufrieden gestellt werden kann. Das Verlangen bleibt, auch wenn man alles hat, was man sich ersehnt, z. B. auf sexuellem Gebiet oder an materiellen Gütern oder an gesellschaftlichen Kontakten. Das Verlangen bleibt ungestillt, auch wenn man genügend von dem hat, was man zu brauchen glaubt, um ein zufriedenes Leben führen zu können. Daraus erklärt sich auch die Verzweiflung, die oft Menschen erfasst, die alles haben, was man zum Leben braucht, weil sie die Hintergründe nicht durchschauen und eine Verzweiflungstat begehen, Selbstmord oder das Auslöschen der eigenen Familie. Für die Außenstehenden regelmäßig ein nicht zu verstehendes Ereignis.




Als ich fünfzig war, erinnerte ich mich an eine Zen-Geschichte, wo der Zen-Schüler mit vierzig Jahren die Erleuchtung fand. Als ich diese Geschichte mit etwa zwanzig Jahren las, dachte ich: „Nein, so lange möchte ich nicht warten!“ Mit Fünfzig erkannte ich: „Oh, wie früh kam der Mann zur Erleuchtung!“



Ich war schon mehrere Jahre in Pension, als es mich schicksalhaft ereilte, und es war alles andere, als ich mir Erleuchtung oder Befreiung vorgestellt habe. Es war die totale Katastrophe. Es war über mehrere Jahre hinweg der absolute Albtraum. Ich habe das ausführlich in „Mein Weg aus der Ausweglosigkeit“ beschrieben.




Aber ich war nicht der erste, dem so etwas widerfahren ist. Ich erinnerte mich an den Titel eines Buches des spanischen christlichen Mystikers Johannes vom Kreuz – die Mystik ist von der Kirche immer misstrauisch beäugt worden; über Meister Eckhart wurde der Bann verhängt! – mit dem Titel „Die dunkle Nacht“. Dieses Buch kaufte ich mir jetzt und fand tatsächlich große Ähnlichkeit mit meinen drangvollen Erlebnissen. Zwar in einem sprachlichen Gewand, das man sich in heutige Denkweise übertragen musste, aber das fiel mir nicht schwer.



Diese Schrift gab mir großes Vertrauen, doch nicht verrückt zu sein, sondern einen offensichtlich notwendigen Prozess zu durchlaufen, ohne den es eine Transzendierung des Ichs, wie ich es heute bezeichne, nicht geben kann.



Und das ist es, worum es in diesem Leben geht, das ist die große Kostbarkeit, die nicht machbar ist, über die der Mensch in seinem Ich-Sein keine Verfügungsgewalt hat, die reine Gnade ist, ein urchristlicher Begriff, mit dem heute kaum jemand noch etwas anfangen kann in einer Welt, in der alles machbar zu sein scheint.



Darin liegt das große Ärgernis, dass es eben nicht machbar ist, nicht herbeizwingbar, auch wenn sich ein Suchender noch so viel Mühe gibt und bereit ist, noch so große Opfer zu bringen. Wenn es sich ereignet, ist es reine Gnade und man hat nichts dazu getan, außer sich vielleicht von der Suche nicht abbringen lassen, ganz nach dem Jesuswort: „Wer suchet, der findet, wer anklopft, dem wird aufgetan“ (nach Mt 7,7). Auch dass man dieser Bedrängnis standhalten konnte, ist kein Verdienst, sondern ein Geschenk. Es ist reine Gnade, wenn man daran nicht zerbrochen ist, was durchaus in Reichweite lag.



Hierin zeigt sich auch, dass der Schuldbegriff äußerst fraglich ist, denn Schuld setzt willentliches Handeln voraus. In der Situation, in der ich mich befunden habe, gibt es kein willentliches Handeln mehr, es gibt nur einen Ertrinkenden, der um sein Überleben ringt. Und dass er überlebt, ist ein Wunder. In dieser Situation gibt es keinen mehr, der etwas tut, schon gar nicht ein bewusstes Wollen. Es gibt nur ein Erleiden.



Mir drängte sich später der Vergleich auf, dass es ein ähnlicher Prozess sein müsste, wie die Raupe zu einer Puppe und die Puppe zu einem Schmetterling wird, für mich ein grandioses Wunder, wo man sich fragen muss, worin die Kontiniutät beim Übergang von einem Stadium in das andere besteht. Was bleibt vom jeweils vorhergehenden Zustand? Ich kann nichts sehen, und doch muss es etwas geben. Ich denke, dass die Raupe und die Puppe jeweils einen Tod erleiden müssen, damit der Schmetterling geboren werden kann. Genau so muss das Ich den Tod erleiden, wenn der Mensch in seinem wahren Sein sichtbar werden soll. Und genau so unerfindlich ist das, was die Kontinuität bei der Transzendierung des Ichs aufrecht erhält; ich habe es mit Meister Eckhart als Seelenfünklein bezeichnet. Mir liegt es aber näher, von Bewusstseinsfünklein zu reden, weil ein allerkleinster Rest von Bewusstsein erhalten bleibt, weil es die winzige, kaum wahrnehmbare Fähigkeit ist, sich in seiner großen Not, in der Bedrohung durch das Verschlungenwerden zu sehen und voll auf Gott zu hoffen, weil man begriffen hat, dass man selbst nichts mehr tun kann. Man könnte es mit dem Sich-seiner-selbst-Gewahrsein beschreiben, wenn ich nicht den Eindruck hätte, dass dies, so wie es von Nisargadatta, Hartong und anderen verwendet wird, als eine souveräne Haltung erscheint. So wie ich es erlebt habe, war es alles andere als souverän, es ist nur vergleichbar mit einem Ertrinkenden, der verzweifelt um sein Überleben kämpft und plötzlich wunderbarerweise festen Boden unter den Füßen verspürt.




Der Herr des Seins ist gnädig: Der Tod ist nur 99,999-%ig, nicht 100-%ig. Diese 0,001 Prozent sind das, was ich mit Bewusstseinsfünklein bezeichne, die winzige Fähigkeit, sich in seinem großen Elend sehen zu können. Es ist der Rettungsanker, von dem her sich das neue Sein auftut. Es ist der Seidenfaden, der vom jenseitigen Ufer herüberreicht ins Bewusstsein. Er wird erst sichtbar, wenn das Ich zusammengebrochen ist. Alles sich selbst beobachten, sich von sich distanzieren, sich seiner selbst gewahr sein, was spirituelle Schriften empfehlen, ist m. E. immer noch Teil des Ichs. Ich und Denken bzw. Erkennen sind zunächst unlösbar miteinander verbunden. Erst wenn das Ich zusammengebrochen ist, schält sich ein Gewahrsein heraus, das mehr ist als Ich.




Wenn ich den Tod des Ichs als notwendig zur Transformation bezeichne, so ist das keine bildliche Rede. Es ist tatsächlich die einzige Ausdrucksweise, die diesem psychischen Geschehen gerecht wird. Dadurch erscheinen mir heute Tod und Auferstehung Jesu in einem völlig neuen Licht: Es geht nicht um den physischen Tod, sondern um den Tod des Ichs. Aufgrund der erschütternden Ereignisse, die ich 2005 durchmachen musste, sehe ich jetzt die zentrale Aussage der christlichen Botschaft völlig neu.








Das Ich als Sündenfall und Erbsünde





Der Kernsatz des Sündenfalls lautet: Sie wollten sein wie Gott. Es ist das Ich, das sein will wie Gott: autonom, frei, selbständig und unabhängig. Es glaubt, sein Leben nach seinen Wünschen, seinem Wollen und seinen Vorstellungen gestalten zu können. Der Titel von Schopenhauers Hauptwerk trifft es genau: „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Das ist der Mensch in seinem Ich, der glaubt, die Welt und das Leben nach seinen Vorstellungen lenken und managen zu können. Schön kommt diese Haltung in dem bekannten Ausspruch „l’état – ce moi“ oder in der gut bayerischen Version „Mia san mia“ zum Ausdruck.



Es ist gar nicht leicht, jemandem nahe zu bringen, was mit Ich gemeint ist, denn es geht weit über das hinaus, was mit der lateinischen Bezeichnung „ego“ in Verbindung gebracht wird wie egoistisch, Egoismus. Der Mensch bewegt sich in seinem Ich wie der Fisch im Wasser, d. h. es ist für ihn die einzig legitime Weise zu sein und er kann gar nicht sehen, dass daran etwas falsch sein könnte. Der Mensch als Ich ist der, der seine Welt mit seinem Verstand und seinem Willen gestaltet. Er steht in seiner Welt und macht für sich das beste daraus. Alles, was er anpackt, soll ihm helfen, sein Leben nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten, so dass er ein glückliches Leben führen kann. Es war für mich eine erschütternde Erkenntnis als ich begriff, dass das Ich das ist, was mich ausmacht, was ich bin, worin mein Selbstverständnis liegt, was mein Leben ist. Man könnte das Ich als Splitter des einen Geistes ansehen, so wie eine Welle als Splitter des Ozeans erscheint, der sich nicht nur selber denkt, sondern sich eine eigenständige Existenz aneignet und damit abtrennt von der Gesamtheit, zu der er gehört, wie wenn sich die Welle vom Ozean abtrennen und sich als eigenständige und besondere (das Wort enthält ja ab-sondern) Existenz erleben würde, und zwar unabhängig vom Ozean. Oder vergleichbar einem Menschen, der in den Spiegel schaut und sich nun das Spiegelbild anmaßen würde, eine eigenständige Existenz zu besitzen. Jeder Vergleich hinkt und man kann sagen, dass man ja nur beiseite zu treten braucht und dann muss dem Spiegelbild klar sein, dass sein Selbstsein eine Illusion ist. Aber im Falle des Menschen schaut Gott eben sehr lange in den Spiegel, deshalb heißt es ja in der Bibel, dass der Mensch Ebenbild Gottes (Genesis 1,26) ist. Um es etwas poetisch auszudrücken: Wendet sich Gott ab, ist das das Ende allen Seins; alles Leben und auch der Mensch hat kein von Gott unabhängiges Dasein; der Mensch und die Welt existieren nur, weil Gott in den Spiegel schaut!

 




Es bedarf schon einer erheblichen kritischen Distanz mir selber gegenüber, um zu erkennen, dass ich gemeint bin, wenn von Ich die Rede ist: nämlich genau ich hier als Schreibender und Sie als Leser. Dass ich gemeint bin mit meinem ganz selbstverständlichen Denken und Wollen, meinen Plänen, Hoffnungen und Wünschen, wie sie eben jeder so hat. Wenn Sie wirklich begriffen haben, was mit Ich gemeint ist und Sie ein einigermaßen vernünftiger Leser sind, dann müssen Sie glauben, dass ich nicht alle Tassen im Schrank habe. Das Dasein als Ich ist für die meisten das Selbstverständlichste von der Welt. Es ist doch klar, dass es um mich geht, dass ich mir der nächste bin und für mich in erster Linie Sorge trage und alles tue, dass es mir gut geht. Deshalb ist man doch kein böser Mensch und kann auch bemüht sein, an andere zu denken! Es ist für einen normalen, gebildeten, intelligenten Menschen weder zu glauben noch nachzuvollziehen, dass genau an dem, wie er sein Leben gestaltet, mit seinem Verstand, seinem Können und seinen Fähigkeiten, etwas nicht richtig sein soll. Aber genau das ist gemeint! Nachdenklich könnten Sie erst werden, wenn Ihnen dämmert, dass Sie ja bisher mit den genannten Fähigkeiten eben nicht das Leben so gemeistert haben, wie Sie es wollten: Sie haben nicht die Frau gefunden, die Sie sich vorgestellt haben – bei Blind-Date-Treffen wählt ein Mann häufig eine Frau, die gerade nicht seinen vorher genannten Vorstellungen entspricht! -, Sie üben nicht den Beruf aus, von dem Sie geträumt haben, Ihre Kinder haben sich nicht so entwickelt, wie sie es erhofft haben usw. Erst wenn Sie das nachdenklich macht, begreifen Sie, dass das Leben bei den meisten mehr oder weniger anders verläuft, als sie es sich vorgestellt und vorgenommen haben. Wir sind nur zu wenig gründlich, wischen es beiseite, orientieren uns neu und wissen oft gar nicht mehr, unter welchen Voraussetzungen wir ursprünglich angetreten sind. Es würde uns nämlich zeigen, wie wenig es nach unserem Willen, unseren Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen im Leben geht, und das wäre eine ziemliche Kränkung; so ziehen wir es vor, nachträglich die Dinge gewollt zu haben, die uns aufgedrängt worden sind. Treffend formuliert es Eugen Roth: „Ein Mensch erhofft sich fromm und still, dass er einst das kriegt, was er will. Bis er dann doch dem Wahn erliegt und schließlich das will, was er kriegt.“





Man glaubt, sein Leben und auch das Leben der Natur – Tiere, Meere, Flüsse, Wälder – nach seinen Vorstellungen gestalten zu können, Dabei muss gar nicht immer böser Wille am Werk sein. Da das Ich aber immer nur sich und seine Interessen im Auge hat, also alles herbei wünscht, was ihm nützt und alles zu beseitigen sucht, was ihm schadet, gerät es immer wieder in die Situation, die Folgen seines aus seiner einseitigen Sicht erfolgenden Handelns nicht genügend bedacht zu haben. Die einseitige Sicht besteht in zweifacher Hinsicht: Erstens, weil das Ich immer auf seinen Vorteil bedacht ist, und sei er noch so subtil – z. B. unter dem Deckmantel von Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe. Es bewertet positiv, was ihm nützt und negativ, was ihm schädlich erscheint. Zweitens, weil es nur gelten lässt, was es mit seinem Verstand, seiner Ratio, begreifen kann und alles andere beiseite schiebt, wie z. B. parapsychologische Phänomene.



Häufig ergeben sich schwere Folgeschäden lediglich daraus, dass der Mensch in seinem Denken ohne böse sein zu wollen einfach interessen- und ichgeleitet ist und damit nur auf seinen Vorteil achtet und dabei übersieht, welche Nachteile sein Handeln im Gefolge hat. Dass durch dieses interessengeleitete Denken immer wieder die Zusammenhänge nicht gesehen werden, möchte ich an einem kleinen Beispiel verdeutlichen: Es gibt eine EU-Verordnung, nach der kein Aas liegen bleiben darf. Jäger sind verpflichtet, alles Aas zu beseitigen. Das hat sehr einleuchtende hygienische Gründe. Seuchen wie Milzbrand und Maul- und Klauenseuche werden auf herumliegendes Aas zurückgeführt. Was aber nicht gesehen wird ist, dass sich viele Tiere von Aas ernähren. Durch diese scheinbar sinnvolle Verordnung sind viele Geierarten – i

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