Lehrvertragsauflösung und Ausbildungserfolg - kein Widerspruch

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Der Prozess der organisationalen Sozialisation lässt sich als Abfolge verschiedener Phasen konzipieren: die Vorbereitung auf den Eintritt in die Organisation, die Konfrontation mit der Realität sowie die Anpassung und Stabilisierung (Ashforth, 2012; Van Maanen & Schein, 1979; Wanous, 1992). Die Phase vor dem Eintritt umfasst die Entscheidungen und Lernprozesse, die auf den Eintritt in die Organisation und auf die konkrete Stelle vorbereiten. Dazu gehören die Berufswahl, die Erfahrungen, die Stellensuchende im Verlauf der betrieblichen Selektion machen, und die Entscheidung für die konkrete Arbeitsstelle. In der Phase direkt nach dem Eintritt werden neue Mitarbeitende mit der Arbeitsrealität im Betrieb konfrontiert. Ihre Erwartungen werden bestätigt oder es wird ihnen allenfalls bewusst, dass die Stelle nicht oder nur zum Teil mit ihren Vorstellungen übereinstimmt. Die nachfolgenden Phasen umfassen den Anpassungsprozess, das Klären von Widersprüchen zwischen Mitarbeitenden und Betrieb, die Übernahme der neuen Arbeitsrolle und den Erwerb von Kompetenzen. Dadurch stabilisiert sich das Arbeitsverhältnis: Die neuen Mitarbeitenden sind zu akzeptierten Mitgliedern der Organisation geworden, sind zufrieden mit ihrer Arbeit und fühlen sich ihrem Betrieb zugehörig. Empirische Studien zeigen, dass die verschiedenen Phasen fließend ineinander übergehen, dass gewisse Phasen teilweise übersprungen oder aber mehrmals durchlaufen werden (Ashforth, 2012).

2.2.1 Proximale und distale Ergebnisse der organisationalen Sozialisation

Obwohl neue Mitarbeitende meist eine ungefähre Vorstellung davon haben, was sie an der neuen Arbeitsstelle erwartet, sind die ersten Monate nach Stellenantritt durch viele Unsicherheiten geprägt (Lohaus & Habermann, 2015; Saks & Gruman, 2012). Neue Mitarbeitende sind mit vielen Anforderungen gleichzeitig konfrontiert. Sie müssen sich mit dem Arbeitsgebiet vertraut machen, sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Stelle auseinandersetzen, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben und Selbstvertrauen entwickeln. Sie sind unsicher, ob sie vom Team akzeptiert werden, und müssen herausfinden, welches Verhalten von ihnen erwartet wird. Sie sind gefordert, eine gute Beziehung zu anderen Mitarbeitenden aufzubauen sowie Personen zu finden, von denen sie etwas über die Arbeit und die Organisation lernen können. Zudem müssen sie sich mit den Machtstrukturen und den Werten der Organisation vertraut machen und den spezifischen Jargon des Betriebs lernen. Um diese Anforderungen zu bewältigen, die Unsicherheit zu reduzieren und eine Passung zu erreichen, müssen Mitarbeitende ihre Erwartungen und Verhaltensweisen fortlaufend überprüfen und justieren (Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003; Van Vianen & De Pater, 2012). Dabei stellen sich tätigkeitsbezogene und soziale Lernerfordernisse (Chao, O’Leary-Kelly, Wolf, Klein & Gardner, 1994; Fisher, 1986). Lernen wird denn auch als wichtigstes Ergebnis der Anpassung oder als latenter, der Sozialisation zugrundeliegender Prozess angesehen (Ashforth et al., 2007; Bauer et al., 2007; Cooper-Thomas & Anderson, 2002; Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003; Ostroff & Kozlowski, 1992; Saks & Gruman, 2012).

Organisationale Sozialisationsmodelle unterscheiden zwischen proximalen (naheliegenden) und distalen (entfernt liegenden) Sozialisationsergebnissen (Bauer & Erdogan, 2011; Saks & Gruman, 2012). Proximale Ergebnisse umschreiben die unmittelbare Anpassung (adjustment) von neuen Mitarbeitenden (Bauer et al., 2007). Dazu gehören neben einer guten wahrgenommenen Passung die Rollenklarheit (die eigenen Aufgaben kennen; wissen, was wann mit welcher Priorität zu erledigen ist), die Aufgabenbeherrschung (wissen, wie man seine Arbeitsaufgaben erledigen muss; eigenen Fähigkeiten vertrauen), die Akzeptanz durch die Gruppe (ein von der Gruppe geschätztes Mitglied sein) und die Kenntnis der Organisationskultur (Geschichte, Werte und Ziele des Betriebs kennen) (Bauer et al., 2007; Chao et al., 1994; Feldman, 1981; Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003; Wang, Zhan, Mccune & Truxillo, 2011). Als distale Sozialisationsergebnisse werden insbesondere die Arbeitsleistung, die Arbeitszufriedenheit, die Verbundenheit mit dem Betrieb, die Verbleibens- bzw. Kündigungsabsicht und die Fluktuation untersucht (Ashforth et al., 2007; Bauer & Erdogan, 2012; Saks & Gruman, 2012; Saks, Uggerslev & Fassina, 2007). Proximale Sozialisationsergebnisse wirken auf distale Sozialisationsergebnisse ein. So erreichen Mitarbeitende, die wissen, welche Aufgaben sie erledigen müssen und die vom Team akzeptiert sind, bessere Arbeitsleistungen, sind zufriedener mit ihrer Arbeit, fühlen sich stärker dem Betrieb zugehörig und kündigen seltener als andere Mitarbeitende (Allen et al., 2010; Bauer et al., 2007).

Ob es Mitarbeitenden gelingt, sich gut an die Arbeit und den Betrieb anzupassen und umgekehrt, entscheidet sich häufig in den ersten Monaten im Betrieb (vgl. dazu Bauer & Erdogan, 2011; Kammeyer-Mueller, Wanberg, Rubenstein & Song, 2013; Van Vianen & De Pater, 2012). Grundsätzlich ist die Anpassung an eine neue Arbeitsrolle einfacher, wenn sie sich nur wenig von der bisherigen unterscheidet, wenn der Übertritt in die neue Situation freiwillig erfolgt und vorhersehbar ist (Ashforth, 2012). Sie fällt auch leichter, wenn genügend Zeit für die Vorbereitung auf die neue Stelle zur Verfügung steht und wenn der Eintritt in den neuen Betrieb gemeinsam mit Gleichgesinnten erfolgt (Ashforth, 2012). Umgekehrt wird die Anpassung für neue Mitarbeitende schwieriger, wenn sich die neue Rolle stark von der bisherigen unterscheidet, der Stellenwechsel von der Person und ihrem Umfeld nicht erwünscht ist und unfreiwillig erfolgt, z. B. weil die Person mangels Alternativen keine andere Wahl hatte. Wenig Zeit für die Vorbereitung auf die neue Stelle und den neuen Betrieb und die fehlende Möglichkeit, sich mit anderen neuen Mitarbeitenden auszutauschen, erschweren die Anpassung zusätzlich.

Sozialisation ist schließlich dann erfolgreich, wenn sie für Mitarbeitende wie für die Organisation zu einer zufriedenstellenden Situation führt. Eine gelungene Sozialisation impliziert, dass Mitarbeitende eine Balance zwischen den eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen und den Anforderungen der Arbeitsumwelt gefunden haben und die nötigen Kenntnisse, das Selbstvertrauen und die Motivation haben, ihre Arbeitsrolle zu erfüllen (Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003). Für Betriebe bedeutet dies, dass Mitarbeitende zu wertvollen Mitgliedern der Organisation geworden sind, die gute Leistungen erbringen, sich dem Betrieb gegenüber verpflichtet fühlen und in dem Ausmaß innovative Ideen einbringen, wie es für den Betrieb optimal ist (Feij, 1998).

2.2.2 Determinanten von Sozialisationsergebnissen

Zu den wichtigsten Einflussfaktoren proximaler und distaler Sozialisationsergebnisse gehören die Sozialisationstaktiken der Betriebe und die Proaktivität der neuen Mitarbeitenden (Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003). Zudem spielen die Berufs- und Organisationswahl der Stellensuchenden sowie die Selektion durch die Betriebe eine Rolle (Bauer & Erdogan, 2011; Lohaus & Habermann, 2015). Sie beeinflussen die Passung vor Eintritt in den Betrieb und legen die Grundlage für eine später erfolgreiche Anpassung und Integration in den Betrieb (Van Vianen & De Pater, 2012). Im Folgenden werden die Berufs- und Organisationswahl von Mitarbeitenden sowie die Selektion durch die Betriebe beschrieben. Des Weiteren wird gezeigt, wie Betriebe mit Sozialisationstaktiken und lernförderlichen Arbeitsbedingungen die Anpassung unterstützen und welche Rolle die neuen Mitarbeitenden dabei haben.

Berufswahl, Organisationswahl und Selektion von Mitarbeitenden

Organisationspsychologische Sozialisationsmodelle befassen sich meist nur am Rande mit der Berufswahl von angehenden oder neuen Mitarbeitenden und untersuchen vor allem deren Organisationswahl und die Selektion durch die Betriebe (vgl. dazu Lohaus & Habermann, 2015). Die Wahl eines möglichst passenden Berufs wird aber als notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für eine später gelingende Anpassung an den Betrieb und die Arbeitstätigkeit betrachtet. Die Passung mit dem Beruf wirkt sich indirekt auf distale Sozialisationsergebnisse wie Arbeitsleistung, Arbeitszufriedenheit und Verbleibenstendenz aus (Vogel & Feldman, 2009). Personen, die nicht die Fähigkeiten, Fertigkeiten, Interessen und Einstellungen mitbringen, die für die Ausübung eines Berufs nötig sind, werden sich nur schwer an die Arbeit in diesem Beruf und an den Betrieb anpassen können. Sie sind, unabhängig von der Arbeitsstelle, wenig erfolgreich in ihrer Berufslaufbahn (Feldman & Ng, 2007).

Auch die Wahl einer passenden Organisation bzw. von passenden Mitarbeitenden sind eine wichtige Vorbedingung für eine gelingende spätere Anpassung an den Betrieb. Stellensuchende erachten Betriebe dann als attraktiv, wenn sie nach eigenem Dafürhalten für die vakante Stelle geeignet sind, und antizipieren, dass die Arbeit und der Betrieb zu ihnen passen (Kristof-Brown & Jansen, 2007; Moser & Sende, 2014). Um abschätzen zu können, ob der Betrieb den eigenen Erwartungen entspricht, benötigen Bewerbende möglichst umfassende und ausgewogene Informationen. Tatsächlich können sie sich aber nur auf eher allgemeine und abstrakte Informationen und auf vage Vorstellungen über die Organisation stützen (Van Vianen & De Pater, 2012). Die Informationen, die Stellensuchende aus Stellenanzeigen, dem Internet oder über Kontakte zu bestehenden Mitarbeitenden erhalten, sind unvollständig und zuweilen widersprüchlich (Earnest, Allen & Landis, 2011). Stellensuchende beziehen sich zudem nur auf wenige und selektive Kriterien, um die zukünftige Passung mit dem Betrieb zu beurteilen (De Goede, Van Vianen & Klehe, 2011). Sie geben positiven Informationen stärkeres Gewicht, blenden negative Informationen aus und vergewissern sich so, dass der Betrieb «gut» ist und attraktive Arbeitsbedingungen bietet. Trotz unvollständiger Informationen haben Stellenbewerbende meist eine optimistische Einstellung und sind überzeugt, dass der Betrieb bzw. die Arbeitstätigkeit zu ihnen passt. Ihre Vorstellungen können dabei sehr unrealistisch und ihre Erwartungen überhöht sein (Wanous, Poland, Premack & Davis, 1992). Diese zum Teil fehlerhaften Vorstellungen werden nach Stellenantritt korrigiert, wenn neue Mitarbeitende merken, dass der Betrieb und die Arbeit nicht ihren Erwartungen entsprechen.

 

Betriebe sind daran interessiert, zukünftige Mitarbeitende so auszuwählen, dass deren Kompetenzen möglichst gut auf das Anforderungsprofil der Stelle und deren Werte gut zu den Werten der Organisation passen (Kristof-Brown et al., 2005). Für die Selektion von passenden Mitarbeitenden stützen sich die Betriebe auf biografieorientierte, eigenschaftsorientierte und simulationsorientierte Verfahren (Schuler & Kanning, 2014). Biografieorientierte Verfahren wie die Evaluation von Bewerbungsunterlagen und Vorstellungsgespräche gehen davon aus, dass aus bisherigem Verhalten und bisher erreichten Ergebnissen auf zukünftiges Verhalten und zukünftige Leistungen geschlossen werden kann (Schuler, 2014). Aufgrund der Bewerbungsunterlagen wird eine erste Grobselektion vorgenommen. Diese erste Entscheidung für bzw. gegen bestimmte Stelleninteressierte ist insofern fehlerhaft, als dass ungeeignete Personen im Verfahren behalten und allenfalls geeignete Personen ausgeschlossen werden. Im Vorstellungsgespräch bietet sich den Betrieben die Möglichkeit, im direkten Austausch mit den Stelleninteressierten mehr über deren Qualifikationen, berufsrelevanten Erfahrungen und Interessen zu erfahren. Basierend auf dem nonverbalen und verbalen Verhalten der Kandidatin bzw. des Kandidaten entsteht bei den Interviewenden ein allgemeiner Eindruck, der den weiteren Gesprächsverlauf prägt und sich auf das abschließende Urteil auswirkt (Mussel, 2007). Ebenso gewinnt die interviewte Person einen Eindruck über die Interviewenden, was ihre nachfolgende Entscheidung für oder gegen die Stelle beeinflusst. Schul- und Studienleistungen sind die valideste Einzelkomponente von Bewerbungsunterlagen (Schuler, 2014). Sie ermöglichen die beste Voraussage für den späteren Ausbildungserfolg und sagen auch den späteren Berufserfolg mit hoher Wahrscheinlichkeit voraus (Baron-Boldt, Funke & Schuler, 1998; Roth, BeVier, Switzer III & Schippmann, 1996; Trapmann, Hell, Weigand & Schuler, 2007). Auch Vorstellungsgespräche haben eine hohe prädiktive Validität und sagen den Trainings- und Berufserfolg gut voraus (Schmidt & Hunter, 1998; für einen Überblick vgl. Schuler, 2014).

Eigenschaftsorientierte Verfahren messen Merkmale der Person, die als relativ stabil angesehen werden und von denen angenommen wird, dass sie den späteren Ausbildungs- und Berufserfolg beeinflussen (Schuler et al., 2014). Dazu gehören kognitive Fähigkeitstests, die die allgemeine Intelligenz, spezifische kognitive Fähigkeiten, die Konzentration oder Leistungen messen, sowie Persönlichkeitstests, die Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen, Motivation und berufliche Interessen erfassen. Die allgemeine Intelligenz gilt als valider und stärkster Einzelprädiktor für den Berufserfolg (Schmidt & Hunter, 1998). Kognitive Fähigkeiten sagen den Ausbildungs- und Trainingserfolg und die Arbeitsleistung gut voraus (Hülsheger, Maier & Stumpp, 2007; Salgado et al., 2003; Schmidt & Hunter, 1998) und stehen in einem positiven Zusammenhang mit der beruflichen Entwicklung (Ng et al., 2005). Auch Persönlichkeitstests leisten einen Beitrag zur Erklärung von Berufserfolg (Hülsheger & Maier, 2008).

Simulationsorientierte Verfahren prüfen das konkrete Verhalten von Bewerberinnen und Bewerbern in ausgewählten, arbeitsplatzrelevanten Situationen (Schuler et al., 2014). Typisch sind Arbeitsproben, in der Stelleninteressierte Aufgaben bearbeiten, die eine Nähe zum späteren beruflichen Alltag haben. Auf Grundlage der Arbeitsproben können Betriebe motorische Fähigkeiten und das praktischhandwerkliche Geschick, aber auch verbale und soziale Kompetenzen der Bewerbenden überprüfen. Die Stelleninteressierten erhalten ihrerseits einen Einblick in die zukünftige Tätigkeit. Arbeitsproben haben eine hohe prädiktive Validität und ermöglichen eine sehr gute Vorhersage der späteren beruflichen Leistung (Schmidt & Hunter, 1998). Die Voraussage gelingt dabei besser für Berufe mit einfachen Arbeitstätigkeiten als für Berufe mit hoher Komplexität (Roth, Bobko & McFarland, 2005).

Wesentlich ist, dass die Bewerbenden in der Selektionsphase eine realistische Vorstellung über die zukünftige Arbeitstätigkeit erhalten. Eine realistische Tätigkeitsvorschau, in der ausgewogene, d. h. positive und negative Informationen über die Stelle weitergegeben werden, führt zwar zu einer geringeren Attraktivität der Stelle, erhöht aber gleichzeitig die Glaubwürdigkeit des Betriebs und wirkt der Entwicklung unrealistischer Erwartungen entgegen (Earnest et al., 2011; Wanous et al., 1992). Gut informierte Personen können vor Stellenantritt besser abschätzen, ob sie in den Betrieb passen und ob ihnen die Arbeit entspricht (Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003). Personen, die realistische Vorstellungen haben, werden nach Stellenantritt weniger oft enttäuscht, haben größere Klarheit über ihre Rolle, sind zufriedener mit ihrer Arbeit und bleiben länger im Betrieb als Personen mit unrealistischen Vorstellungen (Allen et al., 2010; Earnest et al., 2011).

Sozialisationstaktiken der Betriebe

Nach Stellenantritt verwenden Betriebe verschiedene Maßnahmen, um neue Mitarbeitende zu sozialisieren. Diese umfassen speziell für neue Mitarbeitende konzipierte Aktivitäten, Einführungsprogramme und Lernanlässe, die sie darin unterstützen, zu lernen und sich an den Betrieb anzupassen (Saks & Gruman, 2012). In der Forschung wurde insbesondere untersucht, wie die Sozialisationstaktiken der Betriebe, Einführungs- und Trainingsprogramme sowie der Einbezug von Mentorinnen bzw. Mentoren die Sozialisation neuer Mitarbeitender beeinflussen.

Sozialisationstaktiken umschreiben die Art und Weise, in der die Erfahrungen von Personen, die von einer (Arbeits-)Rolle in eine andere wechseln, von anderen Organisationsangehörigen strukturiert werden (Van Maanen & Schein, 1979). Sie beziehen sich auf den Kontext, den Inhalt und soziale Aspekte des Sozialisationsprozesses (Jones, 1986). Übergeordnet wird zwischen institutionalisierten und individualisierten Sozialisationstaktiken unterschieden (Jones, 1986): Im Fall von institutionalisierten Sozialisationstaktiken erfolgt Lernen in der Gruppe mit anderen neuen Mitarbeitenden in einem formalen Rahmen, z. B. in speziellen Trainingssequenzen, meist getrennt von der Arbeitsumgebung und bestehenden Mitgliedern der Organisation. Es gibt einen Zeitplan, der die einzelnen Schritte und Etappen des Lernprozesses festlegt. Neue Mitarbeitende werden von erfahrenen Personen begleitet, die als Rollenmodell zur Verfügung stehen, die Identität, die Kenntnisse und Erfahrungen der neuen Mitarbeitenden unterstützen und weiterentwickeln. Im Fall von individualisierten Sozialisationstaktiken lernen neue Mitarbeitende getrennt von anderen Neuen und integriert in die tägliche Arbeit, on the job als Angehörige des bestehenden Teams. Der Lernprozess läuft eher zufällig ab, ohne dass die einzelnen Schritte oder ein Zeitrahmen für die Sozialisation festgelegt sind. Neue Mitarbeitende müssen ihre eigenen Erfahrungen machen und werden in ihrem Lernen nicht von erfahrenen Personen begleitet. Sie sind gefordert, ihre bisherige Identität zu hinterfragen und an die Erwartungen des Betriebs anzupassen.

Metaanalysen zeigen, dass institutionalisierte Taktiken insgesamt und besonders bei Mitarbeitenden, die ihre erste Stelle antreten, zu einer effektiveren Anpassung führen als individualisierte Taktiken (Bauer et al., 2007; Saks et al., 2007). Durch die gezielte Strukturierung wird das Lernen und die rasche Anpassung gefördert und es fällt neuen Mitarbeitenden leichter, die neuen Erfahrungen zu interpretieren und Unsicherheiten zu reduzieren (Ashforth et al., 2007; Saks & Gruman, 2012). Institutionalisierte Taktiken erhöhen die Rollenklarheit und die Selbstwirksamkeit und wirken sich positiv auf die Arbeitszufriedenheit und Leistung aus (Bauer et al., 2007). Stellen Betriebe den neuen Mitarbeitenden Rollenmodelle zur Seite, die sie über die Arbeit informieren und unterstützen, steigt die wahrgenommene Passung zum Betrieb und zur Arbeit (Cable & Parsons, 2001; Riordan et al., 2001). Mitarbeitende, die in einem institutionalisierten Setting eingeführt werden, werden zudem eher akzeptiert und entwickeln ein vertrauensvolleres Verhältnis und eine größere Verbundenheit zum Betrieb als Mitarbeitende, deren Einführung weniger strukturiert verläuft (Cooper-Thomas & Anderson, 2002; Scott, Montes & Gregory Irving, 2012). Institutionalisierte Taktiken wirken schließlich indirekt, vermittelt über die Einbindung in den Betrieb und die wahrgenommene Passung, der Kündigungsabsicht und dem Kündigungsverhalten entgegen (Allen, 2006; Saks et al., 2007).

Individualisierte Taktiken fördern die Eigeninitiative und die Kreativität der Mitarbeitenden, geben ihnen Raum, die Arbeitsaufgaben gemäß eigenen Fähigkeiten und Interessen anzugehen und ihre neue Rolle aktiv auszugestalten (Jones, 1986). Da der Einarbeitungsprozess wenig vorstrukturiert ist, können die Arbeitsinhalte, die Art und der Zeitraum der Arbeitserledigung in gewissem Ausmaß den Bedürfnissen der Mitarbeitenden angepasst werden. Der Spielraum, der sich damit eröffnet, geht aber mit Unsicherheit einher (Saks & Gruman, 2012). Mitarbeitende sind auf sich allein gestellt und müssen mit ihren Befürchtungen oder Ängsten, ob sie alles schaffen, allein zurechtkommen.

Die eher abstrakt gefassten Sozialisationstaktiken bilden die Grundlage für spezifische Sozialisationspraktiken wie Einführungs- und Orientierungsprogramme, Traineeprogramme, Patensysteme oder Mentoringprogramme (Ashforth, 2012; für einen Überblick vgl. Moser et al., 2014; Saks & Gruman, 2012). Einführungs- und Orientierungsprogramme dienen dazu, neue Mitarbeitende willkommen zu heißen, sie mit der Organisationsstruktur vertraut zu machen, ihnen einen Überblick über die Arbeitstätigkeit zu geben und sie ins Team einzuführen. Traineeprogramme richten sich v. a. an Personen mit wenig Berufserfahrung. Trainees können im Rahmen eines individuell gestalteten Trainingsablaufs (und betreut durch andere Mitarbeitende) erste Arbeitserfahrungen sammeln und erhalten einen Einblick in verschiedene Arbeitsbereiche des Betriebs. Bei Patensystemen und Mentoringprogrammen werden den Neuen erfahrene Mitarbeitende zur Seite gestellt, die sie in der Einführungsphase begleiten, ihnen Kontakte vermitteln, sie bei Problemen unterstützen und Ratschläge geben. Verschiedene Studien zeigen, dass Einführungs- und Orientierungsprogramme, Traineeprogramme, Patensysteme oder Mentoring die Sozialisation neuer Mitarbeitender positiv beeinflussen (Saks & Gruman, 2012). Sie reduzieren die Unsicherheit neuer Mitarbeitender, fördern die Rollenklarheit und die rasche Integration in den Betrieb.

Arbeitsbedingungen

Neuere Forschungsarbeiten zur organisationalen Sozialisation fragen zunehmend auch danach, welche Arbeitstätigkeiten neue Mitglieder in einer Organisation ausführen und wie die Arbeitsbedingungen die Sozialisation beeinflussen (Saks & Gruman, 2012). Dahinter steht die Annahme, dass Mitarbeitende bei Stellenantritt andere Bedürfnisse an ihre Arbeit und ihre Arbeitsbedingungen haben als Mitarbeitende, die schon länger im Betrieb sind.

Die arbeitspsychologische Forschung untersucht seit längerem, welche Merkmale Arbeitstätigkeiten aufweisen, die zur Aufgabenerfüllung motivieren und zur Persönlichkeitsentwicklung von Mitarbeitenden beitragen (Dunckel, 1999; Truxillo, Cadiz, Rineer, Zaniboni & Fraccaroli, 2012; Ulich, 2011). Dazu gehören insbesondere: Anforderungsvielfalt (Einsatz unterschiedlicher Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten), Ganzheitlichkeit (bedeutungsvolle Arbeit, Rückmeldung über Arbeitsfortschritte), Autonomie (Mitbestimmung, Verantwortungsübernahme), Möglichkeit sozialer Interaktion (gegenseitige Unterstützung), Sinnhaftigkeit (Beteiligung an gesellschaftlich nützlichen Produkten) sowie Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten (Entwicklung und Erhalt beruflicher Qualifikationen) (vgl. dazu Ulich, 2011). In einem breiteren Verständnis berücksichtigen Arbeitsbedingungen auch Arbeitsbelastungen, die Arbeitsplatzsicherheit, Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, das Betriebsklima oder die Beziehungen zu anderen Mitarbeitenden (Morgeson & Humphrey, 2006; Semmer & Udris, 2007).

 

Arbeitsstellen, die eine hohe Qualität aufweisen, zeichnen sich aus durch vielseitige, lehrreiche und sinnhafte Tätigkeiten, ausreichende Mitbestimmungsmöglichkeiten, eine angemessene Belastung sowie eine gute Unterstützung durch Arbeitskolleginnen und -kollegen und Vorgesetzte (Frieling, Bernard & Bigalk, 2006; Holman, 2013; Keller, Stalder, lgic, Semmer & Elfering, 2015). Arbeitsstellen mit einer geringen Qualität umfassen Tätigkeiten, die wenig abwechslungsreich sind, die Mitarbeitende unter- oder überfordern und wenig Entwicklungspotenzial bieten. Die Qualität der Arbeit bzw. der Arbeitsbedingungen wirkt sich auf die Motivation von Mitarbeitenden aus und beeinflusst deren Einstellungen und das Arbeitsverhalten (Hackman & Oldham, 1980; Humphrey, Nahrgang & Morgeson, 2007; Judge & Klinger, 2007; Morgeson & Humphrey, 2006). Insbesondere motivationale Arbeitsmerkmale wie Autonomie, Anforderungsvielfalt und Ganzheitlichkeit hängen positiv mit der Arbeitszufriedenheit, der Verbundenheit mit dem Betrieb und der selbst eingeschätzten Leistung zusammen (vgl. Metaanalyse von Humphrey et al., 2007). Die Fluktuationsabsicht wird vor allem von sozialen Merkmalen der Arbeit beeinflusst, zum Beispiel von der Unterstützung und dem Feedback, das Mitarbeitende von ihren Kolleginnen und Kollegen erhalten. Unterstützung und Feedback sind besonders wichtig für neue Mitarbeitende, da sie eher noch Fehler machen, die Umgebung weniger gut verstehen und eher organisationale Normen verletzen als erfahrene Mitarbeitende. Erhalten neue Mitarbeitende von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen genügend Informationen und Rückmeldungen, verstehen sie, was sie wann noch zu lernen haben (Wanberg & Kammeyer-Mueller, 2000). Information und Feedback ermöglichen es ihnen, ihre Umwelt zu erschließen, den Sinn ihrer Arbeit zu verstehen und Unsicherheit zu reduzieren (Louis, 1980; Saks & Ashforth, 1997).

Einige arbeitspsychologische Studien gehen davon aus, dass Anforderungsvielfalt und Autonomie für junge, unerfahrene Mitarbeitende weniger wichtig sind als für erfahrene Personen (Fried, Grant, Levi, Hadani & Slowik, 2007; Truxillo et al., 2012). In der ersten Karrierephase führen Mitarbeitende zunächst einfachere Tätigkeiten aus, werden eng begleitet und müssen erst die Kompetenzen erwerben, um anspruchsvolle Aufgaben zu übernehmen. Sind sie überzeugt, dass ihre Arbeitstätigkeit später vielseitiger und komplexer wird und die aktuelle Arbeit ihrer beruflichen Laufbahn dient, akzeptieren sie anfängliche Einschränkungen bezüglich Anforderungsvielfalt und Mitbestimmungsmöglichkeiten (Fried et al., 2007). Andere Forschende betonen hingegen, dass es besonders für junge Mitarbeitende wichtig ist, anspruchsvolle Arbeiten auszuführen, in denen sie verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten anwenden können (De Witte, Verhofstadt & Omey, 2007). Hohe Anforderungen bei gleichzeitig hohen Mitbestimmungsmöglichkeiten fördern das Lernen, die Anpassung an die Arbeitsumgebung und die Karriereentwicklung.

Auch aus sozialisationstheoretischer Sicht ist angenommen worden, dass Anforderungsvielfalt und Autonomie bzw. Mitbestimmung in der ersten Zeit nach Stellenantritt nicht wichtig sind oder sogar einen negativen Effekt haben (Katz, 1980; vgl. dazu Saks & Gruman, 2012). Demgegenüber sind insbesondere die Ganzheitlichkeit und Sinnhaftigkeit der Arbeit sowie das Feedback von anderen Organisationsmitgliedern zentral (Katz, 1980). Unabhängig von ihrer Berufserfahrung müssen neue Organisationsmitglieder zuerst die sozialen und technischen Aspekte ihrer neuen Rolle erlernen. Im Vordergrund steht die Reduktion von Unsicherheit. Arbeitstätigkeiten, die den Einsatz vieler verschiedener Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erfordern und den Mitarbeitenden viel Handlungsspielraum lassen, gefährden die Entwicklung von Aufgabenbeherrschung und Rollenklarheit. Sie erhöhen damit die Unsicherheit. Andere sozialisationstheoretisch ausgerichtete Studien zeigen jedoch, dass neben Ganzheitlichkeit, Sinnhaftigkeit und Feedback auch die Anforderungsvielfalt und Mitbestimmung für die Integration neuer Mitarbeitender entscheidend sind. So sind neue Mitarbeitende, die in den ersten Monaten mit anforderungsreichen und verantwortungsvollen Aufgaben konfrontiert werden, zufriedener mit ihrer Arbeit und identifizieren sich stärker mit ihrem Betrieb als Mitarbeitende mit weniger anspruchs- und verantwortungsvollen Arbeitstätigkeiten (Ashforth, Saks & Lee, 1998). Zusammenfassend lässt sich aus den wenigen Studien schließen, dass Betriebe nicht nur mit institutionalisierten Sozialisationstaktiken, sondern auch durch eine abwechslungs- und anforderungsreiche Arbeitsgestaltung zu einer guten Sozialisation neuer Mitarbeitender beitragen.

Proaktivität

Organisationen tragen durch eine sorgfältige Selektion, institutionalisierte Sozialisationstaktiken und gute Arbeitsbedingungen zu einer gelingenden Anpassung neuer Mitarbeitender bei. Es ist ihnen jedoch nicht möglich, neuen Mitarbeitenden alle nötigen Informationen und Kontakte zur Verfügung zu stellen. Mitarbeitende müssen selber aktiv werden, um zu lernen, was von ihnen erwartet wird und welche Freiheiten sie haben.

Proaktivität betont die aktive Rolle, die neue Mitarbeitende einnehmen, um ihre Arbeit und den Betrieb kennenzulernen und das Arbeitsumfeld zu gestalten (Ashforth et al., 2007). Proaktive Menschen passen sich nicht einfach an die Umweltgegebenheiten an, sondern ergreifen vorausschauend selbst die Initiative (Grant & Ashford, 2008; Parker & Collins, 2008). Sie sind gegenüber Neuerungen offen und positiv eingestellt, suchen Veränderungsmöglichkeiten, erkennen Chancen und schaffen sich so bessere Arbeitsbedingungen (Crant, 2000; Seibert, Kraimer & Crant, 2001). Proaktive Personen suchen Informationen über die Arbeit oder den Betrieb, fragen direkt bei Vorgesetzten oder Arbeitskolleginnen und -kollegen nach, holen Feedback zur eigenen Arbeitsleistung ein und bauen soziale Beziehungen und Netzwerke auf (De Vos & Freese, 2011; Ostroff & Kozlowski, 1992; Wanberg & Kammeyer-Mueller, 2000). Weniger proaktive Menschen verhalten sich eher passiv und reaktiv. Sie passen sich eher an die äußeren Gegebenheiten an, statt diese verändern zu wollen.

Dass proaktives Verhalten proximale Sozialisationsergebnisse wie Lernen, soziale Integration, Rollenklarheit und Aufgabenbeherrschung beeinflusst, ist gut belegt (Ashforth et al., 2007; Bauer & Erdogan, 2011; Saks & Gruman, 2011). Arbeitnehmende, die selber nach Informationen und Feedback suchen und Beziehungen aufbauen, erhalten mehr Rückmeldungen von Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen. Sie lernen effektiver, beherrschen ihre Aufgaben schneller und verstehen ihre Arbeitsrolle besser als weniger proaktive Personen (Ashforth et al., 2007; Morrison, 2002; Saks & Gruman, 2011). Sie finden sich schneller zurecht und passen sich besser und schneller an die neue Arbeitsumgebung an (Bauer & Erdogan, 2011). Proaktives Verhalten wirkt sich auch auf distale Sozialisationsergebnisse aus. Je häufiger sich Personen informieren und je aktiver sie sich um gute soziale Beziehungen bemühen, umso zufriedener sind sie mit ihrer Arbeit, umso stärker fühlen sie sich dem Betrieb zugehörig und umso eher möchten sie im Betrieb bleiben (Kammeyer-Mueller et al., 2013; Morrison, 1993; Wanberg & Kammeyer-Mueller, 2000). Demgegenüber zeigen vereinzelte Studien, dass proaktives Verhalten in gewissen Situationen einen negativen Einfluss auf die Anpassung neuer Mitarbeitender hat (Bauer & Green, 1998; Van Vianen & De Pater, 2012). Mitarbeitende, die aus eigenem Antrieb neue Informationen über den Betrieb und ihre Arbeit suchen, merken allenfalls schneller, dass ihre Werte nicht mit denjenigen des Betriebs übereinstimmen. Dadurch entstehende Konflikte können sich bei proaktiven Personen stärker und negativer auf die Arbeitszufriedenheit auswirken, wenn es ihnen nicht gelingt, die Situation zu verändern (Harvey, Blouin & Stout, 2006).