Handbuch des Strafrechts

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III. Geschichtliche Entwicklung

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Dem römischen Recht war ein auf den Vermögensschutz bezogenes allgemeines Betrugsdelikt noch fremd. Das heißt freilich nicht, dass betrügerische Verhaltensweisen gänzlich sanktionslos gestellt waren; vielmehr fanden bestimmte Betrugskonstellationen ihre strafrechtliche Verpönung im Rahmen anderer Delikte:[20] So findet sich etwa in den Zwölftafelgesetzen (ca. 450 v.Chr.) das Delikt der (untreueähnlichen) Schädigung eines Schutzbefohlenen (fraus patroni)[21].[22] Betrügerische Verhaltensweisen der Sachentziehung, aber auch solche im Zusammenhang mit Münz- und Urkundenfälschungen, wurden dem furtum oder den crimina falsi zugeordnet.[23] Allenfalls der sog. stellionatus, ein erst in der Zeit nach Hadrian entwickeltes unspezisches Sammeldelikt für Fallgruppen der „Schufterei“,[24] kann dann als eine Art Betrugsvorläufer angesehen werden,[25] da es häufig auf Vermögensbeeinträchtigungen bezogen war.[26] Hierbei handelt es sich um ein aus der zivilrechtlichen actio doli entwickeltes crimen extraordinarium.[27]

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Auch die germanischen Volksrechte kannten (wohl) keinen eigenen Betrugstatbestand, sondern verfolgten schädigende Täuschungen nach den Vorgaben der römischen crimina falsi.[28] Zumeist wurde in der Gewährung zivilrechtlicher Ersatzansprüche ein ausreichender Opferschutz gesehen.[29]

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In der Folgezeit änderte sich an diesem Befund wenig.[30] Im italienischen Mittelalter wird das falsum, die „böswillige Täuschung durch Wort und Werk“,[31] zum Oberbegriff aller Fälschungsdelikte, zu denen auch die Aussage-, Urkunds- und Geheimnisschutzdelikte gehörten.

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Das deutsche Mittelalter kannte zwar die Begriffe velcherey, trogene und bedroch,[32] behandelte diese aber ebenfalls als Fälschungsdelikte, vor allem als Münz-, Maß-, Gewichts-, Waren- und Urkundenfälschung sowie Falschspielerei.[33]

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In neuzeitlichen Kodifikationen wurde das tradierte Verständnis betrügerischer Verhaltensweisen im Sinne der falsa beibehalten: In der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 wurden bestimmte Betrugsfälle als „Münzfälscherei“ aufgeführt,[34] nämlich als Varianten der Münz- (Art. 111), Urkunden- (Art. 112) und Maßfälschung (Art. 113), der Grenzverrückung (Art. 114) und des Parteiverrats (Art. 115).

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Die auf dem römischen Recht fußende gemeinrechtliche Doktrin[35] – namentlich Carpzov – wies Betrügereien dem falsum zu und griff hilfsweise auf den stellionatus zurück.[36]

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Das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 bot in § 1256 eine Definition des strafbaren Betruges als „jede vorsätzliche Veranlassung eines Irrthums, wodurch jemand an seinem Rechte gekränkt werden soll“, ahndete Täuschungen in diesem Sinne dann aber nur in speziellen Zusammenhängen der Untreue- (§§ 1329 ff.) und Fälschungsdelikte (§§ 1377 ff.)[37] sowie Aussagedelikte (§§ 1404 ff.) und gemeinschädlichen Betrügereien (§§ 1441 ff.)[38]. Ansonsten sah es in den zivilrechtlichen Ersatzansprüchen einen ausreichenden Schutz vor betrügerischen Vermögensschädigungen.[39]

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Dieses Verständnis hielt sich bis weit in das 19. Jahrhundert hinein.[40] Noch Feuerbach deutete den Betrug als allgemeines Fälschungsdelikt, dessen Unrecht sich – ohne Vermögensbezug – in der Verletzung der Güter eines anderen oder des (vollkommenen) Rechts auf Wahrheit erschöpfte.[41] Dementsprechend umfasste die „Beeinträchtigung fremder Rechte durch Betrug“ (Art. 256 ff.) im bayerischen StGB von 1813 neben dem eigentlichen Betrug als täuschungsbedingte Schädigung zum eigenen Vorteile alle Straftaten – wie auch die Verleumdung (Art. 284 ff.) –, die die Pervertierung der Wahrheit zum Gegenstand haben. Aus dieser tradierten Lehre vom „Falsch“ mag noch das (auch noch heutige) Tatbestandsmerkmal der „falschen Tatsache“ herrühren.[42]

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Gleichzeitig gewinnt jedoch die Auffassung an Gewicht, dass der Betrug als Vermögensdelikt auszugestalten sei, weil bei seinem Verständnis als Wahrheitsverletzung die Grenzen des Rechts gegenüber der Moral verschwömmen.[43] Damit verlagert sich das Unrecht des Deliktes von der Täuschung auf den Erfolg. Die Täuschung wandelt sich also von der eigenständigen Rechtsverletzung in ein bloßes Angriffsmittel, durch das der Täter den Getäuschten zu seinem Werkzeug für die eigentlich pönalisierte Vermögensschädigung instrumentalisiert. Die wissenschaftlichen Voraussetzungen für diese Grundlage der heutigen Betrugsdogmatik wurden maßgeblich von Temme (1841), Köstlin (1858) und Merkel (1867) erarbeitet.[44]

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In seiner heutigen Gestalt als reines Vermögensdelikt ist der Betrugstatbestand das Resultat der Rechtsentwicklung des 19. Jahrhunderts und damit auch Ausdruck des wirtschaftlichen Liberalismus.[45] Das Preußische StGB von 1851 umschreibt den Betrugstatbestand in § 241 nach einer Vielzahl unterschiedlicher Entwürfe mit den Worten:

Wer in gewinnsüchtiger Absicht das Vermögen eines Anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorbringen falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Thatsachen einen Irrthum erregt, begeht einen Betrug“.

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Vorbild für diese vermögensstrafrechtliche Ausrichtung des Betruges war – wie auch für die meisten europäischen Auslandsrechte[46] – die in Art. 405 des Code Pénal von 1810 normierte „escroquerie“, mit der Betonung einer qualifizierten Täuschung und dem Erfordernis einer Vermögensverfügung.[47] Die preußische Fassung des Betruges wurde später mit unwesentlichen Abweichungen zunächst vom Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund und sodann vom RStGB von 1871 übernommen. Absatz 1 der heutigen Fassung des Betrugstatbestands deckt sich noch weitgehend mit derjenigen, die er bei Schaffung des RStGB gefunden hat.

IV. Praktische Bedeutung

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Mit fast einer Million registrierter Fälle hat der Betrug derzeit einen Anteil von rund 15 % an der Gesamtkriminalität (ohne Verkehrsdelikte) in Deutschland und liegt damit hinter dem Diebstahl (insgesamt ca. 35 %) an zweiter Stelle.[48] Da sich schätzungsweise lediglich 5–10 % der Opfer an die Polizei wenden,[49] ist die offizielle Aufklärungsquote von rund 70 % nur scheinbar hoch. Das Dunkelfeld hat viele Gründe und lässt sich nicht zuletzt auch aus der Furcht der Geschädigten vor einem Prestigeverlust oder der Aufdeckung schwarzer Kassen erklären.[50] Dementsprechend sind auch die durch Betrug herbeigeführten Schäden nur ungenau zu ermitteln.[51] Der Täterkreis ist überwiegend männlich (knapp 70 %), nur verhältnismäßig wenige Täter sind unter 18 Jahren alt; mit ca. 35 % ist der Ausländeranteil unter den Tatverdächtigen relativ hoch.[52]

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Aus kriminologischer Sicht sind für den Täter die Fähigkeit, sich gegebenen Situationen anzupassen, und eine rhetorische Begabung, gepaart mit sicherem und selbstbewusstem Auftreten, charakteristisch. Er nutzt eher die emotionalen Schwachpunkte seiner Opfer – etwa Ängste, Mitleid oder Gewinnsucht – als deren intellektuelle Defizite aus.[53] Daher können auch Aufklärungsberichte in den Massenmedien und polizeiliche Präventionsmaßnahmen wenig gegen das stete Ansteigen der Betrugskriminalität ausrichten. Aufgrund der strukturellen Unterlegenheit des Getäuschten gegenüber dem trickreich vorgehenden Täter sind Einschränkungen des Betrugstatbestands unter dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung grundsätzlich abzulehnen (unten[54] Rn. 36 ff.).

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 33 Betrug › B. Deliktsstruktur

B. Deliktsstruktur

I. Vertypte mittelbare Täterschaft

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Der Betrug ist ein sog. Selbstschädigungsdelikt, das sich von den meisten anderen Tatbeständen des Strafgesetzbuches darin unterscheidet, dass die Handlung, durch die das Rechtsgut Vermögen verletzt wird, dem äußeren Erscheinungsbild nach nicht vom Täter, sondern vom getäuschten Opfer[55] selbst vollzogen wird. Es bedarf also eines Grundes, die vermögensschädigende Verfügung des Opfers dem Täter als dessen Fremdschädigungshandlung zuzurechnen. Diesen Grund liefert die der eigentlichen Rechtsgutsbeeinträchtigung vorgelagerte Täuschung, mit der der Täter den Irrtum des Verfügenden und die hierdurch bedingte Verfügung zu vertreten hat. Und dies in zweierlei Hinsicht: So ist die Erregung des Irrtums zum einen der Zwischenerfolg, durch den Täuschung und Vermögensschaden faktisch kausal miteinander verbunden sind, zum anderen kann damit normativ die Zuständigkeit des Täters für den Vermögensschaden vom Vermögensinhaber auf den Täter nach den Kriterien der Lehre von der objektiven Zurechnung (→ AT Bd. 2: Frank Zieschang, Kausalität und objektive Zurechnung, § 33 Rn. 35 ff., 67 ff.) übertragen werden. Diese Form der Zurechnung fremden Verhaltens zum Täter entspricht strukturell der Verantwortungszuschreibung bei der mittelbaren Täterschaft. Sofern man nicht mit einer (bedenkenswerten) Minderansicht Fälle der irrtumsbedingten Selbstschädigung des Opfers anders einordnet,[56] kann der Betrug als ein Delikt verstanden werden, in dessen Tatbestand das Verhältnis des Täters zum getäuschten Verfügenden als mittelbare Täterschaft vertypt ist:[57] Der Irrende ist Werkzeug des Täters, der mittels Täuschung die schädigende Vermögensverfügung als mittelbarer Täter veranlasst.[58]

 

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Die Fokussierung auf die Täuschung als zurechnungsbegründendes Element des Betrugs ergibt sich weiter aus folgenden Erwägungen: Da ein Eingriff in die Freiheitssphäre eines anderen dem Grundsatz volenti non fit iniuria gemäß kein Unrecht ist, wenn er mit dessen (freiem) Willen erfolgt, muss der Wille des Verfügenden beim Betrug defizitär sein, denn sonst könnte die Vermögensverfügung dem Täter nach Maßgabe des Autonomieprinzips nicht zugerechnet werden. Mithin muss die Vermögensverschiebung den Anschein erwecken, sie entspreche dem Willen des Getäuschten, damit sie ihm formell zugeordnet werden kann, materiell muss aber die von der Privatautonomie vorausgesetzte Freiheit fehlen; die Verfügung darf nicht dem wirklichen Willen des Verfügenden entsprechen.[59] Die zivilrechtlichen Möglichkeiten der Verantwortungszuschreibung dort, wo für die Fälle der nur formalen, aber nicht materiellen Wirksamkeit einer Verfügung die Möglichkeit der Anfechtung ex tunc vorgesehen ist (vgl. §§ 119, 123 BGB), stehen im Strafrecht, das zur verlässlichen Beurteilung von Unrecht und Schuld auf den Tatzeitpunkt abstellen muss, nicht zur Verfügung. Eine rückwirkende und zudem von fremder Willkür abhängige Begründung von Verantwortlichkeit ist dem Strafrecht fremd. Es muss also abschließend zwischen formeller und materieller Zuständigkeit für die Vermögensverschiebung differenziert werden. Charakteristisch für den Betrug ist somit das Auseinanderklaffen von äußerer Form und materieller Zuständigkeit für eine Vermögensverschiebung. Der Täter verschleiert seine (materielle) Verantwortlichkeit für eine Vermögensverschiebung dergestalt, dass er eine in Wirklichkeit durch ihn fremdbestimmte Verfügung als autonom vollzogen erscheinen lässt.[60]

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Der Grund für die Zuschreibung von Verantwortlichkeit ist beim Betrug mithin die Zuständigkeit des Täters für die den Tatsachen widerstreitende Entscheidungsgrundlage des Verfügenden. Diese Zuständigkeit – und damit das Unrecht der Tat – wird durch das Tatbestandsmerkmal der Täuschung begründet: Weil der Täter die falsche Entscheidungsgrundlage des Verfügenden aufgrund der Täuschung zu vertreten hat, ist er auch für die auf dieser Grundlage erfolgende Verfügung verantwortlich, sodass sich die Verfügung als keine dem Opfer zurechenbare Fehldisposition, sondern eine vom Täter zu vertretende Schädigung fremden Vermögens darstellt. Diese Verantwortung begründende Wirkung einer tatbestandsmäßigen Täuschung kann jedoch nicht jede beliebige Äußerung von Unwahrheit hervorrufen (deshalb steht beim Betrug die Täuschung auch im Zentrum des dogmatischen Interesses, obwohl sie nicht die eigentlich schädigende Handlung ist). Der Täuschung muss vielmehr die Qualität eignen, die Verfügung inhaltlich oder in der Zwecksetzung zu verfälschen.[61]

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Diese Struktur des Betruges bedingt eine deutliche Unterscheidung zum Diebstahl gemäß § 242 StGB: Das dortige Tatbestandsmerkmal „wegnehmen“ verlangt, dass sich der Besitzwechsel der äußeren Form nach nicht als Organisationsakt („Verfügung“) des Gewahrsamsinhabers darstellen darf, und sei es auch nur, dass der Gewahrsamsinhaber mit dem Besitzwechsel einverstanden ist. Beim Diebstahl darf also keinesfalls der Besitzwechsel vom Gewahrsamsinhaber als Werkzeug des Täters in mittelbarer Täterschaft vorgenommen werden. Demgegenüber erfordert der Sachbetrug, dass der Täter die schädigende Vermögensverschiebung durch eine Person vornehmen lässt, die bereits die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Tatobjekt besitzt, sei es, dass diese das Tatobjekt selbst übergibt, sei es, dass sie ihr Einverständnis mit dem Besitzwechsel erklärt. Insoweit schließen sich im Verhältnis von Täter und Verfügendem die Tatbestände des Betruges und des Diebstahls bereits begrifflich wechselseitig aus.

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Es wäre aber ein grundlegendes Missverständnis der Zurechnungsstrukturen, die formale Differenz zwischen dem Betrug als Selbstschädigungs- und dem Diebstahl als Fremdschädigungsdelikt im Sinne eines sachlichen Unterschiedes zu begreifen. Sachbetrug und Diebstahl unterscheiden sich folglich nur phänotypisch in der Vorgehensweise des Täters. Materiell sind beide Delikte jedoch in dem ihnen gemeinsamen Unrechtsbereich der Eigentums- und damit Vermögensbeeinträchtigung identisch: Materiell muss stets der Täter für das Geschehen zuständig sein, da er hierfür sonst nicht strafrechtlich verantwortlich sein könnte.

II. Opfermitverantwortung

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In der Betrugsdogmatik wird die Auffassung vertreten, dass der Verfügende für die Vermögensverschiebung allein zuständig bleibe, wenn er gegenüber der Täuschung des Täters den nötigen Selbstschutz versäumt habe.[62] Dies entspricht dem Konzept der heute sog. Viktimodogmatik, die am Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts nahezu zeitgleich von Schünemann[63] und (auch gerade am besonderen Beispiel des Betruges) von Amelung[64] entwickelt wurde: Die Verhängung von Strafe als Ultima Ratio des Staates zur Verhütung von Sozialschäden sei nämlich dann nicht am Platz, wenn das Opfer keinen Schutz verdient oder keines Schutzes bedarf.[65] Dementsprechend wird von einem Teil der Lehre ein Irrtum für nicht tatbestandsmäßig gehalten, wenn ihm der Getäuschte aufgrund besonderer Leichtgläubigkeit im Sinne grober Fahrlässigkeit erliegt.[66] Ohne an dieser Stelle grundsätzlich zu der viktimodogmatischen Auslegungsmaxime Position einnehmen zu wollen,[67] gilt für den Tatbestand des Betruges, dass die viktimodogmatisch beeinflusste Lehre der Tatbestandseinschränkung bei Leichtgläubigkeit die faktische mit der normativen Seite des Geschehens konfundiert: Eine unwahre Tatsachenbehauptung ist nicht erlaubt, weil ihr der Getäuschte leichtsinniger Weise glaubt. Zu klären ist vielmehr, ob der Täter die Wahrheit zu sagen hat und der Getäuschte ihm deshalb glauben darf. Strafrechtlich relevant kann Leichtgläubigkeit nur dann sein, wenn eine Tatsachenbehauptung für wahr gehalten wird, die keinen Anspruch auf wahrheitsgemäße Information impliziert.[68]

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Hat das Opfer nach rechtlicher Wertung kein Irrtumsrisiko zu tragen, so ist es also auch ohne Belang, aus welchem Grund es einem Irrtum erliegt und ob es diesen Irrtum hätte vermeiden können.[69] Im Ergebnis ist es daher sachgerecht, wenn die Judikatur die Leichtgläubigkeit des Opfers selbst bei kaum nachvollziehbaren medizinischen Versprechungen oder unglaubhaften Suggestionen für die Tatbestandsverwirklichung für bedeutungslos hält.[70] Dies gilt besonders auch mit Blick auf das EU-Recht, das in der UGP-Richtlinie[71] vom Leitbild des durchschnittlich verständigen und aufmerksamen Verbrauchers ausgeht: Unlautere Geschäftspraktiken seien nicht deshalb straffrei zu stellen, weil sie die Schädigung unterdurchschnittlich aufmerksamer und verständiger Verbraucher bezweckten. Die gezielte Täuschung durch Verschleierung zur Schädigung fremden Vermögens sei vom Schutzzweck der Richtlinie überhaupt nicht erfasst.[72] Stimmen in der Literatur plädieren demgegenüber dafür, durch eine richtlinienkonforme Auslegung nach Maßgabe des statuierten Verbraucherleitbildes den Betrugstatbestand einzuschränken,[73] denn was nach dem Zivil- und Wettbewerbsrecht erlaubt sei, könne nicht für strafbar gehalten werden. Die wettbewerbsrechtlichen bzw. verbraucherschützenden Regelungen bedeuten jedoch keine echte Tatbestandseinschränkung, sondern sie definieren vielmehr in ihrem speziellen Anwendungsgebiet die Grenzen der Wahrheitspflicht des Täters.

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Ungeachtet dieses Meinungsstreites besteht aber ohnehin die Möglichkeit, den Gedanken der Opfermitverantwortung bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

III. Rechtswidrige Vermögensverschiebung

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Die zum subjektiven Betrugstatbestand gehörende Absicht des Täters, sich oder einen Dritten rechtswidrig zu bereichern, ist für die Auslegung des Deliktes von erheblicher Bedeutung: Aus diesem Erfordernis ist abzuleiten, dass der Betrug über die Vermögensschädigung hinaus auch ein Vermögensverschiebungsdelikt ist.[74] Allerdings ist diese Bezeichnung insoweit irreführend, als die Bereicherung nur intendiert sein, aber für den Eintritt der formellen Deliktsvollendung nicht tatsächlich stattgefunden haben muss (aus diesem Grund kann der Betrug als „kupiertes Erfolgsdelikt“ bezeichnet werden).[75]

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Demnach sind die Merkmale Vermögensverfügung und die Absicht der rechtswidrigen Bereicherung dergestalt aufeinander zu beziehen, dass der erstrebte Vermögensvorteil dem Täter (oder einem Dritten) gerade durch die Verfügung zufließen muss. Die erstrebte Bereicherung muss also denselben Verfügungsgegenstand wie die Verfügung betreffen, sie muss („unmittelbar“) auf Kosten des Opfers erfolgen; man spricht deshalb auch von „Stoffgleichheit“.

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Diese Stoffgleichheit von Verfügungs- und Bereicherungsgegenstand bringt es mit sich, dass sich die Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung zugleich auf die Bestimmung des Schadens auswirkt: Ein betrugsrelevanter Schaden im Vermögen des Opfers kann folgerichtig nämlich nur dann angenommen werden, wenn durch Vermögensverschiebung die Position des Opfers in einer Art und Weise beeinträchtigt wird, die den vom Zivilrecht vorgegebenen Wertungen widerspricht, also „rechtswidrig“ ist. So scheidet etwa die Erfüllung eines fälligen und einredefreien Anspruchs für den Betrug als schadensbegründende Vermögensminderung aus, da das betroffene Vermögen bereits rechtlich im entsprechenden Umfang gebunden war. Der von der Rechtsprechung vertretene faktisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff (Rn. 49 ff.) führt hingegen zu unhaltbaren Konsequenzen: Da die Rechtsprechung allein auf die tatsächlichen wirtschaftlichen (i.S.v. „geldwerten“) Positionen der Beteiligten abstellt, rechnet sie konsequent sogar die Diebesbeute zum Vermögen des Diebes. Schwindelt der bestohlene Eigentümer dem Dieb die Beute wieder ab, so wäre dies – ohne das Korrektiv der Rechtswidrigkeit – ein Betrug in Bereicherungsabsicht. Da der Tatbestand jedoch die Rechtswidrigkeit der Vermögensverschiebung erfordert, entspricht die Rückerlangung des Besitzes der zivilrechtlichen Vermögenszuordnung und ist daher nicht betrugsrelevant.

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 33 Betrug › C. Vermögensbegriff

C. Vermögensbegriff

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Während die Täuschung das spezifische Handlungsunrecht des Betruges ausmacht, liegt das Erfolgsunrecht der Tat in der Vermögensverschiebung. Damit ist es erforderlich, sich Klarheit über den Begriff des Vermögens zu verschaffen. Da mit der Festlegung auf ein bestimmtes Verständnis des Vermögensbegriffes zugleich Inhalt und Umfang des strafrechtlichen Schutzes bestimmt werden, kann es nicht verwundern, dass die nähere Bestimmung des „Vermögens“ bereits in den Grundlagen seit jeher höchst umstritten ist. Im Wesentlichen lassen sich die dazu vertretenen Ansichten auf vier Grundpositionen zurückführen: Das Feld der Diskussion wird auf der einen Seite vom sog. juristischen und auf der anderen Seite vom sog. wirtschaftlichen Vermögensbegriff abgesteckt. Zwischen diesen beiden steht der sog. juristisch-ökonomische Vermögensbegriff (mit mehr oder weniger deutlichen Modifikationen der enthaltenen Grundpositionen); hinzu kommt schließlich ein personales Vermögensverständnis.