Seewölfe Paket 29

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-997-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Nr. 561

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 562

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 563

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 564

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 565

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 566

Seewölfe Nr. 566

Nr. 567

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 568

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 569

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 570

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 571

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 572

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 573

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

 

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 574

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 575

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 576

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 577

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 578

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 579

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 580

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9


1.

Oktober 1597, Schwarzes Meer, Westküste.

Der neue Tag begann mit Sonne, auch im Herzen der Arwenacks. Immerhin hatte ihnen die vergangene Nacht ein neues Schiffchen beschert. Allerdings hatten ihre Fäuste kräftig dabei mitgeholfen. So alte Salzbuckel wie sie ließen sich nicht anstänkern, schon gar nicht von russischen Rabauken.

Deren zweimastige Dubas segelten sie reinen Herzens. Sie hatten sie beileibe nicht gestohlen. Gott bewahre! Das wäre nicht schicklich gewesen. Nein, sie hatten nur einen Tausch vorgenommen. Ehrlich, Sir!

Na ja, die neue Dubas war größer als die alte, die sie im Hafen von Varna zurückgelassen hatten. Aber das durfte man nicht so eng sehen. Sie hätten ihre alte Dubas ja auch versenken können, nicht wahr? Dann hätten diese Igors, Iwans und Pjotrs – oder wie sie hießen – gar nichts mehr gehabt und auf ihren Daumen lutschen können.

Außerdem war deren Crew kleiner als die der Arwenacks. Mit einer kleineren Dubas kamen die viel besser zurecht als mit der großen, die wiederum genau richtig für die Arwenacks war.

Als Muselmann hätte Hasard jetzt gesagt: Allah ist groß und weise und gerecht. Er gibt jedem, was ihm gehört, nicht mehr und auch nicht weniger – das kleine Schiff der kleinen Crew und das große Schiff der großen Crew. Die Russen hatten es zwar nicht mit Allah, die Arwenacks auch nicht – die ganz im Gegenteil –, aber die Anrainer des Schwarzes Meers waren solche und solche, das hatten die Arwenacks schon spitzgekriegt.

Mit Allahs Weisheiten hätte sich Hasard bei den Russen kaum entschuldigen können. Die wären vermutlich noch rabiater geworden. Aber als er so an diesem Morgen achtern auf der Dubas stand, die bis vor wenigen Stunden noch diesen wüsten Rabauken gehört hatte, da ging ihm einiges durch den Kopf – eben solche Fragen an das Gewissen, ob man hier nicht ein bißchen geschummelt hatte.

Aber wer schummelte nicht?

Diese russischen Rabauken hatten eh nicht gezeigt, daß ihnen die Milch der frommen Denkungsart ein willkommenes Getränk war. Die nicht! Die hielten es weder mit Allah noch mit dem Schöpfer des Himmels und der Erde.

So grübelte der Kapitän der Arwenacks achtern auf der ehemals russischen Dubas über gewisse Eigentumsveränderungen zugunsten des einen und zum Nachteil des anderen, aber im ganzen gesehen hatte er auch Sonne im Herzen. Da war im übrigen der feine Wind aus Nordosten, der die Dubas südwärts trieb, entlang der bulgarischen Küste. Ob dieser Kurs in das Mittelmeer führte?

Zwei von den Arwenacks hatten keine Sonne im Herzen, nämlich der Kutscher und Mac Pellew. Zwar hatten die sich auch über das größere Schiffchen gefreut, allerdings in der Erwartung, bei Übernahme auf eine gut bestückte Proviantlast zu stoßen – was auch einer der Gründe gewesen war, dieses Schiffchen hoppzunehmen.

Irrtum!

Mac und der Kutscher stellten nach gründlicher Besichtigung der Proviantlast fest, daß die Kerle zwar ein unheimlich scharfes Gesöff, einen klaren Branntwein, an Bord hatten – da waren noch vier Fässer voll –, doch dieser Rachenputzer ersetzte ihrer Meinung nach keineswegs das, was zum Füllen des Magens gehörte.

Also: in der Proviantlast herrschte eine ziemliche Ebbe. Was sich dort an miesen Resten in Säcken und Truhen befand, war auch nicht angetan, die beiden Kombüsenmänner jubeln zu lassen, ganz abgesehen davon, daß Kakerlaken-Geschwader nach Freibeutermanier Ernte hielten.

Nun hatten diese beiden, für die Verpflegung der Arwenacks verantwortlichen Männer bei ihrer Proviantbesichtigung allerdings die erwähnten vier Fässer geprüft, weil es ja hätte sein können, daß sie Essig oder schlichtes Wasser oder vielleicht Wein enthielten. Insofern taten sie ihre Pflicht.

Mac Pellew tat seine Pflicht mehr als der Kutscher, der angesichts von Branntwein immer etwas zimperlich wurde. Aber wie gesagt, sie überprüften die Inhalte der vier Fässer.

Dem ausgekochten Mac Pellew war bereits beim ersten Faß klar, daß sie auf etwas ganz Scharfes gestoßen waren – und daß die drei anderen Fässer Gleiches enthalten mußten. Denn die standen beieinander und glichen sich wie ein Ei dem anderen.

Der Kutscher wiederum war viel zu nervös, um Gleichheit festzustellen. Er sagte immer nur „Jaja“, wenn Mac darauf hinwies, man müsse auch noch das andere Faß anzapfen, um es zu prüfen. Während der Kutscher also Kisten, Truhen und Säcke auslotete, ließ Mac aus dem jeweiligen Faß klaren starken Branntwein in eine Muck gluckern, randvoll, versteht sich. Und wenn der Kutscher gebeugt über einer Kiste stand, kippte sich Mac den Inhalt der Muck hinter die Binde. Wenn sich der Kutscher zu ihm umdrehte, war Mac am Zapfen, um mit ihm „gemeinsam“ den Inhalt des neuen Fasses zu probieren. Der Kutscher kostete von dem Zeug – es handelte sich um hochprozentigen Wodka – ein Fingerhütchen voll. Den Rest gurgelte Mac weg.

Nach der Kostprobe vom vierten Faß urteilte der Kutscher wie beim ersten und bezeichnete den Branntwein als „fürchterliches Zeug“. Nach dem vierten Fingerhütchen blieb er weiterhin stocknüchtern, nur sein Durchblick war geschärfter geworden, aber der bezog sich auf die Proviantvorräte.

Er sagte: „Katastrophal!“

„Hä?“ fragte Mac. Er wußte tatsächlich nicht, was der Kutscher meinte. Außerdem stierte er auf seine Latschen und wunderte sich. Es mußten nach seiner Rechnung zwei Latschen sein. Aber er sah vier – zwei linke und zwei rechte.

Der Kutscher sagte unwirsch: „Mit unserem Proviant und dem Kram hier reichen wir allenfalls noch zwei Tage.“

Mac stellte die leere Muck auf das vierte Faß und betrachtete sie mißtrauisch. Sie verdoppelte sich ebenfalls.

„Hasard muß informiert werden“, sagte der Kutscher. „Melde ihm, daß wir noch knapp für zwei Tage Proviant haben. Wir müssen den nächsten Hafen anlaufen, um uns neu zu versorgen.“

Mac plierte den Kutscher an. Er tat es wie Sir John, die „Krachente“ Carberrys, nämlich ein Auge auf, das andere zu. Auf diese Weise sah er den Kutscher nur in einmaliger Ausführung. Sobald er auch das andere Auge öffnete, hatte der Kutscher einen Doppelgänger.

Der Kutscher runzelte die Stirn. „Hast du mich verstanden?“

„Nein.“

„Mann! Der Proviant reicht nur noch für zwei Tage!“ fauchte der Kutscher. „Das sollst du Hasard melden. Verstanden? Was kneifst du das linke Auge zu?“

„Die Kerle sollen nicht soviel fressen“, maulte Mac, öffnete das linke Auge, sah den Kutscher doppelt und kniff rasch das rechte Auge zu. „Warum immer ich? Geh du doch zu Hasard.“

 

Das Schott krachte auf. Carberry erschien.

„Na, Leute!“ röhrte er freundlich. „Alles klar hier?“

„Nichts ist klar“, murrte der Kutscher. „Möchte mal wissen, was die Russen gefuttert haben.“

„Wieso?“ fragte Carberry.

„Wieso, wieso!“ ereiferte sich der Kutscher und beschrieb mit dem rechten Arm einen weiten Kreis. „Hier herrscht Ebbe, keine Vorräte, nichts, alles leer bis auf ein paar vergammelte Reste.“

„Das ist nicht korrekt“, nuschelte Mac Pellew. „Vier Fässer sind voll.“

„Von dem Zeug wird man aber nicht satt“, sagte der Kutscher wütend.

„Satt nicht, aber keiner braucht zu verdursten.“ Mac hatte jetzt Schwierigkeiten mit dem Sprechen.

„Was ist denn in den vier Fässern?“ erkundigte sich Carberry interessiert.

„Irgend ’n Magenputzer“, sagte der Kutscher verächtlich.

Carberry horchte auf. „Magenputzer? Meinst du ’n Schnaps?“

„Ja“, erwiderte der Kutscher unwillig. „Dieses Zeug, das die Russen saufen.“

Mac Pellew wackelte bereits quer durch den Proviantraum zu einem der vier Fässer, um für den Profos eine Kostprobe in die Muck abzuzapfen. Er steuerte Kollisionskurs. Zwar sah er zwei Deckspfosten und meinte, zwischen ihnen hindurchkurven zu können. Tatsächlich handelte es sich aber um einen Pfosten. Mac sah ihn doppelt – wie alles, seit er vier Mucks voll mit Wodka heruntergegurgelt hatte.

In seinem Magen spürte er eine angenehme Hitze. Daß ihm das Hirn dösig wurde, bemerkte er nicht – bis auf die Doppelungen im Umkreis, die er sich nicht erklären konnte.

Er hatte den Kopf etwas vorgeschoben, um die Mitte zwischen den beiden Pfosten genau anzupeilen. Er meinte, gut hindurchzupassen.

So prallte er mit der Stirn vierkant gegen den Pfosten – Holz auf Holz, wie der Kutscher später mit einer gewissen Schadenfreude sagte.

Dem Pfosten war der Anprall egal. Der war aus Hartholz, wie sich das für einen tragenden Schiffspfosten gehört. Von so einem Bums blieb der völlig unberührt.

Mac hingegen empfand einen Huftritt, als habe ein Maultier ausgekeilt. Er stand mit wackligen Puddingknien da, und als die blitzenden Sterne davongestoben waren, umarmte er seufzend den Pfosten und rutschte an ihm in sich zusammen. Er versammelte sich sozusagen auf den Planken.

Die Muck kollerte dem Profos vor die Stiefel. Er hob sie auf und roch an ihr. Einen besonderen Geruch konnte er nicht feststellen – eine Eigenart des Wodkas. Er schüttelte verblüfft den Kopf, starrte auf den dahingesunkenen Mac hinunter und dann zum Kutscher.

„Was ist denn mit dem los?“ fragte er.

Dem Kutscher war längst ein Seifensieder aufgegangen: statt mit ihm sorgsam die Proviantlast zu überprüfen, hatte sich dieser verdammte Bastard heimlich hinter seinem Rücken die Hucke mit dem Schnaps vollgesoffen.

„Typischer Fall von total bezecht“, sagte er erbittert und klatschte die rechte Faust in die linke Handfläche. „Ich hätte es wissen müssen, verdammt! Während ich mich hier umgeschaut habe, hat er sich diesen Fusel in die Gurgel gegossen – muckweise, versteht sich! Dieser Pfeifenarsch!“ Der Kutscher knurrte wie Plymmie, die Bordhündin, wenn sie was witterte, das Gefahr bedeutete. Das schmale Kutscherlein war mächtig in Braß.

Und der Profos? Der feixte bis zu den Ohren. Der kannte seinen Mac Pellew. Wenn Mac an Schnaps rankam, dann gab er nicht eher Ruhe, bis der Pegel auf Niedrigwasser stand.

„Da gibt’s überhaupt nichts zu grinsen!“ fauchte der Kutscher. „Außerdem bin ich dafür, daß dieses Teufelszeug außenbords gekippt wird!“

Der Profos zuckte zusammen.

„Bist du verrückt?“ fuhr er den Kutscher an. „Das ist mutwillige Vernichtung wichtiger Nahrungsstoffe!“

Der Kutscher schnappte nach Luft. Fast verschlug’s ihm die Sprache. Dann legte er seinerseits los: „Vernichtung wichtiger Nahrungsstoffe? Du spinnst wohl? Dieser Sprit ist das reinste Rattengift! Die Wirkung siehst du ja bei diesem Blödmann!“ Er deutete zu Mac. „Dem hat diese Russenpisse die Augen verdreht! Geschielt hat er! Darum ist er gegen den Pfosten geknallt!“

Der Profos – selbst ein Meister im Erfinden nicht ganz stubenreiner Ausdrücke – zeigte sich plötzlich entrüstet, aber das war natürlich Heuchelei.

„Ts-ts!“ äußerte er. „Sagtest du eben ‚Russenpisse‘, Mister Kutscher? Ich muß doch sehr bitten und dich zur Ordnung rufen. Außerdem nanntest du Mac einen ‚Pfeifenarsch‘. Beide Ausdrücke sind unziemlich, äh, unflätig und gehören sich nicht …“

„Steig mir doch in die Tasche!“ unterbrach der erboste Kutscher die Predigt Carberrys.

„Wenn ich das tue“, höhnte der Profos, „dann brichst du zusammen, Kutscherlein. Deine Tasche ist für mich auch nicht groß genug, in die paßt allenfalls ’ne Maus, aber als eine solche bin ich wohl kaum zu bezeichnen. Sag mal, was verdrehst du dauernd die Augen? Fängst du auch an zu schielen?“ Der Profos drohte mit dem Finger. „Hast du dich ebenfalls an dem Schnaps gelabt, mein Guter? Na, wie finde ich denn das? Da verdrücken sich unsere beiden Kombüsenheringe in die Proviantlast und hängen ihre Schnorchel an die Zapfhähne von Schnapsfässern! Das muß man sich mal vorstellen! Von Solidarität keine Spur. Den Kameraden den Schnaps wegsaufen – das schmeckt mir vielleicht!“

„Sag doch gleich, daß du scharf auf den Fusel bist!“ fauchte der Kutscher.

„Ich?“ Der Profos dehnte das Wörtchen und spielte den Scheinheiligen. „Aber das ist wirklich eine gute Idee, Kutscherlein. Als Profos habe ich die verdammte Pflicht, für die ganze Mannschaft nachzuprüfen, ob der Schnaps gesundheitsgefährdend ist. Da hast du völlig recht, mit Rattengift ist nicht zu spaßen.“

Und schon marschierte der Profos mit der Muck zu einem Faß und zapfte ab – mit einem andächtigen Gesicht und einem versteckten Grinsen in den grauen Augen. Und natürlich drehte er den Zapfhahn erst ab, als die Muck voll war, wie der Kutscher ergrimmt feststellte.

„Geht’s nicht noch voller?“ sagte er aufgebracht.

„Leider nicht“, erwiderte der Profos unverfroren. „Und ich stimme dir zu, daß man zum Probieren eigentlich ein größeres Gefäß braucht, nicht so ’ne Nußschale wie diese Muck, in die kaum was reingeht.“

Und damit kippte er den Inhalt der Muck hinter die Binde, nachdem er vorher kurz geschnüffelt hatte.

„Uaaahh!“ sagte er und rieb sich mit der Linken den Bauch. Seine Augen glänzten. „Seidenweich! Und Medizin für den Magen. Ich spüre wohlige Wärme. Das ist kein Rattengift, Russen … äh, Russendingsda schon gar nicht.“ Und er peilte das nächste Faß an.

Der Kutscher kriegte sich nicht mehr ein. Am liebsten hätte er einen Affentanz aufgeführt und wäre bis unter die Oberdecksplanken gehüpft.

Na klar doch! Dieses Ungeheuer von Profos war um keinen Deut besser als sein Kumpan Mac Pellew, mit dem er schon Zechtouren unternommen hatte, die jeder Beschreibung spotteten. Der dünne, schlaksige Mac Pellew und der klotzige Edwin Carberry mit dem harten Rammkinn – das war vielleicht ein Gespann! Die hatten schon beim alten Francis Drake – Gott hab ihn selig! – die wüsteten Bolzen gedreht.

Das alles schoß dem Kutscher in diesem Augenblick durch den Kopf, während er gleichzeitig fieberhaft überlegte, wie er den verrückten Profos davon abhalten sollte, den drei anderen Fässern zu Leibe zu rücken. Denn darauf lief’s hinaus. Und der Kutscher zweifelte nicht, daß er es dann mit einer zweiten Schnapsleiche zu tun haben würde.

Vater unser – was für ein Zirkus!

Indessen kehrte Mac Pellew ins Dasein zurück, und das war ein Segen, denn der Profos mußte seine weitere Zapftour verschieben. Im Moment hatte der angeschlagene Mac Vorrang.

„Oh, oh, oh!“ jammerte Mac und betastete seine Stirn. Auf der war ihm ein Ding von Beule erblüht, das sich sehen lassen konnte. Eine Art Horn, das sich vorwölbte und einen Lilafarbton hatte.

„Tut’s weh, Mackilein?“ erkundigte sich der Profos mitfühlenden Herzens.

„Dämliche Frage“, knurrte der Kutscher.

„Ich sterbe“, ließ sich Mac vernehmen. „Es ist aus. Das Ende naht …“

„Quatsch!“ fuhr der Kutscher dazwischen. „An einer lausigen Beule ist noch keiner gestorben! Stell dich nicht so an, du Saufbold!“

Mac zog den Kopf ein. „Nicht so laut! Das hält mein Kopf nicht aus – oh, oh, oh! Mein armer Kopf. Wehe-wehe!“

„Vielleicht ist da was gebrochen“, sagte der Profos besorgt.

„Bei dem Holzkopf bricht nichts“, erklärte der Kutscher ungerührt. „Der jammert nur, damit er sich vom Kombüsendienst drücken kann.“

„Kutscher!“ sagte der Profos grollend. „Mir gefällt nicht, wie du über einen schwerverletzten Mann unserer Crew sprichst. Das geht mir zu weit.“

„Schwerverletzt?“ schnappte der Kutscher. „Der hat Selbstverstümmelung betrieben! Erst hat er sich heimlich mit Schnaps vollgepumpt, und dann ist er mit seinem vernebelten Poller gegen den Pfosten gerannt! Das ist die gerechte Strafe fürs Saufen. Hätte er die Pfoten vom Zapfhahn gelassen, wäre das nicht passiert. Aber nein, ihr gebt ja beide keine Ruhe, sobald ihr den billigsten Fusel wittert. Genau das ist es! Aber hinterher jammern und stöhnen, das könnt ihr!“

„Es ist deine Pflicht, dich um einen Verletzten zu kümmern!“ dröhnte der Profos.

„Ich denke nicht daran!“ brüllte der Kutscher zurück, jetzt hochrot im Gesicht vor Wut – und das passierte selten bei ihm, denn er war im Grunde ein zurückhaltender Mensch, der Selbstdisziplin übte und kaum einmal die Fassung verlor.

Was ihn so erboste, das war der jammernde Mac, der seine Beule selbst verschuldet hatte. Und zum anderen regte ihn der Profos auf, der genauso wie Mac scharf auf den Schnaps war und den Trunkenbold sogar noch in Schutz nahm.

Nun konnte der Profos den schmalen Kutscher am steifen Arm verhungern lassen, will sagen, er war ihm an körperlicher Kraft haushoch überlegen. Aber Carberry war über den ungewohnten Ausbruch des Kutschers derart verblüfft, daß er sogar zurückwich und beschwichtigend beide Hände hob.

„Mann, Mann“, sagte er hastig, „nur keine Panik. Kein Grund, sich aufzuregen. Soll ich dir einen Schnaps abzapfen?“

Das war ja wohl das Allerletzte. Fast wäre der Kutscher schon wieder explodiert, doch da meldete sich Mac erneut. Wenn er vorhin einen getrübten Blick gehabt hatte – sein Gehör hatte nicht gelitten. Und was wollte er?

„Ein Schnaps würde mir guttun!“ erklärte er unverfroren.

Der Kutscher stieß einen scharfen Zischlaut aus und warf dem Profos einen funkelnden Blick zu.

Aber der steuerte bereits richtigen Kurs. Er schüttelte den Kopf und sagte: „Für Kopfverletzte ist Schnaps nicht gut, Mac. Dann könntest du wirklich sterben.“

„Genau das“, sagte der Kutscher. „Apoplexia cerebri.“

„Was ist das denn nun wieder?“ fragte der Profos mißtrauisch.

„Gehirnschlag“, erwiderte der Kutscher lakonisch.

„Aha! Und wie äußert sich der?“

„Ohrensaus’ und aus“, sagte der Kutscher kurz und bündig, überlegte einen Augenblick und fügte hinzu: „Ach ja, Apoplexia cerebri kann auch nur zu Lähmungen führen, zu Lähmungen einzelner Glieder und so weiter.“

„Glieder?“ fragte der Profos etwas genervt.

„Ja, Glieder, Arme oder Beine, links- oder rechtsseitig.“

„Ach so“, murmelte der Profos und schien erleichtert zu sein.

Der Kutscher runzelte die Stirn. „Was dachtest du denn?“

„Ach, nichts – nur weil du ‚Glieder‘ sagtest – äh …“ Der Profos verstummte.

„Jawohl, Körperglieder, Gliedmaßen“, erläuterte der Kutscher, „auch das Gesicht. Bei Doc Freemont hatten wir ein paar solcher Fälle. An einen erinnere ich mich sehr gut – ein stadtbekannter notorischer Säufer. Der hatte linksseitige Gesichtslähmung, rechts bewegte sich alles, links war alles steif, das Augenlid hing schlaf nach unten, starrer Blick, rechts bewegten sich die Lippen beim Sprechen, links blieben sie unbewegt. So sah das aus!“ Und der Kutscher zeigte mit beachtlichem schauspielerischem Talent, wie der stadtbekannte notorische Säufer ausgesehen hatte. Nämlich reichlich blöd.

Mac zog sich hastig an dem Pfosten hoch und verkündete, daß er sich eigentlich ganz gesund fühle.

„Nur ein bißchen Kopfbrummen“, sagte er.

„Das kommt vom Schnaps“, sagte der Kutscher.

„Aber auch von der Beule“, meinte der Profos. „Vielleicht sollte er einen feuchten Umschlag um den Kopf legen.“

„Das kann er von mir aus tun“, sagte der Kutscher gleichmütig, „aber für den Borddienst ist er voll verwendungsfähig.“

„Schon gut, schon gut“, murmelte der Profos, „aber ein bißchen Rücksicht auf seine Kopfverletzung sollte man doch nehmen.“

„So?“ sagte der Kutscher spitz. „Ich bin da anderer Ansicht. Aber wie’s beliebt! Wenn sich hier an Bord Trunkenbolde die Köpfe einrennen und dann auch noch gepäppelt und gehätschelt werden, dann können wir uns bald einsargen lassen. Dürfte ich die Gentlemen nunmehr sehr höflich bitten, den Proviantraum zu verlassen. Es gibt hier nichts mehr zu untersuchen. Außerdem muß ich dem Kapitän Bericht erstatten, daß die Proviantlage mehr als trübe ist.“

Der Profos fügte sich – mit einem bedauernden Blick zu den vier Fässern. In seinem Magen spürte er immer noch eine angenehme Wärme. Aufgeschoben war nicht aufgehoben, was, wie?

Sie verließen den Proviantraum, den der Kutscher demonstrativ hinter sich abschloß und dann den Schlüssel einsteckte.

Mac sah noch grämlicher aus als sonst, auch käsig, darum wirkte die lilafarbene Beule so besonders attraktiv.