Brennpunkt Balkan

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa


DER W(R)ESTBALKAN UND DIE EU
Hängepartie statt dynamische Annäherung

Am 1. Juli 2013 trat Kroatien der Europäischen Union bei. Die Feiern am kleinen Ban-Jelačić-Platz im Zentrum von Agram ließen wegen der aufgebauten Bühnen nur wenig Raum, sodass die Zahl der Kroaten, die tatsächlich mitfeiern konnten, wahrlich überschaubar war. Doch den meisten war ohnehin nicht zum Feiern zumute, und von einer EU-Euphorie konnte wahrlich nicht die Rede sein. Das Fehlen einer Feierlaune kam nicht überraschend, hatte sich diese Stimmung doch bereits beim Referendum zum EU-Beitritt gezeigt, das am 22. Jänner 2012 stattfand. Dabei stimmten etwa zwei Drittel der teilnehmenden Bürger für die Mitgliedschaft in der EU. Mit 43 Prozent war die Beteiligung an der Abstimmung jedoch gering, und zwar noch geringer als in Ungarn. Dort stimmten beim Referendum am 12. April 2003 nur knapp 46 Prozent der Stimmberechtigten ab, wobei damals 84 Prozent für den Beitritt votierten. Selbst wenn man die außerordentlich ungeordneten Wählerlisten in Kroatien in Rechnung stellt, so dürfte gerade einmal jeder zweite Kroate an der Abstimmung teilgenommen haben. Dagegen lag die Beteiligung im Nachbarland Slowenien bei 60 Prozent und für die EU stimmten sogar 90 Prozent der Slowenen.

Während die niedrige Beteiligung in Ungarn auch auf die bereits damals nicht rosige Wirtschaftslage zurückzuführen war, macht der Unterschied zwischen Slowenien und Kroatien die ungleichen Rahmenbedingungen deutlich, die zwischen den Jahren 2004 und 2012 liegen. Denn der kroatische EU-Beitritt fand unter bisher einzigartigen Vorzeichen statt, steckt doch nicht nur Kroatien, sondern auch die EU in einer tiefen Krise. Insbesondere die Euro-Zone hat ihre Probleme noch nicht überwunden. Dass die Mehrheit der Kroaten trotzdem für die EU stimmte, hatte vor allem drei Gründe: Erstens sahen die Bürger keine vernünftige Alternative zum Beitritt; zweitens war praktisch die gesamte politische Elite dafür, und drittens hofften die Kroaten auf einen Geldsegen aus Brüssel, um ihr Land – von der Mülldeponie bis hin zur Verwaltung – modernisieren zu können.1) Auf dem Weg Richtung EU war Kroatien ein Nachzügler. Das hängt mit der nationalistischen Politik von Staatsgründer Franjo Tudjman zusammen, der sein Land nicht nur in die Unabhängigkeit, sondern auch in die politische Isolation führte. Somit war Kroatien nach Griechenland (1981) das bisher einzige Land, das allein in die EU aufgenommen wurde. Die Verhandlungen dauerten fast sechs Jahre. Sie begannen wegen der mangelnden Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal mit einer Verspätung von sechs Monaten und waren durch den Grenzstreit mit Slowenien fast ein Jahr lang blockiert, obwohl auf technischer Ebene natürlich weiter gearbeitet wurde. Anders als bei der Erweiterung von 2004 galt für Kroatien das sogenannte „Benchmark-Verfahren“. So forderte die EU von Kroatien im Unterschied zu den bisherigen Beitrittsbedingungen für die Eröffnung und die Schließung eines jeden Verhandlungskapitels zumindest den Beginn der Umsetzung von Maßnahmen noch vor dem Beitritt – wie beispielsweise die Reform und die Entpolitisierung der Ernennung von Richtern und Staatsanwälten. Auch diese erstmals angewandte Form der Verhandlungen macht die kroatischen Erfahrungen für die anderen Beitrittswerber so wertvoll. Anders als im Fall Kroatiens wurden für Montenegro, dessen Beitrittsverhandlungen formell am 29. Juni 2012 begannen, nun die Kapitel 23 und 24 (Justiz und Grundrechte sowie Justiz, Freiheit und Sicherheit) sofort eröffnet. Das wird auch in künftigen Fällen so gehandhabt werden. Denn diese beiden Kapitel sind besonders schwierig und sensibel, und die Umsetzung der verhandelten Maßnahmen soll von einem regelmäßigen Monitoring der EU-Kommission begleitet werden. Dieses Monitoring galt in abgeschwächter Form für Kroatien sogar bis zum Beitrittstermin.

Kroatien als Beispiel und Vorbild

Welche positiven und auch negativen Lehren lassen sich nun aus dem kroatischen EU-Beitritt für eine Region ziehen, die inklusive Kroatien Westbalkan hieß, nun aber wohl de facto zum Restbalkan geworden ist? Positiv ist zu vermerken, dass ein Land trotz enormer Herausforderungen den Beitritt schaffen kann. So war Kroatien das erste Land im ehemaligen Jugoslawien, das von dessen Zerfallskriegen (Flüchtlinge, Vertreibung, Haager Tribunal) voll getroffen worden ist. Zweitens machte sich der Kampf gegen Korruption, organisierte Kriminalität und für den Rechtsstaat für das Land selbst bezahlt – sprich, schmerzliche Reformen wurden von der EU anerkannt. Zwar ist in der kroatischen Justiz bei weitem noch nicht alles Gold, was glänzt, doch es wurde wahrlich vieles erreicht. Dazu zählen eine weisungsfreie Anklagebehörde und ein transparentes Punktesystem für die Ernennung von Richtern, Bestimmungen, die bei weitem nicht in allen EU-Altmitgliedsstaaten gegeben sind. Schlagendes Beispiel dafür war der Prozess gegen den früheren Ministerpräsidenten Ivo Sanader, der wegen Korruption zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde. Eine „Ent-Sanaderisierung“ steht auch praktisch allen anderen Staaten des Restbalkans bevor, für deren politische Eliten das Handeln der kroatischen Justiz Ansporn und Abschreckung zugleich sein kann. Die dritte ermutigende Lehre ist, dass schwierige bilaterale Probleme wie der Grenzstreit mit Slowenien auch mit einem EU-Mitglied lösbar sind, wenn entsprechender politischer Wille auf beiden Seiten besteht. Doch der Grenzstreit birgt auch eine negative Lehre: Bilaterale Probleme, die es auf dem Restbalkan in großem Maß gibt, dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden, damit sie die Dynamik der Beitrittsverhandlungen nicht beeinträchtigen. Angesichts der Natur des „Homo politicus“, die erfahrungsgemäß nicht dazu neigt, schwierige Probleme zeigerecht zu lösen, werden auf diesem Gebiet wohl Brüssel und einige einflussreiche Mitgliedsstaaten die Rolle des Zuchtmeisters spielen müssen. Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo zeigt, dass eine derartige Strategie durchaus erfolgversprechend ist, wenn bei dem jeweiligen Beitrittswerber der Wunsch nach dem Beitritt tatsächlich stark genug ausgeprägt ist. Zu den kroatischen Versäumnissen, die anderen Beitrittswerbern als Lehre dienen können, zählt ebenso die Tatsache, dass die Regierung in Agram viel zu spät damit begonnen hat, Experten für EU-Projekte auszubilden. So konnten nur 30 Prozent der EU-Mittel abgerufen werden, die aus Vor-Beitrittsfonds zur Verfügung standen, und auch bei der Ausarbeitung von großen Projekten (Infrastruktur, Umweltschutz) ist Kroatien nicht besonders zügig unterwegs, können diese doch nun nach dem Beitritt von der EU mitfinanziert werden. Zu nennen ist schließlich trotzdem die positive Botschaft der kroatischen Mitgliedschaft, die darin besteht, dass die Tür der EU trotz aller internen Probleme und aller Erweiterungsmüdigkeit offen steht, obwohl mit einem raschen Beitritt weiterer Staaten des ehemaligen Jugoslawiens nicht zu rechnen sein wird.

Dass bis zur Aufnahme eines 29. EU-Mitglieds einige Zeit vergehen wird, zeigt eine einfache Rechnung: Beitrittsverhandlungen dauern in der Regel fünf Jahre, wenn keine zusätzlichen politischen Probleme auftauchen. Hinzu kommt der Prozess der Ratifizierung des Beitrittsvertrages durch die 28 Mitgliedsstaaten, der ebenfalls zwei Jahre benötigt. Bisher verhandelt die EU nur mit Montenegro, und diese Gespräche stehen in vielerlei Hinsicht noch am Beginn. Somit ist mit einem montenegrinischen Beitritt wohl erst um 2020 zu rechnen. In diesen sieben Jahren wird sich wohl auch die EU noch weiter verändern. Trotzdem stellt sich nach dem Beitritt Kroatiens für die restlichen Staaten des sogenannten Westbalkans sowie für die EU und ihre Mitglieder zwangsläufig die Frage nach der künftigen Vorgangsweise. Dazu gehört die Grundfrage, ob es weitere Einzelaufnahmen auf dem „Restbalkan“ geben soll oder ob nun eine Blocklösung angestrebt wird und wie groß dieser Block sein soll. Für die Blocklösung spricht vor allem die Erweiterungsmüdigkeit; dagegen sprechen die doch beträchtlichen Unterschiede in der Entwicklung und in der Problemstellung der verbliebenen Länder sowie der Umstand, dass eine Abkehr vom sogenannten „Regatta-Prinzip“ demotivierend wirkt, weil der Schnellste und Reformfreudigste auf den Langsamsten warten muss. Gegen das Regatta-Prinzip spricht der Umstand, dass durch die Krise der EU und die Erfahrungen mit Rumänien, Bulgarien und nun auch Griechenland, und vielleicht künftig auch Kroatien, die Erweiterungsmüdigkeit natürlich zusätzlich verstärkt wurde. Eine Block-Lösung hätte daher aus der Sicht der Erweiterungsskeptiker den Vorteil, diesen Prozess noch viel weiter hinauszuschieben. Im Gegenzug dazu sind die EU-Kommission sowie grundsätzliche Befürworter einer Erweiterung unter den Mitgliedsstaaten bestrebt, dass der Erweiterungsprozess ein Mindestmaß an Dynamik behält. Diese Politik liegt natürlich auch im Interesse des Balkans, hängt aber vom Reformeifer der jeweiligen Länder ab.

Stärker bewusst werden sollten sich die EU und ihre Mitglieder aber auch der Tatsache, dass das weitgehende Fehlen einer effizienten gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik den Weg des Restbalkans in die EU verlängert und damit die endgültige Stabilisierung dieser Region verzögert, die ja gerade aus diesem Grund in die EU (und in die NATO) geführt werden soll. Die Unabhängigkeit des Kosovo haben nach wie vor fünf EU-Staaten (Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und Zypern) aus rein innenpolitischen Gründen nicht anerkannt. Das macht die Annäherung des Kosovo aus vielen Gründen noch komplizierter, weil damit die Aufnahme selbst in die Europol erschwert wird, obwohl der Kampf gegen Korruption und Kriminalität zum ständigen Mantra gegenüber dem Kosovo zählt. Da die EU-Delegation in Prishtina „statusneutral“ agieren muss, darf sie natürlich auch nicht den Begriff „Staat“ für den Kosovo verwenden, obwohl natürlich nur Staaten der EU beitreten können. Ein noch gravierenderes Beispiel bildet der Namensstreit zwischen dem EU-Mitglied Griechenland und Mazedonien, der bereits die Aufnahme in die NATO im Jahr 2008 blockierte. Der Streit ist auch ein Hemmschuh für den Beginn der Gespräche über einen EU-Beitritt, obwohl die EU Mazedonien bereits vor acht Jahren (Dezember 2005) den Status eines Beitrittskandidaten gewährt und die EU-Kommission bereits vier Mal den Beginn von Beitrittsverhandlungen empfohlen hat. Dieser Namensstreit zeigt, wie schwer sich die EU mit Konflikten tut, die ein Mitgliedsstaat mit einem Beitrittswerber hat, obwohl gerade Griechenland innerhalb der EU zweifellos keine starke Stellung einnimmt. Doch diesem Sorgenkind will man offenbar keine weiteren sensiblen Fragen zumuten: Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass der Konflikt dem eigentlichen Ziel der EU zuwiderläuft, das in der dauerhaften Stabilisierung des Balkans durch EU-Integration besteht.

 

Der lange Weg zur EU-Integration

Trotz dieser Probleme werden kroatische Erfahrungen sowie kroatische Hilfe für die Staaten des Restbalkans bei deren EU-Annäherung sehr wichtig und wertvoll sein, allerdings mit drei Einschränkungen. Das zeigt ein einfaches, aber wichtiges Beispiel. Bei einem Gipfeltreffen der Westbalkan-Staaten im slowenischen Brdo im März 2010 übergab die damalige kroatische Ministerpräsidentin Jadranka Kosor den anderen Beitrittswerbern die kroatische Übersetzung des gemeinsamen EU-Rechtbestandes. Dieses Geschenk sollte ein Zeichen des guten Willens sein. Mittlerweile erwies sich diese Gabe jedoch als „Danaer-Geschenk“, weil sich die Übersetzungen vielfach als fehlerhaft und unpräzise erwiesen. So teilte die Direktion für Europäische Integration in Sarajevo mit, dass die „Übersetzungen ausschließlich als Hilfe für jene Antragsteller von Rechtsnormen dienen könnten“ und dass die „Übersetzung nicht direkt anwendbar“2) sei. Diesen Befund bestätigten mir hinter vorgehaltener Hand auch Serben, die in Belgrad die EU-Beitrittsverhandlungen vorbereiten, nur dass Serbien zu diesem Problem diplomatisch geschwiegen hat. Doch Serbien übersetzt den gesamten EU-Rechtsbestand selbst, natürlich nicht nur wegen der Fehler, sondern auch wegen der unterschiedlichen Fachbegriffe in der serbischen Rechtsordnung. Die rechtzeitige Ausbildung guter Übersetzer ist jedenfalls eine wesentliche Grundvoraussetzung für gute Verhandlungen. Trotzdem sind kroatische Experten für Serbien sehr wichtig, und auf diesem Gebiet werden Kroatien und wohl auch Slowenien eine wesentliche Rolle bei der Heranführung des Restbalkans an die EU spielen.


In der Tito-Residenz: Balkanstaaten bei der Brdo-Konferenz in Slowenien am 20. März 2010: Damals boykottierte Serbien noch das Treffen, weil der Kosovo teilnahm

Slowenien und Kroatien haben auf der Ebene der Staatspräsidenten auch den sogenannten Brdo-Prozess wiederbelebt, den Borut Pahor und Jadranka Kosor als Ministerpräsidenten der beiden Länder ins Leben gerufen haben. Das erste Treffen fand auf der ehemaligen Tito-Residenz in Brdo statt, daher heißt der Prozess auch so. Dieses erste Treffen im März 2010 wurde noch von Serbien blockiert, weil der kosovarische Regierungschef ebenfalls eingeladen worden war, doch etwas mehr als drei Jahre später saßen alle Präsidenten gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten an einem Tisch, will doch Frankreich auf dem Balkan nun wieder eine aktivere Rolle spielen. Diese Treffen sollen nun jährlich in Slowenien oder Kroatien stattfinden, und jedes Mal soll ein hochrangiger Vertreter der EU geladen sein. Der Brdo-Prozess umfasst folgende Länder: Slowenien, Kroatien, Montenegro, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, den Kosovo und Albanien. Allein eine kurze Status-Analyse dieser Länder im Hinblick auf die Integration in die euroatlantischen Strukturen zeigt, wie heterogen diese Gruppe ist. Slowenien ist nicht nur Mitglied von NATO und EU, sondern bereits auch Mitglied des Schengen-Raums und der Euro-Zone. Nimmt man den blutigen Zerfall des kommunistischen Jugoslawien als Ausgangspunkt, so brauchte Slowenien, das von diesem Zerfallskrieg am geringsten betroffen und am besten entwickelt war, 14 Jahre bis zum Beitritt zu NATO und EU. Der Beitritt zum Schengen-Raum und zur Eurozone erfolgte knapp drei Jahre später am 1. Jänner 2007. Etwa 17 Jahre nach dem Zerfall hatte sich Slowenien somit völlig in das entwickelte Europa integriert. Kroatien trat 2008 der NATO bei, die Aufnahme in die EU erfolgte am 1. Juli 2013. Somit vergingen bereits 17 (NATO) und 22 Jahre (EU), wobei der Beitritt zum Schengen-Raum in drei Jahren möglich sein könnte. Die Übernahme des Euro ist trotz einer sehr starken „Euroisierung“ der Wirtschaft wegen der Krise kaum vor 2020 zu erwarten. Somit hat sogar Kroatien noch einen recht weiten Weg vor sich.

Nach dem Beitritt von Slowenien und Kroatien klafft eine enorme Lücke, die allerdings auch ihre paradoxen Seiten hat, wie drei Beispiele zeigen werden. Aus der Sicht der EU-Annäherung ist Montenegro formell am weitesten fortgeschritten. Offiziell haben die Gespräche Ende Juni 2012 begonnen, doch ihr Tempo ist bisher nicht gerade berauschend. Insgesamt gibt es 35 Verhandlungskapitel, von denen real 33 durchgenommen werden. Davon wurden bisher zwei leichte – Wissenschaft und Forschung sowie Bildung und Kultur – eröffnet und vorläufig auch geschlossen. Doch über die Kapitel, die eigentlich am Beginn stehen sollten und die schwierigsten sein werden, wird noch nicht verhandelt: Das sind Justiz und Grundrechte sowie Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Sicherheit. Der Grund: Montenegro war jedenfalls bis zum Sommer 2013 mit der Vorlage konsistenter Aktionspläne säumig. Andererseits hat das Parlament in Podgorica nun doch einige Änderungen der Verfassung vorgenommen, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken. Ironischerweise haben Montenegro und der Kosovo allerdings bereits den Euro als Währung. Montenegro führte ihn 2002 gegen den Willen der EU über Geschäftsbanken ein, um sich weiter von Serbien zu lösen. Ansonsten ist das Land aber nicht in die Strukturen der Euro-Zone integriert und hat auch keine eigenen Euromünzen. Dasselbe gilt für den Kosovo, der ebenfalls 2002 den Euro einführte, allerdings mit Billigung der internationalen Gemeinschaft, die sich damit selbst den Zahlungsverkehr erleichterte. Der Kosovo wurde erst im Februar 2008 unabhängig und kann nun mit dem Beginn von Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen rechnen, wenn die Normalisierung mit Serbien planmäßig verläuft. Ein derartiges Abkommen bedeutet die erste vertragliche Beziehung zwischen einem Beitrittswerber und der EU, wobei sich beim Abschluss der Verhandlungen zeigen wird, wie die fünf Staaten verfahren werden, die den Kosovo nicht anerkannt haben. Denn dieses Abkommen müssen natürlich die Parlamenten ratifizieren. Trotzdem steht der Kosovo auf dem Weg Richtung EU derzeit formell an letzter Stelle, weil der Kosovo seinen Weg Richtung Brüssel als letztes Land des ehemaligen Jugoslawien begonnen hat. An der Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo hängt auch der Beginn der Beitrittsgespräche zwischen Serbien und der EU. Grünes Licht wurde beim EU-Gipfel im Frühsommer gegeben, und zwar unter dem Tagesordnungspunkt „Allfälliges“, was ebenfalls auf den Stellenwert schließen lässt, den der Balkan derzeit angesichts der internen Probleme der EU genießt. Der Kosovo und Serbien haben vereinbart, einander auf dem Weg Richtung Brüssel nicht zu blockieren, und dieser Punkt sowie die durchaus schwierigen Verhandlungen über die Normalisierung sind das positivste Signal, das der Balkan im Jahr 2013 ausgesandt hat. Das „Kapitel“ Kosovo wird Serbien auf dem Weg Richtung Brüssel wohl bis zum Ende der Verhandlungen begleiten, weil Serbiens EU-Beitritt ohne völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo kaum denkbar ist. Doch bis dahin werden wohl noch sieben Jahre vergehen.

Die Nachzügler auf dem Westbalkan

Hinter Montenegro und Serbien rangieren Mazedonien und Albanien sowie Bosnien und Herzegowina. Bei Mazedonien hängt der Beginn der Beitrittsverhandlungen an der Lösung des Namensstreits mit Griechenland, die derzeit nicht in Sicht ist. Wie viel Zeit Mazedonien, auch durch sein provokatives Verhalten gegenüber Athen3) verloren hat, zeigt die Tatsache, dass Mazedonien den Status eines EU-Beitrittskandidaten schon im Dezember 2005 und damit zu einem Zeitpunkt erhielt – zu dem Montenegro noch kein unabhängiger Staat war. Albanien wiederum ist seit 2008 Mitglied der NATO. Seine EU-Annäherung verläuft aber wesentlich langsamer. Albanien hat die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen schon im April 2005 abgeschlossen und den Beitrittsantrag im Juni 2009 gestellt. Die politischen Spannungen im Land und der mangelhafte Kampf gegen Korruption und Kriminalität haben aber die weitere EU-Annäherung beträchtlich verzögert. Ob sich das unter dem neuen sozialistischen Ministerpräsidenten Edi Rama ändern wird, bleibt abzuwarten.

Am stärksten belastet die Lage in Bosnien und Herzegowina die dauerhafte Stabilisierung des Balkans. Bosnien erinnert an Belgien nur mit drei gravierenden Unterschieden: Belgien ist bereits in der EU, seine Wirtschaft ist in einem weit besseren Zustand, und statt zwei Konfliktpartnern gibt es in Bosnien drei – Bosniaken, Serben und Kroaten sowie zwei Teilstaaten, die zentralistisch organisierte Republika Srpska und die Bosnisch-Kroatische Föderation, die mit ihren zehn Kantonen fast ebenso schwer zu regieren ist wie der Gesamtstaat. Bereits die Periode von 2006 bis 2010 war durch politische Stagnation gekennzeichnet, die sich auch nach den Wahlen im Oktober 2010 fortgesetzt hat.

So dauerte es in der Föderation fast ein Jahr, ehe eine Regierung zustande kam, während im Gesamtstaat erst nach 15 Monaten – und unter der Drohung einer massiven Finanzkrise – eine Regierung gebildet werden konnte. Darauf folgte eine politische Krise unter den bosniakischen Parteien in der Föderation. Im Grunde genommen hat das Land weitere vier Jahre verloren. Das gilt natürlich auch für die EU-Annäherung. Zwar konnte 2008 das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen unterzeichnet werden, doch es ist bis heute nicht in Kraft getreten, weil Bosnien und Herzegowina gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, worauf ich später noch eingehen werde.

Das Grundproblem des Landes besteht nach wie vor darin, dass das Verhältnis zwischen Bosniaken und Kroaten sowie zwischen Bosniaken und Serben auch 17 Jahre nach Kriegsende noch immer stark belastet ist. Hinzu kommt ein ineffizientes Staatswesen, das mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Dayton vor allem mit westlicher „Hilfe“ zustande kam. Damit wurde zwar der Krieg beendet, doch ein Staat geformt, der den Anforderungen von EU-Beitrittsverhandlungen nicht gewachsen ist. Die Lösung dieses Problems wird zusätzlich dadurch erschwert, dass das im Dayton-System geschaffene „Gleichgewicht“ durch den massiven Exodus der Kroaten (von etwa 800.000 auf geschätzte 500.000) demografisch immer brüchiger wird, und nach wie vor kein gemeinsames Staatsbewusstsein unter den drei konstitutiven Völkern besteht. Eine Anpassung des Dayton-Systems ist schon deshalb unausweichlich, weil ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Gleichstellung der „anderen“ Volksgruppen (etwa der Roma) verlangt, und damit auch die Wahl zum drei Personen umfassenden Staatspräsidium reformiert werden muss. Dabei geht es um Ämter, die derzeit nur Kroaten, Serben und Bosniaken offen stehen. Doch das Urteil des Gerichtshofs vom 22. Dezember 2009 wurde bis dato nicht umgesetzt, und daher ist das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen noch immer nicht in Kraft getreten.

Abgesehen von politischen und ethnischen Herausforderungen haben alle Staaten des Restbalkans strukturelle, interne Probleme zu bewältigen. Dazu zählen der Aufbau einer Verwaltung, die Beitrittsverhandlungen nicht nur führen, sondern den gemeinsamen Rechtsbestand der EU auch umsetzen und die zu erwartenden finanziellen Mittel sinnvoll einsetzen kann. Außerdem hat der Restbalkan noch einen weiten Weg vor sich, um etwa die Umweltstandards der EU auch nur annähernd zu erfüllen. Hinzu kommen der Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption sowie der Aufbau eines effizienten Justizwesens. Wie das Beispiel von Ivo Sanader in Kroatien zeigt, wird vor allem der Kampf gegen die Korruption in einigen Staaten des Restbalkans einen schrittweisen politischen Elitenwechsel erfordern.