Brennpunkt Balkan

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Fehlendes gemeinsames Auftreten

Der Restbalkan hat es bisher wegen politischer und ethnischer Konflikte nicht geschafft, gegenüber Brüssel mit einer Stimme zu sprechen. Dazu zählen auch die vielen offenen Fragen zwischen Kroatien und Serbien, die von der Suche nach Vermissten bis hin zur Grenzziehung an der Donau reichen, um ein weiteres Beispiel zu nennen. Daher ist der Brdo-Prozess unter Führung der Staatspräsidenten von Slowenien und Kroatien ein positiver Ansatz, der natürlich darunter leidet, dass die Präsidenten in der Region vorwiegend nur protokollarische Funktion haben. Wichtig wäre es, dass derartige Treffen auch auf der Ebene der Ministerpräsidenten stattfinden. Denn mit dem EU-Beitritt zählt Kroatien nicht mehr zur Balkan-Familie, die damit noch kleiner geworden ist. Albanien, Bosnien und Herzegowina, der Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien zählen zusammen gerade einmal 19 Millionen Einwohner, das ist weniger als das EU-Mitglied Rumänien hat. Will der Restbalkan in Brüssel stärker gehört werden, muss er einerseits versuchen, viele regionale Probleme selbst zu lösen, und andererseits gegenüber der EU geschlossener auftreten. Dieses Ziel wird nicht leicht zu erreichen sein. Trotzdem dürfen die Fortschritte nicht übersehen werden, die der Restbalkan in den vergangenen Jahren gemacht hat. Serbien konnte schließlich zehn Jahre nach dem Sturz von Slobodan Milošević die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal erfolgreich beenden. Dazu bestehen auch echte Chancen auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo, wobei berücksichtigt werden muss, dass der serbisch-albanische Gegensatz bereits etwa 150 Jahre dauert und nicht erst durch Milošević geschaffen wurde. Positiv zu bewerten ist schließlich noch der Umstand, dass die regionale Zusammenarbeit – von der Wirtschaft bis hin zur Justiz – spürbar zunimmt, obwohl der Weg zur Aussöhnung noch weit ist. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass seit dem Ende der Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien noch keine 20 Jahre vergangen sind.

Der grundlegende Pferdefuß des Balkans ist derzeit vor allem die triste soziale und wirtschaftliche Lage. Sie trifft das gesamte ehemalige Jugoslawien und Albanien, wobei die Auswirkungen je nach Entwicklungsniveau zwangsläufig unterschiedlich sind. Doch mit Arbeitslosenraten von zehn bis 20 Prozent und mehr ist trotz Schattenwirtschaft und – rückläufiger – Hilfe aus der Diaspora auf Dauer kein Staat zu machen. Nicht vergessen werden darf, dass ohne ein besseres Leben wohl auch in Deutschland und Österreich eine umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit nicht möglich gewesen wäre, die in „Kakanien“ außerdem erst mit großer Verspätung begonnen hat. Die tiefgreifende Aussöhnung der Völker setzt eine gewisse materielle Sicherheit voraus, die derzeit auf dem Balkan nicht gegeben ist. Dass Aussöhnung nicht nur dort Zeit braucht, zeigt etwa die Tatsache, dass jenseits des Handschlags von Kohl und Mitterand auf den Schlachtfeldern von Verdun, Angela Merkel erst 90 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als erste deutsche Kanzlerin zu einer Gedenkfeier nach Paris eingeladen wurde. Der Balkan ist somit keine Ausnahme in Europa und schon gar keine Region, die von Menschen bewohnt wird, die nichts anderes im Sinn haben, als ständig miteinander Kriege zu führen – ganz im Gegenteil. Auch auf dem Balkan leben Menschen mit Wünschen, Hoffnung und Sehnsüchten, wie sie in ganz Europa anzutreffen sind. Doch der Balkan ist eine kleinräumige Region mit vielen Völkern, die in ihrer Geschichte seit etwa 500 Jahren bis heute stets fremdbestimmt wurden. Diese Rolle des permanenten „Objekts“ in der Geschichte kann in der EU aufgehoben werden. Die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien sind nicht zu Unrecht als das größte kollektive Versagen von USA und EU seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bezeichnet worden. Dieses Versagen hat auf dem Balkan – der natürlich nicht aus seiner eigenen Mitschuld entlassen werden darf – sehr viele Menschenleben und den europäischen Steuerzahler sehr viel Geld gekostet. Aus dieser doppelten Verantwortung heraus ist es politisch und moralisch unerlässlich, dass die EU trotz aller ihrer Krisen auf einem klaren Erweiterungskurs bleibt.


Neuer (EU)-Kolonialismus? Titelbild des unabhängigen, slowenischen, aktuell-politischesn Wochenmagazins „Mladina”. (deutsch „Jugend”)


SLOWENIEN 2008 – 2013
Vom Musterschüler zum Sorgenkind

„Der Kapitalismus ist eben wie ein Thriller, in dem der Mörder von der ersten Seite an bekannt ist, der aber am Schluss nicht verhaftet wird.“ Marcel Štefančič, jr.1)

Jože, Mateja und ihre beiden Kinder Maja und Gašper sind eine erfundene slowenische Durchschnittsfamilie, deren hier beschriebenes Schicksal der Realität des Landes aber sehr nahe kommt. Bis vor fünf Jahren arbeitete Jože in einer Baufirma, die vor zwei Jahren Konkurs anmelden musste. Mateja ist Lehrerin in einer Grundschule, Tochter Maja geht in den Kindergarten und Sohn Gašper besucht die vierte Klasse der Grundschule. Am stärksten von der Krise betroffen ist Jože: 2007 verdiente er als Bauingenieur etwa 1.000 Euro netto. Jetzt ist er ein Ein-Personen-Unternehmen, das an der Grenze zur Scheinselbständigkeit liegt. Für Jože ist es nun sogar schwierig, regelmäßig seinen Monatslohn von 600 Euro zu erhalten. Er führt vor allem kleinere Bauarbeiten durch, muss viel länger arbeiten als früher, dafür wird aber der Lohn nicht sofort am Monatsende ausbezahlt, sondern manches Mal sogar erst drei Monate später. 2007 waren davon nur etwa 20 Prozent der Löhne betroffen, jetzt sollen es schon 70 Prozent sein. Aber auch Mateja ist Opfer der Krise: Sie verdient 980 Euro im Monat, das ist um etwa 40 Euro weniger als 2007, weil der Staat die Löhne im öffentlichen Dienst gekürzt hat. Im Gegenzug muss sie nach der Schulreform nun in größeren Klassen unterrichten und auch zusätzliche Schulaktivitäten unentgeltlich durchführen. Und die Zuschüsse für Gašpars Schulmalzeiten wurden ebenfalls gestrichen: Statt 50 Euro kostet das Essen in der Schule nun 90 Euro monatlich. Um 30 Euro wurde auch der Kindergartenbeitrag erhöht, in den Maja geht. Er kostet nun 220 Euro im Monat. Teurer wurden Strom, Wasser, Müllabfuhr und die Krankenversicherung. Im Durchschnitt stiegen die Preise binnen fünf Jahren um fast 20 Prozent. Belastet wird die Familie noch durch einen Wohnungskredit. 2008 nahmen Jože und Mateja einen Kredit für ihre Wohnung auf, und zwar auf Anraten der Bank in Schweizer Franken, weil das günstiger sei. Anfänglich lag die monatliche Rate bei 450 Euro, wegen des starken Franken beträgt sie nun bereits 550 Euro. Vor der Krise konnte die Familie 300 Euro im Monat weglegen, nun sind sogar schon die Ersparnisse beinahe aufgebraucht. Ein Blick in die Zeitungen belegt die typische Situation der slowenischen Familien. So brachte die Tageszeitung „Večer“2) jüngst die Geschichte einer Pensionistin, der im Monat gerade 40 Euro für Lebensmittel überbleiben. Die Frau hatte 40 Jahre in der Textilfabrik „Mura“ in Murska Sobota im Nordosten Sloweniens gearbeitet, die 2009 in Konkurs ging, und bezieht eine Monatsrente von 600 Euro netto. Ihre Not begann 2010, als ihr Mann starb und ihr Sohn arbeitslos wurde. Zu den Fixkosten kommen noch die Reste eines Kredits für den Kauf der Wohnung und der Anteil für die Sanierung des Wohnhauses, den die Frau nicht aufbringen kann. Ans Sozialamt wandte sich die Frau erst, als ihr die Stromabschaltung drohte. Das Amt leistete eine Einmalhilfe von 260 Euro und sprang 2012 nochmals ein, als der 68-Jährigen wegen unbezahlter Betriebskosten die Zwangsvollstreckung drohte. Das Altern in Würde sieht wohl anders aus.

„Generation der schlechten Chancen“

Massiv von der Krise betroffen ist auch die Generation der über 30-Jährigen. Vor fünf Jahren waren 15.000 der 30- bis 40-Jährigen erwerbslos, nun sind es 28.000. Binnen fünf Jahren stieg die Arbeitslosigkeit bei dieser Gruppe sogar stärker an als bei den 50- bis 60-Jährigen. Ein Grund dafür sind Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung, die Betrieben finanzielle Erleichterungen gewährt, wenn sie unter 30-Jährige einstellen. Als „Generation der schlechten Chancen“ bezeichnete die Tageszeitung „Delo“3) deshalb die Altersgruppe der 30- bis 40-Jährigen, deren Perspektiven immer mehr schwinden, je länger die Krise anhält. 13 Prozent der zwei Millionen Slowenen sind arbeitslos. Das liegt zwar noch unter dem EU-Durchschnitt, bedeutet aber, dass sich die Arbeitslosigkeit seit 2008 fast verdreifacht hat. Bezeichnend für die Erwartungshaltung der Slowenen ist das drastische Ansteigen der Auswanderer. 2011 wurden knapp 4.700 gezählt, 2012 kehrten sogar 8.200 Slowenen ihrem Land den Rücken, das ist der höchste Wert seit der Unabhängigkeit vor 22 Jahren.4)

Was sind nun die Gründe für den Absturz, der aus dem EU-Musterschüler und dem Liebling der Ratingagenturen ein Land werden ließ, dessen Bankensanierung von Brüssel kontrolliert wird und dessen Bonität Moody’s Anfang Mai 2013 auf „Ramsch-Status“ herabsetzte, wobei Moody’s Slowenien deutlich schlechter bewertet als die zwei anderen großen Agenturen S&P und Fitch. Für die Krise sind wirtschaftliche und politische Gründe verantwortlich. Den Ausgangspunkt bildete der 1. Jänner 2007, als Slowenien als 13. Land den Euro einführte. Damals war ein großer Teil der Wirtschaft nicht privatisiert, Geld war billig auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen und viele Manager griffen zu. Sie nahmen Kredite auf, gaben die Aktien ihrer Unternehmen als Sicherheit, die sie mit dem Kredit kauften. Dieses „Management Buy-out“ praktizierten etwa Boško Šrot bei der Brauerei „Laško“, Igor Bavčar bei „Istrabenz“, einem Mischkonzern, und Bine Kordež bei der Baumarktkette „Merkur“. Alle drei Firmen sind mittlerweile im Konkurs, während Šrot und Bavčar, die bekanntesten Tycoons, im Sommer 2013 noch nicht rechtskräftig zu fünf Jahren und sieben Monaten Haft beziehungsweise zu sieben Jahren Haft verurteilt wurden. Doch ein derartiges Ende war 2007 und 2008 nicht zu erwarten, weil die Aktienkurse stiegen und auch immer mehr Holdings aus dem Boden schossen, die mit dem Kerngeschäft des Mutterbetriebs oft kaum etwas zu tun hatten. Mit der internationalen Finanzkrise Ende 2008 fielen die Kurse und damit die Bonität der Kreditnehmer, und das Kartenhaus begann einzustürzen. Außerdem platzte die Immobilienblase, und die Bauwirtschaft brach ein, die noch 2007 und 2008 einer der Motoren des Wirtschaftswachstums war. Große Baufirmen („Vegrad“, „SCT“) gingen in Konkurs.

 

Konkursfall Kirche

Den spektakulärsten und größten Konkursfall bildet die katholische Kirche, ein finanzieller Zusammenbruch, der aber praktisch nur die Erzdiözese Marburg an der Drau (Maribor) betrifft. Der Aufbau ihres Finanzimperiums begann mit der spezifisch slowenischen Privatisierung, als jeder Slowene für Staatsbetriebe Zertifikate bekam. Solche Zertifikate sammelte auch die Kirche über eine Gesellschaft von Gläubigen. Außerdem erhielt die Kirche im Zuge der Restitution vom Staat Immobilien und Ländereien zurück. Anfang der 1990er Jahre gründete sie schließlich die „Krekova banka“, die sie 2002 an die österreichische Raiffeisen-Gruppe verkaufte, und die ihrerseits damit in Slowenien Fuß fasste. Mit diesem Erlös und durch neue Kredite, die im politisch und gesellschaftlich verfilzten Slowenien auch „auf Zuruf “ gewährt wurden, wie es ein Insider beschreibt, übernahm die Kirche die gesammelten Zertifikate. 2005 folgte die Übernahme der beiden Holdings, die die Kirche dann „Zvon Ena“ (Glocke eins) und „Zvon Dva“ (Glocke zwei) nannte. Hinzu kam eine dritte Gesellschaft „Gospodarski Rast“ (Wirtschaftswachstum), die zu 100 Prozent den drei Diözesen Marburg, Murska Sobota und Cilli/​Celje gehörte. Nach 2005 war „Gospodarski Rast“, die für die Abwicklung der Finanztransaktionen zuständig war, auch zu mehr als 50 Prozent Eigentümer der Holdings.5)


31. Juli 2013, Tag der Rücktritte: Der Erzbischof von Marburg, Marjan Turnšek (li.), und Anton Stres, Erzbischof von Laibach (Mitte), mit dem Abgesandten des HeiligenStuhls Juliusz Janusz vor der Pressekonferenz


Prominenter Kreditgeberan die katholische Kirchenführung: „Nova Ljubljanska Banka“

Zum Wirtschaftsimperium der Kirche gehörten Anteile an Leitbetrieben wie die Bank „Abanka“, der Farben- und Lackhersteller „Helios“, die Druckerei „Cetis“, ein Chemiebetrieb, ein Autozulieferer und vor allem die Telekommunikationsfirma „T2“. In diese Unternehmen investierte die Kirche mehr als 100 Millionen Euro. Insgesamt gaben der Kirche nicht nur slowenische, sondern auch so mancheösterreichische Banken Kredite. Einige sollen bereits mit der Pfändung begonnen haben, während die slowenische Tochter der Raiffeisen Bank International (RBI) die Erzdiözese Marburg Anfang September 2013 klagte, und zwar mit einem Streitwert von 7,6 Millionen Euro. Denn die Kirche hörte die Alarmglocken nicht, und seit 2012 laufen vor einem Gericht in Marburg Konkursverfahren gegen alle drei Gesellschaften; die anerkannten Forderungen sollen insgesamt weit mehr als eine Milliarde Euro betragen. Die realen Verbindlichkeiten der Erzdiözese Marburg dürften dagegen bei max. 70 Millionen Euro liegen. Trotzdem ist die Kirche wegen ihrer Gesellschaften „Gospodarski Rast“, „Zvon Ena“ und „Zvon Dva“ der bei weitem größte Konkursfall Sloweniens. Betroffen sind etwa 50 Firmen mit 10.000 Mitarbeitern; für die Verbindlichkeiten der drei Gesellschaften haftet die Erzdiözese Marburg nicht. Zwar hat der Vatikan bereits zwei Mal reagiert und die Kirchenführung praktisch abgesetzt. Doch der Weg zur Sanierung, bei dem die Diözese Graz-Seckau federführend mithilft, wird noch ein weiter sein. Ein prominenter Kreditgeber war übrigens die „Nova Ljubljanska Banka“ (NLB), die bei weitem größte Bank Sloweniens. Sie soll durch die Kirche mehr als 100 Millionen Euro verlieren. Auf die NLB, die „Nova Kreditna Banka Maribor“ (NKBM), und die „Abanka“ entfallen etwa 70 Prozent des Marktanteils; gleichzeitig sind sie überwiegend im Staatsbesitz, sodass die Bankenkrise, die der internationalen Finanzkrise folgte, nicht nur die slowenischen Banken, sondern auch den Staat direkt betraf. Sloweniens Banken sollen auf faulen Krediten von etwa sieben Milliarden Euro sitzen, etwa 15 Prozent aller Kredite sollen notleidend sein.

Wirtschaftskrise und politische Instabilität

Auf der anderen Seite hat die starke slowenische Exportwirtschaft die Krise sehr rasch und sehr viel besser gemeistert. 2012 verkaufte sie Waren im Wert von 21,5 Milliarden Euro ins Ausland, das ist mehr als vor Beginn der Krise, denn 2008 waren es knapp 20 Milliarden Euro. Das zeigt zwar, dass Vergleiche mit Griechenland oder Zypern schon aus diesem Grund völlig verfehlt sind, doch der Exportmotor allein kann die Krise nicht bewältigen, weil grundlegende Reformen von der Politik kommen müssen.

Im September 2008 verlor der konservative Ministerpräsident Janez Janša die Parlamentswahl, und eine Mitte-Links-Regierung unter dem Sozialdemokraten Borut Pahor übernahm die Führung des Landes. Janša hatte in guten Zeiten nicht gespart und hinterließ Pahor eine Gesamtverschuldung, die sich in vier Jahren auf fast 40 Milliarden Euro verdoppelt hatte. Nach zwei Jahren und sechs Monaten war die Regierung Pahor am Ende: Ihren Supergau bedeutete das Scheitern von drei Reformen, darunter der Pensionsreform bei drei Referenden im Juni 2011. Pahor war an seinem Stil, vor allem aber an der Opposition und den Gewerkschaften gescheitert, die das wahre Ausmaß der Krise nicht erkennen wollten, obwohl die Wirtschaftsleistung um acht Prozent schrumpfte und die Arbeitslosigkeit weiter anstieg. Nach sechs Monaten Agonie siegte bei der Wahl im Dezember 2011 nicht der favorisierte Janez Janša, sondern der Bürgermeister von Laibach, Zoran Janković, mit seiner erst wenige Monate zuvor gegründeten sozialdemokratischen Partei „Positives Slowenien“. Doch Janković scheiterte bei der Regierungsbildung, und Ende Jänner 2012 wurde Janez Janša Ministerpräsident. Er leitete eine Fünf-Parteien-Koalition, die einen harten Sparkurs zu fahren begann, der massive Einsparungen bei den 155.000 Staatsbediensteten vorsah. Ein Jahr später, Ende Jänner 2013, war seine Karriere zu Ende. Janša scheiterte nicht am Sparkurs, sondern an massiven Korruptionsvorwürfen.6) Hinzu kamen Massenproteste, die in Marburg ihren Ausgang nahmen, weil dort unter Bürgermeister Franc Kangler eine ganz besondere Mischung aus Misswirtschaft und Korruption herrschte. Kangler musste schließlich zurücktreten, doch der Unmut unter den Slowenen war so groß, dass die Demonstrationen von Marburg aus auf das ganze Land übergriffen und auch gewalttätige Formen annahmen. Janez Janša goss mit provokativen Kommentaren noch zusätzlich Öl ins Feuer. Die gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfe wies er zwar zurück, konnte sie aber nicht entkräften. Daher kamen Janša seine Koalitionspartner abhanden, und unter Führung der Partei „Positives Slowenien“ bildete sich ein neues Mitte-Links-Bündnis. Da auch gegen Zoran Janković beträchtliche Korruptionsvorwürfe erhoben wurden, konnte der Laibacher Bürgermeister nicht in das Amt des Regierungschefs wechseln. Daher wurde seine Vertraute Alenka Bratušek Ende Februar vom Parlament in Laibach gewählt. Die 43-jährige Bratušek gilt als Finanz- und Budgetexpertin, ist aber politisch ziemlich unerfahren, weil sie nur wenige Monate Abgeordnete war. Ihr Auftreten unterscheidet sich bisher wohltuend von alten politischen „Hasen“, obwohl ihr ein gewisses Maß an Unsicherheit weiter anzumerken ist.


An der Opposition und den Gewerkschaften gescheitert: Borut Pahor mit seiner Mitte-Links-Regierung, hier kurz nach seiner Vereidigung zum Regierungschef


Misswirtschaft und Korruption führten zu Massendemonstrationen und Ausschreitungen in Marburg


Scheiterte an Korruptionsvorwürfen: Janez Janša


Die allgemeine Polarisierung zeigt sich auch bei der Einstellung zur Vergangenheitsbewältigung: Skalpe aus einem Massengrab in Huda Jama bei Laško

Schweres Erbe – erste Erfolge – viele offene Fragen

Die in Cilli in der slowenischen Steiermark geborene Alenka Bratušek übernahm nicht nur ein wirtschaftlich und sozial katastrophales Erbe, sondern auch ein Land, das immer stärker den Eindruck erweckte, politisch nicht konsensfähig zu sein. Dazu gehört der in der politischen Elite zum Dauerbrenner zählende Konflikt um die Rolle der politischen Vorväter im Zweiten Weltkrieg (Partisanen versus Domobranzen), der abgesehen von persönlichen Eitelkeiten nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass in Slowenien eine große Koalition auch in Krisenzeiten nicht möglich ist. Diese Polarisierung zeigt sich bei allen Gedenktagen, die jeweils nur von einem politischen Lager besucht werden, sie zeigte sich bei der Öffnung des Massengrabes (Huda Jama) bei Laško und auch bei Ordensverleihungen, die ebenfalls Anlass für Auseinandersetzungen bieten, wenn der Geehrte dunkle Punkte in seiner Biografie aufweist, die der jeweils anderen Fraktion nicht passen. Fast 70 Jahre nach Kriegsende und angesichts der massiven Krise wäre es für Slowenien hoch an der Zeit, diesen Gegensatz zu überwinden.


Konnte mit Krediten aus den USA ihrem Land eine Atempause verschaffen: Alenka Bratušek, Ministerpräsidentin Sloweniens

Dazu kommt, dass Referenden so leicht zu erzwingen waren, dass damit aber praktisch jede schmerzliche Reform blockiert werden konnte. Und die weltanschaulich sehr unterschiedlichen Koalitionspartner (wirtschaftsliberal versus postkommunistisch), zu denen fast immer die Rentnerpartei zählt, die reine Klientelpolitik betreibt, tragen auch nicht zu einem Konsens bei. Generell ist die Kompromissbereitschaft der meisten dieser Kleinparteien dann am größten, wenn sie Neuwahlen fürchten müssen, wie das auch im Sommer 2013 nach Umfragen der Fall war. Abgesehen davon wirkt der Umstand positiv, dass bei Politik und Bevölkerung kein Zweifel mehr an der Krise herrscht, und Slowenien darum kämpft, seine bei der Bankenreform bereits eingeschränkte Souveränität nicht vollends an Brüssel zu verlieren.

Unter dem „Galgen“ konnten nur erste Schritte in die richtige Richtung unternommen werden. Dazu zählt die Verankerung der „Schuldenbremse“ in der Verfassung, die ab 2015 in Kraft tritt. Sie schreibt vor, dass das Budget ausgeglichen oder im Überschuss sein muss. Beschlossen hat das Parlament eine Novelle zum Gesetz über Volksabstimmungen, wonach Referenden über Budget- oder Steuerthemen nicht mehr möglich sind. Das schränkt auch den Handlungsspielraum der Gewerkschaften etwas ein. Ein Referendum kann nur mehr durch 40.000 Unterschriften von Bürgern eingeleitet werden, sodass die beiden Parlamentskammern keine Referenden mehr beantragen können. Das Parlament beschloss eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, Vorrückungen und Zuschläge für Beamte werden eingefroren, und bis Ende 2014 werden die 155.000 öffentlich Bediensteten um 0,5 bis 5 Prozent niedrigere Gehälter hinnehmen müssen. Ende Juni verabschiedete das Parlament außerdem einen Nachtragshaushalt, der 900 Millionen Euro als Kapitalaufstockung für die Banken und 3,3 Milliarden Euro für die so genannte „Bad Bank“ vorsieht, in die schlechte Forderungen der Banken eingebracht werden, während die Banken im Gegenzug eine Kapitalaufstockung erhalten. Erst wenn die Bewertung aller Forderungen abgeschlossen ist, wird ein genaues Bild über das Ausmaß der Bankenkrise vorliegen. Grünes Licht gab das Parlament Ende Juni zum Verkauf von 15 Staatsfirmen. Dazu zählen die Telekom, der Flughafen von Laibach oder die Fluglinie „Adria Airways“, um drei Beispiele zu nennen. Bratušeks größter Erfolg war jedoch, dass sie auf dem amerikanischen Markt Anfang Mai durch eine Anleihe frisches Geld im Ausmaß von 3,5 Milliarden Euro beschaffen konnte. Damit gewann die Regierung eine Atempause bis zum Sommer 2014. Das große Aber liegt zunächst darin, dass die Wirtschaft 2013 um 2,4 Prozent schrumpfen dürfte. Weiter ansteigen wird wohl die Arbeitslosigkeit. So will die größte Bank des Landes, die NLB, binnen zwei Jahren 700 Stellen streichen und Filialen schließen. Derzeit zählt die Bank 3.550 Mitarbeiter. Die geplante Privatisierung der zweitgrößten slowenischen Bank NKBM wird in Krisenzeiten kaum möglich sein, wobei generell Zweifel bestehen, ob Slowenien ohne Finanzhilfe aus dem Ausland seinen Bankensektor überhaupt sanieren kann. Auskunft darüber wird wohl der Stresstest ergeben, dem im Herbst zehn der 18 Banken unterworfen sind. Die Ergebnisse sollen bis Jahresende 2013 vorliegen. „Slowenien hat 30 von 100 Stufen auf dem Weg aus der Krise zurückgelegt“, sagte der neue Gouverneur der Nationalbank, Boštjan Jazbec, beim „Strategischen Forum“ Anfang September in Bled. Ob das Land die restlichen 70 selbständig meistern wird, könnte sich am 19. Oktober 2013 entscheiden, wenn dieses Buch bereits erschienen sein wird. An diesem Tag soll Alenka Bratušek den Vorsitz in der Partei „Positives Slowenien“ von Zoran Janković übernehmen. Tritt Janković aber wieder an und wird gewählt, drohen Koalitionspartner bereits mit dem Platzen der Regierung. Das käme in dieser Krise einem politischen Selbstmord gleich, weil Neuwahlen jede weitere Sanierung Sloweniens um gute sechs Monate verzögern würde. Damit wäre eine Übernahme der Budgetkontrolle durch die EU wohl unausweichlich, die viele (linksorientierte) Slowenen ohnehin bereits als eine Art des „Neokolonialismus“ empfinden, wie das Titelbild von „Mladina“ auf Seite 24 anschaulich zeigt. Unserem südlichen Nachbarn Slowenien, der einer unserer wichtigsten Handelspartner ist, stehen spannende Monate bevor. Trotzdem ist eines klar: Slowenien wird auch danach kein Griechenland oder Zypern sein, weil es eine gute Exportwirtschaft und eine weit geringere Verschuldung kennzeichnet. Was immer Medien schreiben mögen, mit den wirklich großen Sorgenkindern der EU kann Slowenien nicht in einem Atemzug genannt werden.

 


Beitritt ohne Euphorie: Auslagendekoration anlässlich des kroatischen EU-Beitritts in Agram/​Zagreb