Brennpunkt Balkan

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Politische Gesten, aber zu wenige Lösungen

Um den Frieden zu festigen, ist es sehr wichtig, dass Kroatien und Serbien die gegenseitigen Beziehungen weiter verbessern. Im November 2010 setzten die Präsidenten beider Länder, Ivo Josipović und Boris Tadić, ein erstes wesentliches Zeichen. Beide besuchten Vukovar und legten bei der Schweinefarm in Ovčar, einen Kranz nieder. Boris Tadić entschuldigte sich für die Verbrechen, die hier im Namen des serbischen Volkes begangen wurden, und sagte: „Ich bin hier, um mich noch einmal bei den Opfern zu entschuldigen und mein Bedauern auszudrücken. Damit will ich ermöglichen, dass Serbien und Kroatien eine neue Seite der Geschichte aufschlagen können. Unsere Kinder dürfen nicht von den Ereignissen der 1990er Jahre belastet werden.“ Den Abschluss des Besuchs bildete eine gemeinsame Kranzniederlegung in Paulin Dvor in der Nähe von Osijek. Dort hatten 1991 Kroaten 18 Serben und einen Ungarn ermordet. Auch hier gedachten Tadić und Josipović der Opfer des Krieges, einer Zeit, die endgültig überwunden werden soll. Einen Rückschlag in den bilateralen Beziehungen brachte zunächst Tadićs Niederlage gegen den ehemaligen Ultranationalisten Tomislav Nikolić bei der Präsidentenwahl Ende Mai 2012. In einem Interview sprach Nikolić von der „serbischen Stadt“ Vukovar, und diese Aussage sorgte für beträchtliche Verstimmung, die sich in Vukovar auch in einem Transparent mit dem Text äußerte: „Vukovar wird niemals eine serbische Stadt sein.“ In weiterer Folge besuchte aber der kroatische Ministerpräsident Zoran Milanović Belgrad und traf Regierungschef Ivica Dačić, allerdings nicht Tomislav Nikolić.

Ein wesentlicher Schritt zur neuerlichen Normalisierung waren schließlich weitere zwei Ereignisse: Ende April 2013 kam Serbiens starker Mann, der stellvertretende Regierungschef und Vorsitzende der stärksten Koalitionspartei, Aleksandar Vučić, nach Agram. Vučić war lange der zweite Mann hinter Nikolić, ehe dieser als Präsident den Vorsitz in der national-konservativen Partei SNS (Serbische Fortschrittspartei) abgab. Auch Vučić war einst Ultranationalist, doch als Regierungsmitglied vermied er entsprechende Aussagen. Stattdessen zeigte er guten Willen, und bei der Suche nach Vermissten zeigt sich nun Belgrad sehr kooperativ. Am Tag nach dem EU-Beitritt Kroatiens, an der auch Tomislav Nikolić teilnahm, kam es dann auf Einladung von Ivo Josipović in dessen Residenz zu einem Frühstück, an dem alle Präsidenten des ehemaligen Jugoslawiens sowie der albanische Präsident teilnahmen.5) Somit haben jetzt wohl auch Josipović und Nikolić eine normale Gesprächsbasis.

Während es mittlerweile zwischen Kroatien und Serbien ausreichend viele politische Gesten gab, harren die größten Probleme noch immer der Lösung. Dazu zählen die Klärung des Schicksals der Vermissten (soweit das noch möglich ist), die Rückkehr Vertriebener, Eigentumsfragen und die Regelung erworbener Pensionsansprüche, Fragen geraubter Kulturgüter, Klage und Gegenklage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Völkermordes sowie die Grenzziehung an der Donau. All diese Probleme sind politische Knochenarbeit, die es nun zu lösen gilt, zum Nutzen beider Seiten, aber auch zum Nutzen von Vukovar, das von einer intensiveren grenzüberschreitenden Zusammenarbeit an der Donau nur profitieren kann. Denn wohl die überwiegende Mehrheit der Bewohner gleich welcher Volkszugehörigkeit will einfach nur besser leben, wie der Direktor von Radio Donau, Branislav Bijelić, betont: „Die einfachen Menschen wollen nicht in die Vergangenheit zurück, sondern einfach normal mit ihren Nachbarn leben, ganz gleich ob der Serbe oder Kroate ist. Die größte Disco der Stadt gehört einem Kroaten; in der Disco treten auch Sänger aus Serbien auf. In Vukovar geht es nur um das Überleben, das ist die Stadt mit dem niedrigsten Lebensstandard und den höchsten Preisen. Das ist das Problem. Die Menschen haben wirklich begonnen, mehr miteinander zu leben.“

In den 20 Jahren nach Kriegsende ist es bisher in Vukovar tatsächlich gelungen, den Frieden zwischen den Volksgruppen zu wahren. Das ist der eigentlich positive Eindruck, den dieses Städtchen an der Donau hinterlässt. Das bekannteste Symbol der Stadt, abgesehen vom zerschossenen Wasserturm, der als Mahnmal so bestehen bleibt, ist wohl eine Taube aus gebranntem Ton, die die Vučedol-Kultur hinterlassen hat, die zwischen 3.000 und 2.200 vor Christus in Slowenien, Kroatien, Bosnien, Nordserbien und Westungarn sowie in der Südslowakei und in Niederösterreich aufkam. Die namensgebende Ausgrabungsstätte liegt in Vučedol-Gradac, etwa fünf Kilometer donauabwärts von Vukovar entfernt. Möge diese Taube beiden Volksgruppen und der Region als Vorbild dienen, damit unter dem Dach der EU der Friede für die kommenden Generationen auch in Vukovar weiter gewahrt bleibt.


Ist sein „Bergkranz“ noch ein bedeutendes Werk der serbischen oder nur mehr der montenegrinischen Literatur?

Denkmal für den Politiker und Dichterfürsten Petar II. Petrović-Njegoš am Lovcen


MONTENEGRO
Der Kampf um die Unabhängigkeit

Montenegro war die treueste Teilrepublik des ehemaligen kommunistischen Jugoslawiens. Diese Tatsache hat durchaus seine paradoxe Seite, war doch Montenegro neben Serbien das einzige Land, das seit dem Berliner Kongress des Jahres 1878 auf eine eigene Staatlichkeit zurückblicken konnte. Doch im Gegensatz zu Slowenien, Kroatien und Mazedonien war die nationale Identität der Montenegriner zu Beginn der 1990er Jahre nur sehr schwach ausgeprägt.1) Das gemeinsame Bewusstsein der serbisch-montenegrinischen „Brudervölker“ war sehr stark, und Montenegro stimmte als einzige ehemalige jugoslawische Teilrepublik bei einem Referendum im Jahr 1992 für den Verbleib mit Serbien in einem gemeinsamen Staat.2) Zwar bestehen Vorbehalte gegen die demokratischen Standards dieser Abstimmung, doch das Ergebnis war zu eindeutig, um angezweifelt zu werden: 96 Prozent der 422.000 Stimmbürger votierten für den Verbleib bei Serbien, die Beteiligung am Referendum betrug 66 Prozent.

Der Fortbestand der Bundesrepublik Jugoslawien war damit in einer Minimalvariante fürs Erste gesichert, wobei Serbien unter dem Autokraten Slobodan Milošević eindeutig den Kurs bestimmte, nicht zuletzt gestützt auch auf loyale Parteikader in Montenegro. Miloševićs sinkender Stern führte jedoch in der montenegrinischen Regierungspartei DPS (Demokratische Partei der Sozialisten) zu immer größeren Spannungen zwischen dem projugoslawischen Flügel unter dem Parteivorsitzenden Momir Bulatović, der Präsident Montenegros war, und Milo Djukanović, der das Amt des Regierungschefs inne hatte. Im Juli 1997 wurde Bulatović vom Parteivorstand aus der DPS ausgeschlossen, und bei der Präsidentschaftswahl Ende 1997 siegte Djukanović mit westlicher Hilfe und unter außerordentlich fragwürdigen Bedingungen schließlich knapp im zweiten Wahlgang über Momir Bulatović und wurde damit Präsident Montenegros.3) Die Loslösung von Serbien hatte also endgültig begonnen. 1998 nahmen die Spannungen im Kosovo immer mehr zu, und dem Westen kam jede Schwächung von Slobodan Milošević in Serbien gelegen. So wurde Milo Djukanović auch medial zum demokratischen Helden aufgebaut, der gegen den finsteren Milošević das kleine Montenegro schützte. Djukanović nutzte die Gunst der Stunde und begann mit der konsequenten Loslösung seines Landes aus dem Staatsverband mit Serbien. Die Wahlen zum Präsidenten Jugoslawiens am 24. September 2000 wurden von Montenegro boykottiert. Ob Djukanović nach einem allfälligen Sieg von Slobodan Milošević anschließend die Unabhängigkeit ausgerufen hätte, muss Spekulation bleiben, weil die Geschichte anders verlief. Gegen die vereinigte Opposition unter Vojislav Koštunica verlor Slobodan Milošević die Wahl und wurde schließlich am 5. Oktober 2000 vom organisierten Volkszorn hinweggefegt. Unter Führung von Koštunica und von Zoran Djindjić, der im Jänner 2001 nach der vorgezogenen Parlamentswahl in Serbien Ministerpräsident wurde, setzte nun der mühevolle Prozess von Demokratisierung und Reformen ein, der von Beginn an durch den Konflikt zwischen Koštunica und Djindjić belastet wurde.

Widerstand der EU gegen die Unabhängigkeit

Die neue Lage in Serbien beeinflusste natürlich auch die Entwicklung in Montenegro, das ursprünglich noch im Jahre 2001 ein Referendum über seine Unabhängigkeit geplant hatte. Doch daraus wurde nun nichts, und zwar aus vielerlei Gründen:

Der Westen wollte das zarte Reformpflänzchen in Serbien nicht durch eine weitere Abspaltung belasten; Milo Djukanović wurde als demokratischer „Drachentöter“ nicht mehr gebraucht; Vojislav Koštunica war ausdrücklich gegen die Unabhängigkeit Montenegros und wurde in dieser Haltung massiv vom „Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außenpolitik der EU“, Javier Solana, unterstützt, der als Spanier noch einen zusätzlichen Grund hatte, entschieden gegen jeden „Separatismus“ aufzutreten.

Hinzu kam die angespannte Lage in Montenegro selbst, das klar zwischen Anhängern und Gegnern der Unabhängigkeit gespalten war. Das bestätigte auch die Parlamentswahl Ende April 2001. Sie brachte zwar einen Sieg der Unabhängigkeitsbefürworter unter Milo Djukanović fiel aber nicht so aus, dass er als klares Votum für diese Option hätte gewertet werden können. Die absolute Mehrheit gewann Djukanović erst bei der vorgezogenen Parlamentswahl im Oktober 2002, und damit war in Montenegro auch die Konstellation hergestellt, die bis zum Unabhängigkeitsreferendum am 21. Mai 2006 bestehen bleiben sollte. Die diversen Kräfteverhältnisse in der Region, in der EU und auf internationaler Ebene führten schließlich zu einem Kompromiss. Aus der Bundesrepublik Jugoslawien wurde am 4. Februar 2003 der noch schwächere Staatenbund „Serbien und Montenegro“ und beide Mitglieder bekamen das Recht zugestanden, nach drei Jahren eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit abzuhalten.

 

Mit der Wahl des Montenegriners Svetozar Marović zum ersten und einzigen Präsidenten des Staatenbundes „Serbien und Montenegro“ am 6. März 2003 war Jugoslawien als Staat endgültig Geschichte. Der Staatenbund hatte eine Regierung aus fünf Ministern, zwei davon waren Montenegriner. Dazu zählt der erfahrene jugoslawische Diplomat und langjährige montenegrinische Außenminister Branko Lukovac. In der Regierung bekleidete er das Amt des Ministers für Außenwirtschaftsbeziehungen und war damit auch für die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen zuständig, das der Staatenbund mit der EU abschließen sollte. Lukovac, 1944 im Wintersportort Kolašin in Montenegro geboren, ist von zierlicher Gestalt, spricht stets mit leiser Stimme und erweckt den Eindruck, dass ihn fast nichts aus der Ruhe bringen kann. Lukovac war zum damaligen Zeitpunkt bereits ein erklärter Befürworter der Unabhängigkeit und daher ein Gegner des Staatenbundes, den er als reinen Zeitverlust betrachtete. Auf dem Weg Richtung EU gab es für ihn nur zwei realistische Optionen: die Unabhängigkeit Montenegros oder das Herabsinken auf den Status einer serbischen Provinz mit beschränkter Autonomie. Für diese Einschätzung sprachen bereits die Größenverhältnisse: Montenegro hat eine Fläche von knapp 14.000 Quadratkilometern und ist damit mehr als fünf Mal kleiner als Serbien, das seinerseits mit 7,2 Millionen zehn Mal mehr Einwohner zählt als Montenegro. Erschwerend wirkte noch die völlig unterschiedliche Wirtschaftsstruktur, die Lukovac den Vertretern der EU immer wieder vor Augen führte, die wiederum eine Harmonisierung der Zölle verlangten. Branko Lukovac erinnert sich:4) „Die EU wollte, dass wir einen Zollsatz bilden, der einem Durchschnitt der serbischen und montenegrinischen Zollsätze entsprach. Doch Montenegro verfügt weder über eine große Industrie noch über eine bedeutende Landwirtschaft. Daher lagen unsere Zölle im Durchschnitt unter drei Prozent. In Serbien lagen die Zölle bei etwas mehr als 13 Prozent, weil es eine bedeutende Industrie und Landwirtschaft hat, die es zu schützen galt. Ein mittlerer Zollsatz für den Staatenbund hätte somit sowohl Serbien als auch Montenegro geschadet.“ In Brüssel siegte schließlich je nach Lesart die Vernunft oder die Erschöpfung, sprich: Der britische Kommissar für Außenbeziehungen, Chris Patten, setzte sich gegen Javier Solana durch. Über das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen würde zwar unter einem gemeinsamen Dach, aber doch getrennt mit Serbien und Montenegro verhandelt werden. Die Stunde der Wahrheit sollte erst beim Abschluss der Gespräche kommen, wenn der Staatenbund bis dahin noch bestehen sollte.


Ob er selbst sein Land auch in die EU führen wird, ist fraglich: Milo Djukanović, der seit mehr als 20 Jahren die Politik Montenegros dominiert

Bereits wenige Monate nach der Gründung des Staatenbundes im Jahr 2003 war klar, dass auch diese lose Vereinigung zwischen Serbien und Montenegro nicht funktionieren würde. Alle Fristen zur Umsetzung von Verfassungsbestimmungen scheiterten, und vollends zur Groteske wurde der Versuch, eine gemeinsame Hymne zu schaffen. Sie sollte jeweils aus Text und Musikteilen der Hymnen der beiden Teilstaaten bestehen, ein inhaltliches und musikalisches Monstrum, dem schließlich in Belgrad der massive Protest der serbischorthodoxen Kirche ein Ende setzte. Entscheidend für die weitere Entwicklung war die Frage, ob die nach Unabhängigkeit strebende Führung Montenegros die drei Jahre würde nützen können, um das Referendum gründlich vorzubereiten. Dazu leistete wiederum Branko Lukovac einen ganz entscheidenden Beitrag. Mit Gleichgesinnten gründete er Ende 2004 die „Bewegung für ein unabhängiges Montenegro“.5) Ihr erweiterter Führungskreis umfasste etwa 600 Personen, und die Organisation hatte in jeder montenegrinischen Gemeinde ihre Vertreter. Ziel war es, eine Massenbewegung zu werden, um einen Sieg der Befürworter der Unabhängigkeit beim Referendum sicherzustellen. Dazu hatte die Bewegung drei Aufgaben zu bewältigen: Erstens galt es, die durch Neid, Missgunst und politische Eifersucht gespaltenen Unabhängigkeitsbefürworter auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Dazu zählten politische Parteien, Nicht-Regierungsorganisationen, Medien und Intellektuelle. All diesen Gruppen musste klar gemacht werden, dass es nur eine Chance geben würde, sollte sie vertan werden, wäre die logische Folge eine Stärkung des Staatenbundes und damit ein schrittweiser Kompetenzverlust Montenegros auf dem Weg Richtung EU. Zweitens galt es, die Montenegriner im Ausland zu mobilisieren, die noch immer ein Stimmrecht in Montenegro hatten. Dazu zählten Organisationen von Volksgruppen, die eine nationale Minderheit in Montenegro bildeten, allen voran Bosniaken und Albaner. Damit verbunden war das Sammeln von Spenden für die Aktivitäten der Bewegung und für die Referendumskampagne selbst. Drittens sollte diese Massenbewegung verhindern, dass die Regierung in Podgorica wieder dem Druck aus Brüssel nachgeben und auf ein Referendum verzichten konnte. Montenegros starker Mann, Milo Djukanović, war immer wieder mit Vorwürfen konfrontiert, im großen Stil in den Zigarettenschmuggel auf dem Balkan und nach Europa verwickelt zu sein. Zwar hatte Djukanović diese Vorwürfe stets zurückgewiesen, doch durch eine Massenbewegung sollte jedem Versuch, politischen Erpressungen nachzugeben, ein Riegel vorgeschoben werden. Zur Beruhigung der lokalen politischen Eliten diente auch die Zusicherung dieser Massenbewegung, keine parteipolitischen Ziele zu haben und sich nach dem Referendum selbst wieder aufzulösen, was drei Wochen nach der Volksabstimmung denn auch geschah.


Das unabhängige Montenegro: die Hauptstadt Podgorica heute

Die „Bewegung für ein Europäisches Montenegro“ hatte alle drei Ziele erreicht. In Montenegro gelang es, einen gesellschaftlichen Konsens aller Kräfte herzustellen, die für die Unabhängigkeit waren. Dazu zählten auch die nationalen Minderheiten, vor allem Albaner und Bosniaken, ohne die der Erfolg ausgeblieben wäre. Die zentralen Aktivitäten in Montenegro selbst fanden 2005 und dann in der Referendumskampagne im Frühling des Jahres 2006 statt. Mehr als 50 Pressekonferenzen wurden abgehalten, mehr als 450 Interviews gegeben und Beiträge und diverse Texte publiziert. Hinzu kamen noch zahllose Kundgebungen, 650.000 Exemplare an Propagandamaterial, 15.000 Plakate, mehr als 10.000 montenegrinische Fahnen und mehr als 30.000 Autoaufkleber, TV- und Radio-Spots und auch ein Wettbewerb für ein Motto für die Referendumskampagne. Unter mehr als 500 Einsendungen belegte schließlich der Slogan „Denke europäisch, stimme unabhängig“ den ersten Platz.

Die besonderen Bedingungen für das Referendum

Besonders wichtig waren die Aktivitäten der Bewegung im Ausland, in Luxemburg, in der Schweiz, in Deutschland und in Übersee. Unterstützung gab es dabei auch von den Diaspora-Organisationen der nationalen Minderheiten und – abgesehen von Serbien – durch die Nachbarstaaten in der Region (Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Albanien). Ihren Interessen entsprach nicht nur eine Schwächung des serbischen Einflusses, sondern auch eine friedliche Auflösung des Staatenbundes als weiterer Schritt zur Stabilisierung der Region. Die Bewegung ergänzte damit im Ausland und natürlich auch in Montenegro die Aktivitäten der Regierung unter Milo Djukanović, die eine Unabhängigkeitsbewegung natürlich ebenfalls vorantrieb. Diese Aktivitäten reichten vom Bildungswesen über die Aufstellung von Statuen von König Nikola bis hin zu Schildern an den Grenzen mit der Aufschrift „Republik Montenegro“. Erfolgreich war die „Bewegung für ein europäisches Montenegro“ auch beim Sammeln von Spenden. 830.000 Euro kamen zusammen, wobei aus der Liste ein Großspender aus Slowenien besonders ins Auge sticht.

Der Kampf um die Unabhängigkeit, den die „Bewegung“ und die Regierung führten, fand unter schwierigen internationalen Bedingungen statt. Kein Problem bildeten Russland und die USA. Moskau war zwar für die Erhaltung des Staatenbundes, mischte sich aber in das Verhältnis zwischen Serbien und Montenegro nicht ein. Die USA wiederum machten klar, dass sie jede demokratisch legitimierte Entscheidung akzeptieren würden. Massiver Widerstand kam aber aus der EU und aus Serbien. Frankreich und Italien waren klar dagegen, und in Brüssel war Javier Solana nach wie vor gegen die Abspaltung, die er mit diversen politischen Mitteln zu verhindern suchte. Dazu zählten die Fragen, wer stimmberechtigt sein sollte und ob eine Mehrheit von 50 Prozent und einer Stimme beim Referendum genügen würde. So forderte der serbische Ministerpräsident Vojislav Koštunica, dass auch die Personen montenegrinischer Abstammung, die in Serbien wohnten, aber noch montenegrinische Papiere hatten, stimmberechtigt sein sollten. Koštunica wurde in dieser Forderung von Solana unterstützt, doch scheiterten der Spanier und der Serbe schließlich an der „Venedig-Kommission“ des Europarats, die Staaten in Fragen des Verfassungs- und des Völkerrechts berät. Stimmberechtigt waren somit nur jene, die in Montenegro auch einen Wohnsitz vorweisen konnten.

Montenegro musste jedoch ein besonderes Quorum akzeptieren. Zum Sieg beim Referendum war eine Mehrheit von 55 Prozent der abgegebenen Stimmen erforderlich. Das war nicht nur demokratiepolitisch fragwürdig, sondern barg die Gefahr neuer Konflikte in sich, hätten etwa nur 54 Prozent für die Auflösung des Staatenbundes gestimmt. Den massiven Gegenwind aus der EU und Serbien versuchte Montenegro durch die Unterstützung aus der Region und dadurch zu konterkarieren, dass es politische Verbündete in Serbien suchte. Dazu zählten eine kleinere Partei und einige Nicht-Regierungsorganisationen, mit denen die „Bewegung“ zusammenarbeitete. In Serbien ging es vor allem darum, Ängste zu beseitigen, dass die Eigenstaatlichkeit Montenegros nun zu einer Art Mauer zwischen den zwei „Bruder-Völkern“ führen würde. Dieses Gespenst malten Koštunica und andere an die Wand, die sich zu einer „Bewegung für den Staatenbund“ zusammengeschlossen hatten. Diesem Gremium gehörten auch der Bruder des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadžić und der Vater des serbischen Präsidenten Boris Tadić an. Boris Tadić selbst nahm aber eine weit neutralere Haltung gegenüber Montenegro ein als sein Vater. Die serbische Regierung wiederum drohte etwa mit Einschränkungen für Studienberechtigungen, höheren Gebühren für Studenten und für den Aufenthalt von Montenegrinern in serbischen Krankenhäusern, doch schließlich blieben diese Drohungen ohne Wirkung. Bis zuletzt mobilisierten Podgorica und Belgrad ihre Anhänger. So hatte Montenegro bereits einige Monate vor der Abstimmung den neuen Flughafen der Hauptstadt Podgorica eröffnet, um den erwarteten Auslands-Montenegrinern bei ihrer Ankunft den tristen Anblick des alten Gebäudes zu ersparen, in dem es vor allem im Sommer unerträglich heiß wurde. Die pro-serbischen Kräfte setzten dagegen vor allem auf die aus Montenegro stammenden 10.000 Personen, die in Belgrad studierten. Die serbische Eisenbahn beförderte die Studenten gratis bis zur Grenze, doch verlangten die montenegrinischen Bahnen für den Rest der Strecke die Bezahlung der Fahrkarten. Auch das zeigt, wie intensiv von beiden Seiten gekämpft wurde. Ein zentrales Argument verloren die pro-serbischen Kräfte jedoch nur wenige Monate vor der Abstimmung, und zwar jenes, gemeinsam schneller den Weg Richtung EU meistern zu können. Denn Brüssel setzte Ende April die Gespräche über eine Annäherung aus, weil Belgrad den mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladić nicht an das Haager Tribunal ausgeliefert hatte. Dieser Umstand stärkte die Behauptung der Unabhängigkeitsbefürworter, Montenegro werde allein schneller Richtung EU und NATO vorankommen.

 

Einnahmequelle Tourismus: Hotel-Resort auf der Insel Sankt Stefan/​Sveti Stefan vor Budva

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