Der Schuß von der Kanzel

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Der Schuß von der Kanzel
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Conrad Ferdinand Meyer

Der Schuß von der Kanzel

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Impressum neobooks

Erstes Kapitel

Zween geistliche Männer stiegen in der zweiten Abendstunde eines Oktobertages von dem hochgelegenen Ütikon nach dem Landungsplatze Obermeilen hinunter. Der kürzeste Weg vom Pfarrhause, das bequem neben der Kirche auf der ersten mit Wiesen und Fruchtbäumen bedeckten Stufe des Höhenzuges lag, nach der durch ein langes Gemäuer, einen sogenannten Hacken, geschützten Seebucht, führte sie durch leere Weinberge. Die Lese war beendigt. Zur Rechten und Linken zeigte der Weinstock nur gelbe oder zerrissene Blätter, und auf den das Rebgelände durchziehenden dunkelgrünen Rasenstreifen blühte die Zeitlose. Nur aus der Ferne, wo vielleicht ein erfahrener Mann seinen Wein außergewöhnlich lange hatte ausreifen lassen, damit der Tropfen um so kräftiger werde, scholl zuweilen ein vereinzeltes Winzerjauchzen herüber.

Die beiden schritten, wie von einem Herbstgefühle gedrückt, ohne Worte einer hinter dem andern. Auch bot ihnen der mit ungleichen Steinplatten und Blöcken belegte steile Absteig eine unbequeme Treppe und wurden sie vom Winde, der aus Westen her in rauhen Stößen über den See fuhr, zuweilen hart gezaust.

Die ersten Tage der Lese waren die schönsten des Jahres gewesen. Eine warme Föhnluft hatte die Schneeberge und den Schweizersee auf ihre Weise idealisiert, die Reihe der einen zu einem einzigen stillen, großen Leuchten verbunden, den andern mit dem tiefen und kräftigen Farbenglanze einer südlichen Meerbucht übergossen, als gelüste sie eine bacchische Landschaft, ein Stück Italien, über die Alpen zu versetzen.

Heute aber blies ein heftiger Querwind, und die durch grelle Lichter und harte Schatten entstellten Hochgebirge traten in schroffer, fast barocker Erscheinung dem Auge viel zu nahe.

»Pfannenstiel, dein Vorhaben entbehrt der Vernunft!« sagte nun plötzlich der Vorangehende, ein kurzer, stämmiger, trotz seiner Jugend fast etwas beleibter Mann, stand still und kehrte sein blühendes Gesicht rasch nach dem schmalen und hagern Gefährten um.

Dieser stolperte zur Antwort über einen Stein; denn er hatte den Blick bis jetzt unverwandt auf die Turmspitze von Mythikon geheftet, die am jenseitigen Ufer über einer dunkelbewaldeten Halbinsel als schlanke Nadel in den Himmel aufstach. Nachdem er seine langen Beine wieder in richtigen Gang gebracht hatte, erwiderte er in angenehmem Brusttone:

»Ich bilde mir ein, Rosenstock, der General werde mich nicht wie ein Lästrygone empfangen. Er ist mein Verwandter, wenn auch in entferntem Grade, und gestern noch habe ich ihm meine Dissertation über die Symbolik der Odyssee mit einer artigen Widmung zugesendet.«

»Heilige Einfalt!« brummte Rosenstock, der sein kräftiges Kolorit dem Gewerbe seiner Väter verdankte, die seit Menschengedenken eine in Zürich namhafte Fleischer- und Wursterfamilie gewesen, »du kennst ihn schlecht, den da drüben!«, und er deutete mit einer kurzen Bewegung seines runden Kinns über den See nach einem Landhause von italienischer Bauart, das an der nördlichen Einbuchtung der eichenbestandenen Halbinsel lag. »Er ist für seine Verwandten nicht zärtlich, und deine schwärmerische Dissertation, die übrigens alle Verständigen befremdet hat, spottet er dir zuschanden.« Der Pfarrer von Ütikon blies in die Luft, als formte er eine schillernde Seifenblase, dann fuhr er nach einer Weile fort:

»Glaube mir, Pfannenstielchen, du hast besser mit den beiden Narren dort drüben, den Wertmüllern, nichts zu schaffen. Der General ist eine Brennessel, die keiner ungestochen berührt, und sein Vetter, der Pfarrer von Mythikon, das alte Kind, bringt unsern Stand in Verruf mit seiner Meute, seinem Gewehrkasten und seinem unaufhörlichen Puffen und Knallen. Du hast ja selbst im Frühjahre als Vikar genug darunter zu leiden gehabt. Freilich die Rahel mit ihrem feingebogenen Näschen und ihrem roten Kirschmunde! Aber sie liebt dich nicht! Die Junkerin wird schließlich bei einem Junker anlangen. Es heißt, sie sei mit dem Leo Kilchsperger verlobt. Doch laß dich's, hörst du, nicht anfechten. Ein Korb ist noch lange kein consilium abeundi. Um dich zu trösten: Auch ich habe deren einige erhalten, und, siehe, ich lebe und gedeihe, bin auch vor kurzem in den Stand der Ehe getreten.«

Der lange Kandidat warf unter seinen blonden, vom Winde verwehten Haaren hervor einen Blick der Verzweiflung auf den Kollegen und seufzte erbärmlich. Ihm mangelte die dessen Herzmuskel bekleidende Fettschicht.

»Weg! fort von hier!« rief er dann schmerzvoll aufgeregt. »Ich gehe hier zugrunde! Der General wird mir die erledigte Feldkaplanei seiner venezianischen Kompanie nicht verweigern.«

»Pfannenstiel, ich wiederhole dir, dein Vorhaben entbehrt der Vernunft! Bleibe im Lande und nähre dich redlich.«

»Du nimmst mir allen Lebensatem«, klagte der Blonde. »Ich soll nicht fort und kann nicht bleiben. Wohin soll ich denn? Ins Grab?«

»Schäme dich! Deine Knabenschuhe vertreten sollst du! Der Gedanke mit der venezianischen Feldkaplanei wäre an sich so übel nicht. Das heißt, wenn du ein resoluter Mensch wärest und nicht so blaue unschuldige Kinderaugen hättest. Der General hat sie neulich mir angetragen. Ein so geräumig entwickelter Brustkasten würde seinen Leuten imponieren, meinte er. Natürlich Affenpossen! Denn er weiß, daß ich ein befestigter Mensch bin und meinen Weinberg nicht verlasse.«

»Warst du drüben?«

»Vorgestern.« – Dem Ütikoner stieg ein Zorn in den Kopf. »Seit er wieder hier ist – nicht länger als eine Woche –, hat der alte Störefried richtig Stadt und See in Aufruhr gebracht. Er komme, vor dem nächsten Feldzuge sein Haus zu bestellen, schrieb er von Wien. Nun er kam, und es begann ein Rollen von Karossen am linken Seeufer nach der Au zu. Die Landenberge, die Schmidte, die Reinharte, alle seine Verwandten, die den ergrauten Freigeist und Spötter sonst mieden wie einen Verpesteten, alle kamen und wollten ihn beerben. Er aber ist nie zu Hause, sondern fährt wie ein Satan auf dem See herum, blitzschnell in einer zwölfrudrigen Galeere, die er mit seinen Leuten bemannt. Meine Pfarrkinder reißen die Augen auf, werden unruhig und munkeln von Hexerei. Nicht genug! Vom Eindunkeln an bis gegen Morgen steigen feurige Drachen und Scheine aus den Schlöten des Auhauses auf. Der General, statt wie ein Christenmensch zu schlafen, schmiedet und schlossert zuweilen die ganze Nacht hindurch. Kunstreiche Schlösser, wahre Prachtstücke, hab ich von seiner Arbeit gesehn, die kein Dietrich öffnet, für Leute, sagte er mit einem boshaften Seitenblicke auf meine apostolische Armut, die Schätze sammeln, welche von Dieben gestohlen und von Motten gefressen werden. Nun du begreifst, die Funkengarbe spielt ihre Rolle und wird als Straße des Höllenfürsten durch den Schornstein viel betrachtet und reichlich besprochen. So wuchs die Gärung. Die Leute aufklären ist von eitel bösen Folgen. Ich wählte den kürzeren Weg und ging hinüber, den General als Freund zu warnen. Kreuzsapperlot, an den Abend werd ich mein Lebtag denken. Meine Warnung beseitigte er mit einem Hohnlächeln, dann faßte er mich am Rockknopfe, und ein Diskurs bricht los, wie Sturm und Wirbelwind, sag ich dir, Pfannenstiel., Mit abgerissenen Knöpfen und gerädert kam ich nach Hause. Mosler hat er mir vorgesetzt, aber mit den größten Bosheiten vergällt. Natürlich sprach er von seinem Testamente, denn das ist jetzt sein Steckenpferd. ›Ihr steht auch darin, Ehrwürden!‹ Ich erschrecke. ›Nun, ich will Euch den Paragraphen weisen.‹ Er öffnet das Konvolut. ›Leset.‹ Ich lese, und was lese ich, Pfannenstiel?

... ›Item, meinem schätzbaren Freunde, dem Pfarrer Rosenstock, zwei hohle Hemdknöpfe von Messing mit einer Glasscheibe versehen, worunter auf grünem Grunde je drei winzige Würfelchen liegen. Gestikuliert der Herr auf der Kanzel nun mit der Rechten, nun mit der Linken, und schüttelt besagte Würfelchen auf eine ungezwungene Weise, so kann er vermittelst wiederholter schräger Blicke bei währendem Sermone mit sich selbst ein kurzweiliges Spielchen machen. Vorgenannte Knöpfe sind in Algier, Tunis und Tripolis bei den Andächtigen beliebt und finden ihre Anwendung in den Moscheen während der Vorlesung des Korans‹ ...

Nun denke dir, Pfannenstiel, das Ärgernis bei Eröffnung des Testamentes! – Der Bösewicht ließ sich dann erbitten, mir die Gabe gleich einzuhändigen und den Paragraphen zu streichen. Hier!« Und Rosenstock hob das niedliche Spielzeug aus seiner Brusttasche.

 

»Das ist ja eine ganz ruchlose Erfindung«, sagte Pfannenstiel mit einem Anfluge von Lächeln, denn er kannte die Neigung des Ütikoners zum Würfelspiele, »und du meinst, der General ist allen geistlichen Leuten aufsässig?«

»Allen ohne Ausnahme, seit er puncto gottloser Reden prozessiert und um eine schwere Summe gebüßt wurde!«

»Ist ihm nicht zu viel geschehen?« fragte Pfannenstiel, der sich den helvetisch reformierten Glaubensbegriff mit etwas bescheidener Mystik versüßte und in dem keine Ader eines kirchlichen Verfolgers war.

»Durchaus nicht. Nur mußte er die ganze große Rechnung auf einmal bezahlen. Auf seinem ganzen Lebenswege, von Jugend an hat er blasphemiert, und das wurde dann so gesammelt, das summierte sich dann so. Als er endlich in unserm letzten Bürgerkriege Rapperswyl vergeblich belagerte, ohne Menschenleben zu schonen, was die erste Pflicht eines republikanischen Heerführers ist, erbitterte er die öffentliche Meinung gegen sich, und wir durften ihm an den Kragen. Da wurde ihm eingetränkt, was er alles an unserer Landeskirche gefrevelt hatte. Jetzt freilich dürfen wir dem Feldherrn der Apostolischen Majestät weiter nichts anhaben, sonst wird er uns zum Possen noch katholisch und das zweite Ärgernis schlimmer als das erste. Man erzählt sich, er tafle in Wien mit Jesuiten und Kapuzinern. – Wir geistlichen Leute sind eben, so oder so betitelt und verkleidet, in der Welt nicht zu entbehren!«

Der Ütikoner belachte seinen Scherz und blieb stehen. »Hier ist die Grenze meines Weinbergs«, sagte er. Mit diesem Ausdrucke bezeichnete er seine Gemeinde. »Willst du nach dem Erzählten noch hinüber zum Generale? Pfannenstiel, begehst du die Torheit?«

»Ich will es ein bißchen mit der Torheit versuchen, die Weisheit hat mir bis jetzt nur herbe Früchte gezeitigt«, erwiderte Pfannenstiel sanftmütig und schied von seinem gestrengen Kollegen.

Zweites Kapitel

Wenig später saß der verliebte und verzweifelnde Kandidat auf dem Querbrette eines langen und schmalen Nachens, den der junge Schiffmann Bläuling mitten über die Seebreite mit kaum aus dem Wasser gehobenem Ruder der Au zulenkte.

Schon warf das schweigsame Eichendunkel seine schwarzen Abendschatten weit auf die schauernden Gewässer hinaus. Bläuling, ein ernsthafter, verschlossener Mensch mit regelmäßigen Gesichtszügen, tat den Mund nicht auf. Sein Nachen schoß gleichmäßig und kräftig, wie ein selbständiges Wesen durch die unruhige Flut. Auf und nieder war der ganze See mit gewölbten Segeln bevölkert; denn es war Sonnabend und die Schiffe kehrten von dem gestrigen städtischen Wochenmarkte heim. Drei Segel flogen heran, die eine Figur mit sich verschiebenden Endpunkten bildeten, und schlossen das Schifflein des Kandidaten in ihre Linien ein. »Nehmt mich mit in die weite Freiheit!« flehte er sie unbewußt an, aber sie entließen ihn wieder aus ihrem wandernden Netze.

Unterdessen näherte sich zusehends das Landhaus des Generals und entwickelte seine Fassade. Der fest, aber leicht aufstrebende Bau hatte nichts zu tun mit den landesüblichen Hochgiebeln, und es war, als hätte er bei seiner Eigenart die Einsamkeit absichtlich aufgesucht.

»Dort ist das Kämmerlein der Türkin«, ließ sich jetzt der schweigsame Bläuling vernehmen, indem seine Rechte das Ruder fahren ließ und nach der Südecke des Hauses zeigte. »Der Türkin?« Der ganze Kandidat wurde zu einem bedenklichen Fragezeichen.

»Nun ja, der Türkin des Wertmüllers; er hat sie aus dem Morgenlande heimgebracht, wo er für den Venezianer Krieg führte. Ich habe sie schon oft gesehen, ein hübsches Weibsbild mit goldenem Kopfputze und langen, offenen Haaren; gewöhnlich wenn ich vorüberfahre, legt sie die Finger an den Mund, als pfiffe sie einem Mannsvolk; aber gegenwärtig liegt sie nicht im Fenster.«

Ein langgezogener Ruf schnitt durch die Lüfte, gerade über die Barke hin: »Sweine-und!« scholl es vernehmlich vom Ufer her.

Der aufgebrachte Bläuling schlug sein Ruder ins Wasser, daß zischend und spritzend ein breiter Strahl an der Seite des Fahrzeuges emporschoß.

»So wird man«, zürnte er, »seit den paar Tagen, daß der Wertmüller wieder hier ist, überall auf dem See mit Namen gerufen. Es ist der verreckte Schwarze, der mit dem Sprachrohre des Generals rumort und spektakelt. Vergangenen Sonntag im Löwen zu Meilen schenkten sie ihm ein und soffen ihn unter den Tisch. Dann brachten sie ihn nachts in meinem Schiffe dem Wertmüller zurück. Nun schimpft der Kaminfeger durch das Rohr nach Meilen hinüber, aber morgen, beim Eid, sitzt er wieder unter uns im Löwen. – Nun frage ich: woher hat der Mohr das fremde Wort? Hier sagt man sich auch wüst, aber nicht so.«

»Der General wird ihn so schelten«, bemerkte Pfannenstiel kleinlaut.

»So ist es, Herr«, stimmte der Bursche ein. »Der Wertmüller bringt die hochdeutschen, fremdländischen Wörter ins Land, der Staatsverräter! Aber ich lasse mir auf dem See nicht so sagen, beim Eid nicht.«

Bläuling wandte ohne weiteres seine Barke und gewann mit eiligen, kräftigen Ruderzügen wieder die Seemitte.

»Was ficht Euch an, guter Freund? Ich beschwöre Euch«, eiferte Pfannenstiel. »Hinüber muß ich! Nehmt doppelte Löhnung!«

Doch das Silber verlor seine Kraft gegen die patriotische Entrüstung, und der Kandidat mußte sich auf das Bitten und Flehen legen. Mit Mühe erlangte er von dem beleidigten Bläuling, daß ihn dieser, »weil Ihr es seid«, sagte der Bursche, außerhalb der Tragweite des Sprachrohres um die ganze Halbinsel herum in ihre südliche Bucht beförderte. Dort ließ er den Kandidaten ans Ufer steigen und ruderte nach wenigen Minuten den sich rasch verkleinernden Nachen wieder mitten in der Bläue.

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