Vorsicht, gute Nachrichten!

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Vorsicht, gute Nachrichten!
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Einleitung



Unsere Schlagzeilen werden von Katastrophen, Krieg und Dramen bestimmt. Kein Wunder also, dass es immer heißt »Früher war alles besser!« und dass wir pessimistisch in die Zukunft blicken. Doch tatsächlich geht es uns in vielen Lebensbereichen besser als je zuvor. Ob Feinstaubwerte, Anzahl der Gewaltverbrechen oder Arbeitsstunden – in allen Fällen haben sich die Bedingungen verbessert.



Aber wieso weicht unsere persönliche Wahrnehmung so stark von der Realität ab? Die erfolgreiche ZEIT-Serie mit zwölf Artikeln aus dem Wissen-Ressort gibt Aufschluss darüber. Illustriert mit anschaulichen Grafiken und Statistiken zeigen unsere Autoren unter anderem, wie es heute in den Bereichen Umwelt, Gesundheit oder Bildung aussieht und was sich inzwischen zum Positiven verändert hat.



Unser Extra:

 Am Ende des E-Books finden Sie die ausführlichen Ergebnisse einer repräsentativen ZEIT-Umfrage zu diesem Thema mit bisher unveröffentlichten Details.




Inhaltsverzeichnis





Einleitung





Psychologie: Leider gut  Wir sehen die Welt düsterer, als sie ist. Das liegt nicht nur an den Medien, sondern auch an unserer Psyche  VON CHRISTOPH DRÖSSER UND MARTIN SPIEWAK



Lebenserwartung: Verdammt alt  Unsere Lebenserwartung steigt – dank des medizinischen Fortschritts. Dafür nehmen altersbedingte Krankheiten wie Alzheimer und Krebs zu  VON CHRISTIAN HEINRICH



Umwelt: Alles so sauber  Der Himmel über dem Ruhrgebiet ist wieder blau. Ein Besuch in der einst dreckigsten Region Deutschlands  VON DIRK ASENDORPF



Verbrechensrate: Aber sicher!  Von wenigen Delikten abgesehen sinkt die Zahl der Verbrechen jährlich  VON CHRISTOPH DRÖSSER



Familien: Bitte schön spießig  Harmonische Familien: Die Generationen verstehen sich besser denn je  VON MARTIN SPIEWAK



Ernährung: Schrecklich gesund  Trotz vieler Lebensmittelskandale: Jeder kann sich heute gut ernähren  VON SUSANNE SCHÄFER



Freiwilligenarbeit: Achtung, Gutmenschen!  Das freiwillige Engagement in der Gesellschaft ist ungebrochen  VON CHRISTOPH DRÖSSER



Entwicklungsländer: Von wegen Armut  Sieben der zehn wachstumsstärksten Länder der Welt liegen in Afrika. Ein Besuch bei drei erfolgreichen Unternehmern in Uganda  VON HARRO ALBRECHT



Demokratisierung: Macht euch frei  Nicht nur in den Ländern des Arabischen Frühlings stehen die Zeichen auf Demokratie  VON MARTIN SPIEWAK



Arbeitsbedingungen: Malochen war früher  Unser Wohlstand steigt kontinuierlich, und wir müssen für unser Geld immer weniger arbeiten  VON KOLJA RUDZIO



Bildungsexpansion: Köpfchen, Alter!  Die Bildungsexpansion hat dafür gesorgt, dass die Deutschen schlauer sind als früher  VON MARTIN SPIEWAK



Replik: Fortschritt? Nicht für alle  Solange alle sechs Sekunden ein Kind verhungert, geht es der Welt nicht gut. Eine Replik auf unsere Serie  VON THOMAS ASSHEUER




      ZEIT-Umfrage: Alles wird gut






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Impressum






Psychologie

Leider gut

Wir sehen die Welt düsterer, als sie ist. Das liegt nicht nur an den Medien, sondern auch an unserer Psyche



VON CHRISTOPH DRÖSSER UND MARTIN SPIEWAK

 DIE ZEIT, 21.03.2013 Nr. 13



Der Welt, in der wir leben, geht es schlecht. Diesen Eindruck muss bekommen, wer die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage liest, die TNS Infratest für die

ZEIT

 durchgeführt hat. Ob Ernährung, öffentliche Sicherheit, Gemeinsinn oder Gesundheitsversorgung: Die Mehrheit der Bundesbürger sieht dies alles im Niedergang begriffen. Drei Viertel der Befragten meinen, dass es den Menschen in den Entwicklungsländern immer schlechter gehe. Und sogar neun von zehn glauben, dass wir die Umwelt immer mehr verschmutzten.



Sieben der zehn pessimistisch formulierten Sätze, die wir ihnen vorlegten, fanden die Zustimmung der Befragten. Lediglich in den Kategorien Bildung, Demokratie und – wen wundert’s – Wirtschaft zeigen sich die Deutschen zurzeit relativ sorgenfrei.



Die Wahrheit ist: Der Welt geht es sehr gut! Wir leben nicht im Paradies, aber noch nie ging es den meisten Menschen auf der Welt so gut wie heute. Um das einzusehen, muss man die Gegenwart nicht mit dem Mittelalter vergleichen, noch nicht einmal mit der Nachkriegszeit. Es reicht ein Blick in die siebziger Jahre. Als der Ölpreisschock den Deutschen klarmachte, dass wirtschaftliches Wachstum keine Selbstverständlichkeit ist. Als der Bericht des Club of Rome der Welt vor Augen führte, dass sich die Umwelt nicht folgenlos ausbeuten lässt. Als die Krise für jeden Zeitungsleser zum täglichen Begleiter wurde.



Die Nachrichtensendungen informieren über Missstände, das ist ihre Aufgabe. Was dagegen selten Schlagzeilen macht: Wir leben länger und gesünder als noch vor 40 Jahren, wir arbeiten weniger und sind dennoch reicher. Unsere Kinder erhalten eine höherwertige Bildung, die Generationen verstehen sich prächtig, die Umwelt ist so sauber wie lange nicht mehr. Wir leben – historisch einmalig – mit allen unseren europäischen Nachbarn seit Jahrzehnten im Frieden, Gewalt und gesellschaftliche Konflikte haben sich stark verringert. Nicht alle profitieren in gleichem Maße von diesem Mehr an Lebensqualität und Wohlstand, aber für die Mehrheit zeigen die langfristigen Trends in eine positive Richtung.



Das gilt für Deutschland, aber mehr noch für den Rest der Welt. Die Lebensverhältnisse in den meisten Staaten auf dem Globus haben sich so grundlegend verbessert, wie dies noch vor zwei Jahrzehnten niemand vorauszusagen gewagt hätte. Die Kindersterblichkeit hat sich seither halbiert. Der Anteil derer, die Zugang zu Bildung, Gesundheit und fließend Wasser haben, ist immens gestiegen. Seit den siebziger Jahren hat sich die Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern verdreifacht. Laut dem jüngsten

Global Burden of Disease-

 Report verliert die Menschheit mittlerweile mehr Lebensjahre durch Übergewicht als durch Unterernährung. Und zu keiner Zeit wurden so viele Regierungen von ihren Bürgern zumindest halbwegs demokratisch gewählt.



Stellt man das Heute dem Gestern vorbehaltlos gegenüber, leben wir in einem goldenen Zeitalter. Warum nur nehmen wir die guten Nachrichten nicht zur Kenntnis? Warum blicken wir so düster auf die Gegenwart, sehen uns von Krisen, Katastrophen und Verfall bedrängt, wenn die tatsächlichen Trends eine Erfolgsgeschichte beschreiben?



Und warum malt der Mensch sich die große Welt selbst dann düster aus, wenn die unmittelbare Erfahrung dazu wenig Anlass gibt? Als die Demoskopen von Allensbach 2009 nach dem Zustand der Familie fragten, antworteten nur 20 Prozent der Deutschen, dass der Zusammenhalt in den Familien stark sei. Bezogen auf die eigene Familie waren es dagegen 82 Prozent. Mit der Schule insgesamt zeigen sich die Bundesbürger höchst unzufrieden; die Lehrer ihrer Kinder jedoch halten mehr als 80 Prozent der Eltern laut einer Emnid-Umfrage des vergangenen Jahres für kompetent, fair und engagiert.



Auf Platz eins der amerikanischen Sachbuch-Bestsellerliste steht der Titel

America The Beautiful,

 der davon handelt, wie das Land sich neu erfinden kann. In Deutschland dagegen steht Frank Schirrmachers zeitkritisches Traktat

Ego

 an der Spitze.



Es sind jedoch nicht nur die als miesepetrig geltenden Deutschen, die unter negativ verzerrten Urteilen leiden. In unzähligen Experimenten haben Kognitionspsychologen vorgeführt, wie unzuverlässig die menschliche Wahrnehmung ist, wie sehr uns unsere Erinnerungen betrügen und wie stark momentane Gedanken und Gefühle allgemeine Bewertungen steuern. Der amerikanische Psychologe Daniel Kahneman hat über diese Mechanismen ein ganzes Buch geschrieben

(Schnelles Denken, langsames Denken),

 das seit Monaten weltweit in den Bestsellerlisten steht.



Die wichtigste dieser sogenannten Heuristiken ist jene der selektiven Verfügbarkeit. Sie sorgt dafür, »dass die Gegenwart im Vergleich mit der Vergangenheit meist schlecht abschneidet«, sagt der Würzburger Psychologe Fritz Strack. Wenn wir die Gegenwart bewerten, fallen uns eher unsere aktuellen Probleme ein. Denken wir dagegen an die Vergangenheit, sind die Probleme entweder verblasst oder aber gelöst und insofern weniger dramatisch.



Fragt man zum Beispiel nach dem Zustand der Umwelt, fällt den meisten der drohende Klimawandel ein, der seit vielen Jahren die öffentliche Diskussion dominiert. Natürlich wird die Erwärmung der Erdatmosphäre nachhaltige Folgen für Mensch und Natur haben. Welche das jedoch sind, ist ungewiss, hierzulande werden sie aller Voraussicht nach eher gering ausfallen. Real und eigentlich für jedermann erkennbar, hat sich dagegen die Qualität der Luft verbessert. Der deutsche Wald erfreut sich bester Gesundheit, in vielen Flüssen und Seen, die noch vor 40 Jahren eine Dreckbrühe waren, kann man wieder baden.



Doch unser Gehirn gibt negativen Signalen immer den Vorrang. Der amerikanische Ernährungspsychologe Paul Rozin macht das an einem Beispiel plastisch. Eine einzige Küchenschabe ruiniert die Anziehungskraft einer Schüssel Kirschen völlig – während eine Kirsche in einer Schüssel voller Schaben keinen Effekt hat. Wahrscheinlich lässt sich unsere Vorliebe für Widrigkeiten als Produkt der Evolution verstehen. Wer seine Aufmerksamkeit stärker auf das Schlechte und Gefährliche richtete, hatte größere Chancen, sich anzupassen, zu überleben und sich fortzupflanzen.



Ein einzelner Mord überlagert jede sachliche Verbrechensstatistik



Bei der Kriminalität liegen das subjektive Bedrohungsgefühl und die reale Gefahr besonders weit auseinander. Da kann man noch so häufig darauf hinweisen, dass die Kriminalität insgesamt seit Jahrzehnten abnimmt – der Fall eines ermordeten Kindes, über den die Medien wochenlang berichten, überlagert jede Statistik.

 



Die Medien nutzen diese Wahrnehmungsmuster und verstärken sie. »Das ist der Grund, warum Berichte über Krisen und Katastrophen derart dominant sind: Sie bedienen ein Bedürfnis, und sie werden in Redaktionen bevorzugt ausgewählt«, sagt der Tübinger Medienforscher Bernhard Pörksen. Alltag und Normalität dagegen seien nicht medienfähig.



Bad news is good news

 – das war schon immer so. Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Welt der Nachrichten über die Jahrzehnte immer düsterer geworden ist. Hans Mathias Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung in Mainz, spricht von einer »Verdunkelung des publizistischen Ereignishorizontes«. Die Darstellung, sagt Kepplinger, habe sich von der Realität zunehmend abgekoppelt. Und die digitalen Medien dürften die Tendenz zum Alarmismus weiter verschärft haben – Nachrichtenwebsites, Blogs und das Gezwitscher der Massen auf Twitter verstärken einander gegenseitig, aus einer kleinen Nachrichtenwelle wird schnell ein Tsunami.



Der Zwang, das Nachrichtenangebot ständig zu erneuern, treibt an, was Kommunikationswissenschaftler die »Verfügbarkeitskaskaden« nennen. Die Meldung über eine neue »Seuche«, ein Verbrechensopfer, einen Politikerskandal zieht Leser und Zuschauer in ihren Bann; Experten und Interessengruppen melden sich zu Wort oder schalten sich

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