Loe raamatut: «Herrenfahrrad "Partizan"», lehekülg 2

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Rührei

Ich laufe gerne. Ich mache das ständig. Ich renne die Straßen entlang, auf dem Weg zur Nera und zurück, das sind zwei mal zwei Kilometer. Ich renne durch den Wald hinter dem See, an den Gleisen entlang. Ich renne zum Kino und zurück. Ich renne zur Schule und zurück. Ich renne den Berg Urvan und den Berg Kalvarija hinauf. Auf dem Kalvarija stehen drei große Holzkreuze. Wenn keiner da ist, und es ist fast nie jemand da, springe ich ganz hoch, hänge mich an den Balken eines der beiden kleineren Kreuze und schaue mir von dort oben die Stadt und die blauen Berge dort hinter der Nera in Rumänien an.

Wenn auf meiner Straße jemand ist, renne ich über den Rasen zur Fahrbahn und dann weiter am Fahrbahnrand, immer geradeaus nach vorn schauend. Ich grüße nur ungern die Nachbarn. Ich schaue nur mit dem Augenwinkel, ob sie mich ansehen. Manchmal stehen da ein paar Frauen und reden irgendetwas. Manche dieser Omas sind frech, ich höre sie sagen: „Da, dieses verrückte Kind rennt schon wieder. Er ist schon groß, er sollte endlich vernünftig werden und aufhören, so kopflos in der Gegend herumzurasen.“

Wenn er nicht betrunken ist, ruft Rajko, genannt der Antifaschist, mir hinterher: „Lauf, Kleiner, lauf! Mens sana in corpore sano!“ Betrunken ruft er andere Dinge.

Jeden Morgen frühstücke ich Rührei von drei Eiern, in das ich Brot eintunke. Meine Mutter sagt immer, ich solle nicht so viel Brot nehmen: „Du isst jeden Morgen einen halben Laib Brot. Abends fehlt es uns dann für das Abendbrot. Wie viele Brote soll ich denn für uns beide kaufen? Ich werde wohl das billigere Mischbrot kaufen müssen.“ Ich mag Weißbrot. Es ist so samtig weich, wie Mamas Watte im Badezimmer. Mama kauft es sehr selten, nur wenn das Mischbrot und das Graubrot alle sind. Bis zum zwanzigsten im Monat kauft Mama Mischbrot, danach Graubrot, bis zum Zahltag.

Auf dem Schulweg kann ich die Sonja-Marinković-Straße entlang rennen, dann rechts in die Straße der Volksarmee, von da aus links in die Žarko-Zrenjanin-Straße, in der sich meine Schule befindet, die genau so heißt wie die Straße. Aber ich renne nicht diese Strecke. Ich renne durch Straßen, die in Zick-Zack-Linien bis zur Schule führen: Sonja-Marinković-Straße, dann die Nemanjina, Car-Dušan-Straße, Boris-Kidrič-Straße die Karađorđe-Straße, Straße der Volksarmee und Žarko Zrenjanin.

Ich hoffe darauf, in diesem Frühjahr die Stafette für Tito zum Tag der Jugend tragen zu dürfen, und zwar in der Hauptstraße, nicht in irgendeiner Seitenstraße. Ich muss ja nicht derjenige sein, der sie dem Vorsitzenden der Jugendorganisation übergibt, das kann ruhig jemand anderes machen, jemand älteres. So wäre ich in der Mitte, links und rechts von mir jeweils ein Mädchen, unweit der Bühne reiche ich dann den Staffelstab einer Gymnasiastin, die auf die Bühne klettert und diesen nebst einer kleinen Rede dem Vorsitzenden überreicht, der vor einem großen Tito-Bild steht. Die Hauptstraße ist voll, alle schauen uns an, alle schauen mich an. Im Publikum sind auch meine Mutter und auch meine Ex-Freundin.

Ein Mann, der mit meiner Mutter in der Druckerei arbeitet, sagte mir, die Tochter seines Nachbarn arbeite als Sekretärin beim Jugendleiter und könne das klarmachen, dass ich die Tito-Stafette trage – wenn ich ihn an meine Mutter ranlasse. Ich sagte ihm: „Fick dich ins Knie“ und haute ab, um nicht verprügelt zu werden. Als ich klein war, hat mir meine Mama gesagt, wenn jemand auf mich zu käme und mir sagte, meine Mutter sei schön und ich solle ihn mal an sie ranlassen, solle ich ihm sagen: „Fick dich ins Knie.“

Ich hatte eine Freundin, einen Monat lang. Es war meine erste Liebe. Sie ging in die 7a, ich in die 8b. Wir gingen abends auf der Promenade spazieren, dann standen wir eine Weile in ihrer Hauseinfahrt. Ich wusste nicht, wie ich sie küssen sollte. Ich redete, sie erwartete, dass ich sie umarme und küsse, aber ich wusste nicht, wie. Ich wollte mich nicht lächerlich machen. Mein Herz schlug furchtbar stark. Dann sagte sie: „Ich muss jetzt gehen. Tschüss.“

Sie schaute mir in die Augen. Ich antwortete nervös: „Tschüss.“

Ich dachte mir, am nächsten Abend würde ich sie ganz bestimmt küssen. Aber ich schaffte es nicht. Sobald sie das Tor hinter sich geschlossen hatte, rannte ich die Straße hinunter wie blöd, wütend auf mich selbst. Ich rannte eine Runde um den See, in der finsteren Nacht, und dann nach Hause. „Lauf doch, Kleiner, lauf“, rief einmal Rajko, der Antifaschist, hinter mir her, als er aus der Kneipe gegenüber dem Bahnhof kam. „Ein gesunder Schwanz in einem gesunden Körper!“ Im Bett machte ich es mir dann selbst, aber dabei stellte ich mir nicht meine Freundin vor, sondern irgendwelche älteren, verdorbenen Mädchen aus der Berufsschule, über die man alles Mögliche erzählte.

Ich bin in der achten Klasse. Bald bin ich damit fertig. Ich weiß noch nicht, ob ich danach aufs Gymnasium will oder in die Berufsschule. Der Klassenlehrer meint, es wäre besser, wenn ich einen Beruf erlernte.

Der Klassenlehrer meinte auch, es wäre vielleicht besser für mich, nicht mit zur Klassenfahrt an die Adriaküste zu fahren, da ich dort nicht würde rennen können. In Dubrovnik rannte niemand durch die Straßen. Meine Mutter sagte: „Hm, hm, ein Schwerenöter. Schöner Mann, aber verdorben. Wenn er Druck hat, sagt er manchmal: Hey, Rührei, sag deiner Mama, sie soll morgen nach der Schule vorbeikommen, ich will ihr deine Noten zeigen.“

Als mich meine Freundin wegen eines Jungen aus der 7b verließ, der in der C-Jugend von Radnički Fußball trainierte, war ich traurig und sang eine ganze Woche lang beim Rennen das Lied der Gruppe Indexi „Sie hat alles den Bach runtergehen lassen.“ Tagelang rannte ich wie blöd. Auf dem Weg zur Nera sah mich mein Sportlehrer. Er fuhr gerade auf der Stange seines Fahrrads irgendein Mädel in der Abenddämmerung zur Nera, um ihr den Fluss zu zeigen. Er war unverheiratet und brachte ziemlich oft in der Abenddämmerung Mädchen zur Nera. In der kommenden Woche siegte ich bei den Wettbewerben der Südbanater Grundschulen in allen Disziplinen: einhundert Meter, zweihundert Meter, vierhundert Meter, achthundert Meter. Die Teilnehmer aus anderen Schulen nannten mich fliegender Weißkirchener, meine Schulfreunde sagten: Da ist das fliegende Rührei.

Ich mag Schlager. Im Fernsehen schaue ich mir alle Musikfestivals an. Ich verpasse weder den „Belgrader Frühling“, „Ihr Schlager der Saison“, das Zagreber noch das Spliter Festival der Unterhaltungsmusik, genau so wenig wie das im Kristallsaal des Hotels Kvarner in Opatija. Mama und ich schauen das immer gemeinsam. Wir machen das Licht aus, die Mama auf der Couch, ich auf dem Stuhl am Tisch. Ich sage Mama, welches Lied mir am besten gefällt und sie sagt mir ihre Wahl. Ihr gefallen immer zwei-drei Lieder gleich gut. Mir nur eins. Ich singe das Lied dann später tagelang beim Rennen vor mich hin. Ich bin traurig, wenn mein Lied nicht gewinnt. Meine Mama mag das Festival in Split am meisten, weil sie das Meer mag, aber noch nie am Meer war. Ich auch nicht. Die Klassenfahrt wäre eine Chance gewesen, das Meer zu sehen, aber ich fuhr nicht mit. Ich hätte es mir wirklich nicht vorstellen können, drei Tage nicht zu laufen, das hätte ich nicht ausgehalten. Ich wäre wahnsinnig geworden, ganz sicher.

Prinzessin Elethia

Ich war zehn Jahre alt, als ich meiner Mama beschrieb, wie die Hebamme und der Arzt aussahen, die ihr dabei geholfen hatten, mich endlich auf die Welt zu bringen. Ich sagte ihr außerdem, dass Papa im Wartezimmer auf die Frage, ob ich ein Junge oder ein Mädchen sei, zu der versammelten Familie sagte, er wisse es nicht, aber ich sei vollkommen gesund und Mama sei wohlauf.

Ich sagte ihr nicht, dass ich mich daran erinnern konnte, dass es später Nachmittag war, dass der Himmel schmutzig-orange war und der Turm der nächsten Kirche sechs Mal gegen das Tor des Himmels schlug.

Mama schaute mich eine Zeitlang stumpf an. Dann lächelte sie säuerlich und sagte: „Du erfindest Sachen.“

Später, im Laufe unseres gemeinsamen Lebens, schaute mich Mama noch einige Male so an, stumpf, ausdruckslos, verstummt, ohne zu wissen, was sie sagen sollte, überrascht von dem, was sich ihr darbot.

Ich brachte fünf Söhne zur Welt. Drei von einem Typen, zwei von einem anderen. Mit allen fünfen war ich je neun Monate schwanger. Meine Mama hatte mich nach zehneinhalb Monaten Schwangerschaft geboren.

Jedes Mal, wenn ich spürte, dass ich schwanger war, griff ich mir mit den Händen auf den Bauch und sagte: „Hier ist ein Junge, ich werde einen Sohn gebären.“ Ich wollte keine Tochter. Ich wollte nicht, dass meine Tochter zum ersten Mal Sex mit ihrem Stiefvater hätte. Ich wollte nicht, dass ein betrunkener Junge unter Drogeneinfluss ihr eine Tätowierung machte, ein Krimineller, der im Gefängnis tätowieren gelernt hätte. Ich wollte nicht, dass irgendjemand in Florida zu meiner Tochter sagte, dass er sie so lange vergewaltigen würde, bis es ihm reichte, und sie dann mit einem Messer aufritzen und den Krokodilen im Sumpf zum Fraß vorwerfen würde. Ich wollte nicht, dass meine Tochter ein Junkie würde, ich wollte nicht, dass sie jemandem einen blasen müsste, um an ihre Drogen heranzukommen ...

Mama saß in der Küche und trank Bier. Sie hatte einen Job zu Ende gebracht, war nach Hause gekommen, um sich zu duschen und anschließend zum nächsten Job zu gehen. Ich sagte zu Mama, dass ich schwanger war, dass ich zu meinem Freund, einem Kriegsveteranen, ziehen würde, er saß im Rollstuhl und konnte nicht gehen. Er war im Irak verwundet worden.

Mama schaute mich so an wie damals, als ich zehn Jahre alt war und ihr die Hebamme und den Arzt beschrieben hatte. Es dauerte eine Weile. Schließlich blinzelte sie und ihr Gesicht war nicht mehr das gleiche. Irgendetwas entwich aus ihr. Ich sagte: „Ich hab nichts erfunden.“ Sie stand auf, ging zum Kühlschrank, holte zwei Dosen Bier heraus und machte beide auf. Eine reichte sie mir: „Stoßen wir an, liebe Tochter. Ein Mund weniger in meinem Haus, eines mehr in deinem Haus, das du dir mit deinem Ficker im Rollstuhl teilst.“

Papa trug mich auf der Schulter. Ein wenig tat ich so, als würde ich schlafen, ein wenig lachte ich Mama zu, die hinter uns her ging, sie streckte mir die Zunge raus und machte für mich Elefantenohren. Es war ein warmer Abend, aus einigen Gärten roch es nach gemähtem Gras.

Papa war Automechaniker. Seine Hände waren rau und aufgerissen und die Risse waren schwarz vor Fett und Öl. Er roch nach Moschus und Garage.

Eines Abends schrie er im betrunkenen Zustand Mama an, stieß sie auf die Couch und machte mit erhobenem Arm einen Schritt auf sie zu, um sie zu schlagen. Ich schrie, er solle Mama in Ruhe lassen, er solle sie nicht schlagen. Ich war sechs Jahre alt. Papa und Mama stritten oft und Papa schlug Mama. Ich bat Gott darum, dass es aufhörte. Aber es hörte nicht auf. Also hörte ich auf, an Gott zu glauben.

Papa drehte sich zu mir um und schlug mich. Meine Wange tat sehr weh, aber ich weinte nicht. Er schlug mich wieder, ich schwieg und legte mir die Hände übers Gesicht. Er schlug mich auf die Hände. Ich weinte nicht. Papa war erstaunt, er schaute Mama an, dann mich. Mama schrie: „Verlass dieses Haus oder ich rufe die Polizei, du hast das Kind geschlagen.“

Papa drehte sich um und ging. Er schlug die Haustür zu. Ich konnte hören, wie er die Autotür aufmachte und dann zuknallte. Ich schaute aus dem Fenster. Er hatte seinen Kopf aufs Lenkrad gelegt. Ich verließ das Haus und schlich mich zum Auto. Das Fenster war offen. Papa weinte laut. Ich kehrte ins Haus zurück und sagte zu Mama: „Ich will, dass Papa wieder zurückkommt. Ich hole ihn jetzt. Dich hat er nicht geschlagen. Mich hat er geschlagen, ich verzeihe ihm.“

In unserer Nachbarschaft lebte eine alte Indianerin. Einmal hatte sie mich weinen gesehen, als ich noch ganz klein war. Sie sagte zu mir, ich solle sofort damit aufhören. Sie sagte zu mir, ich müsse so sein wie die Indianerkinder – sie weinen niemals. Wenn ein noch ganz kleines Indianerbaby zu weinen beginnt, legt seine Mutter ihre Hand über den Mund und die Nase des Babys. Auf diese Weise lernen die Babys ganz schnell – Weinen bedeutet, nicht mehr atmen zu können.

Mama gab mir den Namen Elethia, aber sie rief mich nicht so, sondern Annie. Ich weiß nicht, warum. Ich fragte nie.

Papa sagte, er hätte zu trinken und zu rauchen aufgehört. „Du machst Witze“, sagte ich und konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Papa schaute mich ernsthaft an: „Prinzessin, hüte deine Zunge.“

Dieses „Prinzessin, hüte deine Zunge“ hatte ich schon ewig nicht mehr gehört. Ich war noch klein gewesen, ich hatte irgendetwas gesagt, Papa hatte mir eine Ohrfeige gegeben und gesagt: „Prinzessin, hüte deine Zunge.“ Ich wiederholte es, kassierte wieder eine Ohrfeige und dann: „Prinzessin, hüte deine Zunge.“ Ich sage es noch einmal, aber leiser, weil mir das Gesicht weh tat, und Papa erhob die Hand, um mich zu schlagen, tat es aber dann doch nicht. Mama hatte ihn mit einer Bierflasche auf den Kopf geschlagen.

„Der Arzt sagt, ich habe Lungenkrebs“, sagte Papa. Ich denke, ich habe ihn in diesem Moment so angeschaut, wie Mama mich mehrmals angeschaut hat, wenn ich ihr etwas Wichtiges mitteilte: stumpf, ausdruckslos, ohne zu blinzeln. „Der Arzt sagte, der Krebs wurde rechtzeitig entdeckt, alles wird okay sein. Ich muss nur aufhören zu rauchen und zu trinken und eine Therapie machen. Er hat gesagt, ich werde meine Haare verlieren. Es ist nicht schade um die Haare. Viele habe ich ja ohnehin nicht mehr, aber es ist schade um den Bart und um den Schnauzer. Ich habe mir ein Rasiergerät gekauft. Deshalb habe ich dich auch angerufen, du sollst mir die Haare schneiden, ganz ganz kurz.“

„Wo ist deine Freundin?“, fragte ich und betrachtete Papas braunen Schnauzer und Bart, ohne ein einziges graues Haar. Papa lachte: „Auf und davon. Sobald sie gehört hat, was mit mir los ist, hat sie gesagt, ihr Vater ist daran gestorben und sie will nicht ein zweites Mal das gleiche durchmachen. Schlampe.“

Papas Haare fielen bald aus. Er litt unter Schlaflosigkeit. Häufig rief er mich an, ohne auf die Uhrzeit zu achten. Ich ging immer ans Telefon. „Ja, Papa.“ Ich hörte eine Zeitlang zu, was er zu sagen hatte, dann legte ich den Hörer auf den Teppich und schlief weiter. Papas Stimme sprach zur Dunkelheit meines Schlafzimmers. Papa sprach über vieles, aber meistens sprach er über seine Kindheit, die er auf einer kleinen, ärmlichen Farm verbracht hatte, und über seinen gewalttätigen Vater, der die Kinder geschlagen und die Frau vergewaltigt hatte. Papas Vater war mit sechsundvierzig gestorben. Er hinterließ sieben kleine Kinder, das eine reichte dem anderen gerade mal zum Ohr, und eine schwangere Frau. Einige Monate später fanden die Kinder ihre tote Mutter auf dem Küchenboden, als sie aus der Schule zurückkehrten. Zwischen ihren nackten Beinen lag in einer Blutlache ein totes Baby, durch die Nabelschnur mit der Mutter verbunden.

Papa war zweiundfünfzig Jahre alt, als er starb. Ich war damals zweiunddreißig Jahre alt, mein fünfter Sohn war gerade unterwegs.

Mama schlief im Sessel. Der Fernseher war an: Werbung für zehn CDs mit Musik aus den Sechzigern. Links von Mama stand ein Beistelltisch, darauf ein überquellender Aschenbecher und drei Bierdosen. Ich nahm jede von ihnen kurz in die Hand; die erste war leer, die zweite ebenfalls, in der dritten war noch ein wenig Bier. Ich trank es aus und stellte die Dose zurück auf den Beistelltisch. Diesen Beistelltisch, die Lampe daneben, den zweiten Staubsauger und noch den einen oder anderen Gegenstand im Haus hatte Mama beim Container hinter dem großen Gebäude zwischen dem Einkaufszentrum und dem Hotel „Radisson“ gefunden, in der Nähe der Autobahn 480. Papa hatte ihr diesen Bergwerk von Schrott gezeigt. Er brachte unterschiedliche Dinge von dort mit. Bei Umzügen ließen die Bewohner einige Sachen zurück, Regale, Lampen, Kinderspielzeug, Weihnachtsbäume aus Plastik ... Papa brachte alles nach Hause, er konnte immer alles gebrauchen. Was kaputt war, wurde von ihm repariert, er reinigte die Sachen, malte manche an und verkaufte dann alles vor seiner Garage. In der Nachbarschaft brachte er dann Plakate mit der Information an, GARAGE SALE an dem und dem Tag, an der und der Adresse. Als er uns verließ, wegen einer Frau aus dem Büro der Autoreparaturwerkstatt, in der er damals arbeitete, und zwar weil die Frau nach einigen Malen, die sie mit ihm in seinem Jeep in den Pausen Liebe gemacht hatte, schwanger wurde, sagte Mama: „Jetzt soll er diesen ganzen Müll zu ihr nach Hause schleppen.“ Aber nachdem Papa weg war, ging Mama manchmal zu dem Gebäude und schaute nach, ob es bei dem Container noch etwas gab, das man zu Hause gebrauchen könnte.

Ich setzte mich in den Sessel und schaute Mama beim Schlafen zu. Viel Arbeit, vier Kinder, unterschiedliche Typen vor und nach Papa, viel Bier und auch etwas Härteres – all das hatte dafür gesorgt, dass Mama gealtert war. Schlafend, mit offenem Mund, ohne ihre Zahnprothese, ohne Schminke schaute sie zehn Jahre älter aus als sie tatsächlich war. Leider habe ich ihre schönen blauen Augen nicht geerbt. Die Halbschwester und die beiden Halbbrüder ebenfalls nicht.

Ich ging zum Kühlschrank. Eine Bierdose legte ich in die Tasche, die andere machte ich auf und kehrte zum Sessel Mama gegenüber zurück. Aus dem Fernseher ertönte Musik aus den Sechzigern, zehn CDs für Hundertzwanzig Dollar, gratis Zustellung. Von jedem Lied waren einige Takte zu hören. Zehn Minuten später ging ich wieder in die Küche; eine Bierdose machte ich auf, die andere legte ich in meine Tasche, damit ich später noch etwas hätte bei mir daheim. Wieder betrachtete ich Mama, sie hatte besseres Haar als ich. Ich dachte: „Nächstes Jahr um diese Zeit wirst du tot sein, Mama.“

Nachdem ich das Bier getrunken hatte, stellte ich beide Dosen auf den Beistelltisch neben die anderen drei. Lautlos öffnete ich die Haustür, ging auf den Flur hinaus, und als ich die Tür zumachte, glaubte ich, von innen zu hören: „Ich weiß ... du hellseherische Schlampe.“

Ich kehrte nicht ins Haus zurück. Ich stieg ins Auto, machte den Motor an und fuhr langsam los. Nach dem zweiten oder dritten Haus hörte ich im linken Ohr Mamas Flüstern: „Die Mutter deines Vaters, die Ärmste, hieß Elethia. Dein Vater mochte keine Namen. Er erwähnte nie die Namen seiner Eltern, Geschwister oder Arbeitskollegen ... den Namen seiner Mutter sprach er ein einziges Mal aus, zu Beginn unserer Beziehung, nachdem wir auf dem Rücksitz seines alten Buick LeSabre Sex gehabt hatten, während wir rauchten, nachdem du in meinem Inneren gezeugt wurdest.“

Die Frauen von Dubrovnik

Sie sagte, sie wäre sechzig Jahre alt. Eine schöne Frau.

Mit neunzehn hatte sie einen Marinekapitän geheiratet. Sie hatte zwei Kinder zur Welt gebracht. Einige Jahre später wurde ihr Mann in Chile getötet. Dort wurde er auch begraben. Jedes Mal, bevor in See stach, sagte er zu ihr: „Wenn irgendwas passiert, dann ist besser, wenn ich dortbleibe. Man soll mich nicht hierher zurückbringen.“ Diesen Wunsch erfüllte sie ihm.

Sie zog die Kinder alleine groß. Sie arbeitete in einer Bibliothek.

Der Sohn ging nach Zagreb zum Studieren. Zwei Jahre später entschloss sich die Tochter, es ihm gleich zu tun. Bevor sie wegzog, sagte sie zu ihrer Mutter: „Du hast dich um uns gekümmert, kümmere dich jetzt ein wenig um dich selbst. Gib mir deinen Ehering. Ich werde ihn an einer Kette um den Hals tragen. Und du such dir einen anderen Ehering. Der Goldschmied Vido stellt noch immer Eheringe her, er ist noch immer ein gutaussehender Mann, er ist noch immer alleinstehend, er liebt dich noch immer genauso wie damals, als du die Wahl zwischen Papa und ihm hattest und dich für Papa entschieden hast. Du bist vierzig Jahre alt. Das ist nicht viel und nicht wenig, aber völlig ausreichend, um einen neuen Weg einzuschlagen.“

Es regnete stark. Sie nahm ihren Regenschirm mit und ging heiter und entschlossenen Schrittes die Hauptstraße Stradun hinunter. Gerade, als sie beim Goldschmied „Vido“ ankam, hörte es auf zu regnen. Sie klappte ihren Regenschirm zusammen und betrat den Laden. Der Besitzer freute sich über ihren Besuch. Er schaute sie erstaunt an.

Die Frau legte ihre Hände auf den Glastisch und streckte ihre Finger aus. Sie sagte: „Den alten Ehering gibt es nicht mehr. Ich brauche eine neuen. Mach mir einen.“

„Was für einen möchtest du?“, fragte Vido.

„Du bist doch der Goldschmied. Mach mir einen Ehering, den du an mir gerne sehen möchtest.“

„Eheringe stellt man paarweise her. Für wen soll ich den zweiten machen?“

„Für dich selbst.“

Ein Jahr später bekamen sie eine Tochter.

Die neunzehnjährige Tochter machte einen Abstecher zur Bibliothek, um ihre Mutter zu besuchen. Ich war zufällig dort, nachdem ich einen ruhigen Nachmittagsspaziergang durch die leeren Straßen Dubrovniks unternommen hatte. Nachdem die Tochter gegangen war, sagte ich zu der Frau: „Haben die jungen Männer Glück mit ihr oder nicht?“

Die Frau lächelte. Ich fuhr fort: „Sie ist eine wunderschöne junge Frau. Manchmal bringt Schönheit kein Glück.“

„Ja“, sagte die Frau und dachte kurz nach, „Sie sind nicht von hier?“

„Nein. Ich bin weit weg von zu Hause ... Sie sind ebenfalls eine wunderschöne Frau, Ihre Tochter hat das von Ihnen.“

„Setzen Sie sich.“

Ich setzte mich, trank den Kaffee, den sie mir brachte, und hörte mir ihre Geschichte an. Bevor ich wegging, sagte ich, dass ich gerne im Geschäft ihres Mannes einen Ring für meine Frau kaufen würde. Vielleicht einen, der ihrem Ring ähnlich war. Etwas derart Schönes hatte ich noch nie gesehen. Sie lächelte und sagte, ich sollte unbedingt den Laden ihres Ehemannes besuchen.

Am nächsten Vormittag kaufte ich beim Goldschmied „Vido“ einen sehr schönen Ring für meine Frau. Ich lud ihn auf einen Kaffee in der Gegend ein. Er freute sich über die Einladung. Wir tranken einen Kaffee und dann noch einen Schnaps. Wir unterhielten uns gut. Er wollte bezahlen, aber das ließ ich nicht zu. Während ich seine Hand festhielt, um ihn daran zu hindern, das Geld aus der bereit gehaltenen Geldtasche zu nehmen, sagte ich zu ihm: „Erlauben Sie mir, Sie einzuladen. Ich habe einen wunderbaren Ring für meine Frau gekauft. Sie sind ein Künstler.“

Vido ließ sich umstimmen, aber beim Abschied schlug er vor, dass wir uns später in einem Restaurant treffen sollten, wo er gerne mit seiner Frau hinging, und dort einen guten Wein trinken sollten. Diesmal würde er mich einladen. Ich kannte das Restaurant. Auf dem Weg zum Hotel „Argentina“, wo ich einige Tage zuvor abgestiegen war, kam ich immer dort vorbei. Ich nahm seine Einladung an.

Am Abend im Restaurant unterhielt ich mich sehr angeregt mit dem Goldschmied und seiner Frau, bei einem guten Wein. Später stieß die wunderschöne Tochter zu uns. Ich sagte: „Ihre Tochter ist so schön wie der Ring, den ich heute Morgen für meine Frau gekauft habe.“

„Darauf trinken wir noch ein wenig Wein“, sagte der stolze Vido erheitert.

Am nächsten Tag klopfte jemand an die Tür meines Hotelzimmers. Ich machte auf und erblickte die schöne Tochter. Erstaunt stellte ich fest, dass nur eine einzige junge Frau so schön gewesen war, nämlich diejenige, die ich eines Nachts vor der Kirche kurz vor der Weihnachtsmesse, vor vielen Jahren, gefragt hatte, ob sie mich heiraten würde, und sie hatte „Ja“ geantwortet.

„Ich habe drei Vorschläge“, sagte die schöne junge Frau. „Erstens, wir können baden gehen. Zweitens, wir können auf der Terrasse einen Kaffee trinken. Drittens, wir können hier Liebe machen, in deinem Zimmer.“

„Das dritte kannst du gleich vergessen“, sagte ich lächelnd. Ich näherte mich der jungen Frau und küsste sie auf die Stirn. „Gehen wir auf die Terrasse, trinken einen Kaffee und schauen wir hinaus aufs Meer.“

Tasuta katkend on lõppenud.